Rezensent: mistkaeferl

Das Cover von Alaizabel Cray von Chris WoodingDer junge Thaniel Fox ist Hexenjäger, einer der gefährlichsten und anerkanntesten Berufe in ganz London, das seit einer Bombadierung durch Luftschiffe von sogenannten Hexlingen überannt wird – Kreaturen, die aus Mythen und Märchen zu stammen scheinen. Als Thaniel eines dieser gefährlichen Wesen zur Strecke bringen soll, findet er stattdessen ein junges Mädchen ohne Erinnerung, eine Verrückte vielleicht. Doch als Bruchstücke der Erinnerung von Alaizabel zurückkehren, wird klar, daß sie in eine große Bedrohung für ganz London verwickelt ist. Thaniel versucht dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, während sich Alaizabel in ständiger Gefahr befindet: Hexlinge werden von ihr angezogen wie Motten vom Licht.

-Bedrohlich tief kam das Luftschiff daher. Sein langer Bauch schimmerte, vom Licht der Gaslaternen unter ihm getroffen, silbern durch den Nebel.-
1 Verfolgungsjagd/Thaniel erlebt eine böse Überraschung/Erste Eindrücke

Luftschiffe, Hexenjäger und Serienmörder – Alaizabel Cray (The Haunting of Alaizabel Cray) verspricht einen abenteuerlichen Steampunk-Spaß, der sich aber gleich von der ersten Seite an als sprachlicher Rohrkrepierer erweist. Offenbar stand der Roman unter der Prämisse, sich mit hölzernem und effektheischendem Ausdruck an möglichst junge Leser anzubiedern, obwohl er thematisch am ehesten für ältere Jugendliche gedacht ist, die möglicherweise nicht mehr in jedem dritten Satz ein Ausrufezeichen brauchen, um sich gut und spannend unterhalten zu fühlen. Die Holzhammersprache bleibt leider auf der ganzen Länge des Romans erhalten, wirkt in actionreichen oder auch besonders leisen Szenen eher noch unpassender und verdirbt das ansonsten größtenteils doch sehr gelungene Ambiente.

Würden Sprache und Inhalt ein bißchen besser Hand in Hand gehen, so hätte Alaizabel Cray einiges zu bieten: ein nebliges London bei Gaslicht, in dessen Gassen neben Mördern und Wölfen auch mythische Wesen wie Gnome, Werwölfe und Dämonen ihr Unwesen treiben und in dem sich in den Nächten nur die Furchtlosen auf die Straßen wagen – oder diejenigen, die müssen, weil sie bei der industriellen Revolution auf der Verliererseite standen.
Diese düstere Atmosphäre hat Wooding im Prinzip sehr gut eingefangen und  gekonnt mit den phantastischen Elementen verknüpft – besonders gelungen sind ihm beispielsweise die zur Industrialisierungszeit passenden magischen Prozeduren wie die Arbeit mit diversen Reagenzien und magischen Zeichen, aber auch die Namensgebung der auftretenden Figuren zeugt eigentlich von einem guten Gefühl für das Setting.

Bei der Ausarbeitung der Charaktere hatte diese Sorgfalt allerdings auch schon wieder ein Ende – sie bestechen eher durch Coolness als durch Charme und haben eine starke Tendenz zu comicartigen, aufgeblasenen Superhelden, deren Beweggründe und Persönlichkeiten niemals übers Schablonenartige hinauskommen. Schade drum, denn die Geschichte an sich glänzt mit einer guten Balance zwischen Action und Ruhe und Wooding ist kein schlechter Erzähler. Er verbindet geschickt das kriminalistische Miträtseln an einer Verschwörungsgeschichte und einem Serienmord mit der langsamen Aufdeckung des Hauptplots – auch wenn es keine sensationellen Wendungen und Überraschungen gibt und die Bösewichte letzten Endes ziemlich ausgelutschte Nummern sind. Ein wenig Gruseln und Fingernägelkauen wären aber auf jeden Fall drin gewesen, nur schafft es der Autor nicht, den Leser ganz in die Welt zu ziehen oder mit seinen Charakteren mitfiebern zu lassen.
(rezensiert von: mistkaeferl)

Arthur Spiderwick's Field Guide von Holly Black und Tony DiTerlizziArthur Spiderwick legt – in der Hoffnung auf eine Veröffentlichung – sein wissenschaftliches Werk zur Klassifizierung und Bestimmung von Fabelwesen vor. Mit bunten Farbtafeln und erläuternden Texten werden Pixies, Boggarts, Elfen, Nixen, Kobolde und vieles mehr beschrieben. Zeitungsausschnitte, nachträgliche Notizen und weitere Materialien ergänzen den Band.

– Dear Sir or Madam,
I began the book you see before you many years ago, after my brother was killed and devoured, before my very eyes, by a troll. –

Arthur Spiderwick’s Field Guide (Arthur Spiderwicks Handbuch für die fantastische Welt um dich herum) ist Teil des (inzwischen auch verfilmten) Spiderwick-Franchises, zu dem sich im Buchhandel Notizbücher, zig kleine Zusatzbände und dergleichen mehr stapeln. Der Field Guide sticht aus dieser Fülle angenehm hervor, denn er ist mitnichten nur für Fans oder jugendliche Leser interessant, sondern kann auch als eigenständiges fiktives Forscherhandbuch punkten – und zwar als eines der überzeugendsten, die sich finden lassen: Die Fiktion des wiederentdeckten, wiederhergestellten alten Notizbuches wurde von der ersten bis zur letzten Seite erhalten, die opulente Gestaltung zeugt vom Bemühen um eine authentische Präsentation. Selbst die Verlagsinfos und die Werbung für weitere Bücher aus der Spiderwick-Reihe sind stilvoll angepasst, und am Ende steht sogar eine Erklärung, wie und warum Arthur Spiderwicks Aufzeichnungen, die ja als handgeschriebener, wiederaufgetauchter Dachbodenschatz eingeführt werden, von Tony diTerlizzi und Holly Black für eine Massenproduktion aufbereitet wurden.

Die Geschichte, die zwischen den Zeilen in Zeitungsausschnitten, ‘handschriftlichen’ Ergänzungen und anderen Hinweisen erzählt wird, ist ein Kernstück der Spiderwick-Geschichten, allerdings ist sie hier eher Nebensache, denn inhaltlich schlägt der Band mit der Vorstellung verschiedener Feen- und Fabelwesen in dieselbe Kerbe wie Brian Frouds World of Faerie oder Von Elfen, Goblins, Spukgestalten (BrianFroud/AlanLee): Es werden vor allem die Wesen der englisch-keltischen Sagenwelt vorgestellt, Goblins, Boggarts, Banshees und so weiter (Schauplatz sind allerdings die USA). Sobald man sich von den Hausgeistern weiter wegbewegt, wird aber auch der Bezugskreis größer, so dass man auch Phoenix, Einhorn und Konsorten im Field Guide finden kann – mit wissenschaftlicher Akkuratesse auf ein realistisches Maß reduziert, klassifiziert und genauestens beobachtet. Tony diTerlizzi und Holly Black haben dabei eine beeindruckende Balance gefunden, die phantastischen Inhalte mit der wissenschaftlichen Präsentation zu verbinden, die das Spannungsmonent des Field Guide darstellt und ihn von vergleichbaren Werken abhebt.

Optisch macht das Buch einiges her: äußerlich ist es mit Lesebändchen und einem wunderschön gestalteten Einband versehen (unbedingt mal den Schutzumschlag abnehmen!), während sich im Inneren Beschreibungen und Bilder abwechseln. Manchmal sind es Bleistiftskizzen, aber zu jedem Wesen gibt es auch mindestens eine wissenschaftlich aufbereitete Farbtafel, bei einigen der größeren Tiere sogar zum (mehrfachen) Ausklappen – Maßstabsangaben sind nämlich immer dabei (hier einige Beispielseiten). Sind es bei den Hausgeistern vor allem noch die kleinen Details und Ideen, die bestechen – der Federball-Feudel eines Brownie zum Beispiel – macht an den größeren Wesen die realistische, detaillierte Ausgestaltung Freude, in die mit Sicherheit einiges an Überlegung geflossen ist, welche biologischen Grundlagen man dem ein oder anderen Fabelwesen verpassen könnte. Die gedeckten Farben, die Anmutung alten Papiers und die teils skurrilen Bilder wirken dabei zu einem überzeugenden Ganzen zusammen, farbenfrohe Wasserfarbenbilder der jeweiligen Umgebung setzen Kontraste.
Besonders gelungen sind neben den kleinen Hausgeistern der charmant grinsende Phooka, die insektoiden und floralen Kobolde, die zähneklauenden (Hob)goblins und die Meerjungfrauen (auch wenn hierbei anders als beim Rest Details zur Beobachtungssituation fehlen), wohingegen der Kelpie – vielleicht der doch eher unter jungen Lesern vermuteten Zielgruppe geschuldet – nicht sonderlich gruslig geworden ist.

Um dem Anspruch des wissenschaftlichen Werks zu genügen, den Arthur Spiderwick im Vorwort an sich stellt, dürfen (meist alberne) lateinische Namen und eine Einordnung in eine kunterbunte zoologische Taxonomie nicht fehlen, des weiteren gibt es Abschnitte über die Ausrüstung angehender Fabelwesen-Forscher und unterwegs immer wieder die fürs Märchenreich so bedeutsamen Verhaltensregeln. Eine von diTerlizzi und Black zusammengestellte, recht umfangreiche Literaturliste schließt den Field Guide ab – ein rundes, handwerklich absolut überzeugendes Werk, das in die erste Reihe der literarischen Mockumentaries gehört und unbedingt einen Blick wert ist, selbst wenn man mit den Spiderwick-Büchern nichts am Hut hat.

Banewreaker von Jaqueline CareySeit Jahrhunderten haust der dunkle Herrscher Satoris in seiner Festung Darkhaven und brütet Armeen von Fjelltrollen und Weren aus, um die freien Völker zu versklaven. Aber eine Prophezeiung des Ersten Schöpfers Haomane besagt, daß Satoris vernichtet werden kann. Eine Verbindung zwischen Ellyl und Menschen ist der erste Punkt der Prophezeiung, und so planen Cerelinde, die schöne unsterbliche Herrin der Ellylon, und Aracus, der vertriebene König des Westens, zu heiraten, um die Erfüllung in die Wege zu leiten. Satoris, der sich seinem rachsüchtigen Bruder ewig widersetzt, versucht die Hochzeit zu verhindern und schickt seine drei Marschälle Tanaros, Vorax und Ushahin hinaus in die Welt. Er ficht einen verzweifelten Verteidigungskampf.

-The place was called Gorgantum.
Wounded once more, he fled there, and having fled, seethed. It was not a defeat, not wholly.-
Prologue

Wo andere Autoren sich damit begnügen, Tolkien-Epigonen zu sein, nimmt Jacqueline Carey im zweibändigen Epos The Sundering den Herrn der Ringe und Das Silmarillion auf, um mit den Themen und Aussagen Tolkiens zu arbeiten, mit seinen Figuren, seiner Weltschöpfung und seiner Interpretation von Gut und Böse. Wer Tolkien begeistert gelesen hat und sich schon lange eine Geschichte mit ähnlicher epischer Breite und mythologischem Hintergrund wünscht, wird bei The Sundering fündig werden. Vieles ist direkt entliehen, etwa die (ähnlichen) Namen und Aufgabenbereiche der der sieben Schöpfer, die ganz verdächtig Tolkiens Valar ähneln, genauso wie Carey ihre Ellylon auch gut und gerne als Elben hätte bezeichnen können. Auch sprachlich macht Carey bei ihrer Hommage eine gute Figur und beherrscht den epischen Stil, ohne ins Überkandidelte abzugleiten. Einen zweiten Herrn der Ringe hat sie allerdings trotzdem nicht erzählt.
Denn – und jetzt wird’s interessant – auch LeserInnen, die mit Tolkiens extremer Schwarz-Weiß-Malerei schon immer auf Kriegsfuß standen, die sich längst gefragt haben, ob Morgoth oder Sauron nicht doch nur Rebellen waren, und nicht die Verkörperung des absolut Bösen, bekommen hier eine interessante Variante der Geschichte aufgetischt. In erster Linie schaut man nämlich in Banewreaker (Der Herr der Dunkelheit) den überall anerkannten Bösewichten über die Schulter. Die alte Leier von Gut und Böse wird verdreht und undurchsichtig, wenn man sich plötzlich auf der Seite des großen Übels der Welt wiederfindet.

Haomane, der erstgeborene Schöpfer, der für Vernunft und rationales Denken steht, läßt seine Anhänger, die “guten” freien Völker, im besten Glauben gegen den ausgewiesenen Obermotz Satoris – einst ebenfalls einer der sieben Schöpfer, doch längst aufgrund seiner Widerspenstigkeit in Ungnade gefallen – in den Krieg ziehen, und das schon seit Jahrhunderten. Satoris, der für Leidenschaft und die fleischliche Zeugung von Leben steht, wird als mächtige, düstere Kreatur gezeichnet, die ein immerwährender Schmerz plagt und für die Rebellion gegen seinen Bruder bitter büßen muß. Verzweifelt kämpft er dagegen an, das zu werden, was die Welt in ihm sieht. Der Ansatzpunkt ist somit ein ganz anderer als bei Tolkien (und dem Großteil seiner Nachfolger).

Man verfolgt durchaus auch die Machenschaften der “guten” Seite, die sich voll im Recht fühlt, das Land vom Zerstörer zu befreien. Carey schafft dabei auf beiden Seiten faszinierende und sehr menschliche Charaktere (auch wenn eine ganze Reihe davon quasi-unsterblich ist, als würde man bei Tolkien nicht die Hobbits, sondern die Herren und Zauberer als Identifikationsfiguren anbieten), die Düsterlinge liegen ihr aber eindeutig mehr. Was durch diesen verwirrenden Standpunkt allerdings komplett wegfällt, ist das Böse. Widerlinge gibt es hier nicht, und alle Charaktere, egal welcher Fraktion, haben eine edle Seite, sie sind höchstens einmal starrköpfig und uneinsichtig oder verletzt an Körper und Geist – aber abgesehen von diesem immerwährenden Konflikt scheint die Welt Uru-alat von Schlechtigkeit relativ frei zu sein. Der dichte Reigen von Ereignissen mythischer Dimension verhindert allerdings, daß man vom Alltag der Welt (und ihrer etwaigen alltäglichen Schlechtligkeit) bis auf wenige Ausnahmen viel mitbekommt.

Ein wenig leidet die Intensität des Romans unter der Fülle von Figuren – man hätte sich gewünscht, ein wenig länger bei den Einzelnen verweilen zu können, statt gleich wieder zum nächsten aus der Riege überzugehen.
Dennoch ist Banewreaker ein großes Lesevergüngen für Fans von klassischer Fantasy. Wo es nötig ist, beherrscht Carey die epische Breite und hochtrabende Sprache und fängt so die Atmosphäre der mythischen Umwälzung der Welt sehr gut ein. Dabei bietet sie mehr Stoff zum Nachdenken – auch über die Konventionen der tolkienesken Fantasy – als ein weiterer Tolkien-Abklatsch, denn es wird deutlich, dass sie sich  ausführlich mit den Themen auseinandergesetzt und sie zu etwas Neuem verarbeitet hat. Die Vielzahl der verdrehten Anspielungen auf Tolkien zu entdecken, ist dabei noch das kleintse Vergnügen, das die Lektüre bereiten kann.

Bettler in Spanien von Nancy KressDer schwerreiche Roger Camden will für die geplante Tochter nur das Beste, das heißt, die neuesten und vielversprechendsten genetischen Modifikationen. Und so neu, dass es eigentlich noch im Teststadium ist, ist die Ausschaltung des Schlafbedürfnisses. Doch bald wollen mehr Eltern diese Modifikation: Die Kinder sind leistungs- und lernfähiger, da die nutzlos verbrachten Ruhestunden wegfallen, und anderen in jeglicher Hinsicht überlegen.
Doch Leisha Camden, die mit einer Schwester ohne die Modifikation aufwächst, lernt bald die Schattenseiten kennen: Die gewöhnlichen Menschen kommen nicht besonders gut mit den überlegenen Veränderten zurecht, und die »Schlaflosen« ängstigen sie zutiefst.

-Sie saßen steif auf seinen antiken Eames-Stühlen, zwei Menschen, die gar nicht hier sein wollten – besser gesagt, eine der beiden Personen wollte es nicht, und die zweite ärgerte sich über das Widerstreben der anderen.-
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Nancy Kress betrachtet in ihrer SF vorrangig weder technologische Entwicklung, noch schaut sie hinaus in ein größeres Universum – ihre Spezialität ist der Mensch unter veränderten Bedingungen, und Bettler in Spanien (Beggars in Spain), der Roman, mit dem ihr der Durchbruch gelang, ist dafür ein Paradebeispiel. Er basiert auf einer gleichnamigen Novelle, die mit Hugo und Nebula Award ausgezeichnet wurde und immer noch den besten Teil der längeren Fassung darstellt – in den ergänzten Abschnitten werden dieselben Konflikte lediglich auf eine andere Ebene gehievt, wobei sich das vielschichtige Grundthema durchaus für eine mehrteilige Betrachtung anbietet. So kann Kress fein herausarbeiten, woraus sich das Menschliche konstituiert und die Reaktionen – gesellschaftliche und individuelle – auf das Andere, oder vielmehr das Bessere in Form der Schlaflosen ausloten. Die Befremdung und schließlich Bedrohung, die die gewöhnlichen Menschen in ihnen wahrnehmen, lässt wohlbekannte Prozesse ablaufen, die sowohl aus dem Umgang mit Fremden allgemein als auch aus der etwas spezielleren Form der Intellektuellenfeindlichkeit abgeleitet sind.

Als LeserIn verfolgt man dabei hauptsächlich Leisha Camden, die erste Schlaflose, und für sie ist die gesellschaftliche Grundhaltung eher ein mal stärkeres, mal schwächeres Hintergrundraunen, denn für die Schlaflosen selbst ist der Leistungsgedanke das bestimmende Element. Wo er hinführen kann, wenn durch eindeutige Überlegenheit Tatsachen geschaffen werden und Leistung gleichzeitig als Rechtsgrundlage dient, ist ein sehr beunruhigendes Gedankenexperiment, das zwar einerseits ein Kind seiner Zeit ist (die »Leistungsgesellschaft« bekam in den 90ern erstmals große Medienpräsenz), andererseits aber auch visionär und immer noch (oder erst recht?) gültig.
Von der anderen Seite der Medaille, den Bevölkerungsmassen, deren Leistung, aber auch Empathie im Großen und Ganzen geringer ausfällt, wird kein weniger pessimistisches Bild gezeichnet.
Aus diesen beiden Polen, den sich aufschaukelnden gesellschaftlichen Konfliktherden und dem Sicherheitsbedürfnis der Privilegierten, entwickelt sich vor allem im ersten Teil von Bettler in Spanien eine hochspannende Dynamik, in der gemäßigte Stimmen zunehmend untergehen.

Die Figuren, sowohl gewöhnliche Menschen als auch Schlaflose, sind wie bei Kress üblich keine uneingeschränkten Sympathieträger, sondern sehr anfällig für Fehler: ob fanatisch, gleichgültig, egoistisch oder fehlgeleitet, hier wird die ganze Bandbreite menschlicher Irrungen abgedeckt. Leisha Camden, die Protagonistin und der »Prototyp« der Schlaflosen, ist allerdings eine faszinierende Figur – ein perfektes Geschöpf, das durch Gen-Engineering nicht mehr ganz menschlich ist, aber als diejenige, aus deren Perspektive erzählt wird, sehr viel Menschlichkeit zeigt, ja sogar krampfhaft danach sucht.
An ihren Hauptfiguren untersucht Kress auch familiäre Strukturen, ihre langjährige Wirkung, ihre letztliche Auflösung: in der Familie der Camdens und als Gegenentwurf bei den (meist) deutlich negativer geprägten Sharifis, einer radikaleren Schlaflosen-Familie. Ambitionierte Eltern in einer ambitionierten Gesellschaft sind dabei immer ein Punkt, an dem die Brüche und Verwerfungen ihren Anfang nehmen.

Die Zukunftswelt an sich bleibt (inklusive der handlungstreibenden Gentechnik) relativ unentwickelt, Kress denkt hier eher grobe Richtungen an, ohne Details zu liefern – die Fragen, die sie stellt, sind immer die gesellschaftlichen: Die Machbarkeitsfantasien der Gentechnik werden von ihr genau an die Grenze getrieben, an der das Resultat so fremd wird, dass die Option trotz ihrer Vorteile nicht mehr in Frage kommt – und an der die künstliche Evolution auch zu einer gesellschaftlichen führt, zu einer Weggabelung, an der Systeme auseinanderdriften, weil (gefühlt) die Gemeinsamkeiten fehlen, vor allem in Bezug auf die Leistungsunterschiede. Dass dieser Schritt keiner Genforschung bedarf, muss nicht ausgesprochen werden, denn das Bettler-Motiv zieht sich durch den ganzen Roman.
Nancy Kress’ Schlaflose sind eine jener genialen SF-Ideen, die Faszination und Relevanz in sich vereinen, und in Bettler in Spanien hat sie die Spannung, die das Thema bietet, im Rahmen von Leishas Lebensgeschichte optimal genutzt. In den einzelnen Abschnitten des Romans lässt sich durch Zeitsprünge eine langfristige gesellschaftliche Entwicklung verfolgen, und diese ausführliche Auseinandersetzung mit der Thematik gewährleistet einen tiefen Einblick in die Konflikte, die zwischen Eliten und dem Rest der Gesellschaft entstehen, allerdings, ohne eine Stellung zu beziehen oder das Grundproblem aufzulösen.

Die Bienenkönigin von Thomas Burnett SwannDie Vestalin Rhea, eine Tochter des ehemaligen Königs von Alba Longa, wird zum Tode verurteilt, nachdem sie Zwillinge geboren hat. Auch ihre Söhne sollen getötet werden, doch der damit beauftragte Hirte erbarmt sich ihrer und setzt sie aus. Sie werden von der Dryade Mellonia gerettet, die sie zusammen mit der Wölfin Luperca versorgt. Als Romulus und Remus junge Männer geworden sind, wollen sie den Tod ihrer Mutter rächen und den Thronräuber von Alba Longa vertreiben.

-Aber eine Schnecke taugt auch nicht viel, nicht wahr? Aber sie kriecht, sie schwenkt die Fühler und bringt uns zum Lachen, sie hinterlässt eine silberne Spur, und wenn sie stirbt, eine hübsche Muschel, wie Perlmutt. Ich würde eine Welt ohne Schnecken hassen.-

Thomas Burnett Swann ist der einzige Fantasy-Autor, der sich mit Leidenschaft und großer Kenntnis der Mythologie der Antike verschrieben hat. Leser, die sich wünschen, dass es schnell und eindeutig zur Sache geht, sollten den Autor abhaken, denn sie werden mit seinen lyrischen und verspielten Versionen der Sagen des klassischen Altertums, angesiedelt in pastoralen Landschaften voller Fabelwesen, die einem anderen Zeit- und Werteverständnis als die Menschen folgen, nicht gut bedient. Die mythologische Fantasy von Swann funktioniert am Besten für Freunde von Geschichten voller funkelnder Details, Szenen von großer Wärme und einer generellen Wertschätzung des Wie vor dem Was einer Geschichte.

Die Bienenkönigin (Lady of the Bees) ist eine Erweiterung der älteren Kurzgeschichte Der Feuervogel und bereichert diese um einige Aspekte, wie etwa Abschnitte, die aus der Sicht der Dryade Mellonia erzählt werden – abwechselnd mit Sylvan, einem jungen Faun. Der von Swann häufig gewählte Kunstgriff, Fabelwesen als Erzähler zu nutzen, ist durch diese Dualität, die sich auch in anderen Aspekten durch den Roman zieht, besonders gelungen: Sylvans Sorglosigkeit steht die Komplexität und Altersschwere der ewig jungen Dryade entgegen, mit der Weiterentwicklung der Geschichte und ihrer Figuren kehrt sich das Verhältnis jedoch um.

Swanns Antike ist ein goldenes Zeitalter im Herbst: Die Helden blicken selbst auf eine glänzendere Zeit zurück und sind sich bewusst, dass sie einer ausklingenden Ära angehören, dass die Magie im Niedergang begriffen ist, wodurch die Geschichte stets ein Hauch der Melancholie durchweht.
Der Stil, der damit einhergeht, ist üppig, schwelgerisch, selbst in der teilweise suboptimalen Übersetzung, die aus den fließenden, poetischen Sätzen manchmal etwas sperrige Konstrukte macht. Wie kaum ein anderer Autor schafft Swann diesen Balanceakt in einer Welt, in der sich Faune im Wald tummeln und Frauen Brüste wie Melonen haben können, ohne dass der Text überladen oder unpassend wirkt.
Hintergründiger Witz lockert die Erzählung ebenso auf wie eine teils subtile, teils direkte Frivolität, wie man sie auch bei Catull oder Ovid finden könnte. Die zivilisationsfernen Erzählstimmen von Sylvan und Mellonia, die zunächst keiner menschlichen Moral folgen, lassen trotzdem keine Zweifel daran, wo im Einzelnen Gut und Böse zu finden sind, wo die Grenze verläuft zwischen Objektivierung des Gegenüber und Respekt vor dem Anderen. Auf beinahe jeder Seite strahlt eine Wärme aus der Geschichte, die ihresgleichen sucht: Sei es in der unbescheiden-drolligen (Selbst-)Beschreibung des Fauns, bei den Details, mit denen die Waldtiere auftreten, oder der Verehrung von unbedeutend scheinenden Göttern.

Die Handlung von Die Bienenkönigin ist in drei Sätzen erzählt und weder komplex noch neu, doch sie entfaltet sich trotzdem wie eine griechische Tragödie vor dem Leser, die unaufhaltsam einem Punkt entgegenstrebt, der durch Figurenkonstellation und Umstände vorgegeben ist. Die Geschichte von Romulus und Remus ist bekannt, der Konflikt der Zwillingsbrüder spielt sich allerdings fast immer unterschwellig ab, steht stellvertretend für zwei Wege, die die Menschheit einschlagen kann: einen harmonischen Weg mit der Natur und einen Weg der Gewalt, der sich durch seinen aktionistischen Charakter immer durchsetzen kann. Ein richtiger Kampf wird daraus so gut wie nie, denn der sanfte Weg von Remus ist dafür zu nachgiebig und lässt die Eskalation umso gravierender ausfallen.

So alt und vertraut der Mythos auch ist, Swann ist weit davon entfernt, einen antiken Einheitsbrei vorzusetzen – in seiner Welt ist eine ganze Bandbreite von Einflüssen sichtbar, von den Etruskern über die Minoer bis hin zum fernen Osten, Verbindungen zu anderen Swann-Werken wie der Minotaurus-Trilogie werden deutlich und vermitteln zusammen mit der fiktiven Geschichtsschreibung, von der in der Palmenblatt-Bibliothek in Die Bienenkönigin die Rede ist, ein zusammenhängendes Bild einer fiktiven, mythischen Antike.

Die lyrische Ästhetik findet sich bei Die Bienenkönigin nicht nur im Stil, sondern auch in den Beschreibungen dieser Welt, in der Mythen Wahrheit sind. Der vielbeschworene Sense of Wonder stellt sich auf unspektakuläre, beinahe spielerische Art und Weise ein, durch das Pendeln zwischen Heiterkeit und Melancholie, durch das Fernweh in eine geträumte Vergangenheit, deren Schleier Swann in seinen Romanen ein wenig lüften kann.
Die Besonderheit von Die Bienenkönigin lässt sich leichter erfahren als beschreiben, denn wenn man behauptet, dass jede Seite Freude beim Lesen macht, wird man dem Roman zwar durchaus gerecht, hat aber doch viel zu wenig gesagt. Wer Silberglocken hören und seidige Faun-Schwanzquasten spüren will, sollte sich im Antiquariat auf die Suche machen und trotz des fragwürdigen Covers einen Blick wagen.

Bitter Seeds von Ian TregillisIm Jahr 1939 wird der britische Agent Raybould Marsh Zeuge eines mysteriösen Vorgangs: Er verliert einen Informanten in einem Flammeninferno und sieht kurz darauf eine Frau, an deren Kopf Drähte angeschlossen sind. Bald wird klar: Die Deutschen verfügen über eine neue Waffe – Menschen mit übernatürlichen Kräften. Dieser Bedrohung müssen die Briten etwas entgegensetzen, und zum Glück erinnert sich Raybould an einen Freund, der behauptet, zu einer langen Tradition britischer Hexenmeister zu gehören. Doch sowohl die Zauberkunst, bei der man im glücklichsten Fall mit einem Blutopfer davonkommt, als auch die Kräfte der Übermenschen, die unter schrecklichen Schikanen ausgebildet werden, haben einen Preis.

-Murder on the wind; crows and ravens wheeled beneath a heavy sky, like spots of inks splashed across a leaden canvas.-
Prologue, 23 October 1920, 11 kilometeres southwest of Weimar, Germany

Nazi-Superhelden gegen britische Geheimagenten und Okkultisten, die mit cthulhoiden Mächten Verträge aushandeln, das klingt eher nach einem Comic als nach literarischer Phantastik, und das nicht nur, weil die Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht gerade ein Setting ist, das häufig zum Schauplatz von Fantasy-Romanen wird. Sämtliche Trash- und Fun-Assoziationen werden allerdings ausgeräumt, sobald man die Prämisse von Bitter Seeds erkannt hat: Der Roman nimmt diese Rahmenbedingungen bitter ernst und zieht sie konsequent durch.
Ian Tregillis versucht das Ungetüm Krieg zu erfassen, und die Überzeichnung mit den durch Willenskraft, Gehirnverdrahtung und brutales Aussieben und Training herangezüchteten Übermenschen und den in ihrer geheimen, verschleißreichen altehrwürdigen Tradition im Grunde nicht minder schrecklichen Hexenmeistern lässt letztlich nur zu Tage treten, was für kriegerische Zeiten ohnehin symptomatisch ist: Die Entmenschlichung des Gegners, gestützt von Völkerhass und Rachegefühlen, das Aufschaukeln der Kriegshandlungen, die Härte bzw. erzwungene Abhärtung der Entscheider und andere Mechanismen werden akzentuiert herausgearbeitet.

Gerade der letzte Punkt tritt durch die klassische Figurenzeichnung stark hervor, wenn die Protagonisten der jeweiligen Partei bei ihrem Werdegang und im Laufe der Romanhandlung abwechselnd begleitet werden: Will Beauclerk, der adlige Lebemann, der hart mit der Realität des Übernatürlichen kollidiert, als sein Land (und vor allem sein bester Freund) magischer Fähigkeiten bedürfen und ihn zum Organisator des Zusammenschlusses der eigenbrötlerischen britischen Hexer machen. Auf der Gegenseite sind es der ambitionierte Klaus, der substanzlos durch Wände gehen kann, und seine Schwester Gretel, ein undurchschaubares, aber für die Führungsriege unverzichtbares Orakel, deren Schicksal man verfolgt. Und dazwischen schließlich Raybould Marsh, der Agent ohne besondere Kräfte, der ein immer größeres persönliches Interesse an dem Konflikt entwickelt (was bestens mit seiner Aufgabe beim Staat einhergeht) und durch seinen kompromisslosen Einsatz mindestens genauso zeigt, welchen Preis kriegerische Gewalthandlungen vom Einzelnen und der Gesellschaft fordern – diese unschöne Gleichung macht Bitter Seeds auf sehr anschauliche Weise immer wieder sichtbar.
Dabei bleiben auch beide Seiten nachvollziehbar, und man könnte nicht einmal eindeutig sagen, dass die Superhelden als vollkommener Ausdruck der Nazi-Gesinnung eindeutig die schrecklichere Variante sind.

Tregillis hat auch daran gedacht, den titanischen Kräften, die er ins Spiel bringt, Begrenzungen aufzuerlegen. Während die Übermenschen stets nervös ihren Batterie-Ladestatus im Auge behalten müssen, sind die Hexer eher in Sorge um ihre Gliedmaßen und ihren Geisteszustand. Das führt neben der starken historischen Einbettung dazu, dass übernatürliche Kräfte nicht nur kreativ und klug geplant eingesetzt werden, sondern auch zu einer realistischen und glaubhaften Darstellung dieser Fähigkeiten, die man beinahe wie Raybould Marsh und sein Vorgesetzter zunächst wie auf verwackeltes Zelluloid gebannt vor sich sehen kann.
Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass in Bitter Seeds zwar historisches Kriegsgeschehen Eingang gefunden hat, das aber im Verlauf der Geschichte in einen stark veränderten Alternativentwurf mündet. Für den Wiedererkennungswert setzt Ian Tregillis vor allem auf Elemente, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind (etwa die Evakuierung der britischen Kinder aufs Land).

Die Ereignisse des Romans – Entscheidungen, Kämpfe, schicksalshafte Begegnungen – sind beinahe zu perfekt aneinander gereihte Streiflichter, ineinandergreifende Einzelszenen, die sich unweigerlich zur Katastrophe aufschaukeln. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade die Figurenhintergründe noch etwas besser hätten ausgeleuchtet werden können. Besonders Marsh, die “gewöhnliche” Identifikationsfigur, die in ihren ganz eigenen Abgrund taumelt, wirkt seltsam distanziert, und der maßgebliche Einfluss, nämlich sein Familienleben, bleibt letztlich eine Chiffre – aber vielleicht war auch kein Gegenpol zu dem grimmigen Schlagabtausch gewünscht.
Richtig glänzen kann Ian Tregillis vor allem in der Beschreibung des Schrecklich-Erhabenen: Wenn die Eidolons ihre Aufwartung machen, jene Wesenheiten, die seine John-Dee-Nachfolger für die Verteidigung des Königreichs heraufbeschwören, wächst er bei der Beschreibung dieser fremdartigen Präsenzen über sich hinaus.
Nicht nur ihretwegen, sondern auch aufgrund der Handlungen der fast ebenso unheimlichen Gretel, die anhand ihrer Visionen die Zukunft völlig skrupellos, aber dennoch mit dem berühmten Schmetterlings-Flügelschlag formt, lautet die Frage, die Bitter Seeds am Ende stellt, weniger: wer handelt den Preis für den Sieg aus und wer bezahlt ihn?, sondern: wer kontrolliert die entfesselten Mächte eigentlich wirklich?

Der zweite Band der Trilogie widmet sich, wie der Titel The Coldest War bereits ankündigt, einer späteren Epoche des Konflikts, so dass Bitter Seeds auch ein halbwegs abgeschlossenes Leseerlebnis bietet.

Blade of Tyshalle Matthew Woodring StoverHari Michaelson tritt nicht mehr als Caine auf. Seit seinem letzten Abenteuer auf Overworld hat er einen Posten beim Studio, und dort sitzt er – von der Hüfte abwärts gelähmt – seine Zeit ab, entfremdet von sich selbst und seiner Frau. Die Studio-Bosse haben allerdings Pläne, die weit über die bisherigen Eingriffe auf Overworld hinausreichen, denn wartet dort nicht eine neue Welt, die alle Ressourcen bietet, die die Menschheit bereits verbraucht hat?
Hari und seine Frau Shanna, auf Overworld die Flussgöttin Pallas Ril, wollen nicht tatenlos zusehen, ahnen aber nicht einmal, wie mächtig die Feinde sind, die sie sich auf der einen und der anderen Welt gemacht haben. Sie warten nur auf ihre Gelegenheit …

-A tale is told of twin boys born to different mothers.
One is dark by nature, the other light. One is rich, the other poor. One is harsh, the other gentle. One is forever youthful, the other old before his time.
One is mortal.-
Zero

Heroes Die, das erste Abenteuer des Schauspielers Hari Michaelson, der als Caine zum Fantasyhelden in einer Parallelwelt wird, definierte 1998 die Sword & Sorcery neu. Der Nachfolger Blade of Tyshalle sprengt Genregrenzen und überschreitet auch alle anderen Grenzen, auf die er im Laufe von knapp 800 klein bedruckten Seiten stößt.
Die Handlung könnte man zunächst als zweiten Aufguss von Heroes Die verstehen: Protagonisten, Antagonisten und der Konflikt ähneln sich, doch das Spiel mit Schauspieler und Publikum, mit der Geschichte und ihrer Verquickung mit den Rezipienten, das den ersten Band bestimmt, wird von einer breiteren Thematik abgelöst: Die Erde hat entdeckt, dass sich das von sogenannten Elfen und Zwergen bewohnte Overworld (diese Volksbezeichnungen sind ähnlich pejorativ zu verstehen wie in unserer Geschichte etwa “Rothäute”) noch viel direkter ausbeuten lässt als nur als Abenteuerspielwiese für Reality Shows. Vor allem aber ist Blade of Tyshalle größer, epischer, die Abgründe klaffen tiefer, es steht mehr auf dem Spiel, es wird mehr gelitten (oh, was wird zwischen diesen Buchdeckeln gelitten), und es gibt mehr zu bestaunen.

Statt nur Caine und hin und wieder einigen Nebendarstellern gibt es nun eine ganze Riege wichtiger Figuren; statt vorrangig auf einer Welt zu spielen, gibt es zwei Schauplätze, die nicht unterschiedlicher sein könnten: das magische Overworld kommt diesmal weit über eine bloße Kulisse hinaus, weite Teile des Romans spielen jedoch auch auf der zukünftigen Erde, in einer dystopischen, gnadenlosen Kastengesellschaft, in der nur Dinge weitergedacht wurden, die im Ansatz bereits vorhanden sind – Medienmacht, Reichtum, der bei einigen wenigen im Hintergrund bleibenden Mächtigen gebündelt ist, eine hoffnungslose Unterschicht und eine starke Polizeimacht, die dieses (anti-)soziale Gefüge zusammenhält. Stovers Gesellschaftskritik umschließt sowohl das große Ganze als auch kleine Details, wenn man von Einzelschicksalen in diversen Schichten erfährt oder das klassische Motiv des in einem solchen System gefährlichen gedruckten Buches zur Sprache kommt.
Da das Regime nun auch nach dem vergleichsweise idyllischen (wenn auch von paradiesischen Zuständen weit entfernten) Overworld lechzt, kann es seine ganze Brutalität in Form von Kolonialismus auch dort ausspielen, wo zwar keine Technik, sondern nur Magie funktioniert, indem es auf bewährte, alte Methoden zurückgreift, die schon den europäischen Konquistadoren gute Dienste geleistet haben.

Nietzsche, Heinlein und Howard, die innerhalb des Textes und in der Widmung genannt werden, zeigen die Eckpunkte für das auf, was dann als Reaktion folgt.
Trotz großer Figurenriege ist Blade of Tyshalle ein Buch Caines. Die Figur wird demontiert, filetiert sogar: Hari Michaelson/Caine (der noch viele weitere Namen bekommt und auch das Verhältnis zwischen seinen Persönlichkeiten ausloten muss) ist die Sorte Held, die erst ganz unten sein muss – und bei einem zähen Burschen wie ihm geht es verdammt weit nach unten – bis er wieder aufsteigen kann. Der Caine aus Heroes Die, der jede Situation im Griff hat, blitzt nur kurzzeitig auf, etwa dann, wenn er sich wie sein Vorgänger Conan auf einem Thron wiederfindet, ein Heer von Untertanen vor sich, obwohl er nicht zum Herrschen geschaffen ist und sein Fall bereits feststeht. Wenn man meint, aufgrund der Rückblenden in Blade of Tyshalle seine Biographie zu kennen, nimmt man Caine auch den fließenden Wechsel zwischen der Fäkalsprache des Slums seiner Herkunft und komplexen philosophischen Betrachtungen ab. Und am Ende wird man feststellen, ihn doch nicht gekannt zu haben.

Himmel und Erde werden in Blade of Tyshalle in Bewegung gesetzt, die Konflikte nehmen olympische Dimensionen an, existentialistische Philosophie steht neben knallharter Action, bluttriefender Brutalität und erhebenden, in beeindruckende Worte gefassten Momenten.
Die Grausamkeiten, die im Vorgängerband eigentlich schon eine Nummer zu groß waren, werden mit Links überschritten, Stover bedient sich hier klar aus der Effektschublade des Horrorgenres. Statt Sex und Gewalt gibt es nur Gewalt, denn brutaler Sex ist für Stover noch weniger als Gewalt ein Selbstzweck, sondern immer ein Machtmittel. Jedem Leser und jeder Leserin, die unappetitlichen Körperflüssigkeiten und Beschreibungen, bei denen man nur die Zähne zusammenbeißen und hoffen kann, sie mögen bald vorüber sein, lieber aus dem Weg gehen, kann man von der Lektüre nur abraten. Diese Szenen sind nicht nur um des Effekts willen vorhanden – extrem sind sie trotzdem.
Gerechtfertigt sind sie, wenn man so will, durch die extremen Themen, die Stover beackert: Wie in Blade of Tyshalle die Mechanismen der Adiaphorisierung und der Amoral der Massen greifbar gemacht und ins Zentrum der Handlung eines Fantasy-Romans gerückt werden, dürfte ein einzigartiges Meisterstück sein.

Die philosophischen Betrachtungen und Belastungstests der Ethik spielen sich nicht nur im Hintergrund ab, auch wenn Stover stark mit Leitmotiven arbeitet und seinen lebendigen, atemlosen Erzählstil beibehalten hat. Hinzu kommt ein Spiel mit der Erzählsituation des Romans und der Mythologisierung des Geschehens – wenn man sich also durchbeißen kann (durch die komplexe Thematik und die Brutalität) gibt es zum Ausgleich eine Ästhetik, die Ihresgleichen sucht. Die Sword & Sorcery wird in Blade of Tyshalle damit auf eine andere Ebene gehievt: Sie ist ein Erzählmodus, der den Rahmen für eine Geschichte vorgibt, die an allen Ecken und Enden aus ihrer Handlungsebene herausquillt.

Zu einem solchen monströsen Leviathan von einem Buch kann es auch nur ein persönliches Schlusswort geben: Mit Blade of Tyshalle hat Stover hoch gezielt, und es gibt allerlei Gründe, die dafür sprechen, dass er grandios gescheitert ist, dass man ein überambitioniertes, aus dem Ruder gelaufenes Projekt vor sich hat. Blade of Tyshalle ist vielleicht auch einer der Gründe, weshalb Stover trotz seiner innovativen, literarischen Romane nicht in einem Atemzug mit Steven Erikson genannt wird. Für mich ist Blade of Tyshalle dennoch ein großer Wurf, ein in allen Belangen beeindruckendes, erschlagendes Buch, das ich öfter als alle anderen aus dem Regal nehme. Und wer ein Nachwort verfassen kann, wie es in Blade of Tyshalle zu finden ist, darf vorher meinetwegen auch so oft “fuck” schreiben, wie er will.

Blood and Iron von Elizabeth BearIm New York der Gegenwart verfolgt Matthew der Magier, ein Mitglied des Prometheus-Clubs, die „Sucherin“ der Feenkönigin, die für ihre Herrin Kinder ins Feenreich entführt. Er zieht zwar im Kampf den Kürzeren, doch die Vorherrschaft der Menschen mit ihrem kalten Eisen ist besiegelt. Allerdings taucht ein begnadeter Magier auf – ein sogenannter Merlin – der das Gleichgewicht verschieben und den Konflikt beenden könnte. Sowohl Feen als auch Magier machen sich auf die Suche nach dem Merlin, um seine Gunst zu gewinnen. Die Sucherin, die durch grausame Bande an die Feenkönigin gebunden ist, und Matthew werden dabei in einen Strudel aus uralten und immer wieder neuen Ereignissen gerissen.

-Matthew the Magician leaned against a wrought iron lamppost on Forty-second Street, idly picking at the edges of his ten iron rings and listening to his city breathe into the warm September night.-
Chapter 1

Das Spannungsfeld zwischen modernem Großstadtleben und archaischer Märchenwelt bedient mittlerweile ein ganzes Genre mit Stoff, in dem gefährliche Vampire und Werwölfe auf toughe Frauen von nebenan stoßen oder abgerissene Detektive übernatürliche Fälle lösen müssen. Der Fokus liegt in der heutigen Urban Fantasy aber nur selten auf dem Wunderbaren, das einerseits nahtlos in den modernen Alltag eindringt und andererseits nicht seiner ureigenen Atmosphäre beraubt wird – wenn das geschieht, heißt der Autor mit großer Wahrscheinlichkeit Neil Gaiman oder Peter S. Beagle.
Elizabeth Bear könnte mit ihrer Promethean Age-Reihe in diesen illustren Kreis eintreten, wenn die guten Ansätze des Eröffnungsbandes Blood and Iron fortgeführt werden. Dabei pflegt Bear weder den elegant-sparsamen Stil eines Gaiman noch die lyrische Sprache eines Beagle, sondern fasst irgendwo dazwischen Fuß. An lyrischen Momenten fehlt es trotzdem nicht, bezieht sich doch die Handlung neben einer ganzen Reihe an anderen Mythenstoffen (von der Artus-Legende über Dracula bis hin zu nordischen Sagas und vielem mehr) auf traditionelle Balladen um Menschen, die ins Elfenland entführt worden sind, insbesondere Tam Lin. Kenntnisse in diesem Bereich eröffnen eine weitere Handlungsebene und machen das ein oder andere besser verständlich, sind aber nicht zwingend zum Genuss von Blood and Iron erforderlich.

Bear ist eine mit allen Wassern gewaschene Erzählerin, aber nicht immer einfach zu lesen. Sie verflicht ihre Handlungsstränge um die Sucherin aus den Elfenlanden und Matthew den Magier ausgesprochen vielschichtig, nutzt die Unterschiede zwischen Ich-Erzähler und Erzählern in der dritten Person für plot-relevante Kniffe und bringt eine Spirale in Gang, in der sich ihre Figuren in einem immer wiederkehrenden dramatischen Muster wiederfinden, das dem versierten Leser (und den Protagonisten) aus Geschichten und Mythen wohlbekannt ist. Sie wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen, sind aber so tief darin verstrickt, dass sie letzten Endes mit unlösbaren Entscheidungen konfrontiert werden. Nahezu nebenbei bekommt man auch Einblicke in eine alternative Weltgeschichte, die bis in die Moderne hinein vom ewigen Kampf menschlicher Magier gegen die Einflüsse der Elfenlande geprägt ist – ein Konzept, das Elizabeth Bear in den sehr locker zusammenhängenden Bänden der Promethean Age-Reihe weiter verfolgt und das in seiner ambitionierten Planung durchaus als eine Art Lebenswerk gesehen werden kann.

Der beschreibungsreiche Stil der Autorin fügt sich vor allem dort gut ein, wo das düster-blutige, aber trotzdem farbenfrohe Elfenland lebendig werden soll; bei den Figurenbeschreibungen grenzt er manchmal ans Überladene. Was Bear allerdings aus ihrem Drachen macht, sollte jeden Fantasyleser überzeugen, der der Ansicht ist, dass gute Drachen rar sind. Und auch den ambivalenten Kelpie namens Whiskey vergisst man garantiert nicht so schnell …
Die Bandbreite an Mythen, Literatur und Geschichte, die in Anspielungen verpackt oder direkt als Stoffgeber genutzt wird, ist riesig, und Bear liefert fast immer eine erkennbar eigene Interpretation – unter anderem trifft man etwa auf eine eifrig häkelnde und doch in keinster Weise zu unterschätzende Morgan von Cornwall.
Der im modernen New York angesiedelte Handlungsstrang um Matthew, den menschlichen Magier, ist weniger opulent und gewinnt erst in der zweiten Hälfte des Romans Dynamik, wenn sich herausstellt, wie stark alle Figuren und Geschichten ineinander verschachtelt sind, und die Ereignisse sich überschlagen.
Bears Talent für beeindruckende Szenen kann sich richtig austoben, wenn sich das ganze Drama entfaltet, und nach dem stimmigen Ende, das dem Leser viel Raum für weitere Spekulationen lässt, fragt man sich eigentlich lediglich noch ein klein wenig, weshalb der eigentliche Aufhänger der Geschichte, die Merlin-Figur, um deren Gunst die Parteien ringen, in dem ganzen Spektakel etwas zu kurz gekommen ist.

Und wenn man schon auf hohem Niveau jammern möchte: In Blood and Iron wartet man vergeblich auf große Erklärungen zu dem teils hochkomplexen Geschehen. Weite Teile kann man sich gut zusammenpuzzeln, aber hin und wieder geschehen manche Entwicklungen einfach, und dem Leser sind weder Ursachen noch Folgen bekannt. Auch die Sucherin als Protagonistin, mit der Bear gegen sämtliche Konventionen verstößt, was ihre Charakterentwicklung und die Fortführung ihrer Geschichte angeht, ist bei einigen –schwerwiegenden– Entscheidungen schlecht nachvollziehbar. Der drastischen und beeindruckenden Entwicklung der Figur tut das allerdings keinen allzu großen Abbruch, denn die Naturgesetze des Promethean Age gründen sich häufig eher auf Mythen und alte Erzählmuster als auf Rationalität, und das macht einen großen Teil der Faszination dieser Geschichte aus.

Blood Engines von T.A. PrattMarla Mason, Oberhaupt der Magier der Stadt Felport, verschlägt es nach San Francisco, um dort an ein magisches Artefakt zu kommen. Es ist ihre einzige Möglichkeit, einen tödlichen Zauber zu kontern, den eine Konkurrentin für sie vorbereitet. Doch ihren Bekannten in San Francisco, den chinesischen Magier Lao Tsung, findet sie ermordet vor – Todesursache: Pfeilgiftfrosch. Das magische Artefakt ist weg. Marla, die notgezwungen den Fall lösen muss, taucht in die magische Community von San Francisco ein und kommt finsteren Plänen auf die Spur.

-Marla Mason crouched in the alley beside the City Lights bookstore and threw her runes.-
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Würde man von Marla Mason behaupten, sie sei Harry Dresdens große Schwester, würde sie vermutlich ganz garstig lachen (und darauf bestehen, dass sie immerhin für ihr Alter noch ganz gute Titten hat, was sie nie müde wird, in diesem Wortlaut zu unterstreichen …), aber eine gewisse Verwandtschaft der beiden in modernen Großstädten operierenden Magier lässt sich nicht leugnen.
Die Heldin von Blood Engines (Hexenzorn), dem Auftaktband der Marla-Mason-Reihe, ist nur auf den ersten Blick ein wandelndes Klischee: Magisch universell begabt, mit einer mächtigen Waffe und einem fiesen Wendemantel ausgestattet, bestens in der Kampfkunst bewandert, immer einen zynischen Spruch auf den Lippen. Zur richtigen Sympathieträgerin wird die (von ganz unten kommende) Überfliegerin nur in wenigen Szenen, als bissig-biestigen Gegenentwurf zu den sonstigen Weibchen der Urban Fantasy macht sie dafür aber großen Spaß: Unter ihrer rauen Schale verbirgt sich auch ein harter Kern.
Marlas Sidekick, ihr dämonischer Gehilfe Rondeau, ist ein Sprücheklopfer (in jedweder Hinsicht) und Stichwortgeber für allerlei Geplänkel zwischen den Figuren; der abgestürzte Schauspieler B., der gerne das Müllorakel befragt, fungiert als unbedarfter Sympathieträger und heimlicher Star des Romans.

So schön der Humor und die skurrile Figurenriege allerdings auch sind, der Plot, der darunter liegt, ist dünn, auch wenn das zwischen all den farbenfrohen Ideen beinahe untergeht. Die titelgebenden Blood Engines werden fast nur pro forma erwähnt, und der Bösewicht mit seinen Scharen von Fröschen und Kolibris und seiner Obsession mit aztekischen Gottheiten ist zwar erfrischend anders, wie so vieles an Marla Masons Welt, aber für eine wasserdichte Geschichte taugt er nicht.
Deutliche Krimi-Elemente wie bei Jim Butchers Harry Dresden sollte man trotz der ähnlichen Ausgangslage ohnehin nicht erwarten: Im Wesentlichen gondelt Marla auf der Suche nach Verbündeten von einem Magier zum nächsten, da die magische Oberaufsicht über San Francisco im stetigen Wechsel ist und durch die Pfeilgiftmorde auch noch gehörig durcheinander gerät, und der Aztekenfiesling ist ihr stets einen Schritt voraus.

Marla Mason sollte man vor allem dann lesen, wenn man mit einem Ideenreichtum glücklich wird, der es in sich hat, und die Logik dem unterordnet. Im Unterschied zu weiten Teilen der Urban Fantasy haben die Marla-Mason-Romane einen Ausbund unterschiedlichster Magie zu bieten: Sie ist überall und existiert nicht als eine verborgene, mythische Welt neben der unseren, in der es dann tatsächlich auch Elfen, Vampire und Feen gibt, sondern in Form von menschlichen Magiern, die durchaus modernen Berufungen nachgehen: Börsenspekulierenden Wahrsagern, Internet-Technomanten, einem China-Schwarzmagier, der direkt aus Big Trouble in Little China entsprungen sein könnte, und sogar an der ausufernden Orgie eines Pornomanten kann man teilhaben – allesamt moderne Menschen, die häufig die Möglichkeiten zeitgenössischer Technik und Lebensart für sich nutzen wollen und sie in ihr Leben und die Magie integrieren.
Da verwundert es auch nicht, dass es Tim Pratt gelungen ist, San Francisco  eine eigene magische Geschichte zu verpassen (und zwar nicht nur eine vorzeitlich-mythische, sondern auch eine neuzeitliche). Nicht nur dadurch wird die Stadt zu einem sehr plastisch geschilderten Schauplatz, von dem man nach der Lektüre beinahe meint, eine (magische) Straßenkarte zeichnen zu können.
Innerhalb dieses Kosmos agieren die Magier als Unterweltbosse, regieren knallhart über ‘ihre’ Städte und Bezirke und sehen sich ähnlichen Intrigen und Konkurrenzen ausgesetzt. Doch natürlich bricht auch in dieses wohlgeordnete Setting hin und wieder unerklärliche Magie ein, und der unbeherrschte Weltenreigen nach dem Besuch bei der Hexe von Alcatraz gehört zu den schönsten Szenen von Blood Engines.

Überhaupt schafft es Pratt, in schnoddriger Sprache mit einer Vielfalt an Details der magischen Welt ein sehr weltoffenes und tolerantes Setting und Figurenensemble zu zeichnen: Ethnien, sexuelle Orientierungen, Fetische und vieles mehr trifft man bei Marla Mason in allen Varianten an, wobei Klischees und Quotenauftritte weitgehend außen vor bleiben – aber sie werden auch ohne Blatt vor dem Mund aufgetischt. Wen interessieren in einer Welt voller abgefahrener Magie schon so banale Differenzen? Der Schauplatz San Francisco tut noch ein Übriges zur Offenheit. Wer keine Lust auf eine sich über dutzende Seiten erstreckende Orgie hat, die im Übrigen eher mit Humor als mit Erotik abgehandelt wird, aber schon ins Detail geht, sollte sich lieber nicht auf Blood Engines einlassen.

Marla Masons Abenteuer werden mit Blood Engines recht spektakulär eröffnet, der Schwerpunkt liegt auf dem Humor und den Figuren, auf Anspielungen auf die Pop-Kultur und auf der Schöpfung einer magischen Gegenwartswelt. Der in diesem Band abgeschlossene Wettlauf mit einem Erzbösewicht überzeugt nicht auf ganzer Länge – aber als dreckigere und zynischere Variante zu Dresden & Co. hat Marla genug Pfiff, um ein paar Stunden solide Unterhaltung zu bieten.

Tierführer Translunarien von Ludwig/KoegelEin Bestimmungsbuch für fantastische Geschöpfe, wie man sie noch nie gesehen hat: Schleudernase, Stadtkrake und Lassofant sind nur einige Tierarten, deren Vorkommen, Verhalten und Erkennungsmerkmale der vorliegende Tierführer erläutert. Ein Vorwort über Evolution klärt über die Umstände auf, unter denen solcherlei Tierarten vielleicht hätten entstehen können oder womöglich noch entstehen werden.

-Diese Fülle an überbordendem Leben, an außergewöhnlichen Kreaturen haben Sie wohl nicht erwartet. »Der BLV Tierführer Translunarien« stellt Ihnen einige der ungewöhnlichsten Geschöpfe unseres Planeten vor.-
Translunarien ist überall

Inspiriert von Loriots Steinlaus, Halbritters Tier- und Pflanzenwelt & Co., allerdings ohne die künstlerische Finesse in Bild und Text, hat sich der renommierte BLV-Verlag mit dem 2009 pünktlich zu Darwins 200. Geburtstag erschienenen Tierführer Translunarien einen kleinen Jux im Programm erlaubt. Und dabei ist es auch geblieben, zu einem großen Wurf scheinen letztlich der Mut oder die Ideen gefehlt zu haben.
Nachdem ein Vorwort in trocken-schulmeisterlicher Manier die Wirkweise der Evolution erklärt (und dabei unvermeidlich den alten Bekannten Birkenspanner auspackt), und es das erklärte Ziel des Tierführers ist, die Leserschaft über die Entstehung der Arten zu unterrichten, darf man Humor leider nur in sehr sparsamen Dosen erwarten, Ironie fehlt völlig – und genau diese beiden Zutaten geben dem Genre der Mockumentary oder dem fiktiven Forschungsbericht erst die Würze.
Gewiss, das Ansinnen, klassische Bestimmungsbücher zu imitieren, ließe sich auf seine Weise würdigen, aber wer sich erwartet, die Literaturgattung  (oder etwa gar der oder die Bestimmende) würde aufs Korn genommen, wartet vergeblich. Ebensowenig vorhanden sind Kommentare auf die Gesellschaft, das Leben, das Universum und den ganzen Rest, oder sie sind – wenn überhaupt – sehr versteckt und zaghaft angelegt.

Dass beim Eintrag zur »Steinlaus« Loriot selbst zitiert wird, mehrt den Ruhm des Tierführers Translunarien nicht: zu auffallend ist der Unterschied zwischen wohlgesetzten Seitenhieben mit feinster Komik und dem gewollten, aber nicht gekonnten Versuch, an diesen Tonfall anzuschließen.
Aber auch sonst scheinen die Vorbilder der beiden Autoren Friedrich Kögel und Mario Ludwig häufig zu stark durch. So findet man mitunter mehr oder weniger direkt aus den (auch in den Quellen angegebenen) Vorgängern After Man von Dougal Dixon und Halbritters Tier- und Pflanzenwelt inspirierte Kreaturen.

Die eigens für dieses Buch erfundenen Tiere und ihre besonderen Merkmale wirken bis auf wenige Ausnahmen einfallslos, nicht selten geschaffen, um eine bestimmte evolutionäre Eigenheit zu demonstrieren, ganz gleich, ob das Gesamtbild ein stimmiges ist oder nicht. Dieser Eindruck mag aber auch durch die nicht immer überzeugenden Illustrationen verstärkt werden. Dennoch hätte man sich insgesamt etwas mehr Ideenreichtum erwartet, anstatt nur Ohren zu sehen, die an Beine geklebt wurden, grotesk verlängerte Nasen oder Schwänze, oder ein Spiel mit der Größe verschiedener Tierarten. Lichtblicke wie die Christbaumleuchtschlange oder die Linksrumgämse bleiben eine Seltenheit im evolutionären Mittelmaß.
Wenn Wissenschaft vor Humor geht, möchte man meinen, dass zumindest ein Blick auf das Ökosystem möglich sein sollte, in dem die translunarischen Arten existieren. Doch Fehlanzeige – die Zusammenhänge bleiben nebulös, mit Ausnahme weniger direkter Jäger-Beute-Beziehungen leben die Tiere separat vor sich hin, und das auch nicht in irgendeiner ansatzweise ausgearbeiteten Umgebung, sondern in wild eingestreuten Weltgegenden irgendwo im Nirgendwo.

Man sollte aber kein Buch dafür rügen, dass es etwas nicht ist, was es nie sein wollte. Wo genau der Tierführer Translunarien allerdings hin wollte, erschließt sich auch nicht, wenn man sich durch alle Tierarten durchgeblättert hat – künstlerisch-ideenreicher Überschwang, der von bildungsbeflissenen Ambitionen eingebremst wurde, ehe er sich entfalten konnte? Putziges Geschenkbuch, das nach ein paar leisen Lachern in der Schublade verschwinden kann? Ein bisschen Spaß zwischen all den ernsten Bestimmungsbüchern, aber bitte nicht übertreiben?
Da mit dem Coverbild der optische Höhepunkt bereits abgedeckt ist, und nicht einmal die wissenschaftlichen Namen, die Raum für etwas Hintersinn geboten hätten, zur genaueren Betrachtung einladen, ist ein (kleines) Schmunzeln und ein wenig Anregung der Fantasie beim Darüberblättern vermutlich alles, was man aus dem Tierführer Translunarien mitnehmen wird, außer natürlich, man besitzt das Humorgen, mit dem man Länderbezeichnungen wie Lichtstrahlien oder Pommfritzien zum Schießen findet. Wenn nicht, greift man vielleicht besser zu den großen Vorbildern.

Die Bruderschaft des Talisman von Clifford D. SimakIm Herrensitz von Standish House wird eine uralte Schriftrolle gefunden – womöglich ein Beweis für die Existenz der historischen Person Jesus. Doch um die Echtheit der Schrift zu überprüfen – eines Dokuments, das den Menschen der verwüsteten Welt wieder bitter benötigte Hoffnung geben könnte –, muß es vom Norden Englands nach Oxenford gebracht werden. Dazwischen liegt das ‘Öde Land’, in dem sich die sogenannten Verheerer aufhalten: Schreckliche Monstren aller Art, die seit Jahrhunderten über die Menschheit herfallen. Der junge Adlige Duncan Standish wird auserwählt, die Schriftrolle durch das Feindesland zu transportieren, zusammen mit einigen treuen Begleitern.

-Das Herrenhaus war das erste unzerstörte Gebäude, das sie in den zwei Tagen ihrer Reise durch ein unglaublich gründlich verwüstetes Gebiet sahen.-
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Aus dem Jahr 1978, also dem Jahr nach der Mutter aller Tolkien-Klone (The Sword of Shannara von Terry Brooks), stammt diese Questengeschichte um einen jungen Adligen, der ein kostbares Artefakt mitten durch’s Feindesland transportieren muß, und sie ist einer der wenigen Ausflüge des SF-Autors Clifford D. Simak in die Fantasy. An vielen Kleinigkeiten erkennt man, daß das Genre damals noch nicht in die starren Schemata der Tolkien-Epigonen gepreßt war, auch wenn Die Bruderschaft des Talismans rein äußerlich dieser Blaupause durchaus zu folgen scheint und schon am Originaltitel The Fellowship of the Talisman erkennbar ganz offen in diesen Revieren wildert. Simaks gemächliche Erzählweise und die vielen mit großer Ernsthaftigkeit verfolgten klassischen Motive haben allerdings zur Folge, daß der Roman nicht ohne Einschränkungen empfohlen werden kann.

Am Helden Duncan Standish hat der Zahn der Zeit ganz besonders genagt: Er ist für heutige Verhältnisse lächerlich naiv und gutherzig, ein junges, unbeschriebenes Blatt, das nicht einmal groß über sich selbst hinauswachsen muß, weil er von Anfang an schon ein aufrechter und hervorragender Kämpfer ist. Dieser Part fällt eher seinem Gefährtentrupp zu, der bunt wie frisch importiert aus der Sesamstraße daherkommt: ein loyaler Diener, ein treuer Kampfhund (dessen Geschlecht in der deutschen Übersetzung mitunter changiert), ein zweifelnder Eremit, ein Geist, der nicht spuken kann, eine Hexe ohne magische Kräfte, ein Schlachtroß und ein kämpferischer Esel, eine Banshee und eine (nach ihrer Etablierung als Love interest des Helden zunehmend häusliche) Kampfmaid mit einem Reitgreif namens Hubert.

Die Queste, die nicht ganz konsequent umgesetzt (aber dadurch auch wenig störend für nicht gläubige Leser) auf christlicher Mythologie fußt, ist von Anfang an eine Verzweiflungsmission, denn das heilige Artefakt muß sicher durch einen wahren Todesstreifen gebracht werden, in dem die sogenannte Horde marodiert, eine Ansammlung abgrundtief böser Lebewesen und Bestien, die dafür gesorgt haben, daß die Menschheit bis zur Gegenwart auf dem Entwicklungsstatus des Mittelalters verharrt. Diese nicht-entwickelte Welt, in der durchaus manchmal moderne Einsprengsel und vor allem kurze Blicke auf eine mögliche andere –unsere– Gegenwart durchschimmern, hat eine gewisse postapokalyptische Anmutung, zumal beinahe die gesamte Handlung im verheerten Öden Land angesiedelt ist. Dieser Odem des Zerfalls unterscheidet sich stark vom  gewohnten Ambiente epischer Fantasy.
Die Hintergründe der Welt und der Queste nimmt man besser nicht zu sehr unter die Lupe, denn einer genaueren Betrachtung halten sie weder stand, noch werden die großen Fragen, die sich im Verlauf der Handlung stellen, zufriedenstellend geklärt. Simak greift statt dessen auf sein bevorzugtes Genre zurück, die SF, wodurch Die Bruderschaft des Talisman zu einem merkwürdigen Hybrid wird.

Welche Gründe gibt es also, diesen leicht unausgegorenen und nicht mehr ganz zeitgemäßen Roman trotzdem zu lesen? Vorweg ist zu sagen, daß man, um ihn überhaupt genießen zu können, willens sein muß, sich mit einer gewissen nostalgisch-verklärten Gutmütigkeit auf alte Fantasy einzulassen. Dann besticht Die Bruderschaft des Talisman durch viele Kleinigkeiten, in denen man Simaks große Stärken wiederfindet, die er auch in seiner SF zur Schau stellt: Vor allem anderen eine menschen- und tierfreundliche Warmherzigkeit, ein milder Blick auf menschliche Schwächen, durch die die skurrilen Charaktere, die sich oft in ausführlichen Zweifeln ergehen und auf die ein oder andere Weise unzulänglich fühlen, eine Menge Charme versprühen können – besonders der Eremit Andrew und die alte Hexe Meg sind ein herziges Pärchen. Und sie sind nicht die einzigen beiden Figuren, die Duncans altmodische Ritterfahrt durch ihre Zögerlichkeit aufhalten. Damit gehen auch amüsante Dialoge einher, und insgesamt sind es eher die ruhigen als die actionreichen Passagen des Romans, die gut funktionieren. Immer wieder gelingen Szenen mit viel Atmosphäre in der menschenleeren Landschaft, und kuriose Ideen blitzen auf, manche gelungen und manche weniger (so etwa ein kleiner Ausflug in die Artussage, beim Handlungsort auf den britischen Inseln wohl unerläßlich). Und über allem liegt ein feiner, leiser Humor. Wenn man Die Bruderschaft des Talisman nicht wegen der Spannung liest, findet man eine schlicht und ergreifend nette Abenteuergeschichte, nicht mehr und nicht weniger.

Auf Deutsch wurde der Roman in zwei Versionen veröffentlicht, 1979 unvollständig als Die Brüderschaft vom Talisman (Cover mit einem Drachenkämpfer), 1987 in einer überarbeiteten Ausgabe als Die Bruderschaft des Talisman mit dem gezeigten Rattencover.

Das Buch der Entscheidung von James ClemensDie Vorbereitung für die entscheidende Schlacht gegen den dunklen Herrscher in Schwarzhall läuft gerade an, als plötzlich der Harlekin Qual in A’loatal auftaucht – er kommt direkt aus Gul’gotha und berichtet von den Plänen des Gegners, schon in Kürze einen entscheidenden Schlag gegen das Land zu führen.
Elena kann sich nicht entscheiden, schon anzugreifen, zumal ihre Verbündeten sich gegenseitig misstrauen und Verrat in der Luft liegt. Doch dann wird ihr die Entscheidung in einer Nacht voller Magie abgenommen, und sie und ihre Gefährten befinden sich wieder auf einer gefährlichen Mission, während ihre Heere auf Schwarzhall marschieren …

-Ist es nicht seltsam, an einem strahlenden Frühlingstag vom Tod zu träumen?-
Hexenstern

James Clemens gelingt es im Abschluss-Band der Banned & the Banished-Reihe, einen schönen Bogen zum Beginn der Geschichte zu schlagen, indem er die Geschehnisse wieder an den Ausgangsort zurückführt und die Handlung teilweise parallel zum ersten und zweiten Band laufen lässt – Elena ist wieder mit ihren Freunden allein in der Wildnis unterwegs und muss sich teilweise sogar mit altbekannten Gegnern herumschlagen.
Doch die schweren Geschütze, die für das Finale der fünfbändigen Reihe aufgefahren werden, erschlagen Leser und Leserinnen förmlich: Alle paar Seiten gibt es spektakulärste magische Effekte, es glüht, glitzert und kracht ohne Unterlass. Nun ließ sich die Welt Alasea zwar von Anfang an in die äußerst magiebetonten Gefilde der Fantasy einordnen, aber dieser bunte Overkill an Erscheinungen schafft sehr schnell einen sehr abgebrühten Leser, und für das eigentliche Ende hat Clemens dann all sein Pulver schon verschossen.

Trotzdem weiß er an einigen Stellen noch zu überraschen – die mysteriöse Identität seiner Erzählerfigur klärt sich beispielsweise tatsächlich erst ganz am Ende des Romans auf. Von der Rahmengeschichte über die “verbotenen Schriften” hätte man sich hingegen ein bisschen mehr Aha-Effekt erwartet, und ebenso vom eigentlichen Ende von Elenas Geschichte, das leider keine großen Überraschungen mehr bietet. Der Kampf gegen den dunklen Herrscher läuft ab wie erwartet, auch wenn Clemens noch einmal alles in die Waagschale wirft, was jemals gegen die Helden angetreten ist.

Wie bisher sind es hauptsächlich die Figuren, die den Roman dennoch lesenswert und auch außergewöhnlich machen; in diesem Bereich werden fast alle Geschichten zu ihrem manchmal tragischen Ende geführt, und es gibt einige kleine, in sich geschlossene Nebenhandlungen, die sehr gut gelungen sind – wie etwa die Geschichte vom Steinmagus. Der Hang zu Kitsch und Tragik, den Clemens bereits in den Vorgängern zur Schau gestellt hat, wurde eher noch versschärft, doch alles andere würde in einer solch monumentalen Umgebung sowieso untergehen.
Mit zwei offenen Handlungsfäden hat sich Clemens eventuell sogar ein Türchen offen gelassen, durch das er eines Tages nach Alasea zurückkehren könnte – für die Fans von bunter, eher leichter Abenteuerfantasy wäre das ein Gewinn, vor allem, wenn eine etwas weniger durchkonstruierte und magisch überladene Erzählung dabei herauskäme, denn unter all der grellen Tünche lässt sich erkennen, dass Clemens den Zauber durchaus beherrscht.

Das Buch des Feuers von James ClemensDie Familie von Elena lebt und arbeitet in einem idyllischen Apfelhain. Als sie ihre erste Monatsblutung hat, färbt sich ihre Hand blutrot und die seltsame Hexengabe manifestiert sich in ihr. Wie aus dem Nichts tauchen sogleich finstere Gestalten auf, die ihre Familie bedrohen und ihrer habhaft werden wollen. Elena kann fliehen, aber unter großen Opfern.
Den Kämpfer Er’ril – einen der Wenigen, die wissen, welch dunkle Schatten über dem Land Alasea liegen – zieht es in Elenas Nähe, und er ist nicht der Einzige: Das Schicksal schart Beschützer und Begleiter um sie, damit sie sich den bösen Mächten stellen kann, die sie selbst und ihre Heimat bedrohen.

-Auf diese Weise endete die Welt, und wie Sandkörner, die in den Wind im Horst des Winters geworfen werden, ist dies der Beginn aller anderen Welten.-
Hexenglut

Der Beginn des fünfbändigen Zyklus The Banned and the Banished mag nach einem famosen Vorwort voller mysteriöser Warnungen an den Leser ein bisschen nach Matriarchats-Fantasy klingen, mit der ersten Menstruation als Katalysator für magische Kräfte und der daraufhin einsetzenden Verfolgung der Protagonistin Elena als Hexe, aber damit täuscht man sich gewaltig: James Clemens’ Fantasy-Saga steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden der epischen Fantasy, und Terry Brooks wäre definitiv ein besseres Stichwort zur Einordnung als Marion Zimmer Bradley.
Die Hauptrolle spielt eindeutig die von Magie durchzogene Welt Alasea, die im Laufe der fünf Bände auch fast bis in die letzten Winkel erkundet werden wird. Befreit von jeglichem Intrigenspiel und Throngerangel, verfolgt man eine bunt aus allen Völkern zusammengestellte Figurengruppe, die zur Weltrettung antritt. Die Pfade, die Clemens einschlägt, könnten kaum ausgetretener sein, aber dennoch wirkt die Erzählung zumindest an der Obefläche recht frisch und nimmt Leser, die gerne Welten entdecken, mühelos mit auf die Reise der Helden, auf der eine Menge Magie, Fabelwesen und der Kampf gegen das absolut Böse warten.

Obwohl die Haupthandlung in Das Buch des Feuers (Wit’ch Fire) nicht großartig vorwärtskommt, wird dieses Vorgeplänkel sehr actionreich und spannend präsentiert; vor allem der Einstieg läuft glatt wie am Schnürchen, wobei sogar einige Horror-Elemente für Spannung (und eindeutige Identifizierung des Bösen als solches) sorgen.
Der Schwerpunkt der Weltenschöpfung liegt eher bei “spektakulär” als bei “originell”, eine bunte Kulisse war definitiv wichtiger als eine realistische, in der versucht wird, authentische Kulturen zu schaffen. Damit ist es immerhin gelungen, ein wahrhaft magisches Land zu kreieren, das eher Endes Phantasíen als Martins Sieben Königreichen gleicht. Nur wartet hinter dieser Kulisse kein Gespinst aus Traum, Einbildung oder Trug, deswegen ist es ratsam, nicht allzu sehr darin herumzustochern.

Geschickt verbindet Clemens verschiedene Handlungsstränge, und jeder Charakter hat eine eigene Geschichte und Aufgabe. Die einzelnen Figuren sind insgesamt gut gelungen, wenn auch einige Klischees mitgenommen werden – sie entwickeln sich und wachsen einem schnell ans Herz, manchmal wirkt allerdings ihre Motivation stark konstruiert, ihre Handlungen sind fast zu gut begründet, alles passt zusammen wie zurechtgeschnitzt. Auch böse Handlungsträger sind mitunter gut charakterisiert und lassen trotz der bedingungslosen Schwarzweißzeichnung der Moral auf Alasea individuell Raum für Interpretation.

Passend zur magischen Welt ist der Stil bildreich und märchenhaft, Clemens und seine Übersetzerin Irene Bonhorst wissen dabei zu überzeugen, so dass sich alles zu einem stimmigen Gesamtbild fügt. Nur mit seiner Apostrophenwut verschandelt der Autor so manchen Namen, man kann höchsten den Kopf dazu schütteln: Elv’en? Og’er? Meint er das ernst? Wenn das James Clemens’ Auffassung von Exotik und zauberischem Reiz entspricht, lässt das nichts Gutes ahnen.
Insgesamt ist Clemens allerdings trotzdem ein guter Erzähler, und wenn man sich auf Das Buch des Feuers und die Märchenwelt Alaseas einlässt, macht der Auftaktband Lust auf mehr, zumal Fantasy im Terry-Brooks-Stil recht selten geworden ist. Als großes Manko bleibt, dass auf den ersten gut 400 Seiten doch sehr wenig passiert – im Hinblick auf die Folgebände, in denen sich die Ereignisse überschlagen, kann man aber darüber hinweg sehen.

Das Buch des Sturms von James ClemensNachdem alle Verletzten geheilt sind, machen sich Elena und ihre Begleiter auf den langen Weg nach A’loatal, um in der versteckten Stadt das Buch des Blutes zu erlangen, mit dessen Hilfe das Land vom dunklen Herrscher befreit werden soll. Doch dieser stellt ihnen auf ihrem Weg seine Diener entgegen, und gegen das Versprechen von Macht sind auch Elenas vermeintliche Freunde nicht immun … Zu allem Übel ist A’loatal schon dem Bösen anheim gefallen. Die Magier Schorkan und Greschym erwarten Elena dort, ohne dass jemand etwas davon ahnt – bis auf ihren Bruder Joach, der unter dem Bann der bösen Magier steht.

-Elena schob den Ledervorhang beiseite, der die behagliche Wärme des Feuers im Innern hielt, und trat aus der Höhle.-
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Der zweite Band der Serie The Banned and the Banished legt im Vergleich mit dem halbwegs soliden Auftakt noch um einiges an Action und Spannung zu. Besonders herausragend erscheint bei Das Buch des Sturms (Wit’ch Storm) die farbenfrohe, ideenreiche Welt, von der man ein gutes Stück mehr vorgeführt bekommt: ein märchenhaftes, von Magie durchzogenes Panorama wird vor den LeserInnen entfaltet, in dem sich alles von Meeresvolk bis zum Drachen tummelt, ohne dass es allzu quietschebunt wirkt. Diese in Kreaturen und Völkern größtenteils wahrhaft klassische Fantasy-Welt kann man staunend durchstreifen, ganz besonders, wenn man ein Einsteiger ins Genre ist, ansonsten wird man vielleicht ein wenig enttäuscht von der Geradlinigkeit des Entwurfs sein.
Im Großen und Ganzen folgt die Erzählung auch einem klassischen Gut-Böse-Schema – die Bedrohung durch den eindeutig bösen Herrscher muss ausgeschaltet werden -, aber die einzelnen Charaktere sind erfreulicherweise nicht unbedingt leicht einzuordnen und haben Licht- und Schattenseiten. Überhaupt pflegt der Autor einen sehr gefühlvollen Umgang mit den unterschiedlichen Figuren, und gibt den zunächst klischeehaften Entwürfen genug Eigenarten, so dass sie einem ans Herz wachsen, auch wenn vor allem die Geschlechterrollen leider eher konservativ und stereotyp bleiben.

Seine Handlungsstränge kann Clemens geschickt verknüpfen; aber manchmal läuft alles ein klein wenig zu glatt ab – schicksalhafte Begegnungen und Prophezeiungen spielen in der Handlung eine große Rolle, und der Einsatz dieser Stilmittel wirkt häufig übertrieben. Gelungener sind dagegen kleine Geschichten in der Geschichte, die zum Teil innerhalb weniger Kapitel abgeschlossen werden, zum Teil aber auch als spannende und nervenaufreibende Geheimnisse in den nächsten Band hineinreichen. Eine dieser Geschichten ist der sich von Band zu Band fortsetzende Prolog über das “Studium” der eigentlichen Erzählung, und man fragt sich von Seite zu Seite mehr, was denn da noch kommen mag, um eine solch bombastische Einleitung zu rechtfertigen – da bleibt nur zu hoffen, dass die nächsten Bände diesen Erwartungen gerecht werden können.
Das Zusammenwirken von Sprache, Welt und Handlung zu einem stimmungsvollen und locker fließenden Ganzen ist Clemens’ größte Stärke, mit der er LeserInnen trotz der nicht zu leugenden Schwächen – und von der Apostrophenflut war in dieser Rezension noch nicht einmal die Rede, aber verflüchtigt haben sich die O’ger und ihre Genossen keineswegs – durchaus in seinen Bann schlagen kann.

Caine Black Knife von Matthew StoverDas Abenteuer, das Hari Michaelson in seiner Rolle Caine einst zum Star machte, ist eine Legende: Im Ödland von Boedecken hat er im Alleingang den gefürchteten Ogrilloi-Stamm der Black Knives so gut wie ausgelöscht.
Nun ist er gezwungen, sich an seine damaligen Taten zu erinnern – denn abermals brodelt es im Ödland, und Caines Adoptivbruder Orbek, einer der letzten der Black Knives, gerät in dem nun von den Rittern des Khryl beherrschten Landstrich in Nöte. Caine bricht auf und bekommt Ärger, kaum dass er angekommen ist: Seine Vergangenheit droht ihn auf vielfältige Weise einzuholen.

-»When you fuck with the bad guy –« Your true grin unfolds like a butterly knife »– the bad guy fucks you back.«-
then: Bad guy

In Blade of Tyshalle hat Caine eigentlich alles getan, was ein (Anti-)Held tun kann, seine Geschichte war zu Ende erzählt. Es war also an der Zeit, dass er seine eigene “origin story” erhält. Doch Matthew Stover wäre nicht Matthew Stover, wenn er es sich so einfach machen würde. Zwar ist Caine Black Knife – übrigens die erste Hälfte des Act of Atonement und damit der erste nicht in sich geschlossene Caine-Roman – in vielerlei Hinsicht kompakter als der ausufernde Vorgänger, aber auf seine Art nicht weniger komplex:
Statt nur das legendäre Abenteuer Retreat From the Boedecken zu erzählen, von dem man in den bisherigen Romanen schon so viele Andeutungen, aber niemals Genaues erfahren hat, verknüpft Stover die als Mitschnitte der damaligen Ereignisse präsentierte Reise in die Vergangenheit mit einer Gegenwartshandlung, die das Damals aufgrund der dreißig vergangenen Jahre, die sich nicht nur in Form von äußerlichen Narben auf Caines Schultern niedergelassen haben, kontrastieren und gleichzeitig neu verarbeiten.

Was Stover hier an Charaktertiefe liefert, ist ein wahres Fest: Der junge Caine ist ein astreines Arschloch, ein Soziopath, der bereits eine Geschichte der Gewalt hinter sich hat, während den älteren Caine die Summe seiner Erfahrungen zu dem macht, was er ist, einem gesetzten Antihelden, der vor allem in Ruhe gelassen werden will. Die Diskrepanz zwischen dem Jetzt und dem Damals, der Blick in den charakterlichen Abgrund, den man mit den Kapiteln aus der Vergangenheit erhält, wird durch viel Unausgesprochenes dazwischen unterstrichen, wie überhaupt in Caine Black Knife die Arbeit mit dem Ungesagten ein großes Spannungsmoment ist, obwohl man von Beginn an weiß, wie Retreat from the Boedecken enden wird. Patrick Rothfuss’ Kingkiller Chronicles, die ebenso auf eine Figur fokussiert sind und mit einem ähnlichen Stilmittel arbeiten, nehmen sich neben dieser Tour der Extreme nicht nur wie ein harmloser Sonntagsspaziergang aus, sondern wirken auch deutlich weniger stringent.

Doch auch wenn dieser Roman noch mehr als die Vorgänger eine reine “Caine Show” ist, nimmt sich Stover auch Raum für teilweise bitterböse Anspielungen: Er rechnet in einem wahrhaft schrecklich lustigen Kapitel mit gewaltaffinen Online-Gaming-Kids ab, mit den Mächtigen (sei es nun Adel oder Pseudoadel durch wirtschaftliche Vormachtstellung) sowieso, und am interessantesten ist diesbezüglich vielleicht sein Umgang mit den Ogrilloi, der ganz nebenbei den Rassismus von Fantasy-Welten deutlich macht, die auf allzu simple Art mit bösen oder primitiven Völkern umspringen: An den niedergerungenen Ogrilloi werden sowohl sprachlich (durch die Herrscher und auch durch die Beherrschten selbst), als auch durch das jeweilige Verhalten die Strukturen rassistischer Unterdrückung beschrieben. Das Clevere daran ist natürlich Caines Rolle darin, seine vielfache Verwicklung in den Status quo: als Kenner und Leidtragender der irdischen Kastengesellschaft, als Adoptivbruder eines Betroffenen, als Verursacher und auch früheres Opfer der nun Unterdrückten: All diese emotionalen Widersprüche sind perfekt herausgearbeitet, und Caine Black Knife ist fern von einem sterilen Lehrstück, das man mit dem wohlverdienten Label Bildungsroman vielleicht assoziieren könnte.

Steril ist hier ohnehin gar nichts – Stover wird mühelos noch derber als in Heroes Die und Blade of Tyshalle, bringt nebst den üblichen blutigen Tatsachen nun auch öfter eine deutliche Note sexueller Perversion ein. Die zu Beginn eingefügte Altersfreigabe und Warnung des Studios vor dem Abenteuer Retreat From the Boedecken ist kein effektheischendes Gimmick, sondern schlicht die Wahrheit.
Damit hat Stover es geschafft, das Sprachniveau in Caine Black Knife gleichzeitig zu senken und zu heben, denn nebst der Gewaltorgien und der nie um eine Derbheit verlegenen Dialoge pflegt der mit einem breiten Bildungshintergrund ausgestattete Caine auch einen im Vergleich noch einmal stark erweiterten Wortschatz und lässt eine Menge Kulturwissen durchscheinen.
Bevor bei den Gipfeln der Gewalt letztlich nur noch der Ausweg offensteht, sie ins Lächerliche kippen zu lassen, gibt es allerdings immer eine Pause, und überhaupt hat Stover sich ein Stilmittel zu eigen gemacht, das den Aussparungen und der Dynamik der Handlung zugutekommt: Da wir eine Aufzeichnung des alten Abenteuers “sehen”, gibt es auch eine häufig genutzte Vorspultaste.

Nebst Caines Geschichte wird auch die von Overworld in Caine Black Knife weitergeschrieben und bekommt noch mehr Tiefe, immer gut verpackt in irdisches Sagenmaterial. Besonderen Spaß macht dabei die ironische Bezugnahme auf Blade of Tyshalle, die das Spiel mit der Fiktionalität, das die Caine-Romane ohnehin auszeichnet, noch weitertreibt und manches relativiert. Wer also geglaubt hat, die Geburt von Caine schon erlebt zu haben, wird hier herausfinden, dass auch die Genese eines Helden nicht eindeutig und immer eine Frage des Standpunktes ist.
Diese Geburtsstunde findet statt, als die zweigleisige Geschichte von Caine Black Knife längst ihre Sogwirkung entfaltet hat, trotz des Sympathie-Malus, den der junge Caine verbuchen kann. Mit einer hochinteressanten Ausnahme bleibt Caine hier auch die einzige Erzählerfigur, und entsprechend universell fällt die Charakterstudie aus: Einerseits ist Caine das Ausnahmetalent, der bad guy, das Arschloch, andererseits ein Jedermann und Underdog, der dem Leser und der Leserin aufgrund der völligen Auslieferung seiner Gedanken nahe bleibt, ganz gleich, was er anstellt. Daran ist nicht zuletzt schuld, dass nach den ersten Schockern zu Beginn der Erzählung eine leichte Mäßigung eintritt, vor allem bei Caines älterer Version, die gewaltmüde ist, bei Bedarf aber immer auf die Arschloch-Persona zurückgreifen kann. Und den jungen Caine begreift man irgendwann als Menschen, der zum Rad im Getriebe der Ausbeutungsmaschinerie in zwei Welten wird, um in diesem System nicht unterzugehen. Während sich seine Geschichte immer garstiger entfaltet und zu etwas wahrhaft Bösartigem heranwächst, scheint sich die Gegenwartshandlung vordergründig konträr dazu zu bewegen, und doch rasen beide, auch durch die zwingende Spärlichkeit, mit der Stover diesmal Massen von Entwicklung auf weniger als 400 Seiten unterbringt, ohne je in Seitenstränge zu driften oder Füllmaterial zu präsentieren, mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu. Am Ende, das dürfte jedem klar sein, kann keine Läuterung und erst recht kein Happy End stehen. Aber etwas Besseres.

Caine's Law von Matthew StoverWieder einmal ist Caine ganz unten: In den Händen der Regierung, ohne Zugriff auf Overworld und seine dortigen Kräfte, verkrüppelt, an ein Bett gefesselt – und seine Peiniger haben noch Schlimmeres mit ihm vor, während in seiner Wahlheimat Overworld die Erde ihren Einfluss wieder erhöht und die Dinge zum Schlechten stehen. Caine macht der Erdregierung ein Angebot, das sie leider ohne mit der Wimper zu zucken ablehnt, und ab diesem Zeitpunkt reißen die Merkwürdigkeiten nicht mehr ab …

“Two things I do,” she repeated. She touched her cheek below the brown eye. “Forgiveness.” She moved the hand to the ice-milk side. “Permission.”
The horse-witch: Feral

Drei Bände lang hat Caine gewütet und gemetzelt, hat skrupellose Gegner bekämpft, indem er noch weniger Skrupel hatte als sie, und nun, in Caine’s Law, dem zweiten Teil der mit Act of Atonement untertitelten Sub-Serie, soll er schließlich doch die Konsequenzen zu spüren bekommen und sühnen. Der nur vordergründig einfach gestrickte Haudrauf wird auf den Boden geholt, nicht nur durch die Ereignisse und seine Ermattung, was Kämpfe und Konflikte angeht, sondern vor allem durch die vielen Rückblicke, die wie schon in den vorausgegangenen Bänden erklären, wer er ist, und einen Mann mit vielen Schichten offenbaren. Ein häufig erwähnter Schlüsselsatz fasst sowohl die Figur als auch den ganzen Roman famos zusammen: »It’s complicated.«

Caine’s Law ist eine strukturell herausfordernde Lektüre – sie bietet keine lineare Erzählung, sondern springt zwischen Zeit- und Möglichkeitsebenen hin und her, stellt einen netten Warnhinweis voraus, dass es sich dabei teilweise nur um bald wieder ungeschehen gemachte Varianten der Ereignisse handelt, und man darf sich selbst zusammenpuzzeln, wie die einzelnen Kapitel zu ordnen sind, häufig nur von kleinen Hinweisen unterstützt. Aber erfahrene Caine-LeserInnen kann ohnehin nichts mehr schocken, und mit etwas Zutrauen in die Fähigkeit von Matthew Stover, einen am Ende nicht im Regen stehen zu lassen, stellt sich bald trotzdem eine Art Linearität ein, denn die Kapitel sind, auch wenn es anfangs anders scheinen mag, mitnichten zufällig angeordnet. Kausalitäten lassen sich herstellen, und letztlich gibt es tatsächlich einen sehr befriedigenden und überraschenden Blick auf das ganze Mosaikbild, das man sich beim Lesen erarbeitet hat, auch wenn es unterwegs ein ausgesprochen wilder Ritt mit wohlplatzierten Stolpersteinen aus dem Zeitreiseparadoxon-Baukasten war. Das Spiel mit der Fiktionalität, das stets ein hintergründiger Bestandteil der Caine-Reihe war, wird dadurch auf eine andere Ebene gehievt, auch wenn Caine nun schon lange nicht mehr »Entertainer Michaelson« ist.
Manch ein Kapitel wird man in diesem raffinierten Puzzle vielleicht zweimal lesen wollen, denn fast in jedem Abschnitt kommt es zu einer bahnbrechenden Erkenntnis, die das Vorausgegangene infrage stellt, und man erlebt einige erschütternde Überraschungen, in denen aus Grandiosität und Glanz plötzlich das Elend dahinter auf erschreckende Weise hervorbricht.

Mit überraschenden Erzählerfiguren, Bezugnahme auf alle drei Vorgänger, auf die menschliche Geistesgeschichte und die Mythen führt Stover Konzepte und Figuren aus 15 Jahren Caine zu einem kohärenten Ganzen zusammen, und das in einem ranken und schlanken Stil, der im Verlauf dieser Jahre noch um einiges präziser und fokussierter geworden ist: So schillernd und wild flatternd Caine’s Law auf den ersten Blick auch wirkt, hier gibt es keine Schlenker, jeder Satz sitzt und leistet seinen Beitrag zu einer Geschichte, die Figur und Mythos verwebt und es tatsächlich schafft, ein Sühne-Epos zu erzählen, das sich von den meist christlich konnotierten Begriffen lösen kann.
Caines Suche nach Erlösung ist eng verwoben mit einer faszinierenden Frauenfigur, die die Vorzüge, die bereits Stovers frühere weibliche Charaktere auszeichneten, zur vollen Entfaltung bringen kann und Stärke, leisen Humor, Tragik und einen wunderbaren Ruhepol in die Geschichte einbringt. Stover kann sein Talent für die realistische Beschreibung von Beziehungen vorführen und stellt einem der ambivalentesten Protagonisten der Science Fiction und Fantasy damit eine der coolsten Frauenfiguren zur Seite, an der alle Klischees auf eine Art und Weise abperlen, dass es eine wahre Freude ist.

