Subgenre: Science Fantasy

Cover des Buches Aether von Ian R. MacLeodEngland – Die Industrialisierung hat einen Höhepunkt erreicht. Die Fabriken arbeiten auf Hochtouren, vor allen Dingen um ein besonderes Produkt herzustellen: Aether. Ohne Aether würde nichts in England funktionieren. Aether hat England mächtig gemacht – und reich, vor allen Dingen einige Gilden, die eine Art Standesvertretung der verschiedenen Berufszweige sind, und deren führende Mitglieder, die Großmeister. Der junge Robert Borrows soll in einer der Aetherfabriken in der nordenglischen Provinz Werkzeugmacher werden, doch als seine Mutter unter grauenvollen Umständen stirbt, entschließt er sich, nach London zu gehen. Dort schließt er sich einer revolutionären Gruppe an und verliebt sich in ein Mädchen, das zu einer der mächtigsten Familien Englands gehört.

-Ich sehe sie immer noch. Ich sehe sie im ärmsten Teil von London. Jenseits der neuen Eisenbrücken, auf denen die Straßenbahnen über die Fähren hinweggleiten – dort, wo die Themse sich vielarmig im Schlick der Gezeitenzone ausbreitet.-
Teil 1 Großmeister

Aether (The Light Ages) ist ein Entwicklungsroman, der vom gesellschaftlichen Aufstieg eines Opportunisten erzählt, er erzählt aber auch von einer Liebe und von einer großen Lüge. Ian R. MacLeod übt Gesellschaftskritik und er vermittelt dem Leser das Gefühl, eine perfekte Beschreibung der englischen Klassengesellschaft im 19. Jahrhundert zu erhalten. Nur – der Roman spielt nicht im 19. Jahrhundert, sondern am Ende des Dritten Industriellen Zeitalters. Die Arbeiter schuften nicht in Bergwerken und Baumwollwebereien, sondern in Aetherfabriken. Nicht Adlige und Industriebarone haben die Macht, sondern die Großmeister der bedeutendsten Gilden und es gibt Klassenkämpfer, Sozialrevolutionäre, die das System stürzen wollen, auch wenn sie nicht Marx und Engels heißen. Ian R. MacLeod erschafft eine Welt, die dem Leser vertraut ist, weil sie zur europäischen Geschichte gehören zu scheint, andererseits ist sie faszinierend fremdartig. Der Aether hält zwar Maschinen zusammen, die ohne ihn auseinanderfallen würden, aber er birgt auch Gefahren. Mit Aether kann man aus Tieren Monster machen und es gibt Menschen, die nach Unfällen zu furchtbar entstellten Wesen wurden, leidende Kreaturen, die in besonderen Anstalten verwahrt werden müssen. Trotzdem schildert MacLeod keine Horrorszenarien, er legt es nicht darauf an, beim Leser Schockeffekte hervorzurufen, er beschreibt die Wirklichkeit des Dritten Industriellen Zeitalters auf eine selbstverständliche, unspektakuläre Weise und erschafft damit eine ganz besondere Atmosphäre und das obwohl die Menschen in Aether genauso sind, wie sie schon immer waren: Machtgierig, voller Ideale, desillusioniert, verliebt, aufopferungsvoll, egoistisch, widersprüchlich – kurz gesagt: menschlich.

Bearing An HourglassNorton verbringt einen Großteil seines Lebens außerhalb der Städte in Parks und geht den Menschen lieber aus dem Weg. Eines Tages erscheint ihm jedoch ein Geist, der ihm ein ungewöhnliches Angebot macht: Die frisch angetraute Braut des Geistes – Orlene – soll einen Nachkommen in die Welt setzen und Norton die Befruchtung übernehmen. Norton, zunächst wenig interessiert, stimmt jedoch zu, als er Orlene kennen lernt und sich in sie verliebt. Was zunächst mit einer glücklichen Zeit für die beiden beginnt, endet auf die schlimmstmögliche Weise und führt Norton direkt in seine Rolle als neuer Chronos, der sich rückwärts durch die Zeit bewegt.

– »Look at it this way: I have no physical body and I need an heir. I’m asking you to substitude for me in this one respect. After that you can go your way, with no further commitment. It’s like repairing my house for me, and I’ll pay you for the service–«
»Some service!« –
Kapitel 1: Ghost Marriage

Bearing an Hourglass (Der Sand der Zeit) ist der zweite Teil der Incarnations of Immortality mit Chronos, dem Vater der Zeit, als Hauptperson. Während der erste Band On A Pale Horse eher skurril und humorvoll daherkam, ist der vorliegende Band deutlich schwerfälliger, was sicher auch der tragischen Umstände zu verdanken ist, die Norton zum neuen Chronos werden lassen.
Selbstverständlich ist auch Satan wieder mit von der Partie und versucht den noch unerfahrenen Norton für sich zu gewinnen, dessen Fähigkeiten als Vater Zeit für sich zu nutzen und die Vergangenheit zu seinen Gunsten zu verändern. Im Verlaufe dieses Handlungsstrangs treffen wir wieder auf Zane als Gevatter Tod und dessen Gefährtin Luna, der es erneut an den Kragen gehen soll. Bis Chronos merkt, was er unwissentlich getan hat, ist es beinahe schon zu spät, und der Leser taucht in ein rasantes Endspiel ein.

Die Charaktere selbst sind wieder wunderbar gezeichnet, man erfährt viele Details aus dem Leben Nortons, der Funktion Chronos’, seinem Verhältnis zu den anderen Inkarnationen, aber auch einiges über diese selbst. Besonders interessant hierbei ist, dass Bearing An Hourglass keine typische Fortsetzung zu On A Pale Horse (Reiter auf dem schwarzen Pferd) darstellt, sondern sich eher wie ein Crossover liest. Die bekannten Figuren, die natürlich in beiden Romanen auftauchen, stellen zwar eine Gemeinsamkeit dar, daneben befasst sich jedoch jedes Buch der Incarnations of Immortality (Die Inkarnation der Unsterblichkeit) mit der jeweiligen Inkarnation und lässt geschehene Ereignisse aus dem Vorgängerband auf unterhaltsame Weise zu einem spät auftauchenden Nebenstrang werden. Dadurch lassen sich die einzelnen Bände dieser Reihe auch sehr gut außerhalb der Reihenfolge lesen, obwohl es für nette kleine Aha-Erlebnisse sorgt, wenn man sie beibehält.

Trotz dieser guten Ansätze kommt das Buch aber nicht so recht in die Gänge. Es ist keine leichte Unterhaltungslektüre, bei der die Seiten vor Spannung dahinfliegen, denn der deprimierende Beweggrund für Chronos, seine Position als Inkarnation einzunehmen, ist stets gegenwärtig, was ein lockeres Dahintreiben der Story recht schwierig macht. Da sich dieser Roman zusätzlich in verschiedenen Zeitlinien abspielt und das manchmal wichtige Realitätsveränderungen nach sich zieht, sollte man Bearing an Ourglass in aufmerksamem Zustand lesen, sonst verpasst man schnell einen für den logischen Ablauf wichtigen Punkt.

Das Einzige, was man Bearing An Hourglass neben einer leicht depressiven Grundstimmung negativ ankreiden muss, ist die stellenweise sehr träge Entwicklung der Handlung und ein paar störende, irgendwie unsinnig erscheinende Sequenzen, in denen Norton von Satan in eine Art Parallelwelt geschickt wird. Obwohl Piers Anthony hierfür viele nette Einfälle hatte und eindeutig Klischees des Genres durch den Kakao zieht, wirken diese Stellen manchmal etwas zu albern und letztlich auch überflüssig in ihren ausführlichen Schilderungen. Sie fügen sich nur mühsam in den Rest der Handlung ein, scheinen eher Seitenfüller als relevante Ereignisse zu sein und verhindern ein rundes Gesamtbild des Romans.
Fans etwas ungewöhnlicher Urban Fantasy mit Hang zur Science Fiction werden aber sicherlich weiterhin auf ihre Kosten kommen. Denn der Weltenbau ist, wie im Roman zuvor, interessant durchdacht, birgt ungewöhnliche Ideen, viel Fantasie, und hin und wieder kommt auch ein Spritzer Humor dazu. An die unterhaltende Qualität seines Vorgängers kommt Bearing An Hourglass aber nicht ganz heran.

Bitter Seeds von Ian TregillisIm Jahr 1939 wird der britische Agent Raybould Marsh Zeuge eines mysteriösen Vorgangs: Er verliert einen Informanten in einem Flammeninferno und sieht kurz darauf eine Frau, an deren Kopf Drähte angeschlossen sind. Bald wird klar: Die Deutschen verfügen über eine neue Waffe – Menschen mit übernatürlichen Kräften. Dieser Bedrohung müssen die Briten etwas entgegensetzen, und zum Glück erinnert sich Raybould an einen Freund, der behauptet, zu einer langen Tradition britischer Hexenmeister zu gehören. Doch sowohl die Zauberkunst, bei der man im glücklichsten Fall mit einem Blutopfer davonkommt, als auch die Kräfte der Übermenschen, die unter schrecklichen Schikanen ausgebildet werden, haben einen Preis.

-Murder on the wind; crows and ravens wheeled beneath a heavy sky, like spots of inks splashed across a leaden canvas.-
Prologue, 23 October 1920, 11 kilometeres southwest of Weimar, Germany

Nazi-Superhelden gegen britische Geheimagenten und Okkultisten, die mit cthulhoiden Mächten Verträge aushandeln, das klingt eher nach einem Comic als nach literarischer Phantastik, und das nicht nur, weil die Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht gerade ein Setting ist, das häufig zum Schauplatz von Fantasy-Romanen wird. Sämtliche Trash- und Fun-Assoziationen werden allerdings ausgeräumt, sobald man die Prämisse von Bitter Seeds erkannt hat: Der Roman nimmt diese Rahmenbedingungen bitter ernst und zieht sie konsequent durch.
Ian Tregillis versucht das Ungetüm Krieg zu erfassen, und die Überzeichnung mit den durch Willenskraft, Gehirnverdrahtung und brutales Aussieben und Training herangezüchteten Übermenschen und den in ihrer geheimen, verschleißreichen altehrwürdigen Tradition im Grunde nicht minder schrecklichen Hexenmeistern lässt letztlich nur zu Tage treten, was für kriegerische Zeiten ohnehin symptomatisch ist: Die Entmenschlichung des Gegners, gestützt von Völkerhass und Rachegefühlen, das Aufschaukeln der Kriegshandlungen, die Härte bzw. erzwungene Abhärtung der Entscheider und andere Mechanismen werden akzentuiert herausgearbeitet.

Gerade der letzte Punkt tritt durch die klassische Figurenzeichnung stark hervor, wenn die Protagonisten der jeweiligen Partei bei ihrem Werdegang und im Laufe der Romanhandlung abwechselnd begleitet werden: Will Beauclerk, der adlige Lebemann, der hart mit der Realität des Übernatürlichen kollidiert, als sein Land (und vor allem sein bester Freund) magischer Fähigkeiten bedürfen und ihn zum Organisator des Zusammenschlusses der eigenbrötlerischen britischen Hexer machen. Auf der Gegenseite sind es der ambitionierte Klaus, der substanzlos durch Wände gehen kann, und seine Schwester Gretel, ein undurchschaubares, aber für die Führungsriege unverzichtbares Orakel, deren Schicksal man verfolgt. Und dazwischen schließlich Raybould Marsh, der Agent ohne besondere Kräfte, der ein immer größeres persönliches Interesse an dem Konflikt entwickelt (was bestens mit seiner Aufgabe beim Staat einhergeht) und durch seinen kompromisslosen Einsatz mindestens genauso zeigt, welchen Preis kriegerische Gewalthandlungen vom Einzelnen und der Gesellschaft fordern – diese unschöne Gleichung macht Bitter Seeds auf sehr anschauliche Weise immer wieder sichtbar.
Dabei bleiben auch beide Seiten nachvollziehbar, und man könnte nicht einmal eindeutig sagen, dass die Superhelden als vollkommener Ausdruck der Nazi-Gesinnung eindeutig die schrecklichere Variante sind.

Tregillis hat auch daran gedacht, den titanischen Kräften, die er ins Spiel bringt, Begrenzungen aufzuerlegen. Während die Übermenschen stets nervös ihren Batterie-Ladestatus im Auge behalten müssen, sind die Hexer eher in Sorge um ihre Gliedmaßen und ihren Geisteszustand. Das führt neben der starken historischen Einbettung dazu, dass übernatürliche Kräfte nicht nur kreativ und klug geplant eingesetzt werden, sondern auch zu einer realistischen und glaubhaften Darstellung dieser Fähigkeiten, die man beinahe wie Raybould Marsh und sein Vorgesetzter zunächst wie auf verwackeltes Zelluloid gebannt vor sich sehen kann.
Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass in Bitter Seeds zwar historisches Kriegsgeschehen Eingang gefunden hat, das aber im Verlauf der Geschichte in einen stark veränderten Alternativentwurf mündet. Für den Wiedererkennungswert setzt Ian Tregillis vor allem auf Elemente, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind (etwa die Evakuierung der britischen Kinder aufs Land).

