In Wort und Bild werden die bekanntesten (und einige weniger bekannte) Fabeltiere beschrieben. Charakteristika und Entstehungsgeschichten, Berichte von Sichtungen und Verhaltensregeln geben einen ersten, groben Überblick.
-Es gab eine Zeit, da glaubten die Menschen, daß in verwilderten und weit abgelegenen Gegenden der Erde sonderbare wilde Tiere, auch Vögel hausen. Wanderer und Reisende brachten Geschichten von geflügelten Pferden mit nach Haus, von Gänsen, die auf Bäumen wachsen, von Salamandern, die im Feuer leben, und von vielen anderen wunderlichen Tieren mehr.-
Nicht jedes lohnenswerte Artbook kommt mit opulenter, auffälliger Ausstattung daher – Vom wundersamen Einhorn (Fabulous Beasts) ist zum Beispiel (und auch nicht ganz zu unrecht) als Kinderbuch verkleidet. Die auf Kinderliteratur spezialisierte Literaturwissenschaftlerin Alison Lurie hat darin 14 Fabeltiere vorgestellt, darunter die bekanntesten wie Drache, Phönix, Greif. Das Buch ist durchaus kindgerecht, relativ dünn und in gewisser Weise unspektakulär – man wird nichts erfahren, das man nicht schon weiß, und wenn man schon irgendein anderes Buch über Fabeltiere besitzt, ist die Chance sehr groß, dass dieses umfassender und tiefgreifender informiert.
Das alles vorweg, um keine falschen Erwartungen aufkommen zu lassen. Aber es gibt durchaus Gründe, dieses Büchlein trotzdem LeserInnen zu empfehlen, denen an einer kleinen, feinen Aufbereitung des Themas und vor allem einem harmonischen Zusammenwirken von Bild und Text gelegen ist.
Die 14 Farbtafeln und zugehörigen Texte sind mittelalterlichen Bestiarien nachempfunden: Auf ca. einer Seite werden die Fabelwesen sorgfältig beschrieben, manchmal sind Warn- und Schutzhinweise angebracht, manchmal erfährt man von den Geschichten, in denen das jeweilige Tier seinen großen Auftritt hatte. Sprachlich wird die Autorin ihrem Sujet eher mit Einfachheit als mit großer Wucht gerecht, trotzdem wirken die Texte neben den leuchtenden Bildern nicht blass, denn ihre Details funkeln an den richtigen Stellen – bei kleinen Drachen, die zischen wie Teekessel, beim Catoblepas (vielleicht trifft man auf diesen 40 Seiten doch noch auf das ein oder andere unbekannte Wesen 😉 ), das sich von betenden Eremiten in seiner Wüsteneinsamkeit empfindlich gestört fühlt.
Der schlichte Stil ist alles andere als nüchtern und lässt sehr lebendige Beschreibungen zu; die “Experten” und Quellen, die herangezogen werden, sind keine Naturwissenschaftler und Forscher, sondern Dichter und Künstler.
Die Bilder ergänzen die Beschreibungen perfekt: Sie setzen nicht auf Realismus, sondern sind betont einfach gehalten, zeigen aber viele Details, feine Strukturen von Federn und Fell, neben den Tieren auch immer einen fein ausgearbeiteten landschaftlichen Hintergrund, der zu einer Erkundung der grünen persischen Hügel oder der verschneiten schwedischen Wälder einlädt. Einige Beispielseiten kann man hier in der Originalversion begutachten. Die satten, harmonischen Farben verleihen den z.T. an der Heraldik orientierten Darstellungen der Fabeltiere eine Lebendigkeit, die nicht hinter den einprägsamen Texten zurückstehen muss.
An Vom wundersamen Einhorn ist nichts Spektakuläres, aber sollte man zufällig im Antiquariat darüberstolpern (alternativ auch in der Hardcoverausgabe Vom Salamander der im Feuer lebt und anderen Fabeltieren), lohnt sich ein Blick – für Kinder ist es immer noch eine schöne Begegnung mit Fabeltieren, für Erwachsene vielleicht ein Kleinod, vor allem, wenn man am Stil der Bilder Gefallen findet.