Die Schuld-und-Sühne-Frage wird in Caine’s Law auf vielen Ebenen gestellt, es werden mannigfaltige Verhältnisse beleuchtet, in denen sie aufkommt – gesellschaftliche, familiäre, religiöse und ganz persönliche – doch der Fokus bewegt sich trotz wechselnder Perspektiven nie weit weg von Caine, dem Über- und Unmenschen, der menschlicher wird, je mehr er sich in die Angelegenheiten der Götter verstrickt. Die Figur, die in Caine Black Knife noch filetiert wurde, wird hier zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt, und am Ende hat Caine das getan, was Antihelden seit jeher besser können als ihre strahlenden Gegenparts: uns etwas über das Menschsein beigebracht.
Auch wenn Caine’s Law die ausufernde Breite von Blade of Tyshalle fehlt, ist es doch ein mindestens ebenso philosophischer Roman, der sich mit der Ordnung der Welt, Macht, Göttlichkeit und Menschlichkeit, letzten Dingen und dem guten Leben (und den Gründen, weshalb es meist ein frommer Wunsch bleiben muss) befasst. Dass das Ganze nicht ohne Blutvergießen geliefert wird, weiß vermutlich jeder, der bis hierher durchgehalten hat. Der neue Caine ist vielleicht etwas zurückgenommener, dafür sind die Gewaltspitzen nur umso verstörender, und es entspricht der Philosophie hinter Caine’s Law (und eigentlich allen Caine-Geschichten), dass es keine Option ist, wegzuschauen, auszublenden oder trotzdem gut zu finden, sondern man die Gewalt im Kern der Handlung mit offenen Augen wahrnehmen und akzeptieren muss.

Nach diesem Entwurf, der größer ist als alles, was auf Overworld und der Erde bisher da war, ist das Ende – wieder einmal – ziemlich definitiv, bringt alles (aufgrund der besonderen Struktur des Romans sogar augenzwinkernd) zusammen und liefert Erklärungen für die wilderen Konzepte der Handlung, auch wenn die Schlüsse, die man daraus ziehen kann, immer den LeserInnen überlassen bleiben.
Da bisher jeder Roman außer Caine Black Knife der letzte Caine-Roman war, muss das nicht viel heißen. Allerdings war die Reihe nie ein großer Erfolg, und Caine’s Law ist bestimmt nicht dazu angetan, diesen Erfolg herbeizuführen, daher kann man sich im Augenblick nur schwer vorstellen, dass der vom Autor angedachte darauffolgende Act of Faith je das Licht einer Buchhandlung erblickt. Andererseits: Ist es nicht genauso schwer, sich vorzustellen, dass Caine nach allem, was wir erlebt haben, wirklich erlöst sein soll?

City of Bones von Martha WellsKhat, ein Mann aus einem katzenhaften Wüstenvolk, lebt in den Elendsvierteln von Charisat, einer Stadt inmitten des Ödlandes, das einst die Heimat der fortgeschrittenen Kultur der Alten war. Seinen Lebensunterhalt verdient er halblegal als Relikthändler und –jäger. Normalerweise sind es harmlose Objekte von höchstens archäologischem Interesse, doch nicht so bei seinem jüngsten Auftrag: Er soll sich auf die Suche nach Gegenständen machen, mit denen sich die Magie der Alten wirken lässt. Dummerweise kann er den Auftrag nicht ablehnen, denn er kommt von ganz oben. Er muss sich also den Intrigen der Mächtigen und dem lebensfeindlichen Ödland stellen.

-Somewhere else, in a room shadowed by age and death, a man readies himself to look into the future for what maybe the last time.-
Chapter One

Wenn man Ideen aus Lobgesang auf Leibowitz, Picknick am Wegesrand und einer Reihe von postapokalyptischen Geschichten nimmt und zusammenwirft, könnte das böse ins Auge gehen. Aber 1995, als Martha Wells’ zweiter Roman City of Bones veröffentlicht wurde, war die Postapokalypse noch bunter und vielfältiger als heute, und die Autorin verfolgt mit den unverständlichen Relikten einer selbstzerstörerisch agierenden, aber auch sehr fremdartigen Zivilisation (die Erde, wie wir sie kennen, war auf jeden Fall nicht das Fundament, auf dem Charisat steht) und den von ihrer Tätigkeit geprägten Reliktjägern (und –anwendern) ganz eigene Ziele.
Die Weltschöpfung erstreckt sich dabei nicht nur auf die Wüste mit ihren giftigen Bewohnern und surrealen Stätten einer vergangenen Kultur, sondern vor allem auf das Leben, das sich danach angesiedelt und angepasst hat. In Charisat, einer Handelsmetropole mit verschiedensten Einflüssen, ist vor allem die soziale Komponente fein beobachtet – meist durch die Augen von Khat, der als Mitglied eines Wüstenvolks, das den Ödlanden besser trotzt als der Mensch, keine Chance hat, auch nur ein bisschen in der streng nach ihren Ebenen gegliederten Stadt (oben gibt es noch frisches Wasser) aufzusteigen. Selbst im Elendsviertel wird er teils nur gerade eben geduldet, ohne die Möglichkeit, einen ehrbaren Beruf auszuüben, und so verwundert es nicht, dass aus ihm ein ganz schön harter Kerl geworden ist. Gerade diese unteren Ebenen erfahren eine sehr differenzierte Darstellung – gnadenlos, aber auch herzlich, ein Ort, an dem man den nötigen Überlebenskampf auf unterschiedliche Weisen führen kann.
Erst nach und nach lernt man das ganze Ausmaß des perfiden Systems kennen, das im sozialen Gefüge Charisats jeglichen Aufstieg und jede Veränderung verhindert. Da ist es auch nur logisch, dass die obere Kaste ihre eigenen Spielchen treibt und vor allem an der Wahrung des Status quo und Machtzuwachs interessiert ist, während man unten nur an guten Tagen seinen Durst löschen kann.

In einen solchen Machtkampf gerät Khat, der mit seinem gebildeten menschlichen Partner sein kleines Relikt-Unternehmen betreibt – und beiden Seiten ist bei diesem Handel von Anfang an klar, welche Rolle den entbehrlichen und machtlosen Auftragnehmern zugedacht ist. Aufgelockert wird dieses (durch Khats Undurchsichtigkeit ohnehin nicht ganz so) schwarz-weiße Gemälde durch Elen, eine Wärterin, die Khat als Kontaktperson zugeteilt wird und die jung genug ist, sich ein Herz bewahrt zu haben, allerdings auch eine nicht immer gesunde Naivität gegenüber den harten Realitäten ihrer Welt.
Die Figurenzeichnung ist eher subtil, es gibt kaum Extreme: Der harte Knochen Khat wird eigentlich niemals ein überzeugender cooler Draufgänger, sondern offenbart recht rasch seinen verletzlichen Kern, so dass er auch Elen als kompetente, aber eher zurückhaltende Frauenfigur nicht in den Schatten stellt. Manchmal wirken die Emotionen der Figuren ein wenig forciert und übermotiviert, vielleicht gerade weil Khat und Elen eher ruhige und besonnene Personen sind.

Mit seinen Geistern, den Handels- und sonstigen Aufsehern, die dafür sorgen, dass jeder auf seiner Ebene der Stadt bleibt, und den unteren Bereichen mit ihrer Platznot und Kriminalität ist Charisat ein Ort, der wie geschaffen ist für eine Abenteuerhandlung – und das ist die Reliktjagd von City of Bones letztlich, ob nun in ein Herrenhaus eingebrochen oder ein altes Heiligtum in der Wüste geplündert werden muss.
Trotzdem liegt der Fokus ein wenig anders als erwartet, denn die Intrige (die man vermutlich sehr, sehr früh in der Handlung durchschaut), der soziale Zündstoff und die Abenteuer sind vor allem Kulisse für eine Geschichte, bei der Forschung und die Aufdeckung alter Geheimnisse im Mittelpunkt stehen: Nachdem man einmal (mithilfe einer großartigen Gelehrten-Nebenfigur) erkannt hat, wie sehr die Vergangenheit in die Handlung drängt, wird aus der kleinen Geschichte etwas wirklich großes mit einer beeindruckenden Auflösung, das die detaillierten Ideen der Weltschöpfung am Ende zu einem runden Ganzen zusammenführt.
Auf dem Weg dahin mag es die ein oder andere Länge geben, aber bei dieser innovativen Weiterentwicklung macht sich der feine Aufbau der Geschichte bezahlt, und richtig langweilig wird es mit Khats Gratwanderung in Diensten der Obrigkeit, bei der er vor allem anderen seine eigene Haut retten will, eigentlich nie.

The Cloud Roads von Martha WellsIn einer ungezähmten Welt, in der jede Siedlung Gefahr läuft, von Schwärmen der Fell – geflügelter Raubtiere – überfallen zu werden, bemüht sich der junge Mann Moon darum, sich anzupassen und nicht aufzufallen. Er weiß nicht, woher er die Fähigkeit hat, sich in eine geflügelte Kreatur zu verwandeln, und er ist deswegen schon aus vielen Gemeinschaften verjagt worden. Als er eines nachts eine Ruine auf einer schwebenden Felsinsel erkundet, trifft er auf einen anderen, der ist wie er. Aber kann er ihm vertrauen?

-Moon had been thrown out of a lot of groundling settlements and camps, but he hadn’t expected it from the Cordans.-
Chapter 1

Bunt, überraschend und verspielt – das sind drei Eigenschaften, die der Fantasy in Zeiten des grauen Zynismus irgendwie abhanden gekommen sind, und vielleicht sind sie ein Grund, weshalb Martha Wells’ The Cloud Roads so begeistert aufgenommen wurde: Endlich mal wieder ein Buch, das man nicht aus der Hand legen kann, wie früher, so war in vielen Besprechungen zu lesen. Aber kann man dahin überhaupt noch so einfach zurück, ins Reich der Lesenostalgie, oder ist das dann doch zu simple Kost für übersättigte Geschichtengourmands?
An The Cloud Roads ist tatsächlich einiges „wie früher“: Martha Wells siedelt ihre Raksura-Geschichten auf einer relativ unbekümmert zusammenfabulierten Welt an, im allerbesten Sinne. Es gibt kein wahnsinnig exzessives Worldbuilding, aber dafür ganz viel Sense of Wonder, grüne Leute, schuppige Leute, umherwandernde Pflanzen, winzige und riesige phantasievolle Tiere, schwebende Inseln, gelbe Ozeane und auch sonst alles, was das Forscher- und Entdeckerherz begehren könnte.

Und in dieser Kulisse spielt sich ein spannendes Abenteuergarn ab, eine klassische Außenseitergeschichte, die um Freundschaft und Zugehörigkeit (aber nicht unbedingt Coming of Age!) kreist, eine hervorragende Figurenpsychologie und -dynamik bietet und das Ganze mit netten Nebenfiguren und einer Queste würzt. Die Welt wird vielleicht nicht gerettet, aber Moon ist ständig auf Achse und steckt in sich immer wieder neu entwickelnden Schwierigkeiten.
So weit, so nett – aber es stellt sich schnell heraus, dass Martha Wells eben doch nicht alles so macht wie früher.
Ihre Gestaltwandler – die Raksura, eine zivilisierte Raubtierspezies, die man sehr wohl als recht naturalistisch dargestellte Drachen lesen kann – leben in einer rigiden Gesellschaft, die von ihrer Biologie geprägt ist. Wer sich überhaupt fortpflanzen kann und darf, wer welche Rechte und Pflichten ausüben kann und muss, ist vorbestimmt und zeigt sich sogar in körperlichen Merkmalen. Und Moons Rolle in der Geschichte scheint genauso vorbestimmt – der Außenseiter, der endlich seinen Platz findet und sich bewähren kann. Doch ein Leben voller schlechter Erfahrungen hat ihn zu einem einzigen Bündel aus Misstrauen und Zurückhaltung gemacht, und die Art und Weise, wie die von der Natur festgelegten Vorgaben auf persönliche Beziehungen zurückwirken, verkompliziert seine Situation weiter.

Martha Wells nutzt die von ihrer Biologie beherrschten Raksura außerdem für höchst interessante Gender-Konstruktionen: Moon, der versucht hat, sich als Jäger oder Krieger in diversen Gemeinschaften einzugliedern, stellt plötzlich fest, dass bei den Raksura die Männer das kostbare, schützenswerte Geschlecht sind, dass sie umsorgt und umworben werden. Wie schnell man auf diese Weise die Dynamik romantischer Geschichten gehörig durcheinanderwirbeln kann, ist beeindruckend. Und Wells schafft das Kunststück, damit gleichzeitig einen feministischen Kommentar abzugeben und trotzdem niemals vergessen zu lassen, dass ihre Raksura nichts Menschliches an sich haben. An der Oberfläche zeigt sich das auch in den rauschhaften Flugszenen und -kämpfen, die Wells beschreibt.

Die Welt der Raksura ist so alt und skurril wie sie selbst, voller Ruinen untergegangener Zivilisationen, die nur eines vereint: Sie haben wenig mit dem gemein, was man kennt, so dass The Cloud Roads zu einer Fantasy ganz ohne Menschen wird, die hier in keiner ihrer üblichen Erscheinungsformen vertreten sind (man muss sehr selektiv lesen, wenn man irgendwo einen Normalbürger von Fantasyland erspähen möchte). Nostalgisch ist daran vor allem die Bereitschaft, in eine völlig fremdartige Welt einzutauchen und sich auf etwas einzulassen, das einem zunächst wenige Bezugspunkte liefert. Und wenn es sich dann nach Jugendbuch anhört, was Martha Wells über Identität und die Narben erzählt, die ihr Fehlen hinterlässt, über die Akzeptanz von Andersartigkeit und den Umgang mit Schuld, kann man darauf vertrauen, dass die Cloud Roads neuen Wegen folgen und auch einen reiferen Blick auf die Problematik zulassen.

Corpus Delicti von Juli ZehMia Holl leidet, seit ihr Bruder, der aufgrund eines erschlagenden DNA-Beweises des Mordes überführt wurde, im Gefängnis den Freitod gewählt hat. Sie leidet so sehr, dass sie ihr Sportprogamm und die Überprüfung und Abgabe ihrer Körperdaten vernachlässigt. Dadurch gerät sie in die Mühlen der Bürokratie des Staates, der der “Methode” folgt, einer Regierungsform, in der Gesundheit der höchste und einzige Wert ist. Ihr Fall schlägt hohe Wellen, sie verstrickt sich immer tiefer, und die Kritik ihres Bruders an der “Methode” wirkt in ihr nach.

-Rings um zusammengewachsene Städte bedeckt Wald die Hügelketten.-
Mitten am Tag, in der Mitte des Jahrhunderts

Für junge Leser ist die Dystopie seit einer Weile im Trend, für Erwachsene scheinen die Höhepunkte des Subgenres dagegen schon längst von gestern zu sein. Aber rufen die Tatsache, dass die Klassiker langsam von der Gegenwart eingeholt werden, und das Einzughalten neuer Entwicklungen nicht nach unverbrauchten dystopischen Szenarien?
Schon kurz vor dem Boom der All-Age-Dystopie ist Juli Zeh mit ihrer Vision eines Überwachungs- und Gesundheitsterror-Staates in SF-Gefilde vorgedrungen und hat damit Themen aufgegriffen, die Lust machen, sich auf das “was wäre wenn?”-Spiel einzulassen.
Man könnte nun die x-te Überlegung über Nicht-Genre-Autoren anstellen, die ins Genre drängen (wobei nicht ganz klar ist, ob Zeh das wirklich beabsichtigt hat), doch der Fokus von Corpus Delicti liegt ohnehin nicht auf den SF-Elementen und dem Zukunftsentwurf, sondern auf rechtsphilosophischen Betrachtungen und der Beobachtung menschlicher Reaktionen auf gesellschaftliche Entwicklungen, die nur grob angerissen und mit zu wenigen Mosaiksteinchen konkretisiert werden, als dass man sich auch nur annähernd ein Gesamtbild zusammensetzen könnte. Sogar die Sprache des neuen Regimes, die seit jeher ein Medium für die dahinterstehende Ideologie darstellt, ist lediglich anhand einiger prägnanter Einzelheiten wie dem omnipräsenten Gruß “Santé!” herausgearbeitet.

Corpus Delicti ist ein durchaus spannend und geschickt mit Rückblenden und anderen Kniffen verschachtelter Roman, der nicht davor zurückscheut, nach allen Regeln der unterhaltungsliterarischen Kunst Nebenfiguren in Stellung zu bringen, die dann wie ein Uhrwerk ihre Funktion im Spannungsaufbau erfüllen, besonders in den (jawohl!) Action-Szenen. Letzten Endes erwächst die Spannung aber vor allem daraus, dass die meist passive, von außen bewegte Heldin unvorhersehbar handelt (oder eher das Handeln unterlässt) und so gut wie alles geschehen kann, ohne Konsequenz des Vorausgehenden sein zu müssen.
Kafkaeske Auslieferung an die Staatsmacht nimmt in der Tat auch den Großteil der Handlung des mit “Ein Prozess” untertitelten Romans ein, dem ein gleichnamiges Theaterstück vorausgegangen ist. Das Gewicht liegt dementsprechend auf den mit vielen Hintergründen ausgearbeiteten Gerichtsszenen, von denen Zeh auch sonst stilistisch nicht unbeeinflusst scheint. Die Abschnitte dazwischen haben dagegen etwas Skizzenhaftes, was durch die zunehmend extrem handelnden Figuren der Nachvollziehbarkeit des Geschehens nicht gerade zum Vorteil gereicht – besonders die Figurenbeziehungen bleiben kryptisch und die Charaktere selbst seltsam unlebendig, ihre biographischen Hintergründe, etwa Mia Holls Berufswissen als Biologin, werden zwar bei Bedarf ausgepackt und eingesetzt, färben aber sonst nicht auf das Innenleben ab.

Interessant bleibt vor allem die Ausgangsfrage nach der Natur des “Methode” genannten staatlichen Gesundheitsterrors und vor allem nach dem Menschen darin. Da aber die Methode der “Methode” sich vor allem schöner neuer Überwachungstechnik bedient, ist die Kritik am Überwachungsstaat und seinen in ihrer Komfortzone ungestörten Mitläufern in Corpus Delicti ausgeprägter als die am Gesundheitswahn, und damit hat das Szenario seine Unverbrauchtheit schnell verspielt. Für die rechtsphilosophische Fragestellung muss dann auch ein möglicher (Achtung, Spoiler im Link), aber konstruierter Fall herangezogen werden, die echten Probleme eines solchen Weltentwurfs bleiben Andeutungen oder ganz unausgesprochen – was der Handlung etwas von einem aufgesetzten Diskurs verleiht.
Zu einem guten Teil ist der künstliche Charakter Programm: Eine Welt ohne Krankheit, wie sie in Corpus Delicti ausgemalt wird, hat das Zeug zur (und ist in anderen phantastischen Szenarien eine) Utopie, hier wird sie zur blutleeren, sterilen und naturentfremdeten Welt. Ich bin krank, also bin ich?
Corpus Delicti liefert dazu eine interessante, mitunter spannende Betrachtung, der man jedoch das Konstrukt zu sehr ansieht, als dass sie auf überzeugende Weise Leben simulieren könnte.

The Coyote Road von Terri Windling und Ellen DatlowThe Coyote Road ist eine Anthologie, in der Genre-Autoren verschiedenen Trickster-Figuren nachspüren, überlieferten rund um die Welt wie Anansi, Coyote oder Kitsune, und neuen, die frische Interpretationen der Erzählmuster von Trickstergeschichten zulassen.

-You’ve probably seen those shoes by the side of the road. Just a shoe, lying in the dust just off the roadway. Not two shoes together. One odd shoe.-
One odd Shoe, Pat Murphy

Trickster treten in fast jeder Kultur in der einen oder anderen Form auf und sind faszinierende Figuren, weder gut noch schlecht, sondern einfach außerhalb der moralischen und gesellschaftlichen Kategorien und schon allein aufgrund dieser Position mächtig, aber meist nicht mit klassischen Formen der Macht ausgestattet – sie müssen sich durchmogeln. Mythen-Expertin Terri Windling erklärt im Vorwort der von ihr gemeinsam mit Ellen Datlow herausgegebenen Anthologie die verschiedenen Gestalten und Traditionen der Trickster-Figur, und damit ist man bestens gerüstet für die 22 Geschichten und 4 Gedichte, die darauf folgen.

Von den verschiedenen Zeiten, Stilen und Settings, in denen die Trickster in The Coyote Road auftreten, funktionieren die Geschichten mit modernem Hintergrund oft am besten – der Trickster ist eine Figur, die sehr stark mit dem Milieu arbeitet, und das kann ein Autor wie Charles de Lint beispielsweise bravourös in The Crow Roads heraufbeschwören, wo ein mysteriöser Fremder die Ödnis eines kleinen kanadischen Städtchens aufbricht, oder Pat Murphy mit der Eröffnungsgeschichte, die im amerikanischen Westen augenzwinkernd eine Frage aufklärt, die beinahe so spannend ist wie die nach den Einzelsocken in der Waschmaschine. Ebenfalls sehr stark in ihrem Milieu verwurzelt ist Delia Shermans The Fiddler of Bayou Teche, das die klassische Geschichte vom Pakt mit dem Teufel mit sumpfigem Südstaatenflair (und -slang) und Werwölfen neu belebt.
Die historisch angehauchten Geschichten sind zwar alle solide, aber ihnen fehlt häufig der Pfiff, der die Trickster in den moderneren Settings richtig schillern lässt – in alten Zeiten treten sie eher als Götter auf, unverständlich in ihren Motiven und den Menschen recht fern.

An sich sind Trickster ein famoser Kurzgeschichtenstoff, weil sie nicht bleiben. Sie ziehen durch, sind Momenterscheinungen – Glück oder Unglück, das je nach Perspektive über die Menschen hereinbricht und ihren Alltag ausschaltet. Dort lösen sie manchmal wie im Mythos Probleme, mit denen die Gesellschaft allein nicht fertig wird: Ein mysteriöser Fuchs hilft in Realer than You von Christopher Barzak einem entfremdeten Jungen beim Einleben in einem neuen Land, die Cat of the World von Michael Cadnum beschäftigt sich schon seit Jahrhunderten damit, das Leben für Katzen (und manchmal auch Menschen) besser zu gestalten.
Andere Trickster sind wie ein Sturm, der über die Menschen herfällt und sie häufig zum Vergnügen, selten mit richtig ernsten Absichten, wie Spielfiguren herumschiebt. Nur ganz selten gibt es eine Geschichte aus der Sicht eines der Trickster: Richard Bowes’ A Tale for the Short Days wirft einen Blick aus den Augen eines vielseitigen Diebesgottes auf die Welt, und im herrlich rätselhaften und bildgewaltigen Black Rock Blues von William Shetterly muss man sich erst einmal erarbeiten, wer warum in so großen Nöten ist und welche Rollen die auftretenden Figuren bekleiden. Häufig begegnen wir auch menschlichen Trickstern, etwa bei Patricia McKillip, oder die Trickster werden ausgetrickst wie bei Holly Blacks groteskem Besuch im Kosmos der Fresswettbewerbe. Ein weiteres prominentes Thema sind Trickster, die sich vergessen haben und sich quälen, bis ihr funkelndes Ich wieder durchbricht.

Neben Shermans, de Lints und Shetterlys Geschichten ist Kelly Links The Constable of Abal ein Highlight der Anthologie, das einen prächtigen Kosmos aus dekadenten, skurrilen Städten ausbreitet, durch den eine mehr als dysfunktionale kleine Familie mit einem nicht ganz fassbaren Geheimnis zieht. Theodora Goss trägt mit How Raven Made His Bride ein fesselndes Erzählgedicht bei, das lose auf nordamerikanischen Mythen aufbaut. Kij Johnson packt das Tricksterthema mit einem beinahe akademischen Ansatz an und seziert mit The Evolution of Trickster Stories Among the Dogs of North Park After the Change nicht nur den Archetypus, dem sich die ganze Anthologie widmet, sondern auch unser Verhältnis zu Tieren. Und auch Jeffrey Ford hat in The Dreaming Wind die Essenz des Tricksters herausgefiltert und lässt ihn völlig körperlos als urtümliche, verändernde Kraft auftreten, als die Kreativität selbst.

Da The Coyote Road eigentlich keine Ausfälle hat und die besten Geschichten die Facetten des Tricksters sehr gründlich einfangen, ohne ihm seine Unerklärlichkeit zu nehmen, kann man die von Charles Vess liebevoll ausgestattete Anthologie uneingeschränkt allen empfehlen, die sich diesen ambivalenten Figurentypus und sein Changieren zwischen erhabenem Mythos und Profanität näher anschauen wollen.

The Crown Jewels von Walter Jon WilliamsDrake Maijstral, adlig, weltgewandt, kriminell, hat sich den Planeten Peleng ausgesucht, um ein paar krumme Dinger abzuziehen. Dort versammelt sich gerade so einiges mit Rang und Namen aus der Galaxis, beste Gelegenheiten also für Drake, die Reichen, Schönen und Wichtigen auf gesellschaftlichen Ereignissen auszuspähen und später auszunehmen. Doch auf Peleng geht es um mehr als nur Bälle, Blitzlichtgewitter und Abhängen im Landhaus: Insgeheim wird dort große Politik gemacht. Und Drake ist drauf und dran, mitten hinein zu schlittern …

– Drake Maijstral walked on soft leather buskins down the center of the Peleng City ballroom and never made a noise. He was light-footed by trade.-
Chapter One

SF und Humor sind eigentlich keine Genres, die sich oft in trauter Zweisamkeit zwischen zwei Buchdeckeln wiederfinden, mit Ausnahme vielleicht von parodistischen One-Night-Stands. Bei Walter Jon Williams’ Drake Maijstral-Trilogie läuft die Sache allerdings so geschmeidig, dass man beinahe an eine längerfristige Beziehung glauben könnte. Aber Williams nutzt auch einige Tricks, um die beiden zu verkuppeln: Die SF-Elemente stammen aus der fantasy-nahen Space Opera. Es gibt eine rückwärtsgewandte, die Galaxis überspannende Gesellschaft mit Bällen, Protokollen und Hierarchien, in der Hochzeiten und Beziehungen eine große Rolle spielen. Und in dieses opulente SF-Setting hat Williams das Motiv vom Gentleman-Dieb verfrachtet, der sich durch die oberen Gesellschaftsschichten bewegt.
Als besonderer Clou ist Drake Maijstral, ein Trickster-Jüngling mit persönlicher Vendetta, nicht einmal im eigentlichen Sinne kriminell, denn das gesellschaftlich anerkannte Konzept des „Allowed Burglar“ bringt einen gewissen Respekt vor meisterhaft abgezogenen Diebstählen mit sich, die in den stets der High Society hinterherspionierenden Medien abgefeiert werden und mit einem gewissen Ruhm einhergehen.

Für Reibung und unendliche Möglichkeiten, die Situation für glorreiche Diebestaten auszunutzen, sorgt ein bewährtes Zwei-Fraktionen-Konzept, in dem ein aggressives galaktisches Alien-Imperium mit sich zur eigenen Autorität gemausert habenden menschlichen Rebellen auf Augenhöhe verhandeln muss. Auf diesem diplomatisch delikaten Terrain bewegt sich die Handlung, auch wenn die epische Breite der Geschichte letztlich im Hintergrund bleibt, da sich The Crown Jewels vorrangig auf dem Planeten Peleng abspielt, auf dem der Tross der oberen Zehntausend wie ehedem das Wanderkönigtum eine Weile Halt macht. Trotzdem behandelt The Crown Jewels die Themen Eroberung, Überfremdung, Imperialismus, Loyalität und Fanatismus, jedoch auf spielerisch-leichte Weise. Wie auch anders, wenn die Eroberer fluffige … Katzenbären sind?
Für den SF-Einschlag sorgen vor allem die omnipräsenten Medien (nicht so weit weg von der heutigen Boulevardpresse) und die ausgeklügelte Technik – beides macht sich Drake bei seinen Beutezügen (und den Winkelzügen, um am Ende ganz smooth auf der legalen Seite und um einiges reicher dazustehen) gekonnt zunutze.

So viel also zu den Hintergründen, das eigentlich Spannende an The Crown Jewels ist die Umsetzung: In kurzen Abschnitten lässt Williams die Geschichte in einem extrem flotten Rhythmus über die Bühne tänzeln, manchmal sogar staccato: Es gibt tatsächlich Kapitel, die die Geschichte in nur einem Wort nach vorne katapultieren und das Konzept des Prosa-Erzählens ziemlich ausreizen. Ein Kunststück, das man eigentlich gelesen haben muss, um zu glauben, was da erzählerisch abgeht, sind die elaborierten Tanzszenen (es geht um Hoftänze mit wechselnden Partnern), die an den Höhe- und Wendepunkten der Geschichte zum Einsatz kommen.
Gelungener Slapstick-Humor ist eine feste Größe bei The Crown Jewels, genauso wie Wortspiele (man beachte den Titel, höhö) und ein generell spielerischer Umgang mit Sprache und Sprachebenen, der auch dazu dient, die liebenswerte Figurenriege zu charakterisieren, die bis in die kleinsten Nebenrollen Spaß macht, begünstigt durch die vielen Szenen- und Perspektiv-Wechsel, bei denen man Einblick in die schrulligen, edlen, verruchten oder überambitionierten Protagonisten bekommt, Menschen wie Aliens, vom Ex-Militär bis zum dumpfen Schläger.

Mit irrsinnigen Verfolgungsjagden, Keilereien mit viel Kollateralschaden an Keramik, spritzigen Dialogen und absurden Manövern des kriminellen Genies Drake mäandert The Crown Jewels zwischen Screwball-Komödie und Gesellschaftsstück und wirkt beinahe etwas sperrig, wenn es dann wirklich (aber nur kurz!) ernst wird.
The Crown Jewels hat keinen großen Tiefgang – allein schon um der vielen Geheimpläne willen muss es sich auch bei den Figuren eher am Äußeren als am Inneren entlanghangeln –, es ist eine Spaßlektüre, die die eingegliederten Genres auf die Spitze treibt und ein bisschen auf den Arm nimmt, ein tänzelnd leichtes Vergnügen, doch als solches durchaus meisterhaft choreografiert.

The Daedalus Incident von Michael J. MartinezLieutenant Weatherby dient im Jahr 1779 auf der stolzen Fregatte Daedalus in der Flotte Seiner Majestät, des Königs von England, inmitten eines Konflikts mit den Vereinigten Staaten von Ganymed, die sich soeben von der Krone abgespalten haben. Draußen in der Leere des Weltraums, den die riesigen Segler durchpflügen, nutzen aber noch ganz andere Kräfte diese Auseinandersetzung, um ihre hinterhältigen Pläne zu verdecken …
Im Jahr 2132 dient Lieutenant Jain in der Schutzmannschaft eines Bergbauunternehmens auf dem Mars, und sie erlebt hautnah, wie der Planet plötzlich geologisch verrückt spielt und die Minenkolonie in ernste Gefahr gerät …

-Mars is supposed to be dead, just a big hunk of cold rock hanging in space.-
July 24, 2132

Michael J. Martinez’ The Daedalus Incident ist für den geneigten Weltraum-Romantiker wie Ostern und Weihnachten an einem Tag: Es warten farbenprächtige Segelabenteuer, in denen Gentlemen säbelschwingend für Krone und Vaterland mit den Gewalten des Weltraums ringen, Freibeuter bekämpfen und auf den Sonnenwinden ihre Gegner einholen müssen – ja, wir sprechen hier von klassischen Segelschiffen, die sich in bester Space-1889-Manier aus den Ozeanen erheben und ins All aufsteigen. Und wenn man sich gerade mal in den unerfahrenen, aber dafür umso eifrigeren jungen Offizier Weatherby eingelesen hat, findet man sich gleich wieder in der Zukunft, ohne Äther und Segelschiffe, in einer beengten Minenkolonie auf dem Mars, wo es nicht mit rechten Dingen zugeht – dort ist die Raumfahrt zur Dienerin des Kommerzes geworden, und Lieutenant Shaila Jain hat bereits eine bewegte Karriere hinter sich, als sie auf diesem vermeintlichen Abstellposten landet.
Was haben die beiden völlig voneinander abweichenden Szenarien miteinander zu tun? Nun, diese Frage ist für einen Teil der Spannung verantwortlich, mit der The Daedalus Incident zu fesseln vermag.

Man liest abwechselnd entweder Weatherbys getreulich verfasstes Tagebuch über die immer haarsträubenderen Ereignisse, in die sich die Mannschaft der Daedalus verstrickt, nachdem sie zunächst als nette Geste einen Mord auf Merkur aufklären hilft, oder von den Fährnissen Jains, die inmitten von Erdbeben, rätselnden Wissenschaftlern und ungehaltenen Kumpeln die Ordnung zu wahren versucht und sich und ihrer Karriere mit ihrem ungezügelten Forscherdrang immer wieder ins Knie schießt. Die beiden Handlungsstränge sind perfekt abgestimmt: Es ergibt sich nicht nur nach und nach ein Bild der Zusammenhänge, sondern auch eine treibende Dynamik. Weatherbys Segelabenteuer sind eine Achterbahnfahrt aus Kämpfen, wilden Verfolgungsjagden, alchemistischen Wundern und Reisen durch den Raum und auf die Planeten des Sonnensystems. Während Weatherby energisch durch venusianische Dschungel stapft, ist Jain dagegen in ihre Mars-Station oder ihren Raumanzug eingepfercht und muss Informationen zusammenbringen und Geheimnisse ergründen, um zu verstehen, was auf dem Planeten vorgeht. Beim Lesen steht man damit vor dem herrlichen Dilemma, bei jedem Wechsel eigentlich am liebsten ein Kapitel überspringen zu wollen, nur um bei der Rückreise in den ersten Handlungsstrang wieder genauso fest am zweiten zu kleben.

Sowohl in den Mysterien auf dem modernen bzw. zukünftigen Mars als auch in den Abenteuern der Vergangenheit bildet Martinez gekonnt die Zwänge der jeweiligen Zeit in seinen gut ausgearbeiteten Hauptfiguren ab. Weatherby hält sich für einen sehr anständigen Menschen, obwohl er gerade erst an der Schwelle ist, vielleicht zu einem solchen heranzureifen, und seine Menschlichkeit unter Pflicht, Ehre und Anstand begräbt. Mit seiner aufrechten Haltung ist er ein Vorzeigeoffizier, gerade jung genug für den Krieg, aber für die Herausforderungen, die vor ihm stehen, muss er noch wachsen. Diesem etwas steifen Protagonisten stellt Martinez die progressive Frauenfigur Jain gegenüber, die immer kurz vor einem Disziplinarverfahren steht und den wirtschaftlichen Zwängen ihrer Zeit trotzdem relativ machtlos ausgeliefert ist, obwohl sie genau weiß, dass es eine schlechte Idee ist, den Rohstoffabbau unter den gegebenen Umständen weiterzutreiben. Auch die Nebenfiguren sind eine Pracht – auf der einen Seite der bescheidene Kapitän Morrow und ein Alchemist, der gerne zu tief in seinen Alembik schaut, auf der anderen Seite ein koketter französischer Geologe und die Stationskommandantin Diaz, die diplomatisch zwischen Bossen und Militär vermitteln muss, obwohl sie genauso gut zupackt und zuhaut wie Lieutenant Jain.

Das doppelte Abenteuergarn gipfelt schließlich in einige geniale Szenen, die die Herzen von SF-Fans höher schlagen lassen – Auftritte für den Mars-Rover, Sonnenstürme, Planetenseelen und Benjamin Franklin (auch ein Beispiel dafür, dass man nach und nach Abweichungen und Übereinstimmungen von Weatherbys Welt mit der realen Geschichte entdecken kann) sind dabei inkludiert.
Am Ende sind der verzauberte Kosmos und die Welt der “realen” Raumfahrt (mitsamt realem Kapitalismus) gleich spannend – vielleicht auch, weil The Daedalus Incident zwei Elemente prominent zur Schau stellt, die sonst in der SF ein wenig zu selten vorkommen: Schiffe, die durch den Äther fliegen, und Astronautinnen, die zum Jupiter fliegen.

Die Dämonen von Tobias O. MeissnerLange waren die Dämonen aus der Welt verbannt, doch die unbedachte Tat des Thronerben von Orison ermöglicht zweien die Flucht: Gäus und Irathindur. Sie planen, sich in der Welt der Menschen festzusetzen und wählen jeweils einen Herrscher, den sie übernehmen werden: Irathindur wird sein irdisches Dasein als Baroness eines der neun Baronate Orisons antreten; Gäus als der junge König des Landes. Ehe die beiden getrennter Wege gehen, schwören sie sich, nicht gegeneinander Krieg zu führen. Bald stellt Irathindur aber fest, dass die Lebenskraft im Land Orison nur für einen Dämon reicht – und beginnt nach mehr Macht zu streben. Noch immer an den Pakt mit Gäus gebunden, stürzt er alsbald das ganze Land ins Chaos, um seinen Hunger nach Lebenskraft zu stillen.

-Der König, der keine Augen hatte, streckte eine Hand aus nach dem Meer.-
Vorausschau

Mit den Dämonen wird ein ganz neues Fass in der Auswahl der „Völker Tolkiens“ aufgemacht, zu denen uns die deutsche Fantasy-Szene im Laufe der letzten Jahre überreichlich viele Ausflüge beschert hat. Die Grenzen der Vielfalt scheinen langsam ausgereizt: Dämonen als eines der Völker Mittelerdes? Wir wollen aber mal nicht so kleinlich sein, schließlich ist es auch alles andere als der Geist Tolkiens, der dieses Werk von Tobias O. Meißner durchweht, das stellt man schon fest, wenn man einen Blick auf die Figuren wirft:
Da wäre der Möchtegern-Student Minten, der stattdessen, wenn auch unfreiwillig, zum brutalen Haudrauf wird, von den Wogen des Krieges herumgeschleudert, bis er im wahrsten Sinne des Wortes sein Gesicht und die Orientierung verliert, für wen und wofür er eigentlich kämpft. Dann der finstere Dämon Gäus, der alsbald den schwächlichen König des Menschenlandes übernimmt und als dieser ganz in der Aufgabe aufgeht, das Land zu regieren. Und schließlich der gewitztere und elegantere Dämon Irathindur, der zum Zweck eines irdischen Daseins in die lüsterne Baroness Meridienn einfährt und nach anfänglichen Daseinsfreuden bald nicht mehr mit dem schnöden Titel zufrieden ist. So entspinnt sich ein Machtkampf und schließlich aus Unwissenheit, Gleichgültigkeit und schlichtem Pech ein grausamer Krieg, der für die meisten Beteiligten ein ziemlich sinnloses Unterfangen ist, aber trotzdem immer größere Kreise zieht.

Fast wie im wirklichen Leben also. Und das ist auch die Essenz des Romans – der Mensch braucht keine Dämonen, um im Krieg alles kurz und klein zu schlagen. Und die Dämonen? Sind auch nur Menschen, eignen sich menschliche Züge an, sobald sie Fuß im irdischen Dasein gefasst haben, und zwar die guten wie die schlechten. Das ist vielleicht das Interessanteste an Meißners Roman, wie das Spiel mit Erwartungen auf die Spitze getrieben wird, wie aus anfänglicher Machtgier Verantwortung wird und aus Lebensfreude die Gier nach immer mehr.
Die daraus resultierende Schlachtenfolge allerdings ist eine relativ langatmige Aneinanderreihung von Action-Szenen, und wenn man sein Lesevergnügen nicht nur aus Kämpfen und Kriegswogen ziehen kann, dann bleibt nicht mehr viel übrig. Stilistisch und selbst in einigen Charakterzügen der Hauptfiguren ähneln Die Dämonen Meißners Mammut-Reihe, doch Menschlichkeit und Wärme spielen in diesem Kriegsgetümmel kaum eine Rolle. Legitim, manchmal angebracht und wichtig ist es durchaus, einen solchen Blick auf die Abgründe zu eröffnen und daneben Weltschöpfung und Charakterzeichnung auch etwas verblassen zu lassen, jedoch scheinen Die Dämonen diesbezüglich auf halber Strecke stecken geblieben zu sein und ihr blutiges Machtgerangel ist doch nur ein halbherziger Tanz an der Grenze zum Tabubruch: Mit Verdauungsproblemen, Orgien, S/M-Klamotten, Körpersäften in allen Variationen und anderen Klischees von Dämonen und Dämonenwirken wird zwar immer wieder kokettiert – diese Ingredienzen bleiben allerdings ohne große Nachwirkung und machen ein wenig den Eindruck, als hätten sie zum Thema Dämonen eben dazu gehört. Andere Autoren, die die düstere Sparte der Fantasy bedienen, haben diesbezüglich weitaus finsterere und beeindruckendere Tableaus von der dämonischen Fratze des Krieges gezeichnet.

Eine Weltschöpfung ist nur ansatzweise vorhanden und dem Leser wird ein wie von Bürokraten am Reißbrett entworfenes Land namens Orison vorgesetzt, dessen Ordnung die Dämonen dann mehr oder weniger genüßlich über den Haufen werfen dürfen. Ebenso dürftig sind die Nebencharaktere skizziert, fast schon Karikaturen von Menschen, die im Angesicht des Chaos, das in ihr wohlgeordnetes (und dennoch alles andere als perfektes) Leben eindringt, vollkommen ins Surreale kippen, wie etwa der sich selbst geißelnde, sexuell unbefriedigte Mann, der als völlig überzeichnete Figur zum Frauenhasser und -mörder mutiert. Sollte dabei einmal der Ansatz einer tiefgründigeren Betrachtung zum Thema entstehen, wird sie recht schnell in einem Feuerwerk cineastischer und wilder Szenen verbraten, die dem Dämonenkrieg ein grelles Erscheinungsbild verleihen.
Am Ende gibt es noch ein kleines stilistisches Wagnis, das aber den Schluß nicht mehr recht abwenden kann, hier vor allem ein effektlastiges Schaubild zu betrachten, das allerdings trotz – oder gerade wegen – der universellen Interpretationsmöglichkeiten zum Thema „Krieg“ nur wenig mehr ist als die übliche Action-Fantasy der düsteren Sorte.

Dämonenjagd von Jack YeovilKlimakatastrophen, wirtschaftlicher Zusammenbruch und einiges mehr haben die Weltordnung kollabieren lassen. Die Wüsten der USA sind so unbewohnbar geworden, dass sogar die Mormonen aus Utah abgezogen sind. Allerdings hat sich eine andere Sekte, die Josephiner, dort niedergelassen, und ihr Anführer plant nichts Gutes: Mit einem Dämon will er die Datennetzwerke der letzten Organisationen lahmlegen, die noch für Ordnung sorgen. Zum Glück hat der Vatikan bereits eine Spezialagentin losgeschickt: Die Nonne Chantal Juillerat.

„Sagen Sie mal, Mister, was für’n Akzent ist das eigentlich, den Sie da sprechen?“ fragte der Tankwart und hängte den Stutzen in Durocs Wagen.
Teil I: Slims Tank & Grillstation

Bereits die Eröffnungssequenz von Dämonenjagd (Demon Download) hat es in sich und umreißt innerhalb weniger Seiten das Setting und den Ton des Romans – den verwüsteten mittleren Westen mit punktuellen Horten der Zivilisation (mehr oder weniger), bevölkert von meist in irgendeiner Form durchgeknallten Gestalten, während düstere, unheilverkündende Andeutungen inmitten von Ausbrüchen wilden Humors den Text durchwabern und ein schneller Abriss über die alternative Welt von Dark Future in Form von Radio-Beiträgen gegeben wird.
Damit steht man auch schon mitten in einem Setting, das weniger von der Realität entkoppelt ist als Mad Max und weniger retro als die ursprünglichen Fallout-Spiele, das aber trotzdem ganz klar in diese Nachbarschaft gehört, und zugleich die zynische Attitüde des inzwischen etwas angestaubten Cyberpunk mit sich bringt, wo Konzerne nur pro forma von staatlichen Organen verdeckt die Macht in Händen halten und die Politik zu einem Possenspielchen der Unterhaltungsikonen verkommen ist.

Bei Jack Yeovil aka Kim Newman wird es dann gerne noch ein Eckchen zynischer, und was er für Dark Future alles an Anspielungen und Ideen angehäuft hat, basierend auf dem Status quo Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, muss man sich einfach selbst erlesen – an dieser Stelle soll nur versprochen werden: Es wird ein wilder Ritt quer durch alle Sparten. Für die US-Neuauflage der Dark-Future-Romane vor wenigen Jahren gab es im Umfeld der politischen und popkulturellen Anspielungen ein paar Updates, deutsche LeserInnen müssen sich mit den alten Vorstellungen begnügen, und am meisten Spaß macht der Roman ohnehin, wenn man mit dem Zeitkolorit, das er unweigerlich aufweist, etwas verbinden kann.
Den teils absurden, teils äußerst bissigen Kommentaren zu Zeitgeschichte, Film oder Musik gegenüber steht ein regelrechtes Abfeiern sämtlicher Western-, Wüsten- und Endzeit-Klischees, die sich in das ursprünglich für ein Tabletop von Games Workshop entworfene Dark-Future-Setting einbringen ließen: Mutanten, Gangs, Highways, Motorräder – Jack Yeovil weiß, wie man diese Träume in ein so grelles Licht taucht, dass sie beinahe, aber nur beinahe zerplatzen. Den Tabletop-Hintergrund erkennt man allenfalls in den vielen verschiedenen Fraktionen, die auf der Bildfläche erscheinen und gegen die beiden Helden, einen Trooper aus der neu auferstandenen U.S. Cavalry und die Kampfnonne Chantal, antreten, sich ihnen anschließen oder beides nacheinander tun.

Die bis in die bizarrsten Nebenrollen authentischen Figuren holen den Spaß dann auch wieder auf solideren Boden zurück – zumindest so solide, wie es eine schöne Kampfnonne mit Hacker-Ausbildung hergibt. Chantal, deren Reize klassischerweise durch ihr Nonnendasein eher erhöht als gemindert werden (und die mindestens seelenverwandt mit Genevieve Dieudonné sein muss, Yeovils Heldin aus seinen Warhammer-Romanen), ist nicht die einzige, bei der der Autor ausführliche Rückblenden zur Charakterisierung einsetzt und damit auch weiteres Weltgeschehen außerhalb der US-Wüstenei sichtbar macht.
Die Dialoge sitzen und lesen sich wie aus einem Filmskript, und auch viele andere Momente verwandeln sich im Kopf wie von selbst in bewegte Bilder. Dass Dämonenjagd von der Verfolgungsjagd über klassische Schießereien bis hin zu Explosionsfeuerwerken über alle Nuancen eines rasanten Actionkrachers verfügt, tut das Seine dazu. Und da der titelgebende Dämon ein höllisches Ungetüm ist, das zurecht den unglaublich modernisierten Vatikan auf den Plan ruft, ist der Bodycount hoch und es wird ziemlich blutig, inclusive einiger Splatterszenen und anderer schriller Action.

Trotzdem erreicht Dämonenjagd eine andere Ebene als lediglich die der augenzwinkernden Popcorn-Unterhaltung, denn sowohl Anspielungen als auch Handlungs- und Figurenhintergründe lassen bitterböse Abgründe aufklaffen. Bei allen aufgemotzten Autos, saufenden, schießwütigen Priestern, harten Männern und noch härteren Frauen geht das deutsche Trash-Cover daher am Wesentlichen weit vorbei, denn all diese Klischees werden mit einem satirischen oder zumindest überdrehten Bruch gewürdigt, und der Wüstenstaub, den sich verselbständigende Motorräder und wildgewordene Kampfroboter aufwirbeln, schmeckt bitter.

Daughter of the Blood von Anne BishopIm von Magie durchzogenen Tereille unterdrücken und quälen Frauen die Männer, diese wiederum versuchen die Frauen durch Vergewaltigung zu “brechen” und ihnen dadurch ihre Magie zu rauben. Doch es wurde die Ankunft einer mächtigen Hexe prophezeit, die Erlösung bringen soll. Als sie schließlich erscheint, ist sie Jaenelle, ein kleines Mädchen mit unendlicher Macht, und sie hat nur wenige Beschützer: Saetan, der sie gerne unter seine Fittiche nehmen würde, und Daemon, der seit Jahrhunderten auf ihre Ankunft gewartet hat, um ihr Liebhaber zu werden. Doch dem Mädchen drohen von vielen Seiten Gefahren, während ihre Beschützer sich nicht einmal gegenseitig vertrauen.

-I am Tersa the Weaver, Tersa the Liar, Tersa the Fool. When the Blood-Jeweled Lords and Ladies hold a banquet, I’m the entertainment that comes after the musicians have played and the lithesome girls and boys have danced and the lords have drunk too much wine and demand to have their fortunes told.-
Prologue, Tereille

Die Dark Jewels (Die schwarzen Juwelen) von Anne Bishop haben eine große Fangemeinde, stellen sich aber bereits im Auftaktband als – in eine hübschere Formulierung lässt es sich leider nicht verpacken – Schrott heraus. Düster und erotisch soll es werden, klischeehaft und sexistisch liest es sich. Von den interessanten Details sollte man sich nicht blenden lassen, das vorgebliche Spiel mit Stereotypen ist schnell vorbei, und “subtil” ist ohnehin ein Fremdwort. Die bösen Kerle zum Beispiel, die auf die einfallsreichen Namen Daemon, Lucivar und Saetan hören, sind eigentlich ganz nett. Daemon etwa, ein bitterböser Lustsklave, der auch als “der Sadist” bekannt ist, ist charismatisch, gutaussehend, smart und baut auch mal einen Schneemann. So weit, so unspektakulär. Augenzwinkernder Humor, um die “Düsternis” etwas aufzulockern, in allen Ehren, die Brechstange hätte aber auch in der Autorenwerkzeugkiste bleiben können.

Haben wir es also vielleicht mit einer interessanten Spielerei mit Geschlechterrollen zu tun? Viel zu innovativ gedacht! Die Frauenherrschaft der magiebegabten Herrscherkaste der “Blood” ist ein dünnes Deckmäntelchen für allerlei Folter- und Sexszenen, in denen übelste Klischees gewälzt werden: Jede Frau hat ihre helle Freude daran, ihre Macht durch das Quälen von Männern auszuleben (mittels eines magischen schmerzinduzierenden Ringes … nicht am Finger), die Männer wehren sich mit Vergewaltigung, die die Magie der Frauen zerstört, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt geschieht. Erzählt wird aus der Perspektive der männlichen Hauptfiguren (Saetan und Konsorten).

Immerhin, es naht Rettung, denn mittendrin in diesem ekelhaften Sumpf ist die kleine Jaenelle, gesegnet mit unendlicher Macht. Ihre Macht ist ein Fakt, sie wird niemals motiviert, erklärt oder in ihren Wirkmechanismen erläutert, aber jeder erstarrt vor Ehrfurcht oder will sie nutzbar machen. Dass der erwähnte Daemon, der den Ruf als tollster Sexsklave des Reiches pflegt, dann auch mit dem kleinen Mädchen in die Kiste will und kaum an sich halten kann – er ist schließlich ihr prophezeiter Partner – setzt dem Wust an Widerwärtigkeit die Krone auf. Und es wirkt wie blanker Hohn, dass Jaenelle an anderer Stelle in Daughter of the Blood (Dunkelheit) misshandelt wird und daraufhin ein sensibler Umgang mit dem Thema Kindesmissbrauch geheuchelt wird.

Selbst mit einem Faible für erzwungene, affektierte Düsternis (klar, dass alle schwarz tragen) wird es schwierig, über diese abstoßenden Einzelheiten hinwegzusehen. Das Konzept, die strenge Hierarchie mit (düster-farbigen) Edelsteinen, die Giftringe, Schwarzen Witwen und Dämonen sind aber offenbar anziehend genug. Ideenlos ist Bishop auch gewiss nicht, die Weltschöpfung könnte eine gewisse Ästhetik ausstrahlen, und eine leidlich gute Erzählerin ist sie auch. Solch düstere Entwürfe findet man aber auch bei anderen AutorInnen und kann dieses Machwerk getrost links liegen lassen.

Day of the Minotaur von Thomas Burnett SwannKreta wird von Feinden aus dem Norden überfallen, und die beiden Königskinder Thea und Icarus werden gefangen genommen und, nachdem sie sich tatkräftig gegen die Feinde zur Wehr gesetzt haben, in die Höhle des gefürchteten Minotauren geworfen, auf daß er sie verspeisen möge. Doch alles kommt anders: Eunostos, der letzte Minotaur, hat wenig Interesse an Menschenfleisch, vielmehr dagegen an der Schönheit der Prinzessin Thea – allerdings ist er ein eher schüchterner Zeitgenosse. Kurzerhand nimmt er die beiden jungen Königskinder mit in seine Behausung im Zauberwald und bietet ihnen dort Schutz.
Als die Angreifer das erfahren, ist ihnen der Zauberwald mit seinen Dryaden, Zentauren und vielen anderen Fabelwesen ein Dorn im Auge …

-My history belongs to the princess Thea, niece of the great king Minos, and to her brother Icarus, named for the ill-fated son of Daedalus who drowned in the sea when his glider lost its wings.-
Chapter 1: The Wooden Wings

Wer in seiner Jugend einmal mit Begeisterung die Sagen des klassischen Altertums gelesen hat, wird wohl aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn er sich von Thomas Burnett Swann in dessen Version der antiken, mythischen Welt entführen läßt. Auf eine ganz eigene Art beschwört der Autor den Zauber einer vergangenen Zeit herauf, bringt die Geschehnisse anschaulich vor das innere Auge, ohne aber auf eine Art Schleier zu verzichten, der den Leser niemals die paar tausend Jahre vergessen läßt, die zwischen ihm und der von Swann beschriebenen Zeit liegen. Eine Gratwanderung zwischen Fremdem und Vertrautem, die der Autor hauptsächlich anhand von poetischer Sprache und einem vermittelnden Erzähler – Eunostos, dem Minotauren selbst – meistert.

Ein gelungener Vorspann soll der Erzählung einen historischen Kontext verleihen – ein alter Kniff, der hier aber sehr schön eingepaßt ist und der Geschichte einen Rahmen gibt. Hat man dann erst einmal den erzählenden Minotauren kennengelernt, muß man den bescheidenen, ruhigen Muskelprotz mit der poetischen Ader, der sein Licht gerne unter den Scheffel stellt, von der ersten Seite an ins Herz schließen. Im Verlauf der Geschichte ergeht es ihm ohnehin nicht besonders gut: Mit den beiden flüchtenden Königskindern, die er bei sich aufnimmt, bringt er Ärger in sein Haus und seinen Wald. Anfangs ganz harmlos, fängt die liebreizende Thea an, den ursprünglichen und naturverbundenen Minotauren zu domestizieren: Sie räumt sein Haus auf, schneidet die Blumen aus seinem geliebten Kraut- und Rübengarten ab und steckt sie in Vasen und rümpft die Nase über seine rustikalen Freunde, die Dryade Zoe und den Zentauren Moschus. Als dann auch noch der wilde Ajax mit seinen Kampfgenossen den Wald angreift, weil er der beiden Königskinder habhaft werden will, wird langsam klar, daß die Zeit der Fabelwesen von der Zeit der Menschen abgelöst wird. Auch das ist ein alter Topos der Fantasy – das Schwinden des Zaubers aus der Welt. Das Ende der Erzählung, bei deren letzter Kapitelüberschrift The Passing of the Beasts man schon schlimmstes fürchtet, steht dem Ende eines Herrn der Ringe (The Lord of the Rings) diesbezüglich in nichts nach: meisterhaft werden Melancholie und Trost miteinander verbunden, wobei die versöhnlichen Elemente für die Charaktere überwiegen, die Welt aber “gemindert” zurückbleibt.

In nicht einmal 200 Seiten sollte man sich aber von Day of the Minotaur (Die Stunde des Minotauren) keine komplexe Handlung erwarten; die Gechichte plätschert eher dahin, aber nicht als langweiliger Strom, sondern eher als hübsch anzusehender, munterer Bach. Der poetische, gewitzte und manchmal auch anzügliche Stil allein ist schon ein Vergnügen, und nur in dieser gekonnt umgesetzten archaischen Atmosphäre kann man beispielsweise von den gefürchteten swelling breasts lesen, ohne gleich “Kitsch, lass nach!” zu stöhnen. Auf dem kleinen Raum sind auch die Charaktere liebevoll dargestellt, und die Atmosphäre lebt von den Fabelwesen, die gerade klischeemäßig genug sind, um vertraut zu wirken, aber kein Quentchen mehr. Märchenhaft-poetische Fantasy in einer antiken Umgebung kann man sich nach der Lektüre dieses Romans kaum mehr anders vorstellen.

Ein deutlicher Stilbruch in diesem so gekonnt ausgearbeiteten Rahmen ist das Titelbild – ein muskelbepackter Minotaur mit der falschen Haarfarbe, eine halbnackte Frau, ein Held im Hintergrund, ein reißerischer Schriftzug. Man betrachte einmal das Bild und vergleiche mit folgendem Zitat von Eunostos, als er erstmalig auf die schöne Thea trifft, und urteile selbst:

I stood awkwardly, shifting my weight from hoof to hoof, and wondered what I could say to reassure her. »He’s right,« I blurted. »I want to be your friend, and you won’t have to pleasure m-m-me.«

The Death of the Necromancer von Martha WellsNicholas Valiarde ist ein Edelmann mit einem Doppelleben als größter Dieb der Stadt Vienne – und seine Verbrechen dienen nur einem Ziel: Er will den Grafen Montesq ausschalten, der einst seinen Mentor wegen Nekromantie zum Tode verurteilen ließ. Nicholas ist näher als je zuvor an seinem Ziel, als ihm ein ungelegener Zwischenfall in die Quere kommt: Ein zwielichtiger Spiritualist, der angeblich mit Verstorbenen kommunizieren kann, geht in den Adelshäusern der Stadt ein und aus und benutzt eine der Erfindungen von Nicholas’ verstorbenem Mentor. Als ob das nicht genug wäre, sieht sich Nicholas bei seinen Nachforschungen plötzlich echter Nekromantie gegenüber. Er geht der Sache nach – weitaus besser als die inkompetente Präfektur der Stadt …

-The most nerve-racking commissions, Madeline thought, where the ones that required going in through the front door.-
1

Auf den ersten Blick besticht Martha Wells’ Roman durch das Ambiente: Gaslicht, Magie, rauschende Feste, erbärmliche Elendsviertel, und der letzte Schrei in der opulenten Großstadt ist die neu eröffnete Eisenbahn – Ile-Rien ist ein atmosphärisches Steampunk-Setting, wie es schöner nicht sein könnte, und die Ähnlichkeit zum Frankreich der Vormoderne geht auch ein klein wenig über die frankophilen Namen hinaus. Noch dazu spielt die Geschichte im illustren Halbwelt-Milieu: ein gerissener Gentleman-Dieb samt seiner Bande (einer Schauspielerin, einem abgehalfterten Kavalleristen, einem opiumsüchtigen Zauberer und etlichen ordinären Langfingern) will sich an einem der Mächtigen der Stadt Vienne rächen, der seinen Ziehvater mit einem Komplott der Nekromantie bezichtigt hat und ihn damit einen Kopf kürzer machte. Das ist der Stoff, aus dem Mantel-und-Degen-Abenteuer gestrickt sind, und auch in den Figurenkonstellationen finden sich solche Anklänge.

Damit wären wir beim zweiten großen Pluspunkt von The Death of the Necromancer, den Charakteren. Es ist eine einprägsame Ansammlung von skurrilen, liebenswerten und interessanten Figuren, die hier auf kriminellen Pfaden zu ihrem Recht zu kommen sucht. Abgebrüht genug, um große Nummern in der Verbrecherwelt zu sein, aber mit dem kleinen Rest Gewissen, so daß man sie allesamt noch gern haben kann. Martha Wells versteht es, die Hintergründe ihrer Figuren ganz natürlich nach und nach aufzudecken, so daß sie am Ende alle nachvollziehbar sind und die Charakterentwicklung immer dynamisch bleibt.
Als die gutherzigen Schlitzohren durch ihren geplanten Racheakt in ein viel größeres Geschehen gezogen werden, hängt man schon an ihnen – der lebendige Stil, der nahe an den Personen bleibt, trägt das Seine dazu bei. Einige Charakterentwicklungen zeichnen sich schon im Voraus ab, wie etwa die Beziehung zwischen Nicholas und seinem Feind Inspektor Ronsarde, dem Ermittler, der ihm auf der Spur ist – sie sind aber nicht minder lesenswert.

Die vielen kleinen, spannenden Coups, die sich die Verbrecherbande leistet, sorgen für großartige Dynamik – die Geschichte hat keinerlei Längen und das Tempo ist durchgehend hoch, ohne daß der rote Faden verloren geht. Trotzdem bleibt Zeit für einige bewegende Szenen, und auch Humor ist bei den gerissenen Schurken zu Hauf vorhanden – was die teilweise düstere Stimmung, die sich schon aus dem Grundthema “Nekromantie” ergibt, größtenteils aufhebt.
Der locker-leichte Stil der Geschichte wird auch dadurch unterstrichen, daß der Tod in diesem Roman erstaunlicherweise keine große Ernte einfährt. Da sich zeitgenössische Fantasy oft auch in den Darstellungen von Grausamkeiten überbietet, außergewöhnlich – denn angeboten hätten sich so manche entsetzlichen Szenen, aber diese werden in der Regel elegant umschifft. Um so schöner ist, daß die geringe Sterberate der Spannung gar keinen Abbruch tut und man dennoch gehörig um die Protagonisten zittern kann.

Magie, ihre Verknüpfung mit Technik, aber auch ihre altertümliche Form mit Fabelwesen, Feen und anderen Erscheinungen ist stimmig in die Handlung eingebunden und wird zwar spärlich, aber immer eindrucksvoll eingesetzt.
So läßt allein die Auflösung der Haupthandlung ein klein wenig zu wünschen übrig – auch hier kommen zwar wie im gesamten Roman überraschende und interessante Kniffe zum Tragen, aber ingesamt geht es doch ein wenig schnell über die Bühne. Dafür gibt es aber für alle Beteiligten ein schönes, rundes Ende – ingesamt also eine Lektüre, die sehr viel Vergnügen bereitet und ganz in sich geschlossen ist – obwohl man Ile-Rien in weiteren Romanen von Martha Wells noch ausführlicher erkunden kann.

The Demon and the City von Liz WilliamsDer Dämon Zhu Irzh, der sich vorerst aus der Hölle abgesetzt hat und im Polizeidezernat von Singapur Drei arbeitet, muss in einem Mordfall ermitteln. Bald weisen alle Spuren auf den Mega-Konzern Paugeng, wo sich die Ermittlungen schwierig gestalten, zumal Zhu Irzh nicht gerade die volle Unterstützung seiner menschlichen Kollegen und Vorgesetzten hat.
Paugeng führt in aller Heimlichkeit Experimente an Dämonen durch, und die geheimnisvolle Firmenerbin Jhai Tserai hat Pläne, die weit über diese Welt hinausreichen. Da prophezeit das Testsubjekt Mhara, das sich in der Betreuung der von Schuldgefühlen geplagten Robin befindet, das Ende der Stadt.

-The Chinese inhabitants of Singapore Three say that August is an unlucky month. They say that it is called the month of the dead, for it is always during the endless burning days that the dead return, looking for the living, drawn by blood and breath.-
Prologue

Nach dem fulminanten Serien-Auftakt Snake Agent ist es vielleicht ein wenig ernüchternd, festzustellen, dass der zweite Fall von Detective Inspector Chen eigentlich ein Fall des Dämons Zhu Irzh ist, der sich als irdischer Polizist und temporärer Bürger von Singapur Drei zwar nicht viel daraus macht, auf Erden schlecht gelitten zu sein (so er denn überhaupt bemerkt und nicht übersehen wird), aber außerhalb seiner angestammten Höllenheimat schwer unter Langeweile leidet. Die delikate Interaktion zwischen Chen und Zhu Irzh, die den ersten Band zu einem buchgewordenen Buddy-Movie macht, fehlt damit auf weiten Strecken von The Demon and the City – Chen ist im Urlaub auf Hawaii. Auch auf das Höllendekor und die aberwitzige Bürokratie der chinesischen Hölle muss verzichtet werden, da dieser Fall sich auf der Erde, im Nachthafen und im Himmel abspielt.

Dass dadurch einige der charmantesten Elemente des ersten Bandes verloren gehen, tut weh, auch wenn die Entscheidung letzten Endes nachvollziehbar ist: Da auch The Demon and the City mit himmlisch-höllischen Verschwörungen arbeitet, die am besten durch willige irdische Helferlein vollzogen werden, und wiederum übernatürliche Mächte eingreifen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen, wäre die Gefahr einer Wiederholung groß gewesen, hätte Liz Williams nicht an ein paar Parametern geschraubt.
Zhu Irzh, bisher schon heimlicher Star der Serie, sollte sich als Hauptfigur eigentlich prächtig machen: Er gibt wieder den dämonischen Dandy, der dann am charmantesten ist, wenn er sich ganz undämonenhaft benimmt, doch leider langweilt sein “ich böser, böser Bube”-Gehabe schnell. Schon gut, Zhu Irzh, wir wissen, dass du dir ein Gewissen eingefangen hast und dich hauptsächlich in die blendende Ästhetik des Bösen kleidest!
Zur Entschädigung für das ein oder andere Gähnen gibt es immerhin eine Szene mit Chens hinreißendem bärbeißigen Teekessel, der Zhu Irzh’ Attitüde bricht und für den Lacher des Buches sorgt.

Im Laufe von Zhu Irzh’ Ermittlungen wird eine ganze neue Figurenriege eingeführt, die auch für weitere Bände erhalten bleibt (was allerdings heißt, dass die Geschichten der Figuren aus Snake Agent vorerst nicht weitergeführt werden), daraus sticht vor allem die konfliktbeladene Robin hervor, die zwischen dem, was ihr Gewissen sagt, und den Notwendigkeiten des täglichen Überlebens pendelt, wenn sie jeden Tag zur Arbeit mit ihrem lebenden Versuchsobjekt beim Konzern Paugeng antanzt, weiterexperimentiert und daran leidet, nicht die Wahl zu haben. Liz Williams’ Darstellung der Interaktion zwischen dem Göttlichen (oder Dämonischen) und den Menschen ist ohnehin hervorragend gelungen – einerseits wird die Allmacht der Götter deutlich, und ihre relative Gleichgültigkeit, andererseits gibt es (wohl auch für Götter) ein teils verblüffendes, teils auch hausgemachtes Karma, das für einen gewissen Ausgleich sorgt.

Der Hauptplot ist in The Demon and the City weniger ein eleganter roter Faden als ein Mosaik, das man sich aus verschiedenen Kapiteln und Perspektiven zusammensetzt, und das Bild, das dabei herauskommt, bleibt immer eine Interpretationssache. Beweggründe der einzelnen Beteiligten an der komplexen Verschwörung bleiben schwammig, was zu einem merkwürdigen Hybriden aus verwickelten Einzelheiten und allzu simplen Hintergründen führt.
Es scheint, als würde Liz Williams etwas zu atemlos durch ihre ultrakurzen Kapitelchen hetzen, ohne sich mit Erklärungen oder einem fundierten Aufbau der Handlung zu befassen. Auch in der dürftigen Reaktion der Figuren auf die gigantischen Ereignisse macht sich diese Schieflage bemerkbar.
Williams’ Stärke liegt eindeutig eher bei Einzelszenen, bei der wunderbaren Atmosphäre, die sie in ihrem einzigartigen Setting schaffen kann: in einem Augenblick fremdartig-übersinnlich und im nächsten geerdet, sei es nun im Nachthafen, dem Übergangsort der Seelen, oder in Singapur Drei, das Williams perfekt als globalisierte urbane Metropole präsentiert, in der die Party auch weitergeht, wenn ein Gott gerade einen Wolkenkratzer zertrampelt hat.

Weniger feine Untertöne und weniger Witz als Snake Agent machen aus The Demon and the City einen noch immer gut lesbaren, aber nicht mehr so brillanten Roman wie den Vorgänger. Bei Freunden des maliziösen Schönlings macht Zhu Irzh wohl alles wett, andere müssen abwarten, ob der dritte Band wieder zu alten Stärken zurückfindet.

Dinotopia von James GurneyNach einem Schiffbruch werden Arthur Denison und sein Sohn Will an seltsame Gestade gespült: Sie befinden sich im Land Dinotopia, wo Menschen und Dinosaurier friedlich Seite an Seite leben. Sie lernen die Gebräuche der verschiedenen Regionen Dinotopias kennen und fügen sich in die ungewöhnliche Gemeinschaft ein – Will als angehender Bote, Arthur als Forscher.

-Da ich meine sämtlichen Bordtagebücher in dem großen Desaster vor neun Tagen verloren habe, will ich jetzt mit dem Schiffbruch selbst beginnen und von den seltsamen Ereignissen berichten, die darauf folgten.-
Das Tagebuch von Arthur Denison

Dino-Wellen kommen und gehen in der Populärkultur, aber richtig out sind Dinosaurier eigentlich nie. Dafür ist es viel zu interessant, wenn man irgendwann die Entdeckung macht, dass auf der Erde einst ganz andere – und noch dazu optisch so beeindruckende – Wesen gelebt haben. Die Paläontologie steuert auch immer wieder neue Erkenntnisse bei, die sich meist auf nur sehr spärliche Überreste stützen, daher war die Darstellung von Dinosauriern, ihre Rekonstruktion zu zumindest auf Bildern lebendigen Wesen, eigentlich schon immer Fantasy. Und von der Zeit ihrer “Entdeckung” an haben die Dinosaurier Künstler dazu inspiriert, die Urwelt zu interpretieren und wiederauferstehen zu lassen.
In dieser Tradition steht auch James Gurney, der sich an (zum Veröffentlichungszeitpunkt von Dinotopia) aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse gehalten und viel Recherche in den Bildband gesteckt hat, der aber sonst einen Schritt weiter geht und die Dinosaurier in ein phantastisches Setting verfrachtet. Das verborgene Plateau aus Arthur Conan Doyles The Lost World wird hier ein ganzer verborgener Kontinent, auf dem Dinosaurier überlebt, sich weiterentwickelt und gemeinsam mit Schiffbrüchigen eine friedliche Gemeinschaft gegründet haben.

Man lernt diese Welt über die Notizen des Neuankömmlings Arthur Denison kennen, und die Fiktion des Forscherberichts trägt über das ganze Buch hinweg und wird in “handschriftlichen” Erläuterungen, Aufrisszeichnungen und Bemerkungen zur Botanik oder Archäologie lebendig – Arthur Denison ist ein umfassend gebildeter Bürger des 19. Jahrhunderts.
Wie der Titel vermuten lässt, handelt es sich bei Dinotopia – Das Land jenseits der Zeit (Dinotopia. A Land Apart from Time) um eine Utopie: Die Gemeinschaft aus Mensch und Dinosaurier ist friedlich, harmonisch, größtenteils vegetarisch (fleischfressenden Dinosauriern wird mit Fisch geholfen) und unglaublich sozial. Trotzdem geht es nicht um die Ideologie – das Wie dieses Zusammenlebens bleibt merkwürdig vage, es ist vielmehr eine Kulisse, um die (Traum-)Idee der gemeinsamenen Existenz von Menschen und Dinosauriern (die in der Erdgeschichte zur Enttäuschung vieler Geschichtenerzähler nie möglich war) mit vielen Details und grandiosen Aspekten ausschmücken zu können. Man mag die allgegenwärtige Harmonie irgendwo zwischen Disney, Hippiekommune und Romantik verbuchen, sie stört den Genuss des Hauptarguments, das für Dinotopia spricht, auf jeden Fall nicht.
Dieses Argument sind eindeutig die opulenten Bilder, die meist ganze Seiten, oft auch Doppelseiten zieren und die dinotopische Gesellschaft in einer Farbenpracht und Detailfülle darstellen, die Ihresgleichen sucht. Gurney, der vor Dinotopia für das National Geographic Magazine u.a. Rekonstruktionen von versunkenen Städten gemalt hatte, präsentiert die Dinosaurier geschmückt, bemalt, als riesige Schaukeln, tanzend und als Betreiber von Bibliotheken und Botendiensten. Gurneys Ölgemälde erinnern häufig an die Präraffaeliten (manchmal kippt es auch Richtung Kitsch mit Blumenkindern), aber er beherrscht auch Detailzeichnungen und am beeindruckendsten vielleicht riesige Panoramen, in denen seine Erfahrungen als Hintergrundmaler für Zeichentrickfilme zum Tragen kommen.
Auch seine menschlichen Figuren sind ausdrucksstark und bringen Leben in die erzählerisch etwas behäbige Geschichte, die kindgerecht, relativ harmlos und aufgrund der friedlichen Welt ohne großen Spannungsbogen dahintreibt.

Im Detail macht Dinotopia allerdings großen Spaß, und man wird schnell merken, dass die Geschichte der sich einlebenden Schiffbrüchigen hauptsächlich ein Vehikel ist, mit dem der Leser auf eine Rundreise geführt wird, um die Wunder Dinotopias zu entdecken. Das Dinosaurier-Motiv zieht sich in vielen Einzelheiten durch den Band, von der Klauenschrift über das Spielzeug bis hin zu Architektur und bildlicher Darstellung. Dazu kommen einige charmante Ideen, wie das Alltagsleben sich gestaltet, welche Dinosaurier-Arten in welcher Form präsentiert werden (man nehme zum Beispiel den Oviraptor, der hier als eierumsorgender Brutpfleger auftritt), und ein Reigen an interessanten, exotischen Schauplätzen, der sich einerseits durch den Kulturenmix der Schiffbrüchigen erklärt, andererseits durch die lange dinotopische Geschichte, die Ruinen jeder Epoche zu bieten hat und damit nicht nur das Forschersehnen nach lost worlds, sondern auch nach lost cities bedient.
Für Dinosaurierfreunde ist Dinotopia ohnehin eine Schau, und man merkt jeder Seite das Herzblut an, das ein begeisterter Maler in sein liebstes Sujet gesteckt hat. Auch als Freund von Artbooks, die im Dokumentationsstil gehalten sind, kann man bedenkenlos zuschlagen – nur wegen der darin erzählten Geschichte sollte man Dinotopia nicht unbedingt zur Hand nehmen.

Diving Mimes, Weeping Czars and Other Unusual Suspects von Ken ScholesDie siebzehn Kurzgeschichten führen diesmal auf die Erde nach einem Alien-Angriff, Kolonien auf fernen Planeten, deren Siedler längst die Technik vergessen haben, in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, ins Herz eines Galaktischen Imperiums, in eine Bar irgendwo im Westen und an etliche andere Orte zu anderen Zeiten.

-Frederico leaned close to smell the poison on his thirteenth wife’s cold, dead lips.-
A Weeping Czar Beholds the Fallen Moon

Auch Ken Scholes’ zweite Sammlung von Kurzgeschichten – eine Form, in der der Autor zu Hause ist wie der Fisch im Wasser – bietet wieder einen kreativen Reigen von vor allem thematisch und durch ihre überbordende Phantasie verbundenen Episoden, die völlig verschiedenen Subgenres zuzuordnen sind und die Tür zu ihren jeweiligen Welten einmal weit aufreißen, um sie nach einem kurzen Blick wieder zu schließen.
Das Nachwort verrät – falls man es sich nicht aus den Texten selbst erschließen konnte – die Zugehörigkeit einzelner Geschichten zu größeren (meist noch ungeschriebenen) Zyklen oder einem gemeinsamen Setting.

Zwei der Geschichten gehören zur Psalms of Isaak (Die Legende von Isaak)-Reihe, darunter die lange Eröffnungs-Erzählung, die eine gute Ergänzung zum zweiten Band der Reihe darstellt und in eine frühere Ära der Benannten Lande führt. Of Missing Kings and Backward Dreams and the Honoring of Lies ist dagegen ein früher Entwurf für den ersten Band, als dieser noch als Zyklus aus mehreren Kurzgeschichten konzipiert war, und gibt einen guten Einblick in Scholes’ schöpferischen Prozess.
In beiden Geschichten tritt eines seiner großen Talente zutage: Mit der Weltschöpfung auch auf kleinstem Raum mehr zu vermitteln als andere in ganzen Zyklen und dieses Grundkonzept der Fantasy, das Simulieren von großen Welten mit wenigen Worten, damit auf die Spitze zu treiben.
In beinahe jeder Geschichte in Diving Mimes and Weeping Czars kann man staunend davorsitzen, wenn dieser Trick wieder und wieder gelingt, etwa in der knallig bunten und tieftraurigen postapokalyptischen Erde der Four Clowns of the Apocalypse and the Mecca of Mirth, die sich schnell ein neues Bezugssystem aus Mythen und Geschichten zugelegt haben, oder im pangalaktischen Invisible Empire of Ascending Light, das schon etliche Schismen hinter sich hat und in der tragischen Erzählung nur eine Ahnung der Geschichten vermittelt, die sich innerhalb seiner Grenzen abspielen könnten.
Dieses unerwähnt bleibende Mehr, das in vielen Geschichten der Sammlung mitschwingt, ist mitunter Scholes’ größte Trumpfkarte.

Eine andere sind seine Themen: Fast alle Geschichten haben spirituelle, aber auch religionskritische Untertöne, in einigen rücken sie auch in den Vordergrund, wie etwa bei On the Settling of Ancient Scores, wo es Gott und der Teufel in einer Bar austragen wollen, oder The God-Voices of Settler’s Rest, einer melancholischen Rückschau auf ein Leben, das einer ominösen Religion gewidmet war.
Auf verschiedenen Wegen nähert sich Scholes auch dem Umgang mit dem Tod (absurd und tragikomisch, aber psychologisch unfehlbar in Grief-Stepping to the Widower’s Waltz, mit eindeutig durchschimmernder Eigenerfahrung in The Taking Night). Zwei Liebesgeschichten bereiten auch dieses Thema verspielt und geschickt auf: Love in the Time of Car Alarms ist eine niedliche, aber unkitschige Romanze in Scholes’ Superhelden-Universum, There Once Was a Girl in Nantucket reiht die Liebe als ein weiteres Element in eine Parade von surrealen Ereignissen ein.

Viel Vergnügen machen auch zwei Geschichten, die auf den Artus-Mythenkreis zurückgreifen, diesen aber sehr ungewöhnlich umsetzen: eine entpuppt sich als auf schlichte Weise schön und bleibt dicht an ihrem adoleszenten Helden, der in die Fußstapfen von Tom Sawyer und Huckleberry Finn zu treten scheint, die andere tischt ein kurioses, drastisches Setting auf und wird von Scholes’ Inszenierung der Heldenwerdung seiner Figuren getragen – wie schon in früheren Geschichten versteht er es, völlige Außenseiter in diese Rolle zu drängen und ihnen in den richtigen Momenten Pathos zu verleihen.
Nicht nur in dieser Geschichte ist die Zeit nach der Apokalypse ein Thema, zu dem Scholes immer wieder zurückkehrt – er beschreibt Neuanfänge, oft Rückfälle auf niedrigere Entwicklungsstufen, oder eine völlige Veschiebung des gesellschaftlichen Paradigmas, meist weg von der Rationalität, hin zum Glauben oder zu Welten, in denen Mythen und Geschichten Realität stiften.

Diese Mythen zaubert er aus dem Hut, als wären sie im Dutzend billiger – Ähnlichkeiten und gemeinsame Ursprünge lassen sich feststellen, genauso, wie sich nach und nach ein Mosaik aus Geschichten ergibt, die Teil eines größeren Entwurfs sind. Selbst in den kürzesten Geschichten, dem poetischen SF-Action-Kracher (!) The Night the Stars Sang Out My Name und der düsteren und trotzdem warmherzigen Endzeit-Episode What Child is This I Ask the Midnight Clear, scheut sich Scholes nicht, eine Fülle von Hintergründen durchscheinen zu lassen, die auf mühelose Weise authentisch wirkt.
Eines der Highlights der Sammlung, The Second Gift Given, ist dann auch zugleich Schöpfungs- und Zukunftsmythos und kann außerdem gut als Beispiel dafür dienen, dass die anspruchsvollen Konstruktionen des Weltenbaus niemals die menschliche Basis der Geschichten überragen: Es behandelt ein moralisches Thema, mit dem beinahe jeder Mensch irgendwann einmal konfrontiert wird, auf so einfühlsame Weise und gleichzeitig mit einem solchen Weitblick, dass man schon allein für diese eine Geschichte unter siebzehn diese Sammlung ins Regal stellen sollte.

Drachenmeer von Nancy FarmerIn einem trostlosen englischen Küstendorf fristet der Schäferssohn Jack ein eintöniges Dasein. Harte Arbeit, die verhätschelte kleine Schwester und der verbitterte Vater bestimmen seinen Alltag. Als der unheimliche Barde des Dorfes den Jungen zu seinem Lehrling erwählt, hält Jack dies zunächst für ein Missverständnis. Doch schon bald beginnt er seine Verbindung zur Magie zu spüren. Bevor er aber seine Ausbildung beenden kann, werden seine Kräfte auch schon aufs Härteste geprüft: Die Berserker kommen und ihre Segel am Horizont verheißen Blut und Feuer. Ausgerechnet um seine Schwester zu schützen, muss Jack nun all seinen Mut zusammen nehmen und sich auf eine Reise begeben, die ihn ins barbarische Nordland – und zu den Quellen der Magie – führen wird.

-“Mach dir um mich keine Sorgen”, sagte der alte Mann barsch. “Ich habe schon mehr als einem Ungeheuer die Haut abgezogen. Und jetzt lass uns Nebel machen.”-
Die Schutzrune

Drachenmeer (Sea of Trolls) ist ein Jugendbuch, mit einem linearen Aufbau, einem junge Helden und einer Entwicklungsgeschichte – aber definitiv eines von der besseren Sorte. Jack mit seinem leicht fanatischen Vater, der verhätschelten kleinen Schwester und der bodenständigen, aber zurückhaltenden Mutter ist eine Figur, mit der man sich schnell identifiziert und die einen leichten Einstieg in die Welt der Angelsachsen im frühen Mittelalter ermöglicht – schließlich kommen einem seine Probleme zumindest vage bekannt vor. Von Anfang an fällt dabei die gute Recherchearbeit der Autorin auf (die auch in einer Bibliographie im Anhang nachvollziehbar gemacht wird): Das Leben der einfachen Menschen wird nicht geschönt oder glorifiziert, und die kleinen Einblicke, die in die damalige Landwirtschaft oder Wohn- und Esskultur gegeben werden, wirken authentisch. Dabei ist Drachenmeer keineswegs ein historischer Roman, denn sobald Jack als Lehrling des alten Barden des Dorfes angenommen wird, taucht er in die Welt von Trollen, Erdmagie und Zauberern ein. Natürlich hat Jack eine Begabung für die Magie, und natürlich fällt ihm ihr Einsatz am Anfang schwer, ist aber dann zur Hand, sobald sie gebraucht wird – gerade zu Beginn der Handlung gibt es einige sehr schnell durchschaubare Handlungsmuster, die ein wenig zu sehr an schon oft Dagewesenes erinnern. Aber im Verlauf des Romans fährt die Autorin noch einige andere Kaliber auf, und Jack löst seine Probleme mit Köpfchen statt mit gerade passend kommender Erdmagie.

Einprägsame Figuren sind das Sahnehäubchen des Buches – sind die Nordmänner anfangs noch furchtbare Feinde, halbe Tiere sogar, stellt sich ihr Anführer Olaf Einbraue als durchaus liebenswerter Charakter heraus , und die auf Raubzügen basierende Lebensweise der Wikinger wird als -wenn auch nicht unbedingt erstrebenswerte- Alternative aufgezeigt, statt das Volk einfach als böse zu klassifizieren.
Auffallend ist der charmante Umgang mit den drei aufeinanderprallenden Glaubensvorstellungen den Nordens – Christentum, Glauben an nordische Gottheiten und Mythen und keltische Vorstellungen. Alle drei Glaubensrichtungen und auch ihr Zusammenspiel werden mit einem Augenzwinkern beschrieben – wie überhaupt ein schalkhafter Humor durch das ganze Buch hindurch immer wieder aufblitzt – ohne, daß sich über Religionen oder Überzeugungen lustig gemacht wird.

Das vollständige Happy End des Buches wirkt auf erfahrene Leser vielleicht ein bißchen zu rund – da wird möglichst alles gerade gebogen, was jemals krumm war; trotzdem gab es vorher so viel zu entdecken, erleben und auch erleiden, daß man das Buch sicherlich befriedigt aus der Hand legen kann.
Drachenmeer ist ein spannendes und kluges Abenteuervergnügen, das nach anfänglichen Längen tatsächlich an Klassiker wie Der Hobbit erinnert und die nordische Kultur und Mythenwelt zu einem bunten, eingängig geschilderten Leben erweckt.

Dragonfly Falling von Adrian TchaikovskyNach ihrer Niederlage sind die Agenten des Wespenimperiums nur umso entschlossener, die verstreuten Stadtstaaten zu erobern, die ihnen so dreist Paroli geboten haben. Während eine große Wespenarmee die Ameisenstadt Tark mit neuartigen Waffen angreift, wird der Geheimdienstler Thalric damit beauftragt, gegen die Wissenschaftler von Collegium und Stenwold Maker vorzugehen, der für ihr Scheitern verantwortlich war. Überall stehen die Zeichen auf Krieg, und Stenwolds junge Mitstreiter versuchen verzweifelt, neue Verbündete zu gewinnen oder wenigstens die Städte zu einem gemeinsamen Kampf zu vereinen. Doch das gestaltet sich so schwierig, als würde man verschiedene Insektenstaaten zur Zusammenarbeit bewegen wollen.

-The morning was joyless for him, as mornings always were.-
One

Während im Auftaktband von Shadows of the Apt noch Taktieren und Sondieren die Mittel der Wahl waren, ist man nun bei handfester militärischer Action angelangt – in den Stadtstaaten der Tieflande herrscht Krieg. Dragonfly Falling (Die geflügelte Armee, Schwarzer Glanz) ist damit vor allem ein Buch der Schlachten und Belagerungen, und dabei spielen die Mechanik-Elemente der Reihe – Steampunk möchte man es eigentlich nicht mehr nennen – eine zentrale Rolle. Der thematische Fokus liegt unter anderem auf der Militärtechnik und den moralischen Fragen, die sie für die beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure aufwirft, und so viel kann man schon vorweg verraten: Sie kommen zu unterschiedlichen Antworten.
Nicht nur dadurch, sondern auch durch die nationalistisch auftretende Wespenarmee fühlt man sich noch mehr als in Empire in Black and Gold (Invasion des Feuers, Der gepanzerte Spion) an die Zeit des Ersten Weltkriegs erinnert. Der Ausgang der Auseinandersetzungen wird stark von den Massen, die die jeweilige Partei zu opfern bereit ist, und von neuen (noch zu testenden) Entwicklungen bestimmt.
Doch es wäre nicht Adrian Tchaikovsky mit seinen klassischen Plotstrukturen und Spannungsbögen, wenn nicht auch der Einzelne das Ruder herumreißen könnte: Wieder erinnert der Roman an einen Abenteuerreigen im Stil von Star Wars und Konsorten, denn von der dramatischen Wendung über die Rettung in letzter Sekunde bis hin zum vermeintlichen Todesfall werden sämtliche Register gezogen. Überraschungen und sich lang anbahnende Paukenschläge gibt es auf den prall gefüllten 670 Seiten nicht zu knapp.

Daß man bei den umfangreichen Kriegswirren nicht den Überblick und das Interesse verliert, ist dem Talent des Autors zu verdanken, den einzelnen Kämpfen einen ganz eigenen Charakter zu verleihen, abhängig vom Austragungsort und den Beteiligten. Die disziplinierten Schlachten der Ameisen-Stadtstaaten sind etwas völlig anderes als die chaotischen, verzweifelten und experimentell-tollkühnen Verteidigungsmaßnahmen, die sich die Gelehrten von Collegium einfallen lassen, als die Wespen vor der Tür stehen. Eine lockere Angelegenheit wird der Krieg allerdings zu keinem Zeitpunkt, und hier unterschiedet sich Adrian Tchaikovsky dann doch von seinen unbekümmerteren Vorbildern.
Eine weitere Spezialität des Autors sind ähnlich großartige Einzelszenen, wie sie auch schon im Vorgängerband auftauchten, die ein Gegengewicht zur trostlosen Kriegsrealität schaffen. Manchmal sitzt man mit offenem Mund staunend vor dem Buch, wenn sich die Ausmaße eines Ereignisses in geschickt angelegten Doppelszenen offenbaren oder eine Prise umsichtig aufgebauter Heldenpathos zum Mitfiebern einlädt.
Diese Einzelszenen überzeugen nicht zuletzt dank der großartigen Charakterriege, deren gemächliche Einführung im Vorgängerband hier Früchte trägt, und Tchaikovsky pfeift dabei wieder auf gefestigte Erzählkonventionen, wechselt munter Perspektiven und erzählt, wie die Geschichte es verlangt.

Die große Zahl an Figuren, aus deren Sicht berichtet wird, hilft, die starren Völkerstereotypen aufzubrechen, die natürlich auch die Faszination der Welt ausmachen. Die Unterschiede zwischen den traditionellen und progressiven Völkern (und Figuren) treten in diesem Band besonders hervor, und man lernt die Mantiden und die faszinierenden Ameisen (von denen es sogar mehrere Arten mit unterschiedlicher Denkweise gibt) näher kennen. Doch im Individuum, vor allem auch den gut portraitierten Gegenspielern, sieht es wieder ganz anders aus, und erst dadurch entsteht die plastische Welt, mit der Tchaikovsky glänzt.
Wie im Einzelnen die Motivation für die teils doch recht extremen Handlungen entsteht, wirkt allerdings manchmal schwammig und gewollt – darüber sollte man lieber nicht allzu intensiv nachdenken, wobei die Flut der Ereignisse ungemein hilfreich ist.

Dragonfly Falling ist ein dicker Schmöker, der viele Themen abgrast und dabei durchaus unter die Oberfläche geht – nebst Wissenschaftsethik spielen der Wechsel von Flucht vor und Übernahme von Verantwortung, nationalistische Auswüchse und das automatische Aufkommen von internen Machtquerelen innerhalb von größeren Staatsgebilden eine große Rolle.
Allerdings leidet der Roman auch am The-Empire-Strikes-Back-Syndrom (in jeglicher Hinsicht 😉 ), ist ein eindeutiges Mittelstück ohne Abschluß und ohne richtigen Handlungsbogen, das allerdings schon geschickt die Bühne für größere Ereignisse im weiterhin eher im Hintergrund schwelenden Paradigmenwechsel zwischen Magie und Technik bereitet.

Drowntide von Sydney J. Van ScyocAls die letzte Tochter der Königin Amelyor auf dem Meer stirbt, scheint ihr Volk verloren: Sobald die Königin mit dem Alter die Gabe verliert, mit den Meeressäugern zu kommunizieren, die die Schiffe der Fischer beschützen, wird das Meer sie alle fordern. Verzweifelt gesteht Amelyor ihrem Sohn Keiris eine längst vergangene Affäre mit einem Fremden ein, aus der eine weitere Tochter hervorgegangen ist – Keiris’ Zwillingsschwester, die nach der Geburt vom Vater entführt wurde und seither verschollen ist. Mit wenigen Anhaltspunkten macht sich Keiris auf den Weg, um seine Schwester zu finden und damit sein Volk zu retten. Auf der Suche nach seinem mysteriösem Vater stößt er auf Gerüchte über ein im Meer lebendes Nomadenvolk. Und so muß er sich seiner größten Angst stellen – dem Ozean.