Die Ereignisse des Romans – Entscheidungen, Kämpfe, schicksalshafte Begegnungen – sind beinahe zu perfekt aneinander gereihte Streiflichter, ineinandergreifende Einzelszenen, die sich unweigerlich zur Katastrophe aufschaukeln. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade die Figurenhintergründe noch etwas besser hätten ausgeleuchtet werden können. Besonders Marsh, die “gewöhnliche” Identifikationsfigur, die in ihren ganz eigenen Abgrund taumelt, wirkt seltsam distanziert, und der maßgebliche Einfluss, nämlich sein Familienleben, bleibt letztlich eine Chiffre – aber vielleicht war auch kein Gegenpol zu dem grimmigen Schlagabtausch gewünscht.
Richtig glänzen kann Ian Tregillis vor allem in der Beschreibung des Schrecklich-Erhabenen: Wenn die Eidolons ihre Aufwartung machen, jene Wesenheiten, die seine John-Dee-Nachfolger für die Verteidigung des Königreichs heraufbeschwören, wächst er bei der Beschreibung dieser fremdartigen Präsenzen über sich hinaus.
Nicht nur ihretwegen, sondern auch aufgrund der Handlungen der fast ebenso unheimlichen Gretel, die anhand ihrer Visionen die Zukunft völlig skrupellos, aber dennoch mit dem berühmten Schmetterlings-Flügelschlag formt, lautet die Frage, die Bitter Seeds am Ende stellt, weniger: wer handelt den Preis für den Sieg aus und wer bezahlt ihn?, sondern: wer kontrolliert die entfesselten Mächte eigentlich wirklich?

Der zweite Band der Trilogie widmet sich, wie der Titel The Coldest War bereits ankündigt, einer späteren Epoche des Konflikts, so dass Bitter Seeds auch ein halbwegs abgeschlossenes Leseerlebnis bietet.

Blade of Tyshalle Matthew Woodring StoverHari Michaelson tritt nicht mehr als Caine auf. Seit seinem letzten Abenteuer auf Overworld hat er einen Posten beim Studio, und dort sitzt er – von der Hüfte abwärts gelähmt – seine Zeit ab, entfremdet von sich selbst und seiner Frau. Die Studio-Bosse haben allerdings Pläne, die weit über die bisherigen Eingriffe auf Overworld hinausreichen, denn wartet dort nicht eine neue Welt, die alle Ressourcen bietet, die die Menschheit bereits verbraucht hat?
Hari und seine Frau Shanna, auf Overworld die Flussgöttin Pallas Ril, wollen nicht tatenlos zusehen, ahnen aber nicht einmal, wie mächtig die Feinde sind, die sie sich auf der einen und der anderen Welt gemacht haben. Sie warten nur auf ihre Gelegenheit …

-A tale is told of twin boys born to different mothers.
One is dark by nature, the other light. One is rich, the other poor. One is harsh, the other gentle. One is forever youthful, the other old before his time.
One is mortal.-
Zero

Heroes Die, das erste Abenteuer des Schauspielers Hari Michaelson, der als Caine zum Fantasyhelden in einer Parallelwelt wird, definierte 1998 die Sword & Sorcery neu. Der Nachfolger Blade of Tyshalle sprengt Genregrenzen und überschreitet auch alle anderen Grenzen, auf die er im Laufe von knapp 800 klein bedruckten Seiten stößt.
Die Handlung könnte man zunächst als zweiten Aufguss von Heroes Die verstehen: Protagonisten, Antagonisten und der Konflikt ähneln sich, doch das Spiel mit Schauspieler und Publikum, mit der Geschichte und ihrer Verquickung mit den Rezipienten, das den ersten Band bestimmt, wird von einer breiteren Thematik abgelöst: Die Erde hat entdeckt, dass sich das von sogenannten Elfen und Zwergen bewohnte Overworld (diese Volksbezeichnungen sind ähnlich pejorativ zu verstehen wie in unserer Geschichte etwa “Rothäute”) noch viel direkter ausbeuten lässt als nur als Abenteuerspielwiese für Reality Shows. Vor allem aber ist Blade of Tyshalle größer, epischer, die Abgründe klaffen tiefer, es steht mehr auf dem Spiel, es wird mehr gelitten (oh, was wird zwischen diesen Buchdeckeln gelitten), und es gibt mehr zu bestaunen.

Statt nur Caine und hin und wieder einigen Nebendarstellern gibt es nun eine ganze Riege wichtiger Figuren; statt vorrangig auf einer Welt zu spielen, gibt es zwei Schauplätze, die nicht unterschiedlicher sein könnten: das magische Overworld kommt diesmal weit über eine bloße Kulisse hinaus, weite Teile des Romans spielen jedoch auch auf der zukünftigen Erde, in einer dystopischen, gnadenlosen Kastengesellschaft, in der nur Dinge weitergedacht wurden, die im Ansatz bereits vorhanden sind – Medienmacht, Reichtum, der bei einigen wenigen im Hintergrund bleibenden Mächtigen gebündelt ist, eine hoffnungslose Unterschicht und eine starke Polizeimacht, die dieses (anti-)soziale Gefüge zusammenhält. Stovers Gesellschaftskritik umschließt sowohl das große Ganze als auch kleine Details, wenn man von Einzelschicksalen in diversen Schichten erfährt oder das klassische Motiv des in einem solchen System gefährlichen gedruckten Buches zur Sprache kommt.
Da das Regime nun auch nach dem vergleichsweise idyllischen (wenn auch von paradiesischen Zuständen weit entfernten) Overworld lechzt, kann es seine ganze Brutalität in Form von Kolonialismus auch dort ausspielen, wo zwar keine Technik, sondern nur Magie funktioniert, indem es auf bewährte, alte Methoden zurückgreift, die schon den europäischen Konquistadoren gute Dienste geleistet haben.

Nietzsche, Heinlein und Howard, die innerhalb des Textes und in der Widmung genannt werden, zeigen die Eckpunkte für das auf, was dann als Reaktion folgt.
Trotz großer Figurenriege ist Blade of Tyshalle ein Buch Caines. Die Figur wird demontiert, filetiert sogar: Hari Michaelson/Caine (der noch viele weitere Namen bekommt und auch das Verhältnis zwischen seinen Persönlichkeiten ausloten muss) ist die Sorte Held, die erst ganz unten sein muss – und bei einem zähen Burschen wie ihm geht es verdammt weit nach unten – bis er wieder aufsteigen kann. Der Caine aus Heroes Die, der jede Situation im Griff hat, blitzt nur kurzzeitig auf, etwa dann, wenn er sich wie sein Vorgänger Conan auf einem Thron wiederfindet, ein Heer von Untertanen vor sich, obwohl er nicht zum Herrschen geschaffen ist und sein Fall bereits feststeht. Wenn man meint, aufgrund der Rückblenden in Blade of Tyshalle seine Biographie zu kennen, nimmt man Caine auch den fließenden Wechsel zwischen der Fäkalsprache des Slums seiner Herkunft und komplexen philosophischen Betrachtungen ab. Und am Ende wird man feststellen, ihn doch nicht gekannt zu haben.

Himmel und Erde werden in Blade of Tyshalle in Bewegung gesetzt, die Konflikte nehmen olympische Dimensionen an, existentialistische Philosophie steht neben knallharter Action, bluttriefender Brutalität und erhebenden, in beeindruckende Worte gefassten Momenten.
Die Grausamkeiten, die im Vorgängerband eigentlich schon eine Nummer zu groß waren, werden mit Links überschritten, Stover bedient sich hier klar aus der Effektschublade des Horrorgenres. Statt Sex und Gewalt gibt es nur Gewalt, denn brutaler Sex ist für Stover noch weniger als Gewalt ein Selbstzweck, sondern immer ein Machtmittel. Jedem Leser und jeder Leserin, die unappetitlichen Körperflüssigkeiten und Beschreibungen, bei denen man nur die Zähne zusammenbeißen und hoffen kann, sie mögen bald vorüber sein, lieber aus dem Weg gehen, kann man von der Lektüre nur abraten. Diese Szenen sind nicht nur um des Effekts willen vorhanden – extrem sind sie trotzdem.
Gerechtfertigt sind sie, wenn man so will, durch die extremen Themen, die Stover beackert: Wie in Blade of Tyshalle die Mechanismen der Adiaphorisierung und der Amoral der Massen greifbar gemacht und ins Zentrum der Handlung eines Fantasy-Romans gerückt werden, dürfte ein einzigartiges Meisterstück sein.

Die philosophischen Betrachtungen und Belastungstests der Ethik spielen sich nicht nur im Hintergrund ab, auch wenn Stover stark mit Leitmotiven arbeitet und seinen lebendigen, atemlosen Erzählstil beibehalten hat. Hinzu kommt ein Spiel mit der Erzählsituation des Romans und der Mythologisierung des Geschehens – wenn man sich also durchbeißen kann (durch die komplexe Thematik und die Brutalität) gibt es zum Ausgleich eine Ästhetik, die Ihresgleichen sucht. Die Sword & Sorcery wird in Blade of Tyshalle damit auf eine andere Ebene gehievt: Sie ist ein Erzählmodus, der den Rahmen für eine Geschichte vorgibt, die an allen Ecken und Enden aus ihrer Handlungsebene herausquillt.

Zu einem solchen monströsen Leviathan von einem Buch kann es auch nur ein persönliches Schlusswort geben: Mit Blade of Tyshalle hat Stover hoch gezielt, und es gibt allerlei Gründe, die dafür sprechen, dass er grandios gescheitert ist, dass man ein überambitioniertes, aus dem Ruder gelaufenes Projekt vor sich hat. Blade of Tyshalle ist vielleicht auch einer der Gründe, weshalb Stover trotz seiner innovativen, literarischen Romane nicht in einem Atemzug mit Steven Erikson genannt wird. Für mich ist Blade of Tyshalle dennoch ein großer Wurf, ein in allen Belangen beeindruckendes, erschlagendes Buch, das ich öfter als alle anderen aus dem Regal nehme. Und wer ein Nachwort verfassen kann, wie es in Blade of Tyshalle zu finden ist, darf vorher meinetwegen auch so oft “fuck” schreiben, wie er will.

Caine Black Knife von Matthew StoverDas Abenteuer, das Hari Michaelson in seiner Rolle Caine einst zum Star machte, ist eine Legende: Im Ödland von Boedecken hat er im Alleingang den gefürchteten Ogrilloi-Stamm der Black Knives so gut wie ausgelöscht.
Nun ist er gezwungen, sich an seine damaligen Taten zu erinnern – denn abermals brodelt es im Ödland, und Caines Adoptivbruder Orbek, einer der letzten der Black Knives, gerät in dem nun von den Rittern des Khryl beherrschten Landstrich in Nöte. Caine bricht auf und bekommt Ärger, kaum dass er angekommen ist: Seine Vergangenheit droht ihn auf vielfältige Weise einzuholen.

-»When you fuck with the bad guy –« Your true grin unfolds like a butterly knife »– the bad guy fucks you back.«-
then: Bad guy

In Blade of Tyshalle hat Caine eigentlich alles getan, was ein (Anti-)Held tun kann, seine Geschichte war zu Ende erzählt. Es war also an der Zeit, dass er seine eigene “origin story” erhält. Doch Matthew Stover wäre nicht Matthew Stover, wenn er es sich so einfach machen würde. Zwar ist Caine Black Knife – übrigens die erste Hälfte des Act of Atonement und damit der erste nicht in sich geschlossene Caine-Roman – in vielerlei Hinsicht kompakter als der ausufernde Vorgänger, aber auf seine Art nicht weniger komplex:
Statt nur das legendäre Abenteuer Retreat From the Boedecken zu erzählen, von dem man in den bisherigen Romanen schon so viele Andeutungen, aber niemals Genaues erfahren hat, verknüpft Stover die als Mitschnitte der damaligen Ereignisse präsentierte Reise in die Vergangenheit mit einer Gegenwartshandlung, die das Damals aufgrund der dreißig vergangenen Jahre, die sich nicht nur in Form von äußerlichen Narben auf Caines Schultern niedergelassen haben, kontrastieren und gleichzeitig neu verarbeiten.

Was Stover hier an Charaktertiefe liefert, ist ein wahres Fest: Der junge Caine ist ein astreines Arschloch, ein Soziopath, der bereits eine Geschichte der Gewalt hinter sich hat, während den älteren Caine die Summe seiner Erfahrungen zu dem macht, was er ist, einem gesetzten Antihelden, der vor allem in Ruhe gelassen werden will. Die Diskrepanz zwischen dem Jetzt und dem Damals, der Blick in den charakterlichen Abgrund, den man mit den Kapiteln aus der Vergangenheit erhält, wird durch viel Unausgesprochenes dazwischen unterstrichen, wie überhaupt in Caine Black Knife die Arbeit mit dem Ungesagten ein großes Spannungsmoment ist, obwohl man von Beginn an weiß, wie Retreat from the Boedecken enden wird. Patrick Rothfuss’ Kingkiller Chronicles, die ebenso auf eine Figur fokussiert sind und mit einem ähnlichen Stilmittel arbeiten, nehmen sich neben dieser Tour der Extreme nicht nur wie ein harmloser Sonntagsspaziergang aus, sondern wirken auch deutlich weniger stringent.

