Zum Gedenken an George R. Stewart

Bibliotheka Phantastika erinnert ohne besonderen Anlass* an George R. Stewart. Der am 31. Mai 1895 in Sewickley, Pennsylvania, geborene und am 22. August 1980 im Alter von 85 Jahren verstorbene George Rippey Stewart war Sprachforscher und Englischprofessor an der University of California in Berkeley und hat etliche Romane und Sachbücher geschrieben. Zwei dieser Romane – nämlich Storm (1941; dt. Sturm (1950)) und Fire (1948; dt. Feuer (1952)) – könnte man als Katastrophenromane bezeichnen; der titelgebende Sturm im ersten dieser Romane wird Maria genannt, was der Auslöser dafür war, dass daraufhin das Nationale Wetteramt der USA Taifune und Hurrikans mit Frauennamen bezeichnet hat. Aber der Grund, warum George R. Stewart heute hier auftaucht, ist nicht diese durchaus fragwürdige Tradition, sondern sein einziger Ausflug in die SF, den man – mit ein wenig gutem Willen – ebenfalls als Katastrophenroman bezeichnen könnte, wobei es in ihm um die größte aller Katastrophen geht.
Earth Abides von George R. StewartIn Earth Abides (1949; dt. Leben ohne Ende (1952; rev. NA 2016)) hat die Katastrophe allerdings bereits stattgefunden, als Isherwood Williams nach einem Ausflug in die Berge – der länger gedauert hat als geplant, da er dort von einer Schlange gebissen wurde und erst wieder genesen musste – ins heimische Berkeley zurückkehrt und die Stadt menschenleer vorfindet, genau wie die nähere und weitere Umgebung. In alten Zeitungen liest er etwas über den Ausbruch einer Seuche, und stößt schließlich bei weiteren Fahrten auf erste Überlebende, doch beschließ er zunächst, lieber allein zu bleiben. In den Läden gibt es noch (haltbare) Nahrungsmittel, die Wasserversorgung funktioniert noch, und es gibt sogar noch Strom – zumindest ein Weilchen. Und dann begegnet er einer jungen Frau namens Emma …
Earth Abides ist zwar ein Post-Doomsday-Roman (und nicht nur nach Meinung von John Clute einer der besten), unterscheidet sich aber deutlich von den meisten Werken dieses Genres, denn in ihm stehen keineswegs gewalttätige Auseinandersetzungen – sei es zwischen Gruppen von Überlebenden oder mit Zombies oder anderen “Veränderten” – im Mittelpunkt. Statt dessen begleiten wir Isherwood Williams, der nach der Katastrophe noch viele Jahrzehnte weiterlebt und zum Anführer – oder sagen wir lieber Spiritus Rector – eines kleinen “Stammes” wird und versucht, die Errungenschaften der Zivilisation zu bewahren und weiterzugeben, auch wenn sich das in der sich immer weiter verändernden Welt als zunehmend problematisch erweist.
Auch erzählerisch ist Earth Abides verglichen mit neueren Werken eher ungewöhnlich (und durch den Mangel an Action und die narrativen Raffungen für Leserinnen und Leser, die bislang nur moderne Werke kennen, vielleicht schwere Kost), denn Stewart ist zwar teilweise ganz nah bei seinen Protagonisten, zoomt aber auch manchmal fast schon in Stapledon-Manier auf und erweitert den Blickwinkel, sorgt für eine ganz andere Einordnung des Geschehens.
Natürlich merkt man dem Roman, der 1951 mit dem erstmals vergebenen International Fantasy Award ausgezeichnet wurde, in mehr als einer Hinsicht sein Alter an, aber die einzigartige, keineswegs düstere, sondern eher wehmütige Stimmung, die diesen Abgesang auf unsere Art zu leben durchzieht, macht ihn auch heute noch lesenswert.
Noch eine kleine Anmerkung: Ish, Isherwoods Spitzname, ist eine direkte Referenz an Ishi, den letzten Überlebenden der Yahi, über den Theodora Kroeber, die Mutter von Ursula K. Le Guin, ein Buch mit dem Titel Ishi in Two Worlds (1961; dt. Der Mann, der aus der Steinzeit kam (1967)) verfasst hat, das auch als Vorlage für Dokumentar- und Spielfilme gedient hat.

* – der besondere Anlass war ursprünglich George R. Stewarts 125. Geburtstag im letzten Jahr, doch zum damaligen Zeitpunkt hatten wir gerade Probleme mit dem Blog

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