-Keiris woke at dawn and lay for a moment with eyes closed and breath held, listening – hearing nothing but the distant rush of the sea.-
One

Auf der Suche nach kleinen Geschichten, die ohne Bombast, Weltrettung und epische Ausmaße auskommen, landet man schnell bei Schriftstellern wie Patricia McKillip, Peter S. Beagle oder Ursula K. LeGuin – allesamt Autoren, die den Zenit ihrer Beliebtheit wohl bereits überschritten haben und eher nicht an prominenter Stelle in der Fantasy-Ecke der Buchhandlung präsentiert werden. Nach überschaubaren Geschichten, in denen eher etwas in den Charakteren als in der Welt in Bewegung gesetzt wird, wühlt man am besten in der Literatur vergangener Dekaden.
Einen besonders delikaten kleinen Happen aus den 80ern stellt Drowntide dar, eine Geschichte, die in eine Meereswelt voller kleiner Inseln führt und ganz und gar auf den jungen Keiris ausgerichtet ist, der seine Wurzeln und seine verschollene Schwester sucht. Diese Suche – anfangs eine klassische Queste, wenn der Held sich auf Wanderschaft begeben muß, um sein eigenes Volk zu retten, das ohne weiblichen Abkömmling der Herrscherfamilie dem Meer schutzlos ausgeliefert sein wird – bringt ihn viel näher an das von ihm gefürchtete Meer, als er je geglaubt hätte, und konfrontiert ihn mit allen Ängsten und Vorurteilen, die er in seinem kurzen Leben bereits angehäuft hat. Damit ist Drowntide auch ein Entwicklungsroman, der in inhaltlichen Belangen im ersten Teil tatsächlich anderer Fantasy mit jungen Protagonisten sehr stark ähnelt.

Allerdings springt rasch der wahrhaft familiäre Rahmen der Geschichte ins Auge, der bis zum Ende beibehalten wird, ohne daß die Autorin der Versuchung nachgibt, ihn zu etwas Größerem aufzublasen. Die Ereignisse betreffen hauptsächlich die vorgestellten Charaktere, die Umwälzungen finden in ihrem Inneren statt, denn sobald die Suche von Keiris beendet ist, stellt ihn der verschollene Teil seiner Familie vor viel größere Herausforderungen.
Trotzdem weht die Ahnung von Größerem durch das Buch – eine Folge der ungewöhnlichen, mit Vergangenem angereicherten Welt: Ein vom Meer abhängiges Fischervolk lebt auf den kleinen, stets vom Wasser bedrohten Inseln, seine Geschichten rufen unweigerlich den Atlantis-Mythos ins Gedächtnis, und sowohl die Namen als auch die Naturbeschreibungen legen eine Verortung des Geschehens zu mythischen Zeiten im Mittelmeerraum nahe. Aber weit gefehlt – und an dieser Stelle hat die Autorin leider auch etwas zu viel in ihre Weltschöpfung gepackt: Ihr kurzer Ausflug in die SF, der das Setting mit dem Lost Colonies-Motiv auf einem fremden Planeten verankert, wirkt reichlich aufgesetzt und deplaziert, da der Hintergrund um den Einbruch des Fremden in die Welt der Fischer und Bootsbauer auch ohne das SF-Element hervorragend funktioniert hätte. Dieser erklärende Einschub betrifft aber gerade einmal ein paar Absätze der Geschichte, wirkt sich kaum weiter aus und kann mit einem Schulterzucken hingenommen werden.

Man erlebt das Geschehen komplett aus der Sicht des jungen Keiris, und seine Ängste vor der unbekannten Herkunft und seine Schwierigkeiten, diesen Teil seines Erbes schließlich anzunehmen, sind anrührend und authentisch beschrieben. Andere Charaktere sind eher angezeichnet und bleiben durch die Fokussierung auf den Hauptcharakter teilweise sehr blass. Während am Rande auch Platz für eine muntere, nur zart ins Spiel gebrachte Liebesgeschichte ist, steht im Mittelpunkt immer das Ausloten der familiären Verhältnisse und die Akzeptanz neuer Aspekte am eigenen Ich.
Mit recht wenig Aufwand wird die Wasserwelt in Szene gesetzt, aber gerade auch die angedeutete Liebesgeschichte in ihrer Ungewöhnlichkeit und etliche andere Details lassen doch ein lebendiges Bild der drei auftretenden Kulturen entstehen, wobei immer nur das für die Geschichte Notwendige ausgearbeitet scheint.
Ein weiteres zentrales Element sind die „sea mams“, die Meeressäugetiere, die hier die Gefährten der Menschen darstellen und die hilfreiche und freundliche Seite des Meeres repräsentieren. Die Kommunikation mit den Walen ist auch ein Schlüsselelement der Handlung und erinnert heute an die Entstehungszeit der Geschichte in den 80ern, als die Wale zu den Maskottchen des Umweltschutzes wurden.

Die Sprache ist weder so ausgeklügelt noch so poetisch wie bei den eingangs genannten Autoren, doch die Faszination der Insel- und schließlich Meereswelt kann durchaus eingefangen und transportiert werden. Das Meer – zweifellos einer der Hauptakteure in diesem Roman – bleibt bis zum Schluß etwas Fremdes, das mit seiner Unberechenbarkeit und Weite dem Protagonisten stets Überwindung abfordert, und das er höchstens als Teil seines Lebens akzeptieren und achten lernt, aber nicht lieben. Trotz der vielen Meeresbewohner, die in Drowntide auftauchen, bleibt also eine gewisse Scheu vor dem Unbekannten erhalten, und es geht eher um das Leben mit dem Meer als das Leben im Meer. Ein Stück dieser Fremde entdeckt der Held Keiris aber auch in seinem Inneren, und die unüberwindbare Zerrissenheit bekommt am Ende zumindest positive Aspekte und die Möglichkeit zu einer versöhnlichen Zukunft.
Wenn man also das große Blau schätzt und sich für eine kleine Geschichte erwärmen kann, die an seinen Ufern spielt, ist Drowntide eine unbedingte Empfehlung.

Die dunkle Quelle von Tobias O. MeißnerRodraeg ist ein Stadtschreiber von Kuellen, seine abenteuerlustige Zeit hat er lange hinter sich. Doch dann taucht plötzlich Naenn bei ihm auf, eine Frau aus dem Volk der Schmetterlingsmenschen. Sie macht Rodraeg einen Vorschlag: Er soll Anführer einer Einsatztruppe werden, die für eine mysteriöse Vereinigung arbeitet, der das natürliche Gleichgewicht des Kontinents am Herzen liegt, das durch die zunehmende Industrialisierung und die rigorose Politik der Kaiserin bedroht ist. Rodraeg lässt sich überreden, richtet einen Stützpunkt ein und sucht nach geeigneten Mitstreitern. Und schon flattert der erste Auftrag ins Haus, in dem von einem verseuchten Fluß die Rede ist …

-Die Flaggen vor dem Zelteingang, gold und blau mit einer strahlenden Krone darauf, hingen schlaff im kalten Morgendunst. Der junge Hauptmann zögerte kurz, dann schlug er die Plane zur Seite.-
Prolog

Die dunkle Quelle überrascht von den ersten Seiten an  mit großartigen Ideen und einem formidablen Erzähltalent, und das, obwohl der Roman eine für Meißner-Verhältnisse eher konventionelle Geschichte bietet – die hartgesottene High-Fantasy-Leser dennoch erst einmal stutzig machen dürfte.
Fantasy ist fast immer ein “was wäre wenn”. Hier, in einer in weiten Teilen zivilisierten Welt, die kurz vor der Industrialisierung steht, stellt sich die Frage: Was wäre, wenn in einer vormodernen Epoche die Umweltzerstörung schon weitreichende und spürbare Folgen nach sich gezogen hätte? Wenn bereits dort jemand darauf aufmerksam geworden wäre und Maßnahmen ergriffen hätte? Eine Greenpeace-Einsatz-Truppe in einer Fantasy-Welt: das klingt zunächst nach Öko-Romantik inclusive Biolatschen und erhobenem Zeigefinger.

Tobias O. Meißner hat aus der verwegenen Idee eine mitreißende Geschichte gemacht, die durch unkonventionelle Details und den Öko-Ansatz ein wenig frischen Wind in den Fantasy-Einheitsbrei bringt, dabei aber dennoch stark auf vertraute Elemente setzt, wie man sie aus Rollenspielabenteuern oder Questengeschichten kennt.
Die Zwerge, Elfen und Orks sind zwar zu Hause geblieben und einer bunten Welt mit neuen Spezies gewichen, sowohl auf der Ebene der Handlungsträger als auch der Kulisse: Schmetterlingsmenschen, Bartendrachen, Bienenmagier – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Götterwelt, Geschichte und Flora und Fauna wurde zumindest vordergründig ein eigener Stempel aufgedrückt, häufig passend zu der ungewöhnlichen Grundidee des Romans.
Trotzdem findet man sich leicht in die traditionell erzählte Geschichte ein: Rodraeg, der als Hauptfigur stets der Mittelpunkt des Romans ist, führt souverän durch die Handlung und besticht vor allem als gelehrter Antiheld, der über seine besten Kämpfer-Jahre bereits hinaus ist und trotzdem, als er seine neue Aufgabe einmal angenommen hat, mit aller Kraft in den Kampf eilt – nur dass körperlicher Einsatz für ihn immer ein Notnagel ist – eine Einstellung, die innerhalb der Aktivisten-Szene nicht nur auf Gegenliebe stößt. Zur Sache geht es nach einer langen Einführungsphase aber trotzdem noch, und Die dunkle Quelle bekommt auch ein paar Actionszenen verpasst.
Zusätzlich fesselt Meißners schöne Sprache – sie ist klar und leicht zu lesen, aber dennoch ästhetisch, ohne in der einfachen Geschichte von der Auftragsabwicklung überkandidelt zu wirken.

Die übrigen Figuren sind bestechend sympathisch und menschlich nachvollziehbar und nehmen den Leser mit ihren liebevoll ausgearbeiteten Schrullen für sich ein, so dass es leicht fällt, sich auf ihre anfangs beschaulichen Abenteuer einzulassen. Freilich lässt sich nicht leugnen, dass der Roman nur ein sorgfältig aufgebauter Auftaktband zu einer groß angelegten Reihe ist – es geht vornehmlich um Zusammenstellung und Aufbau der Truppe, die sich Das Mammut nennt, und erst am Ende nach dem ersten Auftrag kann man ein wenig von der größeren Hintergrundgeschichte erahnen. Aber wenn schon der Einstiegsroman so viel Spaß an frischen Ideen und einen so großen Wohlfühlfaktor mit sich bringt, darf man gespannt sein, wie Meißner – dessen Romane niemals Wohlfühlgaranten sind – dieses Setting in weiteren Bänden genüsslich zerlegt und Rodraeg und seine Mannen in die Bredouille bringt.

Eiserne Dämmerung von Matthew Woodring StoverNachdem der piktischen Söldnerin Barra von Piraten übel mitgespielt wurde, zieht sie sich zusammen mit ihren beiden Gefährten, dem Krieger Leucas und dem früheren Priester Kheperu, in die Handelsmetropole Tyrus zurück, in der ihre Zieheltern leben.
Auf der Suche nach neuen Aufträgen geraten sie schnell in eine Intrige, die zwischen all den mächtigen Handelsfamilien, Massen von Söldnern, Kaufleuten aus sämtlichen mediterranen Staaten und Glückssuchern in Tyrus droht: Der verstoßene ägyptische Prinz Meremptah-Sifti kommt zwar mit einem Lächeln, um die Handelsherren der Stadt zu betören, hat aber zwielichtige Pläne, und ist ein Gegner, der für Barra und ihre Männer vielleicht eine Nummer zu groß ist.

-Lieber Chryl, lieber Antiphos,
dies wird wahrscheinlich der letzte Brief in diesem Paket werden; wenn wir Tyros noch erreichen, ehe der Winter dem Handel ein Ende setzt, solltet ihr diese Zeilen vor der Sonnenwende lesen.-
Prolog

Die antike Welt, genauer gesagt die im Titel von Matthew Woodring Stovers Debutroman heraufdämmernde Eisenzeit, dient der Fantasy zwar häufig als Fundgrube für Ideen, als Setting dagegen taucht sie erstaunlich selten auf. Schade eigentlich, denn der erste Band der Reihe um die Söldnerin Barra besticht durch eine sehr anschauliche, unverbrauchte Kulisse, in der die Erinnerung an Troja noch lebendig ist, übrig gebliebene achaische Helden den Preis auf dem Söldnermarkt drücken und Handelszentren im Morgenland Wohlstand versprechen. Historische Akkuratesse sollte man sich von diesem furiosen Abenteuerreigen allerdings nicht unbedingt erwarten – mit der Einordnung der Epoche durch eher mythologisch als historisch konnotierte Ereignisse wie dem Fall von Troja oder Jericho ist die Zielrichtung von Eiserne Dämmerung hin zur Fantasy und weg vom historischen Roman ganz gut wiedergegeben. Mit vielen Details aus der Sachkultur beweist Stover allerdings, dass er weiß, worüber er schreibt, und sich seine Freiheiten wohl relativ bewusst wählt.
Schauplatz beinahe der gesamten Handlung ist die politisch unabhängige Handelsmetropole Tyrus, deren Unabhängigkeit akut von einem ägyptischen Prinzen bedroht wird, dem alle Mittel (auch Nekromantie) zur Erreichung seiner Ziele recht sind.

Die Struktur des Romans ist eindeutig dem Rollenspiel verhaftet (auch ganz konkret: Barra war ein Charakter von Stovers Frau): Man findet eine Gruppe, lernt sich besser kennen, kehrt in Gasthäuser ein und sucht sich Unterkünfte, und nebenher treibt man einen Auftrag voran, den man sich als arbeitslose Söldnertruppe gerade geholt hat und der einem natürlich alsbald über den Kopf zu wachsen droht.
Herzstück von Eiserne Dämmerung sind die liebenswerten Figuren: Der zaubermächtige ägyptische Ex-Priester Kheperu, ein zwielichtiger Feigling mit jeder Menge Dreck am Stecken (und Körper), der mehr in sich hat, als man ihm auf den ersten Blick abnehmen möchte; Leucas, ein Veteran der Belagerung Trojas – der typische Riesenkrieger, der durch Muskeln besticht, sich aber als nachdenklich und traumatisiert erweist; und schließlich die axtschwingende Piktenprinzessin Barra mit ihrem Wolf Graegduz, eine wunderbar gelungene Kriegerinnenfigur, die weder als Mannfrau fungiert noch chicks-in-chainmail-Klischees bedient und als Kopf der Söldnertruppe Führung („Bist du mit mir oder bist du tot?“) und gemeinsame Ziele (Reichtümer!) vorgibt.
Die aus dem Rollenspiel entlehnte Gruppendynamik steht fast durchgehend im Mittelpunkt, bleibt aber weitgehend klischeefrei, wie schon die herrlich widersprüchlichen Briefe Barras in die Heimat zeigen, die den Roman einläuten und ausklingen lassen. Durch den Abenteuercharakter und den lockeren Pragmatismus der Söldnerprotagonisten liest sich Eiserne Dämmerung ein wenig wie eine dreckigere und gewitztere Version von Richard Schwartz’ beliebten Askir-Romanen, vor allem wenn die drei ungleichen Gefährten sich in verbalem Schlagabtausch ergehen und sich langsam, trotz vieler zurückgehaltener Geheimnisse zusammenraufen. Das Tempo der Haupthandlung leidet allerdings zu Beginn unter diesem launigen Gekabbel.

Stovers Stärken, wenn auch noch nicht voll ausgeprägt, zeichnen sich in seinem Erstling bereits ab und man erkennt sowohl am nach dem Warmlaufen schnell die Richtung wechselnden Plot als auch an den explosiven, brutalen Kampf- und Actionszenen, dass ein angehender Meister der Sword & Sorcery am Werk war, auch wenn Eiserne Dämmerung längst nicht so ausgereift wie die späteren Caine-Romane ist.
Die realistischen Kämpfe, ein Markenzeichen des Autors, stehen dabei oft dicht an dicht mit dem (teils derben) Humor, und auch dieser Stover ist kein Sonntagsspaziergang für zartbesaitete Leser. Die Bildsprache, der der Autor sich bedient, stammt in den brutaleren Szenen eher aus dem Horror oder dem Psychothriller als aus der Fantasy – allerdings begehen diese Taten hier keine Perverslinge, von denen man sich nicht großartig abgrenzen muss, sondern einfach … Menschen.
Zum Ausgleich sorgt allerdings auch eine breite Palette des Heldentums für die richtige Prise Pathos, Figuren wissen zu überraschen, ihre Cleverness ist fast genauso wichtig wie ihre Schlagkraft, auch wenn sie nicht selten falsch gewickelt sind und dadurch erst in die unangenehmen Situationen geraten – und vor allem sind immer wieder für einen Lacher gut.

Abzüge in der B-Note gibt es für die Sprache, die auch ein wenig unter der Übersetzung leidet. Auch im Original schlägt Stover nicht den feinsten Ton an, so dass man sich über Arschlöcher und Konsorten nicht zu wundern braucht, doch gerade in den Dialogen fallen die Modernismen im Deutschen wohl eher ins Gewicht, schnurzpiepegal muss es im alten Orient z.B. nicht unbedingt gleich sein.
Ansonsten bekommt man mit Eiserne Dämmerung herrliche Figuren in einem Setting, das mit seinen Details und zahlreichen Referenzen auf aktuelle Geschehnisse im Handlungsraum (etwa die Wüstenwanderungen dieses seltsamen Stammes, der seinen Gott in einer Truhe mit sich herumträgt) viel orientalisches Flair versprüht und saftige Actionszenen (ja, auch mit Streitwagen 😉 ) bietet.

Elantris von Brandon SandersonElantris war einst die Stadt der Menschen, die über Nacht vom sogenannten Shaod in nahezu allmächtige, unsterbliche Wesen verwandelt wurden und die Welt leiteten. Doch eines Tages verfielen die Bewohner zu lebenden Toten und die Magie war verloren. Seit zehn Jahren vegetieren  die jämmerlichen Überbleibsel der Elantrier dahin, als eines Morgens Prinz Raoden erwacht und entdeckt, dass auch er vom Shaod verdammt wurde. Er wird nach Elantris verbannt, offiziell für tot erklärt und versucht in der verdammten Stadt, das Beste aus seiner Situation zu machen. Seiner Verlobten Sarene bleibt nur übrig, die Politik ihres Gatten aufzunehmen und gegen die religiösen Fanatiker aus Fjorden zu kämpfen, die auf Eroberung aus sind …

-Prince Raoden of Arelon awoke early that morning, completely unaware that he had been damned for all eternity.-
Chapter 1

Mit seinem Debutroman Elantris hat Brandon Sanderson den Grundstein für eine steile Karriere gelegt, die ihn inzwischen als Nachfolger Robert Jordans beim Rad der Zeit und Verfasser eigener umfangreicher Fantasy-Zyklen in die erste Liga der Autoren geführt hat. Liest man seinen gefeierten Erstling,  der durchaus wegweisend für die literarische Richtung ist, die Sanderson seither eingeschlagen hat, weiß man nicht recht, ob man lachen oder weinen soll, weil ein weiteres Mal ein allzu simpel nach Schema F gestrickter Fantasy-Roman die Gunst der Leser erworben hat …
Mit hohem Tempo wechselt Sanderson die Handlungstränge um den durch das Shaod verdammten Prinzen Raoden, der sich im elenden Elantris durchschlägt, seine Verlobte Sarene, ein allen Widrigkeiten zum Trotz emanzipiertes, kluges, politikbegeistertes Mädchen, das sofort die Zügel in Raodens Heimat Arelon an sich reißt und in der Folge die Politik des kleinen Landes komplett auf den Kopf stellt, und den Priester Hrathen, der mit der Kraft der Logik ein ganzes Volk bekehren will und dabei eine fanatische Natter an seinem Busen heranzüchtet. All diese Handlungsstränge laufen ab und berühren sich wie ein gut geöltes Uhrwerk, man steigt schnell ein, aber die Spannung bleibt auf der Strecke, weil alles in so glatten und vorhersehbaren Bahnen verläuft.

Der Held Raoden ist ein Super-Optimist, dem trotz widrigster Umstände in den ersten 250 Seiten gerade einmal drei Zeilen Selbstzweifel zugestanden werden (und dann schlägt der Blitz ein und Raoden darf sich einige Seiten lang im Elend aalen, als hätte der Autor einen Schalter umgelegt); die Heldin ist ein ähnliches Kaliber. Einfache, sich ständig wiederholende Charakterzüge werden verwendet, um den Figuren Eigenständigkeit zu verleihen, bis man es nicht mehr lesen kann, dass Sarene mit ihrem Finger an die Wange tippt, wenn sie kurz vor einer weiteren genialen Idee steht – denn gute Einfälle gibt es am laufenden Meter in Elantris. So schwer Feinde und widrige Umstände den Helden das Leben auch machen, sie sind niemals auch nur einen Augenblick lang um eine Lösung verlegen.
Dabei hat die Handlung durchaus Potential für Spannung – eine Stadt voller Zombies sucht nach Erlösung, während außenherum das Land in den Ruin stolpert. Wenn diese Gemeinschaft der Gefallenen fieberhaft an einem Ausweg für das Hauptproblem – den Fall von Elantris – arbeitet, kann man sich ein wenig mitreißen lassen. Um so enttäuschender ist dann aber die hahnebüchene Auflösung.

Das Ende ist ohnehin ein Spektakel, und kein erfreuliches: Eine bunte, sensationelle und gigantische Explosion von Magie, und wenn man sich vorab schon in einem Hollywood-Schinken der platteren Sorte gewähnt hat, kommen hier erst recht die passenden Szenen für diese These: Ein Totgeblaubter rappelt sich noch einmal blutend und stöhnend auf, um dem Bösewicht in einer kritischen Situation schnell Eins überzubraten, ein längst vergessener Charakter stolpert zufällig aus einer Kneipe und löst eine Kettenreaktion aus. Während ein ganzes Buch lang niemand ins Gras beißen musste, werden innerhalb von drei Seiten beinahe alle getötet (aber mit Auferstehungsoption), und wirklich jede einzelne Figur darf etwas zur Rettung beitragen, auch wenn sie nur für diese eine Aktion 400 Seiten weit mitgeschleppt wurde.
Mit den Holzhammerfiguren, der auf reine Dynamik hinkonstruierten Geschichte und den clever eingebundenen Themen, die ohne in die Tiefe zu gehen angerissen werden – von Emanzipation über Herrschaftssysteme hin zu Selbstbewußtsein und Erfüllung im Leben – kann man Elantris wohl ganz gut konsumieren, aber etwas Besonderes oder gar Subtiles fehlt dieser Klischeeparade, die sich liest, als hätte Brandon Sanderson einfach die Erfolgsformel für Fantasy-Romane abgearbeitet.

Die Elementare von Calderon von Jim ButcherDer junge Tavi, der anders als die Bewohner der Dörfer im Grenztal von Calderon ohne die Magie der Elementare leben muss, derer sich jeder außer ihm bedienen kann, passt beim Schafehüten nicht auf, und als er zusammen mit seinem Onkel einem in die Irre gegangenen Schaf hinterherjagt, geraten sie den feindlichen Marat in die Quere. Tavis Onkel wird verletzt, so dass es an dem Jungen liegt, Hilfe zu holen und die Nachricht von der sich anbahnenden Invasion weiterzutragen. Gleichzeitig wird Amara, die als Agentin ausgebildet wird, in eine Intrige gegen den alten Herrscher von Alera verwickelt. Sie kann sich befreien und flieht, doch die Verfolger sind ihr auf den Fersen.

-Der Lauf der Geschichte wird keineswegs von Schlachten, Belagerungen oder dem Sturz von Herrschern bestimmt, sondern durch die Handlungen einzelner Personen.-
Prolog

Die Elementare von Calderon markiert den Aufbruch des bereits für seine Urban Fantasy beliebten Jim Butcher in die High Fantasy, ein Experiment, das im Auftaktband der sechsbändigen Codex-Alera-Reihe teilweise geglückt ist: Handwerklich ist der Roman solide gewobenes Unterhaltungsgarn, das sich angenehm und flott lesen lässt. Woran es allerdings auf beinahe allen Ebenen mangelt, ist Größe.
Nun ist die Fantasy für “kleine” Geschichten, die sich auf wenige Figuren konzentrieren, die nicht gleich die Grundfesten der Welt erschüttern und die ohne Bombast und Pathos auskommen, ein durchaus geeignetes Genre, das zeigen etliche gelungene Beispiele – das Problem ist jedoch, dass Butcher mit seiner Saga um das Reich Alera, das von außen und innen bedroht wird, durchaus Großes im Sinn hat, aber der Ausführung fehlt es zumindest im ersten Band schlicht an Fleisch, um dieses Versprechen zu halten.

Die Welt wirkt zunächst erfreulich bunt, es gibt viele Farbtupfer durch eine eigene Flora und Fauna, und als Alleinstellungsmerkmale sowohl die im Ansatz recht innovative Magie der Elementare als auch die Anlehnung der Zivilisation Aleras an das römische Imperium (irgendwo im Hintergrund wird sogar eine Herleitungsgeschichte dieses Umstands angedeutet – die Bewohner Aleras stammen aus unserer Welt). Unterm Strich bleibt es aber leider bei der Nennung einiger Namen und (militärischer) Titel, weitere kulturelle Nachwirkungen oder Überreste der römischen Herkunft gibt es nicht. Auch die Magie läuft bald wieder in relativ gewohnten Bahnen, wenn man davon absieht, dass die magischen Handlungen mit Hilfe der Elementare erreicht werden – Verkörperungen von Wasser, Erde, Feuer, Metall, Wind und Stein, die jeder Bewohner Aleras an sich binden kann. Mit ihnen werden ganz banale Alltagserleichterungen erwirkt, aber auch – je nach Macht des Einzelnen – beeindruckende Effekte. Außerdem wirken die elementaren Kräfte auch frei in der Welt. Die Elementare, die auch ein Stück weit Persönlichkeit und Eigenständigkeit aufweisen, bringen Codex Alera definitiv einen Extra-Sympathie-Punkt ein, aber innovativ ist das Ergebnis dieser Magieanwendung spätestens auf den zweiten Blick nicht mehr, erst recht nicht für Leute, die schon einmal mit einem High-Magic-System Rollenspiel betrieben haben.
Damit heben sich die Magie, das im Auftaktband eine große Rolle spielende Dorfleben und auch die im Hintergrund immer wieder aufblitzende Welt der Mächtigen weder im Detail noch im Groben vom Standard ab und wirken eher statisch als lebendig – Alera ist keine Welt voller Geschichte und Geschichten.

Ähnlich zielstrebig – und das kann man hier durchaus als Gewinn sehen – geht es bei der Handlung zur Sache. Butcher hält ein hohes Spannungsniveau von Anfang bis Ende durch: Die Helden sehen sich durch dreierlei Feinde bedroht; durch einen egoistischen Grobian, dem die Welt um sich herum völlig gleich ist, die feindliche Barbarenhorde und eher grob intrigierende Verräter sind sie ständigem Druck ausgesetzt und kommen nie zur Ruhe. Protagonist Tavi, als Einziger magielos in dieser magischen Welt, dessen kleiner Dorfkosmos akut bedroht ist, ist die Identifikationsfigur des Lesers, Amara, die angehende Spionin, die sich plötzlich verraten sieht und ihren Dienst für das Reich auf eigene Faust fortsetzen muss, schafft Verbindung zur größeren Geschichte jenseits des beschaulichen Lebens im Grenztal von Calderon.
Butcher erzählt seine Handlung in mehreren Strängen, lässt sie überkreuzen und wieder auseinanderlaufen und gewährt auch Blicke über die Schultern seiner Fieslinge. Er führt den Leser dabei gekonnt durch die Ereignisse. Cliffhanger und ein klassischer Aufbau mit einer spannend erzählten Schlacht am Ende sorgen dafür, dass man theoretisch an den Seiten kleben bleibt, was praktisch vor allem bei Lesern funktionieren dürfte, vor deren Augen ähnliche Geschichten noch nicht allzu oft durchexerziert wurden. Nur wenn zwei Handlungsstränge am selben Ort spielen, wird es hin und wieder etwas ungelenk – gerade an den rasanteren Stellen will man nur ungern in der Zeit zurückspringen und das Geschehene noch einmal von einer anderen Seite aufgerollt sehen.

Butcher setzt auch bei den Figuren vor allem auf Bewährtes, ureigene Aspekte kann er diesen Elementen aber nicht abgewinnen – der vom Dorffiesling geplagte, vom netten Onkel und der netten Tante unterstützte Außenseiter-Held, die tüchtige Jungspionin, die durchschaubar intrigierenden gefährlicheren Gegner und der gütige Herrscher spielen ihre Rolle, und sogar ein edler Wilder hat einen Gastauftritt.
Es scheint, als ließe sich das Konzept, das bei Harry Dresden funktioniert, nur bedingt auf High Fantasy übertragen: den schnellen, dynamischen und in wenig erzählter Zeit abgehandelten Ereignissen – die ganze Sache ist innerhalb weniger Tage gelaufen – fehlt ein Unterbau.

Da sich Die Elementare von Calderon aber auch als Einzelabenteuer lesen lässt (solange man sich damit zufrieden gibt, dass einige Rätsel mit nur einer Andeutung der Lösung in den zweiten Band gehievt werden), eignet sich der Roman trotz seiner Mängel als Entspannungslektüre, die nicht groß fordert und spannend unterhält, wenn man auch als Leser nicht zu viel fordert. Sprachlich ist der Roman eine runde Sache, von einem patenten Erzähler in Szene gesetzt, nur Neues, Großartiges, einen Mehrwert oder eine Wirkung, die über die reine Lesezeit hinausgeht, sollte man sich davon nicht erwarten.

Empire in Black and Gold von Adrian TchaikovskyCollegium, eine Stadt der Wissenschaft und der Freigeister, ist einer von vielen Stadtstaaten, die mehr oder weniger friedlich unabhängig voneinander existieren. Auf Stenwold Maker, einen Gelehrten, der seit Jahren vor den Eroberungsplänen des sich ausbreitenden Wespenimperiums warnt, hört daher niemand.
Frustriert, aber dennoch unermüdlich hält er sein Netzwerk aus Informanten aufrecht und sucht sich aufgeweckte junge Studenten, die er unter seine Fittiche nimmt und für den Ernstfall ausbildet, unter anderem seine Nichte Che. Als die Wespen tatsächlich ihre Fühler ausstrecken, steht er als einer der ersten auf ihrer Abschußliste.

-After Stenwold picked up the telescope for the ninth time, Marius said, ‘You will know first from the sound.’-
One

Wie schreibt man eine glaubwürdige Empfehlung für etwas, das sich am ehesten mit ‘Insekten-Steampunk’ zusammenfassen ließe? Beim einen oder anderen kann man vielleicht noch Biene-Maja-Erinnerungen aufwärmen, wenn friedlich-fleißige Käfer und Grashüpfer mit Laissez-faire-Attitüde von fiesen Wespen in Bedrängnis gebracht werden, aber die meisten erwachsenen Leser werden wohl müde abwinken. Auch wenn die Käfer mangels eigener Flugfähigkeit tollkühne Flugmaschinen ersinnen und die Wespen ihre finsteren Absichten hinter dem Versprechen eines Wirtschaftsbooms für die allzeit zu Waffenexporten bereiten Käfermagnaten verbergen.
Die Weltschöpfung von Adrian Tchaikovsky ist definitiv einer der gewagteren Entwürfe der letzten Jahre im Bereich der mehrbändigen Fantasy-Sagas (und das ist Shadows of the Apt mit seinen angedachten zehn Bänden in mehreren Handlungsbögen). Seine Welt ist von Insekten bestimmt, die nicht nur als Arbeits- und Reittiere und (ganz im Sinne der Bionik) Ideengeber für die Technik dienen, sondern deren Eigenschaften sich auch auf die Menschenvölker übertragen haben, so daß die sonst durchaus humanoiden Ameisen, Käfer, Mantiden, Spinnen und Wespen über einige interessante spezifische körperliche Merkmale und Fähigkeiten verfügen. Und das funktioniert erstaunlich gut: Tchaikovsky ist es gelungen, das Wesen der Insekten einzufangen, ohne bei ein paar farbenfrohen Oberflächendetails wie Flugfähigkeit oder Panzerung zu bleiben. Nach und nach offenbart sich, daß die Anleihen bei den vielbeinigen Wesen bis tief in die Psyche der Figuren reichen: Von den auch geistig oftmals unbeweglichen Käfern über die eleganten (und natürlich im Matriarchat organisierten) Spinnen bis hin zu den aggressiven, unberechenbaren Wespen. Ja, das sind fraglos Stereotype, aber ausgesprochen clever eingesetzte und frische, die sich nicht ohne weiteres auf klassische Fantasyvölker übertragen lassen.

Tchaikovskys Insektenvölker machen viel von der Faszination der launigen Abenteuergeschichte aus, zumal sie sich natürlich in bester Fantasymanier untereinander nicht ganz grün sind: In der jüngeren Geschichte der Welt haben die Völker mit technischer Begabung das Joch der magisch begabten Eliten, die ehemals über sie geherrscht haben, abgeworfen, und im Hintergrund vollzieht sich diese Zeitenwende immer weiter. Vor dieser Kulisse leben die Wespen ihre imperialistischen Gelüste aus, die mit der Industrialisierung und der Bewaffnung der Massen einhergehen. Setting und Technik erinnern stark an die Zeit des Ersten Weltkriegs, doch obwohl es sich angeboten hätte, wurde dem Abenteuerelement der Vorzug vor einer grim & gritty-Ausrichtung gegeben. Statt dessen sind es vor allem positive menschliche Aspekte, die der Geschichte ihre größten Momente bescheren, und der Autor gönnt sich und dem Leser ein paar wunderschöne Szenen, in denen die Figuren über sich hinauswachsen können.
Diese Charaktere sind geradezu klassisch aufgestellt: Ein Trupp vielversprechender junger Leute, aus allen Völkern zusammengewürfelt, die sich erst noch bewähren müssen, mit wenigen älteren Mentoren, die schwer an ihrer Vergangenheit tragen. Es dauert eine Weile, bis die Figuren – genauso wie Handlung und Welt – zu ihrer ganzen Form auflaufen und zeigen, daß man es nur an der Oberfläche mit einer Geschichte zu tun hat, wie man sie schon hundertmal gelesen hat. Ganz besonders ausgeklügelt sind auch die Antagonisten angelegt, allen voran der findige Geheimdienstler Thalric. Sie geben dem imperialistischen Wespenreich ein Gesicht und sorgen dafür, daß es eine sehr eindrucksvolle Bedrohung bleibt, ohne zum reinen “Bösen” zu verkommen.

Der Konflikt zwischen den ungleichen Parteien spielt sich in einem atemlosen Abenteuerreigen ab – es gibt unzählige Cliffhanger, die Flucht von einem Luftschiff, Einbrüche in Regierungsgebäude, Untergrundbewegungen, Verfolgungen mit interessanten Fahrzeugen. Wer nun Indiana Jones oder anderes (gelungenes!) Popcornkino vor Augen hat, liegt für weite Teile der Handlung ganz richtig; überraschend ist da schon vielmehr der Tiefgang, der durch die Weiterentwicklung der Charaktere und den Hauch des geschichtlichen Umbruchs entsteht, der über allem liegt und mit aus der Realität bekannten Entwicklungen spielt. Auch moralisch diffizile Situationen sorgen für nachdenkliche Momente, ebenso eine erstaunlich gelungene Figurenpsychologie.
Das Tempo bleibt trotzdem durchgehend hoch, und so etwas wie die typischen Landschaftsbeschreibungen der epischen Fantasy wird man in Empire in Black and Gold vergeblich suchen – wenn überhaupt, konzentriert Tchaikovsky sich aufs urbane Milieu oder technische Errungenschaften. Manchmal blitzen auch für einen Augenblick die Legenden und Geheimnisse seiner Welt auf, und die machen definitiv Lust auf mehr.
Wer sich auf die lange Chronik des Kampfes gegen das Wespenimperium einlassen möchte (der erste Handlungsbogen ist in vier Bänden erzählt), findet eine charmante Variante des auf Abenteuer und Gruppendynamik fokussierten Fantasy-Epos, in der auch stilistisch oft geradezu ungewöhnlich geradlinig erzählt wird: Wo die Schnörkel fehlen, fehlen auch umständliche Verrenkungen, und es liest sich durchaus erfrischend, wenn Tchaikovsky auf so manche unausgesprochene Regel verzichtet und einfach loslegt, wie es seiner kurzweiligen Handlung am besten dienlich ist.
Freunde rasanter Abenteuer-Action mit Herz und jeder Leser, der gerne  neuen Konzepten und Ideen auf die Spur geht, sollten also ihre Arachnophobie überwinden und keine Angst vor der Insekten-Invasion im Buchregal haben.

Entropia von Christian Lorenz ScheurerAus einer Sammlung seltener Briefmarken von der Welt Etropia erfährt man Details aus der turbulenten Herrschaftszeit von Königin Pingo der Jungen, die ihr Reich durch schwere Zeiten und in eine Ära des Wohlstands geleitet hat. Nebenbei lernt man Entropias Regionen, Sehenswürdigkeiten, Fauna und Kultur kennen.

-The Bay of Takashiro is famous for its magnificent breaching Firefish.-

Entropia ist ein Artbook, das mit seiner Idee glänzt. Eigentlich möchte man jedes Mal aufs Neue staunen, wenn man sich mit dem Konzept beschäftigt: Durch die Abbildung einer Briefmarkensammlung wird die Geschichte, Kultur und Gesellschaft eines Reiches erzählt und gezeigt – und das Konzept zieht sich von der ersten bis zur letzten Seite durch: eine Poststempelsammlung und eine Einleitung der Philatelistengesellschaft stehen am Anfang, eine Karte und eine Zeitleiste liefern den nötigen Hintergrund, und dann folgt auf jeder Doppelseite eine (vergrößerte) Briefmarke, die auf dem schwarzen Hintergrund gut zur Geltung kommt, und ein kurzer, erklärender Text zu jedem Schaustück.
Die einzelnen Marken ergeben, auch wenn sie anfangs zusammenhanglos erscheinen, eine komplette Geschichte: Die Lebensgeschichte der letzten und größten entropischen Königin Pingo. Einerseits ist es charmant, dass tatsächlich nicht nur die einzelnen Briefmarken etwas zu erzählen haben, sondern auch ein größeres Ganzes dahintersteht, so dass die Bilder einen wirklichen Kontext erhalten, allerdings schränkt dieser enge thematische Bezug auch ein. Jede der abgebildeten Marken trägt ein Stück zur Geschichte bei, es bleibt weder ein Geheimnis offen, noch gibt es groß Inhalte, die aus den engen Grenzen der Geschichte hinausweisen. Der ein oder andere Beweis, dass Entropia größer, älter und vielseitiger ist, als der gezeigte geschichtliche Ausschnitt ahnen lässt, hätte der Welt dringend nötige Tiefe verleihen können. So überwiegt der Eindruck einer Pappkulisse, bei der es weder Schauplätze noch Personen oder eine geschichtliche Tradition gibt, die unabhängig von Pingos Geschichte existiert.

Leider ist es auch so, dass diese Geschichte selbst nicht übermäßig mitreißen kann. Sie verläuft harmlos-kindgerecht (auch wenn nicht eindeutig ist, dass Entropias Zielgruppe Kinder sein sollen – das Briefmarkenkonzept lässt eigentlich anderes vermuten), es gibt keine Überraschungen und keinerlei Subtext. Falls sich hinter jenen Briefmarken, die den entropischen Modewahn oder erfolgreiche Nonsens-Showacts oder Ferienparadiese zeigen, leise Kritik verbergen soll, ist sie recht zahm geraten. Die politische Hintergrundgeschichte von Tyrannei und Demokratisierung verläuft ausgesprochen stereotyp. Manche der Einzelideen sind ganz charmant – es reicht aber nie zum lauthals Lachen, genauso wenig zum gespannten Weiterlesen.

Auf der Seite der Illustrationen sticht die schöne Präsentation der Briefmarken ins Auge: sie sind liebevoll mit verschiedenen Stempeln verziert, die auch ihren Teil zur Geschichte beitragen, manchmal gibt es auch thematisch passende Brandlöcher. Schade ist hier allerdings die geringe Variationsbreite – fast alle gezeigten Briefmarken sind in einem skizzenhaften Stil mit einer ausgeprägten, unscharfen Linienführung gezeichnet, und die comichaften Gesichter und Tiere findet man bei beinahe jeder Darstellung , nur die Farbtönung wechselt je nach Motiv. Authentischer wären sicher verschiedene Stilrichtungen und Medien gewesen, wie man sie auch von richtigen Briefmarken kennt.

Auch wenn die inhaltliche Umsetzung im Detail enttäuscht, ist Entropia ein interessanter Entwurf, vor dessen Idee man nur den Hut ziehen kann. Für das Gefühl, anhand der Briefmarken tatsächlich in eine lebendige fiktive Welt eintauchen zu können, bleibt es jedoch zu sehr an der Oberfläche, zu sehr einer einzigen Geschichte verhaftet und stilistisch zu eindimensional.

Das Erste Horn von Richard SchwartzDer alte Recke Havald, der beschlossen hat, sich für den Winter – oder gar seinen Lebensabend – in einem abgelegenen Gasthof einzuquartieren, gerät mit den Gästen enger aneinander, als er sich gewünscht hat: Alle Anwesenden werden während eines heftigen Schneesturmes eingeschneit. Mit Havald sind etliche Handwerker, Söldner, Händler, eine Dunkelelfe und die magiebegabte Maestra Leandra eingeschlossen. Havald befürchtet schon das Schlimmste für die Stimmung der unfreiwilligen Dauergäste, da erschüttert ein grausamer Mord die Moral. Havald als Ritter sieht sich gezwungen, mit der Maestra an der Aufklärung zu arbeiten, das Misstrauen der Gäste untereinander und ihre Gereiztheit erschweren diese Aufgabe zusätzlich.

-Die Frau verstand es, einen Auftritt hinzulegen: erst der Blitz, welcher die dunkle Gaststube durch die Ritzen der Fensterläden erhellte, dann der Donner, der die Erde vibrieren ließ. Dass sie in diesem Moment die Tür zur Gaststube aufstieß und ein kalter Luftzug die Hälfte der rauchigen Talgkerzen in der Stube erlöschen ließ, war sicherlich Zufall.-
1. Die Maestra

Der Debut-Roman von Richard Schwartz ist ein gelungenes kleines Kammerspiel, das sich wie Peter S. Beagles Klassiker Es kamen drei Damen im Abendrot komplett auf einem Gasthof abspielt, mit dem Unterschied, dass sich das Wirtshaus “Zum Hammerkopf” zu einer engen, eisigen Falle entwickelt, als die Temperaturen draußen sinken und sich Eiswände vor Fenstern und Türen türmen.
Dieses Ambiente, das sich ganz hervorragend im warm geheizten Stübchen genießen lässt, weiß der Autor meisterhaft zu einzufangen: Die beklemmende Stimmung, das langsame Abgleiten der Gäste in Gereiztheit und Ängste, die Eiseskälte, die einem direkt aus den Seiten entgegenwehen will. Da fliegen die Zeilen nur so dahin, vor allem, da sich Richard Schwartz bzw. sein aus der Ich-Perspektive berichtender alternder Held Havald als guter Erzähler entpuppt, dessen Geschichte man gerne lauscht. Mit Klischees Marke Altherrenwitz übertreibt Schwartz es allerdings, und man mag nicht immer die Augen zudrücken, nur weil es vielleicht zur Figur passt, denn jegliches Gegengewicht fehlt.

Schon der Aufbau der Geschichte – Mord im Gasthaus – erinnert ein wenig an ein Rollenspielabenteuer, und von der ersten Seite an werden auch munter und relativ unreflektiert diesbezügliche Stereotypen aufgefahren: Dunkelelfen, Mithril-Rüstungen und andere magische Artefakte erinnern deutlich an das Inventar einer allumfassenden Standard-Fantasy-Welt. Und auch andere Elemente der Handlung erscheinen etwas wahllos aus den üblichen Versatzstücken zusammengeschustert, etwa die obligatorische Liebesgeschichte, und die magielastige Lösung des Falles. Dennoch bekommt man vor allem gegen Ende des Bandes ein wenig Ausblick auf den Hintergrund der Welt und hin und wieder ein paar ganz eigene Einsprengsel, so dass man gespannt abwarten kann, ob sich im zweiten Band in dieser Richtung noch mehr entwickelt, wenn die Geschichte das eingeschränkte Areal des Gasthofes verlässt.

Sprachlich ist Richard Schwartz ein angenehmer Erzähler, der Stimmungen hervorragend vermitteln kann, nur ab und an knirscht es ein wenig – vor allem der Anglizismus “Sinn machen” stößt in der sonst ganz dem alten Erzähler angepassten Sprache sauer auf, und das alle paar Seiten wieder.
Leichte Enttäuschung bereitet auch das etwas simpel gestrickte Ende, denn man hätte sich nach so viel herrlichem Ambiente vielleicht ein wenig mehr Hintergrund und ein wenig mehr Ausführlichkeit erwartet. Als Auftakt und zum Einstieg in eine neue Serie ist Das Erste Horn aber definitiv eine Empfehlung wert, denn es lädt dazu ein, einen Blick in den nächsten Band zu werfen und ist eine vergnügliche, wenn auch etwas unoriginelle Unterhaltungslektüre, die vor allem durch die eisige Atmosphäre und eine größtenteils sehr angenehme Erzählstimme besticht.

Der Feigling und die Bestie von Barış MüstecaplıoğluPerg ist eine Inselwelt voller unterschiedlicher Kulturen, doch Fürst Asuber schickt sich an, die Inseln zu unterwerfen: Er wird vom Buch Tshermons verführt, das Asuber schreckliche Zauber lehrt. Nur der Zauberer Geryan weiß, wie man das Unheil aufhalten kann, doch er schafft es nicht ohne Hilfe. Leofold, ein einstiger Ritter, der inzwischen in ein Ungetüm verwandelt wurde und sich ständig fürchten muss, die Kontrolle zu verlieren, und der Bauer Guorin, der nicht den Mut hatte, zum Krieger zu werden und seine Heimat zu verteidigen, schließen sich ihm an.

-»Reißt euch ein wenig zusammen, ich will schließlich nicht wegen eines dummen Gerüchts zu spät zu der Hochzeit kommen!«, herrschte Harkul seine Familie an, die ängstlich am Eingang des Tunnels wartete.-
Prolog

Fantasy, ganz besonders in ihrer klassischen und epischen Ausprägung, findet das deutsche Lesepublikum in der Regel bei der Handvoll Großverlage, die ein Genreprogramm auflegen. Der Verlag von Der Feigling und die Bestie, dem Auftaktband eines vierbändigen Zyklus, ist keiner davon, vielmehr ist die Spezialität von Binooki das Veröffentlichen türkischer Autoren und Autorinnen in Deutschland. Eine spannende Sache, die natürlich getestet werden muss!
Fantasy scheint in der Türkei keine große Tradition zu haben – tatsächlich wurde Barış Müstecaplıoğlu durch das Lesen englischsprachiger Fantasy dazu angeregt, ein eigenes Epos in diesem Stil zu verfassen. Bei Der Feigling und die Bestie findet man letztlich beides: An der Oberfläche viele Elemente, die man aus der generischen Fantasy kennt, im Detail, vor allem bei den Erzählkonventionen und dem Erzähltempo, allerdings auch viel Eigenwilliges und Ungewohntes.

Die Inselwelt von Perg mit ihren Piraten, Ungeheuern, Magiern und auf jeder Insel unterschiedlichen Gesellschaften macht einen ganz klassischen Eindruck und ist auch nicht sonderlich detailliert ausgestaltet, die Queste, die nötig ist, um den finsteren Asuber zu stoppen, wird höchst simpel eingeflogen – der Zauberer Geryan weiß Bescheid und rekrutiert Mitstreiter. Mit dieser effektiven, relativ knappen Konstruktion, die sich nicht groß mit Erklärungen und lang und breit vorbereiteten Hintergründen aufhält, geht es auch weiter, was zwischen den aktuellen, oft extrem geschliffen konstruierten Plots kantig und auch ein wenig wie aus dem Jugendbuch wirkt.
Dazu passen auch die Abenteuer, die im schnellen Wechsel auf Leser und Leserinnen einprasseln – Kämpfe, Bootsfahrten, Schlachten, wilde Fluchten und letztlich, nach dem Übergang in eine Welt, die nach anderen Regeln funktioniert, etliche bizarre Begegnungen. Genauso schnell wechseln die Personen, die die Perspektive haben, manchmal sogar zeilenweise.

Das erstaunliche ist der menschenfreundliche, warme Umgang, den der Autor mit den Figuren pflegt. Trotz des knappen Stils können sich ihre inneren Dramen entfalten und werden sehr feinfühlig zur Sprache gebracht, sei es nun das Ringen des Feiglings Guorin mit seinem Versagen und seiner Furcht, oder der mühsam zurückgehaltene Selbsthass des ehemaligen Ritters Leofold, der, verwandelt in eine Bestie, ständig um die Güte in seinem Herzen bangen muss. Die beiden sind wahrhaft kein klassisches Abenteurergespann, und auch der zurückhaltende und nur begrenzt mächtige Zauberer Geryan kann sie zunächst nicht dazu zusammenschweißen. Aber an ihnen werden ständig ganz leise die moralischen Werte infrage gestellt, die gerade eine Geschichte tragen, in der Gut und Böse an der Oberfläche so eindeutig festzustehen scheinen. Die Figuren entwickeln sich zum Teil auf geradezu verschmitzte Weise weiter, müssen etliche Proben bestehen, und ob sie zu Helden werden, muss der Leser oder die Leserin am Ende selbst entscheiden.
Die Einblicke in ihr Gefühlsleben finden aber mitunter ruckartig statt, und ihre Geheimnisse werden sehr offen angekündigt, was man vielleicht auch als etwas plumpes Vorausdeuten verbuchen könnte.
Die Figuren und ihre Rollen lassen die Welt von Perg wie eine Männerwelt aussehen, allerdings gibt es Ausnahmen, die dann sehr zu überraschen wissen, und für den zweiten Band scheint sich auch ein weibliches Mitglied in der Truppe anzudeuten. Schön wäre im Übrigen auch, wenn sich die Figuren demnächst entscheiden würden, ob sie sich Siezen oder Ihrzen, das wechselt sich nämlich munter ab.

Durch die verknappte Erzählweise bekommt Der Feigling und die Bestie auch etwas von einem Mosaik, in dem immer wieder kleine Geschichtensplitter auftauchen, die später im großen Bild noch ungeahnte Bedeutung erlangen. Gleichzeitig ereignet sich Großes oft schnell und plötzlich, und auch das Finale geht rasch über die Bühne, überrascht aber mit seiner Konsequenz, auch wenn Perg am Ende noch lange nicht gerettet ist. Zum Guten oder Schlechten holt Müstecaplıoğlu nicht überall den größten Effekt heraus – seine Stärke liegt in der Figurenzeichnung und im unumwundenen und dadurch manchmal unspektakulären Vorwärtsdrängen der Erzählung. Bis zum Schluss oszilliert das Ganze zwischen “etwas in die Jahre gekommener Standardfantasy” und “originell”, aber wenn man mit einem distanzierteren und kargen Erzählstil keine Probleme hat, kann man durchaus einmal einen Blick auf diese Fantasy-Reihe werfen, die andere Akzente setzt als die übliche Genre-Kost.

Feuerbringer von Laura ResnickDie Insel Sileria leidet unter dem Joch des mächtigen Valdani-Reiches – und die Unterdrücker haben leichte Hand, da sich die Inselbewohner bevorzugt gegenseitig umbringen. Doch dann ermordet der einfache Bergbewohner Josarion nach dem Tod seiner Frau einige Valdani-Späher und tritt dadurch eine Lawine los. Zur gleichen Zeit kehrt der Schwertmeister Tansen nach Jahren des Exils nach Sileria zurück, und obwohl ihn eine dunkle Vergangenheit plagt, stimmt er zu, den Störenfried Josarian zu jagen.
Die Wächterin Mirabar, eine mächtige Feuermagierin, hat Visionen einer Befreiung von den Valdani, und im Volk geht die Legende des Feuerbringers um.

-Der Rufer kam in der Nacht zu ihr, wenn die anderen schliefen.-
Prolog

Triebfeder dieser Geschichte um eine prophezeite, aber auch widerwillig und beinahe zufällig ausgelöste Rebellion sind die wenigen, aber gut ausgearbeiteten zentralen Figuren. Gleich zu Beginn wird man zusammenhanglos von einem Hauptcharakter zum nächsten katapultiert und auf viele falsche Pfade gelockt, doch von Anfang an bestechen die Figuren mit einem gewissen Charme und wirken lebendig und vielschichtig. Dabei schafft es Laura Resnick mit einem ungewöhnlichen Erzählstil, Informationen zu vermitteln und das Geschehen voranzutreiben: Der Großteil der Handlung spielt sich in gelungenen Dialogen oder aber Erinnerungen und Gedanken der Figuren ab. Es gibt kaum Action-Szenen, obwohl die Geschichte in schönster Robin-Hood-Manier erzählt, wie sich die Unterdrückten gegen ihre Herrscher zur Wehr setzen. Mächtige Feuer- und Wassermagie sind die phantastischen Zutaten, die diese Abenteuergeschichte würzen, aber selbst ohne diese wäre die einzigartige Welt der shallah und toreni schon überzeugend genug. Die spirituellen Untertöne machen neugierig auf den weiteren Verlauf der im noch im Hintergrund stattfindenden Ereignisse, bei denen Magie im Spiel ist. Locker vermittelt Resnick den dazu nötigen Hintergund des Landes und seiner Geschichte, immer durch die Augen und Erinnerungen seiner Bewohner.

Längen gibt es erstaunlicherweise trotz des dialoglastigen Stils nicht, man begleitet stets schnell liebgewonnene Figuren, die helfen, die vielschichtige Handlung anschaulich zu vermitteln, und ergründet langsam die Geheimnisse ihrer Vergangenheit. Die ungewöhnliche Welt und die einnehmenden Geschehnisse rund um die Rebellion sorgen dafür, dass man kaum bemerkt, dass im Grunde nur die klassische Geschichte vom prophezeiten Erlöser erzählt wird. Allerdings ist dieser Band lediglich ein Auftakt – man steht am Ende am Anfang einer Geschichte. Die beeindruckende Unmittelbarkeit, mit der erzählt wird, weckt ziemlich sicher den Wunsch nach dem Nachfolgeband – und hier ist der Haken: Das Original In Legend Born wurde in zwei Teile gesplittet und anschließend auf Deutsch nicht mehr fortgesetzt, so dass man nach dem zweiten deutschen Band auf Englisch umsatteln müsste, um die ganze Geschichte des Feuerbringers zu lesen.

Der Feuerthron von Diana WolrathMera lebt mit ihrer Mutter auf der blauen Insel Ilyndhir. Doch als die finsteren Gurrländer von der schwarzen Insel, die unter der Macht eines magischen Artefakts – des Feuerthrons – stehen, immer aggressiver vorgehen und die Inselwelt erobern, findet dieser Friede ein jähes Ende. Meras Ziehbruder Girdhan stammt von einer Insel, die dem schwarzen Reich zugeordnet wird. Als die gurrländische Flotte Ilyndhir angreift, wollen die Fischer und Kaufleute ihren Zorn an Girdhan auslassen, und Mera ist gezwungen, mit ihm zu fliehen. Die beiden fassen schließlich den Plan, den Feuerthron zu zerstören, um dessen dunklen Einfluß auf das Volk der Gurrländer zu brechen. Zum Glück entdeckt Mera ihre magischen Fähigkeiten.

-Hannez sah, wie der Knoten des Taus aufging, mit dem das Segel eben neu aufgezogen worden war, konnte aber nicht mehr tun, als “Vorsicht!” zu schreien.-
1

Was schon bei Tolkien funktioniert hat, kann so falsch nicht sein, und deshalb schicken Autoren allzu gerne kleingeratene (oder in diesem Fall kindliche) Helden auf geheimer Mission mitten hinein ins Feindesland, wo sie in einem aus allen Völkern buntgemischte Trüppchen das finstere Artefakt vernichten sollen. Dunkle Herrscher rechnen nicht mit solchen Kamikaze-Attacken und sind überhaupt schwer damit beschäftigt, ihre Eroberungsfeldzüge voranzutreiben, weswegen gewisse Erfolgschancen für die Eindringlinge existieren. Außerdem stehen den Helden im Fall von Der Feuerthron die ätherisch-unsterblichen Runländer etwas widerstrebend zur Seite und dürfen ein wenig erhaben-elbisches Flair verbreiten.
Nun muss aber unoriginell nicht unbedingt auch uninspiriert heißen, und die Verlegung der Geschichte auf ein im wahrsten Sinne des Wortes kunterbuntes Inselarchipel verspricht zunächst einmal viele Farbtupfer und mit den bodenständigen jungen Helden ein solides (Seefahrt-)Abenteuer mitsamt dem Abbau von Vorurteilen, wenn sich die Mannschaftsmitglieder verschiedenfarbiger Nationen wider Willen zusammenraufen müssen.
Eine Coming-of-Age-Geschichte will man Der Feuerthron, das erste (abgeschlossene) Abenteuer auf der Inselwelt Runia von Diana Wolrath (dem Jugendbuch-Pseudonym von Iny Klocke und Elmar Wohlrath) nicht einmal nennen, denn dazu bleibt der Roman thematisch zu unfokussiert und kommt nicht über die reine vordergründige Handlung hinaus, bei der das Erwachen magischer Kräfte in der Hauptfigur nur einer von vielen Aspekten ist.

Blaue, schwarze, violette, weiße, gelbe und grüne Nationen bevölkern das Archipel, ihre Kultur und ihr Charakter richten sich nach der Farbe des jeweils angebeteten Mondes und der diesem zugeordneten Gottheit. Und das war es dann auch schon mit dem Weltenbau – auf der Insel der Blauen ist vieles blau, Mitglieder aus Völkern, die einer Gegenfarbe angehören, streiten sich zwangsläufig, bestimmte Charaktereigenschaften sind mit Farben verbunden, und auch die Magie hängt direkt mit der Farbzugehörigkeit der Figuren zusammen.
Für eine plastische, lebendige Welt reicht es jedoch nicht aus, den Pinsel einmal tief in den Farbkasten zu tauchen und dann eine Runde Malen, pardon, Schreiben nach Zahlen zu veranstalten. Im weiteren Verlauf der Geschichte wird man der farbigen Motivationen und Erklärungen für Ereignisse schneller überdrüssig, als man „Gegenfarbe“ lesen kann.

Ähnlich geradlinig wie der Weltenbau wird auch die Handlung abgespult, die schwierigeren Themen wie etwa die Deportation von Flüchtlingen in Lager und die Suche der bedrängten blauen Nation nach einem Sündenbock werden lediglich angerissen, was aber in einem Jugendbuch, das auch mit dem Einsatz von stark stereotypen Figuren und einer sehr einfach gehaltenen Sprache wohl eher unerfahrene Leser ansprechen soll, soweit verständlich ist.
Wäre da nicht, nebst ein paar sprachlichen Schnitzern wie falsch verwendeten Konjunktionen, das Ende. Wer sich wirklich nicht ganz sicher ist, ob die jungen Helden es schaffen werden, den finsteren Herrscher zu vernichten, sollte sich den nächsten Absatz aufgrund von leichter Spoilergefahr sparen – und am besten gleich auf das ganze Buch verzichten, das mit einer moralisch schlicht unvertretbaren Lösung aufwartet:

Da erobert also ein Haufen Kinder das übermächtige, böse Artefakt namens Feuerthron, mit dem man Menschen manipulieren kann (z.B. dazu, gegen die restlichen Nationen einen Eroberungskrieg zu führen). Anders als dem Einen Ring kann man dem Feuerthron aber mit etwas Abrakadabra den “bösen Geist” austreiben; was bleibt, ist ein überaus mächtiges Artefakt. Und im fluffig-perfekten Schlusswort sitzen die Kinder auf dem Feuerthron und machen sich daran, das Insel-Archipel wieder in Ordnung zu bringen – und zwar mittels ‘sanfter’ Beeinflussung der Menschen durch die Macht des Artefakts, damit diese sich friedlich und geordnet dem Wiederaufbau widmen und auch ordentlich anpacken, wenn es was zu tun gibt. Und das alles ohne die leiseste Kritik oder Frage, ob so eine Beeinflussung der Massen im Sinne der Herrscher wirklich eine gute Idee ist.

Da staunt man nicht schlecht, wenn ein Jugendbuch so offen dafür eintritt, andere zu ihrem Glück zu zwingen, und es macht aus einem wenn auch nicht ganz durchschnittlichen, so doch sicher lesbaren Abenteuer ein Unding. Da werfen wir lieber noch einmal den Ring ins Feuer des Schicksalsberges …

Flammenbucht von Markolf HoffmannEs scheint, als werde der Kontinent Gharax innerhalb kürzester Zeit in Trümmer fallen, denn die Menschen haben den angreifenden Goldéi kaum etwas entgegenzusetzen. Im Gegenteil verfangen sie sich in ihren eigenen Intrigen – Bürgerkriege und Machtgerangel sind an der Tagesordnung. Die geheime Sekte der Mondjünger verfolgt ebenso wie die Priester der Kirche Tathrils eigene Pläne. Hinter alledem steht eine uralte Schuld und ein uralter Zwist, ein Geflecht aus Lügen, das keiner der Beteiligten zu durchschauen vermag. Im Mittelpunkt stehen die Quellen, die den Zauberern jahrhundertelang magische Macht verliehen haben, und um die nun ein langwieriger Kampf entbrennt.

-Ist jede Stadt, von Menschenhand errichtet, dem Untergang geweiht? Kündigt sich, wenn Stein auf Stein geschichtet und Balken auf Balken gezimmert wird, bereits die Stunde an, in der dieses Bauwerk sein gewaltsames Ende findet, in der ein Feuersturm die Mauern zermürbt und zum Einsturz bringt?-
Prolog

Als Markolf Hoffmann die LeserInnen nach Gharax zurückkehren lässt, ist das Zeitalter der Wandlung voll im Gange. Der direkte Einstieg in die komplexe Geschichte ist nach einer längeren Pause ein wenig haarig, wird aber von einem exzellenten Prolog versüßt, der einem schnell die Vergangenheits- und Gegenwarts-Handlung nahebringt. In dieser Erzählung darüber, wie Städte fielen und wie Städte fallen, treten bereits die beiden großen Stärken des Autors zutage: Das kunstvolle Verflechten einzelner Handlungsstränge zu einem größeren Ganzen und eine Sprache, die nicht vor Experimenten zurückscheut.
Es ist ein feines Gespinst, das Markolf Hoffmann hier präsentiert. Schnell bemerkt man, dass im ersten Band die Figuren lediglich ins Spiel gebracht und an ihren Platz manövriert wurden, und dass das Drama nun erst richtig in Fahrt kommt. Immer wieder gibt es Überraschungen, Ereignisse, die einander bedingen oder beeinflussen, ohne dass man es geahnt hätte, und die Flammenbucht weniger zu einer linearen Aneinanderreihung von Szenen als zu einem dicht verwobenen Gesamtkunstwerk machen, dessen Ausmaße und Wechselwirkungen dem Leser erst nach und nach bewusst werden.

Zusätzlich kann man auch noch auf der ganzen Länge des Buches in schöner Sprache schwelgen. Hoffmann erzählt teils sehr poetisch und in schönen Bildern – er verliert sich aber nie darin, so dass ein dichter Erzählstil und die Spannung erhalten bleiben. Obwohl viel älterer, ungebräuchlicher Wortschatz verwendet wird, klingt es niemals anachronistisch, sondern wirkt an einigen Stellen durchaus experimentell. Mit dieser Mischung meistert Hoffmann sowohl Kampf- als auch Liebesszenen und hat Zugang zu epischer Breite, aber auch schwankartiger Komik.
Dass man nun mitunter auch herzlich lachen kann, soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Das Zeitalter der Wandlung weiterhin eine kühle Distanz zu den LeserInnen wahrt. Mancher Protagonist offenbart im zweiten Band menschlichere Züge, aber auch Flammenbucht bleibt ein sprödes, nicht ganz ohne Mühen zugängliches Buch.

Falls nun der Eindruck entstanden ist, Flammenbucht wäre ein allzu vergeistigtes Vergnügen, kann allerdings Entwarnung gegeben werden. Bei aller Kunstfertigkeit und Experimentierfreude ist Markolf Hoffmann ein guter Geschichtenerzähler, der es versteht, Einzelschicksale mit den Fährnissen einer ganzen Welt zu verknüpfen. Es ergeben sich im Laufe der Handlung etliche Bilder vom großen Zusammenhang, und viel Spannung wird aus der Spekulation gezogen, was nun wirklich auf Gharax vor sich geht.

Flesh and Spirit von Carol BergValen, ein Magier, der seit Jahren seiner Familie und den Häschern entflieht, die entlaufene „Reinblütige“ jagen – wird nach einer Schlacht vor den Mauern des Klosters Gillarine schwer verletzt zurückgelassen. Die Mönche retten Valen und gewähren ihm Asyl. Valen verschweigt allerdings seine magischen Fähigkeiten und eine damit einhergehende Erkrankung, die ihn in eine Abhängigkeit von den Nivat-Samen getrieben hat. Der Krieg der drei Prinzen um das Land Navronne macht aber auch vor den Klostermauern nicht halt, und Valens Buch, das er von seinem Großvater geerbt hat und das ins Land der Engel führen soll, scheint dabei eine Rolle zu spielen.

-On my seventh birthday, my father swore, for the first of many times, that I would die face down in a cesspool.-
Chapter 1

Flesh and Spirit steht und fällt damit, ob man sich mit dem Protagonisten anfreunden kann oder nicht. Wie andere Romane von Berg ist es vor allem eine Charaktergeschichte, und Valen, Ich-Erzähler und unfreiwilliges Zentrum der Handlung, ist anfangs keine Identifikationsfigur und niemand, den man auf Anhieb mögen wird.
Anders als Seyonne (aus den Rai-Kirah-Romanen) oder Seri und Karon (aus der Bridge of D’Arnath-Reihe) ist Valen keinesfalls ein Held – und er entwickelt auch kaum heldenhafte Züge. Er ist ein Opportunist (anfangs auf eine liebenswert-lustige Art, später, wenn sein Opportunismus hauptsächlich auf seine von einem masochistischen Ritual geprägte Drogenabhängigkeit zielt, weniger einnehmend). Gegen Ende des Romans zeichnet sich ein Charakterwandel ab, aber nahezu auf der ganzen Strecke hat er neben seiner persönlichen Freiheit nur wenige Prinzipien. Valen ist zwar ein nachvollziehbarer, aber keinesfalls ein positiver Charakter. Nebenfiguren, die sich als Ersatz-Lieblinge anbieten, gibt es im ersten Band der Reihe nicht, was auch aus der wieder sehr gelungenen Ich-Perspektive resultiert.
Die Nebenfiguren sind abgesehen davon typisch für Berg (und daher möglicherweise auch leicht zu durchschauen): Wie in jedem ihrer bisherigen Romane gibt es wieder Böse, die sich als ganz nette Zeitgenossen entpuppen, und besonders gute und freundliche, die dann doch gar keine so edlen Motive haben. Leider hat das inzwischen einen stereotypen Charakter.

Sprachlich ist der Roman etwas elaborierter als Bergs bisheriges Werk, und sowohl sprachlich wie inhaltlich wird es gleichzeitig auch derber. Ob dies an „grim & gritty“-Trends anknüpfen soll oder ein Zugeständnis an die mondäne Natur des Erzählers ist, sei dahingestellt.
Die Welt, beschränkt auf Navronne bzw. seine drei Provinzen, ist nur angezeichnet. Sie ist deutlich ans Mittelalter angelehnt, und zwar ein Mittelalter, in dem düstere Prophezeiungen vom Ende der Welt, Kälte, Dunkelheit, Hunger, Pest sich bewahrheiten. Die Aurellian, von denen die Magier abstammen, und ihre Sprache (oftmals Latein-Derrivate) und Errungenschaften (z.B. Aquädukte) lassen diese Anlehnung noch deutlicher scheinen.
Vor allem das Klosterleben wird detailreich und kompetent geschildert, und da zu Beginn ein Mord hinter den Klostermauern das spannungstreibende Moment ist, kommt einem durchaus Der Name der Rose in den Sinn.

Der Endzeitaspekt gewinnt im Verlauf der Handlung immer mehr Gewicht und trägt zur Atmosphäre von Flesh and Spirit bei. Treibende Kräfte sind die Entfremdung des Menschen von der Natur (durch Städte und die Kultivierung des Landes) und eine kultische Gruppe, die eine pervertierte Naturordnung aufbauen will. Anfangs entwickeln sich die Dinge langsam – ein widerspenstiger Protagonist muss neugierig gemacht und ins Zentrum der Handlung geschoben werden. Hier sind das Klosterleben, das Einfügen des Protagonisten, sein Versteckspiel mit den Magierhäschern und die wenigen Puzzlestücke für die Hauptgeschichte die Motoren der Handlung. Später verschiebt sich die Spannung etwas auf das Schicksal Navronnes, allerdings bleiben immer Valens persönliche Fährnisse und sein drogenbedingt unzuverlässiger Charakter das mitreißendste Moment.
Nach und nach gewinnt die für einen Zweiteiler recht komplexe Geschichte Zugkraft. Nachdem die Handlung einmal ins Laufen gekommen ist, manövriert die Autorin ihren Protagonisten geschickt von einem Dilemma ins nächste.

Zumindest im Zusammenspiel mit den restlichen Berg-Veröffentlichungen lässt sich aber eine gewisse Vorhersehbarkeit nicht leugnen, und der von Sucht und Selbsthass zerfressene Valen aalt sich unerfreulich lange in seinem Elend. Wer eher an Abenteuer und Abwechslung interessiert ist, wird vielleicht enttäuscht sein, dass sich die Geschichte doch ganz auf Valens Schicksal konzentriert und seine Anteilnahme an der restlichen Welt über weite Teile des Romans nicht groß ist. Die zauberhaften Aspekte der Welt, die durchaus vorhanden sind, zeigen sich in Flesh and Spirit erst spät und nur in Ansätzen und kommen erst im zweiten Band Breath and Bone zur Entfaltung.

Das Flüstern zwischen den Zweigen von Markolf HoffmannDie acht Kurzgeschichten dieser Sammlung führen nicht selten in den Wald, immer in eine ferne Welt und Zeit, und ihren Heldinnen und Helden steht eine Begegnung mit dem Fremden und Unbehaglichen bevor: mit Dämonen, Elfen, Druiden und nicht zuletzt menschlichen Abgründen.

-Die Jagd liegt meiner Familie im Blut. Mein Urgroßvater, so steht es in den Chroniken, zog mit dem Speer durch die Wälder und erlegte Bären und Wölfe.-
Meine Jagd

Fantasy-Kurzgeschichten finden in den großen Verlagen so gut wie gar nicht statt und haben außerdem mit einer Menge Vorurteile zu kämpfen, die ihnen jegliche Wirkmacht absprechen, wenn sie sich erzählerisch nicht in epischer Breite entfalten können. Die Kurzgeschichten-Sammlung Das Flüstern zwischen den Zweigen ist dagegen nicht nur ein starkes Argument, sondern fährt auch sämtliche Tricks und Kniffe auf, um die Probleme, die bei klassischer Fantasy in kurzer Form vielleicht entstehen könnten, gar nicht erst aufkommen zu lassen.
An erster Stelle steht dabei ein sein Handwerk spürbar beherrschender Erzähler – Markolf Hoffmann, einer der wenigen deutschen Fantasy-Autoren, die man gut im Auge behalten sollte, präsentiert nicht nur dramaturgisch hervorragend konstruierte Geschichten, in denen kein Wort zu viel steht, sondern findet sich auch mühelos in die formal und stilistisch unterschiedlichen Herangehensweisen ein, am häufigsten in verschiedene Ich-Erzähler. Die Sprache ist dabei insgesamt ein wenig zurückgenommener als in Hoffmanns Zyklus Das Zeitalter der Wandlung, dafür gibt es jedoch großartige Sätze, von denen man bisweilen einen nach dem anderen als funkelnd-schönes Zitat markieren möchte.

Der thematische Schwerpunkt der Sammlung liegt auf dem Wald, und auch wenn sie hin und wieder von dort abschweift wie in den alles andere als romantisierten Räubermemoiren Am Strand, kreisen die Geschichten meistens doch um den Konflikt zwischen Natur und Kultur, die Ablösung von Altem, Lebensrhythmen und das Zurückdrängen des Ursprünglichen (das sich aber häufig ohne moralische Einordnung einfach als fremder erweist, nicht unbedingt als besser).
Damit stellt Hoffmann ein mindestens seit Tolkien bewährtes Fantasy-Narrativ auf den Kopf, das sogenannte “Thinning”, bei dem die Magie und das ursprüngliche Wesen der Welt schwinden und nur eine verminderte, profanere Realität zurückbleibt. Und dabei bleibt es nicht, denn Das Flüstern zwischen den Zweigen bedient sich etlicher vertrauter Motive und Strukturen, die in der düsteren, hoffnungslosen Welt, die das gemeinsame Setting der meisten enthaltenen Geschichten bildet, uminterpretiert werden.
Elfen, Faune, Feen, Dryaden und andere Waldbewohner stehen für die düstere, verrottende Seite des Waldes; harmlose Ausgangslagen, die jedem Rollenspieler wohlbekannt sein dürften, wie etwa die Schatzjagd, die in Die Kerker von Abîme führt, verkehren sich rasch in etwas Zwanghaftes und Ungewolltes. Die unvorhersehbaren Folgen des eigenen Handelns führen immer wieder in die Katastrophe, bei wohlmeinenden Aktionen wie in der hervorragenden titelgebenden Geschichte ebenso wie bei pragmatisch-egoistischen Ansätzen wie in der ebenfalls grandiosen Eröffnungserzählung Meine Jagd, was auch vordergründig moralisch überlegene gute Absichten auf bitterböse Weise entlarvt.

Positive Enden wird man hier eher nicht finden, Schweigen und Weitermachen ist vielleicht das Beste, was man erwarten kann – genauso wenig, wie “echte” Helden auftauchen, denn sogar diejenigen, die es in den Augen der Leser und Leserinnen vielleicht sein könnten, wie der naive, aber gutherzige Ludger, der in Feenholz eine richtige Entscheidung treffen möchte, werden letztlich nicht unbedingt belohnt.
Das finstere, von neu interpretierten alten Bekannten bewohnte Setting, das ein wenig an die Geralt-Geschichten von Andrzej Sapkowski erinnert, verweist auf eine unbekannte Vorzeit, in der der Mensch den Wald schon ein Stück weit verdrängt hat, aber auch auf Ruinen zurückbleibt – Das Flüstern zwischen den Zweigen ist also alles andere als Wohlfühl-Fantasy. Da Schaudern und Spannung stets gut Hand in Hand gehen, sollte das kein Hinderungsgrund sein, in die abwechslungsreichen Waldwelten Markolf Hoffmanns einzutauchen.

In seinem Vorwort zur Sammlung liefert Jakob Schmidt bereits einige analytische Ansätze, um sie dann gleich wieder abzuwehren, deshalb soll es nun auch bei einer letzten Beobachtung bleiben: Mit Fabelwesen, RPG-Zutaten und Motiven aus der Fantasy-Tradition, die aber stets weiterentwickelt und verändert werden, fügt Markolf Hoffmann in Das Flüstern zwischen den Zweigen dem (allzu?) Vertrauten wieder das Unbehagliche hinzu und erzählt Geschichten mit den äußeren Kennzeichen der klassischen Fantasy im Modus der Phantastik, denn der Schwerpunkt liegt auf dem Fremdheitsgefühl und dem Ausgesetztsein. Das ist ein effektiver Kniff, um der Fantasy Kürze angedeihen zu lassen, vor allem bei einem talentierten Erzähler wie Markolf Hoffmann.

Die Fuchsfrau von Kij JohnsonUnter einem verlassenen Herrenhaus lebt eine Fuchsfamilie. Aber eines Tages kehren die Besitzer des Hauses aus der Hauptstadt zurück – denn Kaya no Yoshifuji, der Hausherr, ist am Hof in Ungnade gefallen; auf dem Land hofft er, Frieden zu finden. Seine Frau Shikujo aber hasst die wilde Natur und das Leben fern der Stadt.
Eine Füchsin verliebt sich in Yoshifuji, obwohl alle anderen Füchse die Menschen fürchten, und sie setzt alles daran, ihn für sich zu gewinnen. Sie reißt ihre ganze Familie mit in den Strudel, um eine Magie zu üben, mit der ein Fuchs in einen Menschen verwandelt werden kann. Yoshifuji indessen entwickelt eine Art Besessenheit von den Füchsen, die seine Frau mit Sorge betrachtet …

-Tagebücher werden von Männern geführt: kräftige Pinselstriche auf glatten Blättern aus Maulbeerbaumpapier, die von einem Band zusammengehalten und in einem lackierten Kasten aufbewahrt werden.-
Kitsunes Tagebuch

Mit Die Fuchsfrau (The Fox Women) betört Kij Johnson ihre LeserInnen gleich auf mehreren Ebenen: Allein schon die Atmosphäre, die sie in ihrem Roman schafft, kann jeden verzaubern, der auch nur einen Hauch von Interesse an der Kulturgeschichte des historischen Japan hat. Unmittelbar davon inspiriert ist die Welt der Fuchsfrau, und Kij Johnson hat offensichtlich keine Mühen gescheut, um ein authentisches Bild dieser Zeit zu vermitteln – und das nicht nur auf dem handwerklichen Sektor, wofür Die Fuchsfrau im Tagebuchstil der Tradition der Kopfkissenbücher folgt, sondern auch auf der Ebene der Erzählung: Man wird in eine hochartifizielle Welt entführt, in der jede Geste, jeder Gegenstand, jedes Ereignis mit Bedeutung beladen ist. Für jeden der drei Protagonisten, aus deren Sicht abwechselnd erzählt wird, hat Johnson eine eigene Stimme gefunden. In den kurzen Abschnitten lesen sich auch Wiederholungen aus jeweils verschiedenen Sichtweisen mit Vergnügen, denn allein sprachlich ist der Roman schon ein Genuss, allerdings werden die Dinge trotz der lyrischen Qualitäten stets beim Namen genannt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Die simple Handlung besteht eigentlich nur aus einem nicht einmal sehr komplizierten Liebesmärchen, und man fühlt sich letztendlich an die Geschichten erinnert, in der schöne Männer in Elfenreiche entführt werden, denn die Füchse schaffen es mit ihrer Magie, die künstliche Lebenswelt der Menschen noch zu perfektionieren und zu übertreffen, mit Illusionen, die an den glamour der Elfen erinnern. Besonders die Szenen, in der die Realität durch den Schein hindurchschimmert, wissen zu faszinieren. Doch trotz ihrer magischen Begabung fürchten die Füchse, zu scheitern – obwohl Kitsune, wie sich die Füchsin als Mensch nennt, bereit ist, alles für ihre Liebe zu opfern. Das Verständnis von Poesie, den Füchsen fremd, steht dabei im Mittelpunkt und zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch.

Die Fuchsfrau ist der erste Band einer Trilogie, die mit Motiven der japanischen Mythologie spielt, und dabei nacheinander die Themen Liebe, Krieg und Tod verarbeiten soll. Vordergründig wird in diesem Band die Geschichte der Füchsin Kitsune erzählt, doch im Grunde geht es um (zwischen)menschliche Verwirrungen und die ganze Bandbreite von Gefühlen im Dunstkreis der Liebe, und um die Scheinwelten, die die Liebe und die Liebenden aufbauen. Kitschig wird es dabei niemals, wer aber von einem Happy End für zumindest einen der Protagonisten träumt, wird enttäuscht werden: Ganz konsequent mit der Entwicklung der Figurenist das Ende der Geschichte vollkommen offen.
Wer ein anspruchsvolles Märchen voll von Poesie und Exotik lesen will, das sich weitab von den Standardpfaden der Fantasy bewegt und einen tiefen Einblick in Kultur und Seele gibt, ist mit Die Fuchsfrau bestens beraten.

Der Geist des Speers von Alan Dean FosterIn der Nähe eines kleinen Küstendorfes werden die Leichen von hellhäutigen Fremden an den Strand gespült. Einer der Männer lebt noch und richtet seinen letzten Wunsch an den Dorfbewohner Etjole Ehomba: Eine Dame muss gerettet werden, eine Seherin, die von einem finsteren Zauberer entführt wurde. Etjole, der mit seiner Frau und seinen Kindern zufrieden als Hirte lebt, hat zwar kein großes Interesse an edlen Damen und abenteuerlichen Questen, doch für ihn ist es Ehrensache, den letzten Wunsch eines Sterbenden zu respektieren, und daher zieht er aus ins Ungewisse.

– Es geschah am Morgen nach dem sinnlichen zweiten Frühlingsmond von Telengarra, dem Vorboten des Frühlingsregens.-
I

Etjole Ehomba, der Hirte vom Volk der Naumkib, der ohne irgendein Eigeninteresse (sei es nun Gier, Abenteuerlust oder eine andere Art von Suche) nur aufgrund der letzten Worte eines Fremden Frau und Kinder zurücklässt und um die halbe Welt reist, um eine Seherin zu befreien, die ihm nichts bedeutet, hat sich einen ganz besonderen Platz in der Riege der unfreiwilligen Helden verdient. Auch im Angesicht der größten Gefahren und bezauberndsten Wunder der überbordend phantastischen Welt, die Alan Dean Foster in seiner Katechisten-Trilogie entwirft, bleibt er stets die Ruhe selbst (was nicht heißt, dass ihn die Umstände unbeeindruckt lassen, aber Etjole ist eher ein Mann stiller Freude) und zieht im richtigen Augenblick den richtigen Gegenstand aus seinem unerschöpflichen Repertoire an eigentlich ganz gewöhnlichen Reiseutensilien. Ist es nicht vernünftig, ein Säckchen Erde aus der Heimat mitzunehmen, um ihren Duft nicht zu vergessen? Oder den primitiven Jagdspeer, dessen Klinge aus dem Zahn eines ausgestorbenen Tieres besteht?
Etjole beharrt darauf, nicht mehr zu sein als ein einfacher Hirte, und schon gar kein Magier, auch wenn es der Leserschaft immer schwerer fällt, das zu glauben, genauso wie seinem späteren Reisegefährten, dem Schwertkämpfer Simna ibn Sind, der in allem Etjoles vollkommener Gegenpart ist – laut, geschwätzig, prahlerisch und immer zuallererst im eigenen Interesse (mehr Frauen, mehr Schätze, mehr Ruhm) unterwegs. Deus ex machina? Etjole hat sie zu Dutzenden in der Tasche.

Damit wird nicht nur klar, dass Leser und Leserinnen, die mit solchen Kniffen ein grundsätzliches Problem haben, mit Der Geist des Speers (Carnivores of Light and Darkness) wohl nicht glücklich werden, sondern vor allem, dass ein verwickelter Plot, bei dem man sich die Nägel abkaut, nicht das ist, was den Roman ausmacht. Er lebt vielmehr von seiner hochmagischen, prallbunten Welt, in der man mit Tieren sprechen kann, Kaninchen mit Riesenwuchs und Mauern mit Beinen auftreten und das Land Naturphänomene mit eigenem Bewusstsein hervorbringt. Das vage an Afrika angelehnte Setting ist erfreulich frei von problematischen Exotismen und bringt vielmehr durch überschäumenden Ideenreichtum das Phantastenherz dazu, schneller zu schlagen. Zwischen den Buchdeckeln von Der Geist des Speers macht man so viele umwerfende Entdeckungen, dass man sich angesichts der aktuellen Zurückgenommenheit (sprich: des Realismus) der epischen Fantasy nach Autoren und Autorinnen wie Alan Dean Foster sehnt, die Bizarres und Wunderbares wagen.
Die einfache Erzählstruktur kommt diesen Stärken entgegen: Der Geist des Speers ist eine episodenhafte Abenteuerreise, die sich über viele Hindernisse hinweg langsam auf ein fernes Ziel zubewegt, und jedes Kapitel enthält ein neues Abenteuer, bei denen nicht selten bekannte Märchen- und Sagenmotive anklingen. Alan Dean Foster scheut dabei auch nicht vor verspielten Experimenten zurück – ein Kapitel wird etwa komplett aus der Sicht eines Baumes erzählt und kann durchaus als skurriler Höhenflug des Genres gewertet werden.

Doch bei aller Schrulligkeit kippt der Roman eigentlich nie ins Alberne. Wie bei jedem guten Märchen steht hinter jedem Abenteuer auch eine Erkenntnis, und wenn Etjole vielleicht auch kein Magier ist, so ist er doch wenigstens ein Philosoph, denn obwohl er dem Muster des simplen Helden folgt, der durch sein unschuldiges, reines und einfaches Denken alle Ziele erreicht, stellt er immer die richtigen Fragen und versucht auch die absurdesten Probleme erst einmal auszudiskutieren.
Damit man bei so viel Gelassenheit und Einsicht nicht einschläft, müssen aber natürlich dennoch immer wieder die Schwerter gezogen werden, und Etjole kann sich in herrlichen Gesprächen an den Gefährten reiben, die er unterwegs aufsammelt – neben dem egoistischen Simna rettet er auch die große Katze Einlöward (im Original Ahlitah – und das ist nicht der einzige Eigenname, der sich beim Übersetzen ein wenig sperrt), die fortan etwas widerwillig, aber doch aus freien Stücken eine Lebensschuld bei Etjole abträgt.

Von Der Geist des Speers muss man sich in erster Linie überraschen lassen und sich darauf einlassen, dass der Roman von der ungewöhnlichen Hauptfigur und den Reiseabenteuern getragen wird – hier ist eindeutig der Weg das Ziel, und etwas anderes sollte man auch nicht erwarten, wenn man mit Genuss von Ameisen, die Geschenke bringen, engagierten Affenanführern und aufgeblasenen Winden lesen will – und einer Fantasy-Welt, in der man es mit Freundlichkeit und Beharrlichkeit weit bringen kann.

Ghosts in the Snow von Tamara Siler JonesDubric Byerly ist der 68jährige Kastellan der Burg Faldorrah, und als solchem obliegt ihm die Aufgabe, mit seinen Pagen und Knappen für Recht und Ordnung auf der Burg zu sorgen. Allerdings gibt es ein Geheimnis, um das niemand weiß: Dubric sieht die Geister ermordeter Menschen, bis er den Mörder zur Strecke gebracht hat.
Eines Morgens erscheint ihm die Gestalt eines grausam zugerichteten Milchmädchens, und sie bleibt nicht die einzige. Ein Frauenmörder scheint in Faldorrah eingefallen zu sein, der seine Opfer wahllos und brutal niedermetzelt. Während Dubric und seine Gehilfen verzweifelt nach Spuren suchen, macht sich vor allem in der Dienerschaft der Burg Angst breit, und die Gemeinschaft droht zu zerbrechen.

-Dubric Byerly, Castellan of Faldorrah, sat alone at a small table in the castle kitchen, his mangled breakfast congealing before him.-
Chapter I

Tamara Siler Jones hat ihre Geschichte vor allem um die Hauptfigur gewoben, den alten Burg-Kastellan Dubric, der gar nicht glücklich mit seinem Fluch und den daraus resultierenden Aufgaben ist. Diese an sich interessante Figur – in einem moderneren Setting wäre er der weltwunde und mit allen Wassern gewaschene Cop eines Polizeiromans – agiert in einer ungewöhnliche Mischung aus Psychothriller und Romantik-Kitsch: Auf einer Burg in einer klassisch-mittelalterlichen Fantasy-Welt soll eine Mordserie aufgeklärt werden, die grausam zugerichteten Leichen weisen Richtung Das Schweigen der Lämmer und sind garantiert nichts für zartbesaitete Seelen.
Der Kastellan bedient sich zur Lösung des Falls seiner Logik und den Möglichkeiten der in den Kinderschuhen steckenden Gerichtsmedizin, aber im Verlauf der Handlung auch der Magie. Letztere ist zwar in Faldorrah und Umgebung verboten, aber dennoch vorhanden; vor allem in Gestalt von magischen Artefakten ist sie recht atmosphärisch in die mittelalteriche Lebenswelt eingebunden.

Ghosts in the Snow setzt vor allem auf  Spannung, was auch gut gelingt, wenn jede Nacht ein Mord geschieht und Dubric vor einem Rätsel steht. In wechselnden Perspektiven blickt man neben den Hauptfiguren (Dubric und die Näherin Nella, die aufgrund ihres Geschlechtes und ihres Status bestens ins Beuteschema des Mörders passt) auch immer wieder Opfern und sogar dem Täter über die Schulter. Vor allem die eiskalten, winterlichen Szenen, in denen gekonnt mit Ängsten gespielt wird, wissen zu beeindrucken.
Ob als Gegenpol zu den Grausamkeiten oder zur vielleicht originellen, aber nicht ganz harmonischen Verschmelzung zweier Genres, die sich nicht unbedingt nahestehen, ist der Fantasy-Thriller mit einer zuckersüßen Liebesgeschichte angereichert: Risley, der verliebte, auf Faldorrah neu angereiste Lord, präsentiert sich nicht nur als Verdächtiger auf dem Silbertablett, sondern auch als ziemlich unglaubwürdiger Super-Mann – ein Muster an Galanterie, Heldenmut und Aufrichtigkeit. Zu schön, um wahr zu sein? Der Leser darf auf jeden Fall bis fast zur letzten Seite miträtseln.
Leider sind es etliche Seiten, die der pathetischen Liebesbeziehung zwischen Risley und Nella gewidmet werden. Ganz unwichtig für die Handlung sind sie nicht, aber die Szenen triefen zum Teil dermaßen vor Kitsch, dass man sich fragen muss, ob die Autorin das ernst meint, oder ob das Ganze noch ein erklärendes Nachspiel hat (was wir im Dienste der Spannung an dieser Stelle verschweigen …).

Auch bleiben leider die ebenfalls im Plot verbratenen Herrschaftsverhältnisse und Hintergründe der Welt etwas unklar, hier wären ein paar klärende Sätze oder eine Karte eine große Hilfe gewesen.
Dennoch kann Ghosts in the Snow solide unterhalten, neben nervenzerreißender Spannung bietet es einige schöne Figuren, deren Hintergründe sich erst im Laufe der Zeit eröffnen und die bis zum Ende des Romans an Tiefe gewinnen, und kann mit der Darstellung des Burglebens punkten – auch wenn es vermutlich nie so romantisch war …

Glass Dragons von Sean McMullenNach dem Untergang des Kontinents Torea machen Wetterschwankungen wichtige Schiffswege unpassierbar. Daher schließen sich mächtige Zauberer zusammen, um das magische Artefakt “Dragonwall” aufzubauen, das die Probleme in Griff bekommen kann (und nebenbei auch noch anderen Zwecken dient). Bald geht nicht nur den Beteiligten auf, dass damit ein schwer zu kontrollierendes Experiment angestoßen wurde. Zum Glück sind schon einige Helden unterwegs: Wallas ist ein kürzlich des Attentats beschuldigter Hofmusiker, der in erster Linie Frauen und ein sorgloses Leben im Kopf hat. Er trifft auf Andry, einen Seefahrer, der sein Heimweh in Alkohol ertränkt – gemeinsam stolpern sie in die Bemühungen zur Verhinderung von Dragonwall …

-Even though the streets of Alberin were being lashed by a rainstorm and the wind was so strong that one could not walk through the gusts in a straight line, the two men who emerged from the mansion were relieved to be outside again.-
Prologue

Ganz ähnlich wie schon im ersten Band der Moonworlds Saga schickt Sean McMullen seine Helden in den Kampf gegen ein außer Kontrolle geratenes magisches Artefakt, dessen Schöpfer an die weitreichenden Folgen ihrer Arbeit keinen Gedanken verschwendet haben. Auch die schwer durchschaubaren Loyalitäten der Helden und ihre teilweise über weite Strecken geheimen Aufträge erinnern an den Vorgänger – von daher betreffen herausragende Neuerungen die Helden selbst. Während wohlbekannte Charaktere aus Voyage of the Shadowmoon als durchaus wichtige Nebenfiguren noch etliche Auftritte erhalten, stellt eine Riege von neuen Protagonisten das Herz und die Seele von Glass Dragons, auch wenn sie ganz bestimmt nicht Herz und Seele sind: Der gutherzige Andry Tennoner, ein einfach gestrickter Seemann, der das Beste aus sich machen will (falls er einmal nüchtern ist) und der intrigante Hofmusiker Wallas, bei dem es ein Euphemismus wäre, ihn als Egoisten zu bezeichnen, sind ein klassisches Slapstick-Duo: Das Schicksal zwingt sie zusammen, und sie lassen keine Gelgenheit aus, sich anzukeifen, auszutricksen, zu schmähen und einander am Erfolg zu hindern.
Besonders in Andrys Entwicklung hat der Autor viel Herzblut gesteckt, und an ihm offenbart sich auch die Eigenheit der Reihe, die man vermutlich entweder hassen oder lieben wird: Andry ist eine realistische, liebevoll gezeichnete Figur mit einer herzzerreißenden Geschichte, die aber von einem Satz zum nächsten zwischen zu Tränen rührend und reinstem Slapstick unter der Gürtellinie pendeln kann. Die gute Nachricht ist, dass McMullen das erzählen kann, ohne der Geschichte ihren tieferen Ernst zu nehmen, aber dennoch ist es gewöhnungsbedürftig, wenn ab und an Beziehungen oder Figuren in einem halben Satz abwürgt werden, weil ein Knalleffekt oder eine Kehrtwendung in der Handlung höheren Stellenwert haben.