Doch auch wenn dieser Roman noch mehr als die Vorgänger eine reine “Caine Show” ist, nimmt sich Stover auch Raum für teilweise bitterböse Anspielungen: Er rechnet in einem wahrhaft schrecklich lustigen Kapitel mit gewaltaffinen Online-Gaming-Kids ab, mit den Mächtigen (sei es nun Adel oder Pseudoadel durch wirtschaftliche Vormachtstellung) sowieso, und am interessantesten ist diesbezüglich vielleicht sein Umgang mit den Ogrilloi, der ganz nebenbei den Rassismus von Fantasy-Welten deutlich macht, die auf allzu simple Art mit bösen oder primitiven Völkern umspringen: An den niedergerungenen Ogrilloi werden sowohl sprachlich (durch die Herrscher und auch durch die Beherrschten selbst), als auch durch das jeweilige Verhalten die Strukturen rassistischer Unterdrückung beschrieben. Das Clevere daran ist natürlich Caines Rolle darin, seine vielfache Verwicklung in den Status quo: als Kenner und Leidtragender der irdischen Kastengesellschaft, als Adoptivbruder eines Betroffenen, als Verursacher und auch früheres Opfer der nun Unterdrückten: All diese emotionalen Widersprüche sind perfekt herausgearbeitet, und Caine Black Knife ist fern von einem sterilen Lehrstück, das man mit dem wohlverdienten Label Bildungsroman vielleicht assoziieren könnte.

Steril ist hier ohnehin gar nichts – Stover wird mühelos noch derber als in Heroes Die und Blade of Tyshalle, bringt nebst den üblichen blutigen Tatsachen nun auch öfter eine deutliche Note sexueller Perversion ein. Die zu Beginn eingefügte Altersfreigabe und Warnung des Studios vor dem Abenteuer Retreat From the Boedecken ist kein effektheischendes Gimmick, sondern schlicht die Wahrheit.
Damit hat Stover es geschafft, das Sprachniveau in Caine Black Knife gleichzeitig zu senken und zu heben, denn nebst der Gewaltorgien und der nie um eine Derbheit verlegenen Dialoge pflegt der mit einem breiten Bildungshintergrund ausgestattete Caine auch einen im Vergleich noch einmal stark erweiterten Wortschatz und lässt eine Menge Kulturwissen durchscheinen.
Bevor bei den Gipfeln der Gewalt letztlich nur noch der Ausweg offensteht, sie ins Lächerliche kippen zu lassen, gibt es allerdings immer eine Pause, und überhaupt hat Stover sich ein Stilmittel zu eigen gemacht, das den Aussparungen und der Dynamik der Handlung zugutekommt: Da wir eine Aufzeichnung des alten Abenteuers “sehen”, gibt es auch eine häufig genutzte Vorspultaste.

Nebst Caines Geschichte wird auch die von Overworld in Caine Black Knife weitergeschrieben und bekommt noch mehr Tiefe, immer gut verpackt in irdisches Sagenmaterial. Besonderen Spaß macht dabei die ironische Bezugnahme auf Blade of Tyshalle, die das Spiel mit der Fiktionalität, das die Caine-Romane ohnehin auszeichnet, noch weitertreibt und manches relativiert. Wer also geglaubt hat, die Geburt von Caine schon erlebt zu haben, wird hier herausfinden, dass auch die Genese eines Helden nicht eindeutig und immer eine Frage des Standpunktes ist.
Diese Geburtsstunde findet statt, als die zweigleisige Geschichte von Caine Black Knife längst ihre Sogwirkung entfaltet hat, trotz des Sympathie-Malus, den der junge Caine verbuchen kann. Mit einer hochinteressanten Ausnahme bleibt Caine hier auch die einzige Erzählerfigur, und entsprechend universell fällt die Charakterstudie aus: Einerseits ist Caine das Ausnahmetalent, der bad guy, das Arschloch, andererseits ein Jedermann und Underdog, der dem Leser und der Leserin aufgrund der völligen Auslieferung seiner Gedanken nahe bleibt, ganz gleich, was er anstellt. Daran ist nicht zuletzt schuld, dass nach den ersten Schockern zu Beginn der Erzählung eine leichte Mäßigung eintritt, vor allem bei Caines älterer Version, die gewaltmüde ist, bei Bedarf aber immer auf die Arschloch-Persona zurückgreifen kann. Und den jungen Caine begreift man irgendwann als Menschen, der zum Rad im Getriebe der Ausbeutungsmaschinerie in zwei Welten wird, um in diesem System nicht unterzugehen. Während sich seine Geschichte immer garstiger entfaltet und zu etwas wahrhaft Bösartigem heranwächst, scheint sich die Gegenwartshandlung vordergründig konträr dazu zu bewegen, und doch rasen beide, auch durch die zwingende Spärlichkeit, mit der Stover diesmal Massen von Entwicklung auf weniger als 400 Seiten unterbringt, ohne je in Seitenstränge zu driften oder Füllmaterial zu präsentieren, mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu. Am Ende, das dürfte jedem klar sein, kann keine Läuterung und erst recht kein Happy End stehen. Aber etwas Besseres.

Caine's Law von Matthew StoverWieder einmal ist Caine ganz unten: In den Händen der Regierung, ohne Zugriff auf Overworld und seine dortigen Kräfte, verkrüppelt, an ein Bett gefesselt – und seine Peiniger haben noch Schlimmeres mit ihm vor, während in seiner Wahlheimat Overworld die Erde ihren Einfluss wieder erhöht und die Dinge zum Schlechten stehen. Caine macht der Erdregierung ein Angebot, das sie leider ohne mit der Wimper zu zucken ablehnt, und ab diesem Zeitpunkt reißen die Merkwürdigkeiten nicht mehr ab …

“Two things I do,” she repeated. She touched her cheek below the brown eye. “Forgiveness.” She moved the hand to the ice-milk side. “Permission.”
The horse-witch: Feral

Drei Bände lang hat Caine gewütet und gemetzelt, hat skrupellose Gegner bekämpft, indem er noch weniger Skrupel hatte als sie, und nun, in Caine’s Law, dem zweiten Teil der mit Act of Atonement untertitelten Sub-Serie, soll er schließlich doch die Konsequenzen zu spüren bekommen und sühnen. Der nur vordergründig einfach gestrickte Haudrauf wird auf den Boden geholt, nicht nur durch die Ereignisse und seine Ermattung, was Kämpfe und Konflikte angeht, sondern vor allem durch die vielen Rückblicke, die wie schon in den vorausgegangenen Bänden erklären, wer er ist, und einen Mann mit vielen Schichten offenbaren. Ein häufig erwähnter Schlüsselsatz fasst sowohl die Figur als auch den ganzen Roman famos zusammen: »It’s complicated.«

Caine’s Law ist eine strukturell herausfordernde Lektüre – sie bietet keine lineare Erzählung, sondern springt zwischen Zeit- und Möglichkeitsebenen hin und her, stellt einen netten Warnhinweis voraus, dass es sich dabei teilweise nur um bald wieder ungeschehen gemachte Varianten der Ereignisse handelt, und man darf sich selbst zusammenpuzzeln, wie die einzelnen Kapitel zu ordnen sind, häufig nur von kleinen Hinweisen unterstützt. Aber erfahrene Caine-LeserInnen kann ohnehin nichts mehr schocken, und mit etwas Zutrauen in die Fähigkeit von Matthew Stover, einen am Ende nicht im Regen stehen zu lassen, stellt sich bald trotzdem eine Art Linearität ein, denn die Kapitel sind, auch wenn es anfangs anders scheinen mag, mitnichten zufällig angeordnet. Kausalitäten lassen sich herstellen, und letztlich gibt es tatsächlich einen sehr befriedigenden und überraschenden Blick auf das ganze Mosaikbild, das man sich beim Lesen erarbeitet hat, auch wenn es unterwegs ein ausgesprochen wilder Ritt mit wohlplatzierten Stolpersteinen aus dem Zeitreiseparadoxon-Baukasten war. Das Spiel mit der Fiktionalität, das stets ein hintergründiger Bestandteil der Caine-Reihe war, wird dadurch auf eine andere Ebene gehievt, auch wenn Caine nun schon lange nicht mehr »Entertainer Michaelson« ist.
Manch ein Kapitel wird man in diesem raffinierten Puzzle vielleicht zweimal lesen wollen, denn fast in jedem Abschnitt kommt es zu einer bahnbrechenden Erkenntnis, die das Vorausgegangene infrage stellt, und man erlebt einige erschütternde Überraschungen, in denen aus Grandiosität und Glanz plötzlich das Elend dahinter auf erschreckende Weise hervorbricht.

Mit überraschenden Erzählerfiguren, Bezugnahme auf alle drei Vorgänger, auf die menschliche Geistesgeschichte und die Mythen führt Stover Konzepte und Figuren aus 15 Jahren Caine zu einem kohärenten Ganzen zusammen, und das in einem ranken und schlanken Stil, der im Verlauf dieser Jahre noch um einiges präziser und fokussierter geworden ist: So schillernd und wild flatternd Caine’s Law auf den ersten Blick auch wirkt, hier gibt es keine Schlenker, jeder Satz sitzt und leistet seinen Beitrag zu einer Geschichte, die Figur und Mythos verwebt und es tatsächlich schafft, ein Sühne-Epos zu erzählen, das sich von den meist christlich konnotierten Begriffen lösen kann.
Caines Suche nach Erlösung ist eng verwoben mit einer faszinierenden Frauenfigur, die die Vorzüge, die bereits Stovers frühere weibliche Charaktere auszeichneten, zur vollen Entfaltung bringen kann und Stärke, leisen Humor, Tragik und einen wunderbaren Ruhepol in die Geschichte einbringt. Stover kann sein Talent für die realistische Beschreibung von Beziehungen vorführen und stellt einem der ambivalentesten Protagonisten der Science Fiction und Fantasy damit eine der coolsten Frauenfiguren zur Seite, an der alle Klischees auf eine Art und Weise abperlen, dass es eine wahre Freude ist.

Die Schuld-und-Sühne-Frage wird in Caine’s Law auf vielen Ebenen gestellt, es werden mannigfaltige Verhältnisse beleuchtet, in denen sie aufkommt – gesellschaftliche, familiäre, religiöse und ganz persönliche – doch der Fokus bewegt sich trotz wechselnder Perspektiven nie weit weg von Caine, dem Über- und Unmenschen, der menschlicher wird, je mehr er sich in die Angelegenheiten der Götter verstrickt. Die Figur, die in Caine Black Knife noch filetiert wurde, wird hier zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt, und am Ende hat Caine das getan, was Antihelden seit jeher besser können als ihre strahlenden Gegenparts: uns etwas über das Menschsein beigebracht.
Auch wenn Caine’s Law die ausufernde Breite von Blade of Tyshalle fehlt, ist es doch ein mindestens ebenso philosophischer Roman, der sich mit der Ordnung der Welt, Macht, Göttlichkeit und Menschlichkeit, letzten Dingen und dem guten Leben (und den Gründen, weshalb es meist ein frommer Wunsch bleiben muss) befasst. Dass das Ganze nicht ohne Blutvergießen geliefert wird, weiß vermutlich jeder, der bis hierher durchgehalten hat. Der neue Caine ist vielleicht etwas zurückgenommener, dafür sind die Gewaltspitzen nur umso verstörender, und es entspricht der Philosophie hinter Caine’s Law (und eigentlich allen Caine-Geschichten), dass es keine Option ist, wegzuschauen, auszublenden oder trotzdem gut zu finden, sondern man die Gewalt im Kern der Handlung mit offenen Augen wahrnehmen und akzeptieren muss.

Nach diesem Entwurf, der größer ist als alles, was auf Overworld und der Erde bisher da war, ist das Ende – wieder einmal – ziemlich definitiv, bringt alles (aufgrund der besonderen Struktur des Romans sogar augenzwinkernd) zusammen und liefert Erklärungen für die wilderen Konzepte der Handlung, auch wenn die Schlüsse, die man daraus ziehen kann, immer den LeserInnen überlassen bleiben.
Da bisher jeder Roman außer Caine Black Knife der letzte Caine-Roman war, muss das nicht viel heißen. Allerdings war die Reihe nie ein großer Erfolg, und Caine’s Law ist bestimmt nicht dazu angetan, diesen Erfolg herbeizuführen, daher kann man sich im Augenblick nur schwer vorstellen, dass der vom Autor angedachte darauffolgende Act of Faith je das Licht einer Buchhandlung erblickt. Andererseits: Ist es nicht genauso schwer, sich vorzustellen, dass Caine nach allem, was wir erlebt haben, wirklich erlöst sein soll?

Cover des Buches "Die Schwerter von Oranda" von Christiane Zina Chantal Bergner, eine junge Wissenschaftlerin, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den fernen Planeten Oranda zu erforschen. Mithilfe der “Chronotransit”-Technologie ist es möglich, die Geschichte der vor rund 300.000 Jahren untergegangenen Kultur zu erforschen. Während dieser Reisen schlüpft sie in die Rolle einer Kriegerin und dient unter dem Herzog Aldo. Bald kommt Chantal geheimnisvollen Kräften in Gestalt der Neun Lebenden Schwerter auf die Spur. Der Sage zufolge soll im Verborgenen noch ein Zehntes Schwert existieren, das über die anderen gebietet. Als ein feindlicher Herzog sich im Besitz dieses Meisterschwertes wähnt, entbrennt ein Kampf um die Macht auf Oranda.

