Spotlight: C.J. Cutcliffe Hyne

Bibliotheka Phantastika wirft anlässlich seines vorgestrigen 155. Geburtstags einen kurzen Blick auf das Werk von C.J. Cutcliffe Hyne.* Der am 11. Mai 1865 in Bibury, einem Dorf in der im Südwesten Englands gelegenen Grafschaft Gloucestershire geborene und am 10. März 1944 verstorbene Charles John Cutcliffe Wright Hyne war ein zu seinen Lebzeiten recht erfolgreicher Autor von Abenteuer- und phantastischen Geschichten, die teils auch unter dem Pseudonym Weatherby Chesney erschienen sind.
Seine Karriere begann mit Beneath Your Very Boots, Being a Few Striking Episodes from the Life of Anthony Merlwood Haltoun, Esq. (1889), einem Lost-World-Roman über ein in Höhlen unter England gelegenes, von Flüchtlingen “von oben” geschaffenes Pseudo-Utopia, das sich mittels fortgeschrittener Technologie gegen Eindringlinge aus der Oberwelt verteidigt. Danach folgten die Robinsonade The New Eden (1892) sowie The Recipe of Diamonds (1893), ein Roman, in dem es um die Formel zur Transmutation von Metallen geht.
Mitte der 1890er Jahre begann Hynes, seine reichhaltigen, aber nicht unbedingt der Wahrheit entsprechenden Reiseerinnerungen auszuschlachten und sie als Grundlage für sein lange Jahre populärstes Werk – die Geschichten um Captain Kettle – zu verwenden. Diese Geschichten wurden häufig im Pearson’s Magazine vorabgedruckt, einer von Januar 1896 bis November 1939 erscheinenden Monatszeitschrift, die als Konkurrenz zum The Strand Magazine gegründet worden war (in dem bekanntermaßen Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes seine Fälle löste), und die sich immerhin mit dem Vorabdruck von H.G. Wells’ The War of the Worlds (April bis September 1897, Buchausgabe 1898) schmücken konnte.
The Lost ContinentKnapp zwei Jahre später wurde dann im Pearson’s Magazine auch der Roman vorabgedruckt, der der Grund ist, warum C.J. Cutcliffe Hyne heute hier auftaucht – und der der einzige Grund sein dürfte, warum man sich heute überhaupt noch an ihn erinnert: The Lost Continent (Juli-Dezember 1899; rev. Buchausgabe 1900).
The Lost Continent ist einer der ersten Romane, der den Untergang von Atlantis thematisiert, und sehr wahrscheinlich der erste, der besagten Untergang als packende Abenteuerhandlung inszeniert.** Erzählt wird das Ganze von Deucalion, einem Kriegerpriester, der sozusagen mittendrin und nicht nur dabei war (sein Bericht wird in einem kurzen einleitenden Kapitel von zwei Forschern in einer Höhle auf Gran Canaria gefunden), denn er wird – nach zwanzig Jahren als Vizekönig der atlantischen Kolonie Yucatan – nach Atlantis zurückgerufen. Dort herrscht inzwischen die ebenso wunderschöne und verführerische wie unberechenbare Phorenice, die den Thron usurpiert und sich selbst zur Göttin erklärt hat. Unter ihrer Herrschaft steht es im Land allerdings nicht zum Besten, denn Teile der Bevölkerung hungern und rebellieren. Und als Phorenice sich dann auch noch Deucalion als neuen Ehemann ausguckt – der sich allerdings zwischenzeitlich in die sittsame Naïs verliebt hat – setzt sie eine Kette aus Ereignissen in Gang, die letztlich zum Untergang des ganzen Kontinents führen …
Auch wenn man dem Roman natürlich in vielerlei Hinsicht sein Alter anmerkt, funktioniert er als Abenteuergeschichte immer noch erstaunlich gut; außerdem ist er – als Bindeglied zwischen den Lost-Race-Romanen eines Henry Rider Haggard (dessen Ayesha vermutlich das Vorbild für Phorenice war) und den mit mehr phantastischen Elementen angereicherten Geschichten, die wenig später in den Pulps auftauchen sollten – auch genrehistorisch interessant, denn er wartet neben dem Love Triangle, an dessen einem Eckpunkt eine Femme Fatale steht (wie es z.B. später bei A. Merritt häufig der Fall war) auch mit Meeres- und Flugsauriern, Drogen, die in einen todesähnlichen Schlaf versetzen können, mittels Solarenergie betriebenen Schiffen und Magie auf. Aber man muss auch sagen, dass es um dieses Atlantis letztlich nicht schade ist, denn selbst Deucalion, der ja einen Sympathieträger darstellen soll, ist das Leben und Leiden der einfachen Bevölkerung vollkommen gleichgültig, und die aus fernen Ländern (d.h. zumeist aus Europa) stammenden Sklaven verachtet er zutiefst.
Vielleicht schlägt hier ein bisschen C.J. Cutcliffe Hynes eigene Verachtung für andere Ethnien, Länder, Religionen und für Frauen durch, die vor allem seine Captain-Kettle-Geschichten heute unlesbar machen (auch wenn eine dieser Geschichten, in denen Kettle mit einem Schiff auf dem Kongo unterwegs ist, Joseph Conrad beim Schreiben von Heart of Darkness beeinflusst haben soll). Hynes rassistische und menschenverachtende Einstellung ist auch der Grund, warum wir an ihn nicht explizit erinnern – und schon gar nicht seiner gedenken – wollten, sondern eine neutralere Überschrift gewählt haben. Und was The Lost Continent angeht, könnte man auch sagen, dass die Götter selbst beschlossen haben, die arroganten Atlanter und ihre Kultur vom Antlitz der Erde zu tilgen …
Dass der Roman selbst – im Gegensatz zu Hynes anderen Werken – nicht auf ähnliche Weise von der Bildfläche verschwunden ist, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Lin Carter ihn 1972 in die von ihm herausgegebene Ballantine-Adult-Fantasy-Reihe aufgenommen hat; zumindest ist er seither immer mal wieder bei anderen Verlagen veröffentlicht worden.

* – die Erklärung für die etwas andere Überschrift findet sich am Ende des Texts
** – die Veröffentlichung von Ignatius Donnellys “Sachbuch” Atlantis: The Antediluvian World (1882) hatte eine wahre Flut von Atlantis-Romanen nach sich gezogen, doch die meisten drehen sich entweder um okkulte Themen oder sind mehr oder weniger unverhüllte politische Traktate

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