Des weiteren gelingt es McMullen, auf den gut 500 Seiten wirklich viel Stoff unterzubringen, was nicht zuletzt an Verral selbst liegt, einer Welt mit einem Überschuß an Magie und einer Vielzahl an Fraktionen und Interessengruppen. Wie man schon im Vorgänger lesen konnte, ist die Magie auf Verral meistens von der megalomanischen Sorte, und der Autor scheut nicht davor zurück, Katastrophen nicht nur anzudrohen, sondern auch hereinbrechen zu lassen. Auch hier stehen schon allein in ihrem Ausmaß äußerst kaltschnäuzige Szenen neben liebenswerten Einschüben, wie etwa der pratchettesken Geschichte der Prostituierten Madame Jilli, deren Ableben eine Diskussion unter diversen Schicksalsmächten auslöst und die daraufhin zu einer resoluten eigenen Macht gelangt. Diese eigenartige Mischung aus turbulenten Szenen und einfühlsamen Charakterbeschreibungen ist gewiss nicht jedermanns Sache.

McMullen unterhält mit alledem aber so hervorragend, dass erst am Ende auffällt, wie zerfahren seine Geschichte eigentlich ist – es wurde im Laufe von Glass Dragons niemals richtig entschieden, ob der Fokus eher auf der weltumspannenden Queste oder den Geschichten der Figuren liegen soll, und da McMullen beides umgesetzt hat, ist die Struktur nicht ganz glatt, dafür aber vielschichtig und überraschend.

Neue Charaktere mit offenen Entwicklungen für den nächsten Band stehen am Ende auch bereit, womit die Moonworlds Saga als Reihe von locker zusammenhängenden, spektakulären Einzelabenteuern in einem aberwitzigen Setting bestens etabliert wäre.

Godslayer von Jacqueline CareyDie Pläne des dunklen Herrschers Satoris, die Prophezeiung zu verhindern, die seinen Untergang vorhersagt, drohen zu scheitern: Der Träger des Wassers des Lebens, das Satoris’ Macht brechen kann, ist unterwegs zur Festung Darkhaven, und die Heere der freien Völker sammeln sich zum Angriff auf den verhassten Feind. Doch immer noch hat Satoris Cerelinde in seiner Gewalt, die Herrin der Ellylon, die, um die Prophezeiung zu erfüllen, Aracus, den Herrscher der Menschen des Westens, heiraten müßte. Satoris weigert sich, seine Gefangene zu töten, und so müssen seine Marschälle Tanaros, Ushahin und Vorax Darkhaven zur Verteidigung rüsten und die Heere der Fjelltrolle in den Krieg führen, die ihnen unterstehen …

-All things converge.
In the last Great Age of the Sundered World of Urulat, which was once called Uru-Alat after the World God that gave birth to it, they began to converge upon Darkhaven.-
One

Hält man Godslayer zum ersten Mal in der Hand, kommt man nicht umhin zu fragen, ob Jacqueline Carey es tatsächlich schafft, ihr Epos auf den vergleichsweise wenigen Seiten auch wirklich zu Ende zu erzählen – immerhin wird hier das mittels Prophezeiung erstellte Aufgebot gegen den dunklen Herrscher in die letzte Schlacht geschickt und ein Zeitalter beendet, in insgesamt nur zwei Bänden mit jeweils weniger als 500 Seiten: Das entspricht nicht den Gepflogenheiten der sonst eher zum Format Ziegelstein tendierenden epischen Fantasy.
Und bei diesem Kuriosum allein bleibt es nicht, denn wie schon im ersten Band werden beim Kampf der Guten gegen die allseits ausgewiesenen Bösen die den LeserInnen vertrauten Erzählmuster gehörig auf den Kopf gestellt, so dass man selbst mitentscheiden muss, was in Godslayer gut und was böse ist.
Satoris ist ein düsterer Herrscher, doch da man ihm über die Schulter schauen darf, wirkt der Hass, den ihm die freien Völker entgegenbringen, oft unverständlich. Einmal hat er gewagt, seinem Bruder, dem Schöpfer Haomane, zu widersprechen und dessen Entscheidungen in Zweifel zu ziehen, und schon darf er für allezeit das Böse der Welt repräsentieren und mit Verve niedergemacht werden. Doch auch die sogenannten freien Völker begleitet man auf ihrer Queste – selbstgerecht sind sie vielleicht, aber letzlich handeln sie nur so, wie es ihren Interessen dienlich scheint. All das verlangt der Leserschaft einiges an Eigeninitiative bei der Wahl der Sympathien ab, obwohl ganz in der Tradition der epischen Fantasy um das Wohl der Welt gekämpft wird.

Wie schon beim ersten Band ist die hauptsächliche Inspirationsquelle Careys Tolkien, dessen Weltentwurf mit den dahinterstehenden Ideologien sie aufgreift und aus einer anderen Perspektive die gleiche Geschichte anders erzählt. Das Spiel mit Themen und Zitaten aus dem Herrn der Ringe und dem Silmarillion ist daher mehr als nur eine reizvolle Spielerei, auch wenn etliches, wie etwa der Träger des Wassers des Lebens, der selbiges in die Festung des dunklen Herrschers bringen muss, um ihn zu schlagen, direkt übernommen scheint.
Unaufhaltsam strebt die Geschichte von der ersten Seite an ihrem Ende entgegen – und auch hier ist Carey ihren Vorbildern auf ganz eigene Art treu geblieben: In dem gelungenen Abschluss bleiben nur wenige Fäden offen, und wenn man  mit vielbändigen Fantasyzyklen mit ihren nicht tot zu kriegenden Stehauf-Bösewichten vertraut ist, wird man hier auf eine verblüffend konsequente Lösung stoßen.
Dass für die Seite der freien Völker alles ausgesprochen glatt läuft und die Prophezeiung wie am Schnürchen erfüllt wird, eher zum Leidwesen des Lesers, nimmt Godslayer zuweilen ein wenig den Wind aus den Segeln, denn zum Großteil hat die Autorin auch der Versuchung widerstanden, die Guten als die eigentlich Bösen darzustellen. So wenig man ihnen als Leser den Sieg wünscht, ihre Motive sind dennoch nachvollziehbar und nicht weniger ehrlich als die von Satoris.

Der epische Ton, den Carey mühelos anstimmt, verleiht der Welt Urulat eine tiefe Geschichtlichkeit, all ihren Bewohnern wird ein eigener Zauber zugestanden. Wer schon immer einmal leise in sich hineinschnüffeln wollte, wenn ein Fjell (hier das Pendant zum Ork) erschlagen wird, ist definitiv an der richtigen Adresse.
Vielleicht, wenn man ein nächstes Mal in eine epische Fantasy-Geschichte eintaucht, wird man sich nach der Lektüre von Godslayer hin und wieder fragen, ob der nächste dunkle Lord, der von seinem Thron gestoßen werden muss, nicht doch nur ein missverstandener Rebell ist.

The Guild of Xenolinguists von Sheila FinchAls die Menschheit entdeckt, dass es Aliens gibt, ist eine der ersten Prioritäten, die Sprachbarriere zu überwinden. Dazu wird die Gilde der Xenolinguisten ins Leben gerufen – und im Laufe der Zeit gewinnt sie an Bedeutung für die Zivilisationen des Universums, denn es stellt sich heraus, dass der menschliche Stimmapparat besser als alle anderen dafür ausgestattet ist, die Lautäußerungen unterschiedlicher Spezies zu erlernen. Als ›Lingsters‹ sind die Gildenmitglieder begehrte und teure Experten, die nicht selten an vorderster Front eingesetzt werden und mit dem Verständnis der Sprache auch zwischen den Kulturen vermitteln sollen. Doch all das hat einen Preis …

-He was drowning in sound, so many years of alien tongues – nasal, guttural, sibilant. The cacophony of language washed over him till he slid beneath its surface. He pressed tired fingers to his skull.
»Tomas. More sojyk?«-
Babel Interface

Sprachwissenschaftler und Dolmetscher als Helden des Tages! Endlich ein Zukunftsentwurf, in dem Philologen und Übersetzer nicht kurzerhand durch einen Translator in der Hand oder einen Fisch im Ohr ersetzt werden!
Das, so lernen wir von der Autorin Sheila Finch, natürlich selbst eine Linguistin, ist ohnehin die unwahrscheinlichste aller Wendungen. Die Idee hinter den Xenolinguisten fußt auf der Sapir-Whorf-Hypothese, also verkürzt gesagt der Annahme, dass unterschiedliche Sprachen zu unterschiedlichen Denkstrukturen führen, dass die Sprache das Denken bestimmt. Für die Gilde, die es mit den absurdesten Aliens zu tun hat, bedeutet das, dass das Verständnis der Sprache nur möglich wird, wenn auch ein Verständnis für ein fremdes Sein in der Welt vorhanden ist, und diese Bewusstseinsveränderung erreichen die Lingster über Drogen.
Haben sie sich dann aber einmal auf die fremde Denke und Sprache eingelassen, greifen die strikten Gildenregeln, die diesem empathischen Ansatz geradezu entgegenstehen und die Integrität der Gilde wahren sollen: Nicht von Emotionen leiten lassen! Weder den Sender noch die Botschaft moralisch beurteilen! Der Linguist ist lediglich der Kanal, durch den die Botschaft fließt!

Solche Regeln funktionieren in der Theorie hervorragend – in der Praxis allerdings … werden die besten Geschichten aus den Fällen, in denen diese Vorgaben an ihre Grenzen stoßen.
Und genau dort setzen auch die elf Geschichten an, die in The Guild of Xenolinguists versammelt sind. Der größte Teil davon ist zwischen 1988 und 2007 bereits in anderer Form erschienen – die Lingsters begleiten Sheila Finch schon eine ganze Weile. Für diese Sammlung wurden die Geschichten aus dem stetig wachsenden Lingster-Universum chronologisch angeordnet, nicht nach ihrem Erscheinungsdatum, so dass sich vor allem aus den ersten Kurzgeschichten eine grobe Gilden-Chronologie ergibt, ähnlich wie z.B. bei Clifford D. Simaks City.

Die Geschichten sind häufig Varianten des Human-Alien-Encounter-Themas, die moralischen Implikationen sorgen aber dafür, dass diesem alten Hut nichts Unschuldiges mehr innewohnt, auch wenn viele bewährte Rezepte anklingen. Trotz der Abgeklärtheit der meisten Protagonisten schimmert hin und wieder Entdeckerfreude durch, allerdings wird ein Lingster nur selten aus reinem Forscherdrang gerufen: In Communion of Minds ist es etwa eine wohlbekannte Notsituation (Gemetzel auf einer Forschungsstation mit einem Überlebenden), deren grusliger Ansatz überraschend aufgelöst wird. In No Brighter Glory, einer der besten Geschichten der Sammlung, ein kleines Problem, das einem wissenschaftlichen Experiment im Wege steht. Wie etliche andere spielt sie auf einer Wasserwelt, wodurch ein weiteres wohlbekanntes SF-Element ins Spiel kommt: Delfine und Wale als Sprachvermittler und in diesem Fall auch Lehrer für die Linguisten.

Sheila Finch benutzt in The Guild of Xenolinguists verschiedene Erzählformen und Perspektiven – nicht immer ist es ein Lingster, der das Geschehen vermittelt, es gibt auch eine biographisch anmutende Erzählung und eine Mission auf einem fremden Planeten, die an Shakespeares Der Sturm angelehnt ist und einen bezaubernden Protagonisten bietet, der einen neuen Blick auf die Gilde ermöglichst. So stehen auch längst nicht in allen Geschichten linguistische Theorie und Praxis im Mittelpunkt, manchmal ist die Gilde nur der Rahmen, in dem die Handlung stattfinden kann. Doch mit ihren spezifischen Talenten, ihrer exponierten Rolle und der Tatsache, dass Sprache und Kommunikation bei Konflikten jeder Art eine zentrale Rolle spielen, finden sich die Lingsters häufig an Orten wieder, wo die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit besteht, etwas Großes zu vollbringen.
Nur selten sind es junge, enthusiastische Gildenmitglieder, die vor dieser Entscheidung stehen, sondern eher müde, enttäuschte, desillusionierte Veteranen, für die sich die Verheißungen, die sie einst mit ihrer Berufung und der Gilde verbanden, nicht erfüllt haben. Sie möchten aufhören, hadern mit den Gildenregeln, bezahlen für ihr Talent häufig mit Drogenabhängigkeit, weil die Gilde die Last, die ihr heilige Neutralität zu vertreten, dem Einzelnen aufbürdet. Und von so manch einem fordert ihre Arbeit am Ende wirklich alles.

Auch wenn man fast schon geneigt ist, den Translator dann doch für die humanere Variante zu halten, lassen der Variantenreichtum, mit dem Finch das Thema darstellt, und die vielen Aspekte der Gilde das Gefühl eines wimmelnden, merkwürdigen und grenzenlosen Universums zurück, in dem die Lingster die Chance haben, einen Blick auf Wunderbares zu erhaschen.
Angst haben, dass ein von einer Linguistin geschriebenes Buch mit Linguistenhelden zu verkopft oder gar von Fachtermini oder komplizierten Zusammenhängen überflutet wird, braucht man übrigens nicht: Sprachlich ist es eher einfach gehalten, und sprachwissenschaftliche Theorien stehen abgesehen vielleicht von der Eröffnungsgeschichte First Was the Word eher als Prämisse im Raum, als thematisiert zu werden.
Nicht nur für Spezialisten also, auch wenn es vermutlich ein gewisses Interesse an Geschichten abseits des Mainstreams braucht, um diese feine Sammlung ins Regal aufzunehmen.

Gute Drachen sind rar von J. R. R. TolkienDieser kleine Sammelband enthält drei Aufsätze bzw. verschriftlichte Vorträge von J. R. R. Tolkien: Ein heimliches Laster über die Leidenschaft für erfundene Sprachen, Über Märchen über Kunst und Unsitten des Märchenerzählens (oder, moderner formuliert, darüber, wie gute Fantasy auszusehen hat), und Beowulf: Die Ungeheuer und ihre Kritiker über Tolkiens Einwände gegen die zeitgemäßen Beowulf-Interpretationen und seine Darlegung der Stärken des Versepos.

-Manche von Ihnen haben vielleicht von einem Kongreß gehört, der vor etwas über einem Jahr in Oxford stattgefunden hat, einem Esperanto-Kongreß; oder vielleicht haben Sie auch nichts davon gehört.-
Ein heimliches Laster

Gute Drachen sind rar enthält drei der fünf Aufsätze aus der älteren (und längst nicht mehr lieferbaren) Sammlung Die Ungeheuer und ihre Kritiker. Zwei der drei Aufsätze, Über Märchen und Ein heimliches Laster, betreffen unmittelbar Aspekte von Tolkiens Werk und seiner Auffassung von Fantasy, während der Beowulf-Aufsatz aufzeigt, welche Motive Tolkien an der Heldendichtung geschätzt hat, und einen – falls man hier überhaupt groß trennen kann – direkteren Bezug zu seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als zu seiner Schriftstellerei aufweist.
Konkrete bibliographische Angaben zu den Texten fehlen in dieser Ausgabe leider – um zu erfahren, wann die einzelnen Aufsätze erstmals erschienen sind, muss man den inhaltlich fehlerbehafteten Klappentext bemühen. Hinweise darauf, in welchem Zusammenhang und in welcher Form sie ursprünglich erschienen sind und wie sie evtl. überarbeitet wurden, sucht man fast immer vergeblich – das ist gerade für ein sekundärwissenschaftliches Werk etwas mager.

Auf das heimliche Laster, das Erfinden von Sprachen, geht Tolkien auf liebenswerte Weise peinlich berührt, aber dennoch mit spürbarem Missionarswillen und Begeisterung ein, in dem Wissen, dass die Interessengruppe für diese als eine Art elitäres Hobby präsentierte Beschäftigung eher klein ausfällt. Autobiographisches vermischt sich in diesem Aufsatz mit kulturhistorischen und gesellschaftlichen Details und Gedanken zum Spracherwerb des Individuums und der Menschheit. Dabei geht es logischerweise manchmal linguistisch ins Detail, bleibt allerdings größtenteils trotzdem auf einem allgemeinverständlichen Niveau.
Als höchste Kunst – und hier sind dann auch die Bezüge zu Tolkiens Werk und dessen Genese am deutlichsten – wird das Dichten in erfundenen Sprachen gepriesen (und mit Beispielen belegt). Spätestens hier zeigt sich, dass es bei Tolkiens Sprachen um weit mehr ging als um das Erfinden einiger ‘passender’ Wörter und eines weltschöpferischen Hintergrunds.
Mehrfach lässt sich die Querverbindung zur Mythologie über Verweise auf die Heldendichtung herstellen; die Dichtkunst wird einerseits als eigene Kunstform des sprachlichen Wohlklangs etabliert, andererseits als mythenbildende Gattung.

Über Märchen ist ein Rundumschlag zur Auseinandersetzung mit Märchenstoffen und dem Verfassen von Märchen, den man als eine frühe Streitschrift für die Fantasy lesen kann, die gleichzeitig dem entstehenden Genre eigene (laut Tolkien tradierte) Regeln zuweisen will. Es geht um nichts weniger als die Rehabilitierung der literarischen Form des Märchens für Erwachsene, da sie in Großbritannien (ebenso wie in Deutschland durch die Brüder Grimm) zur Kindergattung degradiert worden war.
Tolkien plädiert eloquent, gelehrt und mitunter auf charmante Weise für seine Faibles und sein Verständnis der Materie, wird dabei nie zu wissenschaftlich, gibt aber durchaus einen Überblick über die Märchenrezeption seiner Zeit. Sein prägender Einfluss auf die Fantasy-Literatur gibt seinen Thesen Recht – sein Zugang zum Märchen, zu den ‘elbischen Geschichten’, spricht bis heute Leser an und animiert Nachahmer.
In Über Märchen findet sich auch Tolkiens berühmtes Zitat, in dem er dem Eskapismus-Vorwurf an die Fantasy widerspricht, und außerdem eine erstaunlich modern wirkende Kritik an literarischen Extremen aufgrund einer ‘Originalitätssucht’ der Autoren. Neben seinen Vorbehalten gegenüber Volkskundlern, Märchenverächtern und infantilisierenden oder grellen Tendenzen beim Märchen spricht auch seine Ablehnung gegen die sich zu seiner Zeit rapide verändernde Umwelt und den Fortschritt aus dem Text, und nicht zuletzt seine oft auf christlicher Moral fußende Argumentation – in letzter Instanz steht bei ihm immer ein Schöpfergott und die Dinge sind zugedacht.

Der letzte Text der Sammlung, Die Ungeheuer und ihre Kritiker, ist am wenigsten zugänglich und eher für Kenner altenglischer Literatur oder LeserInnen geeignet, die etwas über Tolkiens Zugang dazu erfahren wollen (was natürlich Rückschlüsse auf sein literarisches Werk zulässt): Tolkien breitet sich über die zu seiner Zeit gängigen Lehrmeinungen zu Beowulf aus und lässt kaum ein gutes Haar daran, im Kern geht es wiederum um das Verschmähen des Phantastischen durch die Kritiker, was Tolkien für einen großen Fehler hält. Dabei dringt man ein Stück weit in Details und Textbeispiele vor, und nicht für alle altenglischen Zitate ist eine Übersetzung angegeben.

Gute Drachen sind rar ist auch heute noch als Streitschrift für das Phantastische zu lesen, als Schuss vor den Bug der Kritiker – aber vor allem als Streitschrift für Tolkiens Form der Phantastik, für seinen spezifischen Umgang mit Märchen und Mythen, mit Ungeheuern und Sprache, mit Elben und Sekundärschöpfung. Das mag heute antiquiert und teilweise überholt wirken – zumal sich inzwischen etliche verschiedene Traditionen der Phantastik etabliert haben – doch Grundlagen hat Tolkien mit seinem Zugang zweifellos geschaffen und einige Wahrheiten erkannt, die ihre Gültigkeit nicht verloren haben. Die eigenwilligeren Thesen, bei denen man als LeserIn nicht unbedingt mitgehen mag, taugen immerhin zum Verständnis des Phänomens Tolkien.

Heldenwinter von Jonas WolfDer Halbling Namakan ist das älteste von etlichen Ziehkindern des Menschenpärchens Lodaja und Dalarr, die zurückgezogen in den Immergrünen Almen leben. Als Namakan mit Dalarr, einem Schmiedemeister, von der Suche nach seltenen Erzen zurückkehrt, sind die gefürchteten Skra Gul, Krieger in Weiß aus dem fernen Tristborn, eingefallen und haben ein Gemetzel angerichtet. Dalarr legt einen Racheeid ab, und Namakan folgt seinem Ziehvater und Meister, um einen König zu töten.

-In einer Stimme dunkel und kräftig wie Paukenschläge hob Dalarr zu einer Melodie an, die in Namakans Kopf Bilder von trostlosen Weiten und sich in ferne Meere wälzenden Strömen heraufbeschwor.-
1

Heldenwinter – das klingt ein wenig nach wagnerianischem Pathos, nach einem harten Einzelkämpfer, der seine beste Zeit schon hinter sich hat, nach Schneegestöber und grauen Haaren; und so, als hätte der Einworttitel-Generator für Fantasyromane ein besonders wohltönendes Ergebnis ausgegeben, klingt es auch.
An all diesen Assoziationen ist etwas Wahres dran. Der erste Roman von Jonas Wolfs Skaldat-Reihe aus locker verbundenen Einzelabenteuern beginnt klassisch mit einem Racheschwur. Die beiden Helden Dalarr und Namakan, nicht nur in der Statur als Mensch und Halbling höchstverschieden, sondern auch in Gemüt und Lebenserfahrung, ziehen auf diese Queste aus, zwischen ihnen und dem Ziel steht ein langer Reiseweg voller Abenteuer, neuer Gefährten, mächtiger Waffen und unerwarteter Entdeckungen. Damit fällt Heldenwinter in die Sparte epischer Fantasy, die in letzter Zeit ein wenig selten geworden ist. Die im ausführlichen Nachwort genannten Vorbilder Tolkien und Howard (inclusive Film-Conan) finden sich in den Figuren, der Welt und der Handlung vielfach zitiert, von der augenzwinkernden Anspielung bis hin zur unverhohlenen Inspirationsquelle.
Deshalb verwundert es nicht, dass in der Weltschöpfung das ganze Repertoire klassischer Fantasy auftaucht. Elfen, Zwerge, Reiternomaden und Riesenraubvögel, um nur einige zu nennen, bekommen allerdings durch einen kleinen Dreh hier und da einen eigenständigen Anstrich, ohne dass die Wurzeln gekappt würden, und das Ensemble wird durch eigene, durchaus gelungene Ideen ergänzt.
Glanzpunkt der Figurenriege, die im Großen und Ganzen der Regel “mindestens einer aus jedem Volk und Metier” folgt, ist die Hexe Morritbi, die über ihre Nebenrolle als Love interest des Protagonisten schnell hinauswächst und zu einer erfreulich unkonventionellen Frauenfigur wird.

Auch erzählerisch folgt Heldenwinter den klassischen Questenpfaden: einer an sich einfachen, geradlinigen Handlung, die ganz dem einleitenden Eid gewidmet ist. Die Fantasy-Tradition allerdings, von den Figuren selbst immer wieder Geschichten aus der Vergangenheit und dem Hintergrund der Welt erzählen zu lassen, wird bei Jonas Wolf zu einem zentralen Handlungselement. Die Gegenwartshandlung, die voller Rätsel ist, offenbart sich erst, wenn man die einzelnen Mosaiksteinchen der Vergangenheit kennt und zusammensetzt, wenn man in den vielen kleinen Geschichten die eine große sieht. Fast jede Figur trägt Geheimnisse mit sich herum, die mal mehr, mal weniger schnell offenbart werden. Die Fragen der Herkunft, der Zugehörigkeit und der Stimmigkeit des gewählten Lebensentwurfs stehen im Mittelpunkt. Zu diesem Thema setzt vor allem der verschmitzte Epilog einen schönen Kontrapunkt zu den sonst doch recht erwartungsgemäßen Abläufen.
Der dicke rote Faden, der sich eigentlich sehr prägnant durch den Roman zieht, weist durch diese Geschichten in der Geschichte einige Schlingen auf, obwohl er sich nie in mehrere Stränge teilt.
Trotzdem erweist sich Jonas Wolf als erfahrener, solider Erzähler, bei dem auch die verschiedenen Erzählebenen flüssig gewechselt werden. Die einzelnen Kapitel sind relativ in sich geschlossen, sie enthalten häufig ein Sub-Abenteuer oder sind auf eine Hintergrundgeschichte fokussiert, die eine eigene Struktur hat, und wenn allzu lange am Lagerfeuer gesessen und erzählt wird, kann man sich darauf verlassen, dass der nächste Kampf nicht auf sich warten lässt.
Die leisen kritischen Untertöne an der Rachemission gegen König Arvid, die im Laufe der Queste anklingen, fallen allerdings im Zuge der zielstrebigen Auflösung des Konflikts unter den Tisch – eine verschenkte Gelegenheit, der Frage nachzugehen, wie das Wohl des Einzelnen und das Wohl von Vielen gegeneinander abzuwägen sind. Der Fokus von Heldenwinter liegt allerdings auch an keinem anderen Punkt auf den tiefergehenden Themen, sondern bleibt vor allem auf der Abenteuerhandlung.

Die unterschiedlichen Erzählebenen meistert Jonas Wolf stilsicher: eine Geschichte des derben Schmiedes Dalarr klingt anders als eine der ehemaligen Klosterschülerin Ammorna. Alle gemein haben sie allerdings einen nicht zu überlesenden Hang zu blumigen Begriffen für alles, was sich unter der Gürtellinie abspielt.
Aus dem sonst unauffällig-flüssigen Stil stechen die Aphorismen in den Kapiteleinleitungen hervor, aber auch die Lieder, die (mitsamt einer altnordischen Version) im Text wiedergegeben sind, und sorgen für das Ambiente einer lebenden Welt.
Dieser Eindruck verfestigt sich jedoch im eigentlichen Erzähltext nicht, dort wirkt die Welt ein wenig dünn. Nur an wenigen Stellen lässt sich ein größeres Ganzes erahnen oder kommt das Gefühl auf, nur einen Bruchteil der Wunder gesehen zu haben, die die Welt des Skaldat bietet, und auch der Eindruck einer “alten” Welt mit eigener Geschichte will sich nicht recht einstellen. Zu zweckmäßig sind dazu alle erzählten Binnengeschichten in die Haupthandlung eingebunden, und es gibt nicht viel, was über das Erzählte hinausreicht.
Trotz der Anspielungen auf Klassiker und der Betonung des Geschichtenerzählens entsteht dadurch der Eindruck einer kompakten, aber etwas schnörkellosen Geschichte, was auch daran liegen mag, dass Heldenwinter mit einer Tradition der epischen Fantasy bricht: Nach einem Band ist es zu Ende erzählt, und es führen auch keine einzelnen Fäden mehr in eine Fortsetzung hinein.

Heroes Die von Matthew Woodring StoverMillionen von Zuschauern sind dabei, wenn der Schauspieler Hari Michaelson seine Rolle “Caine” spielt, einen grimmigen, brutalen Kämpfer, der in die andere Welt Overworld – einen Planeten mit feudalen Strukturen und Fantasy-Völkern – befördert wird und dort seine Abenteuer erlebt. Auf Overworld allerdings weiß kaum einer, daß er zum Setting der irdischen Unterhaltungsindustrie gehört.
Auf der Erde lebt Hari in einem unterdrückenden Kastensystem; und als seine Frau, ebenfalls eine Schauspielerin, auf Overworld vermißt wird, hat das Studio endlich ein Druckmittel in der Hand, mit dem es Caine zu seinem größten Abenteuer zwingen kann: Er darf seine geliebte Frau retten, wenn er ein ungeheuerliches Attentat begeht. Zähneknirschend wetzt Caine die Messer …

-With my hand on the doorjamb, some buried-alive instinct thumps within my chest: this is going to hurt.-
Prologue, 1

Heroes Die ist ein düsteres Heldenepos, das ganz der Figur Haris/Caines gewidmet ist, einem egoistischem Haudrauf, der zwischen seiner unterdrückten Existenz als Hari und seinem überragenden Helden-Alter-Ego Caine gefangen ist, einem Charakter, der mit seiner äußerst aufdringlich-virilen Präsenz zwar nicht gleich sympathisch ist, aber von der ersten Seite an mitzureißen vermag.
Man findet sich auf einer Erde der nahen Zukunft wieder, mit einem rigiden Kastensystem, in dem Privilegierte sich die Zeit damit vertreiben, Schauspielern zuzusehen, sogar ihre Rollen zu verkörpern, wenn diese auf der dank fortgeschrittener Technik erreichbaren Welt Overworld Abenteuer erleben, und zwar nicht die kuschelige Sorte aus dem Kinderfernsehen, sondern die blutdurchtränkte Realität einer feudalen Welt, in der das Faustrecht herrscht. Diese Gewalt kommt auch ungefiltert beim Leser an, und dadurch werden nicht nur die Kampfszenen schön realistisch, sondern auch die letzte Mahlzeit im Magen rebellisch. Der Brutalitätsfaktor schwingt sich in diesem Roman in ungeahnte Höhen auf, und fast könnte man glauben, die Gewalt sei ein reiner Selbstzweck, ein voyeuristischer Aufsehens-Erreger.
Aber die Anwendung und Instrumentalisierung von Gewalt ist auch ein zentrales Motiv der Handlung: Stover stellt eine Gesellschaft dar, die an ihren größten Stars schätzt, daß man durch ihre Augen brutalste Tötungen erleben kann – in der vielleicht nur vordergründig archaischeren Gesellschaft auf Overworld, in der Gewalt das vornehmliche Machtmittel ist (verkörpert in dem in jeder Hinsicht gewaltigen und gewalttätigen Herrscher Mael’Koth) – und er stellt nicht zuletzt die Frage, zu welchen Zwecken Gewalt eingesetzt wird und wie sie im Menschen, vor allem seinem Helden Caine, verankert ist. Dennoch gibt es gerade in der ersten Hälfte des Buches Szenen, deren Sinn bzw. deren Härte man hinterfragen muß, und Caine erscheint anfangs als roher Typ, der nach seinen “Helden”taten auch noch witzige Sprüche auf den Lippen hat. Konsequenterweise geht die Gewalt in der zweiten Hälfte des Romans auch deutlich zurück, als Hari immer mehr mit seiner Rolle Caine interagiert.

Overworld, ein äußerlich relativ gewöhnliches Fantasy-Setting, in dem Stover auch Elfen und Zwerge untergebracht hat, wird in all seinem Dreck und seiner Brutaltität gezeigt – Szenen voller Helden-Pathos schließt das zwar absolut nicht aus, und die Ereignisse im Fantasy-Kontext können sich in der Größenordnung durchaus mit den Highlights der Sword & Sorcery messen, aber Caines zynisch-egoistische Art erdet jegliche Hochstimmung recht schnell wieder.
Overworld selbst erscheint im Vergleich zu anderen Settings etwas blaß, ebenso die meisten Charatkere abseits von Caine – allerdings sind es meist universelle Archetypen, so daß man die Lücken leicht selbst füllen kann. Und sie erfüllen innerhalb des Roman-Kosmos’ vornehmlich die Aufgabe der Kulisse und der Statistenrollen – nur eine Ebene, auf der Text- und Leserrealität sich überlappen.

Die Beziehungen zwischen Overworld und der Erde sind vielschichtiger, als es den Anschein hat, und ein idealer Ausgangspunkt für Caines verschachtelte Pläne, um das Unmögliche, das das Studio von ihm verlangt, umzusetzen. Entsprechend clever ist auch die Auflösung, und über die Handlung hinweg verteilen sich etliche Dreh- und Angelpunkte, an denen sich wieder neue Blickwinkel einstellen. Dazu trägt auch der überlegte Einsatz verschiedener Erzählperspektiven bei: Caine zum Beispiel berichtet in der Ich-Perspektive, wenn er “auf Sendung” ist und man ihm wie seine Zuschauer über die Schulter blickt, und die Perspektive schwenkt zwischenzeitlich auch zu einer Hand voll weiterer Protagonisten des Abenteuers. Dies macht sich Stover mitunter für den Spannungsaufbau zunutze und enthält dem Leser mit distanzierteren Perspektiven  Informationen vor.

In die actionreiche Handlung sind eine Reihe moralischer Spielereien und Fragen eingebettet, die allerdings nicht für den Leser beantwortet werden, sondern nur für den eingeschränkten und nicht gerade moralisch integren Standpunkt der Charaktere, und selbst da bleiben viele Fragezeichen stehen. Noch unbequemer wird es, wenn der Leser selbst angesprochen und als Zuschauer – die treibende Kraft hinter Caine – in sein Abenteuer mit einbezogen wird.
Auf dem schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Anspruch bleibt Stover dabei auf der ganzen Strecke der Handlung sehr sicher, aber es ist in keiner Weise ein Sandkastenspaziergang.
Wenn man die Brutalität auf sich nehmen will, ist Heroes Die eine absolute Empfehlung, ein vielschichtiger, verschachtelter Roman, der neben jeder Menge Action und interessanten Ideen auch einen erstaunlich gefühlvollen Blick auf Zwischenmenschliches erlaubt.

Herr Apropos von Nichten von Peter DavidApropos ist das Produkt der Vergewaltigung seiner Mutter durch einen der angeblich ach so edlen Ritter, und er hasst den in seinen Augen verlogenen Stand aus ganzem Herzen. Er wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, und da er ein verkrüppeltes Bein hat, ist es meistens seine spitze Zunge, die ihn aus brenzligen Situationen befreit. Aber körperliche Gebrechen und niedere Geburt hindern ihn nicht daran, über viele Umwege dennoch zum Knappen aufzusteigen und letztendlich von König Runzibel für eine besondere Mission ausgewählt zu werden – insgeheim ist er aber immer auf der Suche nach seinem unbekannten Vater und nach Rache für seine Mutter.

-Wie ich so mit dem Schwert in der Hand da stand und es von der Klinge nur so tropfte, fragte ich mich doch, ob dieses Blut wirklich von meinem Vater stammte.-
Kapitel eins

Peter David lässt in diesem Anti-Ritter-und-Questen-Roman Herrn Apropos selbst seine Abenteuer schildern, dessen spitze Zunge aber letztlich nicht so spitz ist, wie ständig beteuert wird – aber über den ein oder anderen Witz kann man durchaus schmunzeln. Die klassische Ritterwelt wird dabei recht respektlos durch den Kakao gezogen, wobei sich der Autor immer einer leicht anachronistischen Sprache bedient und gerade eben die Kurve kriegt, nicht zu flapsig zu werden. Immerhin gibt Apropos selbst zu, dass er manchmal ganz schöne Kalauer hinlegt.
Einige der (auch im Original oftmals mauen) Sprachwitze, wie etwa Apropos’ Namensgebung, gehen im Deutsch ein wenig verloren, andere sind aber äußerst pfiffig gelöst.

Zunächst wird der Werdegang des Apropos in Rückblenden erzählt, was an dieser Stelle vielleicht ein etwas langer Ausflug abseits der Haupthandlung ist, der sich allerdings im weiteren Verlauf noch auszahlt. Wir lernen einen feigen und egoistischen Protagonisten kennen, der auch seinen besten Freund für seine guten Taten verachtet und hauptsächlich vom (mit seinen Zeugungsumständen verbundenen) Hass auf den Ritterstand getrieben wird.
Apropos’ Weg zum Knappen ist zwar ungewöhnlich, aber dennoch vorhersehbar, und auch als Knappe erlebt er typische Ritterabenteuer: Turniere, Schäferstündchen mit holden Maiden und derlei mehr. Apropos holde Maiden: Vor allem zu Beginn des Romans kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Autor das weibliche Geschlecht im Allgemeinen für geistig minderbemittelt hält, und es gibt eigentlich im ganzen Buch auch nur eine Ausnahme (und die ist ebenfalls fragwürdig). Ja, ein lustiger Ritterroman braucht vielleicht Klischees, aber muss dazu wirklich nahezu jede auftretende Frau ein williges Dummerchen sein? Die Schenkelklopfer ziehen den ohnehin lauen Humor des Romans auf ein wahrhaft unterirdisches Niveau.

Ungefähr zur Hälfte des Romans beginnt dann Apropos’ große Aufgabe und Peter David macht nahezu eine Kehrtwendung von einer selten wirklich witzigen Parodie zu einem klassischen Abenteuer mit vielen überraschenden Wendungen. Es bleibt zwar nach wie vor komisch, aber Apropos wandelt sich vom eher unsympathischen, egoistischen und feigen Tropf zu jemandem, der immerhin hin und wieder eine gute Tat in Betracht zieht. Allerdings gibt es zum Ende hin zweimal einen sehr harten und ungemütlichen Aufprall auf Tatsachen, die sich in einem ernsteren Buch besser gemacht hätten und so gar nicht zur locker flockigen Umgebung passen wollen (König Meanders Geschichte und der eigentliche Clou am Ende des Buches).
Bei allen liebenswerten Figuren, die mitunter am Rande des Weges auftauchen, und den hin und wieder gelungenen Lachern bleibt Herr Apropos von Nichten damit irgendwo zwischen Parodie und Antiheldenreise stecken.

Hieros Reise von Sterling E. LanierHiero ist ein Priester, zum Kampf körperlicher und geistiger Art trainiert, der die kaum mehr wiederzuerkennende Welt tausende von Jahren nach dem “Tod”, der atomaren Zerstörung,  bereist. Gefährlich mutierte – intelligent gewordene – Tiere durchstreifen die riesigen Wälder, und die Menschen leben zurückgedrängt in kleine Siedlungen. Die größte Gefahr jedoch geht von der Schwarzen Bruderschaft aus, mutierten Menschen, die sich den Rest der Menschheit untertan machen wollen.
Hiero wurde zusammen mit seinem klugen Reittier, dem Elch Klootz, aus seiner Abtei ausgesandt, um längst vergessene Hilfsmittel der früheren Zivilisation zu suchen, die den Kampf gegen die Schwarze Bruderschaft erleichtern sollen.

-Computersucher, dachte Hiero. Das klingt interessant und wichtig. Aber, fügte der pessimistische Teil seines Ich sogleich hinzu, auch ziemlich unverständlich, vorläufig wenigstens.-
1 Das Zeichen des Angelhakens

Das Horrorszenario des Atomkriegs liegt in Hieros Reise schon eine ganze Weile zurück, hat aber aufgrund der veränderten, gefährlichen Welt und des sichtbaren Niedergangs der Menschheit seinen Schrecken nicht verloren. Sterling E. Lanier ist es in seiner Endzeit-Heldenreise (wobei der Gleichklang hero-Hiero im Original natürlich naheliegender ist) gelungen, eine faszinierende, wieder-verwilderte Natur darzustellen, gegen die der Mensch kaum bestehen kann. Die Schauplätze sind riesige Wälder, Moore, Uferlandschaften und ab und zu eine versunkene Stadt. Die Wesen, denen Hiero begegnet, sind meistens monströs und darauf aus, den Helden aufzufressen oder ihm sonstwie zu schaden.
Die meisten Bewohner dieser menschenfeindlichen Umwelt sind “Standard-Mutanten”, denen heute eine leichte Staub-Patina anhaftet, allerdings gibt es ein paar originelle und sehr gelungene Ausnahmen, die Laniers Szenario zu etwas Außergewöhnlichem machen.

Besonderen Augenmerk hat der Autor aber auch auf die Weiterentwicklung der menschlichen Kultur gelegt: Relikte aus der Vergangenheit haben eine eigene, verwandelte Bedeutung erlangt, und die weiße Bevölkerung wurde in eine eher untergeordnete Rolle gedrängt, was zu recht interessanten Konstellationen führt (die Hauptpersonen sind übrigens indianischer oder afroamerikanischer Abstammung). Da Hiero ein christlicher Priester ist, erfährt man auch einiges über die Entwicklung des Glaubens und die Wirkung des Atomkriegs darauf. Hier läßt sich der Einfluß der über 10 Jahre seit dem Erscheinen von Walter M. Millers Canticle for Leibowitz nicht leugnen, doch wo Miller den Fokus auf Wissen, Glauben und gesellschaftliche Entwicklung legte, stehen bei Lanier das Abenteuer und die (nicht nur) negativ veränderte Welt im Vordergrund.

Besonders zu Beginn ist die Hauptfigur der einzige Bezugspunkt für den Leser, während Hiero alleine durch die Gegend reitet – seine Kommunikation beschränkt sich auf telepathischen Gedankenaustausch mit seinem Elch. Die intelligenten Tiere sind ein charmanter Aspekt des Romans, der vor allem in Form des später hinzukommenden Bären Gorm auch für eine Portion Humor sorgt. Die tut zu diesem Zeitpunkt allerdings auch Not, denn Hiero ist fast eine Spur zu sicher, zu übermenschlich gut, um als alleiniger Held heutigen Ansprüchen noch zu genügen. Je mehr Begleitung er bekommt, desto interessanter liest sich das Buch.

Der Held hat eine einfache Queste zu bestreiten und wandert auf einem mit Hindernissen gesäten Weg. Einigen Einzelabenteuern, die Hommagen an  Phantastik-Wegbereiter wie William Hope Hodgson vermuten lassen, und auch dem Sprachstil des Autors, der sich selbst recht häufig mit Erklärungen und Hintergrundinformationen einbringt, merkt man das Alter von über dreißig Jahren an. Die Angst vor atomarer Vernichtung, die während des kalten Krieges präsent war, ist Zeugnis dafür, und einige handlungstechnische Ideen, die man in der Zwischenzeit schon des öfteren gelesen oder auch in Filmen gesehen hat – wer erinnert sich nicht an diverse Szenen, wo ein Kreuz-Anhänger eine tödliche Kugel abfängt?
Ein Relikt ist das Buch deswegen aber noch nicht, denn die Ideen rund um die Suche nach Überbleibseln der verlorenen Zivilisation, das düstere, aber äußerst lebendige Zukunftszenario und der vergnügliche Humor lassen sich auch heute noch gut lesen und zeichnen ein bunteres Bild von Fantasy als so mancher Roman aus dem üblichen Einheitsbrei.

The Hounds of Ash von Greg KeyesFool Wolf, ein von seinem Stamm ausgestoßener verhinderter Schamane, der sich nun als Krieger, aber vor allem als Betrüger durchschlägt, hat ein Problem mit seiner Totemgöttin: Wann immer er die unberechenbare Chugaachik anruft, übernimmt die wilde Göttin seinen Körper und richtet gegen seinen Willen verheerende Blutbäder und Übleres an. Obwohl Chugaachik ihn unüberwindbar macht, ist Fool Wolf darauf aus, sie loszuwerden, doch das gestaltet sich schwierig und führt ihn von einem Abenteuer ins nächste, zu wunderschönen Frauen, bösen Zauberern, zu Riesen und Dämonen, wobei er nicht immer vermeiden kann, in brenzligen Situationen auf Chugaachiks Hilfe zurückzugreifen.

-Fool Wolf glared angrily at the ghost of his father.
“Quit telling Yellowhammer what to do”, he snapped, trying in vain to turn his horse’s head back the way it had pointed.-
Wakes the Narrow Forest

Einen Schamanen-Versager namens Fool Wolf, der sich, verfolgt vom Geist seines ehrgeizigen Vaters, mehr schlecht als recht durch die Welt schlägt, muß man sich natürlich unbedingt näher ansehen, sobald er am Lese-Horizont auftaucht. Doch es kommt ganz anders und nicht halb so vordergründig komisch, wie vielleicht erwartet: Fool Wolf ist eigentlich ein schlaues Kerlchen und könnte direkt einer Geschichte von Fritz Leiber entsprungen sein – der Möchtegern-Schamane von den Mang, einem halbnomadischen Reitervolk der Prärie, ist unterm Strich eher Dieb, Betrüger und charmanter Frauenheld, dem das Schicksal in Form seiner abgrundtief bösen Totemgöttin übel mitgespielt hat. Sie weiß sein Glück so effektiv zu verhindern, daß ihm nichts anderes übrig bleibt, als auszuziehen und zu versuchen, die unerwünschte Verbindung zu lösen, und dieser Zweck heiligt fast alle Mittel, denn Fool Wolf ist sich immer selbst der Nächste. Daß dieser Antiheld das Herz trotzdem am rechten Fleck hat, zeigt die Tatsache, daß er die beeindruckende Macht der Gottheit niemals wollte – er kennt ihren Preis zu gut.

Über diese und noch einige Hintergründe mehr wird man in der ersten Geschichte Wakes the Narrow Forest aufgeklärt, die gleichsam eine Einführung in Figuren und Situation ist und vor allem mit leisen Zwischentönen glänzt.
Außerdem lernt man hier auch die Prinzipien des ausgesprochen phantasievollen Settings kennen, eine Art alternatives präkolumbisches Amerika, in dem die Götterwelt mit ihren großen und kleinen Gottheiten und Dämonen gleich unter der Oberfläche lauert, und der Held durch seinen Sonderstatus eigentlich stets schon mit einem Fuß mitten in diesem (Alp-)Traum-Reich steht. Greg Keyes, um den es in letzter Zeit sehr still geworden ist (er ist momentan wohl ausschließlich im Bereich der Game-tie-ins tätig), hat sich mit diesem phantastischen Amerika ohne koloniale Einflüsse einem Lieblingsthema zugewandt, das er schon in seinem ersten Roman The Waterborn (dt. Aus Wasser geboren) behandelt hat, und man merkt dem prächtigen Entwurf an, daß der Autor mit Herz und Seele bei der Sache ist (und als Anthropologe auch weiß, was er tut).

Diese Kurzgeschichten-Sammlung entführt in weite, unbekannte Teile der Waterborn-Welt: Das Prärieland von Fool Wolfs Stamm lernt man dabei nur noch als ferne Erinnerung kennen, denn die Abenteuer führen ihn erst in den düsteren Norden, dann in den farbenprächtigen Süden seines Kontinents. Von einer Karl-May-Idylle könnten Fool Wolfs Jagdgründe nicht weiter entfernt sein – hin und wieder kommen Anklänge an meso-amerikanische Kulturen auf, aber Vieles ist auch völlig eigenständig, oder hat man schon einmal von indigenen Völkern gehört, die Wolkenkratzer bauen? Menschenleere Wälder stehen neben lebendigen Metropolen, deren Existenz sich in dieser magiedurchwirkten Welt nicht selten auf einem Handel mit einem der vielen Götter gründet, und damit auf tönernen Füßen steht, sobald Fool Wolf mit seiner nicht ganz unbedeutenden Göttin seine Aufwartung macht.

Die Geschichten selbst sind abenteuerliche, kleine Juwelen, vom Geist der Sword & Sorcery durchweht, in denen sich Fool Wolfs ganze trickreiche Brillanz offenbart, aber auch die Abgründe seines Totems deutlich werden, bis es in der dreiteiligen, fast schon als Novelle durchgehenden Finalgeschichte The Hounds of Ash dann richtig zur Sache geht, indem alle vorherigen Figuren und Ereignisse zu einem großen, beeindruckenden Mosaik zusammengebracht werden.
Neben vielen Überraschungen und Wendungen in jeder Geschichte sorgt vor allem der launige Humor für Abwechslung – auch in übelsten Lagen ist Fool Wolf nie um einen trockenen Spruch verlegen, und trotz seines bedrückenden Totems verliert er kaum je die Zuversicht und ist allzeit bereit für aberwitzige Rettungsversuche und unkonventionelle Lösungen. Ein Glanzstück, das den schmalen Grat zwischen Düsternis und Heiterkeit hervorragend meistert, ist The Fallen God, in dem Fool Wolf in einer Stadt mit einem grausamen Blutkult den edlen Helden Uzhdon trifft, den “Opal von Nah”, der mit seiner unumstößlichen Rechtschaffenheit zur Heldenkarikatur und zum leichten Opfer für den Trickster-Helden wird.

The Hounds of Ash und die restlichen Geschichten von Fool Wolf sind eine vergnügliche, kurzweilige Lektüre, nach deren Beendigung man sich eigentlich nur wünschen kann, Greg Keyes würde noch viele Male zu seinem unbekümmerten Antihelden zurückkehren, denn er weiß offenbar sehr wohl, wie man die Totemgötter der Pulp- und Abenteuer-Literatur beschwört.

Implied Spaces von Walter Jon WilliamsDer Schwertkämpfer Aristide zieht mit seiner Katze (Haus-, nicht Reit- 😉 ) durch die Wüste, doch an einer Oase begegnet er einer unter Belagerung festsitzenden Karawane. Er lässt sich als Wächter anheuern und ersinnt einen Plan, wie er die Belagerung durchbrechen kann. Allerdings entdeckt er Mysteriöses: Die Angreifer folgen einem unbekannten Kult, der Leute mit Haut und Haar verschwinden lässt …

-With long strides the swordsman walked across the desert. Gravel crunched beneath his sturdy leather boots. His eyes were dark, his nose a blade.-
1

Am Beginn von Implied Spaces, vollmundig als Mischung aus “nano-technology, quantum theory, fantasy and space opera” angepriesen, kann man sich noch in der trügerischen Sicherheit eines schönen Sword & Sorcery-Settings wiegen: Man begleitet den sympathischen und geistreichen gelehrten Abenteurer Aristide – Marke Errol Flynn – und seine trockene Kommentare beisteuernde, sprechende Katze Bitsy durch eine stereotype Wüstenwelt. Während Aristide sein Schwert (einen Sturmbringer-Verschnitt) schwingt, ahnt man jedoch schnell: irgendetwas ist im Busch, denn Aristide weiß mehr über Welt und Sein, als so ein Wüstensohn wissen sollte.
Und ehe man es sich versieht, treibt man mitten in einem wilden Strudel aus verschiedensten Settings, Stilen und immer wieder neuen Ideen, in dem eine Überraschung die nächste jagt.

Während Aristide einer groß angelegten Verschwörung auf die Spur kommt, verfolgt Walter Jon Williams etliche Themen und Konzepte: Das gewöhnlichste darunter dürfte noch die Frage sein, wie viel Menschlichkeit dem Menschen der fernen Zukunft geblieben ist. Interessanterweise geht er dieser Frage nicht in einem dystopischen Umfeld nach, sondern hat – ein Markenzeichen vor allem auch von Williams’ Kurzgeschichten – eine positive Entwicklung zugrundegelegt, die ihre eigenen Probleme mit sich bringt. Ein weiteres Thema, das unter vielen  Aspekten beleuchtet wird, ist die Frage nach dem freien Willen, darunter auch, inwiefern Persönlichkeiten unter veränderten Umständen (oder durch Manipulation) eine völlig konträre Entwicklung nehmen können.
Thematisches Zentrum sind allerdings die “Implied Spaces” aus dem Titel, denen Aristide nachforscht. Man kann sie tatsächlich wörtlich nehmen – anfangs ein witziges Konzept, das einem nicht mehr so schnell aus dem Kopf geht, später nehmen sie Dimensionen an, die mindestens nachdenklich machen und am Ende des Romans eine philosophisch-theologische Betrachtungsweise eröffnen, die es in sich hat.

Bei einer solchen Fülle an erwachsenen Stoffen kommt es vor allem auf ihre Verpackung an. Und Walter Jon Williams hat eine Achterbahnfahrt für den Leser in petto, bei der nicht die geringste Gefahr besteht, der Roman würde zu trocken werden.
Zunächst ist es schon Aristides Erzählperspektive, die großes Vergnügen bereitet. Der turbanbestückte bunte Vogel auf dem äußerst treffenden Cover bezeichnet sich als Dichter, Philosoph und Kämpfer, und seine Stimme ist manchmal unaufdringlich, manchmal poetisch, hat aber fast immer einen ironischen Unterton zu bieten. Hinzu kommt, dass beinahe jedes Kapitel mit einem neuen Schauplatz aufwartet – und mit einem neuen Genre: Walter Jon Williams wechselt munter den Stil, erzählt nach der Fantasy-Eröffnung in Form eines Krimis, einer Romanze, eines Schurkenstücks, eines Thrillers, eines Kriegsromans und etlicher anderer Varianten weiter, um am Ende mit einem eindringlichen Gedicht zu schließen. Dass bei einem solchen Konzept das Formale manchmal den Vorrang vor Plotentwicklung und Erzähldynamik hat, versteht sich von selbst (die Chance ist auch groß, dass man eines der Genres nicht mag – z.B. die Kriegshandlung gegen Ende zieht sich dann doch recht unpersönlich-taktisch dahin), doch insgesamt ist dieser Clou bestens gelungen, vor allem dank der cleveren Handlungsführung.
Eine fulminante Enthüllung jagt die nächste, und der Autor hat ein Händchen dafür, die Sache immer dann besonders spannend zu machen, wenn man bestimmte Eigenheiten seiner Welt begriffen zu haben scheint und zu der Ansicht kommt, jetzt könne es nicht mehr spannend werden. Dann zaubert er einen neuen Kniff aus dem Hut und hat den Leser wiederum am Wickel. Der Roman ist randvoll mit Ideen und Konzepten, teils ist es ein regelrechtes Abgrasen zeitgenössischer SF-Stoffe, die mit einem Augenzwinkern in einer Vielzahl von Anspielungen gewürdigt werden (ob es sich nun um Literatur, Film, Musik oder Comics handelt – es gibt sogar Seitenhiebe auf Mediävisten).

Auch wenn der Fantasy-Anteil der Handlung nach und nach in den Hintergrund tritt, wird der Text nie mit Techno-Babble überladen und bleibt einer gewissen Fantasy-Attitüde treu – zu viel soll an dieser Stelle nicht verraten werden, denn neben dem durchgehenden leisen Humor ist das größte Vergnügen an Implied Spaces das Entdecken und Rätselraten, wobei man als Leser sowohl die Welt und ihre Parameter nach und nach begreift, als auch die Verschwörung aufdeckt und dazu manchmal vom Autor Informationen zugespielt bekommt, die den Figuren fehlen.
Die endgültige Auflösung fällt nach den wahrhaft gigantischen Materialschlachten zuvor vielleicht eine Spur zu schmal aus, entfaltet aber die Langzeitwirkung, die den ganzen Roman charakterisiert, wenn man Interesse für kosmologische Sinnfragen und Persönlichkeitsentwicklung mitbringt.

Implied Spaces hat zweifellos seine Mängel, die vor allem im heftigst in alle Richtungen strebenden Plot zutage treten, und ebenso in dem Experiment, jedes Kapitel in einem neuen Stil zu erzählen. Man könnte Walter Jon Williams auch vorwerfen, er kopiere die weit entwickelte Welt und die Gesellschaft mit übermächtigen Individuen aus seinem früheren Roman Aristoi, aber damit täte man Implied Spaces unrecht. Am Ende wird man feststellen, dass Walter Jon Williams seinen grandiosen Entwurf gut im Griff hat und eine Geschichte erzählt, die während des Lesens häufig nicht zulässt, dass man das Buch aus der Hand legt, die einen immer wieder zum Staunen bringt und deren Ideen man mitnimmt und lange mit sich herumträgt.

Die Intrige der Kaiserin von Sarah ZettelBridget Lederle ist Leuchtturmwärterin. Als ein Boot in Seenot gerät, kann sie den in Not geratenen Mann retten. Valin Kalami stellt sich jedoch als Fremder heraus, als Magier aus einer anderen Welt namens Isavalta. Bridget, die in die Gesellschaft ihrer Heimat ohnehin schlecht integriert ist, entscheidet sich nach einigen Visionen, Valin nach Isavalta zurückzubegleiten. Aber sie geraten in einen Hinterhalt, Bridget wird von Feinden gefangen. Langsam muss sie das intrigenreiche Leben von Isavalta durchschauen und die ihr eigene Magie entdecken, um zu überleben.

-Lighthouse Point, Sand Island, Wisconsin. Um Mitternacht zwischen dem ersten und zweiten November des Jahres 1899 klappten Bridget Lederles Augen von selbst auf, was sie sofort hellwach werden ließ.-

Sarah Zettels Isavalta-Trilogie dürfte vor allem Leser ansprechen, die ein wenig Abwechslung von gewohnten Schemata des Genres suchen, aber trotzdem gerne klassische Fantasy-Geschichten lesen. Auch hier wird – wie schon so oft – ein Mensch aus unserer Welt als prophezeiter Retter in eine magiebetonte Paralellwelt geführt, aber dort entwickelt sich alles ganz anders, als man vielleicht erwartet.
Bridget Lederle, die Protagonistin, ist nicht als Figur konzipiert, die dem Leser den Einstieg in die fremde Welt erleichtern soll, weil sie aus unserer Welt dorthin geht – sie ist im Jahr 1899 Leuchtturmwärterin und auf den Kulturschock, den der Übergang von unserer technisierten Moderne in die Fantasy-Welt meist mit sich bringt, wurde größtenteils verzichtet. Auch wird die Heldin in ihrer neuen Heimat nicht als Retterin gefeiert, und sie verfügt auch nicht über die geeigneten Kräfte – im Gegenteil, sie versteht Sprache und Kultur von Isavalta nicht und ist den Begebenheiten dort hilflos ausgeliefert. Erst nach und nach entfaltet sich ihr Verständnis und ihre Magie, gleichzeitig hat sie eine Traumatisierung zu überwinden, die aus ihr eine unzugängliche, nicht immer verständlich agierende Frau macht, die sich in ihrer Heimat mehr schlecht als recht durchgeschlagen hat – sie ist also in keinster Weise eine Bilderbuchheldin, und es dauert, bis man sich mit ihr richtig angefreundet hat.

Auch die Paralellwelt weiß zu überraschen – kein mittelaltertümelnder Fantasy-Standard, sondern der Fokus liegt auf  einer Fantasy-Version vom zaristischen Rußland (Isavalta) und China und Indien (die beiden verfeindeten Nachbarreiche). Man trifft auf Märchenfiguren wie die Baba-Jaga und viele andere archaische Mächte, die Zettel geschickt in die Geschichte einflicht.
Im winterlichen Reich von Isavalta finden die Machtspiele allerdings vielfach auch hinter verschlossenen Türen statt: Jeder spielt seine eigenen Spielchen und im Netzwerk von Intrigen, in das Bridget als Außenstehende gerät, findet sie sich nicht leicht zurecht. Sogar die Mächte, die Gutes bezwecken wollen, müssen sich harter Mittel bedienen, und jeder Beteiligte in den Machtrangeleien hat eigene, für sich durchaus verständliche Motivationen. Es vergeht viel Zeit, bis Bridget versteht und eigene, nicht immer einfache Entscheidungen treffen kann. Die problembeladene Frau entwickelt nach und nach ihre eigene Form von Stärke, und sie ist nicht die einzige Figur, der von der Autorin so intensiv und stimmig geschildert wird; gerade bei einem Plot, der auf Manipulation beruht, ist das unverzichtbar.

Die Handlung verläuft ruhig und ohne große Actionszenen; die Auseinandersetzungen spielen sich im privaten und nicht im öffentlichen Bereich ab, und sind häufig durch die sehr interessante Magie gekennzeichnet: in Isavalta wird Magisches geknüpft oder gewoben – anhand von Zöpfen, Stoffsträngen und phantasievolleren Ingredienzien.
Allerdings dauert es eine Weile, bis man mit Bridget aus dem verklemmten amerikanischen Fischerstädtchen ins interessantere Isavalta fliehen kann. Und am Ende bleiben gerade wegen der komplexen konstruierten Handlung zu viele Fragen offen, relevante Details werden nur angedeutet, obwohl sie für die Handlung bestimmend sind, wie etwa die Geschehnisse in den Jugendtagen der Kaiserin.
Die Intrige der Kaiserin ist am besten, wenn es um die wohldurchdachten Einzelheiten und das stimmige, originelle Setting geht; Klischees wie eine platte Liebesgeschichte werden auf elegante Weise umschifft. Der Hintergrundplot dagegen kann nicht auf ganzer Linie überzeugen, tritt allerdings auch in der Bedeutung hinter die Entwicklung der Figuren zurück.

The Katurran Odyssey von Terryl Whitlatch und David Michael WiegerAuf der Heimatinsel des Lemur Katook ist es kalt geworden, die Feigenbäume sind kahl, und die Lemuren am Verhungern.  Hohepriester Gamic verlangt Opfergaben, um den Fossah gnädig zu stimmen. Als Katook in die Nähe des Tempels gelangt, sieht er jedoch, wie die Priester sich selbst an den geopferten Früchten gütlich tun. Nachdem er dabei erwischt wurde, das Verbotene zu sehen, wird Katook ins Exil geschickt. Damit beginnt eine lange Reise auf der Suche nach Artgenossen.

-It is said, in some far and distant lands, that speaking the name of a place connects you to its heart and can breathe it into being. Bo-hibba. Within the song of the word is the scent of ripe fruit and vanilla and the fertile musk of a jungle.-
Prologue: Another Time

Lemuren, die charmanten Halbbrüder der Affen, waren schon immer für ein Abenteuer gut – der ältere Leser kennt sie vielleicht aus Douglas Adams’ Die letzten ihrer Art, die jüngeren aus den Madagascar-Filmen.
In The Katurran Odyssey sind sie eine Gesellschaft, die einen Helden braucht, denn auf ihrer abgelegenen Insel stehen die Zeichen auf Untergang. Der junge, unschuldige und unwissende Katook bietet sich ganz in der Tradition des unwahrscheinlichen Helden an – davor, ein Bauernbursche zu sein, bewahrt ihn wohl lediglich die Tatsache, dass die meisten Einwohner der nur von (sprechenden) Tieren bevölkerten Welt Katurrah relativ naturnah leben und sich ihre Früchte einfach vom Baum pflücken. Verschiedene Kulturen, die sich alle auf den Erfindergeist oder die Entdeckerlust der auf Katurrah beheimateten Primatenarten gründen, gibt es dennoch – und Katook kann etliche davon auf seiner langen Questenreise erkunden, die einmal quer über den (auf einer schönen Karte im Vorsatz des Bandes gezeigten) Hauptkontinent führt. Dass Katook auf der Suche nach einem Heilmittel für die Unfruchtbarkeit seiner Heimatinsel Bo-hibba ist, weiß er allerdings selbst nicht – es ergibt sich eher nebenbei, und das ist einer der Stolpersteine von The Katurran Odyssey.

Zunächst überzeugt das großformatige Buch allerdings optisch auf ganzer Linie: Der kreative Kopf hinter The Katurran Odyssey ist Terryl Whitlatch, eine Illustratorin, die u.a. für Lucasfilm die Fauna einiger Star Wars-Welten gestaltet hat. Sie hat die Welt Katurrah mit vielen der faszinierendsten Tiere ausgestattet, die die Erdgeschichte zu bieten hat, ob ausgestorben oder nicht, spielt in diesem Setting keine Rolle. Ob Beutelwolf, Mastodon, Helmkasuar oder Wombat – in The Katurran Odyssey findet man sie alle, und die Tierzeichnungen sind präzise und naturgetreu. Die Kultur, die den Tieren angedichtet wurde, bietet viele feine Details wie den Schmuck, der sich auf Antilopenhörnern oder in Quaggaschwänzen findet, die Verzierungen auf Kultgefäßen, Teppichen und Wandbehängen und vieles mehr.
Die Bilder sind häufig doppelseitig und farbenprächtig, vor allem die opulenten Unterwasserszenen, die von einer surreal wirkenden Menge an Meeresbewohnern bevölkert werden, beeindrucken den Betrachter. Wenn man gerne die Vielfalt der gegenwärtigen und vormaligen Tierwelt bestaunt, ist The Katurran Odyssey allein wegen dieser Bilder einen Blick wert. Es gibt kaum eine Seite ohne Illustration, und wenn man den regenbogenfarbigen Buchschnitt betrachtet, bekommt man einen Eindruck davon, was einen an gelben Wüsten, grünen Dschungeln und pastellfarbenen Gebirgslandschaften erwartet. (Hier gibt es eine Auswahl der zum Buch veröffentlichten Promo-Bilder, über die man sich einen guten Eindruck verschaffen kann.)

Trotz der Illustrationslastigkeit ist The Katurran Odyssey aber auch reich an Text, und die Geschichte macht ziemlich alles falsch, was man bei der Plot-Konstruktion falsch machen kann: Der Held Katook ist nicht nur unglaublich planlos und naiv, er findet auch im Verlauf der Handlung kein rechtes Ziel, so dass die Geschichte allzu schnell als Vehikel entlarvt ist, das dem Leser eine große Tour durch Katurrah verschaffen soll. Entscheidungen sind unlogisch und nicht aus der vorhergehenden Handlung oder den Figuren heraus nachvollziehbar. Und es endet mit einem deus-ex-machina, der The Katurran Odyssey einen stark religiösen Anstrich mit einem allezeit lenkenden Schöpfergott gibt, der dem ziellosen Herumirren im Nachhinein einen Sinn verleiht und hier passenderweise nicht als Löwe, sondern als Fossa (das madagassische “Groß”raubtier) auftritt.
Trotzdem gibt es natürlich auch einige passable Szenen, aber die meisten dieser Ansätze verpuffen in Bedeutungslosigkeit, weil die Figuren und ihre Ziele durchweg nichtssagend bleiben. Traditionelle Werte werden hochgehalten, Freundschaft, Treue zu sich selbst, Familie, das Stellen der inneren Stimme über wissenschaftliche und rationale Befunde. Innerhalb dieser seltsam gleichgültigen Geschichte reißen diese Werte aber weder mit, noch kann man sich darüber aufregen.

Auch für die Zielgruppe des Textes bleibt die Geschichte damit ein wenig hohl und unbefriedigend, auch wenn die Abenteuer Katooks auf jüngere Leser vermutlich aufregender wirken. Die stark religiöse Prägung der letzten Seiten, die ein befriedigendes, selbst-erreichtes Ende ausschließt, führt leider auch zu dem Schluss, dass The Katurran Odyssey nicht unbedingt eine empfehlenswerte Kindergeschichte ist. Richtig verwunderlich ist es nicht, dass es für diesen Band, der zwar abgeschlossen ist, aber durch den Untertitel “Book One: Finding Home” nahelegt, dass noch mehr hätte folgen sollen, bis heute keine Fortsetzung gibt.
Sieht man The Katurran Odyssey vornehmlich als Artbook und kann sich an den Illustrationen freuen, ohne die Geschichte groß zu beachten, ist es durchaus ein Schmuckstück fürs Buchregal. Gelesen haben muss man es allerdings wirklich nicht.

Cover des Buches "Die Kuppel" von Peadar Ó'GuilìnStolperzunge lebt bei einem Stamm unter schrecklichen Bedingungen in einer von Wildnis überwucherten Ruine: Seine Leute sind darauf angewiesen, Jagd auf die anderen Lebewesen ihrer Umgebung zu machen, oder selbst zur Beute der schrecklichen Monstren zu werden. Außerdem werden immer wieder “Freiwillige” ausgewählt, die bei den anderen Bewohnern der Wildnis gegen deren nutzloses Fleisch eingetauscht werden. Die Lage wird brenzlig, als Stolperzunges intelligenter Bruder ihn auf immer gewagtere Jagdzüge mitnimmt. Dabei entdecken sie, daß ihre Freßfeinde einen gemeinsamen Angriff auf die Menschen planen. Zusätzlich zu dieser Bedrohung fällt eines Tages eine seltsame, wunderschöne Frau vom Himmel, deren Sprache keiner der Menschen versteht.

-Weiterlaufen! Nichts anderes zählte. Nicht aufhören, nicht sterben! Der Stamm brauchte seine stärksten Mitglieder, um zu überleben.-
Brüder

Was bleibt von der Zivilisation unter schlimmsten Umständen?
Mit dieser Frage sieht sich der Leser gleich auf den ersten Seiten von Die Kuppel (The Inferior) konfrontiert, wenn er sich in einer Gesellschaft wiederfindet, in der Blut, Häute, Knochen und vor allem Fleisch die Dreh- und Angelpunkte des Daseins sind, und man auch vor einem aus der Not geborenen Kannibalismus nicht zurückschreckt. In einer feindlichen Umwelt versucht eine menschliche Stammesgemeinschaft zu überleben: Die Jagd auf andere, fremdartige und dennoch intelligente Spezies, die ebenfalls als Jäger agieren, bestimmt einerseits den Alltag, andererseits ist das Aufgeben nutzlos gewordener Stammesmitglieder eine ständige Bedrohung für den Einzelnen, der der Gemeinschaft in diesem Fall noch einen letzten Dienst zu erweisen hat. Eßbares Gemüse existiert nicht in dieser lebensfeindlichen Welt, und somit scheint Die Kuppel erst einmal nichts für Leser mit schwachem Magen zu sein.
Ob sich der junge Autor Peadar Ó’Guilín in seinem Debut-Roman mit diesem Thema einen Gefallen getan hat? Die Kuppel wird dadurch zu weit mehr als einer simplen Geschichte ums Erwachsenwerden, doch unsere Gesellschaft ist eine, die mit dem Schlachten und den weiteren Hintergründen des Fleischkonsums nicht konfrontiert werden will, und das Thema Kannibalismus löst wohl bei vielen eine instinktive Abwehrreaktion aus.
Um so erstaunlicher ist die Feinfühligkeit, mit der Ó’Guilín in eine Gesellschaft einführt, deren Vorbilder irgendwo zwischen realen Stammesgemeinschaften unter unwirtlichen Bedingungen (wie etwa Inuit), Goldings Herr der Fliegen und düsteren Zukunftsvisionen von degenerierten Kulturen liegen.
Wer hier Splatterorgien erwartet, wird enttäuscht werden, denn was einen anfangs vor den Kopf stößt, sind keineswegs ausgewalzte, bluttriefende Szenen, sondern die Normalität von Überlebenskonzepten, die uns völlig fremd erscheinen – und Ó’Guilín nutzt diesen Effekt geschickt aus und spielt mit den Empfindungen des Lesers, die sich später, nachdem man sich an die Welt gewöhnt hat, im Ekel der Figur Indrani spiegeln, die aus einer zivilisierteren Umgebung zu den „Wilden“ stößt.

Das Thema Barbarei contra Zivilisation zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung, denn auch für den stotternden Helden Stolperzunge ist eine so harte Umgebung, in der Männer in den Dreißigern schon Greise sind, kein guter Ort.
Wie sich dieser untypische Held trotz der widrigen Umstände durchschlägt, trägt einen Teil zur immensen Spannung bei, mit der der Roman aufwarten kann: Das Tempo ist fast durchgängig hoch, Konflikte – erst mit dem eigenen Stamm, dann mit dem Bruder, später mit der ganzen Welt – schaukeln sich kontinuierlich auf oder lösen einander ab, und diese Welt voller Gefahren und ohne einen Punkt, an dem man in aller Ruhe Atem holen könnte, wird dadurch greifbar. Die Kuppel ist ein Roman, den man nur schwer aus der Hand legen kann.
Weitere Sogwirkung schafft nebst der vordergründigen Spannung und der treibenden Charaktermotivation auch das Rätsel der Kuppel selbst: Nach und nach läßt sich erahnen, was es mit den Sphären, die am Himmel sichtbar sind, den seltsamen Ruinen, in denen die Menschen leben, und den anderen Spezies auf sich hat – der Leser ist dabei Stolperzunge stets einen Schritt voraus und erkennt Dinge, die sich dem Verständnis des „Wilden“ entziehen.

In einem gewöhnlichen Jugendbuch würden Stolperzunges Abenteuer, wenn er den Stamm verläßt und die Wahrheit über die Welt herausfindet, zu seiner Läuterung führen – er würde sich seiner zivilisierten Gefährtin anpassen, ein „besserer“ Mensch werden. Die Kuppel entzieht sich solchen Plattitüden aber immer wieder elegant und stellt ein differenziertes Bild vom Überlebenskampf und zivilisatorischen Praktiken zur Verfügung, ohne der Versuchung zu erliegen, am Ende durch eine weiterentwickelte, die Barbarei überwunden habende Gesellschaft den Konflikt aufzulösen. Einzig die gesellschaftlichen Strukturen, die als Hintergrund der Handlung dienen, scheinen am Ende allzu einfach aufgebaut – allerdings werden sie auch nicht näher ausgeleuchtet und nur aus Stolperzunges eingeschränkter Sicht geschildert, so daß der einzig wahre Anschein eines reinen Jugendbuches vielleicht aufkommt, wenn einmal -auf sehr charmante Weise- aus einer Liebesszene ausgeblendet wird. All Ages-Literatur also hier nur im besten Sinne, wenn eine vordergründig hoch spannende Geschichte mit nicht speziell für junge Leser heruntergebrochenen Themen kombiniert wird, die auch Erwachsene ansprechen und beschäftigen.

Erfahrene Leser werden – allein schon aufgrund des verräterischen deutschen Titels – natürlich frühzeitig merken, wohin der Hase läuft, und die Anklänge an Filme wie die Truman Show, Running Man oder Die Klapperschlange zu deuten wissen, doch die individuelle Charaktergeschichte, die nicht nur die Emanzipation vom eigenen Stamm und der falschen Fremdwahrnehmung von allen Seiten zum Thema hat, und die Dynamik der Handlung, die mit grusligen und manchmal auch überraschenden Monstren aufwartet, sorgen für gute Unterhaltung.
Sogar sprachlich bietet der Roman Interessantes, denn Sprache und letztlich die Frage, inwieweit sie mit Intelligenz und Zivilisation zusammenhängt, wird ebenfalls in vielen Varianten thematisiert: Vom stotternden Hauptcharakter bis hin zu fehlender Verständigung unter den Spezies und der Unmöglichkeit, sich trotz gleicher Sprachkenntnisse zu unterhalten, wenn einem die Konzepte für die Gedankenwelt des Gegenübers fremd sind.

Als Stolperzunge mit seiner zivilisierten Gefährtin auf der Reise zum Rand der Kuppel schon so gut wie gescheitert ist und er mehr über seine Welt erfahren hat als Generationen von Stammesbrüdern vor ihm, wird die zentrale Frage in Die Kuppel weitergeführt und gewinnt einiges an Relevanz und unbehaglichem Gegenwartsbezug, wenn es darum geht, was eine hochzivilisierte Gesellschaft an anderer Stelle an Barbarei in Kauf nimmt, um ihren angenehmen Status Quo zu erhalten.
Was bleibt von der Zivilisation unter besten Umständen?

Kushiel's Dart von Jacqueline CareyDas Volk der D’Angelines hat das Engelblut in den Adern, das sie mit überirdischer Schönheit ausstattet. Phèdre ist eine von ihnen, sie steht im Dienste der Ahngöttin Namaah, deren Anhänger die Kunst der Liebe zelebrieren. Der Adlige Delaunay erkennt an einem Makel in ihrem Auge, dem Zeichen des Engels Kushiel, dass Phèdre eine Anguisette ist – sie erfährt Lust durch Schmerz. Er kauft das Mädchen und bildet sie zusammen mit seinem anderen Schüler in Sprachen, Künsten und Spionage aus, damit sie ihm als Konkubine dient, die bei ihren Freiern Staatsgeheimnisse ausspioniert. Tatsächlich gibt es Verschwörungen, die das ganze Land Terre D’Ange gefährden.

-Lest anyone suppose that I am a cuckoo’s child, got on the wrong side of the blanket by lusty peasant stock and sold into indenture in a shortfallen season, I may say that I am House-born and reared in the Night Court proper, for all the good it did me.-
One

Mit über 900 Seiten ist der Auftakt der Reihe Kushiel’s Legacy ein dicker Brocken, und Aufmachung und Ausgangslage lassen einen ordentlichen Schmachtfetzen vermuten. Diese Vermutung mag man anfangs einerseits bestätigt finden, denn Jacqueline Carey ergeht sich in Beschreibungen von Kleidung, Zierrat, Kleinigkeiten, ausführlichen Figurenbeziehungen, und die Ausbildung der Protagonistin zur Konkubine gibt dem Argwohn Stoff. Der Stil allerdings, in dem Carey erzählt, verschlungen, manchmal fast lyrisch, und häufig mit barockem Überschwang, ohne geschmacklos zu werden, gibt einen Hinweis, dass mehr in der Geschichte steckt.
Anfangs allerdings ist der gemächliche Aufbau so ermüdend, dass man Kushiel’s Dart (Das Zeichen; Neuauflage) mitunter an die Wand klatschen will. Man erfährt alles über Phèdres Aufwachsen, ihre Ausbildung, und vor allem auch ihre besondere Fähigkeit als Konkubine, ohne dass die Handlung groß weiterkommt. Ein paar Rätsel um den natürlich mysteriösen Gönner Phèdres, den Adligen Delaunay, sind alles, was an Material zum Weiterdenken anfällt. Und gerade die besondere Fähigkeit der Protagonistin als Anguisette dürfte nicht jedermanns Sache sein: Immer wieder gehen Schläge, Peitschen, Schürhaken und ähnliches auf die Heldin nieder – und auch wenn in diesen Szenen harte Pornographie mehr oder weniger elegant umschifft wird, sind sie doch sehr ausführlich beschrieben.

Trotzdem lohnt sich das Durchbeißen, denn urplötzlich, nach etwa 300 Seiten, wird aus der bisher zwar angenehm erzählten, aber nur vor sich hindümpelnden Handlung eine Fantasy-Geschichte, die alles hat, was man sich nur wünschen kann: Wunderbar gezeichnete Hauptcharaktere, die in glaubwürdigen Beziehungen zueinander stehen, jede Menge Action und Abenteuer, herzzereißende Szenen und eine sehr schöne Erzählstimme, nämlich die der liebenswerten Protagonistin, die im Großen und Ganzen zu einer überraschend starken Frauenfigur wird. Sie erzählt ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive, lange Zeit, nachdem die Ereignisse stattgefunden haben, und wenn man den Wahl des Erzählers hier kritisieren wollte, dann vielleicht nur, weil etwas zu oft eine Vorwegnahme der Geschehnisse als Stilmittel zum Einsatz kommt, vor allem zu Beginn des Romans.

Angesiedelt ist die Handlung in einem alternativen spätmittelalterlichem Europa, was sich auch an der Karte unschwer erkennen lässt, und gerade die Gesellschaft der D’Angelines ist sehr detailreich ausgearbeitet, vor allem auch die religiösen Aspekte. Phèdres Volk mit seinem untrüglichen Sinn für alle Formen der Schönheit hat durchaus etwas Faszinierendes, interessant ist außerdem die Beschreibung einer Gesellschaft, in der Prostitution komplett integriert und institutionalisiert ist. Diesbezüglich ist Kushiel’s Dart durchaus provokant, wenn auch nicht immer zu Ende gedacht, wobei die besten Szenen dennoch außerhalb der Betten und auch jenseits der höfischen Intrigen stattfinden. Immerhin ist die Geschichte, von einigen Szenen abgesehen, in denen auf die Tränendrüse gedrückt wird, nicht halb so kitschig, wie man sich vielleicht vorstellen mag. Ob man sich für die gelungene Abenteuerhandlung durch das Vorgeplänkel arbeiten möchte, hängt wohl davon ab, wie viel man den in der Fantasy ungewöhnlichen Konzepten abgewinnen kann, mit denen Carey arbeitet.

Das Land ManGlaubtEsKaum von Norman MessengerDer Erzähler legt mit seinem Boot an einer merkwürdigen Insel an und macht sich auf Erkundungstour – seine aufgezeichneten Entdeckungen lassen sich in diesem Bilderbuch nachlesen.

-Als ich das Land Manglaubteskaum entdeckte, segelte ich gerade gemütlich mit meinem Boot übers Meer.-
Einführung

“Manglaubteskaum” findet man vermutlich im gleichen Atlas wie Dinotopia, die Quinookta-Insel und Translunarien: Es sind Phantasie-Länder, zu denen mehr oder weniger interessante fiktive Forschungsberichte vorliegen.
Das Land Manglaubteskaum richtet sich dabei an ein eher junges Publikum, das machen die mehr als harmlose Handlung, die gänzlich satirefreien erfundenen Wesen und Orte und auch der geringe Umfang des Buches deutlich: Auf 12 Farbtafeln begleitet man den Erzähler über die Insel, die aus dem Nichts aus dem Meer auftaucht und genauso wieder verschwindet, wenn man ihr nur einmal kurz den Rücken zukehrt, um im Boot nach dem Rechten zu sehen. Die Farbtafeln laden jedoch zum Verweilen ein: Es wimmelt von phantasievollen Naturdarstellungen in einem gedeckten Farbspektrum, man kann auch noch Seitenteile ausklappen und entweder neue Blickwinkel oder etwas völlig anderes sehen, viele Details entdecken und manchmal sogar wie bei einem Vexierbild nach versteckten Kleinigkeiten suchen.
Die Texte sind dagegen kurz und sehr simpel gehalten und zeichnen sich vor allem durch die inflationäre Verwendung des Ausdrucks “man glaubt es kaum” aus, womit wir wieder bei der angepeilten Zielgruppe des Buches wären.

Diese macht sich auch beim Einfallsreichtum in Sachen Inselflora und -fauna bemerkbar: Es gibt Bäume, an denen Buchstaben wachsen, einen Vogel, der Gummistiefel trägt, Gemüse, das im Vergleich zu unserem Gemüse vertauschte Farben hat (wird es damit interessanter oder noch grusliger für Kinder?). Nach der inneren Logik eines vorlesenden Bücherbergs und Bäumen mit Schiffsrümpfen sollte man auch nicht suchen – die unheilvoll durchhöhlten Spukberge oder die zwischen Pflanze und Tier oszillierenden Meereslebewesen verbreiten schon mehr Atmosphäre, vor allem, weil der Stil der Illustrationen sich äußerst gelungen an historischen naturwissenschaftlichen Darstellungen wie etwa von Maria Sibylla Merian orientiert. Geländequerschnitte, eine isometrische Landkarte und Detailzeichnungen von Muscheln, Samen, Federn tragen zum ästhetischen Gesamtbild bei.

Als FantasyleserIn stellt man vielleicht auch einfach etwas größere Ansprüche an fiktive Kreaturen und Länder, denn man hat ja schon einiges gesehen und gehört. Deshalb: Als reines Artbook gelungen, denn das visuelle Konzept weiß zu überzeugen und die Ausstattung tut ein Übriges. Als fiktiver Forschungsbericht zu lahm (und kurz). Als Kinderbuch ziemlich große Klasse, denn die Mash-up-Tiere und –Pflanzen regen garantiert zum Weitererfinden und –forschen an, und die Klappseiten mit den vielen Kleinigkeiten machen sogar entdeckerfreudigen Erwachsenen Spaß.

The Last Guardian of Everness von John C. WrightGalen, der jüngste Spross der Familie Waylock, wird von seinem Großvater dazu ausgebildet, sich im Familienanwesen Everness in die Welt der Träume zu begeben und dort die ewige Wacht zu halten, mit der die Familie betraut ist: Wenn sich die Finsternis erhebt, müssen die Waylocks die Mächte des Lichts zum Kampf rufen. Galen erkennt untrügliche Zeichen dafür, dass diese Zeit gekommen ist, und da er seinem alten Großvater die schwere Aufgabe abnehmen will, wagt er einen Alleingang in das Reich der Träume. Gleichzeitig bangt der kräftige, aus dem Kaukasus stammende Raven in einem Krankenhaus um das Leben seiner hübschen Frau Wendy – und erhält ein verlockendes Angebot.

-Upon a midnight in midsummer, upon an unchanging ancient house upon the coast, in the year when he was a boy no more and a man not yet, Galen Waylock heard the far-off sound of the sea-bell tolling slowly in his dream.-
Founding, 1

John C. Wright ist ein Autor, den man heute eigentlich nicht mehr guten Gewissens empfehlen kann, nachdem er ein christliches Erweckungserlebnis hatte und darauffolgend auch politisch in die extreme Ecke abgewandert ist, wie er stetig mit mehr als fragwürdigen Äußerungen untermauert. Mit der zweibändigen Saga The War of the Dreaming, seinem ersten Ausflug in die Fantasy, hat er jedoch einen atemberaubenden modernen Mythos geschaffen, und da The Last Guardian of Everness auch vor Wrights Radikalisierung verfasst wurde, hat es sich eine Erwähnung verdient. Ob man den Roman mit dem Wissen um Wrights Gesinnung, die aus The Last Guardian of Everness allerdings nur schwer herauszulesen ist, ungebtrübt genießen kann, sei dahingestellt.
Wright erfindet die Mär vom ewigen Kampf zwischen Licht und Dunkel nicht neu, sondern stürzt sich mit großer Begeisterung auf ältere und neuere Vorgänger in diesem Metier und nimmt sich hier und da, was er für sein großes Mosaik braucht. Und das Gesamtwerk, das er dann aus all diesen kleinen Schnipseln schafft, geht erstaunlicherweise nicht in dieser Vielzahl von Versatzstücken und Ideen unter, sondern ist tatsächlich etwas Eigenes und mehr als die Summe seiner Teile geworden.

In Wrights Traumlanden wird eine Welt gezeigt, die über die Grenzen der unseren hinausgeht und doch mit ihr verbunden ist. Je mehr Seiten man von The Last Guardian of Everness liest, desto unglaublicher scheint die schiere Menge an Mythen, Sagen und Geschichten, die Wright zu einem großen Mythos verknüpft hat. Alle Anspielungen zu verstehen, die aufgefahren werden, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit: Neben der Artussage, antiken Gottheiten und exotischeren Gestalten wie dem russischen Koschei stehen Schöpfungen Lord Dunsanys oder C.S. Lewis’ und etlicher anderer Schriftsteller. Das erstaunliche an diesem bunten Flickenteppich ist, dass Wright zwar mit so manchem Klischee bricht und all die Orte und Figuren zu einem großen Über-Mythos verbindet, ihnen aber trotzdem ihre Identität nicht nimmt: Eine Fee ist bei ihm letzten Endes trotz aller Brechungen doch eindeutig eine Fee, und ein Gott kann auf ungewohnte, aber dennoch stimmige Weise seine Mächte zum Einsatz bringen.

Bei all dem schweren Geschütz, das aufgefahren wird, ist The Last Guardian of Everness meistens trotzdem locker erzählt und verblüffend modern – so sind die Waylockschen Familienverhältnisse nicht die allerbesten, und mögen die Charaktere auch noch so phantastisch sein und gegen überirdische Gegner antreten, so kämpfen sie doch auch mit ganz alltäglichen Problemen. Die Handlungsstränge bieten einige gelungene Wendungen und sind auf äußerst spannende Weise miteinander verknüpft; Wright scheut sich auch nicht, einnehmende Figuren unerwartet abzuschießen.
Besonderen Genuss bereiten die wunderbaren Bilder, die Wright präsentiert – gigantische Kompositionen, die den Leser mit offenem Mund dasitzen lassen. Gerade zu Beginn des Romans jagt diesbezüglich ein Höhepunkt den nächsten, und man hätte sich durchaus einmal etwas Entspannung zwischendurch erhofft, wenn die Dichte der epischen Momente fast zu schön ist, um wahr zu sein. Atemberaubend ist es allemal, und jedes Detail vom kleinen Gedicht bis zum riesigen Panorama ist stimmig.
Eine diesmal rein inhaltliche Warnung zum Abschluss: Die Geschichte endet dann, wenn sie am schönsten ist, bzw. in einem absoluten Cliffhanger und erfordert eigentlich auch die Lektüre des zweiten und abschließenden Teils.

Cover des Buches "Last Light of the Sun" von Guy Gavriel KayDer junge Erling Bern Thorkellson gerät unverschuldet in die Leibeigenschaft und will sich in einer unüberlegten Aktion daraus befreien. Eigentlich ist er chancenlos und malt sich schon aus, wie er von seinem blutrünstigen Volk hingerichtet wird, doch er erhält Hilfe von unerwarteter Seite.
Alun ap Owyn, ein Barde der Cyngael, und sein Bruder Dai geraten bei einem Viehdiebstahl ausgerechnet an das Haus und den Besitz des berühmten Brynn, der einen der bekanntesten Erling-Plünderer getötet hat, auch wenn die Erling nach wie vor an den Küsten der Cyngael einfallen. Nur durch eine List können sich die Brüder retten und werden sogar als Gäste in Brynns Haus empfangen, wo sie die Bekanntschaft seiner schönen Tochter machen.

-A horse, he came to understand, was missing.
Until it was found nothing could proceed. The island marketplace was crowded on this grey morning in spring.-
One

In The Last Light of the Sun (Die Fürsten des Nordens) lässt Guy Gavriel Kay die hochzivilisierten Kulturen Süd-Europas hinter sich und entführt den Leser in die kalte, karge Welt der Cyngael, Angclyn und Erling, seiner Variante der (walisischen) Kelten, Angeln und Wikinger. Historisch orientiert sich der Roman am Britannien des 9. Jahrhunderts und den Geschehnissen rund um Alfred den Großen.
Auch in diesem Roman beherrscht Kay meisterhaft die Inszenierung ineinander verwobenen Handlungsstränge. Anfangs scheint er einfache, unzusammenhängende und unspektakuläre Geschichten zu erzählen, die sich um drei Hauptpersonen bzw. Personengruppen ranken, doch es ist ein fragiles Gespinst, in dem Kleinigkeiten auf unvorhersehbare Art große Bedeutung erlangen, der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings, der anderswo einen Orkan auslöst. Auf subtile Weise verbindet Kay die Einzelschicksale zu einem großen Ganzen, und es ist eine Freude, aufzudecken, wie sich alles gegenseitig bedingt und worauf es hinausläuft.

Mehr als in den vorausgegangenen Romanen Kays spielt hier das Magische eine Rolle, das immer mehr vom Glauben an Jad (Kays Paralelle zum Christentum) zurückgedrängt wird. In den Wäldern der erst kürzlich jaddisierten Cyngael lebt das Alte, das Magische fort, und selbst Priester tun sich schwer, die Existenz einer Anderswelt und ihrer Geschöpfe – vor allem der Feen – zu leugnen. Während in The Last Light of the Sun einerseits großartige historische Recherchearbeit geleistet wurde und die dargestellten Kulturen und Ereignisse authentisch geschildert werden, beeindrucken vor allem auch die Passagen, die die Anderswelt mit ihren Geisterwäldern und verborgenen Tümpeln darstellen, durch eine archaische, unheimliche Atmosphäre, verstärkt durch einen lyrischen Präsensstil, der diese Abschnitte ganz wortwörtlich in eine vom Geschehen losgelöste Zeit hebt.

Kays brilliante Sprache passt sich Situationen, Kulturen und verschiedenen Figuren an, verliert aber nie den kleinen Hauch Poesie, der sie so lesenswert macht. Einige Erzählkniffe heben das Buch zusätzlich vom gewohnten, linearen Einheitsbrei ab, am prägnantesten wohl jene eingestreuten Passagen, in denen immer wieder die Schicksale von Figuren, die an der Handlung nur marginal beteiligt sind, vor dem Leser ausgebreitet werden und die Geschehnisse des Romans relativieren, ohne ihnen die Intensität zu rauben. Und Kay beherrscht nach wie vor die Kunst, in einem einzigen Satz eine überraschende Wendung so zu verpacken, dass man erst nach einigen Zeilen den Mund wieder zuklappen kann.
Aber auch seinen Hang zur Tragik hat er beibehalten, und man wünscht sich manchmal doch etwas mehr positive Elemente – trotz eines versöhnlichen Endes überwiegt eindeutig das Düstere.
Weniger bombastisch als in Lions of Al-Rassan oder Sarantine Mosaic, was sicher auch an den weniger üppigen Kulturen und damit einhergehend einer geringeren sprachlichen Verspieltheit liegt, aber fast genauso dicht am Geschehen, schafft es Kay auch hier wieder, den Leser in seinem Mahlstrom menschlicher Schicksale mitzureißen, zumindest diejenigen, die sich für Geschichten und Geschichte begeistern und auf massiven Magie-Einsatz auch verzichten können.