-»Kann man denn nicht mal in Ruhe die Menschheit vor etwas abgrundtief Bösem retten, ohne dass einen die Leute verarschen?« beschwerte sich Vionuri kopfschüttelnd.-
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Mit Die Schwerter von Oranda präsentiert Christiane Zina einen interessanten Mix aus Science-Fiction und Fantasy, der jedoch trotz guter Thematik allzu viel auf allzu wenig Seiten abhandeln will.
Am schwierigsten zu beschreiben ist die Handlung: eine durchaus spannende Zweiteilung in die hochtechnisierte Welt des 24. Jahrhunderts zum einen, die mittelalterliche Welt von Oranda zum anderen. Chantal steht zwischen diesen beiden Seiten und hat das als “Saronsky-Syndrom” im Buch bezeichnete Problem: als Wissenschaftlerin soll sie Fakten sammeln, ganz nüchtern und steril, doch sie lebt in Oranda und verliert sehr schnell ihre Objektivität, identifiziert sich mit ihrer Rolle als Kämpferin und steht nun zwischen den Fronten. Die moderne Welt erscheint ihr nach und nach seltsam verkehrt – man lebt mehr oder weniger hauptsächlich online und geht keine Risiken ein, während in Oranda noch “richtig gelebt” wird, mit Alkohol, körperlicher Nähe und Schwertkämpfen. Der daraus resultierende Konflikt ist der Hauptstrang des Buches und wird auch sehr gut dargestellt.
Das Problem ist aber, dass dieser einfach nicht ausreicht, um das Buch zu füllen, daher wird eine entsprechende Hintergrundthematik eingebaut, die allzu überladen ist:
Pseudo-philosophische Gespräche über die Grundprobleme der Menschheit, der Machtkampf in Oranda, Sagen und Mythen des Planeten … – all das findet auf nur 300 Seiten Platz. Wenn man einen schnellen Lesefluss hat, erscheint einem der Roman ziemlich überladen. Bei so wenig Seiten werden meistens auch nur Andeutungen gemacht und nur die nötigsten Informationen erwähnt, die dann zwar passend sind, aber gerade durch ihre Knappheit enttäuschen. Man würde einfach gerne mehr erfahren, denn die fiktive Welt bietet allerlei ungenutztes Potential. Kein Wunder, dass da einige Handlungsstränge ziemlich gerupft wirken: Orandas Machtkampf ist nicht gerade der große Wurf und die Schwertkämpfe sind maximal eine halbe Seite lang. Auch über Oranda selbst erfährt man nicht viel.

Relativ gradlinig erreicht man dann auch das Ende, keine Seite wurde für Drumherumreden verschwendet. Ein paar Seiten mehr (oder ein paar Hinweise weniger) hätten nicht geschadet. Das Ende kommt also schnell und ziemlich unbefriedigend, auf ein paar Seiten (fast auf Zeilenniveau!) werden alle Handlungsstränge auf die Schnelle abgewickelt.

Bis auf Chantal sind die Charaktere ziemlich platt und schematisch – der Herzog, der Krieger, die Heilerin, der Zyniker, die Philosophin, die Bösen. Schluss. Mehr braucht man nicht, mehr kriegt man nicht. Ob Chantal das alleine aufwiegen kann, muss jeder selbst entscheiden.
Dafür ist der Schreibstil von Frau Zina frisch und lässt sich leicht lesen. Ein paar nette Anekdoten runden das Ganz noch ab.
Im Großen und Ganzen merkt man jedenfalls, dass das Schreiben der Autorin Spass gemacht hat: Neben der fast obligatorischen Karte findet sich noch ein kleines Lexikon mit weiteren “Literaturhinweisen” zu Oranda sowie ein Sprachführer. Nette kleine Extras, die zeigen, dass sich Frau Zina sehr Mühe gibt, ihre Welt lebendig zu präsentieren. Aufgrund der wenigen Beschreibungen gelingt das jedoch nur teilweise.

Diving Mimes, Weeping Czars and Other Unusual Suspects von Ken ScholesDie siebzehn Kurzgeschichten führen diesmal auf die Erde nach einem Alien-Angriff, Kolonien auf fernen Planeten, deren Siedler längst die Technik vergessen haben, in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, ins Herz eines Galaktischen Imperiums, in eine Bar irgendwo im Westen und an etliche andere Orte zu anderen Zeiten.

-Frederico leaned close to smell the poison on his thirteenth wife’s cold, dead lips.-
A Weeping Czar Beholds the Fallen Moon

Auch Ken Scholes’ zweite Sammlung von Kurzgeschichten – eine Form, in der der Autor zu Hause ist wie der Fisch im Wasser – bietet wieder einen kreativen Reigen von vor allem thematisch und durch ihre überbordende Phantasie verbundenen Episoden, die völlig verschiedenen Subgenres zuzuordnen sind und die Tür zu ihren jeweiligen Welten einmal weit aufreißen, um sie nach einem kurzen Blick wieder zu schließen.
Das Nachwort verrät – falls man es sich nicht aus den Texten selbst erschließen konnte – die Zugehörigkeit einzelner Geschichten zu größeren (meist noch ungeschriebenen) Zyklen oder einem gemeinsamen Setting.

Zwei der Geschichten gehören zur Psalms of Isaak (Die Legende von Isaak)-Reihe, darunter die lange Eröffnungs-Erzählung, die eine gute Ergänzung zum zweiten Band der Reihe darstellt und in eine frühere Ära der Benannten Lande führt. Of Missing Kings and Backward Dreams and the Honoring of Lies ist dagegen ein früher Entwurf für den ersten Band, als dieser noch als Zyklus aus mehreren Kurzgeschichten konzipiert war, und gibt einen guten Einblick in Scholes’ schöpferischen Prozess.
In beiden Geschichten tritt eines seiner großen Talente zutage: Mit der Weltschöpfung auch auf kleinstem Raum mehr zu vermitteln als andere in ganzen Zyklen und dieses Grundkonzept der Fantasy, das Simulieren von großen Welten mit wenigen Worten, damit auf die Spitze zu treiben.
In beinahe jeder Geschichte in Diving Mimes and Weeping Czars kann man staunend davorsitzen, wenn dieser Trick wieder und wieder gelingt, etwa in der knallig bunten und tieftraurigen postapokalyptischen Erde der Four Clowns of the Apocalypse and the Mecca of Mirth, die sich schnell ein neues Bezugssystem aus Mythen und Geschichten zugelegt haben, oder im pangalaktischen Invisible Empire of Ascending Light, das schon etliche Schismen hinter sich hat und in der tragischen Erzählung nur eine Ahnung der Geschichten vermittelt, die sich innerhalb seiner Grenzen abspielen könnten.
Dieses unerwähnt bleibende Mehr, das in vielen Geschichten der Sammlung mitschwingt, ist mitunter Scholes’ größte Trumpfkarte.

Eine andere sind seine Themen: Fast alle Geschichten haben spirituelle, aber auch religionskritische Untertöne, in einigen rücken sie auch in den Vordergrund, wie etwa bei On the Settling of Ancient Scores, wo es Gott und der Teufel in einer Bar austragen wollen, oder The God-Voices of Settler’s Rest, einer melancholischen Rückschau auf ein Leben, das einer ominösen Religion gewidmet war.
Auf verschiedenen Wegen nähert sich Scholes auch dem Umgang mit dem Tod (absurd und tragikomisch, aber psychologisch unfehlbar in Grief-Stepping to the Widower’s Waltz, mit eindeutig durchschimmernder Eigenerfahrung in The Taking Night). Zwei Liebesgeschichten bereiten auch dieses Thema verspielt und geschickt auf: Love in the Time of Car Alarms ist eine niedliche, aber unkitschige Romanze in Scholes’ Superhelden-Universum, There Once Was a Girl in Nantucket reiht die Liebe als ein weiteres Element in eine Parade von surrealen Ereignissen ein.

Viel Vergnügen machen auch zwei Geschichten, die auf den Artus-Mythenkreis zurückgreifen, diesen aber sehr ungewöhnlich umsetzen: eine entpuppt sich als auf schlichte Weise schön und bleibt dicht an ihrem adoleszenten Helden, der in die Fußstapfen von Tom Sawyer und Huckleberry Finn zu treten scheint, die andere tischt ein kurioses, drastisches Setting auf und wird von Scholes’ Inszenierung der Heldenwerdung seiner Figuren getragen – wie schon in früheren Geschichten versteht er es, völlige Außenseiter in diese Rolle zu drängen und ihnen in den richtigen Momenten Pathos zu verleihen.
Nicht nur in dieser Geschichte ist die Zeit nach der Apokalypse ein Thema, zu dem Scholes immer wieder zurückkehrt – er beschreibt Neuanfänge, oft Rückfälle auf niedrigere Entwicklungsstufen, oder eine völlige Veschiebung des gesellschaftlichen Paradigmas, meist weg von der Rationalität, hin zum Glauben oder zu Welten, in denen Mythen und Geschichten Realität stiften.

Diese Mythen zaubert er aus dem Hut, als wären sie im Dutzend billiger – Ähnlichkeiten und gemeinsame Ursprünge lassen sich feststellen, genauso, wie sich nach und nach ein Mosaik aus Geschichten ergibt, die Teil eines größeren Entwurfs sind. Selbst in den kürzesten Geschichten, dem poetischen SF-Action-Kracher (!) The Night the Stars Sang Out My Name und der düsteren und trotzdem warmherzigen Endzeit-Episode What Child is This I Ask the Midnight Clear, scheut sich Scholes nicht, eine Fülle von Hintergründen durchscheinen zu lassen, die auf mühelose Weise authentisch wirkt.
Eines der Highlights der Sammlung, The Second Gift Given, ist dann auch zugleich Schöpfungs- und Zukunftsmythos und kann außerdem gut als Beispiel dafür dienen, dass die anspruchsvollen Konstruktionen des Weltenbaus niemals die menschliche Basis der Geschichten überragen: Es behandelt ein moralisches Thema, mit dem beinahe jeder Mensch irgendwann einmal konfrontiert wird, auf so einfühlsame Weise und gleichzeitig mit einem solchen Weitblick, dass man schon allein für diese eine Geschichte unter siebzehn diese Sammlung ins Regal stellen sollte.

Grau von Jasper Fforde„Ich muss mich in Demut üben“: nach einem kleinen Scherz muss Eddie Russett diesen Anstecker tragen und in einem Dorf nahe der Gesindel-Grenze ebendieses tun, indem er eine Stuhlzählung durchführt – dabei hat er als Mensch mit einer exzellenten Rotwahrnehmung Zuhause beste Aussichten auf eine Prestige- und Farbtonreiche Heirat. Doch als in einer Filiale der NationalColor-Gesellschaft, die für die synthetische Colorierung der wohlhabenden Teile der Welt zuständig ist, ein Bürger unter mysteriösen Umständen stirbt, nehmen Ereignisse ihren Lauf, die Eddie nicht ignorieren kann. Und dann ist da auch noch Jane, die stupsnasige Schönheit, die versucht, ihn umzubringen…

2.4.16.55.021: Männer haben sich auf Interkollektivreisen nach Kleiderordnung Nr. 6 zu richten. Hüte werden ausdrücklich empfohlen, sind aber nicht vorgeschrieben. –
Ein Morgen in Zinnober, S. 5

Eddie Russett sieht rot. Was bei unsereins nur in Ausnahmefällen passiert – vielleicht wenn unser Lieblingsbuch out-of-print geht oder der 42. Band von Die Zwerge zum Bestseller wird –, ist für den jungen Protagonisten des neuen Romans von Japser Fforde ein Urteil von einer Tragweite, die der Leser erst nach und nach begreift. Ist die Bestimmung der Farbwahrnehmung eines Menschen einmal vollzogen, gleicht das Leben einem wohlbekannten Buch: man weiß genau, was passiert. Dieser Initiationsritus, Ishihara genannt, macht aus Kindern Erwachsene, was in Grau jedoch keinen großen Unterschied macht.

Jasper Fforde schafft mit seinem Roman eine Zukunftsvision, die trotz aller Farbenprächtigkeit und der Bemühungen von NationalColor düster erscheint. Ungefähr 500 Jahre in der Zukunft regelt eine Zentrale alle Bereiche des Lebens, immer ausgehend davon, welche Farbe ein Mensch wahrnehmen kann. Die handelnden Figuren bleiben dabei zum größten Teil so monochrom wie ihr Sehvermögen, wobei jeder durch ausgesuchte Boshaftigkeit immer aufs Neue zu überraschen weiß. Diskriminierungsgründe glaubt der Mensch viele zu kennen, und keiner ist so bequem und schnell bei der Hand wie die Farbe. In der Welt des Eddie Russett, wo Vorurteile sich als Regeln tarnen, wird nichts so ausführlich zelebriert wie die Unterwürfigkeit auf der einen und unverrückbare Dominanz auf der anderen Seite. Das daraus resultierende Gefühl der Stagnation zieht sich wie ein Faden durchs Buch, der aufgrund seiner Farbe scheinbar von niemandem außer dem Leser wahrgenommen werden kann. Doch Eddie ist nicht umsonst ein Roter, und so begeht er eine Ungeheuerlichkeit: er beginnt, Fragen zu stellen.

Denn alle Regeln werden grundsätzlich befolgt, ohne hinterfragt zu werden. Soziale Beziehungen werden ausschließlich aufgrund von Kosten-Nutzen-Rechnungen gepflegt; Freundschaften sind limitiert und werden ganz im Stile unserer sozialen Netzwerke angeboten: Die Frage „Freundschaft?“ kann formal abgelehnt oder angenommen werden; dabei spielt weniger Sympathie, sondern Berechnung eine Rolle und treibt die Tendenz zur Sinnentleerung des Begriffes auf die Spitze.
Sinnentleert sind übrigens viele Regeln, die Munsell, eine Art Prophet, einst formulierte und nach deren Wortlaut die Gesellschaft handelt und funktioniert. Zahlreiche Tabus beengen jeglichen Handlungs- und Gefühlsspielraum, und der Leser kann nicht anders, als die mit Postleitzahl und Barcode klassifizierten Bürger als Gefangene ihres eigenen Systems zu begreifen.

