Bibliotheka Phantastika erinnert an A. Merritt, dessen Geburtstag sich heute zum 130. Mal jährt. Der am 20. Januar 1884 in Beverly, New Jersey, geborene Abraham Grace Merritt – der zu Lebzeiten im Original fast immer unter A. Merritt veröffentlichte – dürfte heutzutage in Deutschland allenfalls noch Genrekennern ein Begriff sein, dabei war er während seiner rund ein Vierteljahrhundert währenden Karriere einer der erfolgreichsten und bekanntesten Pulp-Autoren, den seine Fans als “Lord of Fantasy” bezeichneten, und dessen Werke (von einer einzigen Ausnahme abgesehen) nicht nur bereits kurz nach ihrer Magazinveröffentlichung eine Hardcoverausgabe erlebten, sondern auch in den folgenden Jahrzehnten vor allem in den USA immer wieder neu aufgelegt wurden. Was seine Romane und Erzählungen heute noch – zumindest unter genrehistorischen Gesichtspunkten – interessant macht, ist die Tatsache, dass er quasi an der Schnittstelle zwischen dem nur marginal phantastischen Abenteuerroman und der sich gerade konstituierenden Fantasy steht, indem er sich einerseits mehrfach der Lost-Race-Thematik bediente, andererseits gelegentlich neue Ideen und Konzepte verwendete, die erst viel später zur vollen Blüte kommen sollten.
Merritts schriftstellerische Karriere begann im November 1917 mit der Veröffentlichung der Kurzgeschichte “Through the Dragon Glass” in All-Story Weekly, in der sich bereits viele der für sein Werk typischen Elemente wie der tapfere Held, die zu rettende exotische Schönheit, eine fantastische Welt und eine adjektivüberladene, verschnörkelte, melodramatische Sprache finden lassen. Zwei Monate später folgte “The People of the Pit” im gleichen Magazin, in der ein nichtmenschliches, göttergleiches, mit Tentakeln bewehrtes Wesen eine wichtige Rolle spielt und die möglicherweise den jungen Lovecraft mehr als nur ein bisschen beeindruckt hat.
1919 erschien mit The Moon Pool (dt. Der Mondsee (1978), auch Der Mondteich (NÜ 1988)) Merritts erster Roman, der aus der gleichnamigen Erzählung und dem sechsteiligen Serial “The Conquest of the Moon Pool” (beides wiederum in All-Story Weekly) hervorgegangen war. In dem einerseits typischen, wenn auch kompliziert angelegten Lost-Race-Roman, der allerdings in der Darstellung und Entstehungsgeschichte des ebenfalls vorhandenen Monsters weit über die normale Lost-Race-Thematik hinausgeht, bekommt es der Held gleich mit zwei schönen Frauen zu tun – und natürlich gilt in diesem Fall: je verführerischer und sinnlicher eine Frau ist, desto gefährlicher ist sie. Diese Konstellation – hier die unschuldige, sittsame schöne Heldin, dort die ebenso schöne, aber verführerisch-sinnliche Femme fatale, die zudem häufig über ein gefährliches, nichtmenschliches Monstrum gebietet – findet sich in einigen weiteren Romanen Merritts, allerdings nicht in der Quasi-Fortsetzung The Metal Monster (Erstabdruck 1920 in Argosy, rev. Buchveröffentlichung 1945).
Nur durch eine vage Rahmenhandlung mit The Moon Pool verbunden, ist The Metal Monster (dt. Metallstadt (1988)) Abraham Merritts in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlichster Roman: Zunächst einmal als seine erste Veröffentlichung in Argosy, dem wohl prestigeträchtigsten und am besten zahlenden Pulp-Magazin, dann als einziger Roman, der mehr als zwanzig Jahre auf eine Hardcoverausgabe warten musste – und schließlich inhaltlich, denn in ihm schildert Merritt auf eine für ihn ungewöhnlich zurückgenommene Weise im Gewand eines Lost-Race-Romans die Begegnung einer Himalaya-Expedition mit einem unsagbar fremdartigen und fremden außerirdischen Lebewesen, die mutmaßlich (erneut) H.P. Lovecrafts kosmische Horrorvisionen spürbar beeinflusst haben dürfte.