Die letzten Worte des Wolfs von Tobias O. MeißnerKaum hat sich die Mammut-Gruppe um den ehemaligen Schreiber Rodraeg und die Schmetterlingsfrau Naenn von den Strapazen und Verletzungen des letzten Auftrags mehr oder minder erholt, flattert auch schon die nächste Botschaft von den geheimen Auftraggebern ins Haus – diesmal soll sich Rodraeg mit seinen Gefährten in die Küstenstadt Wandry aufmachen,  um die letzte Buckelwalherde zu schützen – die Tiere werden angeblich durch verbotene Magie zur Stadt (und Schlachtung) gelockt. Bevor an einen Aufbruch zu denken ist, muß aber erst einmal ein Ersatz für den im letzten Abenteuer verlorenen Mann her. Die anschließende Reise nach Wandry verläuft turbulenter als geplant.

-Es war um die Mitte des Wiesenmonds. Ein früher Abend.-
Prolog

Im zweiten Streich der Öko-Guerrillas vom Mammut geht es ans Eingemachte, umweltaktivistisch gesehen: Eine Walherde soll vor dem Abschlachten (durch profitgierige Walfänger) gerettet werden, und es gibt tatsächlich sogar eine Szene, in der die Helden sich todesmutig mit einem kleinen Boot zwischen die Meeresriesen und die Fangflotte stellen – da schlägt doch das Herz eines jeden Greenpeace-Fans höher! Man kann allerdings nicht genug betonen, daß Meißner es schafft, das Thema beinahe ganz ohne erhobenen Zeigefinger zu behandeln und es mit interessanten Kniffen aus dem Öko-Milieu bruchlos ins phantastische zu hieven. Vor allem durch den Charakter Rodraeg, der sich zunehmend an einer intakten Umwelt freuen kann, bleibt das Thema zwar im Vordergrund, doch stets ist es eine Abwandlung zu den uns real bekannten Umweltproblemen, weil ein starker Magiefaktor hineinspielt – und weil die Mammut-Abenteuer letztendlich doch nie so einfach gestrickt sind, wie sie anfangs aussehen.
Hinter der Walfangepisode steckt ein größerer Zusammenhang, und das Zerstören der Natur und das Ausrotten von Tierarten schlägt höhere Wellen als vermutet (eine Systemwirkung, die in einer Fantasy-Umgebung viel deutlicher spürbar zu vermitteln ist, als wir es von unseren vielleicht irgendwann richtig brisant werdenden Umweltproblemen kennen).

Allerdings, was die großen Zusammenhänge angeht, die Ziele der Auftraggeber und Gegner des Mammuts, die die einzelnen Episoden der Serie auch aneinanderketten, guckt man in diesem Band leider in die Röhre. Meißner geizt mit Informationen, die den gesamten Handlungsbogen betreffen – man ist diesbezüglich am Ende kaum schlauer als nach dem ersten Band und hat nach der Lektüre des zweiten vornehmlich ein hübsch ausgeführtes Abenteuer bestanden, ohne aber viel Weiterentwicklung in der Hintergrundgeschichte erfahren zu haben.
Vielleicht ist hier aber auch der Weg das Ziel, denn während man das Mammut auf die Walrettungsaktion begleitet, möchte man sich eigentlich nie über mangelnde Unterhaltung beschweren. Wie schon der erste Band glänzt das Abenteuer mit liebevoll beschriebenen Personen, denen man mit Vergnügen über die Schultern schaut, und einem schönen, leicht zu lesenden Stil, für Meißner-Verhältnisse ohne große Experimente. Von der ungewöhnlichen Thematik abgesehen, sind die Taten des Mammuts im Grunde weder sonderlich sensationell noch actionreich, aber so, wie sie erzählt sind, kann man locker die halbe Episode in einem Haps weglesen.
Am Anfang steht eine vergleichsweise lange Reisezeit zum Zielort – da läßt es Meißner sehr ruhig angehen und schwelgt in Besuchen von Gasthöfen, Beschreibungen, den Beziehungen der Figuren untereinander, was sich aber alles erstaunlich unterhaltsam liest. Durch die zeitlich eingeengte Auftragssituation – die Wale kommen relativ termingerecht nach Wandry – ist für eine gewisse durchgängige Dynamik gesorgt.

Aus vielen Elementen – nicht zuletzt der klaren Verteilung von verschiedenen Fähigkeiten bei den Mitgliedern der Mammut-Gruppe – sprechen deutliche Rollenspieleinflüsse, allerdings in einem erträglichen Ausmaß und auch verstärkt durch die Gliederung der Reihe in Einzelabenteuer. Weil pro Band ein kompletter Auftrag abgehandelt wird, bekommt man am Ende einen schönen Abschluß – die Rahmenhandlung und auch die detailverliebte Charakterentwicklung tragen den Leser weiter in den nächsten Band.
Wer detailfreudige, gemächliche und trotzdem warmherzige Fantasy mag, sollte sich von der ungewöhnlichen Thematik also nicht abschrecken lassen und ein Abenteuer mit Rodraeg und seinen Gefährten wagen – und nächstes Mal gibt es hoffentlich etwas mehr Futter für Spekulationen, was die alle Bände überspannende Gesamthandlung angeht …

Long Walks, Last Flights von Ken ScholesIn 17 Kurzgeschichten nimmt Ken Scholes seine Leser mit auf Reisen durch die Zeit, in qualmende Ruinen, auf abgelegene Planeten, nach Paris, in eine amerikanische Kleinstadt, in die japanische Mythologie, kreuz und quer durch Fantasy-Welten und sogar in die Hölle …

-Meriwether Lewis stared down at the time-worn scrap of paper, holding it in his hands as if it were a rare butterfly too easily crushed.-
The Man With The Great Despair Behind His Eyes

Ken Scholes, inzwischen mit dem Roman Lamentation als Autor von epischer, post-apokalyptischer Fantasy zu Ehren gekommen, hat seine Karriere mit dem Schreiben von Kurzgeschichten begonnen. Diese erste Sammlung bietet einen guten Überblick über die thematische Bandbreite und das weite Feld von Stilrichtungen dieses ausgesprochen ideenreichen Schriftstellers.
Dabei ziehen sich die Themen Religiosität, Schuld und Mythos quer durch alle Geschichten und werden mehrfach beleuchtet, und Leser, die gerne tüfteln, finden reichlich Anspielungen auf historische Persönlichkeiten, im kulturellen Gedächtnis verankerte Ereignisse und Musik, Literatur und Film.
Psychologisch fein herausgearbeitete Figuren verankern die Geschichten, die verschiedenste Spielarten der Phantastik abdecken, in der Realität. Da lernt man zum Beispiel den Obdachlosen Fearsome Jones kennen, der mit seiner obsessiven Sammelleidenschaft versucht, über sein eigenes Versagen hinwegzukommen und dabei etwas aus dem Müll fischt, das ihn und seine Kumpels in höchste Schwierigkeiten bringt (Fearsome Jones’ Discarded Love Collection).
Oder den einfach gestrickten Trucker Jeb, der mit Hilfe eines geheimnisvollen Mädchens in der Hölle Erlösung findet, als er erkennt, daß ein Großteil der Hölle im eigenen Kopf entsteht (So Sang the Girl Who Had No Name).
Und einen Hibakusha – einen traumatisierten Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Japan – dessen Weg zurück zu sich selbst mit Gruppensitzungen in psychologischer Betreuung einerseits in die Realität Japans nach dem Zweiten Weltkrieg eintaucht, andererseits in die Welt der japanischen Mythologie und sogar der modernen Mythen über Japan in der westlichen Welt führt (Hibakusha Dreaming in the Shadowy Land of Death).

Ein zweiter Besuch in der Hölle aus So Sang the Girl Who Had No Name präsentiert mit Houdini und William Hope Hodgson zwei prominente Protagonisten, die eine Queste durch das symbolisch stark aufgeladene Leben nach dem Tod führt – mit den Mitteln und dem Selbstverständnis zweier Abenteurer des frühen 20. Jahrhunderts (Into the Blank Where Life is Hurled). Scholes’ Hölle mit ihren Monstern, surrealen Landschaften und einem dennoch routinehaften Alltag kann beispielhaft dafür stehen, wie geschickt der Autor mit seinen Settings und Ideen die Aufmerksamkeit des Lesers bindet und seine Neugier immer weiter füttert.
Der Zauberer und der Schriftsteller sind längst nicht die einzigen historischen Persönlichkeiten, die in den Kurzgeschichten auftreten: In The Man With The Great Despair Behind His Eyes begegnet man nicht nur der Expedition zur Pazifik-Küste von Lewis und Clark – die Erzählung ist gespickt mit Anspielungen quer durch die US-Geschichte, so daß man als Europäer mitunter Wikipedia bemühen muß.
Wiederum mit Gestalten des 20. Jahrhunderts spielt Summer in Paris, Light from the Sky, die problematischste Geschichte der Sammlung, in der man das Schicksal von Hemingway, Chaplin und Hitler in einer alternativen Realität verfolgt, in der alle drei aufgrund veränderter äußerer Umstände teils völlig anders verlaufende Lebenswege einschlagen. Scholes arbeitet hier mit dem stärksten vorstellbaren Kontrast zur Realität, um zu vermitteln, daß Monster und Heilige durch Einwirkungen von Außen geschaffen werden – das garantiert der Geschichte eine große Wirkung, verstärkt durch eine Rahmenhandlung, die aus fiktiven Zitaten besteht, wird aber nicht jedermanns Geschmack treffen.

Ein, wenn nicht sogar der Höhepunkt der Sammlung ist Edward Bear and the Very Long Walk, eine Art inverses Winnie-Pu-Abenteuer, in dem es den Spielzeugbären auf einen fremden Planeten verschlägt und der Leser Heldentum durch Stoffbären-Augen erfährt. Eine behutsame Überführung des Kinderbuch-Helden in die Science Fiction, die klassische Themen des Genres aufgreift und eine anrührende, epische Queste erzählt, dabei aber dem Stil der originalen Pu-Geschichten sehr treu bleibt und sie gleichzeitig auf den Kopf stellt. Eine Pflichtlektüre für alle, die noch ein Kuscheltier besitzen – aber Vorsicht: die Geschichte geht ans Herz.
Ebenfalls in ganz klassischen SF-Gefilden bewegt sich A Good Hair Day in Anarchy, das Western und Science Fiction auf eine Weise verbindet, die auch Fans der Serie Firefly zu schätzen wissen dürften. Lässiger Humor, ein schräges Setting in den gesetzlosen Außenbezirken des bewohnten Universums und eine clevere Geschichte machen das Ganovenstückchen um einen Frisör mit Vergangenheit zu einer runden und sehr vergnüglichen Lektüre.

Schon in Edward Bear and the Very Long Walk hat Scholes angedeutet, wie Mythen geboren werden, in The Santaman Cycle treibt er das Konzept auf die Spitze und beschreibt mit eleganter Hand eine nur lose im Bestehenden verankerte Schöpfungsgeschichte einer Welt nach der Apokalypse. Der epische Ton und die verwendeten Bilder funktionieren erstaunlich gut – nach den lediglich drei Seiten ist man fasziniert von den angerissenen Geschichten und der Welt, deren verschwommenes Bild sich vor dem inneren Auge zeigt.
In The Doom of Love in Small Spaces greift Scholes die Mythen aus dem Santaman Cycle noch einmal auf, erzählt aber eine relativ hermetische Geschichte, die kaum Episches anklingen läßt, sondern aufzeigt, daß die Bürokratie mit ziemlicher Sicherheit auch nach der Apokalypse erhalten bleibt.
In ähnlicher Weise funktioniert Of Metal Men and Scarlet Thread and Dancing with the Sunrise. Die Geschichte skizziert auf wenig Raum und mit großartigen Bildern eine Welt, die Scholes inzwischen mit dem auf diesem Ausschnitt basierenden Zyklus The Psalms of Isaak weiter erkundet hat. Das Potential der Figuren und der Welt ist auch in diesem kurzen Streiflicht nicht zu übersehen.

Einen nur leichten bzw. erst im Laufe der Geschichte anwachsenden phantastischen Einschlag hat sowohl das kurze, eindringliche Soon We Shall All Be Saunders, eine Parabel über die Entfremdung vom eigenen Selbst unter den Anforderungen der (Arbeits-)Welt, und That Old-Time Religion, das konsequent das Bild des zürnenden Gottes aus dem Alten Testament in eine amerikanische Kleinstadt transportiert.
Richtige Enttäuschungen wird man in Long Walks, Last Flights and Other Strange Journeys kaum finden, lediglich eine Handvoll Geschichten sind nicht ganz überzeugend durchkomponiert: So ist zwar Ken Scholes’ Ausflug ins Superhelden-Genre für einige Lacher gut und liefert zumindest eine überzeugende Grundidee, der Plot jedoch läßt zu wünschen übrig (Action Team-Ups Number Thirty-Seven), und auch One Small Step und East of Eden and Just a Bit South, beide mit Untertönen aus der Schöpfungsgeschichte, wirken nicht ganz überzeugend.
Abgeschlossen wird die Sammlung mit der Erzählung Last Flight of the Goddess, die vorab auch schon als Kurzroman erschienen war – einer Hommage an das Rollenspiel Dungeons & Dragons und die unsterbliche Liebe. In Rückblenden verfolgt man den Werdegang eines Abenteurer-Pärchens und gleichzeitig den Umgang mit dem Verlust eines Partners. Rollenspieler finden darin einiges zum Schmunzeln, und auch Fans klassischer Abenteuer-Fantasy dürften durch den warmen Erzählton, den augenzwinkernden Humor und die schrägen Ideen auf ihre Kosten kommen, allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Plot nicht über die ganze Länge trägt und eine Straffung hier und da nicht geschadet hätte.

Die Vielfalt der Geschichten, die Long Walks, Last Flights zu bieten hat, läßt letzten Endes keine Wünsche offen und zeigt eindrucksvoll, wie versiert Scholes in seinen Themen ist – sowohl als Chronist epischer, gewaltiger Ereignisse als auch als Beobachter des Zwischenmenschlichen und der seelischen Vorgänge. Besonders empfehlenswert ist darüber hinaus das Nachwort zur Entstehungsgeschichte der einzelnen Werke, das die Geschichten gut ergänzt und eine sprühende Kreativität durchblicken läßt, die ansteckend wirkt. Idee und Umsetzung sind fast durchgängig gleichermaßen gelungen, so daß man sich auf weitere Geschichten aus Scholes’ Feder nur freuen kann – er ist ein Meister dieses Fachs.

Die Mächte des Feuers von Markus HeitzAls Großmeisterin Silena, eine Nachfahrin des Heiligen Georg und Kämpferin beim Officium Draconis – der Drachenjägersparte der Kirche – ihre beiden Brüder durch einen mutmaßlichen Angriff von Drachen verliert, ist das erst der Anfang. Seltsame Dinge gehen vor in München und Berlin, Hellseher und andere Spiritualisten haben schreckliche Visionen. Die Altvorderen Drachen tragen Machtkämpfe aus, und neben Silena werden noch andere Menschen in die Sache gezogen, bei der es bald um die Jagd nach mächtigen Artefakten des Drachenkampfes geht. Zusammen mit dem russischen Fürsten Grigorji und dem Medium Madame Sátra – zwei wenig vertrauenswürdigen Verbündeten – nimmt Silena den Kampf gegen die grausamen Ungeheuer auf.

-„Wann der Herr wohl wieder zurückkehrt?“ Xing streifte die Oberfläche der Daunendecke glatt, die sie aufgeschüttelt hatte, und blickte nachdenklich aus dem Fenster.-
1. Januar 1925, Korumdie Gebiet, Zarenreich Russland,
An der Grenze zu China

2006, als Markus Heitz  nach seiner episch angelegten Ulldart-Saga, den leicht tolkienesk angehauchten Zwergen samt Nachfolgern und den auf den Spuren von Pakt der Wölfe wandelnden Ritus  mit Die Mächte des Feuers an den Start ging, war Steampunk noch nicht in aller Munde. Nur so kann man sich das Nachwort erklären, das man auch als Verteidigungsschrift für das Setting mitten im Glamour und der sich entwickelnden Technik der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts  lesen kann. Nicht, dass es das gebraucht hätte: Der Reiz dieser ungewöhnlichen Drachengeschichte liegt gerade darin, dass hier auch Doppeldecker über den Fantasy-Himmel brummen dürfen und man in ein alternatives Europa eintauchen kann, in dem Drachen ihren Einfluss genommen haben. Oder genommen haben sollen, doch dazu später mehr. Markus Heitz kennt sich gut aus mit der Zeit, die er beschreibt, da ist es fast schade, dass er sich oft auf Name-Dropping beschränkt und den zeitlichen Kolorit auf weiter Strecke auch sprachlich nicht vermitteln kann. Nur selten hebt sich das Ambiente von der modernen oder einer beliebigen anderen Fantasy-Welt ab. Das Potential des Settings ist damit verschenkt, denn die wenigen wirklich atmosphärischen Szenen – wie etwa der Prolog des Romans – machen Lust auf mehr. Ansonsten ist man gut beraten, sich vielleicht doch lieber nochmals Sky Captain anzusehen, wenn man das Flair der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erleben will.

Die Weltgeschichte mit Drachen und einem eigenen Kirchenamt für Drachenfragen (das aus den Drachenheiligen hervorgegangen ist) neu zu schreiben, ist ein schöner Ansatz, allerdings scheint sich trotz der ausdrücklich massiven Einflüsse der Drachen geschichtlich nicht allzu viel geändert zu haben, und die kulturgeschichtlichen Einflüsse sind gering und wirken manchmal sehr bemüht (ein beispielhaftes Detail: ein Flugzeug mit ausfahrbarer Lanze, um Drachen damit aufzuspießen, hat die Typenbezeichnung “Lanzelot”). Obwohl die Kirche eine große Rolle spielt, bleiben religiöse Hintergründe äußerst vage. Auch wenn Die Mächte des Feuers auf unserer Welt spielt, hätte mehr Weltschöpfung dem Roman gutgetan, gerade im Bezug auf das Konzept der Drachen.

Eine große Figurenanzahl bringt dem Leser die Handlung näher, und die meisten davon geben nach außen hin ein buntes und interessantes Bild ab, wirken aber insgesamt hölzern. Charakterliche Kehrtwendungen wie die des russischen Fürsten Zadornov, der sich anfangs in der Tat gibt wie der angebliche Sprößling von Rasputin, der er sein soll, kommen mit der Brechstange. Die Protagonistin Silena dagegen ist als Identifikationsfigur für jedermann konzipiert und bleibt charakterlich farblos, darf aber dafür die Phantasie mit Gedanken über ihre Unterwäsche anregen. Subtiler wird es auch nicht, wenn es um die Überraschungen geht, die die ein oder andere Figur bereithält.
Anfangs fällt das allerdings kaum ins Gewicht – die Geschichte beginnt spannend mit vielen mysteriösen Vorkommnissen und wird auf vielen Ebenen eröffnet, so dass man sich ein vielschichtiges Szenario erhofft. Doch die Fraktionen und Inhalte, die aufgefahren werden, nehmen kein Ende, die Logik verabschiedet sich irgendwann zwischen Schauplatzwechseln und Kämpfen zwischen Mensch und Drache und Mensch und Mensch, und irgendwann löst sich alles in eine etwas wirre Schwarz-Weiß-Malerei auf, was so verheißungsvoll begonnen hat.
Ein unverzichtbares Novum für Drachenliebhaber ist Die Mächte des Feuers also nicht – und auch der alternative Weltentwurf ist kein allzu farbenprächtiges Ideenfeuerwerk.

Der magische Stein von David ZindellVor vielen Jahrtausenden, so sagen es die Legenden der Menschen, brachte Elahad, der König des Sternenvolks, den Lichtstein nach Ea, in die Welt der Menschen. Der Stein verleiht seinem Besitzer unermesslich große Macht, doch ging er vor Jahrhunderten verloren. Und nun sucht Morjin, der Herr der Lügen, den Stein, um mit seiner Hilfe die Welt zu unterwerfen. Doch auch Valashu, Prinz eines der letzten freien Königreiche Eas, macht sich, unterstützt von seinen treuen Gefährten, im Auftrag des Königs von Tria auf die Suche nach dem Lichtstein.

-In klaren Winternächten habe ich manchmal Berge bestiegen, nur um den Sternen näher zu sein.-
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Sieben mutige Gefährten, ein jeder mit eigenen Fähigkeiten und eigenen Träumen, machen sich auf die lange und gefahrvolle Suche nach einem mächtigen, vor Zeiten verschollenen magischen Artefakt, mit dem die Welt entweder zum Guten oder zum Bösen gewendet werden kann, verfolgt von den grausamen Schergen des finsteren Herrschers, der diesen sensationellen Lichtstein gerne für sich allein hätte. Hach, wie schön, eine klassische Queste! Wie, das hat man schon tausendmal gelesen, in ungefähr jedem zweiten Buch mit dem Label “Fantasy”?
Für alle, die sich dem ersten begeisterten Seufzer nicht anschließen können und die nicht gleich loslesen und Valashu und seine Getreuen auf der Suche nach dem Lichtstein begleiten möchten, gibt es hier ein paar Gründe, weshalb sich der Blick in diese potentielle Ansammlung von Fantasy-Klischees durchaus lohnt:

David Zindell hat eine ganze Menge Inhalt in seinen Roman gepackt – in den über tausend Seiten steckt weit mehr als die Geschichte der Questenreise, die durch etliche Königreiche und die Wildnisse Eas führt. Dabei ist vor allem die innere Entwicklung von David Zindells Helden interessant, allen voran Valashu, aus dessen Sicht die Geschichte in der Ich-Perspektive erzählt wird. Valashu ist ein widerwilliger Held, eher ein Philosoph als ein Schwertschwinger, und sowohl in seine Überlegungen als auch in die “Heilsgeschichte” der Welt Ea hat der Autor eine Menge ethischer Fragestellungen und einen religiösen Hintergrund einfließen lassen, der von vielfältigen Inspirationsquellen spricht und durchaus zum Mitdenken anregt, die Geschichte aber zum Glück nie überrollt, sondern angenehm begleitet. Dabei hat sich Zindell nicht dogmatisch bei einer Lehre bedient, sondern verschmilzt östliche und westliche Weisheiten – der Lichtstein etwa ist ganz klar an den Heiligen Gral angelehnt, wohingegen das Warten der Welt auf den sogenannten Maitreya dem Buddhismus entnommen wurde, um nur wenige Beispiele anzuführen – das ganze Werk ist durchzogen von Anspielungen auf diverse Lehren und Legenden, die allerdings nicht einfach abgespult werden, sondern als essentielle Bestandteile tief in der Haupthandlung verankert sind und in den Figuren wirken.

Trotz der actionreichen Questengeschichte ist die Handlung eher von Ruhe bestimmt, und einige Längen sind nicht zu verleugnen. Zindell lässt so gut wie nichts unerzählt, so beginnt das Buch erst einmal mit einer 200-seitigen Reise durch diverse kleine Königreiche, wo begrüßt, übernachtet und überstürzt am Morgen geflohen wird (weil der Schwerenöter unter den Gefährten sich mit der Schwester/Nichte/Tochter des jeweiligen Burgherren vergnügt hat). Beinahe jede Rast und Mahlzeit darf der Leser sozusagen in Echtzeit miterleben. Das Tempo ändert sich auch später kaum, nur nimmt mit Beginn der Queste auch die Handlung an Fahrt auf, und dann freut man sich über jede Pause zwischen den aufreibenden Ereignissen. Figuren und Welt nach der ausführlichen Einleitung und Vorstellung so gut kennengelernt zu haben, zahlt sich im weiteren Verlauf der Handlung auch aus – es gibt nicht viele Fantasy-Geschichten, bei denen eine ganze, große Gefährtengruppe so intensiv ausgearbeitet wird und jeder auf seine Weise den LeserInnen dauerhaft ans Herz wächst.

Sprachlich lohnt sich Valashus Queste allemal – Zindell versteht es, beinahe poetische Töne anzuschlagen (die auch in der deutschen Übersetzung zu finden sind) und passend zu den oft ins Transzendente reichenden Inhalten kann man sich davon wunderbar bezaubern lassen.
Wer sich also an der fehlenden Originalität nicht stört – denn wie der Hase laufen wird, ist nicht weiter schwer zu erraten – und wer vom Umfang des Buches und der entsprechenden Ausführlichkeit der Erzählung nicht abgeschreckt wird, der sollte Valashus Queste eine Chance geben – mit diesen Voraussetzungen ist das Buch eher eine Offenbarung als eine Enttäuschung.

Der magische Wald von Paul KearneyMichael wächst bei seinen Großeltern auf einer abgelegenen irischen Farm auf. Im nahegelegenen Wald entdeckt er allerdings auf seinen zahlreichen Streifzügen Unheimliches: Speerbewaffnete Fuchsleute in der Abenddämmerung auf der anderen Seite des Flusses, unsichtbare Wesen, die ihn aus den Bäumen beobachten. Als er sich über den Fluss wagt und von der anderen Seite eine Trophäe mitbringt, dringt die andere Welt auch in sein friedliches Hofleben ein. Fasziniert und entsetzt zugleich zieht es Michael immer mehr in die Welt des Wildwalds, die nur ihm sichtbar und zugänglich ist.

-Für einen Erwachsenen, dem die Müdigkeit der Welt durch die Adern fließt, ist das Land überschaubar und ohne Geheimnisse – wie ein Schiffsmodell in einer Flasche.-
Kapitel eins

Ein Heranwachsender, der Übergänge in eine andere Welt findet und nutzt – das ist beinahe schon ein eigenes Genre innerhalb des Fantasy-(Jugend-)Buchs, an dem sich so viele Autoren versucht haben, dass das Konzept unendlich ausgewalzt wirkt. Paul Kearney hat sich der Thematik des Betretens einer Anderswelt in seinen ersten drei Romanen gewidmet, ehe er sich der heroischen Fantasy zuwandte. In Der magische Wald (A Different Kingdom) macht er daraus eine Hommage an die Vergangenheit seiner Heimat Nordirland und an das Erwachsenwerden, eine akribische Beobachtung der Entwicklung, die sowohl Land als auch Held vollziehen und die mit Wehmut begleitet wird.
Dabei gelingt es ihm, den Zauber der Jugend schon in den schlichten Szenen auf dem Bauernhof von Michaels Großeltern famos einzufangen: die Kinderwelt, in der jeder Wechsel der Jahreszeiten ein Abenteuer ist, die Freiheit, in die das Fremde sowohl in Form von neuen (schulischen) Pflichten eindringt, aber auch in Form von Sexualität – auch dieser Aspekt wird ohne Tabus angesprochen und als elementarer Bestandteil des Aufwachsens nimmt er einen Stellenwert ein, der sämtliche Jugendbuch-Assoziationen, die die Thematik vielleicht wachgerufen hat, schnell unter den Tisch fallen lässt. Gleichzeitig nimmt der Wald – der fremde und wilde Wald, der nicht mehr Bestandteil von Michaels Welt ist und zugleich seine Angst und seine Neugier weckt – immer mehr Raum in Michaels Leben ein.

In diesem Setting konnte Kearney seine Zuneigung zu seiner nordirischen Heimat, zum Gaelischen, zu den Überlieferungen einbringen, wobei die psychologisch ausgefeilte Darstellung seines heranwachsenden Helden nie zu kurz kommt. Das beschauliche Leben im ländlichen Irland ist historisch und kulturell stimmig portraitiert, die akribische Darstellung der Landwirtschaft kurz vor ihrer  Industrialisierung hätte John Seymour wohl Tränen in die Augen getrieben. Diese innerhalb von einer Generation verlorene Lebenswelt wirkt authentisch, vielleicht ein wenig idealtypisch dargestellt, dafür wird einem beim Lesen aber auch ganz warm ums Herz. Dahinter, weniger gemütlich, verbirgt sich immer die archaische, nicht domestizierte Waldwelt, ein phantastisches Irland voller Kelten, magischer Waldwesen und frommer Priester. Der Wald besticht weniger durch seine Details (z.B. gibt es bei den Wyrims, den Waldwesen, nur recht wenige genau zu unterscheidende Arten), sondern durch seine Erhabenheit, und genauso wie die Szenen in Michaels Heimat ein verlorenes Landleben beschwören, rufen die Waldszenen ‘Erinnerungen’ an ein von riesigen Wäldern bedecktes Europa wach, dem der Mensch nur kleine, fragile Bastionen abringen konnte.

Michaels Abenteuer führen immer tiefer in den Wald, immer weiter weg von seiner realen Welt. Die verschachtelte Erzählung auf drei Zeitebenen, die man erst nach und nach zu einem kompletten Bild zusammensetzen kann, tut das ihre dazu, um zu klären, dass die Heldenreise noch weitere Dimensionen aufweist. Die Geschichte des erwachsenen Michael Fay gerät dabei etwas knapp, was aber im Kontext das Gefühl unterstreicht, dass er nach dem Kontakt mit der Anderswelt nicht mehr in und mit den Anforderungen der echten Welt zurechtkommt – die Geschichte vom Menschen, der durch einen kurzen Aufenthalt unter dem Elfenhügel tatsächlich hundert Jahre verpasst hat, wird hier auf sehr clevere Weise variiert. Dazu passt auch das stimmige, aber relativ einfach abgehandelte Ende, das den Kreis schließen kann.

Der magische Wald öffnet für den Leser Tore in mehrere fremde Welten und kann mit dem perfekt eingefangenen Charme der Jugend verzaubern, lässt die Veränderungen im jungen Selbst mit einer sich verändernden Welt korrespondieren und zeigt einen nicht rundum tröstlichen, sondern durchaus auch grusligen und fremdartigen archaischen Zufluchtsort eines Menschen, der an den nötigen Anpassungen zu scheitern droht und sich nicht von der Zivilisation zähmen lässt.

Mainspring von Jay LakeDem jungen Uhrmacherlehrling Hethor erscheint ein Engel mit der Aufgabe, den drohenden Weltuntergang abzuhalten: Die Uhrfeder der Welt muß wieder aufgezogen werden, sonst läuft der Mechanismus aus, der die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne hält. Beherzt zieht Hethor los, als erstes zum Hof von Boston, um den englischen Vizekönig von seiner Mission zu überzeugen und um Hilfe zu bitten. Dort ist er aber leider an der falschen Adresse, wird verlacht und schließlich ins Gefängnis geworfen, denn manche erkennen in seiner Mission auch eine Gefahr. Doch so schnell gibt Hethor nicht auf, und er kann auch auf einige geheime Unterstützer zählen …

-The angel gleamed in the light of Hethor’s reading candle bright as any brasswork automaton.-
One

Luftschiffe? Oh ja, ganz genau so, wie es wunderbar von Stephan Martiniere auf dem Cover in Szene gesetzt wurde. Zahnräder? Die größten und wichtigsten, die man sich vorstellen kann, denn sie halten die Welt in Bewegung und sorgen dafür, daß das Universum als göttliches Uhrwerk funktioniert. Entdeckungsfahrten? Hinter den himmelhohen Wällen des Äquators wartet die unerforschte Südhalbkugel, eine Welt, in der die Zivilisation noch nicht angekommen und Magie die treibende Kraft ist.
Mit kleinen Einsprengseln aus der (Kultur-)Geschichte unserer Welt und viel, viel Erfindungsreichtum hat Jay Lake das Konzept “Steampunk” komplett auf die Spitze getrieben: In einer Welt, in der das britische Empire – dessen Klassengesellschaft von Charles Dickens importiert sein könnte – noch über Nordamerika als Kolonie verfügt, kreist die Erde auf einer metallenen Umlaufbahn um die Sonne, und wenn unser verwaister Held Hethor ganz genau hinhorcht, kann er um Mitternacht die Zahnräder einrasten hören.
Dieses mechanistische Weltbild, dessen Beweis göttlicher Schaffenskraft nachts jedem vor Augen steht, hat theologische Konsequenzen, von denen die Kreationisten unserer Welt nur träumen können. Umso fataler ist Hethors Beharren darauf, daß der göttliche Mechanismus fehlgeht – das sorgt für Aufruhr in theologischen und wissenschaftlichen Kreisen, die bei diesem Weltbild ohnehin relativ deckungsgleich sind.

Dieses weltanschauliche Gerüst liefert den Hintergrund für Mainspring (Die Räder der Welt), im Vordergrund steht aber eine klassische Abenteuerhandlung, wie sie phantastischer kaum sein könnte: Nachdem die Aufgabe der Weltrettung ohne Umschweife auf der ersten Seite vom Erzengel Gabriel höchstpersönlich überbracht wurde, natürlich einem (zumindest in Geschichten) vollkommen naheliegenden Helden, dem unbedarften, jungen und machtlosen Lehrling Hethor, verschlägt es diesen alsbald auf ein Luftschiff der Royal Navy und von dort über die Grenzen der bekannten Welt hinaus. Bald wechseln sich gigantische Schauplätze in rascher Folge ab, wobei vor allem die Dimensionen und die Exotik der riesigen äquatorumspannenden Wälle beeindrucken, aber auch die völlig fremdartige Welt auf der anderen Seite. Hinzu kommen apokalyptische Ereignisse, wenn der auslaufende Antriebsmechanismus der Welt ins Holpern gerät – in der Welt von Mainspring ist alles eine Nummer größer, steht der Mensch ganz wie in der Zeit der Entdeckung der Erdgeschichte auf unserer Welt staunend und klein vor dem Erhabenen. Nur daß Mainspring von einem mechanischen Universum mit mechanischen Problemen handelt, in dem sich ein Uhrmacher als Messias-Figur zur Verfügung stellen muß.

Der Plot fügt sich nahtlos in dieses Konzept ein und läuft mechanisch ab, die Handlung wird von unsichtbaren Zahnrädern am Laufen gehalten, und Hethor agiert meistens nicht, sondern wird durch die Ereignisse und Kulissen geschoben. Undurchsichtige und meistens im Hintergrund agierende Helfer und Feinde sind es, die seine Abenteuer in Bewegung setzen und in Gang halten. Er selbst ist ein argloser, aber treu gläubiger Held, der zur rechten Zeit an Ort und Stelle ist, um bestimmte Hebel in die ihnen vorbestimmte Bewegung zu setzen. Daß daraus eine regelrechte Erlösungs-Maschinerie wird, bei der Hethor eigentlich nichts bleibt, als mitzumachen, setzt der leisen, leisen Kritik nur die Krone auf, die einen immer wieder fragen läßt, wie groß die Unterschiede zwischen diesem mechanischen Weltbild und unserer lang gehegten Vorstellung vom Schöpfergott letzten Endes sind, und das, obwohl wir am Nachthimmel keine Schienen glitzern sehen.
Trotzdem können weder die phantastischen Settings noch die zunehmend phantastische Handlung darüber hinwegtäuschen, daß diese sichtlich gelenkte Plotführung der Erzählung nicht sonderlich dienlich ist: Sie kommt beim Leser als reine Willkür an, Hethors treuliches Beharren auf seiner Queste und die verworrenen Loyalitäten und Motivationen von Freund und Feind entziehen sich jeglichem Verständnis. Das Experiment, auch die Handlung wie ein Uhrwerk ablaufen zu lassen, ist allenfalls interessant, scheitert aber daran, eine dynamische Struktur zu schaffen.

Spaß kann man mit Mainspring trotzdem haben, wenn man die Komponente der irrwitzigen Abenteuer und des Staunens über immer neue Wunder mehr schätzt als die Spannung und Logik der Handlung. Liebenswerte Figuren und Völkchen schlagen sich auf Booten, Luftschiffen und riesigen Leitern und Treppen durch die Welt, und Hethor muß zumindest einige gesellschaftliche Dogmen über Bord werfen, um zu überleben. Die übertriebene Konzepttreue, der Jay Lake mechanisch folgt, läßt die Queste dabei allerdings zur unzureichenden Nebensache verkommen.

Mit Mantel und Degen, Band 7: Der ChimärenjägerAls die beiden Edelleute Don Lope de Villalobos y Sangrin und Don Armand Raynal de Maupertuis edelmütig ihre Hilfe bei einem Entführungsfall in Venedig anbieten, ahnen sie noch nicht, dass sie damit in ein Abenteuer schlittern, das sie auf die Galeere, zu exotischen Inseln und letzten Endes sogar auf die dunkle Seite des Mondes führen wird. Nie sind sie um eine Herausforderung zum Duell oder einen treffenden Spruch verlegen. Sie gehen keinem Kampf aus dem Weg, finden unerwartete Freunde, verlieren ihre Herzen an schöne Damen und machen sich einen Todfeind …

»Das unverschämte Substantiv,
das Ihr mit viel Emphase
zu nennen Euch erkühntet …
nun sagt schon, war es …« »Nase?«
Akt VIII: Der Fechtmeister

Eine comédie heroïque nennt der französische Verlag in einem Teaser-Video zu Band 8 die inzwischen beinahe vollendete Comic-Reihe Mit Mantel und Degen (De cape et de crocs) und trifft damit den Nagel auf den Kopf – in jedem Band öffnet sich der Bühnenvorhang erneut für Abenteuer und Humor, Action, Heldenmut, Charme und Verse voller Witz. Wer beim Titel an Errol Flynn, den roten Korsar oder drei Musketiere denkt, liegt damit goldrichtig, aber: Don Lope ist ein Wolf und Maupertuis ein Fuchs. Vereinzelt treten in der Überzahl menschlicher Figuren auch andere Tiere auf – und das funktioniert nicht nur, es funktioniert sogar hervorragend, da die Tatsache immer wieder in die Handlung eingeflochten und mancher Schabernack mit Fabelmotiven getrieben wird.
Formal steht Mit Mantel und Degen (im Original: De cape et de crocs, mit Mantel und Zähnen 😉 ) in bester frankobelgischer Albentradition: Es gibt einen durchgehenden, abwechslungsreichen Handlungsbogen und viele prominente Nebenfiguren, die den Weg des caniden Heldenduos immer wieder kreuzen, der Zeichenstil ist opulent und detailreich mit teils sehr atmosphärischer Farbpalette und holt auch aus einigen Klassikern des Comics (z.B. Panels ganz in schwarz, bei denen man nur Augen und Sprechblasen sieht) immer wieder etwas Neues heraus. Herrlich spritzige Dialoge stehen neben einem Ideenreichtum, der bei identitätsgestörten Piraten und kleinen, weißen Hasen, auf die der Kapitän eine Golddublone ausgesetzt hat, nur seinen Anfang nimmt.

Während der erste Band, Das Geheimnis des Janitscharen, fast schon betulich in die Geschichte einführt, geht es spätestens ab Unter schwarzer Flagge (Band 2) richtig zur Mit Mantel und Degen, Band 2: Unter schwarzer FlaggeSache: wahnwitzige Verfolgungsjagden, Meuterei auf der Galeere und später anhängliche Kraken und ein verbannter Prinz erwarten die Helden, deren anfängliche Schatzsuche schnell zu einer Sache der Ehre und der Rettung von Idealen wird.
Wer nun glaubt, Mit Mantel und Degen wäre vor allem laut, bunt und actionreich, kann beruhigt werden, denn Szenarist Alain Ayroles beherrscht vor allem die leisen Töne: Famoser Slapstick und subtiler Witz gehen stets Hand in Hand, und es wird niemals plump, auch nicht bei den grandiosen Abenteuern, deren viele Zufälle sich oft als geschickt verzahnte Entwürfe erweisen, die genauso elegant ineinandergreifen wie die geistreichen Dialoge, die mitunter zum Schlagabtausch in Versen ausarten.
Und während Handlung und Schauplätze immer phantastischer werden, atmet Mit Mantel und Degen doch immer den Hauch seiner Epoche und ist fest im 17. Jahrhundert verankert.

Dazu trägt zu einem nicht unerheblichen Teil die Fülle an Anspielungen bei, die sich in dieser Comic-Reihe verbergen: Neben den naheliegenden Klassikern von La Fontaine bis Dumas wird die französische Literatur in einem Maße abgegrast, dass der nicht-frankophile Leser das Nachsehen hat und gerade noch seinen Molière und Cyrano de Bergerac zusammenkratzt. Des weiteren blitzt immer wieder die Commedia dell’arte auf, zeitgemäße Staatsutopien werden aufgegriffen, die Geschichte der Dichtung, Philosophie und Wissenschaften bemüht, und sogar Gemälde finden sich in Bildanspielungen, von Théodore Géricault über Munch bis Warhol. Man sieht also, auch die Moderne kommt zum Zug, auch in Verweisen auf Lemmings, Der weiße Hai oder Alien. Es geht aber mitnichten nur um ein Abspulen möglichst vieler Referenzen, besonders die Metaebene der Dichtkunst wirkt immer wieder auf die Handlung zurück, und dabei drängt sich durchaus auch einmal ein Kommentar zum aktuellen Literaturschaffen auf, etwa wenn die Gedichtproduktion auf dem Mond angekurbelt wird, wo Verse als Zahlungsmittel dienen.

Mit Mantel und Degen, Band 8: Der FechtmeisterEine weitere Ebene von Mit Mantel und Degen sind die vielen Details – Nebensächlichkeiten, aber auch Genaueres zur Haupthandlung findet man immer wieder im Hintergrund der Bilder, zwischen den Zeilen, subtil verschleiert. Es lohnt sich, ganz genau hinzuschauen – oder genauso, einfach zu lesen und großen Spaß zu haben, und dann, bei einem zweiten Durchgang, noch viel größeren. Denn Mit Mantel und Degen funktioniert auf jeder Ebene und ist auf der vordergründigen bei aller Feinheit eine gute Geschichte für Freunde von Seeabenteuern (die nicht immer mit Schiffen bestritten werden), phantastisch-verrückten Maschinen und der Erkundung weißer Flecken der Landkarte.

In einer Welt, in der das Wort Waffe oder Währung sein kann, auch wenn genauso oft der Degen zum Zug kommt, spielen auch rhetorische Figuren und Sprache eine große Rolle. Übersetzer Harald Sachse hat hier hervorragende Arbeit geleistet, die Gedichte übertragen, auch wenn der vom Dichterhelden Maupertuis vielgepriesene und -verwendete Alexandriner im Deutschen problematisch ist. Die ein oder andere Anspielung geht verloren (woher die Mitglieder des lunaren Kadettenkorps ihre Namen haben, wird z.B. einem französischen Leser eher aufgehen, wenn ihm Colin, Aldrin und Fort-à-Bras (=Armstrong), der im Deutschen “Ursus” genannt wird, zum ersten Mal begegnen), doch im Bereich des Möglichen ist die deutsche Ausgabe eindeutig gelungen.

Wer das charmante, kluge Ensemble rund um Fuchs und Wolf kennenlernen will, darf sich auf 10 randvolle Bände freuen, in denen sich keine überflüssige Szene findet. Nach dem noch nicht erschienenen letzten Band (im Original für Ende des Jahres angekündigt) soll es evtl. mit einem Spin-off weitergehen.
Auch wenn das grand finale noch aussteht: Mit Mantel und Degen hat alles, was man von bester franko-belgischer Comic-Fabulierkunst erwartet – und legt immer noch eine Schippe obendrauf.

Als Bildbeispiel soll das oben erwähnte Teaser-Video dienen, das aus den Bänden 1-7 zusammengestellt ist:
http://www.youtube.com/watch?v=JK20JfbAB9Y

The Name of the Wind von Patrick RothfussIn einem Gasthaus wird zwei auserwählten Zuhörern die Geschichte des berühmt-berüchtigten Kvothe erzählt – eines Meisterbarden, großen Magiers, Königsmörders.
Seine jungen Jahre verbringt er in der Gauklertruppe seiner Eltern, sammelt Bühnenerfahrung und lernt die Lieder und Geschichten der Welt kennen, und er findet einen Lehrmeister, der ihm erste Schritte in der Magie beibringt.
Doch Kvothes Welt bleibt nicht so unbeschwert: Als er sich selbst schwört, ein tödliches Rätsel um sagenhafte, dämonische Wesen zu lösen, beschreitet er damit einen Weg, der ihn in ein miserables Dasein als Straßenkind und später an die Schule der Magier und darüber hinaus führt…

-It was night again. The Waystone Inn lay in silence, and it was a silence of three parts.-
Prologue: A Silence of Three Parts

Das Fantasy-Genre samt Leserschaft gilt gemeinhin als anachronistisch, rückwärtsgewandt. Dagegen mag man mit Recht protestieren, aber zumindest in den Sphären des Musikbusiness, wo circa alle drei Wochen the next big thing durch die Presse gejagt wird, sind wir tatsächlich noch nicht angekommen. Und so horcht man durchaus auf, wenn ein Raunen durch Blogs und Foren geht, Kritikerstimmen sich zu den allgegenwärtigen Verlagslobeshymnen gesellen, und immer wieder derselbe Name auftaucht: Patrick Rothfuss.
Forscht man der Sache nach, stößt man auf eine jener Geschichten – von Fall zu Fall künstlich generiert oder authentisch anmutend – die den Weg des Schriftstellers in die Veröffentlichung als eine eigene abenteuerliche Queste erscheinen lassen: Sieben Jahre Schreiben, sieben Jahre Überarbeiten – und eine Flut von Absagen, bis auf wunderbaren Umwegen doch noch verlegerische Aufmerksamkeit auf das Werk fällt.
So lernt man Patrick Rothfuss’ Helden Kvothe in dem Roman kennen: Mit einem ganzen Sack voll hoher Erwartungen an ihn und seine Geschichte – und findet einen hochbegabten Gauklerjungen, in Magie und Musik ein Überflieger, eine Berühmtheit schon in jungen Jahren, der in diesem ersten Band nebst einiger anderer Abenteuer die Schule der Magier auf den Kopf stellt. Übermächtige, legendäre Feinde schafft er sich ebenso wie profane, aber gefährliche Schulrivalen – und es ist ein Auf und Ab zwischen Wohlmeinenden und Neidern, Wunderleistungen und finanziellen Nöten, Liebesleid und der ureigenen Queste Kvothes, ein Rätsel zu lösen, das ihn verfolgt, seit er in seinem Leben zum ersten Mal Tragisches durchmachen mußte.

Diese alltäglichen Zutaten sind es also nicht, die The Name of the Wind (Der Name des Windes) zu einem Meisterwerk machen – und dennoch kann man das Buch mehr als zufrieden aus der Hand legen, sich davon begeistern lassen: Man hört einem mit allen Wassern gewaschenem Erzähler zu, der aus anfangs ganz unspektakulären Mitteln eine zwingende Atmosphäre strickt. Dazu benutzt Rothfuss einen alten, aber hier ausgesprochen effektiv umgesetzten Trick: Eine Geschichte in der Geschichte. Eine Rahmenerzählung, wunderbar zart auktorial erzählt, schafft eine greifbare Gegenwart, in der ein mysteriöser Gastwirt die Geschichte des überaus berühmten und berüchtigten Kvothe von Kindesbeinen an berichtet. Diese rückwärts-gewandte Erzählsituation läßt einen an der Geschichte teilhaben, als würde man zufällig lauschen und könne sich ihrem Bann nicht mehr entziehen. Selbst durch im Grunde „belanglose“ Szenen wird ganz subtil die Neugier des Lesers geweckt: In den Rahmenkapiteln bekommt man nebenbei, ohne direkte Hinweise und Erklärungen eine Ahnung, wie „groß“ Kvothe im Laufe seines Lebens geworden ist; Andeutungen von Ruhm und Tragik (die alle auch in diesem ersten Band nicht zu sparsam auftretenden ruhmreichen und tragischen Szenen noch überflügeln) ziehen sich durch den ganzen Text.
Dazu kommt ein hoher Authentizitätsgrad des Erzählers, er berichtet aus einer erhabenen Position mit absoluter Gültigkeit, so daß Beobachtungen des Menschlichen und pathetische Anmutungen bei Weitem nicht nur nach dem Versuch klingen, etwas Geistreiches zu sagen – zu den besten Szenen des Buches gehört beispielsweise auch ein kurzer Bericht Kvothes über die vier Arten, mit Trauer umzugehen.

Aber weshalb leidet und fiebert man eigentlich mit Kvothe mit, einem immer Überlegenen, der ohnehin meistens gewinnt und besser als alle anderen ist, der nicht einmal übermäßig sympathisch dargestellt wird? Es ist die Diskrepanz, die durch die verschachtelte Erzählsituation zwischen den Zeilen hervortritt – zwischen seinem immer wieder bewiesenen Talent und seiner ganz offensichtlichen (wenn auch noch ungeklärten) Tragik und seinem Scheitern.
Nebst diesen erzählerischen Spezialitäten Rothfuss’, anhand derer man versuchen kann, die Besonderheit von The Name of the Wind zu fassen zu bekommen, bietet der Roman auch konventionellere Attraktionen des Fantasy-Genres: Die ganzen profanen Plot- und Welt-Zutaten schaden keineswegs, wenn daraus ein authentisches und mitreißendes Ambiente gestrickt wird, und Rothfuss versteht es, seine fahrende Gauklertruppe, seine typische Ausbildungsitiation, seine Straßenkind-Episode einmalig zu gestalten. Von den ersten Seiten an wird ersichtlich, daß in der Welt viel Detailarbeit steckt – und auch hier ist die Tugend nicht die absolute Aufklärung des Lesers, sondern eine gewisse Selbstverständlichkeit, mit der Begrifflichkeiten eingebracht werden.

Selbst das Magiesystem, das unter anderem auf der Kenntnis des wahren Namens der Dinge beruht, und die in den Text eingearbeiteten Lieder und Gedichte erinnern an die Klassiker des Genres – und in diesem Kontext ist The Name of the Wind auch zu sehen, als eine in der Ausführung durchaus moderne Variante, in Stoff, Aussage und Wirkung aber deutlich näher an Tolkien und Williams als an Martin oder Erikson. Doch – je nachdem, wie die vielen noch ausstehenden und bis in die Erzählgegenwart reichenden Abenteuer Kvothes weiterhin laufen – durchaus in derselben Größenordnung.

Nebelriss von Markolf HoffmannWährend viele die goldenen Schiffe der Goldéi noch für Gerüchte halten, fallen die Echsenwesen im Königreich Kathyga schon gnadenlos ein. Vor allem auf die magischen Quellen des Landes haben es die unbesiegbaren Invasoren abgesehen, doch ihre wahren Pläne durchschaut niemand – auch nicht der einzige Gefangene, der neben hunderten von Getöteten gemacht wird: Laghanos, ein Schüler der Magie. Im Kaiserreich von Sithar, das unter einem jungen, schwachen Herrscher leidet und von Intrigen und Machtpolitik seiner Fürsten in den Verfall gerissen wird, wagt allein Fürst Baniter es, in diplomatischer Mission das Nachbarreich aufzusuchen, um ein Bündnis gegen die Goldéi zu schmieden.

-Dünne Nebelschleier. Eiskalter Windhauch; leise pfiff er über die Menschenmenge hinweg und brach sich an den steinernen Hauswänden Larambroges.-
Prolog

Markolf Hoffmanns Nebelriss ist ein mutiges Debut – der Autor wagt Experimente, biedert sich nicht groß mit vertrauten Erzählmustern bei der Leserschaft an und schlägt mit seiner Reihe Zeitalter der Wandlung einen so eigenständigen Weg ein, dass sowohl ein Vergleich mit anderen deutschen als auch mit internationalen Fantasy-Autoren nur in die Irre führen würde.
Auffallend ist zunächst die Sprache: Hoffmann scheut sich nicht, Gebrauch von verschiedensten Stilmitteln zu machen und Ungewohntes auszuprobieren, und vor allem auch in den Dialogen nutzt er ein breites Register von Möglichkeiten.

Die Handlung steht dem kaum nach; man kann zwar nach diesem Auftakt-Band noch nicht absehen, wohin die Reise wirklich gehen wird, aber die Anlagen machen klar, dass es weder die übliche Geschichte vom Auserwählten noch ein Kampf gegen dunkle Mächte sein wird. Nebelriss lädt zum Rätseln ein, was die Goldéi sind und was sie wollen, aber auch die Hofintrigen und die Vorgänge in der  überzeugend ausgearbeiteten Kirche des Kaiserreiches lassen keine Langeweile aufkommen. Die Welt besticht mit interessanten Details und einer großen Vielfalt, sie wirkt bewohnt und belebt, und auch wenn die Schauplätze noch überschaubar bleiben, kommt der Eindruck einer lebendigen und auf verschiedene Weise tradierten Geschichte auf.
Besonders bei den Szenen mit den Goldéi ist es Markolf Hoffmann gelungen, ein beklemmendes und befremdendes Gefühl heraufzubeschwören (und das, was sie mit ihren magiebegabten Gefangenen anstellen, ist allemal für eine Gänsehaut gut).

Die einzelnen Figuren passen sich gut in das Gesamtpaket ein und bedienen keinerlei Klischees, handeln aber dennoch nachvollziehbar und wirken rund. Sie kochen alle ihr eigenes Süppchen, und sind bis in die Nebenfiguren hinein gut ausgearbeitet. Allerdings faszinieren sie eher auf kühle Art: man rätselt mit ihnen, beobachtet, versucht (in diesem Band vollkommen chancenlos), die Puzzleteile zusammenzusetzen, die Hoffmann ausstreut, aber ans Herz wächst einem keine der Figuren. Es wird sehr schnell klar, dass es keinen richtigen Symphatieträger geben soll, und die Welt von Nebelriss ist kein Ort für strahlende Helden.  Trotzdem bleibt der Eindruck, dass ein klein wenig Wärme und hier und da ein Zug der Figuren, der nicht extrem oder negativ besetzt ist, den Leser/die Leserin besser eingebunden hätte.
Interessant genug, um sich diese innovative Geschichte anzuschauen, ist Nebelriss aber allemal – es macht so viel anders, dass man vielleicht erst im Nachhinein bemerkt, dass es einen trotz der faszinierenden Ansätze etwas kalt gelassen hat.

Die Nebelsängerin von Monika FeltenNur mit viel Glück kann die junge Ajana einigen unglaublichen Unfällen entgehen, dann taucht auch noch ein geheimnisvoller Anwalt auf, der sie als Erbin einer fast vergessenen Urgroßmutter ermittelt hat und ihr ein schönes Amulett übergibt. Es übt eine magische Anziehungskraft auf Ajana aus, und schließlich gelangt sie mittels eines magischen Musikstücks nach Nymath, eine Welt, in der Elben und andere Geschöpfe mit Menschen zusammenleben. Doch in Nymath steht es nicht zum Besten: Die Nebel, die das Land vor Eindringlingen schützten, haben sich gelichtet, und das Volk der Uzoma dringt mordend und brandschatzend ein. Ist Ajana die prophezeite Retterin, die die Nebel erneuern kann?

-Es begab sich zur Zeit, da König Sanforan vom Blute der Onur in zwölfter Linie seine Hand zum Wohle über Andaurien breitete, daß große Plagen und schlimme Nöte das Land anheim suchten.-
Aus der Chronik Nymaths

2004 erschien die neue Trilogie von Monika Felten mit einem für damalige (und eigentlich auch noch heutige) Verhältnisse ungewöhnlichen Marketingaufwand: Merchandising mit Puzzles und Kalender begleitete die Veröffentlichung, der Roman selbst war opulent aufgemacht und brachte seinen eigenen Soundtrack auf CD mit.
In der schicken Verpackung steckt jedoch ein etwas biederer Standard-Fantasy-Roman, der ein bisschen wie aus dem Baukasten wirkt und kaum Überraschungen bereithält. Nymath, die Welt, in die es die günstigerweise passend mit einem Fantasy-tauglichen Namen ausgestattete Heldin alsbald verschlägt, ist tolkienesker Prägung – sogar die Elben von Nymath sprechen Tolkiens Elbisch; Sindarin, um genauer zu sein. Für zwei Nebenfiguren wurden zudem die Namen Feanor und Cirdan aus Tolkiens Kosmos entliehen. Eine Verneigung vor dem Altmeister des Genres? Schade, dass er dann im Nachwort, Impressum oder sonstwo in keiner Weise erwähnt wird.  Man findet lediglich einen weniger aufschlussreichen Hinweis auf die Internet-Seite, von der die Elbensprache übernommen wurde – und das gibt dem Ganzen doch einen recht schalen Beigeschmack.

Die Nebelsängerin bietet eine einfach gestrickte Fantasy-Geschichte, in der ein Mensch ein in diesem Fall musikalisches Portal in eine andere Welt findet und dort zum Retter im Kampf gegen das Böse ausersehen ist. Dadurch, dass die Uzoma (Nymaths Orks, die für die Bedrohung zuständig sind) zwar grausam, aber dennoch auch Vertriebene sind, die sich in gewissem Maße nur wehren, wurde versucht, etwas Tiefe in die Geschichte zu bringen und das Schwarz-Weiß-Schema zu verwischen. Aufgegangen ist diese Taktik allerdings nicht, denn die einzelnen Figuren sind alle beinahe vom ersten Satz an als gut oder böse zu identifizieren, und man merkt sogleich, dass der wirkliche Bösewicht der Geschichte kein Opfer widriger Umstände ist.
Aber subtil ist ohnehin nicht Monika Feltens Stärke. Da kann es schon mal passieren, dass man zwei Hauptcharaktere schon bei ihrem ersten Treffen als zukünftiges Liebespaar ausmachen kann, weil sie sich so gerne in die Augen schauen, oder dass sich nach einer halben Seite, auf der ein absolut verwüstetes Dorf beschrieben wird, bei der Heldin Ajana die unheilvolle Erkenntnis einschleicht, dass hier etwas furchtbares geschehen war. Bei diesen Holzhammer-Hinweisen gewinnt man den Eindruck, dass die Autorin ihren Lesern keine eigenen Schlüsse zutraut.

Feltens flüssiger Stil, der dafür sorgt, dass man den Roman in Windeseile durchlesen kann, macht die gemeuchelte Spannung auch nicht wett. Letztendlich werden in der ganzen Handlung nur Vermutungen bestätigt, die man von Anfang an anstellen konnte.
Es gibt seit jeher ein großes Angebot einfach gestrickter Metzel-Fantasy, die mit heldenhaften Abenteuern, Schlachten und muskelbepackten Helden hauptsächlich die Träume von (jungen) männlichen Lesern zu befriedigen versucht. Monika Felten wirkt, als hätte sie sich mit ihren Pferden, Falken, zauberhafter Musik und sensiblen Heldinnen, die ihre Bestimmung und ihre große Liebe finden, eher auf die Träume von kleinen Mädchen spezialisiert. Aber letzendlich ist es eine Frage der Erwartungen, die man an einen Roman stellt: Wenn man sich geradlinige, romantisch angehauchte Geschichten mit einem Schuss Vorhersehbarkeit und hohem Wiedererkennungsfaktor wünscht, ist Die Nebelsängerin so gut oder schlecht wie viele andere maßgeschneiderte Romane.
Die Lektüre lohnt sich langfristig ungefähr genauso sehr wie die begleitende Soundtrack-CD, die mystisch-belanglos vor sich hinhaucht und schnell wieder vergessen ist.

Ein neues Land von Shaun TanEin Mann nimmt ein letztes Frühstück zusammen mit Frau und Kind ein – der Koffer steht schon bereit, denn er muß die Heimat verlassen und sucht sein Glück in einem neuen Land. Die Familie bleibt zurück, nur ein Erinnerungsbild nimmt der Auswanderer mit auf seine anfangs einsame Reise.
Die Ankunft und die ersten Schritte in ein neues Leben sind alles andere als einfach, denn die Fremde, in die es den Mann verschlägt, stellt sich unverständlich andersartig und kompliziert dar …

Ein neues Land ist eines der schönsten und wichtigsten Bücher, die 2008 in Deutschland erschienen sind.
Bevor der geneigte Leser nun ob dieses vollmundigen Lobes gleich zum Buchhändler seines Vertrauens eilt, sollte er noch eines wissen: Es handelt sich um ein Bilderbuch – abgesehen von einer Widmung gibt es in der anrührenden Geschichte des Mannes, der sein Glück in einem fremden Land sucht, kein einziges Wort zu lesen. Was hat es dann überhaupt bei Bibliotheka Phantastika verloren?
Neben der Tatsache (die man ruhig wiederholen kann), daß es eines der schönsten und wichtigsten Bücher 2008 ist, ist Ein neues Land auch ein Paradebeispiel dafür, was gute phantastische Literatur leisten kann: Sie kann, indem sie sie in ein neues Gewand kleidet, Situationen nahebringen, die man anders niemals so intensiv wahrnehmen würde, denen man sich womöglich sogar entziehen würde – oder die man aufgrund von äußeren Umständen gar nicht erst nachvollziehen kann.
In der Verpackung einer phantastischen Geschichte folgt hier jeder Leser mit dem namenlosen Protagonisten einem universellen Migranten, erlebt, wie schwer der Abschied von der Familie und von der bedrückend gewordenen, aber dennoch vertrauten Heimat fällt, und welche Herausforderungen erst die Einreise und dann der Alltag im neuen Land, mit all den ungewohnten Gebräuchen, neuer Infrastruktur und neuer Sprache bietet. Wenn der Auswanderer vor einem Gefährt steht, das er nicht kennt, dann kennt auch der Leser es nicht, weil der Protagonist in ein wahrhaft phantastisches Land gelangt ist. Schriftzeichen und alltägliche Verrichtungen sind für ihn wie für uns anfangs unverständlich – und doch wird einem klar, daß es einem Menschen, der aus einer völlig anderen Umgebung in unsere schnelllebige, technisierte Welt gelangt, nicht viel anders ergehen würde.

Mit der Zeit lernt unser Auswanderer-Freund andere Migranten kennen, die ihn teilweise unterstützen, und an diesen Stellen sind verschiedene Rückblicke in die Handlung integriert, die zeigen, was die Menschen jeweils dazu veranlaßt hat, ihre Heimat zu verlassen. Auch dafür hat Shaun Tan ausdrucksstarke, phantastische Bilder gefunden, die auf den ersten Blick fremd erscheinen, aber mit universellen Ängsten arbeiten, so daß sie schnell nachvollziehbar sind. Gerade die Surrealität der Bilder garantiert, daß man sie verstehen kann – Unterdrückung, wirtschaftliches Elend, Krieg oder ein allzu aufdringlicher Staat kriechen einem in vielen Gestalten regelrecht aus den Seiten entgegen, ohne daß man den Bildern ganz konkrete Ereignisse oder Kulturen zuordnen könnte. Gerade der Kulturmix, in dem westliche, asiatische und phantastische Elemente auftauchen, macht jeden zum Fremden und jede Figur zur Projektionsfläche.

Trotz dieser starken Bilder, die ins Exil (aber auch in einen Neuanfang) münden, überwiegt in Ein neues Land aber klar die hoffnungsvolle, teils sogar lustig-gelöste und herzerwärmende Stimmung, nicht zuletzt durch die prominente Rolle, die das neue Haustier des Helden einnimmt. Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche, der Kampf mit der Einsamkeit und die Anstrengung, sich in der Fremde zurecht zu finden, nagen durchaus an ihm, doch begegnet er eher wohlmeinenden als gemeinen Zeitgenossen, und der schwierige Prozeß des Einlebens wird nicht durch die Mitmenschen erschwert.
So ist das ganze Buch einer Ästhetik verpflichtet, in der Häßliches und Schmutziges, das man im Rahmen einer solchen Geschichte auch hätte erzählen können, außen vor bleibt. Spannung und auch schmerzliche Szenen bietet die Thematik trotzdem ausreichend, vor allem aber unzählige liebe- und phantasievoll umgesetzte Details, in denen man regelrecht versinken kann.

Optisch ist Ein neues Land ein wahrer Genuß: Die Bilder, allesamt in Sepiatönen, sind manchmal surreale Panoramen, manchmal nahe an einem (opulent gestalteten) Comic, in dem Shaun Tan die Mimik und Gesten der Figuren ganz meisterhaft einfängt. Einmal kann man eine Doppelseite mit unterschiedlichen Wolkenbildern bestaunen – ganz so wie der Held auf seiner langen Schiffsreise. Wenn man alle feinen Nuancen und leisen Töne mitnehmen will, die in den Bildern stecken und teilweise eigene Handlungsbögen von Anfang bis Ende aufbauen, sollte man sich für die Lektüre Zeit nehmen und sich auf eine etwas andere Lesart einlassen, als es bei einem Roman oder einem Comic der Fall ist, denn Ein Neues Land funktioniert eher wie ein sorgsam komponierter, in Einzelmomente zerlegter Film, und ist auch deswegen nicht nur inhaltlich, sondern auch gestalterisch ein interessanter Hybrid, der sich der Stärken verschiedener Medien bedient und daraus etwas Neues entstehen läßt.
Es lohnt sich unbedingt, den Bildern die Zeit zu geben, die sie brauchen, um ihre Wirkung zu entfalten, denn dort wartet eine eloquente Geschichte mit viel Herz, vielen neuen Erfahrungen und einem von eigenen Vorurteilen und Interessen unbelasteten Zugang zu einem zutiefst menschlichen Thema. Ein neues Land ist gewiß nicht der schlechteste Weg, sich mit dem Thema Migration auseinanderzusetzen oder jemanden an diesen Gegenstand heranzuführen.

Pride of Baghdad von Brian K. Vaughan und Niko HenrichonIm Irakkrieg im Jahr 2003 treffen Bomben auch den Zoo von Bagdad. Die Tiere, von den geflohenen Wärtern zurückgelassen, brechen aus ihren Gehegen aus, unter ihnen auch ein kleines Löwenrudel. Fortan streifen die Löwen durch die vom Krieg zerstörte Stadt, und die Freiheit, von der sie früher manchmal geträumt haben, ist nicht nur ein Segen.

-»Tigris is the name of the river, dummy.«
»Rivers have names?«
»Everything’s got a name. It’s how we make crap belong to us. And this stretch of crap is my fishing hole.«-

Phantastische Tiergeschichten haben, ganz besonders im Comic-Bereich, eine lange Tradition, doch während bepelzte Helden häufig ein Anzeiger für einen Comic sind, den man allen Altersstufen empfehlen kann, gibt das Thema hier eine andere Richtung vor: Pride of Baghdad (Die Löwen von Bagdad) ist eine Tiergeschichte für Erwachsene, und wenn einem zu Ali, dem Junglöwen des Rudels, der König der Löwen einfallen sollte, bereiten die drastischen Bilder, die immer wieder auftauchen, diesem Vergleich recht schnell ein Ende.
Die auf einer wahren Begebenheit beruhende Geschichte des Löwenrudels, das im Krieg durch Zufall in Freiheit gerät und sich durch eine aus den Fugen geratene Welt schlägt, ist auch keine so simple Allegorie, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag: Bei den zentralen Themen Freiheit, Anarchie, Überlebenskampf und der Abwägung zwischen Selbstbestimmung und einem (vermeintlich?) befreienden Eingriff von außen wird durch die Übertragung in die Tierwelt, die aber trotzdem am konkreten Ort des Geschehens stattfindet, nämlich in der kriegsgebeutelten Großstadt, mehrfach um die Ecke gedacht.

Brian K. Vaughan, der schon mit Ex Machina und Y: The Last Man politische und gesellschaftskritische Szenarien verarbeitet hat, bezieht in Pride of Baghdad keine eindeutige Stellung, außer vielleicht der, dass der Krieg Mensch und Kreatur der Fähigkeit beraubt, der Welt einen Sinn abzutrotzen, und alle auf die gleiche würdelose Daseinsstufe wirft.
Ansonsten bewerten seine Löwen ihre neue Situation höchst unterschiedlich und reagieren nicht immer wie erwartet: Angst, Anspannung und Stress brechen sich häufig dort die Bahn, wo zuvor die größte Kühnheit war, und besonnenes Handeln geht mit der Erfahrung einher, dass die Freiheit einen (zu) hohen Preis hat. All diese unterschiedlichen Gemütslagen hat Zeichner Niko Henrichon an den Löwen wunderbar eingefangen, jedem einzelnen Tier einen eigenen Charakter verliehen, ohne sie zu anthropomorphisieren, und die Dynamik, die sich im Rudel abspielt – Solidarität, Grüppchenbildung, Verschwörung – naturgetreu wiedergegeben. Die Savannenfarben, in denen einige Bilder gehalten sind, rufen die wahre Natur der Löwen auch in der fremden städtischen Umgebung in Erinnerung, korrespondierend mit der Symbolkraft dieser Tiere, die im Verlauf der Geschichte in unterschiedlichen Kontexten beschworen wird. Vor allem der männliche Löwe tritt als Symbol in Erscheinung und kann letztlich die an ihn gestellten Erwartungen teilweise erfüllen, wohingegen die verschiedenen (politischen) Positionen immer über die Löwinnen verhandelt werden, die auch so etwas wie die treibenden Kräfte im Rudel sind.

Dabei sind es letztlich nur Getriebene, die sich in der doppelten Fremdheit der zerbombten Stadt behaupten müssen, gegen die Feindseligkeit der Umgebung, in der das Faustrecht herrscht, und die absolute Unwägbarkeit, in der alles möglich ist: Im Kriegszustand unterscheiden sich Löwen nicht sonderlich weit von Menschen, sind immer unmittelbar bedroht und ihrer feindlichem Umgebung völlig ausgeliefert.
Dies zeigen traurige, befremdende Bilder einer Stadt, in der kaum je Menschen auftauchen – höchstens als unverständliche Macht im Hintergrund. Während die dominierenden Farben bald eine düstere Stimmung verbreiten, brechen immer wieder schöne Doppelseiten das klaustrophobische Unbehagen auf, das in diesen leeren, von Schutt und Zerfall bestimmten Räumen herrscht. Dazwischen tauchen aber auch immer wieder Momente des Schönheit auf, und weite Teile der Handlung sind von Staunen und Unverständnis, weniger von Angst und Entsetzen geprägt.

Die Absurdität des Krieges aus Sicht von Tieren darzustellen, ist ein nicht ganz selten gebrauchter Kniff, doch für den Irakkrieg sind die unabsichtlich befreiten Zoolöwen eine besonders gute Metapher, wenn sie – anfangs mitunter begierig – hinaus in die große Unsicherheit treten, die ihr Leben fortan bestimmen wird. Die Geschichte der Löwen ist spannend, rührend, actionreich und traurig und kann gut auf eigenen Füßen stehen. Aber sogar in der Alternativlosigkeit des unvermeidbaren Endes zeigt sich die Stärke der Metapher, die für Mensch und Löwe ein gleichermaßen bitteres Kriegsschicksal bereithält.
Letztlich kommt man nicht umhin, sich die Frage zu stellen, ob draußen, jenseits der Käfigstäbe, nicht immer Krieg herrscht.

Die Priesterin der Tuerme von Heide Solveig GoettnerAls Amra, die Totenpriesterin der Stadt Caláxi, einen Fremden aus dem verfeindeten Norden der Insel entdeckt, stürzt sie ihre Heimatstadt in Aufregung. Doch während der Fremde festgesetzt wird, erscheint den Bewohnern seine Begleiterin, ein kleines Mädchen mit sonderbaren Augen, viel schlimmer: Sie gilt als eines der Verlorenen Kinder, vor denen die Menschen in einer Prophezeiung gewarnt werden. Tatsächlich spricht die kleine Lillia auch von einem Unheil, das über Caláxi kommen wird – und die Bewohner sind ihr nicht gewogen.
Amra allerdings kümmert sich um das Kind und erfährt bald, daß das Ziegenvolk der Nraurn hinter der sonderbaren Kleinen her ist. Doch da bricht die Katastrophe auch schon über die Stadt herein…

-Als die vier Tage der Totenklage vorüber waren, verließ Amra die steinernen Grabkammern, rückwärts gewandt, wie es der Brauch vorschrieb.-
1

Sonnenverwöhnte Landstriche, Kräuterduft in der Luft, erhabene Bauwerke und geschichtsträchtige Stätten, Mittagshitze und lebensfrohe Märkte – wer denkt da nicht an einen Urlaub im Süden?
In diesem Ambiente (genauer gesagt: auf einer phantastischen Version Sardiniens) hat Heide Solveig Göttner ihre Trilogie angesiedelt, und mit der authentischen und doch ganz behutsam phantasievoll veränderten Realisierung des mediterranen Settings – in einer Zeit, die an die ersten großen menschlichen Kulturen denken läßt – schlägt sie den Leser schnell in ihren Bann. Man kann von Anfang an eintauchen in diese Welt, die einerseits durch alltägliche Nebensächlichkeiten vermittelt wird, und andererseits durch die gut durchdachte magische Komponente überzeugt, die sich nahtlos in das Setting einfügt.
Ein perfektes Buch also, um woanders hinzugehen – und dort wartet dann auch eine gute Geschichte: Was anfangs ein wenig nach Langeweile klingt – besondere Kinder unbekannter Herkunft gehören nun einmal zum etwas ausgelutschten Standard-Repertoire der Fantasy – entpuppt sich bald als Überlebenskampf der Personen, die um dieses Kind herum sind: Die unberührbare Priesterin Amra, der fremde, verschlossene Jemren und der Reiterkrieger Gorun sind dazu gezwungen, nicht nur ihre eigenen persönlichen Geschichten langsam aufzudecken und aufzuarbeiten, sondern auch die Geschichte ihrer Völker und ihrer Insel, die von Halbwissen und Vorurteilen belastet ist. Die Priesterin der Türme ist ganz auf diese drei unterschiedlichen Personen fokussiert, aus deren Perspektive berichtet wird – die Autorin setzt auch geschickt deren unterschiedliche Sichtweisen der Dinge für spannende Handlungsabschnitte ein.

Dabei überwiegen ruhige Passagen, für Spannung sorgt weniger Dauer-Action als eine vor allem wegen der fehlenden Informationen drängende Atmosphäre. Daß das Augenmerk in diesem Buch nicht unbedingt auf Kämpfen liegt, erkennt man auch daran, daß diese Szenen manchmal durch gut plazierte Zeitsprünge oder Perspektivwechsel ausgespart werden, was keineswegs künstlich wirkt. Gerade am Ende aber zeigt die Autorin, daß sie Verfolgungjagden und Kämpfen nicht abgeneigt ist und sie auch umzusetzen versteht. Dennoch ist Die Priesterin der Türme mit Sicherheit eher für die Liebhaber von gründlich ausgeleuchteten Charakteren und überzeugender Atmopshäre geeignet, die gerne auf Entdeckungsreise in fremde Kulturen gehen.

Auch auf den ersten Blick kommt man leicht zu einer falschen Einschätzung des Buches: Eine “Priesterin” im Titel, Matriarchat als Gesellschaftsform auf der Insel der Stürme und im Klappentext Lobgesänge, die alles von Marion Zimmer Bradley bis Monika Felten beschwören – das kann schon abschreckend wirken, wenn man kein spezieller Fan von alles überragender Frauenpower im Fantasy-Roman ist. Um so schöner ist dann die Entdeckung, daß man sich ganz umsonst gegruselt hat: Statt Schwarzweißmalerei und Lobeshymnen auf die Frauenherrschaft, die in der Fantasy bisweilen schon dazu instrumentalisiert wurde, die Kluft zwischen den Geschlechtern unterm Strich eher zu vertiefen, bietet Heide Solveig Göttner eine realistische Umsetzung des Matriarchats – und überhaupt wird den Geschlechterrollen im Roman so wenig Bedeutung beigemessen, daß dieser Absatz eigentlich schon viel zu lange ist, als daß er dem Thema gerecht werden könnte…
Man kann sich also ganz beruhigt auf die Insel der Stürme einlassen, auf dem es neben der menschlichen Kultur auch noch das Ziegenvolk der Nraurn zu entdeckten gibt, und das Ambiente in den Städte der Menschen genießen, die trotz der lebendigen Umsetzung immer ein Hauch von Vergangenheit zu umwehen scheint – und eine durch und durch menschliche Geschichte von Mißverständnissen und Fehlurteilen lesen.
Zum perfekten Urlaub im Süden fehlt dann eigentlich nur noch das Meer – und das kommt gewiß im zweiten Band!

The Prince of Shadow von Curt BenjaminDer junge Sklave Llesho ist einer der besten Perlentaucher der Perleninsel, doch er erinnert sich noch an die Zeit vor seiner Versklavung, als er der Herrscherfamilie von Thebin angehörte, eines Landes, das von den grausamen Harn unterjocht wurde. Als Llesho erfährt, dass seine sechs Brüder noch am Leben sind, plant er, seine Familie wiederzuvereinen und sein Königreich zurückzuerobern. Der Junge versucht, Gladiator zu werden, um von der Perleninsel zu entkommen und die Suche nach seinen Brüdern aufnehmen zu können. Doch die Gladiatorenschule ist hart, und nebst einiger Freunde, die sich seiner als Lehrer annehmen, findet Llesho dort auch Feinde, vor allem den finsteren Aufseher Markko.

-“Llesho! Has anyone seen Llescho!”-
Chapter 1

Für die Wahl eines Pseudonyms gibt es allerlei Gründe, im Falle von Curt Benjamin, der eigentlich unter anderem Namen in einem anderen Fantasy-Subgenre aktiv ist,  kommt einem aber der ein oder andere Gedanke, was dahinter gestanden haben könnte, je länger man sich durch The Prince of Shadow quält. Die mehr oder weniger kreativ ins Fantasy-Asien versetzte Befreiungsgeschichte des winzigen, spirituell begünstigten Bergkönigreichs Thebin, das vom bösen Volk der Harn erobert und besetzt wurde, während das wahre Herrschergeschlecht ins Exil oder die Sklaverei ging und die Religion nur noch im Verborgenen ausgeübt werden darf, krankt an allen Ecken und Enden und kann weder als Coming-of-Age-Geschichte noch als fernöstliches Action-Abenteuer punkten.
Der erste Teil vom Befreiungskampf Lleshos, des jüngsten versklavten Prinzen von Thebin, ist eine uninspiriert heruntererzählte Ereigniskette, in der die Figuren durch diverse Abenteuer und Schicksalsschläge bugsiert werden, die waltende und schaltende Hand des Autors immer gut sichtbar im Nacken.

Vom Protagonisten Llesho entfernt sich die Handlung nie sehr weit, vermutlich zum Bedauern eines jeden Lesers: Der kleine Held – der jüngste von sieben Brüdern, ausersehen, seine Familie zu vereinen und seine Heimat von den bösen Unterdrückern zu befreien – wird zwar als Kriegertalent und strategisches Mastermind der Rückeroberung Thebins angepriesen, nur  Taten folgen darauf nicht. Während der gesamten Handlung wird Llesho vom Schicksal geführt, von anderen angeleitet und muss (und vor allem kann!) niemals eine Entscheidung alleine fällen.
Würden dieser blassen und wenig nachvollziehbaren Hauptfigur interessante Nebenfiguren oder Antagonisten zur Seite stehen, hätte man vielleicht die Geschichte eines herumgeschubsten und von der Geschichtsschreibung hochstilisierten Helden gelesen, doch weder die stets eindimensional-bösen Harn noch die ganze Parade von Unterstützern taugen als Ersatz für die fehlende Charakterisierung des Protagonisten.

Unter diesen Voraussetzungen entsteht auch nur ein krude zusammengezimmertes Nichts an Geschichte mit unlogischen Lösungen am laufenden Meter: Damit der Plot überhaupt weitergetrieben werden kann, erhält Llesho von beinahe jeder Person, der er begegnet, Hilfe – und das nicht zu knapp, er wird sozusagen durch die Geschichte getragen. Für diese übermäßige Unterstützung des Helden von allen möglichen und unmöglichen Seiten erhält man zwar auf der letzten Seite noch eine aus dem Hut gezauberte Erklärung, die aber nicht über die spannungslähmende Gewissheit hinwegtrösten kann, dass in jeder Zwangslage ein wohlmeinender Helfer herbeieilen wird.
Eine Struktur in der Handlung – durch die Suche nach den sechs Brüdern würde man immerhin eine erwarten – ist nicht vorhanden, und die planlosen Reisen kreuz und quer durch die Welt werden auch noch ungeschickt präsentiert: Kein einziges Mal schafft Benjamin es, die Distanz zwischen Figuren und Leser zu überbrücken; für eine stark narrative Erzählung fehlt es aber an Eleganz und thematischer Bedeutsamkeit des Erzählten. Das angepeilte epische Ambiente leidet außerdem unter Passagen, die in modernem Stil formuliert sind.

Richtiges Eastern-Gefühl will ohnehin höchstens beim Blick auf das Titelbild aufkommen. Auch wenn mitunter die schwersten Geschütze aufgefahren werden, um einen panasiatischen Fernost-Einheitsbrei zu präsentieren – Götter, die in die Handlung eingreifen, Kampfkunst, Drachen und Geister – will sich beim Lesen kein Bild einstellen. Kultur und sogar Landschaft oder Herrschaftsverhältnisse bleiben merkwürdig vage, und man ist als Leser gut beraten, die eigene Phantasie, die hier vielleicht herhalten müsste, in andere Projekte zu stecken.

Rattenfänger von Jane Yolen und Adan StempleCalcephony, genannt Callie, ehrgeizige Reporterin der Schülerzeitung, darf über ein Konzert der Rockgruppe “Messingratte” berichten, das kurz vor Halloween stattfindet. Dumm nur, daß auch ihre Eltern und sogar ihr jüngerer Bruder auf das Konzert gehen. Und seltsam, daß auch Callies Eltern schon lange Fans von Messingratte sind, wo doch der Sänger Gringras und die restlichen Mitglieder jung und frisch aussehen und der Menge einheizen wie eh und je. Als Callie dann zum Interview mit der Band antritt und die Dinge genauer recherchieren will, wird sie Zeugin eines Streits – und erfährt von dem Fluch, der auf den Musikern liegt …

-Der Rattenfänger sah den Fluß, lange bevor er das Rauschen des Wassers hörte oder der salzige Geruch von Blut ihm in die Nase stieg.-
1 Fluß voll Blut

Halloween hat sich – ob man es nun mag oder nicht – inzwischen als fester Punkt auch im europäischen Jahresrhythmus festgesetzt, und mit gestiegenem Bekanntheitsgrad des Festes bieten sich nun zahlreiche fiktionale Werke zur deutschen Veröffentlichung an, die der gruslig-phantastischen Atmosphäre von Halloween Leben einhauchen.
In Rattenfänger (Pay the Piper), dem ersten ‘Rock’n Roll Märchen’ von Jane Yolen und ihrem auch als Musiker tätigen Sohn Adam Stemple, ist um Halloween der Rattenfänger von Hameln aktiv, dem hier gleich doppelt ein neues Gewand verliehen wurde: Einerseits tritt er als charismatischer Sänger einer angesagten Rockband auf, dessen Charme sich keiner entziehen kann, andererseits wird die Figur zum verbannten Prinzen des Feenreichs erklärt, der sich in der Menschenwelt durchschlagen und seinem Vater auch noch einen grausamen Zehnten bezahlen muß. Entsprechend ist auch die Erzählung zweigeteilt in die moderne, den größeren Raum einnehmende Geschichte über Callie, die ein Fan der Band “Messingratte” ist und aufdeckt, was den Kindern ihres Ortes an Halloween bevorstehen könnte, und die Hintergrundgeschichte über Prinz Gringras und seine Verbannung aus dem Feenland, die in lyrischem, märchenhaftem Duktus erzählt wird und tatsächlich ein wenig in die Feenwelt führt.

Die Hintergrundgeschichte mag also vielleicht die poetischeren Kapitel bieten, aber Callies Perspektive macht das Buch vor allem für jugendliche Leser attraktiv: Sie ist durch und durch schwärmender Teenager, verguckt sich sogar in eines der Bandmitglieder, ist dabei aber ehrgeizig und ein bißchen selbstsüchtig, so daß sie auch Fehler macht. Nicht ganz treffgenau sitzt womöglich die Jugendsprache, die Callie und ihre Freundinnen verwenden – da fühlt man sich teilweise eher an die 80er als an moderne Musikfans erinnert und schaut dann verwundert aus der Wäsche, wenn Callie für ihre Schülerzeitungsartikel im Internet recherchiert.
Eine nette Idee sind die eingestreuten und am Ende auch komplett abgedruckten Songtexte von Messingratte, die einige Lücken und Fragen in der Hintergrundgeschichte auffüllen und der tragischen Figur des vertriebenen Feenprinzen zusätzlich Fleisch geben. Am Ende laufen beide Fäden zusammen und werden simpel, aber sehr treffend aufgelöst; vor allem auch für Callies Schwärmerei gibt es ein sehr gelungenes Ende.

Höhepunkte der Handlung sind viel weniger im Spannungsbogen zu finden – denn der verläuft sehr geradelinig – sondern vielmehr in den eingestreuten Geschichten aus dem Hintergrund der Band und in den atmosphärisch dichten Beschreibungen ihres Auftritts, der Erinnerungen an eigene Konzertbesuche wachzurufen vermag.
Trotzdem ist Rattenfänger ganz klar ein Jugendbuch, wenig komplex und deutlich durch seine jugendliche, altkluge Protagonistin bestimmt. Für eine Dreizehnjährige ein perfektes Geschenk – und wenn man zufällig ein Halloweenmuffel ist, kann man sich beim nächsten Mal vielleicht mit diesem Buch zu Hause verkrümeln, denn die kleine Geschichte läßt sich locker an einem Abend durchlesen – und die Feenland-Einschübe haben auch für Erwachsene ihren Charme.

Redemption in Indigo von Karen LordPaamas Ehemann Ansige ist eine wandelnde Fressmaschine und sich für keine Peinlichkeit und Unhöflichkeit zu schade, wenn es darum geht, seinen nimmersatten Bauch zu füllen. Nicht einmal, als Paama ihn verlässt und ins Haus ihrer Eltern zurückkehrt, ist Ruhe – denn Ansige versteht solcherlei subtile Hinweise nicht und folgt ihr kurzerhand. In ihrem Heimatdorf Makendha tut Paama alles, um nicht zum Gespött der Leute zu werden, doch längst haben sie und ihr Mann die Aufmerksamkeit der Djombi auf sich gezogen, der gestaltwandelnden, nicht-menschlichen Mächte. Diese nutzen Menschen mitunter gern für ihre eigenen Zwecke …

-Why did Paama leave Ansige?
There are men of violence. There are men who drink. And then there was Ansige, a man with a vice so pathetic as to be laughable. He ate; he lived for his belly.-
1

Die Geschichte von Paama und Ansige lässt sich im Band Spielmannsgeschichten der Sahel aus der Sammlung afrikanischer Volksmärchen des deutschen Völkerkundlers Leo Frobenius (die auch im Impressum von Redemption in Indigo angegeben ist) nachlesen, doch für das Roman-Debut der karibischen Autorin Karen Lord war sie lediglich eine Keimzelle, aus der ein raffiniertes Hin und Her zwischen Erzählerfigur und Publikum entstanden ist, das mündliche Erzähltradition, magischen Realismus und metafiktionales Augenzwinkern in einer charmanten kleinen Geschichte vereint.

Redemption in Indigo ist dabei in jeder Hinsicht ein Märchen geblieben: Wo sonst begegnet man Leuten, die ein ganzes Schaf und ein halbes Maisfeld vertilgen und immer noch nicht satt sind? Paama ist wie viele weibliche Märchenfiguren eine sehr häusliche Heldin, eine gewöhnliche Frau mit einem außergewöhnlichen Talent – sie kocht wie keine zweite, und mit den Speisen, die sie im Laufe des Romans auftischt, hätte sie sich bestimmt einen Platz auf dieser Liste appetitanregender Werke verdient. An der Tatsache jedoch, dass sie eine unwahrscheinliche Heldin ist, ändert sich auch nichts, als sie erst mit einem Geschenk der Djombi und später mit dessen rachsüchtigem, unsterblichem Vorbesitzer konfrontiert wird: Inmitten von Angst und Unvermögen ist es letztlich die Stärke, die man im normalen Alltag braucht, mit der sie sich behaupten kann.
Zeitlich und geographisch ist der Schauplatz der Geschichte nicht näher bestimmt, sie verlässt sich eher auf Gemeinplätze wie Stadt und Land, Familie und Dorfgemeinschaft. Technik spielt keine Rolle, dennoch wirkt nicht einmal das kleine Dörflein Makendha altertümlich.
Als dort das Übernatürliche in den beschaulichen Alltag einbricht, geschieht das zunächst auf leisen Sohlen, und die verschiedenen Kräfte, die eigenen Regeln unterliegen, fügen sich nahtlos ins Dorfleben ein, ob es nun sprechende Grashüpfer, wohlmeinende Tutoren, die sich einen Körper borgen müssen, um mit Menschen zu interagieren, oder Spinnen-Trickster sind, die einfach so in einem Gasthaus sitzen und bei einem Bier nicht ganz uneigennützige Ratschläge erteilen.

Damit wäre Redemption in Indigo vielleicht ein charmantes Update einer traditionellen Erzählung geworden, wäre da nicht die dominante Erzählerfigur, die eine Zwischenebene einschaltet, auf der sie ständig mit Lesern und Leserinnen interagiert: Das beginnt mit einer Entschuldigung für erzählerische Mängel, später kommen teils weitschweifige Erklärungen zu den kurioseren Einzelheiten der Handlung hinzu (wie kann eine Spinne mit ihren Kauwerkzeugen ein Bier trinken und plaudern?), mögliche Einwände werden vorweggenommen und diskutiert. Schnell fühlt man sich da ertappt, wenn man am Ende die letztlich recht simple Moral und Lösung aller Probleme für übertrieben hält. Der Stil changiert zwischen märchenhaft und literarisch, es gibt keine äußeren Beschreibungen der Figuren, aber sehr genaue Beobachtungen menschlichen Verhaltens, und die präsente Erzählerfigur tritt nie in den Hintergrund.
Doch trotz aller Bemühungen gelingt es ihr nicht ganz, die Zweifel am ausgesprochen runden Ende, in dem keine Fäden offenbleiben, zu zerstreuen. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Konflikt, der sich aufgebaut hat, ein wenig in sich zusammenfällt und sich in Wohlgefallen auflöst, auf jeden Fall funktionieren die kleinen, dörflichen, verschmitzt kommentierten Szenen besser als die dramatisch-großen. Wenn man sich an den formalen Aspekten der Geschichte erfreuen kann, ist Redemption in Indigo jedoch eine unterhaltsame Abwechslung im erzählerischen Einheitsbrei, auch wenn der reine Plot vielleicht etwas zu sehr dem märchenhaften Moralisieren verpflichtet bleibt.

Die Reise ins Herzland von William HorwoodZurückgezogen und fast schon ausgerottet leben Europas letzte Wölfe, ohne Hoffnungen für die Zukunft, da die Menschen sie jagen und ihre Umwelt zerstören. Doch die alten Mythen der Wölfe, die schon fast in Vergessenheit geraten sind, besagen, daß ihnen am Ende eines dunklen Jahrtausends eine Chance bleibt, ihre einstige Stärke wiederherzustellen. Und eines Nachts versucht der junge Wolf Tervicz ein Rudel zusammenzuheulen, aus dem die Wölfe der Zeit werden sollen – ein Rudel bestehend aus Wölfen aus ganz Europa, die die Bruchstücke ihrer Mythen zusammentragen und gemeinsam das sagenumwobene Herzland finden sollen. Aus verschiedenen Ländern machen sich Wölfe auf den beschwerlichen Weg …

-Ein nebliger Morgen dämmert herauf. Es ist der erste Tag des Herbstes, jener Tag, an dem nach altem Brauch die jüngeren, umherschweifenden Wölfe das Rudel verlassen.-
Prolog: Die Reise ins Herzland

Eine Tiergeschichte über Wölfe hat im Rahmen des Jugendbuchs Wolfsaga schon einmal ganz hervorragend geklappt – man möchte also meinen, daß auch in einer erwachseneren Version mit einer komplexeren Handlung gar nichts schief gehen kann, besonders nicht bei einem etablierten Autor von Tierfantasy wie William Horwood, der mit Der Stein von Duncton schon die Mythen der Maulwürfe erfahrbar gemacht hat.
In diesem Auftakt-Band einer ursprünglich als Trilogie geplanten Saga breitet Horwood in mehr als 600 Seiten die Welt der Wölfe aus, und in diesen 600 Seiten verfranst sich die Geschichte – die eigentlich sehr gute Ansätze hat – so sehr, daß man als Leser nur bedingt mitgerissen und unterhalten wird.