Fforde führt den Leser behutsam an seinen Weltentwurf heran und lässt den Einstieg farbenfroh erscheinen. Als Leser erfreut man sich zunächst an den skurrilen Rückbezügen zu unserer heutigen Zeit und an den faszinierenden (Hierarchie-)Strukturen einer chromatischen Diktatur. Gemeinsam mit Eddie Russett begreift man schließlich mehr und mehr Facetten von Grau, bis einem das Lachen ab und an im Halse stecken bleibt. Denn so witzig die Absurditäten einer bis ins kleinste Detail von Regeln durchflochtenen Gesellschaft sind, so weiß man auch: man selbst möchte um keinen Preis in der Haut einer Fford’schen Romanfigur stecken. Die Unbeschwertheit seiner Zukunftsvision verliert sich im Laufe der Kapitel zwangsläufig mit Eddies schrittweiser Erkenntnis – zurück bleibt der gewohnte Fford’sche Humor und eine ordentliche Portion Unbehagen. Während Eddie Farbschicht um Farbschicht abträgt, um der Wahrheit unter all der Fassade näherzukommen, bekommt er es mit Nachtangst, Apokryphen und einer Menge Gesindel innerhalb der eigenen Dorfgrenzen zu tun. Und mit Jane.

Ja, Grau ist auch eine Liebesgeschichte, die zwangsläufig ohne rosaroten Kitschglanz auskommen muss. Denn Jane ist eine Graue, gehört also der niedrigsten gesellschaftlichen Schicht an und ist zudem das, was man als militante Freidenkerin bezeichnen könnte. Ihre Ideale sind losgelöst von jeder Farbwahrnehmung und bar jedes pazifistischen Gedankens. Das “Greater Good” verlangt Opfer, zu denen auch Eddie von Zeit zu Zeit zählt. Wenn dieser nicht gerade umgebracht werden soll, entwickelt er sich vom ahnungslosen, aber ungefährlichen Naivling zum Feind Eurer Farbenprächtigkeit. Dass die farbenprächtigsten Bewohner des Dorfes nicht imstande sind, menschliche Facetten abseits ihres schwarz-weißen Barcodes wahrzunehmen, ist bezeichnend für Ffordes Gespür für Ironie. Und nicht zuletzt beweisen die letzten Kapitel, die einer Erkenntnisexplosion gleichkommen, wie erschreckend gut der Autor seine Welt durchdacht hat. Radikaler als Thursday Next und mit hochaktuellen Themen, ist Grau nicht nur ein witziges Absurditätenkabinett, sondern eine rasante Dystopie, von der man mit Sicherheit eines sagen kann: von Schwarz-Weiß-Malerei ist sie weit entfernt.

Heroes Die von Matthew Woodring StoverMillionen von Zuschauern sind dabei, wenn der Schauspieler Hari Michaelson seine Rolle “Caine” spielt, einen grimmigen, brutalen Kämpfer, der in die andere Welt Overworld – einen Planeten mit feudalen Strukturen und Fantasy-Völkern – befördert wird und dort seine Abenteuer erlebt. Auf Overworld allerdings weiß kaum einer, daß er zum Setting der irdischen Unterhaltungsindustrie gehört.
Auf der Erde lebt Hari in einem unterdrückenden Kastensystem; und als seine Frau, ebenfalls eine Schauspielerin, auf Overworld vermißt wird, hat das Studio endlich ein Druckmittel in der Hand, mit dem es Caine zu seinem größten Abenteuer zwingen kann: Er darf seine geliebte Frau retten, wenn er ein ungeheuerliches Attentat begeht. Zähneknirschend wetzt Caine die Messer …

-With my hand on the doorjamb, some buried-alive instinct thumps within my chest: this is going to hurt.-
Prologue, 1

Heroes Die ist ein düsteres Heldenepos, das ganz der Figur Haris/Caines gewidmet ist, einem egoistischem Haudrauf, der zwischen seiner unterdrückten Existenz als Hari und seinem überragenden Helden-Alter-Ego Caine gefangen ist, einem Charakter, der mit seiner äußerst aufdringlich-virilen Präsenz zwar nicht gleich sympathisch ist, aber von der ersten Seite an mitzureißen vermag.
Man findet sich auf einer Erde der nahen Zukunft wieder, mit einem rigiden Kastensystem, in dem Privilegierte sich die Zeit damit vertreiben, Schauspielern zuzusehen, sogar ihre Rollen zu verkörpern, wenn diese auf der dank fortgeschrittener Technik erreichbaren Welt Overworld Abenteuer erleben, und zwar nicht die kuschelige Sorte aus dem Kinderfernsehen, sondern die blutdurchtränkte Realität einer feudalen Welt, in der das Faustrecht herrscht. Diese Gewalt kommt auch ungefiltert beim Leser an, und dadurch werden nicht nur die Kampfszenen schön realistisch, sondern auch die letzte Mahlzeit im Magen rebellisch. Der Brutalitätsfaktor schwingt sich in diesem Roman in ungeahnte Höhen auf, und fast könnte man glauben, die Gewalt sei ein reiner Selbstzweck, ein voyeuristischer Aufsehens-Erreger.
Aber die Anwendung und Instrumentalisierung von Gewalt ist auch ein zentrales Motiv der Handlung: Stover stellt eine Gesellschaft dar, die an ihren größten Stars schätzt, daß man durch ihre Augen brutalste Tötungen erleben kann – in der vielleicht nur vordergründig archaischeren Gesellschaft auf Overworld, in der Gewalt das vornehmliche Machtmittel ist (verkörpert in dem in jeder Hinsicht gewaltigen und gewalttätigen Herrscher Mael’Koth) – und er stellt nicht zuletzt die Frage, zu welchen Zwecken Gewalt eingesetzt wird und wie sie im Menschen, vor allem seinem Helden Caine, verankert ist. Dennoch gibt es gerade in der ersten Hälfte des Buches Szenen, deren Sinn bzw. deren Härte man hinterfragen muß, und Caine erscheint anfangs als roher Typ, der nach seinen “Helden”taten auch noch witzige Sprüche auf den Lippen hat. Konsequenterweise geht die Gewalt in der zweiten Hälfte des Romans auch deutlich zurück, als Hari immer mehr mit seiner Rolle Caine interagiert.

Overworld, ein äußerlich relativ gewöhnliches Fantasy-Setting, in dem Stover auch Elfen und Zwerge untergebracht hat, wird in all seinem Dreck und seiner Brutaltität gezeigt – Szenen voller Helden-Pathos schließt das zwar absolut nicht aus, und die Ereignisse im Fantasy-Kontext können sich in der Größenordnung durchaus mit den Highlights der Sword & Sorcery messen, aber Caines zynisch-egoistische Art erdet jegliche Hochstimmung recht schnell wieder.
Overworld selbst erscheint im Vergleich zu anderen Settings etwas blaß, ebenso die meisten Charatkere abseits von Caine – allerdings sind es meist universelle Archetypen, so daß man die Lücken leicht selbst füllen kann. Und sie erfüllen innerhalb des Roman-Kosmos’ vornehmlich die Aufgabe der Kulisse und der Statistenrollen – nur eine Ebene, auf der Text- und Leserrealität sich überlappen.

Die Beziehungen zwischen Overworld und der Erde sind vielschichtiger, als es den Anschein hat, und ein idealer Ausgangspunkt für Caines verschachtelte Pläne, um das Unmögliche, das das Studio von ihm verlangt, umzusetzen. Entsprechend clever ist auch die Auflösung, und über die Handlung hinweg verteilen sich etliche Dreh- und Angelpunkte, an denen sich wieder neue Blickwinkel einstellen. Dazu trägt auch der überlegte Einsatz verschiedener Erzählperspektiven bei: Caine zum Beispiel berichtet in der Ich-Perspektive, wenn er “auf Sendung” ist und man ihm wie seine Zuschauer über die Schulter blickt, und die Perspektive schwenkt zwischenzeitlich auch zu einer Hand voll weiterer Protagonisten des Abenteuers. Dies macht sich Stover mitunter für den Spannungsaufbau zunutze und enthält dem Leser mit distanzierteren Perspektiven  Informationen vor.

In die actionreiche Handlung sind eine Reihe moralischer Spielereien und Fragen eingebettet, die allerdings nicht für den Leser beantwortet werden, sondern nur für den eingeschränkten und nicht gerade moralisch integren Standpunkt der Charaktere, und selbst da bleiben viele Fragezeichen stehen. Noch unbequemer wird es, wenn der Leser selbst angesprochen und als Zuschauer – die treibende Kraft hinter Caine – in sein Abenteuer mit einbezogen wird.
Auf dem schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Anspruch bleibt Stover dabei auf der ganzen Strecke der Handlung sehr sicher, aber es ist in keiner Weise ein Sandkastenspaziergang.
Wenn man die Brutalität auf sich nehmen will, ist Heroes Die eine absolute Empfehlung, ein vielschichtiger, verschachtelter Roman, der neben jeder Menge Action und interessanten Ideen auch einen erstaunlich gefühlvollen Blick auf Zwischenmenschliches erlaubt.

Cover von Herr der Ratten von Mary GentleIn der gewaltigen Metropole, die Das Herz der Welt genannt wird, brodelt es. Die Menschen leben unterdrückt von den Rattenlords, sie werden aber wegen ihrer Handwerks-Mysterien benötigt, denn deren Strukturen prägen die Welt. Doch die Anhänger des Hauses Salomon um den Meister-Bauer Falke wollen nicht länger Tempel für andere bauen und die Verschwörer um den Priester Plessiez wollen den Rattenkönig von der weltlichen Herrschaft der Dekane, den 36 Inkarnationen des Göttlich-Dämonischen, befreien. In diese Verschwörungen hinein gerät der junge Lucas, ein Student an der Universität des Verbrechens, der sich prompt in die ältere Frau Weiße Krähe verliebt, eine Schüler-Soldatin des Unsichtbaren Kollegs. Wer hält schlussendlich die Fäden in der Hand?

-Heiseres Geschrei tönte über den Platz vor der Kathedrale, wo die Menge darauf wartete, ein Schwein hängen zu sehen.-
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Das Herz der Welt ist eine monströse Stadt, die sich bis an den Horizont erstreckt – die Zahl der Einwohner läßt sich nicht einmal schätzen. In und unter der Stadt spielt sich das ganze Geschehen der Geschichte ab. Auch wenn vieles an die Renaissance erinnert, wie Rapiere, Musketen, Kutschen und architektonische Kunstwerke, gibt es doch auch viele andere Details, wie Luftschiffe, Fotoapparate, Mikrophone samt Lautsprecheranlage sowie eine U-Bahn. Noch sonderbarer sind aber die Paradoxa; so gibt es fünf Himmelsrichtungen (Nord – West und Aust), die jeweils in einem 90° Winkel auf einem 360° Kreis liegen oder das merkwürdige Verhältnis von feststehendem Schicksal und beeinflußbarer Zukunft. Diese magischen Elemente, wie das Wirken von Magie insgesamt, sind der hermetischen Magia der Renaissance entliehen; Talismane, Tarot-Karten, astrologische Tabellen und insbesondere das Prinzip der Korrespondenz spielen eine große Rolle, Zauberstäbe und Feuerbälle keine.

Die Zahl der auftretenden Figuren ist überwältigend. Viele der Figuren sind umfassend gebildet oder sehr schlau, es gibt kaum einen einfachen Schlagtod oder Langfinger, auch wird ihnen kaum Raum zur Entfaltung zu gestanden. Dafür aber sind es keine geraden Typen, es ist keine Schönheit dabei, kein Muskelprotz oder hagerer Herrscher, sie alle sind ein wenig sonderbar und eigentümlich. Einigermaßen ungewöhnlich ist auch die schiere Zahl der starken Frauenfiguren, deutlich mehr als die Hälfte der aktiven Figuren sind weiblich.
Die Autorin erzählt eine Vielzahl von Geschichten, die einander überkreuzen. Die meisten davon sind in irgendeiner Form Verschwörungen. Im Kern stehen jedoch die Bemühungen von Plessiez und Falke den Status Quo endgültig zu verändern und Valentines Bemühungen das Ende der Welt zu verhindern. Aufgrund der zahlreichen Handlungsstränge wirkt die Geschichte sehr wirr, es scheint, als ob sich die Autorin selbst nicht immer im klaren sei, wohin die Reise gehen soll, denn mindestens ein Strang verläuft ins Leere.

