Während Jin Li Tam gen Y’Zir segelt, um ihren geheimen Auftrag zu erfüllen, kämpft ihr Gemahl Rudolfo in den Neun Wäldern nicht nur gegen die überbordende Macht der Y’Ziriten – die ihn als Verbündeten ausersehen haben und um keinen Preis aus dieser Rolle entlassen –, sondern das Gefühl, betrogen und verlassen worden zu sein. Winters und ihr vertriebenes Volk versuchen eine neue Bleibe zu finden und sich die Hoffnung zu bewahren, dass die Mission von Neb, der sich in etwas Unnahbares und Unverständliches verwandelt hat, doch noch von Erfolg gekrönt ist und ihnen den Weg in ihre wahre Heimat öffnet.
-A gibbous moon hung in the predawn sky, casting shades of blue and green over a blanket of snow. Fresh from the gloom of the woodlands behind her and not even an hour past the warmth of the thick quilts and crackling fire of her family’s home, Marta clutched her stolen sling and cursed the rabbit for running so far and so fast.-
Prelude
Im vierten Band der Psalms of Isaak befinden wir uns auf dem Höhepunkt einer vielschichtigen und aus vielen Blickwinkeln erzählten Saga, jeder Handlungsstrang ist durch drei Bände Vorgeschichte belastet, so dass es schwierig wird, auch nur einen allgemeinen Überblick über den Inhalt zu geben. Deshalb zu Beginn vielleicht ein Hinweis für die Kenner der Reihe, der eine der wichtigsten Fragen beantwortet: Trotz des Titels und der düsteren Vorankündigungen wird Requiem keine Tragödie. Es geht – wie schon der letzte Band – mit einer gewissen Sterbequote an die Nieren und bringt in verschiedenen Ausprägungen das Thema der Endlichkeit zur Sprache, doch ein desolates Trauerspiel, das mit aller Kraft auf die Tränendrüse drückt, bevor der letzte Band erscheint, ist es nicht geworden.
Zunächst bricht die Geschichte endgültig aus dem längst nicht mehr geschützten Rahmen der Benannten Lande aus und führt in eine größere und komplexere Welt, in der die Regeln der Moral und dessen, was man wissen kann, neu definiert werden. Die Linien verschwimmen zusehends, Recht und Unrecht, Gut und Schlecht vermischen sich zu einer riesigen Grauzone, in der sich keine der Figuren wohlfühlt. Der Wunsch nach Klarheit, der alle antreibt, und die Verwirrung und Ohnmacht aufgrund des fehlenden objektiven Standpunkts sind sehr moderne Empfindungen, die Scholes meisterlich in einem Fantasy-Setting fühlbar gemacht hat, und das ist in dem Subgenre, in dem er sich bewegt, eine beachtliche Leistung, denn wenn man mit Rudolfo, Jin, Neb, Petronus, Vlad und Winters ins Schwimmen gerät, sticht ins Auge, wie abhängig die Struktur der epischen Fantasy mit ihren Prophezeiungen (die sich hier ein ums andere Mal als von langer Hand geplant erweisen), ihren in einem festen Fundament verankerten Religionen und Grundsätzen und ihren schicksalshaften Rollen für Individuen von einer unbestreitbaren Wahrheit ist. Eine spannende Frage ist demnach auch die, ob eine solche im letzten Band gefunden wird.
Als Nebeneffekt, der allerdings enorme Wirkung auf die Figuren hat, lockert sich auch das vorher klar bestimmte Beziehungsgeflecht: Räumliche Trennung löst vormals enge Verhältnisse, politische Bündnisse zerbrechen vollständig, jede Verbindung wird aufs Härteste erprobt und hält oftmals nicht stand. Dennoch bleibt das Familienthema zentral, es zurrt sich sogar immer enger um den mythisch aufgeladenen Handlungskern zusammen: Das verzweigte und mehrfach gebrochene Narrativ der Familie Tam wird abermals auf den Kopf gestellt, und die Verbindungen zwischen Mechoservitoren, Menschen und alten Göttern scheinen zugleich liebevoll und schrecklich.
Es fällt auf, wie sehr bei allen männlichen Figuren das Thema der Vaterschaft in den Vordergrund rückt, und manchmal scheint das Ganze thematisch fast etwas zu sehr durchkalkuliert, etwa wenn jeder der (männlichen) Helden sich mit Verführung und der Treuefrage auseinandersetzen muss, die sich in Zeiten zerbrechender Bande stellt.
Zum Glück werden aber auch neue Beziehungen geknüpft: Ein Neuzugang unter den Figuren, aus deren Sicht erzählt wird, ist das Mädchen Marta, die sich mit einem Mechoservitor anfreundet. Ein Kind und ein Roboter – die bezaubernden Szenen, die diese Konstellation bietet, heben die Laune inmitten des schweren Stoffs. Martas Kombination aus unmittelbarer, kindlicher Weltsicht und Unschuld einerseits und ihrem Durchblick, der dem der Erwachsenen oft überlegen ist, hat etwas Erfrischendes inmitten der ganzen gereiften Personen, die die Psalms of Isaak sonst bestreiten, manchmal jedoch macht sie den Eindruck, etwas zu sehr die emotionale Auffassungsgabe eines Erwachsenen zu besitzen.
Dass es thematisch und auf der Figurenebene hoch hergeht, ist allerdings nicht das, was diesen Band zum wahren Genuss macht: Ken Scholes ist ein Mythenschöpfer, und in Requiem hat er seine Helden an Positionen manövriert, wo er seine Schöpfungen zum Funkeln bringen kann. Wir betreten nicht nur die Terra incognita der Benannten Lande, sondern den Mond, den man im geradlinigen, aber trotzdem bisweilen poetischen Stil der Reihe nur zu gerne erkundet.
Für Leser und Leserinnen kristallisieren sich dabei immer mehr Hintergründe heraus, wenn man im Auge behält, dass Scholes hier SF-Elemente mit den Mitteln der Fantasy ausdrückt. Dadurch kommt ein neuer Blickwinkel auf Vertrautes zustande, man sieht sozusagen doppelt: Aus Figurensicht bleiben die SF-Aspekte unerklärlich und mystisch, und sie bewahren diese Aura, auch wenn man aus Lesersicht mehr weiß.
Die Psalms of Isaak stehen damit vor einem Finale, in dem alles passieren kann und nur eines klar ist: Die Welt, wie sie war, ist in ihren Grundfesten erschüttert.