Es steht nichts weniger auf dem Spiel als die Rettung der “Wolfheit”, und diese liegt in den Pfoten eines bunt zusammengewürfelten Rudels aus ganz Europa. Leider hat Horwood den unterschiedlichen Wölfen wie dem stolzen Aragon aus Spanien oder dem wortkargen Klimt aus Skandinavien keine besonders ausgeprägten Persönlichkeiten verliehen, sie statt dessen sogar mit (nationalen) Klischees ausstaffiert, ihre Konflikte wirken aufgesetzt und ebenso klischeegetrieben.
Dafür liest man aus dem ganzen Buch heraus Horwoods Anteilnahme an der Vergewaltigung der Natur durch den Menschen, die Schilderungen dazu sind eindringlich, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Zu Beginn des Buches drängt sich daher der Verdacht auf, es spiele zur Zeit, als der Umweltschutz sich durchzusetzen begann, doch wenn es später zu einer großen Seuche und einem Krieg der Menschen in Europa kommt, zeigt sich, daß es sich eher um ein Zukunftsszenario handelt.

Lange Landschafts- und Naturbeschreibungen stehen dem als Gegenentwurf gegenüber – aus Wolfssicht vermutlich hochinteressant, für den Leser trotz einer sehr angenehmen Sprache irgendwann ermüdend: Wenn es mehrere Seiten lang nur um Wolken, Felsen und Wildblumen geht, verliert dieser Kniff, die Welt aus Tiersicht zu zeigen, sehr schnell ihren Charme.
Die Handlung plätschert eher ziellos vor sich hin, und der einzige Dreh- und Angelpunkt sind die alten Geschichten der Wölfe, die von der Wiederkehr ihres Gottes Wulf erzählen. Diese Wolfsmythologie ist Horwood ausgesprochen gut gelungen; er schafft es, vielen Verhaltensweisen von Wölfen einen stimmigen tradierten Kontext zu geben, und diese Darstellungen gehören zu den besten Passagen des Romans. Hätte man die darauf basierende Geschichte gestrafft und mit etwas mehr Leben versehen, wäre vielleicht tatsächlich eine Wolfsaga für erwachsene Leser herausgekommen. Mit den dünnen, seltsam distanziert wirkenden Konflikten unter den Wölfen und dem geringen Tempo der Haupthandlung ist aber nur verständlich, daß der geplante Mittelband der Trilogie (Wanderers of the Wolfways) gestrichen wurde, so daß Horwood seine Geschichte in nur einem weiteren Band zu Ende erzählen mußte.

Requiem von Ken ScholesWährend Jin Li Tam gen Y’Zir segelt, um ihren geheimen Auftrag zu erfüllen, kämpft ihr Gemahl Rudolfo in den Neun Wäldern nicht nur gegen die überbordende Macht der Y’Ziriten – die ihn als Verbündeten ausersehen haben und um keinen Preis aus dieser Rolle entlassen –, sondern das Gefühl, betrogen und verlassen worden zu sein. Winters und ihr vertriebenes Volk versuchen eine neue Bleibe zu finden und sich die Hoffnung zu bewahren, dass die Mission von Neb, der sich in etwas Unnahbares und Unverständliches verwandelt hat, doch noch von Erfolg gekrönt ist und ihnen den Weg in ihre wahre Heimat öffnet.

-A gibbous moon hung in the predawn sky, casting shades of blue and green over a blanket of snow. Fresh from the gloom of the woodlands behind her and not even an hour past the warmth of the thick quilts and crackling fire of her family’s home, Marta clutched her stolen sling and cursed the rabbit for running so far and so fast.-
Prelude

Im vierten Band der Psalms of Isaak befinden wir uns auf dem Höhepunkt einer vielschichtigen und aus vielen Blickwinkeln erzählten Saga, jeder Handlungsstrang ist durch drei Bände Vorgeschichte belastet, so dass es schwierig wird, auch nur einen allgemeinen Überblick über den Inhalt zu geben. Deshalb zu Beginn vielleicht ein Hinweis für die Kenner der Reihe, der eine der wichtigsten Fragen beantwortet: Trotz des Titels und der düsteren Vorankündigungen wird Requiem keine Tragödie. Es geht – wie schon der letzte Band – mit einer gewissen Sterbequote an die Nieren und bringt in verschiedenen Ausprägungen das Thema der Endlichkeit zur Sprache, doch ein desolates Trauerspiel, das mit aller Kraft auf die Tränendrüse drückt, bevor der letzte Band erscheint, ist es nicht geworden.

Zunächst bricht die Geschichte endgültig aus dem längst nicht mehr geschützten Rahmen der Benannten Lande aus und führt in eine größere und komplexere Welt, in der die Regeln der Moral und dessen, was man wissen kann, neu definiert werden. Die Linien verschwimmen zusehends, Recht und Unrecht, Gut und Schlecht vermischen sich zu einer riesigen Grauzone, in der sich keine der Figuren wohlfühlt. Der Wunsch nach Klarheit, der alle antreibt, und die Verwirrung und Ohnmacht aufgrund des fehlenden objektiven Standpunkts sind sehr moderne Empfindungen, die Scholes meisterlich in einem Fantasy-Setting fühlbar gemacht hat, und das ist in dem Subgenre, in dem er sich bewegt, eine beachtliche Leistung, denn wenn man mit Rudolfo, Jin, Neb, Petronus, Vlad und Winters ins Schwimmen gerät, sticht ins Auge, wie abhängig die Struktur der epischen Fantasy mit ihren Prophezeiungen (die sich hier ein ums andere Mal als von langer Hand geplant erweisen), ihren in einem festen Fundament verankerten Religionen und Grundsätzen und ihren schicksalshaften Rollen für Individuen von einer unbestreitbaren Wahrheit ist. Eine spannende Frage ist demnach auch die, ob eine solche im letzten Band gefunden wird.

Als Nebeneffekt, der allerdings enorme Wirkung auf die Figuren hat, lockert sich auch das vorher klar bestimmte Beziehungsgeflecht: Räumliche Trennung löst vormals enge Verhältnisse, politische Bündnisse zerbrechen vollständig, jede Verbindung wird aufs Härteste erprobt und hält oftmals nicht stand. Dennoch bleibt das Familienthema zentral, es zurrt sich sogar immer enger um den mythisch aufgeladenen Handlungskern zusammen: Das verzweigte und mehrfach gebrochene Narrativ der Familie Tam wird abermals auf den Kopf gestellt, und die Verbindungen zwischen Mechoservitoren, Menschen und alten Göttern scheinen zugleich liebevoll und schrecklich.
Es fällt auf, wie sehr bei allen männlichen Figuren das Thema der Vaterschaft in den Vordergrund rückt, und manchmal scheint das Ganze thematisch fast etwas zu sehr durchkalkuliert, etwa wenn jeder der (männlichen) Helden sich mit Verführung und der Treuefrage auseinandersetzen muss, die sich in Zeiten zerbrechender Bande stellt.

Zum Glück werden aber auch neue Beziehungen geknüpft: Ein Neuzugang unter den Figuren, aus deren Sicht erzählt wird, ist das Mädchen Marta, die sich mit einem Mechoservitor anfreundet. Ein Kind und ein Roboter – die bezaubernden Szenen, die diese Konstellation bietet, heben die Laune inmitten des schweren Stoffs. Martas Kombination aus unmittelbarer, kindlicher Weltsicht und Unschuld einerseits und ihrem Durchblick, der dem der Erwachsenen oft überlegen ist, hat etwas Erfrischendes inmitten der ganzen gereiften Personen, die die Psalms of Isaak sonst bestreiten, manchmal jedoch macht sie den Eindruck, etwas zu sehr die emotionale Auffassungsgabe eines Erwachsenen zu besitzen.

Dass es thematisch und auf der Figurenebene hoch hergeht, ist allerdings nicht das, was diesen Band zum wahren Genuss macht: Ken Scholes ist ein Mythenschöpfer, und in Requiem hat er seine Helden an Positionen manövriert, wo er seine Schöpfungen zum Funkeln bringen kann. Wir betreten nicht nur die Terra incognita der Benannten Lande, sondern den Mond, den man im geradlinigen, aber trotzdem bisweilen poetischen Stil der Reihe nur zu gerne erkundet.
Für Leser und Leserinnen kristallisieren sich dabei immer mehr Hintergründe heraus, wenn man im Auge behält, dass Scholes hier SF-Elemente mit den Mitteln der Fantasy ausdrückt. Dadurch kommt ein neuer Blickwinkel auf Vertrautes zustande, man sieht sozusagen doppelt: Aus Figurensicht bleiben die SF-Aspekte unerklärlich und mystisch, und sie bewahren diese Aura, auch wenn man aus Lesersicht mehr weiß.
Die Psalms of Isaak stehen damit vor einem Finale, in dem alles passieren kann und nur eines klar ist: Die Welt, wie sie war, ist in ihren Grundfesten erschüttert.

Resenting the Hero von Moira J. MooreDie junge Dunleavy Mallorough ist ein “Shield” – sie kann einen Magier beschützen, während dieser die großen Naturkatastrophen verhindert, die Dunleavys Heimat regelmäßig heimsuchen. Nach ihrer Ausbildung hofft sie, mit einem netten und bescheidenen “Source”-Magier ein Bündnis eingehen zu können, doch zu ihrem Leidwesen ist es der berühmt-berüchtigte Lord Shintaro Karish, ein Angeber und (Frauen-)Held, der sie auswählt. Während Dunleavy noch mit dem Schicksal hadert, schleppt ihr Gefährte sie schon zu ihrer ersten Aufgabe: Sie sind der größten und gefährlichsten Stadt des Kontinents zugeteilt worden. Dunleavy hat allerdings nicht lange Zeit zu murren, denn jemand scheint es auf die Magier der Stadt abgesehen zu haben …

-“Not feeling any uncontrollable urges, are you?” the low voice in my ear teased.
I looked up at the speaker and said, “Huh?”-
Chapter One

Leicht, locker und lustig – das scheint schon das Titelbild von Moira J. Moores Debutroman zu versprechen. Und wenn man sich keinen Terry Pratchett erwartet und eine Portion lustig gegen eine Prise romantische Anflüge austauscht, liegt man damit ganz richtig, hockt allerdings auch zwischen den Stühlen, denn für eine Komödie ist die Sache zu ernst, für eine Romanze herrschen – noch? – die ganz und gar falschen Gefühle zwischen den beiden Hauptcharakteren, und ob die Source & Shield-Reihe Parodie oder doch eher Ernst sein will, läßt sich mit der Lektüre dieses Bandes nicht abschließend klären.

Die aus der Ich-Perspektive berichtende Protagonistin Dunleavy wünscht sich alles andere als einen aufschneiderischen Helden an ihrer Seite, als sie den Dienst beim “Triple S” (Source & Shield Service) beginnt. Triple S schützt mit seinen Magiern die Menschen vor der ihnen feindlich gesonnenen Umwelt – an dieser Stelle klingt ganz leicht ein “Lost Colony”-Thema an: die Menscheheit ist einst mit Raumschiffen auf diesem unwirtlichen Planeten voller Naturkatastrophen gelandet.

Vom ersten Augenblick an vertragen sich Dunleavy und ihr Partner bis ans Lebensende, Lord Karish, in etwa so gut wie Hund und Katz. Da liegt die Vermutung nahe, daß sich die Handlung nun im Zusammenraufen der beiden widerstrebenden Naturen ergeht und sich die Helden am Ende in den Armen liegen werden, aber so einfach ist Resenting the Hero dann vorerst nicht gestrickt, obwohl man zu Beginn recht seifenopernmäßig in die Handlung eingeführt wird. Die kurzen Kapitelchen machen als leichte Lektüre Spaß und lesen sich sehr flott und nach der Einstiegsphase auch spannend, selbst wenn man zu wissen glaubt, wie der Hase läuft. Unterwegs warten einige interessante Wendungen, wenn auch der Schluß samt einem so bösen Fiesling, daß er beinahe zur Karikatur geraten wäre, ein Stück übers Ziel hinausschießt.

Wie es bei der Ich-Perspektive manchmal Fall ist, leidet auch hier die Hauptfigur unter üblen (und konstruiert wirkenden) Fehleinschätzungen und erscheint bisweilen arg begriffstutzig. Insgesamt sind die beiden Protagonisten aber lebendig und menschlich gezeichnet, gerade Dunleavy werden auch negative Seiten zugestanden und ihr Hang zum Egoismus dürfte nicht jedermanns Sache sein.
Da das Büchlein relativ dünn und schnell gelesen ist, gibt es bei den anderen Figuren starke Abstriche, sie bleiben im Hintergrund oder sind sehr formelhaft; und man darf sich gewiß auch keine Wunder an Weltschöpfung und epischer Handlung erwarten, im Gegenteil, der Plot läuft ein wenig ins Leere, als würden der Autorin die Seiten ausgehen. Der “Triple S” bzw. die Magie von Source & Shield ist dagegen eine ganz nette Erfindung, und auch sonst sticht die Welt an einigen Stellen ein wenig hervor (zum Beispiel ist man trotz der eher mittelalterlichen Anmutung  der technisch zurückgeworfenen Kolonisten recht frei in Liebes- und Geschlechterfragen), insgesamt bleibt aber alles eher blaß, worauf schon kreative Ortsnamen wie High Scape oder Middle Reach schließen lassen.

Als niedlich-harmlose Unterhaltung läßt sich Resenting the Hero dennoch lesen – da bleibt nur abzuwarten, ob sich die Dynamik der hadernden Hauptfiguren in den Fortsetzungen verliert, und ob die Autorin sich doch noch auf eine verhinderte Liebesgeschichte einschwingt oder bei einer interessanten Freundschaft bleibt.

Royal Assassin von Robin HobbNach Veritys Hochzeit erholt sich Fitz nur langsam, während die Red Ships weiterhin die Küste terrorisieren, bis der Prinz befürchtet, sein Land werde den nächsten Sommer nicht überstehen. So faßt er den Plan, sich auf die Suche nach den legendären Elderlings zu machen, und sie um Hilfe zu bitten. Er läst seine Frau zurück, um über seinen Thron zu wachen. Regal erkennt seine Chance und lässt nichts unversucht, um während der Abwesenheit von Verity Kettricken in Verruf zu bringen. Als Fitz wieder erstarkt, ist es an der Zeit, daß er als “Royal Assassin” dafür sorgt, daß der rechtmäßige Thronerbe bei seiner Rückkehr auch noch ein Königreich hat, in das er zurückkehren kann …

-Why is it forbidden to write down specific knowledge of the magics? Perhaps because we all fear that such knowledge would fall into the hands of one not worthy to use it.-
Prologue: Dreams and Awakenings

Robin Hobbs Geschichten beginnen, so sagt sie, mit den Figuren – die Handlung ergibt sich erst später. Diese Vorgehensweise wirkt sich fast auf jedes Wort ihrer Romane aus, und jeder Leser, der Geschichten mag, in denen das Innere gegenüber dem Äußeren dominiert, kann sich von der intensiven Charakterschilderung in Royal Assassin mitreißen lassen.

Im zweiten Farseer-Band wird die Biographie des königlichen Bastards Fitz nahtlos fortgeführt, so daß man auf alle bekannten Figuren des ersten Teils trifft und sogar die Handlung in ganz ähnlichen Bahnen verläuft – immer dann, wenn Fitz brillieren kann, verliert er auch, denn seine Fähigkeiten und Leistungen unterliegen stets der Geheimhaltung, so daß sein Privatleben gehörig in Mitleidenschaft gezogen wird und der Lohn für die Heldentaten gering ausfällt. Langweilig wird es aber nie, denn der Fokus liegt vornehmlich auf Fitz’ Entwicklung statt auf den Ereignissen um ihn herum – wobei beides zusammenhängt und letztendlich doch eine Mischung erreicht wird: Abenteuer und Action kommen also keineswegs zu kurz.

Grundthema ist die Lebenslüge, denn Fitz muß vor allen außer wenigen verbergen, was er wirklich ist, vor allem vor seiner großen Liebe Molly. Darunter lauert eine weitere Schicht, seine Gabe, sich geistig mit Tieren zu verbinden, mit der er abergläubischen Haß auf sich zieht und von der er doch nicht lassen kann. Hin- und hergerissen zwischen seinen Verpflichtungen und seinen eigenen Wünschen nach einem vermeintlich freiem Leben, erlebt der Protagonist kaum einen schönen Augenblick. Er ist schon ein gequälter Bursche, dieser Fitz, und da das Buch auch noch offen und nicht eben gut endet, benötigt man die paar lichten Punkte, die es bietet, äußerst dringend: Da gibt es einmal herrliche Figuren, die trotz der Dominanz des Hauptcharakters als Ich-Erzähler noch viel Raum bekommen und die in allen Facetten angenehm menschlich und unkonstruiert wirken – edle, oder zumindest bodenständig-ehrliche Figuren wie Prinz Verity, Stallmeister Burrich und Fitz’ Ersatzmutter Patience. Jeder, der gerne liest, wie Tiere sich an Figuren binden, wird Fitz’ neues Haustier Nighteyes lieben, das auch einen trockenen Witz in die Geschichte einbringt.
Spannung bezieht Hobb unter anderem daraus, daß sie nach und nach wieder Details und Geheimnisse der vielschichtigen Figuren lüftet, und vor allem eine zwingende Intrigengeschichte erzählt, die eng mit Fitz’ eigener Geschichte und Reifung verknüpft ist.

Gute Recherche über das mittelalterliche (Stadt-)Leben rundet die Geschichte ab und macht daraus eine in vielen Belangen realistisch wirkende, eindringliche und mitreißende Charakterstudie. Wenn nicht alles gar so traurig und düster wäre, würde man das Buch mit einem großen Lächeln im Gesicht ins Regal zurückstellen …

Ruf des Mondes von Patricia BriggsAls Mercy Thompson den jungen Mac als Aushilfe in ihrer Autowerkstätte anheuert, ahnt sie noch nicht, was für einen Ärger sie sich damit aufhalst: Mac, ein junger Werwolf, der offensichtlich sein Rudel verlassen hat, hat gefährliche Feinde. Mercy, selbst nur eine Gestaltwandlerin und weniger stark als ein Werwolf, ist dem Fall bald nicht mehr gewachsen, denn es folgt auch ein Angriff auf das örtliche Werwolfsrudel, wobei die Tochter des charismatischen Anführers entführt wird. Bald sieht Mercy sich gezwungen, alle Register zu ziehen – sie bittet ihren Vampir-Freund um Hilfe und kehrt sogar zu ihren Wurzeln zurück, dem mächtigen Werwolfsrudel, das sie einst aufgenommen hat und an das sie vor allem schmerzliche Erinnerungen binden …

-Mir war nicht sofort klar, dass ich einen Werwolf vor mir hatte.-
1

Mercy Thompson, ihres Zeichens Automechanikerin, ist eine Heldin aus einer Legion von Frauen, die in den letzten Jahren vermehrt das Phantastik-Genre aufmischen, die Werwölfe, Vampire oder Dämonen jagen, mit Werwölfen, Vampiren oder Dämonen ins Bett steigen – oder, wie eben Mercy, versuchen, trotz Werwölfen, Vampiren und anderen Gestalten zurechtzukommen und ein ganz normales Leben zu fristen. Keine Frage, daß das nicht klappt, und Mercy Verwicklungen abenteuerlicher und romantischer Natur erleben muß, denn sie behauptet sich in einer Welt, in der einige Feenwesen sich aufgrund des Mediendrucks offenbaren mußten und in Koexistenz mit den Menschen leben, wohingegen die traditionell organisierten Werwölfe und Vampire sich damit noch zurückhalten und weiter im Geheimen agieren. Hier hat Patricia Briggs geschickt einige Elemente des modernen Alltags zu einer lebendigen Parallelwelt zusammengestrickt, um eine nette, wenn auch in Zeiten der Urban-Fantasy-Schwemme nicht sonderlich originelle Kleinstadtkulisse für Mercys Abenteuer zu bieten.

Immerhin sticht die Heldin aus der Masse ihrer Kolleginnen hervor: Umgeben von mächtigen Werwölfen und Vampiren ist sie nur eine kleine Gestaltwandlerin, die ab und an als Kojote durchs Bild huscht, wenn auch durchaus mit besonderen Kräften ausgestattet. Ganz selbstbewußt und unabhängig steht sie ihre Frau (man ist schließlich Automechanikerin!), umgeben von Männern, deren erstes Attribut immer ihre Attraktivität ist, und von den besonders attraktiven sind auch gleich alle bis auf den Quotenschwulen hinter unserer Heldin im Kojotenpelz her und streiten sich mitunter um sie oder leben ihren Beschützerinstinkt aus (Rollenverhalten wird überhaupt gerne mal auf Instinkt geschoben, der im Werwolfumfeld ganz groß geschrieben wird). Urban Fantasy und Rollenklischees sind offenbar einen fast untrennbaren Bund eingegangen, auch wenn man Mercy Thompson zugestehen muß, daß sie sich im Grunde wacker schlägt, ab und an alles mit einem Augenzwinkern abgemildert wird und in diesem Bereich wirklich Schlimmeres existiert.

Mit dem aus Ich-Perspektive erzählenden Hauptcharakter steigt man schnell in eine Handlung ein, in der die örtlichen Werwölfe – nicht eben Mercys beste Freunde – von einer Verschwörung bedroht werden, in die sie mitten hineinschlittert. Witzige Episoden und Charaktere, vom VW-Bus-fahrenden Vampir bis hin zum Werwolf-Anführer, der keiner Katze ein Haar krümmen kann, sorgen für gute, spannende Unterhaltung, die man locker weglesen kann. Allzu viele Gedanken sollte man dem Plot allerdings nicht widmen, sonst fällt er in sich zusammen wie ein Kartenhaus, vor allem beim konstruiert wirkenden und flott abgehandelten Ende wird deutlich, wie dünn die Handlung war. Die letzte Szene schrammt knapp an einem hochromantischen Ausgang vorbei und mündet stattdessen in das vergnügliche Hickhack zwischen den Charakteren, das im gesamten Roman präsent war.

Mercy als lockere Erzählerin tut ein übriges dafür, daß der Humor nicht zu kurz kommt, allerdings wirkt der Ich-Erzähler gerade anfangs stellenweise plump, wenn allzu offensichtlich Dinge erklärt und Informationen eingestreut werden, die, wenn schon auf diese Art, vielleicht immer noch charmanter mit einer direkten Ansprache des Lesers untergebracht worden wären, statt sie ihm in Monologen der Hauptfigur unterzuschieben, die die Handlung bremsen und wie Fremdkörper wirken. Nachdem man die ersten Erklärungen, die gleichsam Einführung in Mercys Welt sind, hinter sich gelassen hat, steht dem Spaß an der Lektüre allerdings nicht mehr viel im Wege, wenn man sie als das nimmt, was sie ist: Seichte Unterhaltung ohne große Hintergründe – jedoch vergnüglich und solide umgesetzt, und somit eine ideale Entspannungslektüre für alle, die nicht gleich in den wirklichen Untiefen der Urban Fantasy und Romantasy nach Lesefutter angeln wollen, sondern eine größtenteils bodenständige Heldin und Geschichte bevorzugen.

Die deutsche Ausgabe von Moon Called wartet allerdings noch mit einem großen Mangel auf: Einer phänomenalen Dichte an Fehlern – vom Tippfehler über verdrehte Namen bis hin zu nicht zu Ende geführten Sätzen, in einer Frequenz, die das Lesevergnügen durchaus beeinträchtigt.

The Scar von China MiévilleBellis Coldwine muß ihre Heimatstadt New Crobuzon verlassen und mit einem Schiff in eine ferne Kolonie zu flüchten. Mit ihr an Bord sind andere Passagiere und ein ganzer Rumpf voller Gefangener – Arbeitssklaven für die Kolonie. Doch sie erreichen niemals ihr Ziel: Nach einem Überfall werden alle Reisenden zwangsweise zu Bürgern von Armada gemacht – einer Piratenstadt, die über die Meere von Bas-Lag treibt. Während die Gefangenen nun frei sind und Armada loyal gegenüberstehen, kann sich Bellis nicht damit abfinden, bis ans Ende ihrer Tage dort bleiben zu müssen. Als sie herausfindet, daß die Führer der Stadt nach dem größten aller Meeresungeheuer fischen wollen, versucht sie ihr Wissen zur Flucht einzusetzen.

-A mile below the lowest cloud, rock breaches water and the sea begins.
It has been given many names. Each inlet and bay and stream has been classified as if it were a discrete.-

Zum zweiten Mal gelingt China Miéville das Kunststück, vorzuführen, was Fantasy alles könnte und wie wenig davon in vielen Fällen realisiert wird. Zeitlich knüpft The Scar direkt an den Vorgänger Perdido Street Station an, steht aber im Bezug auf Handlung und Figuren seperat und erzählt ein völlig neues Kapitel aus der Geschichte der Welt Bas-Lag.

Komplex, kreativ, realistisch und ausufernd ist Miévilles Bas-Lag, es gibt faszinierende neue Völker und Wesen zu entdecken, die Strukturen der Gesellschaft sind ungewohnt gut ausgearbeitet, und auch wenn die großen Zusammenhänge obskur bleiben, hat man stets das Gefühl, sich in einer Umgebung mit politischem und geschichtlich authentischem Hintergrundgeschehen und verschiedenen koheränten Kulturen zu bewegen – doch Fans klassischer Fantasy seien gewarnt: Das Zeitalter entspricht ungefähr der frühen Moderne, in der Maschinen, Wissenschaft und sozialer Sprengstoff, aber auch Thaumaturgie und “magische” Schwerter an der Tagesordnung sind.
Gerade die sozialkritische Komponente kommt immer wieder zum Tragen – in der freien, anarchistischen Piratenstadt Armada entwickelt sich unweigerlich die altbekannte Dynamik und die Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen bleiben letztendlich unveränderlich. Für Leser, von die brisanten Themen in der Fantasy lieber verschont bleiben möchten, ist der Roman daher wenig empfehlenswert.

Auf der anderen Seite wartet allerdings ein großartiges Entdecker- und Meeres-Abenteuer in The Scar (daß Miéville auch submarine Spezies im Portfolio hat, macht gleich zu Beginn des Romans ganz neue Welten zugänglich), und dort kann sich der Autor beim Schöpfen von Monstern und Schauplätzen und in aberwitzigen Ideen austoben, und hat zugleich eine schillernde Projektsionsfläche für Denkansätze verschiedenster Art geschaffen. The Scar mutet teils wie ein bizarrer Fiebertraum an, bleibt aber doch von einer brutalen Realität, in der einem mit grandioser und auch schonungsloser Sprache verstörende und einprägsame Bilder vermittelt werden.
Damit man nicht ganz von der mitreißenden maritimen Entdeckungsreise weggespült wird, sorgt die Protagonistin Bellis für etwas Distanz – sie ist eine spröde Hauptfigur, die sich nicht mit Armada identifizieren kann und sich ihr erzwungenes neues Dasein um keinen Preis aneignen will, selbst als sich ihr ungeahnte Möglichkeiten auftun. Unterstützt wird sie von weiteren Figuren, aus deren Sicht berichtet wird, und die teils zugänglicher als die Heldin sind. Doch Miéville spielt ohnehin mit dem Leser und seinen Figuren, und die Haupthandlung, die am Anfang eher ruhig vor sich hintreibt, gewinnt Schlag auf Schlag an Dynamik und führt einen immer wieder an der Nase herum.
Helden, Pathos und Vorhersehbarkeit gestattet diese Geschichte nicht, statt dessen hat alles einen hohen Preis und läßt Leser wie Figuren verändert zurück. Schon allein wegen dieser emotionalen Kraft lohnt sich der Besuch in Armada – nebenbei sicherlich eine der außergewöhnlichsten Fantasy-Städte, die je beschrieben wurden.

Der scharlachrote Turm von Mathieu GaboritDer junge Januel, über dessen Kindheit niemand redet, dient im Orden der Phöniken als begabter Schüler. Der Orden betreut die Phönixe, eine von vielen verschiedenen Spezies von mythischen Wesen, die auf der Well`t beheimatet sind. Während die Drachen, Greifen, Einhörner und anderen jeweils mit einem bestimmten Reich der Well`t verbunden sind, sind die Phöniken frei und geraten deshalb ins Visier von Machtkämpfen der anderen Orden und Reiche. Als Januel die ehrenvolle Aufgabe, den kaiserlichen Phönix wiederzuerwecken, zugewiesen wird, zeichnet sich eine Katastrophe ab: Das Aas – das Reich der Toten – plant die Übernahme der Well`t und versucht dazu, die Orden und Reiche ins Chaos zu stürzen.

-Das letzte Tageslicht tauchte den Horizont in ein glutrotes Licht. Das Kind betrachtete wehmütig die sterbende Feuersglut.-
Prolog

Fantasy aus Frankreich bekommt man nun nicht alle Tage zu lesen, um so spannender ist es, wenn hin und wieder auch ein Roman aus dem Land der Comics auf den deutschen Fantasy-Markt schwappt. In diesem Fall jedoch erwartet den Leser im ersten Band der Trilogie Im Reich des Feuervogels kaum etwas allzu besonderes: Der junge noble Held, dessen einzige Schattenseite seine mysteriöse Vergangenheit ist, wird vom Schicksal gebeutelt und kann sich dadurch prächtig vom Jungen zum Mann entwickeln, aber auf dieser Schiene tut sich im Auftaktband noch nicht viel. Auch der Rest des Personals liest sich wie die Standard-Besetzung in einem Rollenspiel-Roman (darum handelt es sich allerdings bei Der scharlachrote Turm (Cœur de Phénix) nicht): Ein weiser, gütiger Lehrmeister, eine gutaussehende, schlagkräftige und toughe Söldnerin, ein rachdürstiger, intriganter Oberpriester.
Die richtigen Bösen, bezeichnenderweise als »das Aas« geführt, sind natürlich nicht nur fies, sondern auch eklig, komplett mit Würmern und herabfallenden Körperteilen. Eindringliche Beschreibungen, so daß es einem kalt den Rücken herunterlaufen würde, gehören aber nicht zum Repertoire des Autors.

Bei seiner Welt oder vielmehr Well`t hat Gaborit ein wenig tiefer in die Wunderkiste gegriffen und setzt auf die Fealen, eine ganze Handvoll der bekanntesten Fabeltiere, die die Geschichte und Kultur der Well`t geprägt haben. Am meisten erfährt man diesebezüglich natürlich über die Phönixe – und die weltschöpferische Detailarbeit daran ist zwar nicht unbedingt schlecht, aber trotz der ungewöhnlichen Idee der festen Einbdindung der Fabeltiere entwickelt sich daraus sehr wenig Eigenes; allerhöchstens eine etwas buntere Variante des eher mittelmäßigen Standard-Fantasy-Settings.
Zusätzlich erschwert die sprachliche Ausführung den Lesegenuß, und vor allem am Anfang sorgen Formulierungen wie »eine Art Countdown der Nacht« oder »um dieses Handicap auszugleichen« für Verwirrung bezüglich der Zeit, die der Autor gerne darstellen möchte – man muß damit leben, daß diese Verquickung von flapsiger, moderner (Anglizismen-)Sprache und mittelalterlicher Welt wohl ernst gemeint ist.

Als Januel dann durch eine Intrige zur Flucht gezwungen wird, kommt der action- und spannungsreiche Teil des Romans. Fans von schneller, leichter Abenteuer-Fantasy kommen also durchaus noch auf ihre Kosten, besonderen Tiefgang entwickelt das Ganze aber nicht. Letztendlich macht es also nicht allzu viel Unterschied, ob man einen französischen Gaborit oder einen amerikanischen Salvatore liest; von Actionfantasy erwartet sich wohl die ganze Well`t dasselbe Schema …

Schattenbruch von Markolf HoffmannNoch immer kämpfen die Menschen auf Gharax verzweifelt gegen die einfallenden Echsenwesen, die Goldéi, an – doch nach wie vor ohne Aussicht auf Erfolg. Nicht einmal die von Baniter Geneder herbeigeführte Verbindung des Kaiserreichs Sithar mit seinem Nachbarn Arphat kann gegen die einfallende Macht bestehen, zumal der junge Kaiser und seine Frau, die arphatische Herrscherin, gegeneinander intrigieren. Baniter selbst ist ein Gefangener des Kaisers, während sich über der Hauptstadt Vara langsam das Unheil zusammenbraut.
Derweil versuchen die beiden verfeindeten Legenden Mondschlund und Sternengänger ihre jeweiligen Verbündeten in den Kampf zu ziehen, doch diese vertrauen ihren Mentoren nicht vollends – wie es aussieht, zu recht.

-Tief im Gestein schwelt uralter Haß. Zwischen Schichten aus Erz und Granit, Ton und Kies wohnt eine Kraft, die uns Menschen verachtet, unser Fleisch, unser pochendes Herz, das Blut, das durch unsere Adern peitscht.-
Prolog

Mit einem abermals äußerst eindrucksvollen Prolog nimmt Markolf Hoffmann die vielen komplex verstrickten Fäden seiner Erzählung wieder auf – und das größte Manko an Schattenbruch ist wohl, daß er sie in diesem immerhin vorletzten Band der Reihe nicht einmal ansatzweise entwirrt, so daß man am Ende nur wenig klüger ist und sich in keiner Weise ausmalen kann, wo der Autor denn mit all seinen Handlungssträngen hin will. Daher entsteht trotz der diesmal actionreichen und vielseitigen Handlung das Gefühl, im Prinzip auf der Stelle zu treten: Es werden keine Zusammenhänge aufgeklärt, die fragwürdige Loyalität und Moral aller Figuren bleibt erhalten und gerade zu den beiden großen Gegenspielern im Hintergrund der Geschichte, Sternengänger und Mondschlund, gibt es keine näheren Informationen.

Wenn die Kontinuität in Hoffmanns Informationspolitik auch ein wenig störend ist – an anderer Stelle ist sie hochwillkommen: Wie bereits in den Vorgängerbänden kann man sich an einem schönen und sich vom Einheitsbrei abgrenzenden Sprachstil erfreuen, der wie gehabt auch sprachliche Experimente beinhaltet (die wiederum nicht jedes Lesers Fall sein dürften). Abgesehen davon, daß nicht alle diese Experimente ganz rund laufen, finden sich in Schattenbruch wieder etliche stilistisch überzeugende Elemente, und man kann sich von einem erweiterten Wortschatz, der durchaus auch antiquierte Wortbedeutungen enthält, verwöhnen lassen.

Die Handlung vermag nach wie vor zu fesseln, wenn man auch nicht umhin kommt, zu fragen, wie dieser Knoten im Abschlußband denn ohne brutalen Schwerthieb gelöst werden soll – interessante Ideen, die sich wohltuend vom mittelaltertümelnden Standard abheben, gibt es zu Hauf, und die moralisch ganz und gar nicht einwandfreien Figuren, bei denen so gar kein Auge zugedrückt wurde, so daß sie allesamt mehr schlechte als gute Seiten haben, sind farbig, entwickeln sich und haben Tiefe. Aber gerade hier vermißt man nach wie vor ein wenig Herzblut. Auf den ersten Blick erscheinen die Figuren fast oberflächlich – aber was fehlt, ist schlichtweg ihre Gefühlsebene. Die emotionale Bindung der zahlreichen Charaktere an den Leser wurde beinahe komplett ausgespart und deswegen sind sie nicht selten schwer nachvollziehbar. Den Verzicht auf das vermeintlich billige Wechselbad der Gefühle mag ja ein ehrbarer Ansatz sein, aber die so geschaffene Distanz von Leser und Figur trägt nicht dazu bei, daß man sich locker-leicht auf die Ebene der Geschichte und der Welt Gharax begeben kann.
Ein abgeschlossenes Leseerlebnis hat Schattenbruch übrigens nicht zu bieten – alle Handlungsstränge enden in einem Cliffhanger. Fesselnd genug, zum Folgeband zu greifen, ist das Zeitalter der Wandlung gewiß. Aber mit fortschreitender Dauer hätte man sich in vielfacher Hinsicht etwas mehr als das gewünscht …

Schattenkönige von Michael CobleyVor Jahren wurde das Kaiserreich Khatrimantine von den wilden Mogaun eingenommen, die mit Hilfe ihrer Schamanen und eines bösen Gottes die Priester und Magier unterwarfen und ausrotteten. Nur noch einige letzte verstreute Rebellengrüppchen planen einen unrealistischen Widerstand, und auch diesen droht die Vernichtung: Fünf sterbliche Krieger und Magier beherbergen in ihren Seelen Fragmente des bösen Gottes, der für all die Zerstörung verantwortlich ist. Sie trachten danach, sich zu vereinen und endlich die letzten Reste Khatrimantines auszulöschen.
Doch gerade jetzt taucht ein verschollener Erbe des letzten Kaisers auf, der zu einer neuen Gallionsfigur werden könnte.

-In dem hochgelegenen Bergtal unter dem bedrückenden, sternenlosen Baldachin der Nacht brannten zwischen uralten Ruinen zahlreiche Lagerfeuer.-
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Düster geht es zu in Michael Cobleys Welt, Frohsinn und die schönen Seiten des Lebens sind Fremdwörter im Reich Khatrimantine – schließlich ist die Apokalypse schon längst gelaufen und nur noch die letzten Reste der Zivilisation wehren sich mehr schlecht als recht gegen den Untergang. Verursacht haben den Schlamassel die wilden Nomaden-Horden der Mogaun – diese sind zwar auch Menschen, aber anscheinend liegt ihnen nichts an der Zivilisation – es läßt sich wohl auch in einer zerstörten und vernichteten Welt wunderbar leben und geheihen.
Wäre dies das einzige logische Loch in Schattenkönige (ShadowKings), könnte man noch damit leben, aber die Logik wurde alle paar Seiten der dunklen Atmosphäre geopfert. Diese zumindest beherrscht Cobley, und an keiner einzigen Stelle in knapp 500 Seiten kommt auch nur ansatzweise das Gefühl auf, daß man dieser Welt vielleicht gerne mal einen Besuch abstatten würde.

Auch die Charaktere handeln wenig nachvollziehbar und könnten den Leser kälter nicht lassen: Rebellengeneral Mazaret, Meistermagier Bardow und seine Schülerin Suviel, die Schwertkämpferin Keren – sie alle machen niemals den Eindruck, als wären sie mit Herz und Seele bei der Sache. Im Gegenteil, bei allen stellt man eine gleichgültige Haltung fest, nach dem Motto “Rebellion, hoffentlich ist es bald vorbei”. Motivationen werden höchstens ab und zu ganz plakativ in einer kurzen Selbstreflexion à la “warum mache ich den Mist eigentlich” vermittelt.
Auf der Seite der Bösen sieht es kaum besser aus, hier gibt es Standardfieslinge, die sich auch gegenseitig nicht ganz grün sind, aber immerhin manchmal darüber nachdenken, ob man sich wirklich von den Göttern so herumschieben lassen sollte.

Magie und Militär-Operationen und Action gibt es zuhauf, auch hier nicht immer logisch, aber dafür in Massen.
Vieles bleibt in diesem Band auch kryptisch und verwirrend, und wenn Cobley eine seiner vielen Überraschungs-Trumpfkarten ausspielt, fühlt man sich als Leser eher überrumpelt, weil solch undurchschaubare Strukturen innerhalb der Handlung herrschen, daß man sich manchmal fragen muß, ob der Autor selbst überhaupt den Durchblick behalten hat.
Am VaterBaum, den JägerKindern und der ErdenMutter kann man beim Lesen auch immer wieder hängenbleiben – ein an mißlungene Werbesprache erinnernder Einfall von Cobley, der damit wohl seine einigermaßen unoriginelle Götterwelt aufpeppen wollte.

Bleibt also die apokalyptische Atmosphäre, an der man sich erfreuen (oder vor der man vielmehr erzittern) kann. Hierzu sind vor allem auch die kurzen Kapitelvorspänne gut gelungen, in denen Sprichwörter, Ausschnitte aus Gedichten und Schauspielen und dergleichen mehr aus Cobleys Welt zitiert werden, und die sich immer subtil auf den Kapitelinhalt beziehen. Gäbe es mehr von diesen aufwendig gestalteten Feinheiten, hätte man Schattenkönige vielleicht mit Genuß lesen können, aber es überwiegt der Eindruck einer reichlich konfusen Geschichte – hauptsache schön finster.

Der Schattenprinz von David GemmellTenaka Khan, halb Fürst der Nadir und halb Drenai von hoher Geburt, kennt nur noch ein Ziel im Leben: Er will den Despoten Ceska ermorden, der das Land der Drenai unter seiner Schreckensherrschaft leiden läßt und mit dem Tenaka eine ganz eigene Rechnung zu begleichen hat. Eigentlich ist diese Aufgabe auch für einen der besten Schwertkämpfer, wie es Tenaka ist, reiner Selbstmord, doch auf dem Weg schließen sich ihm alte und neue Freunde an.
Schließlich wird klar, daß Tenaka und seine Gefährten eine Rebellion anzetteln und ein Heer gegen den Kaiser und seine dunklen Kreaturen führen müssen.

-Auf den Bäumen lastete der Schnee, und der Wald lag wie eine schüchterne Braut unter der weißen Decke. Eine Weile blieb der Mann zwischen den Felsen und Steinblöcken stehen und betrachtete prüfend die Hänge.-
Prolog

Wie schon im ersten Band der Drenai-Saga ist auch hier die Handlung sehr linear und sehr dünn: Ein Despot soll vom Thron gestoßen werden. Das ist alles. Keine weiteren Komplikationen, keine Nebenhandlungen, keine unvorhergesehenen Wendungen. Trotzdem hat Gemmell dieses einfache Thema mit einer gewissen Dynamik umgesetzt, die das Buch zu einer schnellen, leichten und unterhaltenden Lektüre macht.
Die Helden sind kernig und unbeugsam und die besten in allen Disziplinen, entwickelt werden sie innerhalb des rasanten Geschehens kaum. Daß es dennoch allesamt farbige, gut vorstellbare Gestalten geworden sind, verdanken sie vor allem dem immer wieder aufblitzenden Humor. Gerade wenn man schon glaubt, man hätte die Nase voll von echten Männern und Pathos, gibt es einen kleinen Schuß Ironie, der (fast) alles wieder ins Lot rückt.

Daß die Handlung einige Generationen nach den Geschehnissen des ersten Bandes angesiedelt ist, sorgt am Anfang für leichte Verwirrung, aber nach einigen Seiten Einstieg findet man Zugang zur Geschichte und erfährt im Verlauf der Handlung auch mehr oder weniger, was zwischen den Büchern geschehen ist. Je mehr Seiten man aber hinter sich bringt, desto auffallender werden auch die Ähnlichkeiten der beiden Bände – bald hat man wiederum eine Belagerungssituation wie in Die Legende vorliegen, und in diesem Vergleich zieht Der Schattenprinz (The King Beyond the Gate) eindeutig den Kürzeren: Auf so wunderbare Überraschungen wie im ersten Band wartet man vergeblich, und gegen Ende wirkt das Buch schlecht strukturiert, wenn etliche Szenen, auf die man gewartet hätte, einfach nicht erzählt werden (so z.B. die Übernahme von Dros Delnoch) und aufwendig vorgestellte Figuren einfach sang- und klanglos verschwinden.

Fans von ausführlicher Weltschöpfung kommen bei Gemmell nicht auf ihre Kosten, und sprachliche Feinheiten gibt es auch nicht zu bewundern, vor allem sticht die deutsche Ausgabe durch viele Flüchtigkeitsfehler und Anachronismen heraus. Wenn man aber hin und wieder ein paar klassische Helden in Aktion erleben möchte (mit einem Schuß Militärstrategie garniert) und sich auch an den nur vordergründig modernen, aber letzten Endes ganz klassischen Frauenrollen und dem ein oder anderen Schenkelklopfer nicht stört, kann man ruhig zu diesem Drenai-Band greifen und wird auf diesen Sektoren bestens bedient – mehr aber auch nicht.

Schattenritter von James ClemensTylar ist ein gefallener Schattenritter – einst war er einer der Ritter der Götter, nun lebt er als Krüppel in der Gosse. Eines Nachts aber wird er Zeuge der Ermordung einer Göttin – und mit ihrem letzten Atem haucht sie Tylar noch ein Geheimnis zu und verleiht ihm eine mysteriöse Gabe. In den Augen ihrer Schattenritter und Beschützer, die noch rätseln, wie ein unsterblicher Gott überhaupt getötet werden konnte, macht Tylar dies zum Schuldigen. Nur Delia, eine Dienerin der Göttin, hält zu Tylar und verhilft ihm zur Flucht. Tylar sieht nur einen Ausweg: Er muß seine Unschuld zu beweisen.
Derweil wird die junge Außenseiterin Dart an der Schule für angehende Götterdiener ausgebildet. Doch einige Lehrer und Schüler wollen ihr Böses.

-Es gleitet, ein Schatten sucht das Licht.
Sein wahrer Name bezeichnet ein Wesen jenseits von Fleisch und Atem.-
In der Dunkelheit…

Souverän wie eh und je erzählt James Clemens von einem gefallenen Ritter, einem Dieb, einer hübschen Alchimistin und dem unvermeidlichen Waisenkind mit magischen Fähigkeiten, die langsam eine weltumspannende Verschwörung aufdecken. Obwohl die Geschichte und Welt völlig unanbhängig von Clemens’ vorausgegangenen Fantasy-Zyklus sind, kann man einen hohen Widererkennungsfaktor nicht leugnen – es sind Motive und kleine Details, die alles vertraut machen und so manche Überraschung in der Handlung ein wenig schmälern, wenn man bereits ein versierter Clemens-Leser ist. Die Charaktere sind hier beispielsweise gewohnt detailiert und liebevoll entworfen, aber ein wenig erkennt man die Schablone, die Clemens benutzt hat. Zum Wiedererkennungswert kommt hinzu, daß Clemens sehr klassisch erzählt und dazu auf ausgetretenen Pfaden wandelt, und diese Überanpassung an Fantasy-Standards kommt der Spannung nicht gerade zugute.

Neues bietet dagegen die Welt Myrillia, in der sich hundert Götter in fleischlicher Form niedergelassen haben und mit ihren Gaben Magie ermöglichen und die Länder aufblühen lassen. Diese Gaben haben es in sich – dabei handelt es sich nämlich um (alle vorstellbaren) Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen der Götter. Das System ist gut durchdacht und im Grunde innovativ, aber der häufige Einsatz der Magie zur letzten Rettung und ihre letztendliche Form in Feuer, Frost oder vergleichbaren Effekten haben einen recht faden Beigeschmack.
Dieses Mal bekommt man auch kein ans Mittelalter angelehntes Setting geboten, sondern es gleiten U-Boote und Luftschiffe durch die Szenerie, magisch angetrieben, versteht sich. Manchmal verliert sich der Zauber der Welt leider in zu viel (Magie-)Technik.

Ohne Zweifel versteht Clemens sein Handwerk, kann den Leser fesseln und sorgt für eine flüssige Lektüre, die sich rasant weglesen läßt und dabei gut unterhält. Aber ein wenig kommt man sich so vor, als würde man – wie bei einem Action-Kracher im Kino – mit sehr einfachen Tricks gekonnt gefesselt. Eigentlich ahnt man in gewisser Weise voraus, was geschehen wird, daß sich Feinde als Freunde entpuppen können und schicksalshafte Verknüpfungen aus dem Boden schießen, denen man die Konstruktion hinter den Kulissen etwas zu deutlich ansieht. Um dem Anspruch der actionreichen Unterhaltung bis zum Ende gerecht zu werden, darf auch ein großer Endkampf nicht fehlen, bei dem es Effekte magischer Art regnet – bunt war es bei Clemens schon immer.
Aber so billig und ausgelutscht Clemens’ Tricks auch sein mögen, wenn man spannender, leichter und vor allem fesselnd erzählter Unterhaltung nicht abgeneigt ist, läßt man sich gerne davon ködern. Sprachlich liegt Clemens über dem Durchschnitt, und seine farbenfrohen und prägnanten Charaktere muß man geradezu mögen.
Die Reihe scheint allerdings mittlerweile auf dem Abstellgleis zu stehen – nach dem Erscheinen des zweiten Bandes Hinterland hat es keine Fortsetzung mehr gegeben, der Autor hat sich in der Zwischenzeit dem Thriller-Genre zugewandt.

Schattenzauber von Patricia C. WredeDie Menschen von Alkyra werden immer wieder von den Lithmern aus dem Nachbarreich bedroht. Als Maurin, ein angehender Händler bei einer Karawane, sich mit dem Sohn des Fürsten Bracor anfreundet, gelangt er mitten in ein Abenteuer: Alethia, die Tochter des Fürsten, wird von den Lithmern entführt, und zusammen mit ihrem Bruder macht sich Maurin an die Verfolgung.
Alethia wird unterdessen Zeugin von düsterer Magie, die ihre Feinde beherrschen – und als sie bei einem der im verborgenen lebenden nicht-menschlichen Völker Alkyras landet, wird klar, daß die Lithmer aus Machtgier ein altes Übel erweckt haben. Alkyra kann sich nur verteidigen, wenn alle Völker zusammenarbeiten – doch dazu müssen Vorurteile und Mißtrauen überwunden werden.

-Die Karawane schlängelte sich langsam dem Flußufer entlang durch die Wälder und tauchte schließlich auf den Feldern auf, die die Stadt umgaben.-
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Die Geschichte, die Patricia C. Wrede in Schattenzauber (Shadow Magic) erzählt, ist der Stoff, aus dem Fantasy-Träume gewebt sind – zumindest die Träume von jüngeren Lesern: Eine Prinzessin, mehr an Messerwurf als an Hofetikette interessiert, wird entführt und weiß sich durch die plötzlich in ihr aufwallenden magischen Kräfte bestens selbst zu helfen. Nicht nur wird sie durch ihr Erbe zum Vermittler zwischen den sich mißtrauenden Völkern Alkyras, weil sie bei allen gleichermaßen verehrt wird, sondern das in ihr schlummernde magische Potential ist sogar entscheidend in der letzten Schlacht. Ein paar nett anzusehende Artefakte liegen auch noch herum und harren ihrer Entdeckung durch die wackere Heldin, der leider die Mutmacher-Funktion für kleine Mädchen, die aus Rollenklischees ausbrechen wollen, doch etwas zu deutlich auf den Leib geschrieben ist.

Nun könnte man Schattenzauber gleich komplett abschreiben – als eine von -zig Bearbeitungen des selben ausgelutschten Stoffes. Aber die Autorin hat durchaus Schreibtalent: Die Dialoge sprühen manchmal vor Witz, auch poetische Töne klingen an, und das bißchen von der Welt, das Wrede ausgearbeitet hat, ist vergleichsweise phantasievoll, zumindest was die Namensgebung und die fremden Völker der magiebegabten Schieg und der waldbewohnenden Wyrd angeht. Leider ist das alles etwas spärlich, wie man es eben von einem Buch für jüngere Leser erwarten würde.
Hier wurde Schattenzauber einfach kolossal falsch aufbereitet – bei dem nüchternen Cover in der Reihe “Bibliothek der phantastischen Abenteuer” erwartet man eher ein lyrisches Märchen oder ein ausgefeiltes Kleinod, aber kaum ein waschechtes Jugendbuch, das für junge Leser gewiß eine Alternative zu so manchem Schema-F-Abenteuer wäre, denn Schattenzauber ist insgesamt sehr liebevoll umgesetzt und trifft durchaus subtilere Noten als erfolgreichere Jugendromane. Erfahrene Leser werden aber ob der formelhaften Geschichte kaum ins Schwärmen geraten.

Schattenzauber stellt eigentlich den ersten Band einer Reihe mit Abenteuern auf der phantastischen Welt Lyra dar, aber da die einzelnen Teile in sich geschlossen sind, ist es in diesem Fall zu verschmerzen, daß die insgesamt vier Fortsetzungen nicht mehr in deutscher Übersetzung erschienen sind.
Ein interessantes Detail am Rande: Wie andere Bücher der Reihe ist der Roman nicht wie üblich schwarz auf weiß gedruckt, sondern in tief dunkelblauer Farbe – und hat man die ersten Zweifel an der eigenen Sehkraft einmal überwunden, macht sich das auch ganz nett zur Abwechslung.

Die Schule der Rätselmeister Patrica K. McKillipMorgon ist nach dem Tod seines Vaters der Landerbe von Hed und muß sich um die Belange der Bauern dort kümmern. Allerdings ist er auch einer der berühmten Rätselmeister von Caithnard, und er hat schon verschiedenste schwierige Rätsel gelöst, bis auf eines: Ein Mal aus drei Sternen prangt auf seiner Stirn und verheißt ihm ein besonderes Schicksal – doch Morgon will lieber in Hed bleiben und keine Rätsel mehr lösen.
Allerdings hat er aufgrund eines gelösten Rätsels die Köngistochter Rendel für sich gewonnen, und als er in Begleitung des Harfners Thod zu ihr aufbricht, holt ihn sein Schicksal langsam, aber unerbittlich ein – und es scheint nicht nur ihn, sondern das ganze Land zu betreffen.

-Morgon von Hed begegnete dem Harfner des Erhabenen an einem Herbsttag in Tol, als dort, wie alle Jahre um diese Zeit, die Handelschiffe zum Austausch der Güter anlegten.-
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Eigentlich passiert gar nicht viel in diesem relativ kurzen Bändchen – Morgon wird immer wieder mit dem Schicksal, das ihm die drei Sterne verheißen, konfrontiert, kehrt ihm den Rücken, wird davon eingeholt oder von anderen auf den Pfad zur Lösung dieses Rätsels gelockt, nur um sich wenig später abermals zur Umkehr zu entschließen. Auf lange Sicht kann er seinem Schicksal nicht entkommen, und da die ganze Welt davon betroffen scheint, stellt das Buch nicht bloß die Frage nach Vorsehung und Eigenbestimmung des Lebens, sondern auch die, ob eine solche Eigenbestimmung noch möglich ist, wenn andere dadurch beeinträchtigt werden.

Interessant ist vor allem die Art, wie die Geschichte erzählt wird. Sie läßt sich langsam und ruhig an, und ist mit der wunderschönen, aber niemals überladenen Bildersprache der Autorin eher auf der märchenhaft-romantischen Seite der Fantasy angesiedelt, obwohl sich durchaus eine Handlung von epischer Breite anbahnt. Uralte Harfen und Schwerter, die Magie der Musik und des Gestaltwandels verleihen der Welt eine ganz eigene Atmosphäre, die einem dennoch vertraut vorkommt – der Rückgriff auf keltische Mythologie ist unübersehbar und bestimmt das Setting des Romans maßgeblich mit. Der Zauber, der dadurch über der Welt liegt, erinnert ein wenig an Tolkien, und tatsächlich ist die Erdzauber-Trilogie auch eines der älteren Fantasy-Werke, dem man deutlich das Streben nach einer Erdung in einem eigenen mythologischen Entwurf statt der bloßen Nachahmung eines erfolgreichen Konzepts anmerkt. Was allerdings vielen anderen Romanen aus den 70ern verwehrt geblieben ist – nämlich heute noch genauso gut lesbar zu sein – schafft McKillip mit ihren wahrhaft zeitlosen Motiven mit Leichtigkeit.

Zentrales Thema des Buches ist das Lösen von Rätseln: Fast jede der Figuren, denen Morgon begegnet, hat ein Geschenk für ihn und führt ihn mit einem neuen Rätsel weiter auf dem Weg zu seinem Schicksal. Der junge Held bleibt während alldem etwas passiv und läßt sich treiben, wirklich große Geschehnisse dürfen erst für die Fortsetzung erwartet werden; aber vor allem die sprachliche Qualität des Buches unterscheidet es von anderen Entwicklungsgeschichten – dafür lohnt es sich, sich die Zeit zu nehmen, die die Gerschichte mit ihrem zögerlichen Helden braucht. Nur die Eigennamen lassen ein wenig zu wünschen übrig – viele davon sind nur einsilbig und einander recht ähnlich; das sorgt nicht nur für Verwirrung, sondern fällt bei der sonst so phantasievollen Welt als eher unschönes Detail auf.

Seaserpents! von Jack Dann und Gardner DozoisSeaserpents! gehört zu einer von Jack Dann und Gardner Dozois herausgegebenen Reihe von Anthologien, die jeweils ein bestimmtes phantastisches Thema oder Motiv behandeln. Sie enthält zehn Geschichten über Seeungeheuer. Alle Geschichten sind vorab schon an anderer Stelle erschienen und werden von einem kurzen Text über den Autor bzw. die Autorin eingeleitet. Eine Liste mit weiterführender Literatur zum Thema schließt die Anthologie ab.

-The moonlight was muted and scattered by the mist above the loch. A chill breeze stirred the white tendrils to a sliding, skating motion upon the water’s surface.-
The Horses of Lir

Wäre ich ein Seeungeheuer, ich würde mich beschweren, dass Nessie mir so schamlos die Show stiehlt. In Seaserpents! ist Loch Ness viel präsenter als das Meer und liefert – direkt oder indirekt – u.a. das Material für die ersten beiden Geschichten, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Auf den plumpen Machismo von L. Sprague de Camp in Algy, der Geschichte über ein mutmaßliches Ungeheuer im Lake Algonquin, dem eine (natürlich) schottische Gruppe von Abenteurer nachspürt, die sich dabei überaus männlich gibt und der ortsansässigen Damenwelt nachstellt, folgt mit Lillian Stewart Carls Out of the Darkness eine gefühlsbetonte Geschichte, bei der die Monsterjagd (diesmal direkt am Loch Ness) nur eine Nebenhandlung zu einer Beziehungskrise ist, in der wissenschaftliche und künstlerische Weltsicht aufeinanderprallen. Bei beiden Geschichten ist das Unvermögen zentral, die Existenz des Monsters zu beweisen, aber richtig in Fahrt kommt Seaserpents! mit keiner davon. Das gelingt erst ganz zaghaft mit Leviathan von Larry Niven, der seinen (auch in anderen Geschichten von ähnlichen Aufträgen geplagten) Helden Svetz aus einer fernen Zukunft in die Vergangenheit schickt, um dort Exemplare inzwischen ausgestorbener Spezies einzufangen, in diesem Fall einen Wal. Leider hat die zuständige Behörde eine fatale Tendenz zur Fehlinterpretation der überlieferten Daten – oder läuft etwas ganz anderes schief?

Ein erstes Highlight ist The Horses of Lir von Roger Zelazny, das zeigt, wie Wunderbares (und Schreckliches) im Verborgenen bis in die Gegenwart überdauert haben könnte und was es bedeutet, damit in Berührung zu kommen. Der Schauplatz der Geschichte ist abermals ein schottischer Loch, doch diesmal ist die Atmosphäre einmalig und Zelaznys eleganter Stil macht The Horses of Lir sehr lesenswert.
Mit Gordon R. Dicksons The Mortal and the Monster geht es grandios weiter, auch wenn der Titel, unter dem der Kurzroman ursprünglich veröffentlicht wurde, nämlich The Monster and the Maiden, treffender gewesen wäre – wozu man wissen muss, dass besagte Maid gerne Lachs frisst und ziemlich groß ist. Wir befinden uns wieder einmal am Loch Ness, immerhin sorgt in dieser Geschichte ganz Dickson-typisch ein Perspektivwechsel für Spannung: Man erfährt die Geschichte aus der Sicht des Seeungeheuers. Es ist ein trauriges, aus der Zeit gefallenes Monster, das gleichzeitig jugendlich sprühend wirkt, während sich beim Leser oder der Leserin Melancholie breitmacht, da man die Welt zu gut kennt, durch die die Protagonistin schwimmt. Die Geschichte enthält auch eine bezaubernde Darstellung eines Kommunikationsversuchs zwischen zwei intelligenten Spezies, die in völlig unterschiedlichen Bedingungen leben, und ist rundum gelungen.

In John Colliers Club Story Man Overboard darf man dann endlich Seeluft schnuppern und den gewitzten Ich-Erzähler auf eine Luxus-Yacht begleiten, die nur einem Zweck dient – dem Aufspüren eines Seeungeheuers. Die Geschichte ist klassisches Kurzgeschichten-Material, was man auch von Manly Wade Wellmans The Dakwa behaupten könnte, das allerdings wegen der Nutzung von amerikanischem Sagenstoff und einem schönen Ambiente die Nase weit vorn hat. Hier gelingt auch mühelos, was in der Eröffnungsgeschichte von de Camp gescheitert ist: Männliche Helden tun männliche Dinge … wenn sie nicht gerade im Bademantel herumlaufen, weil sie ein unfreiwilliges Bad mit dem Dakwa, einem ziemlich unheimlichen und bizarren Wassermonster, genommen haben. Wellman beschwört dabei ein phantastisches Nordamerika herauf, in dem man abends in einer einsamen Hütte das Banjo auspackt und hofft, dass die Wesen der Nacht draußen bleiben.
Eine weitere solide Club Story ist The Kings of the Sea von Sterling E. Lanier, in der Brigadier Ffellowes von einem Abenteuer während eines Urlaubs in Skandinavien berichtet. Sie kann mit einem starken Ende und einer bedrohlichen Atmosphäre punkten, während an der Oberfläche eigentlich nur sehr wenig passiert.

Grumblefritz von Marvin Kaye bringt mit nur vier Seiten in Form einer Zeitungsannonce das Format der Kurzgeschichte an seine Grenzen. Das Plädoyer für ein bedrängtes Seeungeheuer von New York ist eine spielerische Satire mit einem wunderbaren Konzept.
Die abschließende Geschichte, The Devil of Malkirk, ist die beste von Charles Sheffields Doctor-Darwin-Geschichten und wirft einige schottische Mythen in den Topf. Die Verortung am Loch Ness und in der Zeit von Erasmus Darwin wirkt aufgrund der sorgfältigen Recherche sehr lebendig. Außerdem gebührt der Geschichte, die zu den besseren dieser etwas durchwachsenen, aber mit sehr starken Höhepunkten ausgestatteten Anthologie gehört, immerhin der Ruhm, den Schlachtruf aller Kryptozoologen einzuführen: »What in the name of Linnaeus is this?«

Seide und Schwert von Kai MeyerNiccolo lebt auf den Wolken, zusammen mit einer kleinen Schar von Auswanderern, die dank einer Erfindung von Leonardo da Vinci dort ihre Wohnstatt errichtet haben. Doch plötzlich funktionieren die Äthermaschinen nicht mehr, und die Wolkensiedlung strandet auf den hohen Gipfeln über China. Nach langem Hin und Her wird Niccolo ausgesandt, auf der Welt unten nach Hilfe zu suchen, bevor sich die Wolken ganz auflösen und die Stadt dem Untergang geweiht ist. Doch die Länder auf der Erde sind voller Gefahren …
In China lebt Nugua, ein Mädchen, das von Drachen aufgezogen wurde. Seit die Drachen verschwunden sind, ist sie auf der Suche nach ihnen.

-Sie war als Menschenmädchen unter Drachen aufgewachsen. Aber erst an dem Tag, als die Drachen aus der Welt verschwanden, wurde Nugua bewusst, wie sehr sie sich von ihnen unterschied.-

Kai Meyer, der in seinen Jugendbüchern schon mehrfach internationale Überlieferungen und Sagen herangezogen und diese Elemente zu etwas Neuem verbunden hat, als wäre er der deutsche Neil Gaiman, hat für seine Trilogie Das Wolkenvolk vor allem die chinesische Kultur als Inspiration genutzt. Und weil ein Themenkreis für Meyers aufwendige Gebilde nicht ausreicht, ist das namensgebende Wolkenvolk selbst ein über China gestrandeter Haufen von Italienern unter Führung der Medici, die dank einer Erfindung Leonardo da Vincis zweihundert Jahre lang auf verfestigten Wolken mit den Luftströmen um die Erde gereist sind.
Abwechselnd erzählt Meyer von den Fährnissen der nun sinkenden Wolkenstadt, zu deren Rettung der junge, schüchterne Freigeist Niccolo ausgesandt wird, und von China, wo das eigensinnige Mädchen Nugua die verschwundenen Drachen sucht – unschwer zu erraten, daß sich die Helden treffen und ihre Questen zusammenzuhängen scheinen.

Die Abenteuer führen quer durchs Land und erfordern allerlei Gefährten, wobei hier Rätselhaftigkeit bei allen Nebenfiguren Programm ist – keiner stellt sich als das heraus, was er anfangs zu sein scheint. Vom unsterblichen Streiter und der überirdischen Schönheit bis hin zum komischen Feigling und der spröden Kämpferin ist alles vertreten. Trotz dieser Fülle sind viele Charakterbeziehungen vorhersehbar und stereotyp. Ein Jugendbuch ist vielleicht nicht der Ort für hochdifferenzierte Motivationen und uneindeutige Charaktere, doch so starr hätten die Rollen nicht von Anfang an festgelegt sein müssen. Es mag auch daran liegen, daß in diesem Auftakt-Band zu viele Figuren eingeführt werden, so daß sogar der bemitleidenswerte Tolpatsch Feiqing kaum genügend Zeit hat, wirklich die Sympathie des Lesers zu erwerben, obwohl er sich redlich bemüht und durch seine Eigenwilligkeit eine der liebenwürdigsten Figuren des Romans ist.

So wird auch Mythos um Mythos bemüht und sämtlichen Vorstellungen genügt, die man gemeinhin mit dem fernen Osten verbindet, und phantastische Schauplätze rauschen am Leser vorbei. Dementsprechend huscht alles nur kurz durch’s Bild, und die Helden müssen um die Lösungen ihrer Probleme meistens nicht kämpfen (obwohl spektakuläre Actionszenen, die an den asiatischen Film erinnern, durchaus ihren Platz haben), denn ein spektakuläres Problem wird einfach vom nächsten (ab)gelöst. Der ganze Roman ist randvoll gepackt mit mysteriösen Figuren, großartigen Schauplätzen und überraschenden Abenteuern, so daß einige feinere Nuancen zwangsläufig auf der Strecke bleiben.

Die Achterbahnfahrt durchs mythische China liest sich aber trotz allem äußerst angenehm, denn Kai Meyer erzählt stilvoll und, bis auf einige Patzer (schade zum Beispiel, daß man jungen Lesern realisieren als “wahrnehmen” statt “wahr machen” vorsetzt), sehr flüssig.
Der Versuch, möglichst viel vom Zauber Chinas einzufangen, ist leider nur in einzelnen Szenen gelungen – und wenn man dort einen Hauch davon erfährt, merkt man, daß das Konzept eigentlich aufgehen hätte können. Nach einem offenem Ende und nun, da alle Figuren bereit und mitten in der Handlung stehen, vielleicht im zweiten Band ohne die Hektik von Seide und Schwert.

Die Seuche Band 2Die Oldis sind ein Volk von Jägern, Sammlern und Handwerkern, das in Frieden leben könnte, wenn nicht die kriegerischen Borun die Nachbarschaft unsicher machen würden – und wenn vor allem die Seuche nicht wäre. Wahllos rafft sie Alte und Junge dahin, und mit keiner Heilmethode ist ihr beizukommen. Der junge Jautry verliert dadurch seinen Bruder, und dessen Mutter Valnes beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Doch da wird ein toter Borun gefunden, und die Vorurteile und gegenseitigen Schuldzuweisungen kochen über.

-»Warum wolltet ihr zu den Albinth?«
»Um herauszufinden, ob sie der Grund unseres Unglücks sind. Wir verdächtigen sie, den Fluss vergiftet zu haben.«
»Wir dachten dasselbe … aber über die Borun.«-
Band 1: Valnes

Fantasy-Comics mit perfektionistischen, leuchtend bunten Zeichnungen gibt es mittlerweile wie Sand am Meer, und man überlegt sich besser gut, in welche Reihen man einsteigt und welche lediglich “more of the same” bieten.
Bei Die Seuche von Szenarist Gaudin und Zeichner Peynet wird es auf den ersten Blick nicht ganz so exotisch und graphisch atemberaubend, aber die Liebe steckt umso mehr im Detail. Die Dimensionen des konfliktträchtigen Nebeneinander der Borun, Oldis, Albinth und später Brohm werden subtil über den ganzen ersten Band (und Teile des zweiten) hinweg aufgezeigt, und in die Bräuche, Gesellschaftsstrukturen und die Religiosität ist ein für Comic-Fantasy sehr ordentliches Worldbuilding eingeflossen. Die vielen Details, die man teils nicht einmal unbedingt bewusst wahrnimmt, die aber die Unterschiede zwischen den Völkern konstituieren, sind auch zeichnerisch schön umgesetzt. Genauso sind die spätere Interaktion und das Zusammenfinden der Figuren, die sich über ihre Vorurteile hinwegsetzen müssen, in Text und Bild ausgesprochen einfühlsam verarbeitet und dürften jeden ansprechen, der Geschichten schätzt, in denen Freundschaften über Völkergrenzen hinweg entstehen.

Um die handelsüblichen Fantasyvölker handelt es sich dabei übrigens nicht, sondern um differenziert dargestellte Eigenkreationen – nicht einmal die Antagonisten sind eine homogene Gruppe. Bis diese überhaupt gefunden werden, dauert es ohnehin ein Weilchen, denn zunächst einmal müssen alle, die auf der Suche nach dem Ursprung der Seuche sind, die Erfahrung machen, dass ihre Vermutungen meist vorschnell und von Verblendung geprägt waren. Der Zeigefinger ist dabei zum Glück niemals hoch erhoben, und bevor sich das Schema zu oft wiederholt, hat die Geschichte schon ihre Sogwirkung entfaltet.
Im Grunde ist sie nämlich eine geschickt erzählte Abenteuer- und Questengeschichte mit Kämpfen, Reisen und einem ganzen Arsenal an ungewöhnlichen Kreaturen, mit denen Gaudin und Peynet abseits vom stets im Hintergrund lauernden Gespenst der heimtückischen Seuche für Gänsehaut sorgen.

Während die Gruppendynamik und die Queste stets das Spannungslevel hochhalten, macht es vor allem in den ruhigeren (aber erzählerisch nicht minder dichten) Passagen Spaß, nach und nach zu entdecken, dass die Figuren mehr sind als nur ein Vehikel für die anfangs eingeführten Volkseigenschaften. Aufgrund des zurückgenommenen und liebevollen Stils sieht man auch als Leser oder Leserin erst mit der Zeit hinter die Fassade. Valnes, die unerreichte Bogenschützin und Mutter, die auch sonst nie eine Ungerechtigkeit oder emotionale Schieflage auf sich beruhen lässt, hat sich außerdem dadurch einen großen Sympathiebonus verdient, dass sie vom üblichen Comic-Sexismus erfreulich verschont bleibt (was unter anderem daran liegen könnte, dass sie aus einer glaubhaft dargestellten matriarchalischen Gesellschaft stammt).

Wähnt man sich nun allerdings im Fantasy-Wohlfühl-Wunderland, steht ein böses Erwachen bevor. Erzählerisch muss man zunächst ein paar Abstriche durch einen streckenweise etwas zu aufdringlichen Off-Kommentar des Erzählers Jautry in Kauf nehmen, sollte sich aber vor allem auf ein dickes Ende im dritten Band gefasst machen, dem man einerseits applaudieren könnte, weil es den Blickwinkel auf das Gelesene noch einmal radikal verändert und einen auf eine Weise aus dem Hinterhalt packt, dass man Die Seuche vermutlich lange nicht vergessen wird. Andererseits ist es in seiner Gesamtheit ein starker Bruch mit der Sorgfalt, die in die Figuren geflossen ist – das kommt dem Effekt zugute, zerstört jedoch die hoffnungsfrohe Stimmung, die man aus den Vorgängerbänden mitnehmen konnte.
Solange man aber nicht in mit der falschen Erwartung eines harmlosen Abenteuerchens an Die Seuche herangeht, ist die Reihe durchaus ein unterschätztes Juwel im geballten Bling-Bling des Fantasy-Comics.

Cover des Buches "A Shadow in Summer" von Daniel AbrahamDer junge Maati wird zum Poeten ausgebildet – zum mächtigen Zauberer, der einen gottähnlichen Andaten in seinen Dienst zwingen kann. Als Schüler kommt er zu Heshai, dem Hofpoeten der Stadt Saraykeht. Heshai gebietet über das Andat Seedless, Saraykehts wichtigstes Machtinstrument: Dadurch, daß er die Samen von der Baumwolle trennt, hält er das Handelsmonopol der Stadt aufrecht, und da er die Ernten der Feinde vernichten und sie selbst unfruchtbar werden lassen könnte, ist Saraykeht unangreifbar. Doch die kriegerische Nation Galt plant, die Grundlage von Saraykehts Sicherheit zu vernichten – das Andat. Amat, Geschäftsleiterin eines galtischen Handelshauses, bekommt von diesen Plänen Wind und beschließt, ihre Stadt zu retten…

-As the stone towers of Machi dominated the cold cities of the north, so the seafront of Saraykeht dominated the summer cities in the south.-
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Auf den ersten Blick ist das Anziehende an A Shadow in Summer (Sommer der Zwietracht) das Konzept der Poeten, die mit ihrer Beschreibung von Wesenzügen und äußerer Erscheinung die Andat, gottgleiche Manifestationen abstrakter Gedanken, in die Welt und in ihren Dienst zwingen können, und zugleich deren Charakterzüge und Erscheinung bestimmen. Die Macht, die es verleiht, das wahre Wesen der Dinge zu kennen, wurde hier in ein ganz neues Gewand verpackt – und es ist gelungen, wie man an den Charakteren Heshais und seines Andats bestens ablesen kann. Der Hofpoet Heshai ist wehleidig und undiszipliniert und wird zu allen Gelegenheiten von dem in jeder Hinsicht vollkommenen Seedless gequält – zwischen Schöpfer und Diener herrscht nichts als Haß, aber auch eine für die Geschichte zentrale Abhängigkeit.

Der Handlungsort, der nicht so dominant im Mittelpunkt steht wie bei anderen Romanen, die sich in einer urbanen Umgebung abspielen, bietet auch genug gezügelte Exotik, um den Appetit des Lesers zu wecken. Nicht nur das disziplinierte Leben in der Klosterschule der Poeten, auch das lebhafte Saraykeht selbst ist ein leicht asiatisch angehauchtes Ambiente, mit seinen Teezeremonien und der elaborierten Gestensprache, die jede Aussage begleitet und ihr Tiefe verleiht – anfangs fast zu enthusiastisch eingesetzt. Gleichzeitig ist es aber auch ein gelungenes urbanes Setting, eine quirlige Großstadt, in der man die Charaktere durch “ihr” Saraykeht begleitet.
Vor den Augen des Lesers entfaltet sich ein unaufhaltsames Drama – sowohl auf der persönlichen Ebene der Figuren als auch für das ganze Land, subtil ausgelöst durch die Konstellation der Charaktere und kleine Manipulationen – und in dessen Mittelpunkt stehen die Poeten und jene um sie herum. Immer eindringlicher erfährt Maati, dessen Schicksal es sein wird, Seedless einst selbst zu binden, von der Beziehung zwischen Poet und Andat – daß Seedless ein Teil von Heshais Wunschträumen und damit Teil seiner selbst ist, seinen Poeten aber gleichzeitig abgrundtief haßt, und daß noch nicht klar ist, ob Heshai Seedless wirklich gebunden hat oder seinen Preis noch zahlen muß – den Preis, gewöhnlich der Tod, den jeder Poet sofort bezahlt, dem beim Binden eines Andats Fehler unterlaufen.

Die Entwicklungen in A Shadow in Summer werden fast ausschließlich über Charaktergeschichten in Gang gesetzt und wichtige Dinge spielen sich oft subtil zwischen den Zeilen ab, daher ist der Roman mit Sicherheit keine groß angelegte epische Fantasy.
Eher ist er eine verflochtene Geschichte der unmöglichen Entscheidungen, bei denen jede Wahl die falsche ist: Liat, die kleine Angestellte eines Handelshauses, die zwischen zwei Männern steht; die Freundschaft von Maati und dem Arbeiter Itani, die von Liat getrübt wird; Maati, der sich sowohl mit Heshai als auch mit Seedless anfreundet – und letztendlich auch die moralischen Entscheidungen, die die Charaktere treffen müssen: Ein Opfer, um Freunde zu retten? Eine Rache an tausenden um der Gerechtigkeit an einem Einzelnen willen? Ein Wesen versklaven, um dem Wohl von vielen zu dienen?

Abraham bringt diese subtilen Nuancen in einem dichten und straffen Stil an den Leser, der trotzdem ausführlich, mit vermeintlich “nebensächlichen” Szenen erscheint, von denen letztendlich keine einzige überflüssig ist. Gerade die alltäglichen Szenen liegen dem Autor besonders, er hat einen guten Blick für das Zwischenmenschliche, für das gewöhnliche, mitreißende Leben im Schatten großer Ereignisse.
Die angelegten Handlungsstränge werden in diesem Band weitestgehend aufgelöst, und erst in den Folgebänden wird sich herausstellen, wie hoch der Preis ist, den die Andat für ihre Dienste verlangen – auch wenn man in A Shadow in Summer bereits einen bitteren Vorgeschmack darauf erhalten kann…

The Shapechanger's Wife von Sharon ShinnDer junge, äußerst talentierte Magier Aubrey will seine Kenntnisse in der Zauberei vervollständigen und die Kunst des Gestaltwandelns erlernen. Sein Lehrmeister weigert sich allerdings, sie ihm beizubringen und verweist ihn an einen Meister dieser Disziplin.
Aubrey macht sich auf in die einsame Gegend mitten im Wald, die der berühmte Magier Glyrenden bewohnt – und trifft in dessen Haus auf allerlei seltsame Gestalten. Ihn fasziniert vor allem Glyrendens junge Frau, die ihren Mann offensichtlich haßt und dennoch an der Seite des charismatischen Magiers bleibt. Während Glyrenden Aubrey ausbildet, entdeckt dieser nach und nach das dunkle Geheimnis das Magiers.

-Until Aubrey arrived in the village to study with Glyrenden, he had no idea that the great wizard had taken a wife.-
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Epische Breite, bombastische Action, eine Vielzahl an unterschiedlichen Charakteren und Abenteuern kann The Shapechanger’s Wife (Im Zeichen der Weide) alles nicht bieten – und dennoch ist es ein Kleinod, das es gestattet, sich beim Lesen in eine andere Welt zu träumen. Liebhaber von poetischer, märchenhafter Fantasy liegen mit diesem Buch richtig und werden von der einfachen, kleinen Geschichte nicht enttäuscht werden.
Die sich langsam aufbauende Handlung ist so gut strukturiert, daß man förmlich die finsteren Wolken, die sich allmählich drohend über der anfänglich halbwegs normalen und friedlichen Szenerie zusammenballen, sehen kann. Gewalt und Grausamkeiten finden in diesem Roman hinter verschlossenen Türen statt, treten nur als Ahnungen auf und sind daher umso prägnanter.

Obwohl die Weltschöpfung hier nicht im Vordergrund steht, malt Shinn nach und nach ein schlüssiges und subtiles Bild ihrer Welt und läßt sie vor allem durch die Charaktere leben. Die Konstellation der Hauptfiguren – ein Magier, der selten zu Hause ist, seine frustrierte Frau und sein junger, empfindsamer Schüler – lassen auf eine einfache Liebesgeschichte schließen. Damit liegt man einerseits nicht ganz falsch, andererseits ist von kitschiger Romantik hier nicht einmal ein Echo geblieben. Die Perspektive ist während der ganzen Handlung bei Aubrey, und mit ihm errät der Leser nach und nach die Geheimnisse um Glyrenden und sieht sich mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert.

Shinn bedient sich dabei einer schlichten, und doch fast lyrischen Sprache (garniert mit einigen sprechenden Namen) die man mit viel Genuß lesen kann. Auf gut 200 Seiten ist zwar kein riesiges Panorama an Welt und Handlung zu erwarten, aber diese kleine feine Geschichte unterhält hervorragend, gibt einige Denkanstöße und hält außerdem ein sehr liebevoll gestaltetes Ende bereit, so daß sie in der Nachbarschaft der gängigeren mehrbändigen Werke durchaus bestehen und glänzen kann.

A Short History of Fantasy von Farah Mendlesohn und Edward JamesFarah Mendlesohn und Edward James geben einen Überblick über die Entwicklung der Fantasy, arbeiten sich dabei von den Wurzeln und Anfängen des Genres durch die Jahrzehnte, wobei einige ausgewählte, prägende Autoren besonders herausgestellt werden.
Abgerundet wird das Ganze mit einer ausführlichen Chronologie, die auch Filme und Serien beinhaltet, und nicht nur Autoren, sondern auch Künstler und Herausgeber berücksichtigt.

-Fantasy and not realism has been a normal mode for much of Western fiction (and art).-
Chapter Two: From Myth to Magic

Wer Rezensionen gerne ultrakurz mag, dem kann bei A Short History of Fantasy mit einem Satz geholfen werden: Diese kompakte Abhandlung mit ihrem großartigen Apparat gehört ins Regal eines jeden Lesers, der sich einen Überblick über das Genre und seine Geschichte verschaffen will. Und erst recht auf den Schreibtisch eines jeden Feuilletonisten, der sich befleißigt fühlt, sich zu Tolkien, Potter und weiteren omnipräsenten Phänomenen des sonst eher mißachteten Genres zu äußern.

Der Einstieg in die Materie erfolgt über die Wurzeln der Fantasy bei Gilgamesch und Konsorten, frei nach dem Motto, die Menschheit habe eigentlich schon immer phantastisch erzählt, wobei sehr klar herausgearbeitet wird, daß eine Genredefinition (und damit die Legitimation, von Fantasy zu sprechen) erst sehr viel später erfolgt ist. Ab diesem Zeitpunkt ist jedem Jahrzehnt ein Kapitel gewidmet, wobei in der Mitte des 20. Jahrhunderts Tolkien und Lewis und zu Beginn des neuen Jahrtausends Pratchett, Rowling und Pullman als herausragende Phänomene eine Sonderstellung einnehmen – schon hier wird eine (natürlich nicht ganz ungerechtfertigte) Hervorhebung der britischen Fantasy auffällig.
Innerhalb dieser Kapitel erhält man einen anschaulichen Überblick über die Entstehung, Entwicklung und Diversifizierung des Genres, ausgehend von wichtigen Strömungen, Autoren und Einzelwerken. Die Auswahl ist  nachvollziehbar und zum Großteil ausgewogen und bildet alle wichtigen Einflüsse und Entwicklungen ab, etwa auch die für deutsche Leser vielleicht weniger präsente Wirkung der Pulp-Magazine und ihrer Herausgeber (für den deutschen Fantasy-Markt ließe sich natürlich eine eigene Geschichte schreiben, die naturgemäß im besprochenen Werk nicht abgebildet wird).

Es bleibt nicht aus, daß die Gewichtung einzelner Strömungen teils etwas subjektiv ausfällt. Kinderbücher und ihre Autoren sind zum Beispiel überproportional häufig vertreten, ihre Wirkung aufs Gesamtgenre bleibt indes etwas nebulös. Im Gegenzug kommen andere Bereiche, die Farah Mendlesohn und Edward James weniger liegen, vergleichsweise etwas kürzer – in den gegenwartsnäheren Abschnitten (in denen die Auswahl der genannten Werke womöglich subjektiver wird, weil sich noch keine “Klassiker” herausgebildet haben) wird diese Gewichtung stärker spürbar. So fällt die Ablehnung von ‘generic fiction’ auf, was dazu führt, daß dieser Bereich und seine Entwicklung nur in groben Zügen nachgezeichnet werden (was vor allem die epische Fantasy betrifft, ob sie nun generisch ist oder nicht). Ein weiterer Schwerpunkt liegt dagegen auf Urban Fantasy (alte Definition, nicht die romantik-lastige) und auf den skurrileren Spielarten der Fantasy. Auf Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem englischen Markt wird ausführlich eingegangen, britische Autoren und Werke sind aber eindeutig in der Überzahl.
Meistens gehen die Autoren mit ihren persönlichen Vorlieben allerdings sehr offen um und thematisieren deren Einfluss auf den Text (etwa im Hinblick auf Glaubensfragen und kirchenkritische Fantasy), so daß er zu einer berechenbaren Größe wird.

Begrifflichkeiten, Definitionen und Subgenres – ein immerwährendes Problem der Fantasy – tauchen bunt gemischt gemäß ihrer Entstehungszeit auf, durchsetzt von Mendlesohns eigenen, nicht immer ganz glücklichen Schöpfungen (siehe The Rhethorics of Fantasy, Mendlesohn 2008), aber ein Glossar schafft hier Klarheit.
Die ausführliche Literaturliste und die Chronik mit wichtigen Werken aus Literatur und Film, die insgesamt immerhin 40 Seiten stark ist, ist ohnehin eine gesonderte Erwähnung wert – für einen schnellen Überblick und durchaus auch als Inspiration für die eigene Leseliste ist dieser Teil von A Short History of Fantasy ein unersetzlicher Leitfaden. Zur Gegenwart hin steht die Auswahl natürlich auf einem weniger breiten Fundament.

Für den interessierten Leser, der sich in die Fantasy und ihre Facetten vertiefen möchte und der womöglich vorhat, noch einige bedeutende Werke des Genres zu lesen, ist es vielleicht interessant zu wissen, daß zu fast jedem der im Text angesprochenen Werke eine kompakte Inhaltsangabe gegeben wird – es besteht daher hier und da Spoilergefahr.

Aber auch wenn man über die Gewichtung einzelner Bereiche und das Fehlen des ein oder anderen Autors geteilter Meinung sein kann, tut das dem Wert von A Short History of Fantasy keinen Abbruch. Mission erfüllt – viel besser kann man das, was im Titel versprochen wird, kaum umsetzen, noch dazu liest sich das Buch sehr kurzweilig und schafft es mühelos, Klarheit und Ordnung in ein auf den ersten Blick überbordend und grenzenlos wirkendes Genre zu bringen, in dem es noch Vieles zu entdecken gibt. A Short History of Fantasy ist bei dieser Entdeckungsreise ein hervorragender Kompaß.

Das Silmarillion von J.R.R. TolkienVon der Schöpfung der Welt, den ersten Kriegen der Valar gegen Melkor und dem Erwachen der Elben und ihrem Schicksal in den westlichen Landen und Mittelerde handelt das Silmarillion in einzelnen, mehr oder weniger abgeschlossenen Erzählungen, die sich zu einer großen, umfassenden Mythologie verbinden lassen.
Der Höhepunkt der Zusammenstellung ist die Geschichte von den Kriegen um die schönsten Edelsteine, die je von Künstlerhand geschaffen wurden: Die Silmaril, mit denen das traurige und verlustreiche Schicksal der Elben in Beleriand verknüpft ist.

-Es heißt unter den Weisen, der erste Krieg habe begonnen, bevor Arda noch ganz erschaffen und ehe noch etwas da war, das wuchs oder ging auf Erden; und lange hatte Melkor die Oberhand.-
I Vom Anbeginn der Tage

Im Silmarillion kann man vieles sehen: Ein Buch mit weiteren Geschichten  aus Tolkiens Welt, inbesondere jenen, die von den Helden des Herrn der Ringe besungen werden. Ein fragmentarisches Werk, nach dem Tod des Autors zusammengestellt und veröffentlicht. Eine Schau von Tolkiens weitläufiger Mythologie, die er für das leidgeplagte Mittelerde oder vielmehr die ganze Welt Arda geschaffen hat, und als halbwegs durchgängige Erzählung, die von der Schöpfungsgeschichte über Zeitalter hinweg die Geschicke der Welt berichtet, am ehesten so etwas wie sein Lebenswerk – das er allerdings niemals zu seiner vollen Zufriedenheit fertig stellte und dessen einzelne Bestandteile in etlichen Versionen vorliegen. Eines ist Das Silmarillion aber nicht: Eine kohärente, kompakte Geschichte, die man wie einen Roman weglesen kann.

Erzählt werden die Mythen der Elben und Menschen vom Anbeginn der Zeit bis hin zur ‘geschichtlichen’ Epoche, die schließlich auch zum Ringkrieg im Hauptwerk des Autors führt. Trotzdem ist Das Silmarillion nur ein Ausschnitt aus Tolkiens umfassender Mythologie.
Schwere Kost also, und auch der Text an sich ist nicht leicht zugänglich. Der Anhang mit  Namensregistern und Stammbäumen zeigt teilweise schon auf, weshalb: Figuren kommen und gehen als Spielbälle des Schicksals, und zu den einzelnen wichtigen Charakteren kann man nur sehr bedingt Bezüge aufbauen. Gerade anfangs sind auch lange Landschaftsbeschreibungen häufig, in denen Ardas Oberfläche dem Leser detailliert vor Augen geführt wird.
Man erfährt die Handlung nicht aus Charaktersicht, sondern aus einer über den Ereignissen stehenden Perspektive im Stil einer Chronik. Generationen vergehen, Kriege werden geführt und das Angesicht der Welt verändert sich. Diese Art des Erzählens ist nicht auf gewohnte Art spannend und auch anders strukturiert, denn erzählt wird die Geschichte einer Welt, in der nur einzelne Stränge abgeschlossen werden, die aber immer im Fluß bleibt.

Wenn man sich aber auf den Stil einläßt, der so gar nicht dem Leitfaden “wie schreibe ich einen Roman” folgt, dann findet man sich in einer Erzählung wieder, die so monumental, archaisch und ausufernd ist, daß man sie eher in eine Reihe mit Homers Epen, Gilgamesch oder der Edda stellen kann, als neben einen anderen Fantasy-Roman. Die für diese Zusammenstellung gewählten Abschnitte ergeben letztendlich ein erstaunlich rundes Bild der Geschichte und sind meistens in sich geschlossen.
Wer mit einer Mischung aus archetypischen Ursprungsgeschichten, Erzählungen von den ersten und den letzten Dingen, monumentalen Schlachten und echtem, nicht aufgesetztem Pathos etwas anfangen kann, sollte einen Versuch mit dem Silmarillion wagen – wer einen ersten Einstieg in die Geschichte Mittelerdes sucht, ist sowieso an der richten Stelle. Es hat auf jeden Fall mehr zu bieten als nur den Herrn der Ringe geschichtlich zu vertiefen, und wie es sich für ein richtiges Epos gehört, klingen etliche Stellen so schön, als seien sie zum lauten Vortragen geschaffen worden.

The Six Gun Tarot von R. S. BelcherMehr tot als lebendig kommt der junge Jim mit seinem treuen Pferd nach der Durchquerung der 40-Meilen-Wüste in Golgotha an, einem Western-Kaff, wie es im Buche steht. Oder vielleicht doch nicht ganz? Es ist auf jeden Fall einiges faul in dem Örtchen, in dem sich zwischen mormonischen Stadtvätern, einem offenbar unsterblichen Sheriff, einem Gemischtwarenhändler mit frankenstein’schen Ambitionen und einer Bankiersgemahlin mit eindeutig zu vielen Messer in der Tasche etwas Böses herumtreibt. Aber auch Jim schleppt ein magisches Artefakt (und ein hohes Kopfgeld, das auf ihn ausgesetzt ist) mit sich herum, und versucht kurzerhand Fuß zu fassen.

-The Nevada sun bit into Jim Negrey like a rattlesnake. It was noon. He shuffled forward, fighting gravity and exhaustion, his will keeping him upright and moving.-
The Page of Wands

Wenn die Fantasy den wilden Westen erobert und damit zwei bildgewaltige, abenteuerliche und kontrastreiche Genres aufeinandertreffen und in einer konzertierten Aktion Zombies, Viehbarone oder Aliens niedermachen, geht es meist ziemlich hoch her. Und wenn man schon mal dabei ist, den Western phantastisch aufzuladen, kann man ja auch gleich noch etwas mehr hinein packen. Und dann nochmal ein Schippchen obendrauf legen.
Das war wohl R.S. Belchers Devise für sein Romandebüt The Six-Gun Tarot, dem man locker eine ausufernde Genrebezeichnung überstülpen könnte, bei der EU-Gesetzgebungs-Bandwurmwörter im Längenvergleich beschämt von dannen ziehen müssten.
Der Roman empfängt Leser und Leserinnen zunächst mit charmant und stilvoll umgesetzten Western-Klischees und einem bunten Figuren-Ensemble, das trotz des rauen Tons, der in Golgotha mitunter angeschlagen wird, eine gewisse Wärme ausstrahlt. Es ist zwar nicht gerade ein idyllisches Western-Städtchen-Leben, aber ein mehr oder weniger respektvoller Umgang, was sich zwischen den Einwohnern abspielt … als da wären: Der junge Neuankömmling (mit finsterer Vergangenheit), der strahlend gute Sheriff (mfV), der zwielichtige Saloon-Betreiber (mfV), die Bankiersgattin (mfV), die Minenarbeiter (mfV), der Bürgermeister (mit Leiche im Keller), der Gemischtwarenhändler (mit Leiche im Speicher), der indianische Hilfsheriff (mit fragwürdiger, vierbeiniger Abstammung), die freundliche Witwe (völlig geheimnis- und leichenfrei). Und das, liebe Leserinnen und Leser, waren noch lange nicht alle Figuren, aus der Perspektive The Six-Gun Tarot erzählt wird.