Daß einige Figuren sehr spät eingeführt werden, die Paradoxa des Settings und die Tendenz der Autorin wenige Überblicksinformationen zu geben und die wenigen nur sehr beiläufig, macht das Verständnis nicht leichter. Hinzukommt, daß die Autorin gerne und ausführlich Details beschreibt – so sind die Kern-Plots nach etwa 600 Seiten abgeschlossen, aber es folgen noch ungefähr 70 Seiten. Dennoch ist die Geschichte interessant, einige Stränge sind sogar sehr spannend und die Auflösung um Valentines Strang ist sehr ungewöhnlich – kurzum: Es wird viel magisches, phantastisches und originelles geboten.
Auch wenn diese Geschichte Teil des White Crow Zyklus’ ist, sind kaum Anknüpfungspunkte zu den anderen Geschichten zu finden, selbst die zwei wiederkehrenden Charaktere – Valentine und Casaubon – verändern sich von Geschichte zu Geschichte.
Der Schreibstil ist dem Verlauf der Geschichte angemessen, denn die Autorin benutzt häufig mittellange Sätze, deren Duktus nicht immer leicht zu folgen ist. Die Wortwahl ist zumeist angemessen, so ist die Ausdrucksweise der Figuren bisweilen recht derb. Allerdings ist die Übersetzung nicht immer gut – Scholar-Soldier wird mit Schüler-Soldat übersetzt; “Gelehrter-Soldat” oder “Lehrer-Soldat” wäre treffender gewesen, am besten wäre es vielleicht den ersten Teil gar nicht zu übersetzen: Scholar-Soldat.
Das Titelbild ist bescheiden, aber dafür gibt es kommentierte Holzschnitte, die das Geschehen z. T. sehr treffend wiedergeben, aber in jedem Fall gut zur Gesamtstimmung passen.

On a pale Horse von Piers AnthonyZane ist ein echter Pechvogel. Er ist weder besonders attraktiv, noch hat er ein nützliches Talent, und erfolgreich ist er schon gar nicht. Als ihn ein Händler für magische Steine auch noch über den Tisch zieht und ihm nicht nur die Chance auf Reichtum nimmt, sondern auch die Liebe seines Lebens, beschließt Zane seinem Elend ein Ende zu setzen. Er begibt sich in seine heruntergekommene Bleibe, zieht eine Waffe und schießt … dummerweise passiert ihm auch hierbei ein Missgeschick und Zane erschießt nicht wie geplant sich selbst, sondern den Tod höchstpersönlich. Wie es die Gesetze verlangen, muss Zane nun die Nachfolge antreten und die Sense in die Hand nehmen. Als wäre das alles noch nicht genug, stellt er bald fest, dass Satan ganz eigene Pläne für den frischgebackenen Tod hat.

– The door opened again. This time a woman of middle age entered. Zane had never seen her before. She glanced approvingly at the fallen figure. “Excellent,” she murmured.
Zane wrenched his horrified gaze to her. “I killed Death!” he exclaimed.
“Indeed you did. You shall now assume his office.” –
Kapitel 2, S. 28

Piers Anthony hat hier eine interessante Geschichte verfasst, die einfach mal etwas anderes ist und sich vom klassischen Schema der Fantasy abhebt. On A Pale Horse (Reiter auf dem schwarzen Pferd) ist der erste Band aus der achtteiligen Reihe Incarnations of Immortality, veröffentlicht im Jahre 1983. In der hier beschriebenen Welt existieren Magie und Technologie gleichberechtigt nebeneinander, ein Gesellschaftsentwurf, der heute, so scheint es, nur noch selten genutzt wird.

Was diesen Roman so lesenswert macht, ist die Grundidee der Incarnations of Immortality: Ein jeder wird schon von den zentralen Aspekten des menschlichen Seins gehört haben: Zeit, Tod, Schicksal, Krieg, Natur, Gut und Böse. Hier ist es nun so, dass diese Aspekte als leibhaftige Inkarnationen existieren, also von gewöhnlichen Menschen personifiziert werden. In On A Pale Horse erfährt der Leser, wie sich solch ein einfacher Mensch in die Rolle als Inkarnation des Todes einfügt.

Die Figuren in diesem Buch sind allesamt sympathisch. Egal wie böse, geheimnisvoll, kompliziert oder verschroben sie sind, man liest sie gerne und sie wirken lebendig und überzeugend. Selbst Satan mit seiner süffisanten Art und seinen Intrigen bringt einen zum Schmunzeln. Nicht zuletzt ist das natürlich auch Anthonys Schreibstil zu verdanken, der das Ganze mit einer Prise Ironie würzt und viele ungewöhnliche, humorvolle Ideen einbaut. So haben Reisende beispielsweise die Wahl zwischen Flugzeug oder fliegendem Teppich, und die Abteilung “Fegefeuer” hat ihre eigenen Nachrichtensprecher samt dazu gehörendem privaten Fernsehkanal und Videokonferenz.

Ein weiteres Plus dieses Romans ist seine gesellschaftskritische Herangehensweise. Der Autor wendet sich heiklen Themen wie Sterbehilfe, künstlicher Lebenserhaltung und damit der Gerätemedizin zu. Der gesellschaftliche Umgang mit dem Tod wird in Frage gestellt. Der Protagonist Zane/Thanatos muss in seiner Rolle als Inkarnation des Todes lernen, dass der Tod seine Berechtigung hat, dass er nicht um jeden Preis verhindert werden muss, dass es auch ein würdeloses Sterben gibt und der Tod zur Erlösung für den Sterbenden wird. Zane/Thanatos sieht sich sehr oft mit den Fragen um Moral und Mitgefühl konfrontiert, und obwohl Piers Anthony dies meist humorvoll verpackt, wirkt es weder respektlos noch geschmacklos, sondern er würdigt die Ernsthaftigkeit des Themas, ohne belehrend zu wirken. Dadurch bringt Anthony den Leser zum Nachdenken.

On A Pale Horse ist ein zum Ende hin immer spannender werdendes, in sich abgeschlossenes Buch und kann daher problemlos auch ohne die folgenden Bände gelesen werden. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass hier bereits einige Grundsteine für die Serie gelegt werden. Wer sich aber unsicher ist und zunächst nur in die Buchreihe hineinschnuppern möchte, kann das mit On A Pale Horse getrost tun, ohne mit großen Fragen zurückgelassen zu werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieser Roman mehr zu bieten hat, als man zunächst annimmt, und es sich durchaus lohnt, einen Blick zu riskieren.

Cover von Planet der Sonnen von Karl SchroederNachdem Haydens Eltern bei dem gescheiterten Versuch umgebracht werden, ihrem Clan, den Aerie, mit einer Eigenbau-Sonne die Unabhängigkeit von der mächtigen Slipstream-Nation zu verschaffen, wächst der Junge zu einem rachsüchtigen Erwachsenen heran. Angetrieben von dem Wunsch Admiral Chaison Fanning umzubringen, den er für den Tod seiner Eltern verantwortlich macht, lässt er sich für dessen waghalsige Schifffahrtsmission anheuern. An Bord des Flaggschiffs befindet sich jedoch nicht nur Fanning selbst, sondern auch dessen Frau, die ebenfalls auf Rache sinnt, sowie die geheimnisvolle Waffenmeisterin Aubri Mahallan.

-Hayden Griffin rupfte gerade einen Fisch, als der Schwerkraftalarm ertönte.-
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Der kanadische Science-Fiction-Autor Karl Schroeder wendet sich mit seinem neuesten Zyklus Virga dem Steampunk zu – zumindest teilweise. Denn bereits im Auftaktband der Pentalogie Planet der Sonnen kündigen sich einige vielversprechende SF-Elemente an.

Die mit Abstand größte Stärke des Romans ist das wahrhaft faszinierende Setting, in dem sich alles um eines dreht: Sonnen. Denn diese versprechen in dem großen, gravitationslosen Raum Virgas vor allem zwei Dinge: Licht und Schwerkraft. Schwerkraft bedeutet politische Macht und Anziehungskraft im wahrsten Sinne des Wortes. Hat man die richtige Ausrüstung, kann man sich in Virga seine eigene Sonne machen, allerdings wird das von den bestehenden politischen Entitäten, die auf Aetherwinden quasi nomadisch auf ihren großteils selbstgebauten Lebensräumen durch den Raum „reiten“, alles andere als gut geheißen, geht damit doch politische Unabhängigkeit einher.

Wer glaubt, damit wäre schon das ganze Pulver des Romans verschossen, der irrt gewaltig, offenbart sich doch im Verlauf der Handlung eine vielversprechende Ebene des an sich schon beeindruckenden Weltenbaus, das für politisches Intrigenspiel ebenso Platz bietet wie für Seefahrerflair versprühende Reisen auf steampunkigen Aetherschiffen durch die schwerelose Weite Virgas.

Leider wird das Lesevergnügen durch den Protagonisten geschmälert, der relativ bald den Eindruck eines Handlungsvehikels erweckt. Seine tragische Vergangenheit und das daraus resultierende rebellisch-rachsüchtige Gemüt scheinen zu verpuffen, sobald sie der Handlung im Wege stehen, sodass das Potential zu einer ambivalenten Hauptfigur ungenützt bleibt. Die weitere Entwicklung Haydens lässt sich eher als eine seltsame Mischung aus Inkonsequenz und Vorhersehbarkeit beschreiben. Die zweite, weibliche Hauptfigur, Venera Fanning, könnte zwar als interessantere Alternative dienen, sie bleibt aber noch zu eindimensional. Hier besteht für die Folgebände noch genug Verbesserungspotential. Die Handlung entwickelt dennoch einen gewissen Sogfaktor, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie auch neue Facetten der Welt beleuchtet und das Ensemble an Haupt- und Nebenfiguren im Verlauf des Romans doch eine unterhaltsame Dynamik entwickelt, Sympathie weckt sowie Potential für die Folgebände erhoffen lässt.

Wer sich also in eine faszinierende Welt entführen lassen will, ohne sich von einer (bisher) deutlich weniger innovativen Charakterzeichnung und Handlungsentwicklung im Lesevergnügen beeinträchtigt zu fühlen, dem sei Planet der Sonnen (Sun of Suns) wärmstens empfohlen – inzwischen sind auch schon zwei Folgeromane auf Deutsch erschienen. Im Original ist die Reihe bereits abgeschlossen.

Reiter auf dem schwarzen Pferd von Piers AnthonyZane ist ein echter Pechvogel. Er ist weder besonders attraktiv, noch hat er ein nützliches Talent, und erfolgreich ist er schon gar nicht. Als ihn ein Händler für magische Steine auch noch über den Tisch zieht und ihm nicht nur die Chance auf Reichtum nimmt, sondern auch die Liebe seines Lebens, beschließt Zane seinem Elend ein Ende zu setzen. Er begibt sich in seine heruntergekommene Bleibe, zieht eine Waffe und schießt … dummerweise passiert ihm auch hierbei ein Missgeschick und Zane erschießt nicht wie geplant sich selbst, sondern den Tod höchstpersönlich. Wie es die Gesetze verlangen, muss Zane nun die Nachfolge antreten und die Sense in die Hand nehmen. Als wäre das alles noch nicht genug, stellt er bald fest, dass Satan ganz eigene Pläne für den frischgebackenen Tod hat.

Zu Reiter auf dem schwarzen Pferd liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Requiem von Ken ScholesWährend Jin Li Tam gen Y’Zir segelt, um ihren geheimen Auftrag zu erfüllen, kämpft ihr Gemahl Rudolfo in den Neun Wäldern nicht nur gegen die überbordende Macht der Y’Ziriten – die ihn als Verbündeten ausersehen haben und um keinen Preis aus dieser Rolle entlassen –, sondern das Gefühl, betrogen und verlassen worden zu sein. Winters und ihr vertriebenes Volk versuchen eine neue Bleibe zu finden und sich die Hoffnung zu bewahren, dass die Mission von Neb, der sich in etwas Unnahbares und Unverständliches verwandelt hat, doch noch von Erfolg gekrönt ist und ihnen den Weg in ihre wahre Heimat öffnet.

-A gibbous moon hung in the predawn sky, casting shades of blue and green over a blanket of snow. Fresh from the gloom of the woodlands behind her and not even an hour past the warmth of the thick quilts and crackling fire of her family’s home, Marta clutched her stolen sling and cursed the rabbit for running so far and so fast.-
Prelude

Im vierten Band der Psalms of Isaak befinden wir uns auf dem Höhepunkt einer vielschichtigen und aus vielen Blickwinkeln erzählten Saga, jeder Handlungsstrang ist durch drei Bände Vorgeschichte belastet, so dass es schwierig wird, auch nur einen allgemeinen Überblick über den Inhalt zu geben. Deshalb zu Beginn vielleicht ein Hinweis für die Kenner der Reihe, der eine der wichtigsten Fragen beantwortet: Trotz des Titels und der düsteren Vorankündigungen wird Requiem keine Tragödie. Es geht – wie schon der letzte Band – mit einer gewissen Sterbequote an die Nieren und bringt in verschiedenen Ausprägungen das Thema der Endlichkeit zur Sprache, doch ein desolates Trauerspiel, das mit aller Kraft auf die Tränendrüse drückt, bevor der letzte Band erscheint, ist es nicht geworden.

Zunächst bricht die Geschichte endgültig aus dem längst nicht mehr geschützten Rahmen der Benannten Lande aus und führt in eine größere und komplexere Welt, in der die Regeln der Moral und dessen, was man wissen kann, neu definiert werden. Die Linien verschwimmen zusehends, Recht und Unrecht, Gut und Schlecht vermischen sich zu einer riesigen Grauzone, in der sich keine der Figuren wohlfühlt. Der Wunsch nach Klarheit, der alle antreibt, und die Verwirrung und Ohnmacht aufgrund des fehlenden objektiven Standpunkts sind sehr moderne Empfindungen, die Scholes meisterlich in einem Fantasy-Setting fühlbar gemacht hat, und das ist in dem Subgenre, in dem er sich bewegt, eine beachtliche Leistung, denn wenn man mit Rudolfo, Jin, Neb, Petronus, Vlad und Winters ins Schwimmen gerät, sticht ins Auge, wie abhängig die Struktur der epischen Fantasy mit ihren Prophezeiungen (die sich hier ein ums andere Mal als von langer Hand geplant erweisen), ihren in einem festen Fundament verankerten Religionen und Grundsätzen und ihren schicksalshaften Rollen für Individuen von einer unbestreitbaren Wahrheit ist. Eine spannende Frage ist demnach auch die, ob eine solche im letzten Band gefunden wird.