In The Ship of Ishtar (1926; Erstveröffentlichung 1924 in Argosy; dt. in zwei Bänden als Schiff der Ischtar und König der zwei Tode (beide 1977) bzw. in einem Band als Insel der Zauberer (1999)) ist Merritt stilistisch dann wieder ganz der Alte. Der Roman erzählt die Abenteuer des Archäologen John Kenton, der auf magische Weise in eine Parallelwelt und auf das titelgebende Schiff gerät, das auf einem ebenso endlos wie leer erscheinenden Ozean dahintreibt und auf dem sich die Repräsentanten der miteinander streitenden Götter Ishtar und Nergal seit ewigen Zeiten bekämpfen. In gewisser Hinsicht ist The Ship of Ishtar ein Vorläufer der Heroic Fantasy oder der Sword & Sorcery und lebt von Merritts barocker, die Handlung aber immer rasch vorantreibender Prosa, die teilweise ungemein plastische, exotische Bilder heraufbeschwört. Nicht zuletzt auch wegen des Endes kann man The Ship of Ishtar auch heute noch lesen … wenn, ja wenn man mit Helden, Schurken und schönen Frauen leben kann, die nur jeweils eine einzige Eigenschaft besitzen – nämlich heldenhaft, schurkisch oder schön zu sein –, die aber im Übermaß. Die Argosy-Leser haben sich davon zumindest nicht abhalten lassen und den Roman zum besten jemals in ihrem Magazin veröffentlichten Fantasytext gewählt.
Auch in The Face in the Abyss (1931; entstanden aus der gleichnamigen, 1923 in Argosy erschienen Erzählung und dem Serial “The Snake Mother” (1930); dt. Die Schlangenmutter (1980), auch Das Gesicht im Abgrund (NÜ 1987)) schildert Merritt eine fantastische Welt, zu der man dieses Mal in den Bergen von Peru Zutritt erlangt und in der es nicht nur eine, sondern gleich mehrere “vergessene Rassen” gibt. Die Lost-Race-Thematik findet sich ebenso in Dwellers in the Mirage (1932; Erstabdruck im gleichen Jahr in Argosy; dt. in zwei Bänden als Königin im Schattenreich und Die Höhle des Kraken (beide 1978), auch Das Volk der Fata Morgana (NÜ 1986)); dieser Roman kann es zwar in punkto Farbigkeit nicht ganz mit seinem Vorgänger aufnehmen, dafür sind die beiden Frauen, zwischen denen der Held sich entscheiden muss, überzeugender gezeichnet als in Merritts früheren Romanen (wobei man nie vergessen sollte, dass Dwellers für die Pulps geschrieben wurde), und er scheint hier seinerseits H.P. Lovecraft in Form des Krakengottes Khalk’ru seine Reverenz zu erweisen.
Dass Abraham Merritt stilitisch auch ganz anders konnte, beweist er in Seven Footprints to Satan (1928; Erstabdruck 1927 in Argosy), einem Krimi, mit dem er sich auf Sax-Rohmer-Territorium begeben hat und der erstaunlich schnörkellos und geradlinig erzählt ist. Das Gleiche gilt für den Horrorroman Burn, Witch, Burn! (1933; Erstabdruck 1932 in Argosy; dt. Die Puppen der Madame Mandilip (1956), auch Flieh, Hexe, flieh! (NÜ 1973)), während dessen Quasi-Fortsetzung Creep, Shadow, Creep! (1935; Erstabdruck als “Creep, Shadow!” 1934 in Argosy; dt. Die Königin der Schatten (1978)) stilistisch wieder weniger zurückgenommen ist und auch durch die monströse Kreatur, die in ihm eine wichtige Rolle spielt, einen Bogen zu Merritts Lost-Race-Romanen schlägt.
Bei seinem Tod am 21. August 1943 (im Alter von noch nicht einmal 60 Jahren) hat Abraham Merritt mehrere Story-Fragmente hinterlassen, die teilweise von einem seiner Freunde, dem Grafiker und Schriftsteller Hannes Bok vervollständigt wurden. Bei diesen als The Fox Woman and the Blue Pagoda (1946) bzw. The Black Wheel (1947) erschienenen Geschichten merkt man allerdings rasch, dass Merritts gewiss manchmal zu üppiger, aber in sich meist stimmiger Stil sich gar nicht so leicht kopieren oder simulieren lässt. Natürlich wirkt Merritt heutzutage weder stilistisch noch inhaltlich auch nur ansatzweise zeitgemäß sondern ziemlich “gestrig” – seine Frauenfiguren scheinen genau genommen nicht nur von gestern, sondern von vorgestern zu stammen; um so erstaunlicher ist es, dass seine Helden ihnen trotzdem gelegentlich sehr hilflos gegenüberstehen –, aber er hat der Fantasy mit seinen teilweise überbordenden Beschreibungen fremder, fantastischer, wirklich exotischer Welten eine Tür geöffnet, durch die sie seither immer wieder gerne geschritten ist.
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