Eine Weile funktioniert das sehr gut, die Spannung des Romans bezieht sich aus dem Setting und den Figuren. Doch die Masse an Personal und sonstigen Versatzstücken – denn jede Figur bringt eine eigene interessante Geschichte mit neuen Elementen mit – geht schnell auf Kosten der Tiefe und des Tempos.
Dabei machen viele der einzelnen Ideen großen Spaß: Mutt, der Hilfsheriff mit Coyotenverwandtschaft, ist eine gelungene (als Indianer doppelte) Außenseiterfigur, die mehr schlecht als recht in einer kleinen Nische der Gesellschaft zurechtkommt. Der Auftritt einer feministischen Super-Oma bringt die Lage von Frauen im 19. Jahrhundert (und weit darüber hinaus) perfekt auf den Punkt. Die mormonischen Stadtväter von Golgotha (durch deren Ränge sich einige hochinteressante Brüche ziehen) passen nicht nur zur religiös aufgeladenen Haupthandlung, sondern tragen mit dazu bei, aus Golgotha ein hyperamerikanisches Kaff zu machen, das nur von Leuten bewohnt wird, die sich schlicht weigern, aufzugeben.
Bisweilen stellt Belcher einen liebevollen Blick für Details und Charakterentwicklung zur Schau, aber eben nur punktuell. Er schafft es nicht ganz, alles zu einer Einheit zusammenzufügen. Im Gegenteil laufen viele Figurengeschichten ein bisschen ins Leere, während sie gleichzeitig aber auch die Haupthandlung sabotieren, die in ihrer schöpfungsgeschichtlichen Grundannahme eigentlich gewaltig genug ist, allein mehr als einen knapp 400seitigen Roman zu tragen. Der mythische Hintergrund der Geschehnisse in Golgotha ist eine spannende Sache, verliert sich aber im Kuddelmuddel aus Einzelideen.

Hinzu kommen ein paar kleinere Probleme technischer Natur – ob es nun die sich in mehreren Handlungssträngen schnell abnutzende Motivation durch die Kinder der Hauptfiguren ist, oder Dialoge, in denen Belcher seine Helden allzu sehr den Erklärbär geben lässt und dazu auch mal unschön aus der Perspektive fällt.
Inmitten der Infodumps und während das Ganze mit immer neuen Figuren in die Breite geht, flaut die Spannung schnell ab, und man braucht schon eine ausdauernde Freude an neuen Ideen, um am Ball zu bleiben.
The Six-Gun Tarot ist trotz allem ein Roman, den man nur ungern in die Pfanne haut, denn er krankt an einem Autor, der sich redlich bemüht und dabei vieles gut gemacht hat. Aber es sind genau jene vielen zu komplexen und differenzierten Geschichten, die fast alle lobenswert anders sein und ihre Klischees auf den Kopf stellen wollten, die das Debüt letztlich im Graben enden lassen.
R.S. Belcher ist aber trotzdem ein Autor, den man sich merken sollte – vielleicht, wenn er aus seinen hervorragenden Zutaten erst mal Bohnen mit Speck statt ein Zehn-Gänge-Menü kocht.

Snake Agent von Liz WilliamsDetective Inspector Chen, Polizist in Singapore Three, erhält eine Vermißtenmeldung: Der Geist von Pearl Tang, der Tochter eines Großindustriellen, ist nach dem Tod des Mädchens nicht im Himmel aufgetaucht. Chen stößt bei seinen Ermittlungen sehr schnell auf Widerstand, findet aber schließlich heraus, daß Pearl widerrechtlich in der Hölle gelandet ist. Während sein primäres Ziel die Überführung des Geistes in den Himmel ist, hat die Hölle ein eigenes Interesse an der Aufklärung der Sache und schickt dazu den Seneschall Zhu Irzh vom Lasterministerium zu Ermittlungen auf die Erde. Dort gerät er Chen in den Weg.

-Detective Inspector Chen brushed aside the chaos on his desk and carefully lit a single stick of scarlet incense.-
One, Singapore Three, Earth, One Week Earlier

Wenn westliche Autoren Krimi-Geschichten aus einem China mit mythischem Einschlag erzählen, liegt die Meßlatte hoch, denn dabei Pfade einzuschlagen, über die Barry Hugharts Meister Li noch nicht mit größerer Kunstfertigkeit von seinem Gehilfen Nummer Zehn der Ochse getragen wurde, ist eine Herausforderung.
Ein erster Schritt in eine andere Richtung ist es, Snake Agent, den ersten Band mit den Fällen von Detective Inspector Chen, nicht im alten China, das es niemals gab, sondern in einer Volksrepublik der nahen Zukunft anzusiedeln, die sich von unserer Gegenwart hauptsächlich in fortgeschrittener Kommunikationstechnologie und darin unterscheidet, daß aus Städten Franchises geworden sind, wobei Chens Singapur der dritte Ableger der Metropole ist. Und im Gegensatz zu seinem in Shanghai tätigen Namensvetter Inspector Chen von Qiu Xiaolong kümmert Chen Wei sich um die übernatürlichen Kriminal- und Problemfälle seiner Stadt, in der Himmel und Hölle und alles dazwischen präsent genug sind, daß jeder vernünftige Bürger sich an die Richtlinien des Feng Shui hält, aber dennoch jemanden wie Chen, der mit diesen Mächten persönlichen Kontakt pflegt, furchtsam beäugt.
In allem anderen – dem feinen Humor, den absurden Situationen zwischen spiritueller und physischer Welt und dem rasanten Plot – marschiert Liz Williams zielsicher und frohgemut in dieselbe Richtung los wie Hughart.

Der Form nach beginnt Snake Agent wie ein typischer Polizeiroman, der allerdings nicht nur ein wenig übernatürliche Dekoration ins Bild schiebt, sondern durch und durch aus seinem Setting schöpft, und das von der ersten Seite an, wenn klar wird, daß das verschwundene Mädchen, das Chen suchen soll, bereits als Geist durch die Hölle schwebt, wo sie dummerweise fehl am Platz ist. Bürokratie, Korruption und abergläubische Kollegen machen Chen das Leben schwer, während er mit meditativ gestärktem Qi und Rosenkranz bewaffnet und unter den Fittichen einer unzuverlässigen Schutzgöttin seinen ungewöhnlichen Arbeitsalltag bestreitet.

Sein Weg führt ihn nicht nur in Singapurs Reichenviertel, sondern recht schnell auch ins Rotlichtviertel der Hölle, die sich gemäß der chinesischen Mythologie vor allem als bürokratisches Monstrum darstellt, wo an jeder Ecke ein dämonischer Apparatschik lauert. Die Designvorstellungen der Höllenbewohner sind bisweilen eklig, man kennt diese Knochen- und Blutaffinität auch aus westlichen Darstellungen – in Sachen Hölle scheinen sich die Kulturen nicht viel zu schenken. Direkt stattfindende Grausamkeiten spielen dagegen bei Snake Agent so gut wie keine größere Rolle. Das Höllen-Dekor vervollständigt damit vor allem das gezeigte Höllenbild. Die Ironie, die in dieser altmodischen und zugleich erschreckend modernen Unterwelt liegt (in der man zur Organisation des höllischen Wirkens auch Emails einsetzt), ist fast immer ein Treffer, nur ganz selten kommen bei der Kombination von biblisch anmutendem Moralverständnis und einer modernen Bürokratie seltsame Gebilde heraus.
Aus dieser Hölle, einem Ort voller bizarrer Lebewesen und Regeln, kommt Chens dämonischer Gegenpart Zhu Irzh, nie um eine Opiumzigarette oder ein modisches Accessoire verlegen. Kurz bevor es zu viel wird mit der Faszination und Attraktivität des Bösen, zieht Liz Williams meistens die Reißleine. Spätestens wenn der Seneschall sich fragt, ob er sich einen hartnäckigen Fall von Moral eingefangen hat und hofft, daß er dagegen auch krankenversichert ist, hat er die Lacher auf seiner Seite.
Die Interaktion der beiden Hauptcharaktere ist ein Glanzpunkt von Snake Agent – sie ist zwar ein Klassiker, diese forcierte Zusammenarbeit von gegnerischen Parteien unter widrigen Umständen, aber wer möchte bei einer so frischen, charmanten Umsetzung wie hier nicht gleich „Nochmal!“ rufen und sich auf den nächsten der inzwischen fünf Fälle freuen? Während Chen als ruhiger Ankerpunkt und Antrieb der Handlung fungiert (spätestens, nachdem seine Frau involviert ist, der Liz Williams einen bezaubernden Vertrauten aus dem asiatischen Fabelschatz an die Seite gestellt hat), tritt Zhu Irzh als der aufgewühlte und aufwühlende Gegenpol auf. Auch die Nebenrollen sind bis in kleine Details liebevoll besetzt, mit Chens Polizeikollegen, einem streng parteitreuen Dämonenjäger, diversen höllischen Auswüchsen oder dem stets mürrischen Exorzisten Lao.

Die Erinnerungen an Hughart und seine besten Szenen, die Liz Williams mit Chen und Zhu Irzh wachzurufen imstande ist, sprechen für ein Gelingen des Experiments; aber auch Good Omens von Pratchett und Gaiman läßt durch das Protagonistenduo und die Thematik hie und da grüßen. Kleinere Schwächen wie die Vorhersehbarkeit einiger Entwicklungen und eine letztlich recht simple Lösung des komplizierten Falls (wie das eben so ist, wenn Gottheiten und überirdische Mächte involviert sind) verzeiht man gerne, denn vorab ging es ausgesprochen spannend zur Sache, in gut abgestimmten Handlungssträngen und temporeichen Szenen, die immer wieder große Bildgewalt entfalten.
Seinen Höhepunkt – und auch das, was Snake Agent von anderen lockeren Fantasy-Krimis abhebt – findet der Roman in den bitterbösen Seitenhieben auf unsere Gesellschaft, die sich in ihren Verflechtungen mit der Hölle und deren spiegelbildlicher Struktur finden. Surreal und allzu real stehen oft so dicht hintereinander, daß einem manches Lachen ein klein wenig im Hals stecken bleiben will.

Soldat des Nebels von Gene WolfeLatro hat in der Schlacht des Großen Königs eine Kopfwunde erhalten und sein Gedächtnis verloren, und damit seine Identität, seine Freunde und sein bisheriges Leben. Als ob das nicht schon genug wäre, vergißt er auch jeden Tag aufs Neue und muß von vorne beginnen. Aus diesem Grund führt er dauernd eine Schriftrolle mit sich, in die er bei jeder Gelegenheit seine Erlebnisse notiert, um sie wieder nachlesen zu können. Bald stellt er fest, daß er als einziger die Götter sehen und mit ihnen sprechen kann – und er findet heraus, daß ihm vielleicht die Erdgöttin helfen kann, seinen Fluch loszuwerden. Er macht sich auf die Reise, erschwert von seinem ständigen Vergessen, findet einige Freunde – und kann sich dennoch nie sicher sein, ob ihn die Götter nicht doch nur benutzen.

-Ich schreibe auf, was gerade geschehen ist. Der Heiler kam in der Morgendämmerung in mein Zelt und fragte mich, ob ich mich an ihn erinnere.-
Kapitel 1: Lies dies jeden Tag

Für seinen Zyklus um den Soldaten Latro hat Gene Wolfe ein wirklich faszinierendes Konzept verwirklicht: Latro hat sein Gedächtnis verloren und vergißt auch das gerade Erlebte täglich wieder. Da man, wie in der Rahmenerzählung eröffnet, die das Folgende als Inhalt uralter antiker Papyrus-Rollen vorstellt, innerhalb des Romans nichts anderes als Latros sporadische Niederschriften seiner Tage liest, die er anfertigt, um seine Erlebnisse nachlesen zu können, wenn er sie wegen seiner Kopfverletzung vergessen hat, taumelt man beinahe genauso nichtsahnend, verwirrt und zusammenhanglos durch die Handlung wie der Protagonist selbst.
Wie Latro muß man sich beim Lesen darauf verlassen, daß die Niederschriften möglichst vollständig sind, daß Latro keinen allzu großen Fehleinschätzungen aufgesessen ist und daß er alles korrekt notiert hat. Kurzum, Latro ist der unzuverlässigste Erzähler, den man sich vorstellen kann – manchmal hat er vor einem neuen Eintrag das bisher Aufgeschriebene nicht lesen können und interpretiert alles falsch oder neu, manchmal gibt es lange Lücken in der Handlung, wenn Latro keine Zeit zum Schreiben hatte.

Wie die Hauptfigur weiß man nicht, welche Persönlichkeit Latro vor dem Gedächtnisverlust war, aber zumindest der “neue” Latro macht einen liebenswerten Eindruck, und durch Wolfes Stil  – ein vermeintlich ganz einfach gehaltenes Erzählen, das die komplexen Hintergründe recht gekonnt verbirgt – werden die einzelnen Einblicke, die in Latros Suche nach sich selbst gewährt werden, zu einem Lesevergnügen: Da gibt es eher komische Einlagen, mit einem tanzenden Gott oder einem turbulenten Hurenhaus, Verstörendes mit düsteren Göttern, durchaus auch actiongeladenere Kampfszenen und vieles mehr. Latros mit dem Gedächtnisverlust einhergehende Fähigkeit, die Götter zu sehen, beschert ihm immer wieder Begegnungen der besonderen Art, und bald interessieren sich auch mächtige Anführer für den einfachen Soldaten.

So geht es auf einer turbulenten Reise mit wenigen konstanten Freunden – die sich Latro tagtäglich neu erklären müssen – und etlichen Brückenfiguren, die immer wieder einmal auftauchen, durch das antike Griechenland. Wenn man aber Latros Odyssee durchschauen möchte, wird es mit einer rudimentären Kenntnis geschichtlicher und mythologischer Hintergründe schwierig, denn die Bezüge zur antiken Mythologie und Geschichte, die in Massen eingestreut sind, sind nicht nur durch Latros Unwissenheit verschleiert, sondern auch, weil  für Orte und Götter übersetzte Namen verwendet werden, wie Latro sie versteht: So wird aus Sparta Seil, aus Athen Gedanken, und auch die Götter tragen bezeichnende Namen. Dieses gar nicht unisono handelnde Pantheon sorgt für zusätzliche Verwirrung.
Man hangelt sich also an Latros unzuverlässigen Tagebucheinträgen entlang durch unbekanntes Terrain – für ein Gefühl der Fremdheit und Andersartigkeit ist somit durchaus gesorgt.

An Auflösungen, Zusammenhängen und fortlaufenden Handlungssträngen fehlt es allerdings gewaltig, Latros Odyssee scheint vielmehr ein Experiment mit der besonderen Ausgangslage und der resultierenden Erzählform zu sein als eine strukturierte Einheit. Jede Szene ist ein Neubeginn, daran ändert sich bis zum Ende des Buches nichts, und auch, wenn man als Leser dem Text einige Zusammenhänge abringen kann, schwimmt man doch mit Latro im Nebel und kann sich zumindest in diesem Band nur auf die wenigsten Geschehnisse einen Reim machen (da die deutsche Ausgabe nicht mehr fortgesetzt wurde, ist das besonders unbefriedigend). Hinter den meisten Fakten stehen noch große Fragezeichen: Hat Latro einen Göttin verletzt und erleidet nun die Strafe? Spielen die Götter nur mit ihm? Ist er ihr Instrument? Wem kann er trauen? Dieser authentisch  vermittelte Gedächtnisverlust ist faszinierend, kostet die Geschichte aber Schwung und läßt sie etwas richtungslos in Mehrdeutigkeiten schwimmen.
Dennoch hat man aber am Ende  das Gefühl, gleich nochmal von vorne beginnen zu wollen, um weitere Schlüsse zu ziehen – durch  die faszinierenden Konzepte und den raffinierten Stil ist das ein durchaus erstrebenswertes Ansinnen.

Son of Avonar von Carol BergSeri ist eine Dame aus einem der großen Adelshäuser von Leire, aber sie führt ein ärmliches und zurückgezogenes Leben in einem kleinen Dorf. Eines Tages findet sie einen nackten jungen Mann in der Wildnis, der nicht sprechen kann. Fast widerwillig kümmert sie sich um ihn, als sie erfährt, daß er gesucht wird – unter anderem von denselben Höflingen, die ihr einst großes Leid antaten. Sie ist vor Jahren für das schrecklichste Verbrechen bestraft worden: das Verstecken eines Zauberers.
Nach und nach erfährt sie mehr über ihren Schützling, seine Talente und seine Feinde – und statt ihn der Obrigkeit zu übergeben, schützt sie erneut einen Zauberer. Doch was es wirklich mit den magisch begabten Menschen auf sich hat, kann sie nicht annähernd erahnen.

-The dawn wind teased at my old red shawl as I scrambled up the last steep pitch of the crescent-shaped headland the villagers called Rif Paltarre – Poachers Ridge.-
Chapter 1

Bei Carol Bergs drittem Fantasy-Szenario hat sich im Vorfeld vor allem eine Frage gestellt: Hat sie es wieder getan? Die Antwort: Und ob! Wieder einmal sind sämtliche Hauptcharaktere zu Beginn der Handlung gebrochen, haben Schlimmes hinter sich und  sind mit dem Leben fertig – bis etwas in ihren Alltag dringt, das ihre Lebensgeister aufs neue weckt. Man erkennt deutlich, daß die Strukturen von Bergs Romanen große Parallelen aufweisen, und es bleibt auch nicht bei der standardisierten Ausgangssituation, die natürlich für die Charakter- und Plotentwicklung ganz andere Möglichkeiten bietet als ein junger Held an der Schwelle zum Erwachsenwerden.
Trotzdem ist Son of Avonar ein eigenständiger und durchaus mitreißender Roman geworden, der sich durch einen cleveren Aufbau in zwei Zeitebenen, die abwechselnd erzählt werden, wie am Schnürchen liest. Eine lebendige Welt und hervorragende Charaktere sind bei Berg garantiert, und was auch in dieser Reihe besonders hervorsticht, ist der extravagante Zugang zur Magie: Die klaren und stimmigen Formen, die sie in Bergs Welt annehmen kann, machen oft mehr her als der übliche “ich kann alles”-Zauberer der Fantasy.

Hauptfigur und Ich-Erzählerin Seri wächst einem schnell ans Herz, beeindruckt durch ihren scharfen Verstand und ihren Humor selbst in mißlichsten Lagen und handelt für den Leser immer nachvollziehbar, selbst wenn sie Fehler macht. In dem Handlungsstrang, der Seris Vergangenheit aufarbeitet (und dessen Ende durch die Gegenwartshandlung dem Leser bereits bekannt ist), steht weniger die Spannung als eine Liebesgeschichte im Vordergrund, deren Kitsch-Faktor sich durch Seris abgeklärte Erzählstimme in Grenzen hält.

Gegen Ende des Romans ist allerdings vieles vorhersehbar (besonders, wenn man schon einmal gelesen hat, welche Wendungen im Plot und den Figuren die Autorin gerne anbringt) – dennoch gelingt die ein oder andere Überraschung; und auch wenn sich manche Charaktere genauso entwickeln, wie man es erwartet hat, bleiben sie durch ihre einprägsame Ausgestaltung interessant. Zum Glück endet das Buch nicht mit einem Cliffhanger, obwohl auf Charakterebene einiges offen bleibt.
Nach wie vor gilt: Carol Berg ist die Autorin für die Kombination aus High Fantasy und tiefgreifender, schlüssiger Charaktergeschichte, allerdings wäre es schön, wenn sie sich mehr als nur Variationen desselben Themas zuwenden würde.

Song of the Beast von Carol BergEinst galt Aidan MacAllister als Günstling der Götter und bester Musiker seiner Zeit, und seine Lieder hatten die Kraft, die Gemüter der Menschen zu verändern. Doch plötzlich verschwand er spurlos – wegen Verrats am König, seinem Vetter, wurde er eingesperrt. Nach 17 Jahren wird er entlassen, aber das Gefängnis hat ihn gebrochen, sein Talent ist verwirkt. Doch sein Lebenswille erwacht langsam wieder, denn er will herausfinden, warum er jahrelang gefoltert und von der Welt ferngehalten wurde. Die Drachen, Kriegsbestien des Königreiches und Säulen seiner Macht, scheinen dabei eine wichtige Rolle zu spielen, aber bevor Aidan mehr herausfinden kann, wird er wiederum von den Häschern des Königs verfolgt.

-The light had almost undone me. I had not been prepared for any of it, dead man that I was, but never could I have been ready for the shattering explosion of sunlight after so many years in the dark.-
Chapter 1

Nach der Veröffentlichung von Carol Bergs Rai-Kirah-Trilogie konnte die Autorin auch diesen – früher verfaßten – Roman veröffentlichen, einen heimlichen Erstling also. Man merkt ihm auch einige ungeschliffene Kanten an, vor allem in der nicht ganz ausgewogenen Handlungskonstruktion, und Themen und Elemente decken sich zum Teil mit dem, was die Autorin später ausführlicher und elaborierter ausgearbeitet hat.
Aber Song of the Beast besticht durch faszinierende Plotideen rund um Götterglauben, Drachen und Musik, eine spannende, treibende Handlung, souveräne Sprache und  gelungene Charaktere. Der abgeschlossene Einzelband bietet zudem eine epische Handlung auf nicht zu vielen Seiten.

An Parallelen zu den drei Vorgängern sticht als erstes der zu Beginn gebrochene und aussichtslose Hauptcharakter ins Auge. Berg weiß allerdings mit ihren Figuren umzugehen, so daß gerade in diesem Bereich nicht so schnell Langeweile aufkommt: es sind durch die Bank keine Neulinge, die sich erst ihren Platz in der Welt suchen und Erfahrungen machen müssen, sondern gestandene Männer und Frauen, die bereits viel durchgemacht haben. Für diesen Hintergrund ist die Ich-Perspektive des Romans die beste Wahl, allerdings wechseln die erzählenden Charaktere, und die Übergänge sind trotz der eindeutigen Zuordnung nicht immer bruchlos von statten gegangen, zumal die sehr ungleichmäßige Verteilung (es gibt nur sehr kurz einen Schwenk zu einer anderen Figur) wie ein strukturell unschöner Notnagel in der Plotkonstruktion wirkt.

Viele Wendungen und Überraschungen lassen die Handlung fast bis zur letzten Seite spannend bleiben – und an den gediegenen Szenen- und Satzkompositionen merkt man trotz der Konstruktionsschwächen, daß hier eine sehr talentierte Erzählerin am Werk ist: Egal, ob bewegend, lustig oder haarsträubend spannend, Carol Berg bewegt sich immer auf sicherem Boden. Nebenbei wird eine Welt präsentiert, die im Detail, auch wenn man nur dedizierte Ausschnitte zu sehen bekommt, sehr lebensecht wirkt – Magie wird man allerdings vergeblich suchen.

Das Besondere an Song of the Beast und der Grund, weshalb man vielleicht trotz  der ungeschliffenen Kanten einen Blick hineinwerfen sollte, sind die Drachen. Selten hat man ein so gelungenes und stimmiges Konzept für diese beliebten Fantasystereotype schlechthin gelesen. Was meistens irgendwie gekünstelt und zusammengeschustert wirkt, läuft hier wie geschmiert: Die Drachen sind viel mehr als nur Tiere, aber meilenweit von einer anthropomorphisierten Darstellung entfernt und strahlen die Erhabenheit aus, die man sich zumindest in diesem Setting von solchen Urmächten erwartet.

The Soul Weaver von Carol BergVier Jahre sind vergangen, seit Gerrick vor den drei Lords von Zhev’na gerettet wurde. Er lebt zusammen mit Seri in Leire, erholt sich aber nur sehr langsam von seinen traumatischen Erlebnissen. Karon dagegen ist in Gondai zurückgeblieben und führt sein Volk im Kampf gegen die Zhid. Nur selten hat er Zeit, Seri zu besuchen, und zu Gerrick findet er kaum einen Zugang.
Als endlich ein erfolgversprechender Plan gegen die Zhid geschmiedet wird, besucht Karon vor Freude überwältigt seine Familie. Kurze Zeit später läßt Verrat seine Pläne scheitern. Für Karon gibt es nur eine Antwort: Sein Sohn  ist immer noch an die finsteren Lords gebunden. Rachedürstig macht er sich nach Leire auf.

-My senses were deafened by Jayereth’s pain. Desperately I fought to maintain my control, to prevent her agony from confusing my purpose.-
Prologue: Karon

The Soul Weaver war ursprünglich als Abschlußband der D’Arnath-Reihe geplant, wird aber nun durch einen vierten Band fortgesetzt. Dennoch macht das Buch einen relativ runden Eindruck, und die meisten Handlungsstränge werden zum Abschluß gebracht.
Gegen die beiden mitreißenden Vorgänger fällt The Soul Weaver in einigen Bereichen leider ab. Im Mittelpunkt des Geschehens steht das turbulente und von Schicksalsschlägen getrübte Familienleben von Seri, Karon und Gerrick. Es gibt einige Schlüsselszenen der drei, die vor allem für diese mittlerweile wohlbekannten Charaktere viel zu pathetisch wirken. Seri ist zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn hin- und hergerissen und verliert dadurch unter anderem die Entschlossenheit, die sie in den Vorgängern als treibende Kraft der Handlung ausgezeichnet hat. Auch Karon und Gerrick wirken manchmal unglaubwürdig und machen Entwicklungen durch, die eher von der Handlung erzwungen als schlüssig erscheinen.
An anderer Stelle brilliert Carol Berg dagegen wieder mit ihrem Talent für stimmige Charaktere – sie braucht wichtige Nebenfiguren wie den wunderaren Ven’dar nur eine halbe Seite lang einzuführen, und schon haben sie Persönlichkeit und nehmen den Leser emotional mit.

Das titelgebende Konzept des Soul Weaver wurde nicht so sehr ausgereizt, wie man sich das vielleicht gewünscht hätte. Es sorgt zwar für spannende Szenen und Überraschungen, auch mittels der verschiedenen Erzählperspektiven, die die Autorin in diesem Band wieder geschickt kombiniert, bleibt aber an der Oberfläche des Möglichen, wohingegen andere magische Erscheinungen viel Raum einnehmen, ohne einen komplett durchdacht oder verständlich wirkenden Hintergrund zu bekommen.
Daß die Geschichte dennoch überzeugt, liegt unter anderen an den Kleinigkeiten: Nebenfiguren, die man einfach mögen muß, Einzelszenen, die ans Herz gehen, Reinigungsrituale, die Lust auf Baden machen. Da möchte man fast, aber nur fast, über die Schwächen hinweglesen, kann sich aber auch angesichts des angehängten Folgebands des Eindrucks nicht erwehren, daß in diesem dritten von vier nicht ganz dünnen Büchern etwas viel Lärm um nichts gemacht wurde.

Steal Across the Sky von Nancy KressAliens tauchen auf, bauen eine Basis auf dem Mond und schalten eine Anzeige im Internet. Sie nennen sich „die Büßer“ und suchen Freiwillige, die sich ihnen als “Zeugen” zur Verfügung stellen. Sie behaupten, der Menschheit vor 10.000 Jahren etwas angetan zu haben, das sie nun offenbaren und für das sie damit Buße tun wollen.
Scheinbar wahllos werden über zwanzig Menschen ohne eindeutige Qualifikationen ausgewählt, um von den Büßern an die Schauplätze gebracht zu werden, wo sie das Verbrechen bezeugen können.

-At first, of cause, they thought it was a joke, those few Internet roamers who visited the new website.-
5: From Rewired and Hacked In, Editorial Column

Als notorisch neugieriger Fan phantastischer Literatur muss man sich fragen, ob es überhaupt LeserInnen gibt, die der Ausgangslage, die Nancy Kress in ihrem SF-Roman Steal Across the Sky präsentiert, widerstehen können. Wer will nicht wissen, was die Büßer vor 10.000 Jahren angestellt haben, was die auserkorenen Zeugen herausfinden werden? Diese Prämisse übt einen regelrechten Lesezwang aus und ist auch das treibende Spannungsmoment im ersten Drittel des Romans. Dort lässt Kress uns mit den Zeugen rätseln, denen sich die Lage auf den fernen Planeten, die sie untersuchen, und auch ihre konkrete Aufgabe, für die keine besonderen Kenntnisse oder Talente erforderlich sind, nicht sonderlich eindeutig darstellt. Der Fokus der Geschichte liegt trotz der Reise durch das halbe Universum nicht auf den fremden Kulturen oder den Welten, die die Zeugen besuchen, nicht auf der Adaption in der Fremde, dem Kulturschock oder dem Exotismus. Die Welten, die die beiden im Mittelpunkt der LeserInnenaufmerksamkeit stehenden Zeugen besuchen, sind nicht einmal besonders detailliert ausgearbeitet. Kress konzentriert sich voll und ganz auf die Figuren, die sich in dieser unerklärlichen Situation befinden, die etwas bezeugen sollen, von dem sie nicht wissen, was es ist, und auf die psychische Belastung, die mit all den Unsicherheiten einhergeht und die sie höchst unterschiedlich, aber beide auf ihre Weise schlecht verarbeiten.

Nach und nach kristallisiert sich aber die Antwort heraus, und Kress verbringt die größere Hälfte von Steal Across the Sky damit, den Umgang mit dem neuen Wissen zu erörtern: Vordergründig geht es dabei um die gesellschaftlichen Implikationen – wie reagieren die Menschen auf die Erkenntnisse der Zeugen? Anklänge an Kress’ Hauptwerk Beggars in Spain sind nicht zu leugnen, denn hier wie da untersucht sie, wie Menschen die Tatsache verarbeiten, dass etwas existieren könnte, das die bisherige Definition von „menschlich“ sprengt. Die Bilder gleichen sich: was im Bettler-Zyklus die Schlaflosen waren, sind hier die Zeugen, da in Ermangelung der wahren Adressaten des Unbehagens die Überbringer des neuen Wissens den Hass zu spüren bekommen. Der Diskurs, der nötig wäre, wird von grellen Schlagzeilen bestimmt, was der Roman durch etliche Einsprengsel zwischen den Kapiteln perfekt einfängt: Hier ein Kreuzworträtsel oder ein Kinderbild, dort ein Verhörprotokoll oder eine Buchbesprechung zeichnen ein umfassendes Bild vom problematischen Umgang der Menschheit mit dem Besonderen, der Abweichung, wie es auch in Kress’ Kurzgeschichten immer wieder auftaucht.
Doch die gesellschaftlichen Auswüchse sind lediglich die Kulisse, die wahren Konflikte spielen sich zwischen den Zeugen ab, von denen nun einige mehr als nur die hitzige Unterschicht-Kellnerin Cam und der in seiner Trauer um die verstorbene Frau innerlich abgestorbene Lebemann Luca aus dem ersten Teil in den Mittelpunkt rücken. Die Figuren sind zugleich Stärke und Schwäche von Steal Across the Sky: Es sind kleine Jedermanns, sie zeigen keine heldenhaften Ambitionen (und wenn doch, wird ihre Zwecklosigkeit schnell offenbar), sie sind voller Fehler und Unsicherheit, und Kress bietet den LeserInnen keine Sympathieträger an.

Dies nimmt neben dem gelüfteten Geheimnis dem zweiten Teil des Romans ein wenig den Wind aus den Segeln: Figuren, die sich nur falsch entscheiden, sich nie aus ihrer Kleinlichkeit lösen können, sind keine guten Spannungsträger. Ihr Handeln ist so häufig irrational und letztlich irrelevant, dass sie zwar mit Antiheldentum punkten können und es durchaus erfrischend ist, im Genre von so alltäglichen, von nichtigen Konflikten bestimmten Figuren zu lesen, als Träger der Geschichte, die Steal Across the Sky zumindest im Hintergrund erzählt, scheinen sie ihrer Aufgabe aber schlicht nicht gewachsen zu sein – was möglicherweise trotzdem einer der besten Zugänge ist, die man zu dem schwierigen Thema, das Kress sich ausgesucht hat, finden kann.
Eine Grundspannung bleibt wegen der undurchsichtigen Agenda der Aliens, die die Menschen mit ihrer Erkenntnis weitgehend allein lassen, allerdings durchgehend erhalten. Enttäuschend ist dann vor allem das Ende, das die Sache mit einer Eindeutigkeit auflöst, die dem Thema nicht gerecht werden kann. Kress selbst nennt in einem Interview biographische Gründe für ihre Themenwahl, die diese letzte Entscheidung evtl. nachvollziehbar machen.

Damit bleibt Steal Across the Sky ein interessanter, in weiten Teilen auch mitreißender Roman, der jedoch zu viel will: Gesellschaftskritisch sein und den Menschen ungeschönt auf den Zahn fühlen, metaphysische Interpretationen liefern, letztlich unwichtige Schauplätze auf fremden Welten zeigen, einen Erstkontakt mit Aliens beschreiben und mit einer ohne Zweifel sehr faszinierenden Idee punkten. Dabei kommt vor allem eines viel zu kurz: Die Auswirkungen des fundamentalen Eingriffs der Büßer vor 10.000 Jahren. Kress hat Strukturen geschaffen, die die Folgen dieser Tat und die alternative Entwicklung greifbar machen könnten, doch es bleibt bei einer wenig überzeugenden und unscheinbaren Ausarbeitung, obwohl bei vielen „was wäre wenn“-Spielchen in der SF schon kleinere Veränderungen weitaus größere Folgen hatten. Eine verschenkte Chance, aus diesem streckenweise sehr fesselnden Roman einen richtig großen Wurf zu machen.

Die Sternenbraut von Sara DouglassUnheimliche Gerüchte von finsteren Wesen, die die Menschen im Norden Achars bedrohen, überschatten die Feierlichkeiten zum Namenstag des Königs. Zusammen mit seinen Beratern schmiedet er einen Plan: Der Kriegsherr und Herzog Bornheld soll die Truppen im Norden anführen, während sein verhaßter Halbbruder Axis nach Informationen über die Bedrohung suchen soll. Tatsächlich stößt Axis auf eine geheimnisvolle Prophezeiung, die von der Ankunft eines Zerstörers kündet. Während er noch überlegt, was zu tun ist, rüsten sich die Gegner schon zum Angriff auf seine Truppen. Unter diesen Männern befindet sich auch Faraday, Bornhelds Verlobte, die sich verhängnisvollerweise viel mehr zu Axis hingezogen fühlt…

-Es werden erblicken das Licht der Welt zwei Knaben, blutsverbunden. Der eine, im Zeichen von Flügel und Horn, wird hassen den Sternenmann.-
Die Prophezeiung des Zerstörers

Eine dräuende Prophezeiung, in deren Mittelpunkt zwei Brüder stehen, ein Land, aus dem die Magie lange entschwunden ist und das sich nun geheimnisvollen Feinden gegenüber sieht – das klingt nach ganz klassischer Fantasy. Und den Hunger nach Abenteuern in einer fremden Welt, mit Magie und großen Schlachten garniert, vermag die Reihe Unter dem Weltenbaum wohl auch zu stillen – mit gewissen Abstrichen.
Zu Beginn des Romans wird eine ganz erhebliche Auswahl an Personen vorgestellt, ohne tiefer auf sie einzugehen, und auch später fokussiert sich die Handlung nicht allzu sehr auf eine geringere Figurenanzahl. Außerdem führen die häufigen Perspektivwechsel – oft mehrmals auf einer Seite – dazu, daß man sich niemals intensiver in eine Figur hineinfühlen kann, eine Identifikation fällt schwer, und manchmal auch schon das Verständnis für die Motivation der Charaktere. Dennoch sind ein paar ganz gut vorstellbare Helden entstanden, nur hätte ihnen mehr Tiefe gut getan, vor allem, um sie aus den romantisierten Geschlechterstereotypen zu holen, an denen sich die Autorin entlanghangelt.

Das Land Achar mit seinen Bewohnern, die dem Weg des Pfluges folgen und alle Bäume fällen, um dem Bösen keine Verstecke zu bieten, bietet eine farbenprächtige Kulisse für die große Prophezeiung und die Rückkehr der Magie, ist aber kein Ort der gut ausgearbeiteten Kulturen.
Leider ist die handlungstreibende Prophezeiung – so gut sie sich auch für diese Art von klassischer Fantasy eignen mag – sehr dominant. Bedingungslos unterwerfen sich die Figuren dem Diktat: Wenn die Prophezeiung vorschreibt, was zu geschehen hat, schreiten fast alle ohne großes Murren zur Tat – auch das mag seinen Teil dazu beitragen, daß man häufig keine Charaktere, sondern Abziehbildchen handeln sieht.

Durch den ganzen Band zieht sich ein Auftakt-Gefühl; Anlagen für eine gute Geschichte sind durchaus vorhanden, aber ob die Autorin es wirklich schafft, sie in den nächsten Bänden mit Leben und etwas weniger blassen Charakteren zu füllen, muß sich erst noch erweisen. Mit ihren vielen Action- und Wanderszenen, ihrem guten Schuß Romantik und ihrem hohen Tempo fällt Die Sternenbraut (BattleAxe, Teil 1) fürs Erste noch in die Sparte des Popcorn-Kinos im Kopf – Tiefgang kann später noch nachkommen.

Sternenströmers Lied von Sara DouglassDie Awaren und die Ikarier – die zurückgedrängten Völker, die bei den Menschen als die Unaussprechlichen bekannt waren – bereiten sich auf die bedeutsamen Jultiden-Riten vor, ohne die die Sonne den Winter nicht wieder vertreiben kann.
Gleichzeitig strömen die Horden des Zerstörers auf die Feste Gorken zu, wo sich gemäß der Prophezeiung inzwischen Faraday mit dem ungeliebten Bornheld vermählt und der Axtherr Axis sein Erbe als Sternenmann langsam begreift und antritt. Doch immer noch ist er auf der Suche nach seinem Vater – und während er seine Kräfte weder verstehen noch beherrschen kann, bahnt sich durch die Belagerung Gorkens eine Katastrophe an.

-Kaum zehn Schritte tief im Awarinheim-Wald fühlte Aschure sich wie in einer anderen Welt.-
1: Der Geistbaum-Klan

Wie schon im ersten Band plätschert auch hier die Handlung trotz vieler Actionszenen ganz gemächlich dahin, alle folgen brav wie Schafe den Anweisungen der Prophezeiung, und in deren Schatten vermögen auch die größten Ereignisse nicht richtig mitzureißen. Spannungsaufbau ist eine große Schwierigkeit, wenn die Autorin selbst schon eine ihrer Figuren über mögliche Enwicklungen resümmieren läßt: Das kann ja gar nicht passieren, das steht so nicht in der Prophezeiung.
Dabei ist die Prophezeiung an sich gut gelungen – sie ist rätselhaft, ja zweideutig, und bietet jede Menge Spielraum für Ängste und Interpretationen. Doch der Umgang der Personen mit dieser Thematik vereitelt ein echtes Leseerlebnis. Niemals stellen sie die überlieferten Worte in Frage; im besten Fall beklagen sie sich darüber, zur Zeit ihrer Wahrwerdung zu leben. So werden die schönsten Charaktere zu blassen Abziehbildern, obwohl es Sara Douglass durchaus versteht, im Einzelnen einnehmende und überzeugende Szenen zu präsentieren.

Zum Glück entwickelt das Buch in der zweiten Hälfte aber noch eine gewisse Eigendynamik – eine Belagerungsgeschichte zieht fast immer, und das direkt drohende Unheil beflügelt plötzlich auch die bisher lahmsten Figuren. Mit den Ikariern und den Awaren ist ein Gegenentwurf zu den gewöhnlichen Menschen entstanden, bei dem man sich ein bißchen mehr Detailfreude gewünscht hätte. Bis auf die äußerlichen Unterschiede gibt es nämlich keine allzu tiefgreifenden kulturellen Abweichungen, und Menschen mit sozusagen literarisch angepappten Anhängseln – ob es nun Flügel sind oder spitze Ohren, ist letztlich egal – hat man schon zur Genüge gesehen.
Damit bietet die Weltenbaum-Reihe allenfalls solide Unterhaltung. Da gibt es Szenen, die ganz laut “verlfilme mich” schreien, Abenteuer und Romantik (mit einem Hang zum Kitsch) – ein bunter Fantasy-Mix. Doch um dem Ganzen das Prädikat “episch” aufzustempeln, müßte wenigstens eine Prise Tiefgang enthalten sein.

Stimme in der Nacht von William Hope HodgsonDie Boote der Glen Carrig sind zwei Rettungsboote, die sich durch unbekannte Gewässer schlagen und auf Inseln mit geheimnisvollen  Bewohnern treffen, immer auf der Suche nach Nahrung, Wasser und einer Möglichkeit, wieder in die Heimat zu gelangen.
Die Herrenlose ist ein treibendes Wrack, das von der Besatzung eines vorüberkommenden Schiffes entdeckt wird und ein unheimliches Geheimnis verbirgt.
Die Nachtwache eines kleinen Schiffes hört eine Stimme in der Nacht. Der Sprecher sitzt in einem kleinen Boot und fleht um Nahrung, aber er will sich um keinen Preis zeigen.
Die Crew der Lancing segelt durch tropische Gewässer, als plötzlich Dampf aus dem Meer aufsteigt. Ein fremdes Schiff nimmt ihre Verfolgung auf.

-Wir waren nun seit fünf Tagen in den Booten und hatten während dieser ganzen Zeit kein Land entdeckt.-
Die Boote der “Glen Carrig”: 1 Das Land der Einsamkeit

In vier Geschichten wendet sich der britische Autor William Hope Hodgson seinem Lieblingsthema – der See – zu. Aber nicht Riffe, Haie, Piraten oder Skorbut sind es, gegen die die Seeleute hier bestehen müssen, sondern vielmehr übernatürliche Schrecken der Meere. Hodgson, der selbst zur See gefahren ist, plaudert aus dem Nähkästchen und verlangt dem Leser einiges an maritimem Vokabular ab, aber die Geschichten sind auch ohne Spezialkenntnisse verständlich – auf die Gefahr hin, nicht ganz genau zu wissen, welcher der Masten gerade vom Sturm geknickt wurde …
Die Crew der Lancing ist die längste der vier Geschichten, mit 160 Seiten eigentlich ein eigener Roman. Sie wartet mit dem unkommodesten der vier Ich-Erzähler auf – keinem einfachen Seemann, sondern eine wohlhabenden, gebildeten Passagier, der einen affektierten, sehr ausführlichen Sprachstil pflegt. Deshalb eignet sich die Geschichte nicht sonderlich gut zum Einlesen ins Hodgsons Stil; sie ist auch die am wenigsten überzeugende der Sammlung. Ursprünglich als Fortsetzungsroman erschienen, gibt es in den kurzen Episoden zwar massenhaft Abenteuer zu bestehen, Kämpfe gegen tückische Meeresteufel, schleimige Blutsauger und heulende Bäume; Stürme werden überstanden und fremde Länder erkundet – aber einen großen Spannungsbogen oder eine Entwicklung der Geschichte gibt es nicht.
Die Herrenlose wird von einem Schiff entdeckt, das mit dem Schiffsarzt und dem naturwissenschaftlich interessierten Ich-Erzähler eine Besatzung aufbietet, die eine wissenschaftliche Erklärung für die übernatürlichen Vorgänge auf dem Wrack sucht – aber sie scheitert und erfährt, daß die See unerklärlich und unerfassbar bleibt. Auch in dieser Geschichte gibt es Kämpfe und Action, und Hodgson versteht es, die Atmosphäre des Übernatürlichen langsam aufzubauen und in Form eines treibenden Wracks in den Alltag der Seeleute eindringen zu lassen.
Die beeindruckendste Geschichte der Sammlung ist allerdings das titelgebende Stimme in der Nacht. Hier erfährt nicht der Ich-Erzähler und mit ihm die Besatzung des Schiffes am eigenen Leib, welche Schrecken das Meer bereithält, sondern nur durch die Worte der geheimnisvollen Stimme, die ihr Schicksal von einem Rettungsboot aus erzählt, wird das reine Grauen vermittelt. Hodgson vermag es, den Leser an die unglaublich Erzählung des Fremden zu bannen. Die Thematik ist eine ähnliche wie bei der vorausgehenden Geschichte, aber hier läuft alles ohne Action ab und das Unheimliche stiehlt sich leise und eindringlich in die Vorstellung des Lesers.
Die Crew der Lancing schließlich setzt auch auf eine unheimliche Begegnung mit einem anderen Schiff, und hat aufgrund des tropischen Settings einen etwas anderen Charakter als die vorausgehenden Erzählungen. Dennoch ist sie nach einem ähnlichen Muster aufgebaut.

Wenn man sich auf Hodgsons mittlerweile etwas antiquierten Stil einläßt, wird man feststellen, daß die Faszination des Unbekannten, das auf und unter den endlosen Wassern lauert, bis heute nicht nachgelassen hat. Der Autor versteht es, der Nachtseite des Meeres erschreckende Gesichter zu verleihen. Anklänge an den Cthulhu-Mythos werden wach bei den Gestalten, die die See in diesen Geschichten ausspuckt, und es verwundert nicht, daß H.P. Lovecraft Hodgsons Werk schätzte.

The Stuff of Legend Omnibus OneEin Junge schläft friedlich zu Hause inmitten seiner Spielsachen, während sein Vater weit entfernt in Europa im Zweiten Weltkrieg kämpft. Doch etwas Finsteres greift aus seinem Schrank und entführt ihn in die Dunkelheit. Als alles wieder ruhig ist, kommen die Spielsachen des Jungen zusammen, und der tapfere Colonel entscheidet, dass es eine Rettungsmission geben muss. Nur die wenigsten Spielsachen sind bereit, dem Spielzeugsoldaten in die unbekannte Dunkelheit im Schrank zu folgen …

-“How can you be so cavalier? We are in prison.”
“I have spent time in tighter quarters than this, Gingerbread Man. ’tis all a matter of perspektive.”-
The Prison

Durch die Schranktür eine andere Welt betreten; Spielzeug, das lebendig wird und einer eigenen Spielzeuglogik folgt – klingeln da nicht ganz laut die Nostalgieglöckchen? Und das nicht ganz zu Unrecht: Michael Raichts und Brian Smiths epischer Comic The Stuff of Legend knüpft an einigen Stellen an die besten Abenteuergeschichten an, die man als Kind gelesen hat. Es gibt eine fremde, eigenen Gesetzmäßigkeiten folgende Welt zu erkunden und eine Schar wundersamer, oft liebenswerter Gefährten auf der Suche nach „ihrem“ verlorenen Jungen zu begleiten. Doch der – zum nostalgischen Flair beitragende – Realwelthintergrund des Zweiten Weltkriegs ist nicht ganz umsonst gewählt und wirkt teilweise auf die Bildwelten zurück, die sich in der Welt hinter der Schranktür, nur „the Dark“ genannt, auftun. Für Kinder ist es also eher nichts (höchstens für etwas ältere, nervenstarke, die es nicht unbedingt bunt mögen), für Erwachsene, die sich gerne in kindliche Gedankenwelten versetzen lassen, dafür aber um so mehr. The Stuff of Legend hat keine Scheu vor den düsteren Seiten von Kindergeschichten und ist, wenn man einen Vergleich heranziehen möchte, als hätte Neil Gaiman ein Skript für Toy Story verfasst.

Die Geschichte, die sich um die mehr oder weniger tapferen Spielzeuge entspinnt, stellt die Helden vor eine nahezu unmögliche Aufgabe: In der weitläufigen unbekannten Welt wollen sie dem Boogeyman ihren Jungen wieder entreißen, und der wirft ihnen nicht nur Heerscharen von feindlich gesinnten Spielzeugen entgegen, sondern ist auch ein Bösewicht, der es einem bei jedem seiner merkwürdig ästhetischen Auftritte eiskalt den Rücken hinablaufen lässt. Teddybär Max, Sparschwein Percy, der mutige Colonel, Jester, ein scharfzüngiger und galanter Kastenteufel, und Scout, der echte Hund des Jungen, um nur einige der Protagonisten zu nennen, scheinen keine Ahnung zu haben, worauf sie sich einlassen, erweisen sich aber als einfallsreiche und wehrhafte Underdogs. Ihre jeweiligen Rollen sind wohldurchdacht und gehen unter die Haut: Sie folgen einerseits der Realität ihres Daseins als Spielzeug (was macht man nochmal gleich mit Sparschweinen?), lösen sich aber andererseits auch davon und haben dadurch viel Entwicklungsraum: Princess, die Indianerprinzessin, die bei den Spielen des Jungen stets gerettet werden musste, ist in der neuen Welt einer der zähesten und effektivsten Kämpfer – sehr zur Überraschung ihrer einstigen Retter.
Die feine Ausarbeitung dieser lebendigen Figurenriege führt dazu, dass Raicht und Smith in The Stuff of Legend elementare Themen anpacken können: Fragen der Loyalität, Eifersucht, Angst, Willenskraft und Vergebung müssen die Spielzeugfiguren für sich beantworten, und sie sind psychologisch so durchdacht, dass ihre Reaktionen nicht nur unvorhersehbar, sondern auch zugleich hart und herzerwärmend ausfallen – nicht, weil sie Spielsachen sind, sondern weil man sich ihnen sehr nahe fühlt.

Stuff_of_Legend_BeispielGenauso wie die Figuren folgt auch die Welt einer sehr ideenreich umgesetzten Spielzimmerlogik, die sich immer wieder auf überraschende Weise manifestiert – ob man nun in eine Stadt gerät, in der alles abstrusen Brettspielregeln folgt, oder einen wahrhaft traurigen Friedhof der Kuscheltiere entdeckt. Dazu trägt auch der detaillierte, rein in Sepiatönen gehaltene Stil von Charles Paul Wilson III bei, der diese Szenarien mit spannenden Design-Ideen, sehr dynamischen Panels und großartigem Spiel mit Licht und Schatten lebendig werden lässt und mit dieser gedämpften Farbwelt dem rückwärts gewandten Blick und der Düsternis des Erzählten gerecht wird.

Rückblenden und ab dem zweiten Band mehrere Handlungsstränge geben der Geschichte den letzten epischen Schliff, dabei ist sie im Grunde sehr ökonomisch erzählt: Übergänge werden meist ausgespart, und man findet sich bei neuen Szenen häufig gleich in medias res wieder. Es gibt in The Stuff of Legend jede Menge transformierender Momente, in denen man die eigene Einschätzung der Figuren oder des Geschehenen neu justieren muss, und in denen liebgewonnene Gefährten über ihre Grenzen getrieben werden. Das und die Suche nach Antworten darauf, was die Realität hinter „the Dark“ und ihrem finsteren Herrscher sein könnte, peitschen die Handlung voran und machen es schwer, auf den Abschluss der Geschichte zu warten.

Von The Stuff of Legend sind nämlich bisher vier Einzelbände bzw. zwei sehr schön gestaltete Sammel-Ausgaben erschienen – mit den geplanten Bänden fünf und sechs soll die Reihe abgeschlossen werden. Man kann, auch wenn die Rätsel um den Boogeyman und seine Welt noch lange nicht gelöst sind, davon ausgehen, dass die Reihe weiterhin das hält, was sie im Titel verspricht, und sie hat sich damit schon jetzt einen Platz unter den zeitlosen Highlights des graphischen Erzählens verdient.

Tanz der Sterne von Sara DouglassWährend sich sowohl die Truppen des Zerstörers Gorgrael als auch die der Menschen von Achar erholen, wird Axis von seinem Vater zum Zauberer ausgebildet, und dabei stoßen die beiden auf ein schreckliches Geheimnis.
Aber auf Axis wartet eine noch viel größere Aufgabe – er muß die drei Völker Tencendors vereinen, um gegen Gorgrael bestehen zu können, und gerade sein eigenes Volk, die Achariten, wehren sich mit Händen und Füßen dagegen. Schließlich und endlich hat der Sternenmann auch noch mit Frauengeschichten zu kämpfen: Obwohl er seine Liebe Faraday versprochen hat, wird seine Freundschaft mit Aschure immer tiefer…

-Er stand im verlassenen Schlafgemach der Burg, und sein Atem gefror in der eisigen Luft an seinen Hauern.-
Prolog: Die Ruinen der Feste Gorken

Auch im dritten Band ihrer Saga um den Sternenmann schafft Sara Douglass es schlicht nicht, sich aus den Niederungen der Fantasy zu erheben. So interessant ihre Geschichte sein könnte, sie bleibt durchgehend vorhersehbar und flach, zumal die Autorin keine Meisterin des Spannungsaufbaus ist: Über überraschenden Andeutungen läßt sie den Leser niemals mehr als zwei Seiten lang alleine grübeln, dann wird auch schon schnellstens alles aufgelöst – Mitdenken ist hier nicht angesagt.
Auch sonst verläuft die Geschichte in den geradlinigen Bahnen, die sie von Anfang an eingeschlagen hat. Die besseren Ideen kennt man bereits aus den ersten Bänden, einzige Innovation ist ein großer Unbekannter, der neu auf die Bildfläche tritt und anfangs ein wenig für Spannung sorgt. Das kleine Intrigenspiel der Kirche des Seneschall dagegen ist kaum der Rede wert. Man vermißt einfach durchweg etwas Besonderes, eine eigene Atmosphäre oder wenigstens den ein oder anderen Kniff, der aus Schema F ausbrechen würde.
Als solche Besonderheit werden innerhalb des Buches immer wieder die Hauptcharaktere herausgestellt – sie alle sind mit der Prophezeiung verwoben und haben spezielle Fähigkeiten. Axis hat dabei am meisten Potential, den Leser gehörig zu nerven, denn die Autorin scheint ihn so heiß und innig zu lieben, daß seine Qualitäten ständig unterstrichen werden müssen, nicht zuletzt dadurch, daß ihm die Frauen unter den Hauptcharakteren zu Füßen liegen und auch voll und ganz damit zufrieden sind, die zweite Rolle in seiner Gunst zu spielen. Dabei beweist Sara Douglass an Nebencharakteren wie Ogden und Veremund, daß sie durchaus interessante und liebenswerte Figuren schaffen kann – gerade jene, die nicht ganz perfekt und sensationell sind.
Die ständig wechselnden Perspektiven führen leider dazu, daß sehr viel heruntererzählt statt wirklich aus Charaktersicht berichtet wird. Es wirkt alles ein wenig wie ein flach dahinplätschernder Kinofilm, der nur auf Unterhaltung ausgelegt ist und alle Kitsch und Effekt-Register zieht, der aber niemals auch nur an der Oberfläche kratzen und wirklich berühren kann.

Threads of Malice von Tamara Siler JonesDubric Byerly, der Kastellan von Faldorrah, erhält einen Hilferuf aus dem “Reach”, einer ärmlichen Gegend mit vielen verstreuten Dörfern. Dort verschwinden immer wieder junge Männer. Als eines Tages die gräßlich verstümmelte Leiche eines verlorenen Sohnes angespült wird, eskaltiert die Situation. Als Dubric eintrifft, sieht er sich mehr als zwanzig Geistern gegenüber – vor ihrem Tod mußten die Männer und Jungen Folter und Vergewaltigung über sich ergehen lassen. Dubrics Ermittlungen kommen langsam voran, und die Bevölkerung behindert mitunter seine Arbeit. Da das Gebiet weitläufig ist, trennen sich die  Gesetztesdiener notgedrungen, obwohl seine jungen Pagen genau ins Opferbild des Mörders passen. Langsam muß Dubric vermuten, daß alte Magie hinter den Morden steht.

-Braoin saw strings.
They streamed from somewhere above, dangling before his eyes. Black and shining in reflected firelight, they rustled in the slightest breeze and hung before him, just out of reach.-
Chapter I

Wer gerne Fingernägel kaut, die Augen auch bei expliziten Beschreibungen von Obduktionen und Folterungen offen behalten kann und sich zusammen mit den Gesetzeshütern aus diversen Hinweisen zusammenrätseln möchte, wer der Mörder ist, sollte unbedingt Dubric Byerly kennenlernen, die eigenwillige Fantasy-Variante unter den kriminalistischen Schlauköpfen. Er und seine Mannschaft sind sympathisch, vor Fehlern nicht gefeit, und da dieser Fantasy-Thriller vornehmlich aus den Perspektiven der Wache von Faldorrah – quer durch alle Alterstufen – erzählt wird, wird es mit dem mit seinen mehr als 60 Jahren für mittelalterliche Verhältnisse schon beinahe greisen Dubric auch nie langweilig.
Abgesehen vom Kastellan, seinem Knappen und den beiden jungen Pagen darf man mitunter auch dem Bösewicht selbst und seinen Opfern über die Schulter schauen, in diesem Fall eine eher unangenehme (und nicht ganz klischeefreie) Erfahrung. Zimperlich sollte man nicht sein, um Threads of Malice genießen zu können, denn die Autorin ist es auch nicht und mutet selbst ihren Protagonisten allerhand zu, so daß man unter anderem gespannt sein darf, wie sie deren traumatische Erfahrungen in den nächsten Bänden verarbeitet.

Die gelungenen Charaktere sind dann auch eher Triebfeder des Romans als die Handlung. Es bestätigt sich, was sich bereits im ersten Band gezeigt hat: Tamara Siler Jones schreibt keine einzige überflüssige Szene. Dadurch wird Threads of Malice zwar schön straff, aber man wird zum Meta-Lesen verführt und kann durchaus Elemente der Handlung erraten, weil die Aufmerksamkeit auf ‘unwichtige’, aber dadurch hoch gewichtete Details gelenkt wird. Die Spannung leidet aber nur teilweise darunter, denn da diesmal auch den liebgewonnenen Charakteren ernste Gefahr droht, legt sich das Buch nur schwer aus der Hand und hat viel stärkere Thriller-Anleihen als der erste Band, so daß es nicht nur ums Rätsellösen geht.

Im Prinzip ist der Plot klug konzipiert – die ausgestreuten Puzzlestückchen sind gar nicht so leicht zusammen zu setzen. Viel stärker als im ersten Band kommt Magie zum Einsatz, und leider hat sich die Autorin damit am Ende etwas verzettelt: Wie genau das hinter der Auflösung stehende Phänomen funktioniert, vermag sie dem Leser nicht zur vollen Befriedigung zu erklären, und ihre Beschreibungen sind an dieser Stelle nur schwer vorstellbar. Abgesehen davon findet sich aber alles, was das Ermittler-Herz höher schlagen läßt: Eine Schnitzeljagd nach verketteten Hinweisen, Zeitdruck, um ein noch lebendes Opfer zu befreien, sich ergänzende Beweise, die leider von örtlich getrennten Charakteren gefunden werden, und falsche Spuren.

Der stark romantische Einschlag des Vorgängers wurde auf ein annehmbares Maß reduziert und ist hier als Auflockerung der düsteren Handlung angenehm zu lesen. Leider gibt es auch einige sehr schwache Szenen aus Sicht des Antagonisten, die den vergewaltigenden Bösewicht ganz plakativ als winselndes Muttersöhnchen darstellen.
Für Abwechslung von der Weltrettungs-Fantasy mit einem halben Ausflug ins Thriller-Genre hat sich Tamara Siler Jones hier dennoch ein weiteres Mal bewährt, und die sympathische Burgwache Faldorrahs begleitet man auch in Zukunft gerne auf ihre nervenzerreißenden Abenteuer.

Der Thron des Drachen von John M. FordDer junge Hywel Peredur trifft einen Zauberer, der vom Byzantinischen Reich gefangen gehalten wird. Für seine Hilfe will er selbst in der Magie ausgebildet werden. Der junge Dimitrios ist Erbe einer byzantinischen Thronlinie und wurde vom Herrscher in die abgelegene Provinz Gallien geschickt. Cynthia ist eine Ärtztin aus Florenz, die den schwerkranken Lorenzo di Medici betreut.
In einem Europa, in dem Byzanz die Vorherrschaft hat und nur noch die britischen Inseln gegen das übermächtige Reich rebellieren, versuchen diese Menschen einige Jahre später, unterstützt von Gregor von Bayern, einem Fachman für Munition und Vampir, König Richard III. auf dem Thron zu halten und so die englische Unabhängigkeit zu garantieren.

-Die von den Römern gebaute Straße durchzog Nordwales ein wenig landeinwärts. Sie verlief zwischen der Irischen See und den Bergen von Gwynedd und Powys, an dem Kupfer und Blei vorbei, nach dem das Imperium lechzte.-
Gwynedd

John M. Ford taucht tief in die mittelalterliche Geschichte Europas ein, und erzählt mit einigen entscheidenden Veränderungen an verschiedenen Punkten unter anderem die Geschichte der englischen Rosenkriege neu. In seinem Europa ist Byzanz nach wie vor die mächtigste Kraft, und ein byzantinischer Herrscher war es, der einst nicht das Christentum als alleinige Religion in den Vordergrund rückte, sondern diesem riesigen Reich absolute Religionsfreiheit verordnete, so daß die Christen in der Minderheit sind und zahlreiche heidnische Kulte, wie etwa ein verbreiteter Mithras-Kult, vorherrschen. Hinzu kommen eine bunte Mischung mythischer und magischer Elemente, in der alte und neuere Sagen – von altägyptischen Mythen über den britischen Sagenkreis bis zum Vampirismus – mit geschichtlichen Elementen zusammenfließen. Unter diesen Vorzeichen läuft einiges ganz anders, als es die Geschichtsbücher berichten, und für den vollen Genuß des Romans ist es nicht unerheblich, zumindest ein paar geschichtliche Eckdaten zu kennen, um in der Mixtur aus alternativer und althergebrachter Geschichte nicht völlig verloren zu sein.
Selbst dann aber ist Fords Geschichte noch reichlich verworren: Die Struktur des Romans ist schwer überschaubar, er besteht nur aus einzelnen Fragmenten aus verschiedenen Zeiten, die zwar chronologisch, aber mit vielen großen Lücken erzählt werden. Charaktere treffen aufeinander und stellen Unternehmungen an, ohne daß dem Leser ihre Motivation ganz klar wird – die steckt wohl irgendwo in den Teilen, die Ford nicht erzählt hat. Immer wieder bleiben zentrale Fragen offen, und wer gerne Erklärungen für das Geschehen möchte, statt einfach nur zu akzeptieren, ist mit diesem Roman denkbar schlecht beraten. Vieles muß man sich aus kleinen Andeutungen selbst erarbeiten, anderes hingegen passiert – mit völlig neuen Hintergründen – genauso, wie man es auch in einem Geschichtsbuch lesen könnte. Doch der fragmentarische Charakter bleibt bis zum Schluß erhalten, und im Finale steigert sich all das zu noch größerer Unverständlichkeit – hier hätte man gerne eine ausführlichere Variante gelesen.

Dennoch ist Ford ein exzellenter Schriftsteller, das zeigt sich in jedem einzelnen der Versatzstücke, aus denen Der Thron des Drachen aufgebaut ist, und das rettet den Roman auch vor dem völligen Versinken im Chaos. Seine Figuren sind von menschlichen Leidenschaften getrieben, oder von unmenschlichen, wie der Vampir Gregor, der trotz seiner “Krankheit” auf das Blut von Menschen verzichten will – aber manchmal keine andere Wahl hat. Jede der Episoden ist an sich mit Genuß und auch Spannung zu lesen, man hört einem sehr guten Erzähler zu, dessen Sprache immer punktgenau trifft und der Emotionen wie Action zu beschreiben weiß. Aber wenn man sich dann im nächsten Kapitel erst wieder mühsam den Anschluß erarbeiten muß, bleibt letztendlich trotzdem die Frage, ob sich der Aufwand lohnt – zumal am Ende nicht das Gefühl vorherrscht, einen runden und gänzlich durchdachten Roman gelesen zu haben. Einen interessanten schon, denn Fords verändertes Europa ist eine Entdeckung, die sich lohnt.

Toad Words von T. KingfisherIn sieben Kurzgeschichten, einer Novella und drei Gedichten begleitet man junge Mädchen in finstere Wälder und bezeugt die Auswirkungen schrecklicher Flüche, kurzum, man befindet sich auf dem vertrauten Gebiet der Märchennacherzählungen. Doch wer mit Altbekanntem rechnet, wird feststellen, dass man den Worten der Kröte vielleicht nicht ganz so viel Vertrauen schenken sollte wie denen eines Frosches.

-It has come to my attention
that people like me
are generally not welcome in fairy tales.-

Es gibt viele Gründe für die Wahl eines klangvollen Pseudonyms – bei T. Kingfisher, keiner anderen als der famosen Ursula Vernon, war es die Notwendigkeit, sich mit ihren Geschichten für Erwachsene von ihren weitaus erfolgreicheren Kinderbüchern abzugrenzen. Das kann man durchaus als Warnung verstehen: Kingfishers Geschichten sprühen zwar vor dem zu erwartenden Humor, scheuen aber nicht davor zurück, einen Blick auf die Düsternis hinter den Kulissen bekannter Märchen zu werfen.
Das erste Gedicht der Sammlung, It Has Come To My Attention, dient als Quasi-Einleitung: fehlender “Märchenglauben” führt Kingfisher dazu, an Märchen ganz andere Fragen zu stellen als die üblichen, und diese Fragen sind es, die ihr einen neuen Blickwinkel verschaffen und es ihr gestatten, im Subgenre der Märchen-Neuinterpretation knapp 35 Jahre nach Angela Carters The Bloody Chamber noch frische Akzente zu setzen.
Dabei kommt ihr zugute, dass sie häufig popkulturelle Ausprägungen der Märchen mit einbezieht – also Arielle statt Andersen, wie etwa im herrlich bildreichen The Sea Witch Sets The Record Straight. Meerhexe Ursula klärt nicht nur darüber auf, wie es wirklich war mit der kleinen Meerjungfrau, sondern liefert auch ein komplettes Unterwasser-Worldbuilding in weniger Text als ein Disney-Song.

Viele der Erzählungen sind derartige Rückblicke oder Bestandsaufnahmen, aus denen sich auf kleinstem Raum eine Geschichte entfaltet. Einzigartig ist dabei immer die Perspektive: Es sind ausschließlich Frauen, die mit ihren Flüchen, Schicksalsschlägen und der falschen Fremdwahrnehmung auf bodenständige, realistische Weise umgehen, so gut sie es vermögen. Sie sind stark, obwohl sie häufig keine klassischen Heldenrollen einnehmen, sondern eher häuslich veranlagt sind – und vor allem ihre Ruhe wollen.
Die Geschichten sind witzig und herzerwärmend – voller eloquenter Hexen, Amphibienretterinnen und ungeliebten Töchtern, die ihr eigenes Glück suchen – und manchmal brechen sie einem das Herz: das robuste Rotkäppchen erfährt etwas über Stalker, die sich als nette Kerle präsentieren (und nicht als Wölfe, wie in der Urform des Märchens), Peter Pan und die Schneekönigin wetteifern in glitzernd kalter Grausamkeit, und das Biest aus die, pardon, der Schöne und das Ungeheuer entdeckt eine schlimmere Komponente seines Fluches als das Monsterdasein.

Bluebeards Wife lässt Leser und Leserinnen mit seiner Erkundung des Monströsen und schwieriger Familienverhältnisse moralisch etwas durchgerüttelt zurück, und Boar & Apples, der längste Text der Sammlung, ist eine Schneewittchen-Interpretation, die mit Neil Gaimans brillantem Snow Glass Apples mithalten kann, auch wenn sie einen völlig anderen Weg beschreitet und den Zwergen deutlich mehr Haare verpasst als das Original.
Die einzige Geschichte, die ein wenig abfällt, ist Night, vor allem, weil sie nicht ganz zum ansonsten überall präsenten Märchenmotiv passt – mit zwei Seiten ist sie aber auch nur ein kurzes Intermezzo.

Alle Texte aus Toad Words sind, mit Ausnahme von Boar & Apples, auch auf dem Blog der Autorin erschienen und können dort nach wie vor gelesen werden. Man kann allerdings nicht viel falsch machen, wenn man sich die komplette Sammlung dieser geerdeten und trotzdem zauberhaften Märchen zulegt, die auf gewisse Weise mit ihrem unmittelbaren und pragmatischen Magieverständnis nicht ganz weit entfernt von den ursprünglichen Volksmärchen wurzeln.

Das Tor von Ivrel von C. J. CherryhTore, die verschiedene Welten miteinander verbinden, sind neben vereinzelten Waffen beinahe alles, was von der Zivilisation der qhal geblieben ist, die sich durch die Technologie der Tore selbst zerstört hat. Nun müssen alle Tore geschlossen werden, um diese Gefahr für die Zukunft zu bannen.
Der ausgestoßene Krieger Vanye befreit unabsichtlich eine Frau aus einer “magischen” Anomalie, und aus Erzählungen erkennt er in ihr Morgaine wieder, eine Kriegerin, die vor hundert Jahren auf einem Feldzug gegen den Herrscher Thye Tausende in den Tod führte. Mithilfe des komplexen Ehrsystems von Vanyes Heimat gelingt es ihr, den jungen Mann an sich zu binden, damit er sie beim erneuten Kampf gegen Thye unterstützt.

-Die Tore waren der Untergang der qhal.-
Prolog

Eine Fantasy-Geschichte mit SF-Hintergrund, vordergründig eine klassische Queste, die allerdings als ungewöhnliche Charakterstudie erzählt wird, mit Action, mächtigen Zauberwaffen, etlichen Umstürzen und einem Bruderzwist – und das alles auf wenig mehr als 200 Seiten? Das müssen die 70er sein, als man noch mit allerlei bunten Weltentwürfen und die Vorstellungskraft sprengenden Ideen herumexperimentierte, um das Fantasybewußtsein ein wenig zu erweitern.
Zugegeben, so richtig bunt wird es nicht in C. J. Cherryhs Debutroman, der den Grundstein für ihre langlebige Karriere legte. Bis auf ein paar als Magie interpretierte Überreste – und die Tore – ist kaum etwas vom galaktischen Imperium geblieben, und die relativ ahnungslose Menschheit lebt in einer mittelalterlichen, stark von einem Ehrenkodex und Blutsbanden geprägten Kultur. Die vor allem im Prolog abgehandelten SF-Topoi sind voll in diese Fantasy-Welt integriert, so daß die Queste, auf der der gefürchtete Herrscher vernichtet und das Tor unter seiner Kontrolle geschlossen werden soll, im Fantasy-Duktus erzählt werden kann. Trotzdem ist die Struktur des Romans erfreulich wenig stereotyp, vielmehr liegt der Fokus auf der Interkation der beiden Hauptfiguren, die sich in einem komplizierten Abhängigkeitsverhältnis befinden, das aus der Sicht des schwächeren Parts dieser Zwangs-Liaison berichtet wird. Die (zum Gutteil von den beiden ausgelösten) vielschichtigen Geschehnisse in der Welt – politische, magische, individuelle – tauchen eher am Wegesrand auf und dominieren die Handlung nicht, und letzten Endes geht es auch nicht unbedingt in erster Linie um die Bewältigung der Queste.

Cherryh setzt vor allem auf das Spannungsfeld zwischen ihren beiden ungleichen Figuren mit dem starken Machtgefälle: Die unmenschliche, aus der Vergangenheit angereiste Heldin mit üblem Leumund bleibt für den Erzähler Vanye (und damit auch für den Leser) ein Geheimnis, mit seinen Annahmen über sie liegt er nur manchmal richtig, auch wenn sie im Verlauf der Geschichte menschlicher und verständlicher wird, auch dadurch, daß der Leser langsam die Schutzwälle erahnen kann, die sie errichten muß, um ihrer Tätigkeit nachzugehen. Der allzu menschliche, schwache Vanye fungiert als ihr Gewissen, denn seine Ehre bindet ihn zwar an seine Herrin, allerdings auch an die beiden Völker, in denen seine Wurzeln liegen. Dieser Loyalitätskonflikt wird durch einen stark portraitierten Bruderzwist verschärft, den Vanye auszutragen hat. Die angebliche Vorherbestimmung durch Blutsverwandtschaft und ererbte Charakterzüge spielt bei all diesen Beziehungen eine große Rolle und erweist sich manchmal als richtig, viel häufiger jedoch als nichtig.

Ohne großes Bohei bekommt so auch die Welt eigene Züge, die ausgestoßenen ilin–Krieger erinnern stark an Ronin, die unterschiedlichen Menschenvölker werden mit kleinen Details charakterisiert, und die geschichtlich und kulturell verarbeiteten Bezüge auf das untergegangene Reich der qhal blitzen hier und da auf.
Die Abenteuer der beiden Figuren sind jedoch ausgesprochen realistisch, Kämpfe und Flucht unter widrigen Umständen fordern immer ihren Tribut, so daß Vanye bis zum Ende regelrecht auf dem Zahnfleisch kriecht. Die klassischen Fantasyelemente stechen dabei um so deutlicher hervor, etwa Wechselbalg, die cherryh’sche Variante des seelenverschlingenden Schwertes. Sogar die Pferde bekommen ganz genretypisch Namen und Persönlichkeit, doch klassisch episch wird es trotzdem kaum. Vielmehr wirken die Reiseabenteuer von Morgaine und Vanye bisweilen wie ein Kammerspiel unter offenem Himmel, unterbrochen durch kurze Kampfszenen und actionreichere Aufenthalte auf Burgen und in Herrscherhallen.

Mit ihrer feinen Charakterisierung in Das Tor von Ivrel war Cherryh ihrer Zeit definitiv ein Stück voraus, allerdings muß man einräumen, daß auch die Übersetzung aus den 70ern stammt und bei weitem nicht so gut wie der Roman gealtert ist.

Transformation von Carol BergSeyonne gehörte einst einem Volk aus mächtigen Zauberern und Kämpfern an, doch ist er seit sechzehn Jahren Sklave im Imperium der Derzhi, seiner Kräfte beraubt. Abgestumpft und ohne Hoffnung beginnt er den Dienst bei seinem neuen Herrn Aleksander, dem Kronprinzen der Derzhi, der sich als grausamer und unbedachter junger Mann entpuppt. Doch eines Tages entdeckt Seyonne in ihm mit den Resten seiner früheren Fähigkeiten die Kraft, die Welt zu verändern – und genau dies hat er einst geschworen zu beschützen. Denn die Dämonen, die aus ihrer eisigen Heimat in die Seelen der Menschen eindringen, um sich an menschlichem Leid  zu nähren, haben die außergewöhnliche Seele des Prinzen schon entdeckt und trachten danach, sie sich zu Nutzen zu machen.

-Ezzarian prophets say that the gods fight their battles within the souls of men and that if the deities mislike the battleground, they reshape it according to their will.-
Chapter 1

Dieses ungewöhnliche Erstlingswerk hat viele Stärken, eine davon ist das an klassische Abenteuerromane erinnernde Wüsten-Setting, in dem das Geschehen angesiedelt ist und das Carol Berg auch gut zu nutzen weiß. Jenseits von allen Elfen-und-Zwerge-Stereotypen wird zwar nicht bis ins Kleinste ausgearbeitet, aber stimmig und überzeugend  eine Wüstenkultur dargestellt; nebst dieser alt-orientalisch angehauchten Umgebung spielt noch ein keltisch anmutendes Volk eine Rolle, das aber so eigenständig entwickelt ist, daß die Ursprünge am ehesten noch in der Namensgebung und einer magielastigen Lebenswelt zu finden sind.

Die Darstellung von Magie folgt in Transformation (Das Tor der Verwandlung) ohnehin einem eigenen Konzept – magische Handlungen sind zweckgebunden und streng reglementiert und definieren sich aus kulturellen und mythologischen Mustern (etwa die Waffen des ‘Wächters’, der Seelen vor Dämonen schützt: Spiegel und Silbermesser).
Diese Magie ist Kern der Handlung und folgt damit keinen ausgetretenen Pfaden – der Sklave entpuppt sich weder als heimlicher König noch als formbarer Held,  sondern ist vielmehr längst nicht mehr der Jüngste und benimmt sich auch dementsprechend sklavenhaft, was dem Leser zu Beginn einen sehr desillusionierten Hauptcharakter beschert, der sich mit trockenem Humor mehr schlecht als recht über Wasser hält. Die Geschichte gewinnt aber schnell an Dynamik und Spannung und schaukelt sich zu einem furiosen Finale auf, das von einem stimmigen Schluß abgerundet wird.

Der Protagonist berichtet seine Abenteuer als Ich-Erzähler , und diese Technik beherrscht Carol Berg so gut, daß selbst eingefleischte Verächter dieses Stils hier zugreifen dürfen. Seyonne erweist sich als vielseitig genug, um Einseitigkeit zu vermeiden. Man erlebt die Ereignisse aus erster Hand, ohne daß die üblichen Schwächen des Ich-Erzählers wie unglaubwürdiger Spannungsaufbau ins Gewicht fallen würden. Die Charaktere sind extrem plastisch, die Entwicklungen, die sie durchmachen, glaubhaft – in der Wandlung der Hauptcharaktere liegt die große Stärke der Autorin.
Bleibt nur zu sagen, daß der Band zwar als erster Teil einer  Trilogie fungiert, aber in sich abgeschlossen ist und duchaus als Stand-Alone gelesen werden kann.

Traveller von Richard AdamsNachdem das Pferd Traveller eine schöne Zeit als Fohlen erlebt hat, hört es immer wieder, daß viele Pferde in den Krieg ziehen, und bald auch ist er selbst unterwegs zu diesem seltsamen Ort, den unbedingt alle erreichen wollten. Nach einigen Besitzerwechseln und ersten schrecklichen Kriegserlebnissen geht Traveller endlich in den Besitz seines richtigen “Meisters”, General Robert E. Lee, über und dient ihm treu durch den ganzen amerikanischen Bürgerkrieg hindurch.
Nach dem Ende des Krieges hat er ein schönes Leben im Ruhestand und erzählt dem teilweise im Stall residierenden Kater Tom Beißer seine Erinnerungen an die schreckliche Zeit …

-Die blauen Männer! Die blauen Männer! Sie sind hinter uns gelangt, sie sind da drin unter den dichten Bäumen.-
1

Ein Kriegsveteran, der seine Erinnerungen teilen will, gibt sie wohl immer auf ganz subjektive, eigene Art und Weise preis, und so erzählt in Traveller Robert E. Lees gleichnamiges Pferd auch dem Stallkater Stück für Stück seine ganze Lebensgeschichte, berichtet vom Krieg mit dem Verständnis eines Pferdes. Allerdings ist Traveller – auch für ein Pferd, wie man erfährt – eher simpel gestrickt, aber eine durch und durch gute Seele; und er spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase ist das ein wunderbar lebensnaher Stil – im Original war es wohl tiefster Südstaatenakzent, und die Übersetzung ist ein einfach gehaltener Soziolekt, der ganz hervorragend zu Travellers Charakter paßt.

Zusammen mit Traveller und dessen Herrn, Marse Robert, der für das Pferd das Gute in der Welt repräsentiert und damit sehr liebevoll dargestellt ist, erlebt der Leser den amerikanischen Bürgerkrieg auf der Südstaatenseite. Kaum nötig zu erwähnen, daß sämtliche Details minutiös exakt recherchiert wurden, bei der Fülle an Informationen und Umsetzungen, die zu diesem Thema schon zu haben sind. Wer nun ein blutiges, für Mensch und Tier leidvolles Gemetzel erwartet, liegt nur teilweise richtig. Aus Travellers etwas eingeschränkter Perspektive rauscht das Geschehen regelrecht am Leser vorbei – teilweise auch ohne große Abwechslung mit seitenlangen Wanderungen durch den Matsch und immer wieder aufflackernden Scharmützeln. Die großen Ereignisse werden eher beiläufig berichtet – Traveller versteht die Menschen und ihren Tötungswahn ohnehin nicht – und nur an wenigen Stellen rücken einzelne Grausamkeiten in den Blickpunkt. Allgegenwärtig sind allerdings das langsame Ausmergeln und die Strapazen während des langen Feldzuges.
Das Geschehen ist in viele chronologisch ablaufende Episoden zerpflückt, die Traveller nach und nach Tom Beißer erzählt, und läßt sich daher auch recht gut in Häppchen lesen. Zwischendurch stehen hin und wieder neutrale Passagen, die den genauen Ablauf des Krieges zum Inhalt haben. Und die hat man als Leser – sofern man nicht ohnehin mit der Materie vertraut ist – auch bitter nötig: Traveller, einfach gestrickt und das Pferd, das er nun einmal ist, leidet nämlich an einer katastrophalen Fehleinschätzung der Ereignisse und ist damit ein unzuverlässiger Erzähler, wie er im Buche steht.

Durch die einzelnen Häppchen ist Traveller nicht so sehr für eine spannende, durchgehende Handlung ausgelegt – es handelt sich eher um einzelne Episoden zwischen Mensch und Pferd, erzählt aus einer in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlichen Perspektive. Aber aus dem Flickwerk ergibt sich nach und nach ein großes Bild, eine Pferdebiographie, eine halbe Menschenbiographie aus einem neuen Blickwinkel, eine andere Geschichte des Bürgerkriegs und eine enthüllende Betrachtung des Menschbleibens in unmenschlichen Zuständen.
Mythische Aspekte und ein drängendes Tempo fehlen vielleicht in dieser Tierfantasy, Richard Adams’ gewohnte tiefgehende Wärme ist der Geschichte aber erhalten geblieben, und spricht besonders auch aus dem versöhnlichen Ende des Romans.

Usagi Yojimbo: The Special Edition von Stan SakaiSeitdem Miyamoto Usagi, ein Samurai und Leibwächter, in einer Schlacht seinen Herrn verloren hat, streift er als herrenloser Ronin durch die Lande, seinem Ehrenkodex nach wie vor fest verpflichtet. Er gerät in politische Intrigen, bekommt es mit Banditen, Dämonen und Kopfgeldjägern zu tun und muss sich auch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen.
Ungewollt wird er in Konflikte gezogen und hält das Schwert öfter in der Hand, als ihm lieb ist.

-“The sword is not just a weapon … It’s also a mirror. It reflects the soul of the samurai. It is the soul of the samurai. … Remember, a true samurai does not look for a fight but tries to avoid it. The best souls are those which are kept in their scabbards.”
“Huh?”-
Samurai, Part II

Ein Hase als Held ist vielleicht, nachdem Usagi Yojimbo stramm auf sein dreißigstes Veröffentlichungsjahr zumarschiert (und nicht zu vergessen kurz vor dem vierzigsten Jubiläum von Watership Down), nicht mehr erklärungsbedürftig, aber immer noch erwähnenswert: Der Hasen-Leibwächter, der durch ein von anthropomorphisierten Tieren bevölkertes Japan der Edo-Periode streift und dabei häufig gezwungen ist, Massen von Gegnern niederzumetzeln, verleiht mit seiner Langohrigkeit und seiner hasengemäßen Bescheidenheit den Geschichten den nötigen Charme und die Zurückhaltung, die Usagi Yojimbo von eintönigeren Action- und Abenteuercomics abhebt und zu einer der ganz großen Comic-Geschichten mit einem liebenswerten, unbeugsamen und tragischen Protagonisten macht.
Durch die lange Veröffentlichungsgeschichte steht man als interessierter Leser vor einer großen Anzahl an Bänden, die in unterschiedlichen Verlagen erschienen sind. Die Special Edition vereint die ersten sieben Sammelbände der Serie in einer hübsch verpackten, zweibändigen Hardcover-Ausgabe im Schuber und eignet sich damit als hervorragender Einstieg in Usagis Abenteuer.

In den beiden Bänden finden sich natürlich die Einführungs- und Hintergrundgeschichten und ansonsten eine bunte Mischung aus nachdenklichen, lustigen, actionreichen und manchmal, ganz selten, sogar romantischen Episoden. Kürzere Abenteuer wechseln sich mit groß angelegten, mehrteiligen Epen ab (etwa der komplette Zyklus um die Dragon Bellow Conspiracy), so dass es mitnichten nur um Kämpfe und Kurzweil geht. Zwar weisen die Geschichten häufig ähnliche Elemente auf – Banditenschikane in kleinen Dörfern, Verschwörungen gegen Herrscherhäuser, ungerechte Magistrate, zu unrecht verfolgte und verratene Krieger, Aufarbeitung von ungelösten Problemen aus der Vergangenheit – doch durch die unterschiedliche Ausrichtung der Geschichten gewinnt der Texter und Zeichner Stan Sakai den Konstellationen immer wieder etwas Neues ab: Manchmal liegt der Fokus auf Recherche, wie etwa in der Geschichte über das Drachenfest, manchmal auf slapstickartigem Humor, so dass am Ende ein kleiner Schwank vorliegt, hin und wieder gibt es eine waschechte Räuberpistole oder ein akribisch inszeniertes Drama, bei dem jedes Bild und jede Textzeile zum bitteren Ende vorandrängt.

Die Stoffe von Usagi Yojimbo stammen aus Geschichte und Gegenwart des japanischen Kulturkreises, historische Anspielungen und Verweise und Zitate aus Filmen von Kurosawa bis Godzilla tauchen auf, die Vorbilder für Figuren reichen von Miyamoto Musashi über Toshiro Mifune bis hin zu rein fiktiven Figuren wie dem blinden Masseur Zatoichi (der hier als Zato-Ino, das blinde Schwertschwein, verewigt worden ist und in einigen der besten Usagi-Geschichten auftritt) und Itto Ogami aus dem Manga Lone Wolf & Cub. Auch die Geister- und Dämonenwelt Japans spielt hin und wieder eine Rolle, allerdings sind die Geschichten abgesehen von den tierischen Protagonisten nur marginal phantastisch angehaucht, oft bleibt die Frage, ob das Erlebte Wahrheit oder Traum ist, im Raum stehen.

Usagi Yojimbo ist trotz seiner vielen Kämpfe ein Comic, das man jungen und älteren Lesern ans Herz legen kann. Die Kämpfe sind nur sehr selten blutig und werden meist geschickt durch die Gegenüberstellung des Vorher und Nachher dargestellt, ohne die eigentliche Kampfbewegung zu zeigen. Dennoch sollte man beim Lesen kein grundsätzliches Problem mit Gewaltdarstellung haben, immerhin geht es um einen Krieger, der durch das feudale Japan zieht und seiner Profession gemäß handelt. Auch wenn Usagi immer seinem Samurai-Kodex verpflichtet und damit ein perfekter Vertreter des Systems ist, stellen die einzelnen Geschichten die kriegerische Tradition und die Bindung durch Ehre immer wieder in Frage. Den nachdenklicheren und tragischeren Geschichten liegt häufig ein ethisches Dilemma zugrunde, das sie auch für erwachsene Leser interessant macht, und als herrenloser Samurai kann sich Usagi meist frei entscheiden, wie er eine Situation löst, was gerade in Fällen, in denen es keine gute Lösung gibt, für Spannung sorgt.
Dazwischen finden sich genauso häufig unbeschwerte Geschichten, etwa Usagis Eskapaden mit dem schlitzohrigen Kopfgeldjäger Gen (einem Nashorn) oder reinrassige Abenteuer mit vielen Verwicklungen.

Nebenfiguren wie Gen oder Zato-Ino trifft man im Laufe der Geschichten immer wieder an, so dass sich auch ihre Entwicklungen verfolgen lassen und sich nach den 1200 Seiten der Special Edition auch schon eine Art Mosaik aus den Einzelabenteuern bildet, das die Veränderungen durch Usagis Taten nachvollziehbar macht, einige länger laufende Handlungsstränge abschließt und politische Entwicklungen verfolgt.
Usagi wandert im Lauf seiner Abenteuer durch eine lebendige Welt, in der sich politische Allianzen verschieben und Figuren weiterentwickeln. Herrschaftsverhältnisse und Gesellschaft im feudalen Japan sind korrekt und differenziert wiedergegeben, man bekommt nach und nach auch ein Bild davon, was die Konsequenzen einer Kultur mit so ausgeprägter Kriegskunst sind.
Die schwarzweißen Zeichnungen von Usagi Yojimbo wirken vielleicht auf den ersten Blick simpel, stellen sich allerdings als sehr detailreich und gut recherchiert heraus, besonders in der Darstellung von Sachkultur wie Nahrung, Kleidung oder Gebäuden. Auch stilistisch bedient sich Stan Sakai häufig interessanter Elemente, etwa der Einbindung von Geräuschen über mehrere Panels, einer grandiosen Nutzung des Wetters zum Schaffen von Atmosphäre oder Spielen mit Licht und Schatten.
Die Special Edition bietet außerdem eine Menge Extras wie eine Cover-Galerie, einige zusätzliche Episoden, die außerhalb der normalen Veröffentlichung stehen, ein Making-of und ein (leider nicht ganz aktuelles) Interview.

Der Hasen-Samurai füllt das universelle Thema des einsamen Kriegers, der nur selten seinen Frieden findet, perfekt aus, und wer nicht ohnehin schon vom Hintergrund und der vielfältigen Einbindung der japanischen Kultur fasziniert ist, sollte sich Usagi Yojimbo vielleicht ansehen, weil es nur sehr wenige Comics gibt, die häufig heiteren und vordergründig sogar einfachen Geschichten eine so nachdenkliche Note verleihen können, ohne mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln oder zu sehr ins Tragisch-Überzogene abzukippen. Mit Usagi wird man immer öfter lachen als weinen, aber auch immer verstehen, weshalb der langohrige Krieger dem Leser meistens ernst entgegenblickt.

Die Vergangenheit des Regens von Tobias O. MeissnerDas Mammut wurde stark dezimiert und steht eigentlich vor dem Aus, doch die Probleme auf dem Kontinent werden nicht kleiner. Deshalb macht sich die Gruppe um den ehemaligen Stadtschreiber Rodraeg Delbane nach Süden auf, um im Regenwald nach dem Rechten zu sehen. Dort fällt seit geraumer Zeit kein Regen mehr. Auf der Suche nach der Ursache stoßen Rodraeg und seine Gefährten auf andere Fraktionen, die ebenfalls an einer Aufklärung interessiert sind – u.a. die Einheimischen –, und auf eine Vielzahl an Gefahren. Mit einer großen Gruppe an teils fragwürdigen Verbündeten machen sie sich auf ins Innere des ausgetrockneten Waldes.

-Von Anfang an hatte Ogan »Schartbart« Broog kein gutes Gefühl bei der Sache gehabt. Aber es ist immer leichter, hinterher zu sagen: »Ich habe es doch geahnt«, als im Voraus, während die Dinge sich entfalten, im entscheidenden Augenblick eine andere Richtung einzuschlagen.-
Prolog

Das Mammut hat bereits Walfängern das Handwerk gelegt, Tierversuche verhindert und Haarhändler gestoppt – dass nun der Regenwald gerettet werden soll, ist eigentlich ein ganz logischer Schritt. Doch genauso, wie auch die bisherigen Ereignisse immer weiter von den Abenteuern einer Rollenspielgruppe auf dem Ökotrip weggeführt haben, bis nur noch das Gerüst dieser Ausgangssituation stehenblieb, während im Inneren eigentlich längst eine andere Geschichte erzählt wurde, spielt Logik gerade in diesem Band eine immer kleiner werdende Rolle.
Die Vergangenheit des Regens ist der (vorerst) letzte Band der ursprünglich doppelt so lang geplanten Reihe, und eine der spannenden Fragen im Vorfeld war, ob es auch ein Abschluss sein würde. Die kurze Antwort lautet: nein. Tobias O. Meißner hat die bisher im glazialen Tempo voranschreitende Hintergrundgeschichte nicht in einem großen Streich beendet und schon gar nicht dafür auf das Einzelabenteuer des sechsten Bandes verzichtet, wenngleich beides diesmal stärker verwoben ist als in den meisten anderen Bänden.