Als Nebeneffekt, der allerdings enorme Wirkung auf die Figuren hat, lockert sich auch das vorher klar bestimmte Beziehungsgeflecht: Räumliche Trennung löst vormals enge Verhältnisse, politische Bündnisse zerbrechen vollständig, jede Verbindung wird aufs Härteste erprobt und hält oftmals nicht stand. Dennoch bleibt das Familienthema zentral, es zurrt sich sogar immer enger um den mythisch aufgeladenen Handlungskern zusammen: Das verzweigte und mehrfach gebrochene Narrativ der Familie Tam wird abermals auf den Kopf gestellt, und die Verbindungen zwischen Mechoservitoren, Menschen und alten Göttern scheinen zugleich liebevoll und schrecklich.
Es fällt auf, wie sehr bei allen männlichen Figuren das Thema der Vaterschaft in den Vordergrund rückt, und manchmal scheint das Ganze thematisch fast etwas zu sehr durchkalkuliert, etwa wenn jeder der (männlichen) Helden sich mit Verführung und der Treuefrage auseinandersetzen muss, die sich in Zeiten zerbrechender Bande stellt.

Zum Glück werden aber auch neue Beziehungen geknüpft: Ein Neuzugang unter den Figuren, aus deren Sicht erzählt wird, ist das Mädchen Marta, die sich mit einem Mechoservitor anfreundet. Ein Kind und ein Roboter – die bezaubernden Szenen, die diese Konstellation bietet, heben die Laune inmitten des schweren Stoffs. Martas Kombination aus unmittelbarer, kindlicher Weltsicht und Unschuld einerseits und ihrem Durchblick, der dem der Erwachsenen oft überlegen ist, hat etwas Erfrischendes inmitten der ganzen gereiften Personen, die die Psalms of Isaak sonst bestreiten, manchmal jedoch macht sie den Eindruck, etwas zu sehr die emotionale Auffassungsgabe eines Erwachsenen zu besitzen.

Dass es thematisch und auf der Figurenebene hoch hergeht, ist allerdings nicht das, was diesen Band zum wahren Genuss macht: Ken Scholes ist ein Mythenschöpfer, und in Requiem hat er seine Helden an Positionen manövriert, wo er seine Schöpfungen zum Funkeln bringen kann. Wir betreten nicht nur die Terra incognita der Benannten Lande, sondern den Mond, den man im geradlinigen, aber trotzdem bisweilen poetischen Stil der Reihe nur zu gerne erkundet.
Für Leser und Leserinnen kristallisieren sich dabei immer mehr Hintergründe heraus, wenn man im Auge behält, dass Scholes hier SF-Elemente mit den Mitteln der Fantasy ausdrückt. Dadurch kommt ein neuer Blickwinkel auf Vertrautes zustande, man sieht sozusagen doppelt: Aus Figurensicht bleiben die SF-Aspekte unerklärlich und mystisch, und sie bewahren diese Aura, auch wenn man aus Lesersicht mehr weiß.
Die Psalms of Isaak stehen damit vor einem Finale, in dem alles passieren kann und nur eines klar ist: Die Welt, wie sie war, ist in ihren Grundfesten erschüttert.

Cover von Der Runenbrecher von Mark AnthonyMogh, der Herr des Sonnenuntergangs, ist frei. Auf der Erde bedient er sich des HighTech-Konzerns Duratek, dessen Forscher mit einer Kombination aus Gentechnik und Magie die Grenze zur Parallelwelt Eldh überwinden lernen. Travis Wilder ist in den tiefsten Niederungen der Verzweiflung, erhält aber immer wieder Hilfe und gelangt zum Ziel seiner Bestimmung. Mehrere Handlungsstränge werden am Ende vereint und führen im letzten Kanpf zwischen Licht und Finsternis zusammen. Ein Teil der Geschichte spielt auf der Erde einer unbestimmten, aber nahen Zukunft, der andere auf der mittelalterlichen Parallelwelt Eldh, auf der Magie und Fabelwesen den Alltag bestimmen.

-Dr. Ananda Larsen beugte sich auf ihrem Schreibtischstuhl nach vorn und trommelte neben der Computertastatur mit den Fingern auf den Tisch. Das Laufwerk summte, die Ladeanzeige schlich über den Bildschirm. Fünfundsiebzig Prozent.-

Ehrlich zugegeben: schon lange hat mich kein Buch mehr so gefesselt wie Der Runenbrecher (The Gates of Winter). Das sieht man vielleicht auch an der Tatsache, dass ich es an einem Tag durchgelesen habe (und damit nebenbei den Ärger sämtlicher Familienmitglieder auf mich gezogen habe, weil ich nichts anderes gemacht habe außer zu lesen…).
Alle Handlungsstränge werden von Anthony wieder aufgegriffen und zu einem (scheinbaren) Ende geführt. Langsam entsteht das Mosaik, das sich im vorherigen Band lediglich abzeichnete, und man erkennt, wo jeder einzelne Stein bzw. Charakter seinen Platz hat.
Scheinbar mühelos gelingt es Anthony trotz der vielen Einzelhandlungen keine logischen Fehler einzubauen, alles in genauestens durchdacht. Bei scheinbaren Unmöglichkeiten (wieso reden Vani und Beltan auf der Erde Englisch?) findet man im Buch oder den Büchern davor die Antworten darauf (Vani lebte schon drei Jahre auf der Erde, Beltan konnte durch das Elfenblut die Sprache lernen). Gerade wegen der Komplexität, die man nach 10 Bänden auch erwarten darf, gibt der Autor manchmal selbst die Antwort und lässt einen seiner Charaktere Fakten aus den vorherigen Büchern wiederholen, aber eben nur genau jene, die auch für die Handlung wichtig sind.
Die Spannung, die sich schon im Vorgänger aufgebaut hat, wird hier fortgesetzt und ohne viele Ruhepunkte immer weiter vorangetrieben, bis zum dramatischen Finale, der Kampf gegen Mohg.
Doch ein Ass hat Anthony noch im Ärmel, denn wider Erwarten ist die Bedrohung noch nicht ganz abgewendet.

Der Sand der Zeit von Piers AnthonyNorton verbringt einen Großteil seines Lebens außerhalb der Städte in Parks und geht den Menschen lieber aus dem Weg. Eines Tages erscheint ihm jedoch ein Geist, der ihm ein ungewöhnliches Angebot macht: Die frisch angetraute Braut des Geistes – Orlene – soll einen Nachkommen in die Welt setzen und Norton die Befruchtung übernehmen. Norton, zunächst wenig interessiert, stimmt jedoch zu, als er Orlene kennen lernt und sich in sie verliebt. Was zunächst mit einer glücklichen Zeit für die beiden beginnt, endet auf die schlimmstmögliche Weise und führt Norton direkt in seine Rolle als neuer Chronos, der sich rückwärts durch die Zeit bewegt.

Zu Der Sand der Zeit liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Der Schatten des Inquisitors von Valerio EvangelistiDieser Roman ist eine Mischung aus Science-Fiction und Fantasy. Es gibt drei Handlungsebenen: Im mittelalterlichen Spanien macht der Großinquisitor Nicolas Eymerich gnadenlos Jagd auf die Anhänger eines nichtchristlichen Kultes. In der Gegenwart versucht der junge Forscher Frullifer die Wissenschaftler seiner physikalischen Fakultät davon zu überzeugen, daß es Psytronen gibt. Und in der Zukunft begibt sich ein psytronisches Raumschiff unter Leitung des Abtes Sweetlady auf eine geheimnisvolle Mission, in die noch nicht einmal die Besatzung eingeweiht ist.

– Beim Verlassen des Robert Lee Moore Building, Sitz des Instituts für Astrophysik der Universität Texas, sah Professor Tripler sich fast ängstlich um. Er schaute die Wege des Campus entlang, musterte Hecken und Grüppchen von Studenten, dann machte er sich mit raschen Schritten auf den Weg, wobei er fortwährend um sich blickte.-
In Gedankenschnelle 1

Und nun folgt die Geschichte, warum der Roman Der Schatten des Inquisitors (Nicolas Eymerich, inquisitore) in der Gunst des Rezensenten in Nullkommanix von 3,5 auf 1 Sternchen hinabsank: Die Story läßt sich gar nicht schlecht an. Zuerst werden Teile der Frullifer- und der Raumschiffgeschichte erzählt und der Leser versteht erst einmal gar nichts: Nicht um was es eigentlich geht, und auch nicht, wohin das alles führen soll. Für Leser, die gerne ein bißchen herumspekulieren und nicht von Anfang an, eine klare eindeutige Handlung bevorzugen, ist das ganz interessant. Im dritten Kapitel, das der Autor aber als erstes bezeichnet, beginnt dann die Geschichte des Großinquisitors, die den größten Raum im Roman einnimmt. Dieser Teil hat eine leicht nachvollziehbare, strukturierte Handlung und ist leidlich spannend. Die Geschichten werden abwechselnd erzählt, so daß es eine Reihe von Cliffhangern gibt. Am Ende werden alle drei Stränge zusammengeführt. So weit, so mittelmäßig. Nur leider wird die Frullifer-Geschichte rapide schlechter und schlechter. Es ist ein Unding, daß Evangelisti ein so wichtiges Thema wie Rassismus auf wenigen Seiten, wirr und in einem schlechtem Stil abhandelt. Dazu kommt noch, daß dem Autor plötzlich offensichtlich eingefallen ist, daß solche Romane meistens von Männern gelesen werden und er wohl dachte, er müsse die Story mit ein bißchen Sex würzen. Da ist auch eigentlich gar nichts gegen einzuwenden. Nur, wenn man über sexuelle Dinge schreibt, dann sollte man das auch können, und Evangelisti kann es eindeutig nicht. Abgesehen davon, daß die ganze merkwürdige “Liebesgeschichte” zwischen Frullifer und Cynthia im Stil einer brasilianischen Telenovela geschrieben ist, muß der verstimmte Rezensent Passagen wie diese lesen:

Die verborgenen Bereiche von Cynthias Körper, von denen er seit Monaten träumte, mußten triefnaß sein wie eine betaute Wiese.

Andere Abschnitte über Frullifers Ideen, wie Sexualität funktioniert, lassen zwar den Verdacht aufkommen, der Autor könne dies ironisch gemeint haben, trotzdem ist es nur dümmlich und primitiv und dient nur dem einen Zweck, die männliche Leserschaft aufzugeilen und bei der Stange zu halten. Und denken Sie jetzt nicht, ich wüßte nicht, was ich gerade geschrieben habe. Aber zu diesem Zweck gibt es im nächsten Sex-Shop viele nette Heftchen, die in besserem Deutsch verfaßt sind. Und wenn es der Leser dann doch etwas literarischer mag, empfehle ich ihm Opus Pistorum von Henry Miller, das steht gerade nicht auf dem Index, man findet auf jeder Seite alle möglichen und unmöglichen fragwürdigen Unanständigkeiten, aber dafür ist es wenigstens in einem anständigen Stil geschrieben. Und noch etwas: Der Verlag wirbt damit, dies sei ein Fantasy-Epos in der Tradition von Umberto Ecos Der Name der Rose. Nicht alle Romane, die im Mittelalter spielen halten deswegen einem Vergleich mit Der Name der Rose stand. Dieses Buch ist um Klassen schlechter als Ecos Roman. Genauso könnte man behaupten, Herr Küblböck stünde in der Tradition von Mick Jagger, nur weil beide auf Englisch singen.

Des Schicksals dünner Faden von Piers AnthonySatan ist zurück und hat es diesmal darauf abgesehen, die Inkarnation des Schicksals zu manipulieren.
Als Niobes Ehemann im Sterben liegt, begibt sie sich in das Reich der Inkarnationen, um Thanatos darum zu bitten, das Leben ihres Gatten zu verschonen. Da weder er noch die anderen Inkarnationen sein Leben retten können, wird Niobe angeboten, ein Teil der Inkarnation des Schicksals zu werden. Mit der Aussicht darauf, als Inkarnation Satans Pläne zu stören und, wie sich herausstellt, Rache für seine Schuld am Tod von Niobes Mann zu üben, wird sie zu Clotho – dem jungen Aspekt der Inkarnation des Schicksals.

Zu Des Schicksals dünner Faden liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Seaserpents! von Jack Dann und Gardner DozoisSeaserpents! gehört zu einer von Jack Dann und Gardner Dozois herausgegebenen Reihe von Anthologien, die jeweils ein bestimmtes phantastisches Thema oder Motiv behandeln. Sie enthält zehn Geschichten über Seeungeheuer. Alle Geschichten sind vorab schon an anderer Stelle erschienen und werden von einem kurzen Text über den Autor bzw. die Autorin eingeleitet. Eine Liste mit weiterführender Literatur zum Thema schließt die Anthologie ab.