Mit Die Vergangenheit des Regens thematisiert Im Zeichen des Mammuts zunehmend die problematischen Aspekte einer auf dem ganzen Kontinent operierenden Gruppe von Aktivisten, vor allem der Umgang mit Einheimischen (die eine eigene Interpretation der Geschehnisse vertreten, aber häufig gar nicht über ein “wo geht’s lang” hinaus um ihre Meinung gebeten werden) und die Gewaltbereitschaft werden immer wieder hinterfragt. Meißner gelingt es damit, durchaus moderne Themen in seinen Roman einfließen zu lassen, auch wenn der Abenteueraspekt trotzdem im Vordergrund bleibt.
Das Dschungelabenteuer bietet auch alles, was man sich von einem solchen Setting erwartet – Riesenameisen, Spinnenmenschen, verborgene Ruinen –, und noch einiges mehr, denn Meißners Talent für atmosphärische Schauplätze und die Bedrohung durch ein verstörendes Übel, das ganz klassisch an der Welt nagt, aber alles andere als ein dunkler Herrscher ist, kann sich hier voll entfalten, genauso sein Händchen für gelungene Eigennamen.

Durch den hohen Verschleiß innerhalb der Mammuttruppe kommt immer wieder Bewegung in die Beziehungen der Mitglieder, allerdings gibt es nur wenig Kontinuität. In Die Vergangenheit des Regens trifft man jedoch viele alte Bekannte wieder, und die Figuren, die man schon lange begleitet, sind stark gereift und gealtert. Vor allem Rodraeg als moderner (Vor-)Denker sticht heraus, der mit all seinen Bedenken, seinem Abwägen und Zögern häufig die Handlungsfreiheit verliert. Er markiert einen Übergang, einen Aufbruch ins Denken, er wagt die Formulierung großer Theorien und Zusammenhänge und wendet sich ab von der reinen Hinnahme (von menschlicher und göttlicher Herrschaft) hin zu einer differenzierteren Sicht, auch wenn sich diese nicht unbedingt als praktikabel erweist. Diese tiefere Thematik von Glauben contra Vernunft ist von Ironie geprägt, wenn sich der ewige Zweifler Rodraeg schließlich sogar anhören muss, er würde einen guten Priester abgeben.
Mit diesen Erkenntnissen und einer neuen Sicht auf das Göttliche macht Die Vergangenheit des Regens einen großen Entwicklungssprung und liefert etwas Hintergrund für die Hauptgeschichte, womit sich sogar eine Meta-Ebene auftut, die AutorInnen (oder LeserInnen) anspricht, die jederzeit zu anderen, interessanteren Welten weiterwandern können.

Letztlich bleibt aber alles offen, was die Zukunft für Rodraegs Heimatwelt und jene andere, die man im Verlauf der sechs Bände kennenlernen durfte, bereithält. Die Vergangenheit des Regens ist in erster Linie einfach ein neuerliches Mammutabenteuer, und als solches geht es den Weg weiter, der weg vom rollenspielartigen Plot zunehmend ins Unkonventionelle führt und die Erwartungen umkehrt – nicht nur die der Figuren, die verzweifelt versuchen, den Sinn der Ereignisse zu ergründen, auch wenn sie dazu bizarre mentale Purzelbäume schlagen müssen. Da dieser Weg aber zumindest von Verlagsseite hier ein Ende hat, steht zu befürchten, dass es bei einem Versuch bleibt.

Das vergessene Zepter von Tobias O. MeißnerWieder einmal ist der Mammutgruppe nicht viel Erholung vergönnt: Der nächste Auftrag läßt nicht auf sich warten. Diesmal soll das Mammut den bedrängten Riesen zur Seite stehen, die sich in den Gebirgszug Wildbart zurückgezogen haben und trotzdem ihrer Haare wegen gejagt werden. Entsprechend mißtrauisch sind die Riesen gegenüber Rodraeg und seinen Gefährten, aber schließlich werden diese dennoch für einen Auftrag auserwählt: Sie sollen den Fliegenstab, das vergessene Zepter des Riesenköngis, aus einer Höhle bergen. Obwohl Rodraeg noch immer von seiner Krankheit geplagt ist, brechen die Gefährten auf, um sich den tödlichen Gefahren und Rätseln der Höhle zu stellen. Und sie sind nicht die einzigen, die an der legendären magischen Waffe ein Interesse haben…

-Der Mann, der seinen Namen vergessen hatte, saß auf dem Steinboden und ließ aus seinen Handflächen Insekten wachsen.-
Prolog

Inzwischen ist es ja zur entspannenden Gewohnheit geworden: Bekommt das Mammut – wie in jedem vorausgegangenen Band der Reihe – einen neuen Auftrag, stürzen sich die Helden nicht Hals über Kopf ins Abenteuer, sondern nähern sich ihm langsam an, mit ausführlichen Reise- und Vorbereitungs-Szenen. Und auch in Das vergessene Zepter läßt sich Meißner wieder alle Zeit, um die Befindlichkeiten seiner Protagonisten zu erkunden. Die Haupthandlung scheint erst richtig loszugehen, wenn man schon ein Drittel der Seiten hinter sich gebracht hat. Dramatisch ist diese Betulichkeit allerdings nicht, denn Rodraeg und seine Mannen sind nach wie vor ein wahres Lesevergnügen, und der Autor erweist sich auch in Szenen des Kleinen und Alltäglichen als ausgesprochen guter Geschichtenerzähler. Zu Beginn gibt es genug Hinweise auf Vergangenes, so daß man nach einer längeren Lesepause problemlos einsteigen kann.

Alles beim Alten also – zum Glück, möchte man sagen, denn bisher gab es nicht viel zu meckern an den unterhaltsamen Abenteuern des Mammuts. Aber genauso gut leider, denn auch bei der reihenüberspannenden Hintergrundhandlung bleibt alles wie gewohnt vage. Sucht man nach größeren Zusammenhängen, ist die Informationsausbeute auch nach dem dritten Band mehr als dürftig. Womöglich läßt der Autor es im Gesamtkonzept ebenso ruhig angehen wie in jedem einzelnen Band, und immerhin ist die Reihe auf mehr als eine Handvoll Titel ausgelegt, doch im Augenblick liest sie sich eher wie eine Ansammlung durchaus spannender Einzelabenteuer und nicht wie ein großes Ganzes. Das mindert das Vergnügen ein wenig, denn Meißner hat durchaus Köder ausgelegt, auch solche, die man beim augenblicklichen Stand der Dinge noch nicht so recht einordnen kann. Aber es bleibt bei Andeutungen und Winzigkeiten – und das nach einer Seitenzahl, bei der in anderen Fantasy-Zyklen langsam schon das Ende in Sicht ist.

Für das Abenteuer, das im Rahmen von Das vergessene Zepter bewältigt wird, tut all das aber keinen Abbruch. Anders als bei den ersten beiden Bänden der Reihe schwenkt Meißner im Kontext der verworrenen Rätsel und Prüfungen der Höhle, in der die Mammut-Recken das Zepter suchen, auf einen teils sehr interessanten Stil um – da werden Teile als seitenlanger Bandwurmsatz erzählt, andere als in der Gegenwart parallel erlebte Träume. Die Abschnitte mäandern zwischen originell und überkandidelt, werden aber auf Leser, die Brüchen im gewöhnlichen Erzählfluß weniger abgewinnen können, mit Sicherheit etwas lang wirken.

Bei einem der Hauptcharaktere wird niemals lange verweilt, fast wie ein allwissender Erzähler schwenkt der Autor in schneller Folge von einem zum nächsten. Dennoch entwickeln sich die Charaktere und das Mammut als Ganzes im Gegensatz zur Haupthandlung prächtig weiter – daß es ihnen am Ende prächtig geht, wird dem Leser allerdings nicht vergönnt: Das Warten auf den nächsten Band ist mit einem ordentlichen Cliffhanger gewürzt.
Im Epilog erwartet einen dann ein weiterer kleiner Bruch mit dem Standard eigenständiger Fantasy-Welten: Offenbar kennt man in der Welt Rodraeg Delbanes und des Mammuts auch Das Zeitalter der Wandlung, die Roman-Reihe von Meißners Kollegen Markolf Hoffmann, was aber hauptsächlich den Eindruck erhöht, trotz des zumindest aus Lesersicht gelungenen Einzelabenteuers im großen Bogen der Reihe auf der Stelle zu treten und weitere Mysterien aufzuhäufen, statt einige zu lösen.

Das vielfarbene Land von Julian MayDie Entdeckung eines nur in eine Richtung nutzbaren Portals in die Vergangenheit– genauer gesagt in die menschenleere Erde des Pliozän – sorgt zunächst für Aufregung in der Wissenschaftswelt, stellt sich aber schnell als völlig nutzlos heraus und wird beinahe vergessen. Doch dann entdecken es Menschen für sich, die mit dem in starren, hochzivilisierten Bahnen verlaufenden Leben im Galaktischen Milieu nicht mehr zufrieden sind. Sie treten eine Reise an, von der es keine Rückkehr gibt, und hoffen, im Pliozän das Leben zu finden, das sie sich erträumt haben. Doch es kommt anders.

-Das große Schiff quälte sich langsam in den Normalraum zurück, ein Beweis, daß es dem Tod tatsächlich nahe war.-
Prolog 1

Manche Bücher sind schwer zu empfehlen, weil ein großer Teil der Lesefreude dem Entdecken und der Spannung geschuldet ist und zu viele Informationen vorab das Vergnügen eher mindern als die Leselust wecken würden. Die Ausgangssituation in Julian Mays SF-Roman, der aufgrund seiner Struktur auch optimal für reine Fantasy-Leser geeignet ist, sollte aber genug sein, um das Interesse von LeserInnen zu wecken, die es auf die Seiten der Bibliotheka Phantastika verschlagen hat: Auf einer Einbahnstraße reisen Menschen aus einer im Grunde schönen Zukunftswelt zurück ins Pliozän, in eine Welt der Säbelzahnkatzen, Urstromtäler und hominiden Vorfahren des Menschen. Von den vorausgegangenen Reisenden hat man aufgrund der Natur des Zeitportals nie etwas gehört – niemand weiß, was die neuen Anwärter auf der anderen Seite erwartet. Sie gehen nach bestem Wissen und Gewissen ausgerüstet, um im Pliozän überleben zu können, haben Pläne und Agenden, und man begleitet sie auf eine Reise ins Ungewisse.

Aus diesem Stoff könnte man einen schlicht gestrickten Abenteuerroman machen, doch für Julian May ist die Wildnis des Pliozän lediglich die Kulisse, vor der ihre komplexen Figuren agieren. Sie sind es, die aus einem spannenden Roman, der durch faszinierende Ideen und einen temporeichen Plot besticht, eine herausragende Leseerfahrung machen. Wer aus der positiven, aber auf einen Normaltypus fixierten Zukunft fliehen und sich lieber mit Riesenwildschweinen als mit den Aliens des Galaktischen Milieus herumschlagen will, sind die Unangepassten, die Unglücklichen, die Übersättigten und die Unkooperativen. Jede der acht Hauptfiguren – eine recht hohe Anzahl, die die Autorin mit Bravour meistert – wird mit einer Momentaufnahme eingeführt, die auch Mosaiksteine liefert, aus denen man auf Mays Zukunftsvision schließen kann. Jede Figur hat Gründe und vor allem Hintergründe, die im weiteren Verlauf eine Rolle zu spielen haben, so dass zusätzlich zur Haupthandlung auch noch acht weitere interessante und erzählenswerte Geschichten eingeflochten sind. Vor allem die Frauenfiguren stechen hervor – Amerie, die altruistische Nonne in der Glaubenskrise, oder die psychopathische, aber nicht zwingend unsympathische Sportikone Felice, die als Pliozän-Kampfmaid eine zweite Karriere macht. Schon das Kennenlernen dieser in aller Kürze psychologisch ausgefeilt dargestellten Figuren ist spannend; sie später unter völlig veränderten Umständen agieren zu sehen, in einer Welt, die ihren Bedürfnissen oftmals mehr entspricht als ihre Herkunftswelt, ist ein Vergnügen.

Mit einem geschickten, stark in eine Einführungsphase in der Jetzt-Welt, eine in der Vergangenheit und die Reaktion darauf gegliederten Handlungsbogen hat Das vielfarbene Land (The Many-colored Land) durchweg Spannendes zu bieten. Im ersten Teil stehen noch Rätsel und Entdeckungen im Vordergrund, was auch auf der ganzen Länge dieses Auftaktbandes nie abreißt, später mündet die Erzählung in eine klassische Abenteuerstruktur, in der die zusammengeführten Handlungsstränge wieder (auch geographisch) getrennt werden, und im letzten Drittel erfährt man lediglich noch von den Fährnissen einer der beiden Gruppen.
Aufgrund der verschiedenen Figurenhintergründe bleibt der Blick auf die Pliozän-Welt stets vielschichtig und abwechslungsreich, je nachdem, ob man sie durch die Augen eines ermüdeten Paläontologen, eines verliebten Anthropologen, eines (nicht mehr) gelangweilten Taugenichts oder einer ehemaligen Gedankenheilerin betrachtet. Psi-Kräfte sind ohnehin ein zentrales Element der Handlung, bei dem sich May nicht nur sprachlich an den Vorreitern dieser Idee orientiert und eine interessante weitere Ebene der Interaktion eröffnet.
Nicht zuletzt tun auch die ungewöhnlichen, durchaus ambivalent gezeichneten Antagonisten das Ihre, um Das vielfarbene Land zu einer durchweg spannenden Lektüre zu machen.

Fantasy-Leser werden sich in dieser Geschichte nicht nur wegen der Ur-Welt des Pliozäns und der Questenstruktur wohlfühlen, in der Figurengruppen die Welt durchwandern, sondern vor allem wegen der Art, wie Julian May vom Prolog an wohlbekannte Fantasy-Elemente verarbeitet hat. Die Anspielungen auf die europäische, vor allem irisch-keltische Sagenwelt, auf Mythologie und Volksüberlieferung sind allgegenwärtig und so schlüssig in das Setting integriert, dass man garantiert einen neuen Blickwinkel auf die geläufigen Stoffe erhalten wird.
Es gibt Theorien, dass die Mythen der Menschheit ihren Ursprung in vorgeschichtlicher Zeit haben, auf überall ähnliche Erfahrungen zurückgehen und Reaktionen auf die Umwelt sind. Julian May hat unter dieser Prämisse einen Roman verfasst, der einen am liebsten vom Fleck weg daran glauben lassen würde und meilenweit entfernt von den üblichen Zeitreise-Abenteuern und Anderswelt-Entwürfen ist, auch wenn die Requisiten, die sie benutzt, aus diesem Repertoire stammen.

Phantastische Reisen: Vom Land der Amazonen zu den Indigo-Inseln von Francois PlaceDie Insel Orbæ ist längst untergegangen, alles, was geblieben ist, ist der Atlas ihrer weltberühmten Kartographen. Er führt ins schneebedeckte Frostland, wo die Waljagd von Walrossreitern unterstützt wird, in die von Riesenkakteen bestandene Donnerwüste, deren felsiges Inneres ein dunkles Geheimnis birgt, auf die menschenleere Insel der Giganten, zu den Gewürzhändlern aus dem Golf Candaa und in viele andere unentdeckte Länder.

-Euphonos überquerte den Fluss am Fuße der Pappeln. Der Zufall wollte es, dass er nach einer langen, ziellosen Reise schließlich in dieser staubtrockenen Landschaft landete. Langsam wankte er voran, sein Reiseumhang drückte ihn wie eine schwere Last nieder.-
Im Land der Amazonen

Schade, daß der Originaltitel der Reihe, Atlas der Geographen von Orbæ, nicht auch in der deutschen Version zum Zuge gekommen ist, denn treffender könnte es kaum sein: Phantastische Reisen ist ein dreibändiger, alphabetisch geordneter Atlas imaginärer Landstriche. Im ersten Teil werden neun Länder vorgestellt, beginnend mit kleinen Karten, die in ihrer Symbolhaftigkeit am ehesten mittelalterlichen Weltkarten nachempfunden sind, dekoriert mit kleinen Menschen, Tieren, Landschaftsformationen und, wenn man genau hinsieht, bereits geschichtenerzählend.
Auf die Karten folgt jeweils eine mit großformatigen Aquarellen und kleinen Vignetten illustrierte Geschichte aus dem vorgestellten Weltteil, und jeder Abschnitt wird von einer Doppelseite in der Manier eines Forschungsberichts abgeschlossen, auf der Tiere, Bräuche, Kleider oder Naturphänomene der Region dargestellt werden (wie das z.B. bei den Amazonen aussieht, kann man hier betrachten).

François Place, der mehrfach ausgezeichnete französische Kinderbuchautor und Illustrator, hat sich für seine Phantastischen Reisen zweifellos vom Zeitalter der Entdeckungsfahrten inspirieren lassen, ist dem Lockruf der Ferne gefolgt und hat mit Stift und Pinsel weiße Flecken auf der Karte erschlossen, die es niemals gegeben hat.
Die Geschichten, die den Hauptteil des Buches ausmachen, changieren zwischen poetischen Märchen, wie man sie vielleicht bei einem Erzähler auf einem orientalischen Basar hören könnte, und Entdeckertagebüchern, zwischen traumartigen Volkssagen und bunten Lebenserinnerungen. Die Qualität ist unterschiedlich: Die bezaubernde Poesie der Eröffnungsgeschichte, in der vom Kampf der wilden Amazonen gegen einfallende Hexenmeister die Rede ist, wird im Nachfolgenden nicht mehr erreicht, dafür gibt es eine charmante Räuberpistole mit einer entführten, widerspenstigen Prinzessin, oder Mythen wie die aus dem Frostland, dessen Inuit-ähnliche Bewohner jedes Jahr in eine Art Winterschlaf fallen.
Bezüge zu irdischen Völkern und manchmal sogar konkreten Ländern sind immer wieder vorhanden, so trifft man auf ein Bergvolk, das von den Inka inspiriert ist, oder einen abenteuerlustigen Schotten, der in ferne Gefilde aufbricht, doch die Beschreibungen haben stets interessante Kniffe und einen eindeutig phantastischen Einschlag. Dabei geht Place auch sehr sensibel mit Exotismen und kolonialer Haltung um: Eindeutig weiße Völker sind hier in der Unterzahl, treten als Exoten auf und sind oftmals auch unterlegen: so vertreiben etwa die “Inka” die Invasoren mit ihren schamanistischen Zaubern zurück übers Meer.

Geschichten, Bilder und die Doppelseiten im Dokumentationsstil ergänzen sich und klären manche Einzelheit erst in ihrem Zusammenwirken auf. Place weiß allerdings auch genau, mit welchen Sehnsüchten er spielt, und läßt der Imagination genug Räume offen, indem er bewußt immer nur einen kleinen Ausschnitt der neu erschlossenen Länder und Völker zeigt und den Leser in Wort und Bild vehement einlädt, die eigene Phantasie auf weitere Forschungsreisen zu schicken.
Seine Aquarellzeichnungen, auf denen man viele Details entdecken kann, eröffnen einen Blick auf die neuen Landstriche, indem jede Region eine eigene Farbkomposition bekommt, jede Geschichte einen eigenen Bildcharakter.
Während diese sich oft erst auf den zweiten Blick erschließende Bilderpracht wohl eher erwachsene LeserInnen anspricht, sind die Geschichten einfach gestrickt und durchaus kindgerecht – es gibt keine großen Überraschungen, keine allzu komplexen Entwicklungen. Das Gesamtwerk besticht auch weniger durch die einzelnen Geschichten als durch seinen gigantischen Ideenreichtum und das Zusammenwirken zu einem riesigen Bilderteppich, aus dem sich eine Welt zusammensetzt, die vielfältiger, magischer, bunter ist als unsere. Jede Seite sprüht vor Kreativität, und nach Erfindungen wie dem Dreihäutemantel dürfte sich mancher Fantasy-Autor die Finger ablecken.

Konsequenterweise endet Vom Land der Amazonen zu den Indigo-Inseln mit einer Geschichte, in der das Fernweh selbst thematisiert wird, die Sehnsucht nach dem “Blau der Ferne”, repräsentiert durch eine unerreichbare Insel, der man niemals näherkommen kann und die doch das Ziel vieler unterschiedlicher Lebensreisen ist.
Allen, die gerne vom Lesesessel aus auf Entdeckungsfahrt gehen oder Sachbücher über imaginäre Welten lesen, kann man den Band nur ans Herz legen – der Atlas der Geographen von Orbæ ist das ulitmative Werk für Romantiker, die sich nach weißen Flecken auf der Karte sehnen.

Vom wundersamen Einhorn von Alison LurieIn Wort und Bild werden die bekanntesten (und einige weniger bekannte) Fabeltiere beschrieben. Charakteristika und Entstehungsgeschichten, Berichte von Sichtungen und Verhaltensregeln geben einen ersten, groben Überblick.

-Es gab eine Zeit, da glaubten die Menschen, daß in verwilderten und weit abgelegenen Gegenden der Erde sonderbare wilde Tiere, auch Vögel hausen. Wanderer und Reisende brachten Geschichten von geflügelten Pferden mit nach Haus, von Gänsen, die auf Bäumen wachsen, von Salamandern, die im Feuer leben, und von vielen anderen wunderlichen Tieren mehr.-

Nicht jedes lohnenswerte Artbook kommt mit opulenter, auffälliger Ausstattung daher – Vom wundersamen Einhorn (Fabulous Beasts) ist zum Beispiel (und auch nicht ganz zu unrecht) als Kinderbuch verkleidet. Die auf Kinderliteratur spezialisierte Literaturwissenschaftlerin Alison Lurie hat darin 14 Fabeltiere vorgestellt, darunter die bekanntesten wie Drache, Phönix, Greif. Das Buch ist durchaus kindgerecht, relativ dünn und in gewisser Weise unspektakulär – man wird nichts erfahren, das man nicht schon weiß, und wenn man schon irgendein anderes Buch über Fabeltiere besitzt, ist die Chance sehr groß, dass dieses umfassender und tiefgreifender informiert.
Das alles vorweg, um keine falschen Erwartungen aufkommen zu lassen. Aber es gibt durchaus Gründe, dieses Büchlein trotzdem LeserInnen zu empfehlen, denen an einer kleinen, feinen Aufbereitung des Themas und vor allem einem harmonischen Zusammenwirken von Bild und Text gelegen ist.

Die 14 Farbtafeln und zugehörigen Texte sind mittelalterlichen Bestiarien nachempfunden: Auf ca. einer Seite werden die Fabelwesen sorgfältig beschrieben, manchmal sind Warn- und Schutzhinweise angebracht, manchmal erfährt man von den Geschichten, in denen das jeweilige Tier seinen großen Auftritt hatte. Sprachlich wird die Autorin ihrem Sujet eher mit Einfachheit als mit großer Wucht gerecht, trotzdem wirken die Texte neben den leuchtenden Bildern nicht blass, denn ihre Details funkeln an den richtigen Stellen – bei kleinen Drachen, die zischen wie Teekessel, beim Catoblepas (vielleicht trifft man auf diesen 40 Seiten doch noch auf das ein oder andere unbekannte Wesen 😉 ), das sich von betenden Eremiten in seiner Wüsteneinsamkeit empfindlich gestört fühlt.
Der schlichte Stil ist alles andere als nüchtern und lässt sehr lebendige Beschreibungen zu; die “Experten” und Quellen, die herangezogen werden, sind keine Naturwissenschaftler und Forscher, sondern Dichter und Künstler.

Die Bilder ergänzen die Beschreibungen perfekt: Sie setzen nicht auf Realismus, sondern sind betont einfach gehalten, zeigen aber viele Details, feine Strukturen von Federn und Fell, neben den Tieren auch immer einen fein ausgearbeiteten landschaftlichen Hintergrund, der zu einer Erkundung der grünen persischen Hügel oder der verschneiten schwedischen Wälder einlädt. Einige Beispielseiten kann man hier in der Originalversion begutachten. Die satten, harmonischen Farben verleihen den z.T. an der Heraldik orientierten Darstellungen der Fabeltiere eine Lebendigkeit, die nicht hinter den einprägsamen Texten zurückstehen muss.
An Vom wundersamen Einhorn ist nichts Spektakuläres, aber sollte man zufällig im Antiquariat darüberstolpern (alternativ auch in der Hardcoverausgabe Vom Salamander der im Feuer lebt und anderen Fabeltieren), lohnt sich ein Blick – für Kinder ist es immer noch eine schöne Begegnung mit Fabeltieren, für Erwachsene vielleicht ein Kleinod, vor allem, wenn man am Stil der Bilder Gefallen findet.

Voyage of the Shadowmoon von Sean McMullenAuf dem Kontinent Torea ist ein machthungriger Kaiser auf dem Weg, alle anderen Reiche zu erobern – und er schreckt dazu auch vor dem Gebrauch einer zerstörerischen Waffe nicht zurück.
Zur selben Zeit tingelt das kleine Schiff Shadowmoon durch die Häfen der Küste. Niemand weiß, daß die Mannschaft aus Spionen besteht, die Informationen sammeln – unter anderem über die Waffe des Kaisers Wasrovan. Doch wer wem vertrauen kann und wer für wen arbeitet, ist niemals ganz klar. Die Katastrophe droht bereits über Torea hereinzubrechen, und die Spione und zufällig auf der Shadowmoon gestrandeten Passagiere müssen zusammenarbeiten, um dem verrückten Wasrovan seine Waffe abzunehmen…

-Miral dominated the sky as the deepwater trader docked, an immense green, banded disk at the center of threee scintillating green rings.-
Prologue

Sean McMullen schafft in diesem Roman den Spagat zwischen einer epischen, mitreißenden Handlung und nahezu unglaublicher Komik, die entweder aus absurden Situationen oder aus dem trockenen Humor der Figuren erwächst. Der rote Faden wird allerdings nie dem Witz untergeordnet, auch wenn der Autor sämtliche Gelegenheiten für skurrilen Szenen auskostet.
Schon die Charaktere allein bieten Anlaß für einige Lacher: Da wäre in erster Linie Laron, der einzige Vampir der Welt Verral, der seit Jahrhunderten im Körper eines pickeligen 14jährigen steckt, und der auf seinen Beutezügen immer das Wohl der Menschheit im Auge hat; außerdem der Krieger und Magier Roval, der seine Probleme mit dem anderen Geschlecht am liebsten in Alkohol ertränkt, die erstaunlich resourcenreiche Priesterin Terikel und etliche andere. Der Leser wird in schneller Folge von einem Charakter zum nächsten gejagt und wird dabei Zeuge unglaublicher Abenteuer in schönster Mantel- und Degen-Manier, die nicht selten auf einem äußerst wagemutigen Plan fußen. Der Spaß und die amourösen Episoden kommen dabei keinesfalls zu kurz, dennoch nimmt sich die Handlung im Grunde genommen ernst – auch wenn sie meistens locker und leichtfüßig von einem Punkt zum nächsten hastet, von einem lakonischen Erzählstil geerdet, der Voyage of the Shadowmoon zu einem einzigartigen Vergnügen macht.

Auf den zweiten Blick erscheinen die Zusammenhänge kompliziert und mitunter verwirrend, denn es ist teilweise recht schwer, sich zu merken, wer mit wem gemeinsame Sache macht und was die jeweiligen Charaktere über die anderen wissen. McMullen behält sich auch vor, den Leser mehrmals kräftig zu überraschen, indem er die eigentlichen Ziele einer im Grunde wohlbekannten Figur erst recht spät in der Handlung eröffnet.

Erwähnenswert ist auch die Welt Verral – der Mond eines größeren Planeten – die Magie in rauhen Mengen aufweist und sich noch in jeder Menge anderer exotischer Einzelheiten  von unserer Welt (die übrigens am Rande eine Rolle spielt) unterscheidet. Zahlreiche Orden, Vereinigungen und Reiche bieten Raum für die Spionage-Arbeit der Agenten, denen James Bond wohl nicht das Wasser reichen könnte. Als wäre das alles nicht schon sensationell genug, macht McMullen zu Beginn des Buches etwas, das in Fantasy-Romanen normalerweise immer in letzter Sekunde verhindert wird, und benutzt es als Ausgangspunkt für die Handlung (und beeindruckenden Schauplatz).
Wenn man sich in dieses grandiose Abenteuer auf See, an intrigenreichen Höfen und anderen exotischen Schauplätzen stürzt, wird man feststellen, daß sich wunderbarer Nonsens-Humor und Spannung und bedeutsame Ereignisse nicht gegenseiutig ausschließen; und auch die Charaktere setzen sich im Gedächtnis fest, obwohl sie vordergründig hauptsächlich durch ihre Schrullen zum Leben erweckt werden.

Waechter der Nacht von Sergej LukianenkoNeben den Menschen gibt es die Anderen – Magier, Vampire, Hexen, Werwölfe – und diese fechten einen ewigen Kampf um die Menschen, auf der guten und der bösen Seite.
Im modernen Moskau hat dieser Kampf mittlerweile etwas Bürokratisches, und Anton, ein kürzlich von der IT zum Außendienst abkommandierter Anderer, geht auf Streife. Er trifft auf eine Frau, die mit einem Fluch belegt worden ist, der ganz Moskau ins Verderben reißen könnte. Als ob das nicht genug wäre, rettet er noch einen Jungen, der ein hohes Potential als Anderer besitzt. Ein Potential, nach dem beide Seiten gieren, sowohl die Wächter der Nacht, Antons Organisation des Guten, als auch die verfeindeten Wächter des Tages …

-Langsam und ächzend kroch die Rolltreppe nach oben. Kein Wunder, so alt wie die Station war. Dafür fegte der Wind durch die ganze Betonröhre, zerzauste ihm das Haar, zerrte an der Kapuze, schlängelte sich unter den Schal und drückte Jegor nach unten.-
Prolog

Fantasy und SF sind in Rußland hochbeliebte Genres – nebst diversen Übersetzungen wird auch einiges an eigener Literatur produziert, und mittlerweile verirrt sich ein Teil davon auf den deutschen Markt. Maßgeblicher Grund dafür ist der Erfolg von Sergej Lukianenkos Wächter der Nacht (Nočnoj dozor), das zum Start des gleichnamigen Films  in Deutschland debütierte.
Lukianenko erzählt in diesem Roman drei locker zusammenhängende Geschichten aus der Perspektive des Nachtwächters Anton Gorodezki, der eher zur heruntergekommeneren Sorte der Streiter für das Licht gehört und auch ein entsprechend flapsiger, aber durchaus interessanter Erzähler ist. Der Kampf zwischen Gut und Böse im modernen Moskau besticht durch allerlei interessante Ideen, die sich wie ein nach Rußland verpflanztes Inventar der üblichen Urban-Fantasy-Welt lesen: Vampire, die das Blutspendewesen vorantreiben, um auf der legalen Seite bleiben zu können; der insgesamt sehr bürokratische Ablauf des ewigen Hin und Hers zwischen Licht und Dunkel, der vor allem auf einem zugunsten der normalen Menschen geschlossenem Pakt beruht. Hier ist Ausgleich angesagt – wenn die eine Seite eine Seele rettet, darf sich die andere eine holen. Die ethischen Bedenken, die ein solcher Pakt in einer dermaßen schwarz-weißen Welt mit sich bringt, sind dann auch Thema der Handlung; allerdings wird die Problematik eher als Motor für die Spannung benutzt, als daß man sich in der Tiefe damit auseinandersetzen würde.

Die strukturierte Welt aus Gut und Böse mit ihren festen Regeln bietet einen wunderbaren Hintergrund für Intrigenspiel, und genau darauf basiert auch die Handlung der drei Geschichten. Die Schachzüge der Beteiligten sind recht elegant und kaum von Anfang an zu durchschauen – manchmal sind diese kryptischen Hintergrundgeschichten auch ein Manko, wenn man erst auf der letzten Seite einer Erzählung erfährt, was wirklich geschehen ist.
Wer sich von Wächter der Nacht – auch aufgrund des vollmundigen Herr-der-Ringe-Vergleichs von der Verlagsseite – eine große epische Handlung erwartet, die den Kampf zwischen Gut und Böse thematisiert, wird allerdings enttäuscht sein. Die drei Geschichten erzählen jeweils von einer Krisensituation, die gelöst werden muß, aber das Chaos bricht niemals aus und der Pakt zwischen Licht und Dunkel wird gehalten. Zusammengehalten wird das Ganze von der jeweils im Mittelpunkt stehenden Hauptfigur Anton und einer Liebesgeschichte. Letztere findet allerdings innerhalb des Romans nicht statt, und wirkt als Triebfeder der Handlung daher nicht immer glaubwürdig.
Mit der ersten der drei Geschichten liest man gleich die Beste, was auch daran liegen könnte, daß man anschließend weiß, wie der Hase läuft, und nicht mehr dermaßen überrascht sein wird. Das Ende des Bandes bietet dann aber statt des üblichen Musters durchaus eine interessante Wendung.

Sehr charmant bindet der Autor auch andere Werke der Phantastik mit ein, und steht damit augenzwinkernd zu seinen vielfältigen Inspirationsquellen von Alice im Wunderland bis Star Wars.
Vor allem aber die Erzählerfigur sorgt dafür, daß man gerne am Ball bleibt – zusammen mit Anton wachsen einem langsam Zweifel, ob “gut” und “böse” nicht einfach nur nichtssagenden Bezeichnungen in einem schmutzigen Kampf sind. Dieser ganz eigene, russische Charme hebt die Wächter der Nacht vom Standard der Urban Fantasy ab und macht sie auch aufgrund ihrer Episodenstruktur zu einer interessanten Ergänzung in der düsteren Phantastik.

Wastelands von John Joseph AdamsKurzgeschichtensammlung über die Welt nach dem großen Knall oder dem schleichenden Niedergang, über kämpferische oder verzweifelnde Überlebende, über eine Gesellschaft am Ende oder einem neuen Anfang.

-I want to tell you about the end of war, the degeneration of mankind, and the death of the Messiah – an epic story, deserving thousands of pages and a whole shelf of volumes, but you (if there are any of “you” later on to read this) will have to settle for the freeze-dried version.-
The End of the Whole Mess

22 mal geht in Wastelands die Welt unter, das Ende ist gekommen und vorüber, die letzten Menschen kämpfen mehr schlecht als recht um die letzten Reste der Zivilisation. Deprimierend? Ja – bei einem Großteil der Geschichten überwiegt die pessimistische Sicht der Dinge: So wie in den meisten Beiträgen der Anthologie menschliche Hybris vor dem Fall stand, sorgen menschliche Schwächen, Vorurteile und fehlgeleitete Ambitionen dafür, daß die Menschheit ihre Fehler wiederholt.
M. Rickert treibt in ihrem Beitrag Bread and Bombs die (in einer zusammengerückten Gesellschaft noch gesteigerte) Furcht vor dem Fremden auf die Spitze, berichtet aus Kindersicht (und mit Blick auf die Grausamkeit von Kindern) von eskalierendem Rassismus mit einem ungewöhnlichen Ende, das viel moralischen Zündstoff bietet, und auch Carol Emshwiller hat sich in Killers einer Weiterführung des Terrorismus-Themas nach einer deutlichen Verschlechterung der Lebensumstände angenommen.
Postapokalyptische Geschichten sind dennoch fast immer Geschichten der Überlebenden, des Neuanfangs, des Aufbäumens der Menschheit nach der Katastrophe, wenn auch häufig von Melancholie druchdrungen – denn was wäre ein Blick auf die Welt nach dem großen Knall, wenn er sich nicht auch mit Grusel auf die verfallenen Ruinen unserer Lebensweise richten würde? Wastelands hat daher auch positive Varianten zu bieten, darunter Tobias S. Buckells Waiting for the Zephyr, das durch seine Aufbruchsstimmung in einer Gesellschaft besticht, die sich verändert, aber gefangen hat, oder etliche Geschichten in einer normalisierten Endzeit-Welt im Mad Max-Stil, in der ein gewisser Alltag eingekehrt ist (das etwas schwächere und von religiösem Hauch durchwehte Salvage von Orson Scott Card, oder das an ein Endzeit-Roadmovie gemahnende And the Deep Blue Sea von Elizabeth Bear).

Kurzgeschichten eignen sich für dieses Subgenre ausgesprochen gut – sie vermögen ein Schlaglicht auf einzelne Fragen und Themen zu werfen (und die Extremsituation des Weltuntergangs ist eine hervorragende Bühne für existentielle Fragen, vor allem danach, was von der Menschlichkeit bleibt, wenn die Zivilisation zerfallen ist), sie erlauben einen Detailblick (bis auf die Spitze getrieben in Richard Kadreys Still Life With Apocalypse, das nur durch eine einzige, handlungslose Ansicht ein Gefühl für den Status einer gefallenen Welt vermittelt), ohne das große Ganze beleuchten zu müssen, was gleichzeitig die Erfahrung von Unsicherheit, Zurückgeworfensein auf den Einzelnen und von Unwissen nach dem Zusammenbruch der Systeme abbildet.

Keine der Geschichten in Wastelands stammt aus der Entstehungszeit des Genres nach dem Zweiten Weltkrieg und im sich aufschaukelnden Kalten Krieg mit seinen Ängsten vor dem atomaren Holocaust, die meisten haben nicht einmal ein nukleares Endzeitszenario zum Thema und sind vielfach in der Zeit nach 2000 entstanden: Durch Krankheiten, Ökokatastrophen, langsame Spiralen der Degeneration und beinahe so viele Szenarien, wie es Geschichten gibt, geht die Zivilisation unter, manchmal auch aus diffusen Gründen, die für die Handlung keine weitere Rolle spielen.
Sehr moderne Szenarien – neben den Terrorismus-Gedankenspielen hauptsächlich Cory Doctorows When Sysadmins Ruled the World, eine (nicht nur humorvolle) Beschreibung der Apokalypse, in der Computersystemexperten überleben, eingeschlossen vor ihren Monitoren in ihren Bunkern, um die Welt anschließend nach ihrem Lebensmodell zu organisieren (der Spaß steigt hierbei proportional zum IT-Wissen des Lesers 😉 ) –, stehen neben Geschichten, die mit der religiösen Aufladung des Endzeitgenres spielen (denn der Prototyp der Apokalypse ist immer noch die Offenbarung des Johannes): Judgement Passed von Jerry Oltion handelt von den Menschen, die bei Gottes letztem Gericht vergessen wurden und mit dieser Tatsache leben (im wahrsten Wortsinn) müssen.

Wastelands ist eine außergewöhnlich gute Anthologie, von den 22 Geschichten sind fast alle überdurchschnittlich, und die AutorInnenauswahl kann sich sehen lassen: Stephen King macht in der Eröffnungsgeschichte The End of the Whole Mess das, was er am besten kann: Den Zauber einer zurückliegenden Jugend beschwören und in Kontrast zu einem bedrückenden Heute zu setzen, in dem man das Ende schon mit großen Schritten und Anklängen an Flowers for Algernon herannahen hört, auch wenn es einer der unwahrscheinlichsten Weltuntergänge der Anthologie ist. George R.R. Martin projiziert in Dark, Dark were the Tunnels auch 1973 schon mit gewohnt ausgeklügelten und spannenden POV-Tricksereien in eine ferne Zukunft mit einer unbewohnbaren Erdoberfläche, um zu erforschen, was aus den Menschen geworden ist.
Ähnlichem geht der inzwischen vielfach mit Lorbeer gekrönte Paolo Bacigalupi in The People of Sand und Slag nach, einer der intensivsten Geschichten der Anthologie, in der die Menschheit sich psychisch und physisch soweit angepaßt hat, daß kaum mehr Bezug zum Leben vorhanden ist und sie von außen an Menschlichkeit erinnert werden muß – ein Exkurs, in dem das Überleben zwar eindeutig gesichert ist, aber zu einem verstörend hohen Preis.
Octavia E. Butlers Klassiker Speech Sounds geht in seiner Betrachtung des Zusammenwirkens von Sprache, Identität und Integrität einem ganz anders gearteten Verfall der Gesellschaft nach, Gene Wolfe ist in Mute gewohnt rätselhaft und liefert kaum Anhaltspunkte für die Deutung seiner Geschichte, die zwar anfangs einen beinahe hypnotischen Zwang ausübt, aber irgendwann in ihrer überladenen Symbolhaftigkeit stecken bleibt.

Aber auch von AutorInnen, deren Namen nicht als Aushängeschild auf dem Cover prangen, stammen spannende Entwürfe und Highlights: James van Pelt stellt in The Last of the O-Forms mit exzellenter Charakterisierung und großem Ideenreichtum einen Profiteur der Apokalypse vor, Nancy Kress liefert mit Inertia gewissermaßen einen weiteren Entwurf zu dem Thema, das King bereits bearbeitet hat, geht dabei aber eher auf die menschliche Reaktion auf Krankheit und die Stellschrauben der Identität ein.
A Song Before Sunset von David Grigg geht voller Melancholie der Frage nach, was mit Talent passiert in einer Welt, die für Kultur keine Verwendung mehr hat, und John Langams Episode Seven: Last Stand Against the Pack in the Kingdom of the Purple Flowers, ist ähnlich gewunden erzählt, wie der Titel andeutet, mit seitenlangen, fließenden Sätzen, die in kurzen Ausbrüchen von Action kulminieren und in einem verstörenden Szenario den Kampf von Überlebenden gegen ein Rudel wilder Hunde beschreiben. Der Faszination und dem Grusel dieser Geschichte kann man sich schwer entziehen, und sie bildet einen würdigen Abschluß der facettenreichen Anthologie.

Meine Empfehlung wäre allerdings trotz der Qualitäten der einzelnen Beiträge, nicht die ganze Anthologie an einem Stück zu lesen – das könnte aufs Gemüt schlagen, denn neben den selten eingestreuten locker-leichten Geschichten bieten die meisten schweren Stoff, den man auch wegen seiner nachdenklich stimmenden Blicke auf das Menschsein erst einmal verdauen muß. Wer trotzdem nicht genug von der Apokalypse bekommen kann, findet im Anhang von Wastelands eine Leseliste mit den wichtigsten Werken – Romanen und Kurzgeschichten – des Subgenres.

The Waterborn von Greg KeyesPerkar, der eigentlich den Haushalt seines Vaters verlassen und eine eigene Familie gründen sollte, lässt sich zu einer kaum zu bewältigenden Mission hinreißen: Er will den Gott des Großen Flusses besiegen. Als er zusammen mit anderen Kriegern seines Stammes auszieht, um mit dem Waldgott um weiteres Weideland zu verhandeln, sieht er seine Gelegenheit gekommen.
Weit unten, schon beinahe im Flussdelta, verfügt der Herrscher der riesigen Stadt Nhol über die Macht des Flusses. Als Hezhi, eine seiner Töchter, langsam erwachsen wird, beginnt sie zu ahnen, dass dafür ein Preis zu zahlen ist. Stur stellt sie eigene Nachforschungen an.

-Hezhi confronted the black depth, felt a wind blow up from it and envelop her like the breath of a vast beast.-
I. The Princess and Perfect Darkness

In seinem Debutroman The Waterborn hat Greg Keyes sich seiner Lieblingsthemen angenommen: Das Wissen eines Ethnologen steckt darin, die Liebe zur Sword & Sorcery, die Vorstellung eines nicht kolonialisierten Amerikas, das er in keinem anderen Setting so weit entwickelt hat wie hier.
Das Amerika unserer Welt ist es allerdings nicht: Die Anklänge sind deutlich, die Verfremdung aber auch, denn es ist eine Welt, in der die Menschen nur eine Art unter vielen sind. Unheimliche, naturnahe Waldbewohner, Riesen und eine Heerschar von Göttern bewohnen die Urwälder, Ebenen und Bergregionen, in denen die spirituelle Welt mit ihren Ahnen und den oft ambivalenten göttlichen Manifestationen immer präsent ist. Es wimmelt vor kleinen und großen Göttern, mit denen die Menschen zwar im Umgang vertraut sind, die ihnen aber nicht nur aufgrund ihrer Launenhaftigkeit und Undurchschaubarkeit sehr fremd bleiben. Die zahllosen Ausprägungen dieser spirituellen Welt ergeben bei Keyes ein ausgesprochen stimmiges Gesamtbild, während ihre Ausgestaltung im Einzelnen über den ganzen Roman hinweg spannend bleibt.

Gut und Böse sind in dieser Konstellation nicht klar erkennbar, weder in den eigentlich gar nicht so sehr lenkenden, als vielmehr nach Gutdünken eingreifenden oder tatenlos zusehenden Mächten, noch in den Helden selbst: Keyes erzählt die erstaunlich menschliche Geschichte von Hezhi und Perkar, die sich von außen betrachtet zu wahren Übermenschen entwickeln, aber einander trotzdem antithetisch gegenüberstehen. Hezhi ist dazu geboren, ohne es zu wissen oder zu wollen, und sie hat keinerlei Methoden für den Umgang mit ihren Fähigkeiten erlernt. Perkar wünscht sich nichts sehnlicher, als zur Erfüllung seiner (zunächst romantisch verklärten) Mission, gegen den mächtigen Flussgott ins Feld zu ziehen, übermenschliche Kräfte zu haben, aber als er sie erwerben kann, muss er auch ihren Preis erkennen.
Dadurch wird The Waterborn einerseits zu einer Geschichte um Identitäten, um das Coming of Age der beiden jungen Helden, doch es ist genauso sehr ein Sword-and-Sorcery-Abenteuer mit einer nachdenklichen Note, in dem der Heldenstatus und die Mystifizierung der Ereignisse, ihre Übertragung ins Reich der Geschichten, ständig hinterfragt werden, ohne die positiven Seiten zu negieren.

Keyes erweist sich dabei als sehr geschickter Erzähler: Durch die gegensätzliche Anlage seiner beiden Protagonisten wechselt der Erzählduktus zwischen der ruhigen, beinahe kriminalistischen Spurensuche von Hezhi im Palast der Großstadt Nhol und der actionreichen Questen-Wanderung von Perkar. Wissen erlangen und Entdecken stehen dem Agieren, Bewegen und schmerzlichem Nicht-Wissen gegenüber. Dabei gehen aber niemals die (häufig wichtigen) Beobachtungen auf der Detailebene unter, es gibt viele kleine, subtile Momente beider Figuren und auch etliche gelungene Überraschungen. Bis zum Ende bleibt offen, wie die beiden trotz örtlicher Trennung geschickt verbundenen Hauptfiguren zueinander stehen – The Waterborn ist eines der Bücher, die eine treibende Spannung besitzen und nicht zulassen, dass man den Ausgang bereits weit im Voraus ahnt.
Bereits der Einstieg ist ungewöhnlich und gewagt, denn er gibt einen szenischen Abriss über wichtige Ereignisse beim Aufwachsen der Helden und enthält mehrere Zeitsprünge, ehe er in die Haupthandlung einsteigt.

Vor allem aber nicht nur an Perkar zeigt Keyes, dass er seinen Helden auch krasses Fehlverhalten zugesteht, und beschreibt Möglichkeiten, mit den unguten Konsequenzen aus Handlungen umzugehen, auch wenn sie nicht wiedergutzumachen sind. Die hochmagische Welt mit ihren beseelten Schwertern, magischen Wassern und mächtigen Weissagungen hält zwar viele Wunder bereit, aber sie verzeiht auch nicht viel – es geht bisweilen also recht heftig zur Sache.
In den Figuren meistert Keyes sowohl einen differenzierten Umgang mit zwischenmenschlichen Beziehungen, vor allem die Darstellung von Perkars und Hezhis Verehrern und Verehrten spielt mit Klischees und steckt voller Wärme und Leidenschaft (nein, nicht in der sülzig-schwülstigen Bedeutung), genauso aber auch die Betrachtung von Freundschaften und Konkurrenzverhalten, die bei den juvenilen Helden oft dicht beieinander liegen. Neben den präzisen psychologischen Beobachtungen stehen philosophische, die auch nicht davor zurückschrecken, den Tod als einen (legitimen) Ausweg aus einem Dilemma heranzuziehen.

Die gut ausgearbeitete Kulisse dazu  bietet Keyes’ anthropologischer Hintergrund: Sein alternatives Amerika ist eine bunte Mischung aus Kulturen; an Sprachfetzen kann man ablesen, dass auch linguistisch etwas am Weltenbau dran ist, und die Bandbreite ist groß, von augenzwinkernd als Barbaren titulierten Viehwirten über Steppenhalbnomaden bis hin zu Großimperien. Ob Nhol nun deutlicher von mesopotamischen Städten oder von Cahokia am Mississippi beeinflusst ist, das Setting wirkt bis ins Detail gut recherchiert und kann mit einer Originalität aufwarten, die man in der High Fantasy nicht alle Tage findet.

Der gesamte Spannungsbogen von Chosen of the Changeling ist zwar mit The Waterborn nicht geschlossen, aber es kann durchaus für sich stehen, was vor allem im Hinblick auf die deutsche Ausgabe (Aus Wasser geboren) wichtig ist, die keine Fortsetzung gefunden hat.
Man kann das ein oder andere an Keyes Debutroman bekritteln, den sprunghaften Beginn oder die Momente, in denen man dem Helden “Tu’s nicht!” zubrüllen möchte, aber davon sollte man sich nicht abhalten lassen, The Chosen of the Changeling zu lesen, wenn man die hochoriginelle Welt und den ungewöhnlichen und spannenden Plot nicht versäumen will.

Der weisse Knochen von Barbara GowdyDas verwaiste Elefantenkalb Matsch wird von einer neuen Herde adoptiert, in der ihr aber längst nicht alle wohlgesonnen sind. Trotzdem wird sie, als sie heranwächst, zur Visionärin der Herde, die mit ihren Ratschlägen der Matriarchin bei der Führung helfen soll.
Doch immer wieder treffen die Elefanten auf ihren Streifzügen durch das trockene Buschland auf Artgenossen, die grausam verstümmelt und abgeschlachtet wurden. Als eine große Dürre das Überleben der Herde gefährdet, beschließt Matsch, einer Vision, einem Mythos zu folgen: Dem weißen Knochen, der den Elefanten den Weg in eine sichere Heimat weisen soll. Doch die Suche nach dem weißen Knochen ist entbehrungsreich und gefährlich.

-Wenn sie lange genug leben, vergessen sie alles.-
Prolog

Elefanten sind Lieblingstiere, Maskottchen, Ikonen. Über ihr erstaunlich ausgeprägtes Sozialleben und ihre teils mystisch anmutenden Fähigkeiten fördert die Wissenschaft ständig Neues zu Tage. Da liegt es eigentlich ganz nahe, ihnen einen Tierroman zu widmen, der sogar thematisch dem Klassiker dieses Genres, Watership Down, nahe ist – in der epischen Suche einer gebeutelten Sippe nach einer neuen, sicheren Heimat.
Die Geschichte aus der Sicht der Elefanten zu erzählen, ist aber auch literarisch ein ehrgeiziges Projekt geworden: Ausgangspunkt für die Entwicklung der Elefantenkultur ist die Vorstellung von einem Lebewesen, das niemals etwas vergißt. Ein bedächtiger und verschlungener Erzählstil ist das Resultat – so ein Elefantenleben verläuft betulich, und auch die Widrigkeiten, denen die Riesen ausgesetzt sind, sind meist schleichende, langsame Gefahren; Hunger, Durst, Krankheiten.
Rasante Action schließt sich in diesem Setting aus Staub und flirrender Hitze damit gänzlich aus, und auch die Spannung bleibt bisweilen auf der Strecke, denn das Dasein der Elefanten in einer Welt, die sie durch die Visionärinnen der Herde zu interpretieren versuchen, aber niemals verstehen – vor allem nicht die Gefahren durch den Menschen -, ist ein einziges, hilfloses Ausgeliefertsein. Eine kaum je gebrochene Trostlosigkeit beherrscht die bedächtige Handlung, so daß das Weiterlesen trotz der spannenden Grundidee nicht immer einfach ist.

Die Lebenswelt der Elefanten bietet alles, was man sich von einem Tierroman erwartet – eine Elefantensprache, die vom einzigartigen Blick der grauen Riesen auf die Welt durchdrungen ist und trotzdem realistisch und mühelos vorstellbar wirkt, und ein soziales System, das ausgeklügelt und durch die Visionärinnen durchaus phantastisch wirkt, aber nicht im Widerspruch zum aktuellen Forschungsstand über Elefanten steht. Hinter dem Roman stand offenbar eine ausführliche Recherche, die den phantastischen Blickwinkel mit realistischen Ansprüchen Hand in Hand gehen läßt. Der Realismus schlägt sich auch in der Handlung nieder, daher kann man auch nicht mit einem Happy End für die Elefanten rechnen, sondern sollte sich auf tragische Wendungen einstellen.
Der abstrakte weiße Knochen als Heilsbringer – manchmal kann man erahnen, wohin er führen sollte – bleibt immer vage, und die Geschichte ist weder tröstend noch phantastisch genug, als daß die Elefanten durch einen mystischen Gegenstand gerettet werden könnten.

Die schönen Ansätze verlaufen somit im wahrsten Sinne des Wortes im Sande und sind bei anderer Tierfantasy runder umgesetzt worden. Für Elefanten-Fans kann es aber durchaus interessant sein, gedanklich in die Lebenswelt der Dickhäuter einzutauchen – wenn man mit der Tragik leben kann.

Welt aus Stein von Chris WoodingOrna, Elitekämpferin und Attentäterin des Magnaten Ledo, wird in einer tragisch gescheiterten Schlacht von den verfeindeten Eskaranern gefangengenommen und in das berüchtigte, ausbruchsichere Gefängnis Farakza gebracht. Ihre trostlose Situation wird nicht nur von ihren Mitgefangenen durchbrochen, zu denen sie langsam Beziehungen aufbaut, sondern vor allem dadurch, daß sie an Informationen über den fortwährenden Krieg gelangt, die nicht nur ihre Sichtweise umwerfen, sondern ihr offenbaren, in welcher Gefahr ihr ebenfalls als junger Soldat kämpfender Sohn schwebt. Sie entschließt sich zu einem riskanten Gefängnisausbruch …

-Unter meinem Fuß bricht sein Knie zur Seite weg, aber ehe er den Schmerz spürt, habe ich ihn beim Kopf gepackt und ihm das Genick gebrochen.-
30

Es gibt Geschichten, die glänzen vor allem an der Oberfläche, wo sie Spannung und Schauwerte bieten, und solche, die eher subtil durch ihre Themen und Strukturen überzeugen. Am besten wird es immer dann, wenn beides zusammenkommt, und das passiert in Welt aus Stein (The Fade).
Wobei Schauwerte an der Oberfläche hier nicht ganz zutreffend sind, denn in Chris Woodings kompaktem Fantasy-Drama steigt man in die Tiefe eines gewaltigen Höhlensytems hinab, eine bunte und imaginative unterirdische Welt, die mit den üblichen Zwergentunneln und Drachenhöhlen der Fantasy nicht viel gemein hat und ökologisch und kulturell weit ausgearbeitet ist: Während die Sonnen der Welt Callespa ein Leben an der Oberfläche unmöglich machen, haben sich unter der Erde Flora und Fauna, eigene Jahreszeiten und vor allem verschiedene Zivilisationen entwickelt – zu modernen Nationen, die sozial und kulturell etwa im Zeitalter des Imperialismus angelangt sind: Drogenhöhlen und Tanzclubs für die Adligen stehen neben Schlachten, die mit Schwert und Dolch ausgetragen werden, Intrigen schmiedet man in seltsamen Höhlengärten oder Palästen, die in die Stämme gigantischer Pilze geschnitzt wurden. Zwei Nationen – eine mit einem rigiden Kastensystem und viel Platz für Laster und Korruption, die andere mit Sklavenhaltung und einem gelehrten, religiös-künstlerischen Ideal – halten sich für die jeweils überlegene Kultur und sind in einen ewigen Krieg verstrickt.

Mitten darin – im Krieg und der Kastengesellschaft – befindet sich die Heldin, eine drahtige kleine Elitekämpferin, die sich das Prädikat ‘tough’ ausnahmsweise wirklich verdient hat. Diese derbe Ich-Erzählerin steckt jede aktuelle Kick-ass-Lady in die Tasche, denn sie bringt zusätzlich zur kämpferischen Qualifikation auch noch die richtige Geisteshaltung für ihren Job mit. Als Killermaschine, Mutter und Liebhaberin läßt sie sich von ihrem miesen Temperament und ihren Vorurteilen in so manche verfahrene Situation treiben.
Während Orna in der Erzählgegenwart im Gefängnis sitzt und aufgrund ihrer Situation gewollt verzweifelt, wird gleichzeitig ihre Vergangenheit aufgerollt. Chris Wooding hat damit eine psychologisch fein ausgearbeitete Heldin geschaffen, deren Verletzungen und Brüche sich nach und nach offenbaren – auch in ihrer fatalen Wirkung auf die Gegenwartshandlung. Konflikte zwischen Mutter und Sohn, Mann und Frau, und in Zweckgemeinschaften, aus denen sich Freundschaft entwickelt, zeichnen Orna in ihrer ganzen, aufrichtigen Widersprüchlichkeit und Selbstbezogenheit, die sie ihre eigene Situation im perfiden Verpflichtungssystem ihrer Gesellschaft nicht zur Gänze erkennen läßt, so daß sie ihren Haß nach außen projiziert und zum Instrument des ewigen Krieges wird.

In Welt aus Stein steckt daher eine Menge Gesellschaftskritik, die auch in der Weltschöpfung immer wieder aufblitzt: die High Society der mondänen, etwas heruntergekommenen Höhlenwelt ergeht sich in Mode-Sperenzchen und ist von gewöhnlichen Lebensproblemen völlig unbeleckt, aber Orna begegnet auch Freiheitskämpfern mit erschreckend wenig Ahnung vom echten Leben, und am anderen Ende der Skala einem schäbigen Giftmischer, der Frau und Kind ernähren muß, und noch größeren Verlierern einer Gesellschaft, die fast nur Verlierer produziert. Wem nicht bereits das an New Weird gemahnende Edward-Miller-Cover aufgefallen ist, der fühlt sich wahrscheinlich spätestens jetzt an China Miéville erinnert, und in diesem Kontext kann man Welt aus Stein durchaus einordnen. Das trifft auch auf die Sprache zu, denn da eignet sich der Roman eher für die Furchtlosen: Es wird ganz angepaßt an die Hauptfigur und ihre Gesellschaft ‘gefickt’ und geflucht, bis die Balken krachen, und wer davor noch nicht zurückschreckt, sollte sich darauf einstellen, daß weite Teile der Handlung im eher ungewöhnlichen Präsens erzählt werden. Im besten Fall verleiht das dem Text eine gewisse (der Action oft angemessene) Atemlosigkeit, aber leider wirkt es auch schnell künstlich und überkandidelt, was dem Autor, der hier Form über Gefälligkeit stellt, des öfteren passiert.
Denn die Präsens-Erzählung und die gleichzeitig eigenwillige Kapitelanordnung (los geht es mit Kapitel 30, Erzählgegenwart im Präsens und abwechselnde Aufarbeitung der Vorgeschichte im Präteritum werden dann jeweils abwärts und aufwärts gezählt) ist nicht nur eine innovative Spielerei, sondern klärt durch die Aufdeckung der Vergangenheit der Heldin über ihr Handeln in der Gegenwart und die tieferen Zusammenhänge auf und wirft immer wieder neues Licht auf ihre Entscheidungen, wie bei einem Mosaik, dessen Bild immer klarer wird, bis man nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte.

Bis man von diesen feineren Themen und der geschickten Konstruktion, die eine große Sogwirkung entfaltet, ganz eingefangen ist, serviert Chris Wooding mit seiner im Gefängnis schmachtenden Heldin aber auch astreine Action und Spannung – ein turbulenter Gefängnisausbruch sorgt für Herzklopfen, und dann ist man auch schon mittendrin in dieser Geschichte von Rache und Mißverständnis, in einem tradierten Krieg, bei dem sich immer mehr die Frage stellt, wer eigentlich davon profitiert, und in der von diesem Strudel gefangenen, zerrissenen Heldin, die ihren eigenen Feldzug führt und dabei so viel zertrampelt, daß man der Geschichte eine gewisse Düsternis nicht absprechen kann, hin und wieder durchbrochen vom sardonischen Humor Ornas.
Ihre faszinierende Anti-Heldenreise durch verschiedene Milieus und Kulturen, ihre in mehrfacher Hinsicht finstere Höhlenwelt, in der sich doch hin und wieder ein glitzerndes Geheimnis findet, und ihre innere Werdung und Wandlung sind definitiv einen Blick wert, vor allem für entdeckungs- und experimentierfreudige Leser.

Who Fears Death von Nnedi OkoraforOnyesonwu ist die Außenseitern ihres Dorfes, denn sie ist ein Mischlingskind der beiden verfeindeten Volksgruppen ihrer Heimat, das durch Vergewaltigung entstanden ist und dem Volksglauben nach selbst zur Gewalt neigt. Sie versucht sich mit allen Mitteln in die Dorfgemeinschaft einzufügen, doch ihre Bemühungen sind zum Scheitern verurteilt, weil in ihr obendrein magische Kräfte schlummern: Was damit beginnt, daß sie mit ihrem Gesang Tiere anlocken kann, gipfelt schließlich in der Fähigkeit zum Gestaltwandel und weiterreichenden Kräften. Der Dorfmagier Aro will Onyesonwu trotzdem nicht ausbilden, denn sie ist eine Frau.
Derweil tobt nicht allzu weit entfernt der Krieg weiter, und Onyesonwus brutaler Vater steht im Mittelpunkt …

-My life fell apart when I was sixteen. Papa died. He had such a strong heart, yet he died.-
Chapter 1: My Father’s Face

Who Fears Death, dessen Titel (übrigens die Übersetzung des Namens der Heldin) schon andeutet, daß es sich womöglich um nicht ganz leichte Kost handelt, stellt einen von den ersten Seiten an vor die Herausforderung, daß hier Dinge zusammenkommen, die man in der Regel nicht in einem Roman vereint vorfindet: Erzählt wird eine ganz und gar typische Jugendbuchgeschichte – das Coming of Age, die Initiation in die Welt der Magie, das Finden von Freunden und Feinden und das Kennenlernen der Welt, und schließlich die Queste, bei der mehr als die Ausbildung zum Einsatz kommt und viel auf dem Spiel steht. Das post-apokalyptische und phantastisch-verfremdete Afrika, in dem Who Fears Death angesiedelt ist, wartet allerdings ungeschönt mit ziemlich allen heiklen Themen auf, die im Kontext mit Afrika häufig zur Sprache kommen. Schon die Abstammung der Protagonistin spricht Bände – wer etwas über systematische Vergewaltigungen zur Demoralisierung von ethnischen Gruppen gehört hat, kann sich ungefähr vorstellen, was bei der Lektüre auf ihn oder sie zukommt.
Dieses Thema und viele weitere – Beschneidung von Mädchen, Steinigung, Kindersoldaten und eine Gesellschaft, die vom Mystizismus, aber auch von starken Vorurteilen durchdrungen ist – werden einfühlsam beschrieben, aber weder pathetisch noch reißerisch; sie sind einfach, gehören zur Realität der Protagonistin. Vor allem werden sie, etwa im Falle der Beschneidung, nicht einseitig mahnend und verdammend dargestellt, sondern aus einer Perspektive, die verständlich macht, welche Gründe es für die Beteiligten geben könnte (aber auch diskriminierende und misogyne Aspekte werden keineswegs ausgespart). Je mehr man von Nnedi Okorafors Welt kennenlernt, desto deutlicher wird, daß man nicht nur über “Afrika-Probleme” liest, sondern über die universelle Erfahrung von Diskriminierung und gesellschaftliche Mißstände, über (pseudo-)moralisch legitimierte Gewalt.

Who Fears Death ist ein feministischer Roman, mit einer Heldin, die ganz angry young woman ist, andere ständig vor den Kopf stößt, impulsiv und unerschrocken handelt und gegen einengende Umstände aufbegehrt. Auch dieses Thema wird aus verschiedenen Perspektiven ausgeleuchtet, sei es durch Onyes Freundinnen, die ihre Emanzipation individuell anders (oder gar nicht) vollziehen, sei es durch die feinsinnige Schilderung ihrer großen Liebe, die trotz aller Voraussetzungen, über Diskriminierung und Ungleichheit hinwegzugehen, im Beziehungsalltag (sofern ihnen überhaupt einer gegönnt ist) auf Schwierigkeiten mit der Gleichstellung stößt. An dieser Stelle sollte auch erwähnt werden, daß Körperlichkeit trotz der geschilderten Brutalitäten nicht nur negative Komponenten aufweist, sondern als wichtiger Bestandteil des Soziallebens viel Raum einnimmt.

Als Onyes Sturheit dafür sorgt, daß sie auch als Frau ihre Ausbildung zur Magierin erhält, tritt eine der großen Stärken des Romans hervor: Mythen mischen sich nahtlos mit der harten Realität, die Geisterwelt fließt in den Alltag, ohne grundsätzlich für hochgezogene Augenbrauen zu sorgen – etwa in Form des von allen akzeptierten Versammlungshauses der Ältesten, des Osugbo, das einen starken Eigenwillen besitzt und Besucher mitunter stundenlang herumirren läßt oder gleich wieder ausspuckt.
Gestaltwandel, Geister, die alten Mythen der Wüste und sogar ein afrikanischer Drache tauchen auf, als die Heldenreise Onyesonwus ihren Lauf nimmt, immer mit dem Gefühl, von einer lebenden, vielschichtigen Welt zu lesen und nicht nur puren Exotismus zu bestaunen.
Die Magie deckt dabei die spirituelle und körperliche Ebene ab und arbeitet mit Übertragungen, um beide zu verbinden, wobei sehr erfrischende Effekte zum Einsatz kommen. Spirituelle und kulturelle Begriffe sind größtenteils der Kultur der Igbo entnommen, in der auch die Wurzeln der Autorin liegen.

Achronologische Einschübe stecken Rahmen innerhalb der Erzählung ab, die die Dynamik einer sich immer schneller drehenden Spirale besitzt – Kindheit und Jugend, die die Heldin prägen, werden mit langen ruhigen Passagen erzählt, die trotzdem von Beginn an etwas Zwingendes haben, ihre Ausbildung beschleunigt sich zusehends, und die Queste nimmt als actionreiches, intensives Finale das letzte Stück des Romans ein.
Mit seiner Rahmengeschichte, dem Werdegang der Heldin und der Mythenbildung um die starke und bewußte Ich-Erzählerin, der schillernden Welt mit den realen Problemen und nicht zuletzt Okorafors wunderschönen, teils angemessen knappen und teils lyrischen Sprache ist Who Fears Death tatsächlich so etwas wie ein “afrikanischer” Name des Windes – und eine lohnende, verzaubernde Lektüre, die beim Lesen immer wieder an die Nieren geht.

Wirrun zwischen Eis und Feuer von Patricia WrightsonWirrun, ein junger Mann aus dem Volk – den Ureinwohnern Australiens – reist durch das Land seiner Vorfahren und macht dabei eine erstaunliche Entdeckung: Mitten im Sommer findet er Eis, und einen Augenblick lang steht die Welt regelrecht auf dem Kopf.
Wieder zurück in der Großstadt verfolgt er Berichte über mehrere Eisfunde, denen außer ihm niemand Beachtung schenkt. Er stellt fest, daß das Eis nach Süden wandert, und daß es keine natürliche Ursache haben kann. Als er mehr über die Legenden der Ureinwohner erfährt, wird ihm klar, daß die Ninya, uralte Geister des Eises, hinter der Sache stecken. Da niemand sonst darauf aufmerksam geworden ist, liegt es an Wirrun, die Nachricht vom drohenden Eis zu verbreiten und ein Gegenmittel zu finden.

-Das alte Land liegt im Süden der Erde wie eine quer über den Globus gelegte, sanft gewölbte offene Hand.-
Ein junger Mann aus dem Volk: 1. Kapitel

Dieser – eigentlich als Jugendbuch erschienene – Roman ist genau die richtige Kost für Fantasy-Leser, die gerne über den Tellerrand gucken und einmal Fantasy mit anderen als den altbekannten Hintergründen, aber auch mit einer ganz und gar nicht standardmäßigen Heransgehensweise lesen wollen. Dabei klingt die Geschichte im Grunde ganz konventionell – ein junger, unbedarfter Helden-Anwärter muß ausziehen, um das Land vor einer uralten, unterschätzten Bedrohung zu retten, und erhält dabei Hilfe von allerlei phantastischen Gestalten.
Nun ist aber die Kulisse das andere Ende der Welt – Australien – und man begegnet weder erwarteten Funktionsweisen (Held erschlägt Drache, und die Sache ist gegessen), noch irgendwelchen Wesen, die man gleich einordnen kann. Der Bunyip ist da noch das bekannteste Fabelwesen, das den Weg des jungen Wirrun kreuzt, und selbst dieser mutet fremd an und bekommt erst durch die bei seinem Auftreten vermittelte Atmosphäre ein Gesicht. Es gibt also einiges zu entdecken zwischen diesen Buchdeckeln, und das Abenteuer wartet mit unvorhersehbaren Überraschungen auf, weil es nicht nach dem üblichen Schema erzählt ist – Wirruns widerwillige Begleiterin etwa, ein scheuer Felsengeist, wird ihm wortwörtlich mit dem Wind vor die Füße geweht, und bleibt auch fortan ein ‘windiger’, aber hochinteressanter Sidekick.

Wirrun selbst ist eine liebenswerte Hauptfigur, mit der man gemeinsam und etwas unabsichtlich in die Geschichte schlittert, und ganz ohne Heldenpathos wird er zum Kämpfer für das Land, der durchaus seine Fehler macht, und gerade weil er in der Großstadt lebt, nicht besonders versiert in den Bräuchen seiner Vorfahren ist. So steht er oft wie der Ochse vor dem Berg und ist (zum Glück) ähnlich befremdet wie der Leser durch die Dinge, die ihm im Laufe seines Abenteuers begegnen. Auch seine Begleiterin, die Mimi, ist mitnichten ohne Fehl – bis zum Ende bleibt sie widerwillig, kratzbürstig und vor allem sehr fremd: Wie allen Erdgeistern, mit denen man es im Laufe der Geschichte zu tun bekommt, haftet ihr nur wenig Menschliches an. Dabei gibt es aber durchaus witzige Gesellen unter den ganzen seltsamen Gestalten, und die Reise durch das  fermdartige und von allerlei Geisterwesen bewohnte Land ist alles andere als langweilig.

Der charmante Humor der Autorin tritt auch zu Tage, wenn sie das Verhältnis von Weißen und Aborigines beleuchtet. Die Großtstadtmenschen, von den Ureinwohnern ganz treffend als Glückssucher bezeichnet, geben alles in allem ein eher lächerliches Bild ab – dennoch geht Wrightson mit dem Thema sehr sensibel um und vermittelt ohne anzuklagen Stimmungen.
Letzteres gelingt ihr in jeder Hinsicht, denn die wunderschöne, bildreiche Sprache verleiht der phantastischen Seite Australiens erst richtiges Leben. Ein actiongeladenes Spektakel sollte man allerdings von Wirrun zwischen Eis und Feuer (The Ice Is Coming) nicht erwarten, die Geschichte plätschert eher ruhig durch die traumartige Landschaft und bezieht ihre Spannung aus Kleinigkeiten und der Entdeckerlust in der erfrischenden Fantasywelt des fünften Kontinents.

Cover von The Word for World is Forest von Ursula K. Le GuinAthshe ist ein Planet der Wälder, und die Athsheaner sind ein friedliches Volk. Als die Menschen dort eine militärisch geführte Kolonie gründen, um die Rohstoffe des Planeten auszubeuten und den Wald in landwirtschaftlich nutzbares Land zu verwandeln, bleiben die Ureinwohner des Planeten auf der Strecke und werden sogar als Arbeitssklaven benutzt. Sie gelten den meisten Menschen nur als Tiere, sie wehren sich nie und wirken faul und dumm. Doch die Athsheaner haben eine eigene Kultur des Träumens, und in dieser Kultur brodelt es, als ein Athsheaner beginnt, vom Krieg zu träumen.

-Two pieces of yesterday were in Captain Davidson’s mind when he woke, and he lay looking at them in the darkness for a while.-
One

Ein Waldplanet, für irdische Kolonisten ein optimaler Rohstofflieferant, dessen einheimische humanoide Population, die mit der Natur in Einklang lebt, nur ein Störfaktor ist – beim aufmerksamen Kinogänger hat es längst geklingelt, für SF-Leser schwirrt das Thema schon etwas länger durchs kollektive Bewusstsein.
In Ursula K. Le Guins The Word for World is Forest (Das Wort für Welt ist Wald) von 1972 (eine erweiterte Version gab es 1976, nachdem die Novella bereits den Hugo Award gewonnen hatte) sind die Einheimischen nicht groß und blau, sondern klassisch klein und grün – und pelzig. Umso einfacher ist es dadurch, auf sie hinabzuschauen, und die Dynamik, die sich in der Beziehung zwischen Menschen und Athsheanern abspielt, ist aus dem Kolonialismus wohlbekannt. Le Guin zeigt in dieser Erzählung, die vor allem in Reaktion auf den Vietnamkrieg entstanden ist, neben Rassismus auch die Folgen von Umweltausbeutung und die Wirkung von Mehrfachdiskriminierung, am schlechtesten geht es nämlich den athsheanischen Frauen, die zwar in ihrer eigenen Kultur eine tragende, aber nicht die angesehenste Rolle einnehmen und unter dem Sexismus und der Gewalt der rein männlichen Siedler von der Erde besonders zu leiden haben.

Nachdem inzwischen vermutlich schon fast alle LeserInnen ausgestiegen sind, die Politisches in der Literatur meiden wie der Teufel das Weihwasser, muss erwähnt werden, dass Le Guin weder anprangert noch in expliziten Ausschmückungen schwelgt: Das Thema würde mit Sicherheit hochdramatische und „mitreißende“ Szenen hergeben, doch die Autorin hält sich betont zurück, wahrt eine erzählerische Distanz und überlässt so dem Leser oder der Leserin einen Anteil an der Urteilsbildung. Die durchaus existenten Grausamkeiten werden meist ausgespart oder tauchen nur als Erinnerungen auf, die szenischen Darstellungen widmen sich dem unterschwelligen Wandel, der die ganze Handlung kennzeichnet, wenn zunehmend klar wird, dass die Athsheaner ihre Lebensweise ändern müssen, um sich wehren zu können. Konkrete Gewaltdarstellung erfolgt vor allem in Form von verbaler Gewalt – spezifisch rassistischem Vokabular und anderen Äußerungen des Machismo, was in bester Le-Guin-Manier auf die Wichtigkeit des sprachlichen Aspekts für die Handlung weist.

Denn auch das Thema, wie Sprache Wirklichkeit konstituiert, steht im Mittelpunkt der Erzählung: Es findet sich sowohl in den Erläuterungen zu den konzeptuellen Unterschieden zwischen der Sprache der Menschen und der Athsheaner (die schon im wohlklingenden Titel angesprochen werden, denn das Wort der Menschen für Welt ist nicht Wald, sondern Erde) als auch in den unterschiedlichen Sprachstilen der drei Protagonisten: Captain Davidson, der Vertreter der skrupellosen, durchsetzungsfreudigen Ausbeuter, bastelt sich mit rassistischem Vokabular und Slang ein schlüssiges Weltbild zusammen, in dem er immer ein Held sein kann, Lyubov, der zurückhaltende Intellektuelle, tastet sich analytisch-vorsichtig durch die neue Welt und meint es (zu) gut, und Selver, der Athsheaner, ist in der Traumkultur seines Volkes verwurzelt und erlernt schließlich beide Sprachen und Konzepte. Mit ihnen tragen drei ausgereifte Figuren den Roman, die jeweils für ein spirituelles, ein intellektuelles und ein tyrannisches, in sich nachvollziehbares Paradigma stehen.
Was auf den ersten Blick vielleicht nach einer allzu simplen Gleichung klingt, in der Gut und Böse klar definiert scheinen, erweist sich als deutlich komplexer, denn Le Guin spricht auch den Konflikt an, dass ein beobachtender Forscher durch seine reine Anwesenheit Einfluss übt, und dass indigene Völker eben nicht nur durch diejenigen Schaden nehmen, die mit Unterwerfungs-Absichten kommen.

Zusätzliche Dynamik erhält das Geschehen durch das SF-Szenario der abgelegenen Kolonie, die nur mit starker Verzögerung Kontakt zur Heimatwelt aufnehmen kann. Spannung ist aber kein Hauptanliegen der Geschichte, zumindest nicht auf vordergründige Art. Man muss an dem Anteil nehmen, was zwischen den streiflichtartigen Szenen passiert, in denen ein für die Athsheaner sogar mythisches Geschehen auf wenige Seiten und Episoden heruntergebrochen wird, mit teils größeren zeitlichen Abständen zwischen den Kapiteln. Für das dünne Bändchen steckt unheimlich viel Stoff in diesem Roman, der im Universum von Le Guins Hainish Cycle angesiedelt ist, und die einzelnen Themen werden nicht in der Tiefe ergründet, wie es bei The Left Hand of Darkness oder The Dispossessed aus demselben Zyklus der Fall ist. Le Guin eweist sich aber auch hier als Autorin, deren Gedanken zu unterschiedlichen Gesellschaftsformen und Denkstrukturen ein spannendes Experiment, und, wenn man sich darauf einlässt, eine lohnende Lektüre sind, die während und vor allem nach dem Lesen weit über ihre 200 großzügig bedruckten Seiten hinauswächst.

Der wundersame Dr. Darwin von Charles SheffieldDr. Erasmus Darwin, der Großvater des Evolutions-Theoretikers, ist ein englischer Landarzt, überall gerühmt für seinen scharfen Verstand. Das ist der Grund, weshalb Leute aus allen Regionen Englands ihn zu besonders kuriosen Fällen hinzuziehen, die Darwin dann auch mit höchstem Vergnügen löst.
Darwins oberstes Credo ist dabei die Wissenschaftsgläubigkeit – von übernatürlichen Schnickschnack, Dämonen und Teufeln will Darwin nämlich nichts hören.
Auf seinen Reisen wird der Doktor von seinem Freund Jacob Pole begleitet, der stets auf der Suche nach einem der Schätze dieser Welt ist …

-Der Frühlingsabend war mild und ruhig, und was an Gesprächen aus dem Fenster des Hauses drang, war auf dem Weg noch in einiger Entfernung zu hören.-
Der Dämon von Malkirk

Wie sein berühmter Enkel ist Dr. Darwin den Naturwissenschaften zugetan, er betätigt sich in der Lunar Society, praktiziert aber vor allem als Landarzt und klärt für sein Leben gerne rätselhafte Phänomene auf, die ihm immer wieder zugetragen werden. Die sechs Einzelabenteuer, die in dieser Sammlung vorliegen, sind in keinster Weise aufeinander aufbauend oder miteinander verbunden  – nur die Hauptpersonen Darwin und Colonel Pole sind jedes Mal mit von der Partie, und ab und an begegnet man auch Darwins geschätzten Freunden von der Lunar Society wieder. Die vorherige Veröffentlichung der Erzählungen als Kurzgeschichten führt dazu, daß die Protagonisten in jedem Abenteuer aufs Neue eingeführt und mit fast identischen Worten beschrieben werden – die Geschichten können gut für sich stehen, ergeben aber am Stück kein größeres zusammenhängendes Bild als vielleicht ein Portrait der Zeit vor dem berühmteren Darwin.

Charles Sheffield hat stimmig die Atmosphäre einer Zeit eingefangen, in der Aberglaube und Wissenschaft konkurrieren und die Menschen noch leichter von übernatürlichen als von natürlichen Erklärungen für schwer fassbare Dinge zu überzeugen sind. In diesem Umfeld ermittelt Darwin in Fällen, die von den Betroffenen meist in peinlich berührter Manier als wissenschaftlich unmöglich eingestuft werden. Er entlarvt falsche Dämonen, Scharlatane, angebliche Vampire und vieles mehr, und entdeckt dabei nicht selten zwar logisch erklärbare, aber dennoch kuriose Begebenheiten, die so außergewöhnlich sind, daß sie fast magisch anmuten. Seine Arbeitsweise – erst analysieren, dann alles in die Wege leiten und schließlich den verblüfften Beteiligten die Lösung und seinen Weg dorthin präsentieren – erinnert an etliche klassische Ermittler-Helden, und beim Gespann Darwin-Pole kommen einem unweigerlich Sherlock Holmes und Watson in den Sinn.

Die Struktur der Geschichten, immer einen einzelnen Fall mit der präzisen, aber erst im Nachhinein logischen Vorgehensweise des Doktors zu schildern, baut dieses Ambiente durchaus mit auf.Etliche historische Persönlichkeiten sind in die Handlung eingeflochten, und alle Geschichten sind von Tatsachen inspiriert. Über die genauen Zusammenhänge wird man in einem lesenswerten Nachwort aufgeklärt, in dem Sheffield – selbst Naturwissenschaftler – das Zeitalter der Aufklärung resümiert.
Aber auch die gut recherchierten Geschichten verraten viel über den Stand der Wissenschaften und der Medizin im 18. Jahrhundert.
Sheffields nüchterner Stil läßt Darwin und Pole erst recht als kauzig-liebenswerte Helden hervorstechen. Nach ihrer Analyse bleibt meist nicht mehr viel Magisches an den rätselhaften Begebenheiten, so daß man es vielmehr mit einer Kuriositätensammlung als Phantatik zu tun hat. Ein wenig schade ist auch, daß die Geschichten im Großen und Ganzen immer ähnlich konstruiert sind und man die Richtung der Lösungen, wenn auch nicht ihr ganzes Ausmaß, oft schon voraussehen kann. Für eine unterhaltsame (und durchaus auch lehrreiche) Lektüre empfiehlt es sich also, das Buch auf mehrere Einzelhäppchen zu verteilen.
Einen Rest von Magie gibt es übrigens auch in der streng wissenschaftlichen Welt des Dr. Darwin: Das Ungeheuer im schottischen Loch pflügt auch nach seinem Besuch ungetrübt weiter durch die Wellen…

Das Wunschtal von Ursula K. Le GuinHugh ist Kassierer in einem Supermarkt und lebt ein mehr als eintöniges Leben unter der Fuchtel seiner Mutter, die den jungen Mann nicht gehen lassen will und ihm seine Ausbildung zum Bibliothekar verwehrt.
Eines Tages findet Hugh bei einem Spaziergang im Wald ein Tor, das an einen anderen Ort führt. Bald schon geht er jeden Tag an jenen Ort und genießt dort die Natur und die Tatsache, daß kaum Zeit vergeht, während er sich dort aufhält. Doch dann begegnet er Irene, einem Mädchen aus seiner Stadt, das den Ort schon seit Jahren kennt. Irene ist nicht erfreut über den zusätzlichen Besucher, führt ihn aber schließlich widerwillig zu den Bewohnern der Welt hinter dem Tor. Die einfachen Menschen dort warten auf einen Retter und glauben ihn in Hugh zu erkennen…

-“Kassa sieben besetzen”, und wieder zurück zwischen die Kassen, Drahtkörbe entladen, Äpfel, drei um neunundachtzig, Ananas-Stücke im Sonderangebot, eine halbe Gallone fünfundsiebzig, vier, und eins ist fünf, danke, von zehn bis sechs, sechs Tage die Woche; und er machte seine Arbeit gut.-
1. Kapitel

Ein Tor, das von unserer in eine andere Welt führt, in der es Abenteuer zu bestehen gilt, ist eine der Grundzutaten der Fantasy, und so wähnt man sich in Ursula K. Le Guins Wunschtal schnell auf bekanntem Grund und Boden. Doch ist die phantastische Welt hinter dem Tor im Wald auffallend flach, sie entwickelt keinerlei Tiefe, und ihre Bewohner bleiben Platzhalter, genauso die Queste für die menschlichen Besucher Hugh und Irene, die nicht über eine simple Mutprobe hinauskommt. Von einer voll ausgeformten Anderswelt könnte dieser Roman nicht weiter entfernt sein.

Während man zu Beginn noch darauf wartet, daß sich größere Zusammenhänge in der ursprünglich-schlichten Welt hinter dem Tor auftun, wird zum Ende hin klar, daß es sich dabei lediglich um ein Konstrukt außerhalb unserer Realität handelt, in dem sich die beiden Helden der Geschichte, aus deren Sicht abwechselnd erzählt wird, bewähren können, um schließlich nach ihrer Rückkehr den Mut zu haben, ein neues Leben anzufangen.
Vor ihrem Besuch hinter dem Tor sind die beiden alles andere als heroisch, sie leben in bedrückenden Umständen, die auch immer wieder die Erlebnisse in der Anderwelt überlagern und erst nach und nach zurückgedrängt werden. Die Kraft, etwas an ihrer Lage zu ändern und sich gegenseitig zu unterstützen, bringen sie erst nach dem Kampf in der anderen Welt auf, dann können sie auch ihr hiesiges Leben meistern und brauchen die Anderswelt nicht mehr.
Damit ist die Welt hinter dem Tor lediglich ein Vehikel, das durchgehend blass bleibt und nur seinen Zweck erfüllt – als Phantasie-Ort der Prüfung und Bewährung bietet sie vielmehr Analogien als für sich stehende Handlungselemente, vor allem auch im sich rasch abzeichnenden Endkampf. Rasch ist überhaupt ein gutes Stichwort – mit ihren 200 Seiten ist die Geschichte in erster Linie eine Parabel und nicht der epische Fantasy-Roman, den der Klappentext verspricht.

Tortzdem bleibt man von der einfach konstruierten Geschichte seltsam unberührt – zu Le Guins besseren Werken zählt sie nicht. Positiv fällt wie immer die Sprache der Autorin auf, die den Protagonisten aus unserer Welt angemessen relativ modern ist und nur selten in den Duktus klassischer Fantasy fällt. Trotzdem steckt viel Mühe in der Sprache der Anderswelt-Bewohner, was angesichts der Tatsache, daß der Rest dieser Welt bloß angezeichnet ist, etwas unbalanciert wirkt und den Eindruck verstärkt, daß Das Wunschtal nicht recht entschieden hat, ob es nun Fantasy oder Gleichnis sein will.

Yamada Monogatari von Richard ParksLord Yamada, ein gefallener Adliger, hat sich auf die Lösung von übernatürlichen Problemen spezialisiert – er steht mit Schwert, Witz und buddhistischen Sutras bereit, um sich um Oger, Geister und Dämonen zu kümmern, die die Mitglieder des Hofes von Kyoto belästigen, ihre Ehre beflecken oder ihre Bauern fressen. Zwischen den Missionen braucht er allerdings immer mehr Sake, denn mit einem simplen Töten der übernatürlichen Erscheinungen ist es meist nicht getan.

-I was just outside of Kyoto, close on the trail of a fox spirit, when the ghost appeared.-
Fox Tails

Wenn Japan überhaupt Setting für Fantasy-Geschichten ist, dann sind sie meistens in der Edo-Zeit angesiedelt, um vor dem Hintergrund der großen Samurai-Schicht und der Kämpfe zwischen den Provinzherrschern zu spielen. Dass die friedlichere Heian-Zeit erzählerisch weniger hergibt, könnte man aber nach der Lektüre von Yamada Monogatari nicht mehr behaupten: Hinter der Fassade des hochregulierten höfischen Lebens brodelt es, und für jene Fälle, die ein etwas peinliches übernatürliches Problem beinhalten, lässt sich zum Glück Lord Yamada anheuern, der als ehemaliger Adliger einerseits Umgang mit der feinen Gesellschaft pflegen kann, sich andererseits aus akutem Geldmangel aber auch nicht zu schade ist, sich die Finger schmutzig zu machen.
Er ist ein bisschen wie ein fernöstlicher Hexer Geralt, dieser Yamada no Goji: Ein armer Schlucker, den die Gesellschaft braucht, um die Probleme zu beseitigen, derer sie nicht Herr wird, der sich in dieser prekären Lage jedoch eine edle Gesinnung bewahrt hat und viele brenzlige Situationen mit einem guten Schuss Pragmatismus meistert.

Richard Parks hatte aber vermutlich keinen europäische Märchenstereotype verkloppenden Hexer im Sinn, als er Yamada Monogatari konzipiert hat, sondern eher einen japanischen Hardboiled Detective, komplett mit bittersüßer Liebesgeschichte, zu viel Sake und einem enttäuschten Blick auf die Gesellschaft. Die zehn Fälle, die in diesem Sammelband aufgeklärt werden, geben diesem Blick auch recht und verweisen auf einen zweiten Eckpunkt von Parks’ Geschichten: die Gothic Novel. Auch im mittelalterlichen Japan sind die Fälle nur selten so leicht gelöst, wie sich die Auftraggeber das ausmalen (Kopf ab!); meist liegen gute Gründe für die Heimsuchung vor, und es sind schmutzige, ungute Geheimnisse, die durch die Präsenz von Fuchsgeistern, Oni oder Geistererscheinungen an die Oberfläche gespült werden und für die Lord Yamada eine Lösung finden muss.
Damit erklärt sich auch die meist ruhige Erzählweise der Geschichten trotz des martialischen Themas. Nur kurz blitzt hin und wieder eine Actionszene auf, ansonsten liegen die Stärken von Yamada Monogatari in den Dialogen, dem feinen Humor und den gut recherchierten Beschreibungen. Die Lösung wird selten mit dem Schwert erreicht, es kommt auf Witz, das Nutzen der starren gesellschaftlichen Regeln (und ihr Umgehen an geeigneter Stelle) und Menschenkenntnis an.

Die Geschichten sind mosaikartig angeordnet und ergeben nach und nach ein Muster, als Nebenfiguren immer wieder auftauchen und die politische Gesamtsituation sich im Hintergrund weiterentwickelt. Hängt Lord Yamada zwischen den Missionen zu versoffen durch, kann man sich darauf verlassen, dass der Priester Kenji erscheint und ihn aus dem tiefen Tal führt (indem er ihm den letzten Sake wegtrinkt). Am Ende ist sogar eine Art Hintergrundgeschichte abgeschlossen, und wenn man Gefallen an Yamada und seinen Mitstreitern gefunden hat, kann man sich darauf freuen, dass Richard Parks sie damit für eine geplante Romanreihe in Position gebracht hat.

Das Setting profitiert stark von der Präsenz der übernatürlichen Welt, die sich nicht nur in Form von Problemen manifestiert, sondern auch in Alltagserscheinungen wie Mottengeistern, verwunschenen Wäldern gleich um die Ecke der belebten Hauptstadtstraßen und Ahnengeistern. Die – für die Fantasy – ungewöhnlichen Monster und Gesellschaftsregeln werden durch die Tatsache lebendig, dass in Lord Yamadas Zeit das Göttliche und das Dämonische im Grunde akzeptiert werden, aber auch für eine Welt stehen, die im Schwinden begriffen ist, da der Aufstieg der Samurai kurz bevorsteht, der nicht nur das höfische Leben am kaiserlichen Hof bedroht, sondern auch die übernatürliche Welt verdrängt, ganz als würde damit endgültig bewiesen, was Lord Yamada ohnehin längst begreift: Die allerbesten Monster geben immer noch Menschen ab.

Zauberbann von James BarclayDer Rabe ist eine legendäre Söldnergruppe, die aus einer handvoll Krieger und einem Elfen-Magier besteht. Bei ihrem jüngsten Auftrag geht allerdings einiges schief, und so beschließen die Söldner, in den Ruhestand zu gehen.
Doch hatte der Auftrag mehr Tücken als vorgesehen: Inzwischen sind Meuchelmörder auf den Fersen des Raben. Der Magier Denser – eigentlich ein Feind der Veteranen, da er vom gefürchteten Magier-Kolleg Xetesk stammt – macht ihnen ein Angebot, das sie trotz ihres Ruhestandes nicht ausschlagen können, denn es geht um die Verteidigung ihres Heimatlandes Balaia, das von einem alten Übel bedroht wird. Und so muß der Rabe mit dem wenig vertrauenswürdigen Zauberer zusammenarbeiten, um einen gefährlichen Zauberspruch zu bergen…

-Eine Hand wurde auf ihren Mund gedrückt und erstickte ihre Schreie, als sie erwachte. Neben ihr schlief Alun, ahnungslos und still.-
Prolog

Sie wünschen sich Fantasy, die man schnell mal an einem Feierabend durchlesen kann? Mit ordentlich Gemetzel drin? Und ohne poetischen Singsang und langwierige Beschreibungen? Willkommen in den Chroniken des Raben
In einer Fantasy-Welt, die man auch ohne großartige Einführung sofort verstehen kann (und die, nebenbei bemerkt, zumindest in diesem Auftakt-Band wirkt, als wäre sie in einer halben Stunde am Reißbrett entworfen worden) läßt es die Söldnertruppe Rabe ordentlich krachen. Sechs Menschen-Krieger und ein Elfen-Mag