-The moonlight was muted and scattered by the mist above the loch. A chill breeze stirred the white tendrils to a sliding, skating motion upon the water’s surface.-
The Horses of Lir

Wäre ich ein Seeungeheuer, ich würde mich beschweren, dass Nessie mir so schamlos die Show stiehlt. In Seaserpents! ist Loch Ness viel präsenter als das Meer und liefert – direkt oder indirekt – u.a. das Material für die ersten beiden Geschichten, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Auf den plumpen Machismo von L. Sprague de Camp in Algy, der Geschichte über ein mutmaßliches Ungeheuer im Lake Algonquin, dem eine (natürlich) schottische Gruppe von Abenteurer nachspürt, die sich dabei überaus männlich gibt und der ortsansässigen Damenwelt nachstellt, folgt mit Lillian Stewart Carls Out of the Darkness eine gefühlsbetonte Geschichte, bei der die Monsterjagd (diesmal direkt am Loch Ness) nur eine Nebenhandlung zu einer Beziehungskrise ist, in der wissenschaftliche und künstlerische Weltsicht aufeinanderprallen. Bei beiden Geschichten ist das Unvermögen zentral, die Existenz des Monsters zu beweisen, aber richtig in Fahrt kommt Seaserpents! mit keiner davon. Das gelingt erst ganz zaghaft mit Leviathan von Larry Niven, der seinen (auch in anderen Geschichten von ähnlichen Aufträgen geplagten) Helden Svetz aus einer fernen Zukunft in die Vergangenheit schickt, um dort Exemplare inzwischen ausgestorbener Spezies einzufangen, in diesem Fall einen Wal. Leider hat die zuständige Behörde eine fatale Tendenz zur Fehlinterpretation der überlieferten Daten – oder läuft etwas ganz anderes schief?

Ein erstes Highlight ist The Horses of Lir von Roger Zelazny, das zeigt, wie Wunderbares (und Schreckliches) im Verborgenen bis in die Gegenwart überdauert haben könnte und was es bedeutet, damit in Berührung zu kommen. Der Schauplatz der Geschichte ist abermals ein schottischer Loch, doch diesmal ist die Atmosphäre einmalig und Zelaznys eleganter Stil macht The Horses of Lir sehr lesenswert.
Mit Gordon R. Dicksons The Mortal and the Monster geht es grandios weiter, auch wenn der Titel, unter dem der Kurzroman ursprünglich veröffentlicht wurde, nämlich The Monster and the Maiden, treffender gewesen wäre – wozu man wissen muss, dass besagte Maid gerne Lachs frisst und ziemlich groß ist. Wir befinden uns wieder einmal am Loch Ness, immerhin sorgt in dieser Geschichte ganz Dickson-typisch ein Perspektivwechsel für Spannung: Man erfährt die Geschichte aus der Sicht des Seeungeheuers. Es ist ein trauriges, aus der Zeit gefallenes Monster, das gleichzeitig jugendlich sprühend wirkt, während sich beim Leser oder der Leserin Melancholie breitmacht, da man die Welt zu gut kennt, durch die die Protagonistin schwimmt. Die Geschichte enthält auch eine bezaubernde Darstellung eines Kommunikationsversuchs zwischen zwei intelligenten Spezies, die in völlig unterschiedlichen Bedingungen leben, und ist rundum gelungen.

In John Colliers Club Story Man Overboard darf man dann endlich Seeluft schnuppern und den gewitzten Ich-Erzähler auf eine Luxus-Yacht begleiten, die nur einem Zweck dient – dem Aufspüren eines Seeungeheuers. Die Geschichte ist klassisches Kurzgeschichten-Material, was man auch von Manly Wade Wellmans The Dakwa behaupten könnte, das allerdings wegen der Nutzung von amerikanischem Sagenstoff und einem schönen Ambiente die Nase weit vorn hat. Hier gelingt auch mühelos, was in der Eröffnungsgeschichte von de Camp gescheitert ist: Männliche Helden tun männliche Dinge … wenn sie nicht gerade im Bademantel herumlaufen, weil sie ein unfreiwilliges Bad mit dem Dakwa, einem ziemlich unheimlichen und bizarren Wassermonster, genommen haben. Wellman beschwört dabei ein phantastisches Nordamerika herauf, in dem man abends in einer einsamen Hütte das Banjo auspackt und hofft, dass die Wesen der Nacht draußen bleiben.
Eine weitere solide Club Story ist The Kings of the Sea von Sterling E. Lanier, in der Brigadier Ffellowes von einem Abenteuer während eines Urlaubs in Skandinavien berichtet. Sie kann mit einem starken Ende und einer bedrohlichen Atmosphäre punkten, während an der Oberfläche eigentlich nur sehr wenig passiert.

Grumblefritz von Marvin Kaye bringt mit nur vier Seiten in Form einer Zeitungsannonce das Format der Kurzgeschichte an seine Grenzen. Das Plädoyer für ein bedrängtes Seeungeheuer von New York ist eine spielerische Satire mit einem wunderbaren Konzept.
Die abschließende Geschichte, The Devil of Malkirk, ist die beste von Charles Sheffields Doctor-Darwin-Geschichten und wirft einige schottische Mythen in den Topf. Die Verortung am Loch Ness und in der Zeit von Erasmus Darwin wirkt aufgrund der sorgfältigen Recherche sehr lebendig. Außerdem gebührt der Geschichte, die zu den besseren dieser etwas durchwachsenen, aber mit sehr starken Höhepunkten ausgestatteten Anthologie gehört, immerhin der Ruhm, den Schlachtruf aller Kryptozoologen einzuführen: »What in the name of Linnaeus is this?«

Cover des Buches "Die sterbende Erde" von Jack Vance Die Erde stirbt: Die Sonne ist klein und rot geworden, jedem Wesen auf der Erde ist klar, dass sie früher oder später ganz verlöschen wird. Dann wird die Erde in ewige Dunkelheit gehüllt sein. Doch bis es so weit ist, lebt die degenerierte Gesellschaft den Exzess – jede Nacht wird mit fiebriger Heiterkeit gefeiert und an hohen Festen werden sogar Götter der eigenen Lust geopfert. Inmitten dieser zivilisierten Brutalität und künstlichen Wildnis versuchen einige Menschen ihrem Glück etwas näher zu kommen und begeben sich auf die Suche nach uraltem, verloren geglaubtem Wissen.

Turjan saß mit ausgestreckten Beinen auf einem Hocker in seinem Werkraum, den Rücken gegen den Tisch gelehnt, die Ellbogen darauf gestützt.-
Turjan von Miir

Die von Vance beschriebene Welt ist ungewöhnlich und spannend. Es ist die Erde in einer fernen Zukunft, physisch ausgelaugt, die einst spitzen Berge sind durch den Wind zu sanften Hügeln geschliffen worden, die Natur hat viele Gebiete zurückerobert und es ist nicht immer ratsam, die Wildnis zu bereisen. Denn in den überwucherten Ruinen der Zivilisation treiben sich vielfach groteske Geschöpfe herum und nicht wenige davon sind gefährlich.

“Ich begehre jene, die zu Euch gekommen ist. Ich hungre nach ihrem Fleisch”, erklärte der Deodant mit seiner sanften Stimme. (S. 75)

Wie alle Kreaturen sind auch diese dämonischen Kannibalen immer höflich.
Mit Hilfe der Magie lassen sich seltsamste Kreaturen formen: Mazirian schafft sich wunderschöne Tier-Pflanzen Hybriden; wenn ein Maulwurf sich in seinem Garten zu schaffen macht, schreien sie gequält auf, können sie den Übeltäter verdauen, stöhnen sie befriedigt.
Magie nimmt eine zentrale Stellung ein, sowohl was die Bedeutung als auch was die Häufigkeit angeht; sie ist eine sonderbare Mischung von Technik und traditioneller Magie: Mittels komplizierter mathematischer Formeln kann ein Magier Raum und Zeit falten und die Grundlagen der Materie manipulieren. So lassen sich Menschen mit beliebigem Aussehen und Charakter erschaffen oder mit der “Exzellenten Prismatischen Berieselung” die Feinde mit magischen Pfeilen beschießen. Hört sich wie D&D/AD&D an? Das Magie-System dieses Rollenspiels beruht in weiten Teilen auf Vances Ideen.

Zusammen mit der Sonne schwindet auch die Zivilisation; die Gesellschaft degeneriert. Man ist kaum mehr an der Person seiner Mitmenschen interessiert – dagegen sehr an ihren Fertigkeiten, Besitztümern – oder Äußeren – je nach dem, was gerade benötigt wird.
Die Protagonisten spiegeln dieses mal mehr, mal weniger wieder, aber negative Charaktereigenschaften haben alle; sie sind Individualisten, die ihre persönlichen Ziele anstreben, keiner von ihnen hat das Wohl der Gesellschaft im Sinn, bestenfalls ist ihnen ihr Partner nicht egal.
Hervorstechend ist hier Lian der Troubadourbandit. Leichtfüßig und mit viel Charme tänzelt er von Eskapade zu Eskapade, so daß man dem fröhlichen und farbenfrohen Schelm seine grausamen Folterungen und Morde fast nicht übel nimmt.

Das Buch besteht aus einer Reihe von sehr lose miteinander verknüpften Questen. Da ist Turjan, der von Pandelume die Urmatrix erbittet, um in seinen Trögen Menschen züchten zu können; Mazirian, der die schöne T`sain fangen und Turjan sein Wissen abpressen will; T`sais, die nur Haß und Häßlichkeit kennt, sucht Liebe und Schönheit; Lian will ein Artefakt erlangen, um sich die sanfte Hexe Lith gefügig zu machen; Ulan Dhor sucht nach den Tafeln des Rogol Domedonfor, die das Wissen der Menschheit tragen, um seine persönliche Stellung am Hofe zu verbessern und schließlich will Guyal von Sfere den Kurator des Museums der Menschheit finden, damit er die Leere in seinem Gehirn füllen kann.
Mögen die Plots eintönig scheinen, gewinnt die Geschichte durch die ungewöhnlichen Charaktere; im Vordergrund steht immer die Schilderung der bizarren, sterbenden Erde.

Sprachlich ist das Werk durchaus gelungen. Die Sätze sind meistens einfach, aber dafür mit Eleganz zusammengestellt. Das Vokabular ist üblicherweise unkompliziert, an passender Stelle aber durchaus malerisch bis überbordend.

Ob die Geschichte überhaupt zur Fantasy gehört oder doch zur Science Fiction, hängt sicherlich vom Standpunkt des Lesers ab. Einerseits könnte man in der Magie nur eine besondere Wissenschaft, eine Unterart der Mathematik sehen und die sonderbaren Kreaturen für Auswüchse der Kreativität von Menschen mit der Fähigkeit, Materie zu formen, halten, andererseits funktioniert die Geschichte aber genau wie ein Fantasy-Abenteuer und die Artefakte der untergegangenen Zivilisation mögen zwar technischer Art sein, erscheinen den Protoganisten aber wie Produkte des Übernatürlichen. Meiner Meinung nach ist die Geschichte wie die Magie ein Hybrid der Fantasy und SciFi.

Cover des Buches "Der Thron der Libelle" von Wolfgang Hohlbein Zehn Jahre nach dem letzten Angriff durch feindliche Drachen herrscht nach langer Unruhe endlich Frieden. Nach Meinung der Bürger von Schelfheim sind Angella, Kara und ihre Drachenreiter ohne weiteren Nutzen, denn die Gefahren scheinen gebannt. Doch dann häufen sich unerklärliche Phänome: Auf dem Land erscheinen giftige Seen aus dem Nichts, geheimnisvoller Staub tötet alle Menschen über 30 Jahre und in einem Landstrich hört es seit Monaten nicht auf zu regnen. Während die Drachenreiter die Phänome untersuchen, stellt sich heraus, dass dies nur die Vorboten einer weitaus größeren Gefahr sind, die nicht nur Schelfheim, sondern den ganzen Planeten bedroht.

-»Da siehst du, wie weit du mit deiner famosen Technik kommst«, erwiderte Kara verärgert. Sie gab sich Mühe, das Wort möglichst abfällig auszusprechen. »Wenn man sie einmal wirklich braucht, funktioniert sie nicht!«-
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Ganz im Stil des Vorgängers (Die Töchter des Drachen) gehalten, entwickelt der Autor auch hier wieder einen spannenden Roman, der überraschend tiefgründig wird.
Was vor 1100 Seiten als eine eher mittelalterliche anmutende Drachengeschichte beginnt, endet hier als Kampf zwischen Natur und Technik, Drachen gegen Maschinen, Veränderung gegen Erhaltung. Ich war besonders überrascht, dass der Roman in eine völlig andere Richtung steuert, als man es zunächst erwartet. Wer nur ein bisschen Abenteuer mit ein paar exotischen Tieren erwartet, wird enttäuscht bzw. überwältigt von der Tiefe, die der Autor in dieses unscheinbare Buch packt.

Drachen spielen zwar eine wichtige Rolle, aber nicht die entscheidende. Vielmehr wird die Entwicklung eines ganzen Volkes erzählt, die Geschichte der Erde, wie sie vielleicht ablaufen könnte. Unglaublich detailreich lässt Hohlbein eine Welt entstehen, die auf den ersten Blick fremd und bizarr erscheinen mag, bei genauerem Hinsehen aber gar nicht so abwegig wirkt. Die Handlung ist wider erwarten gut durchdacht und strukturiert, sie enthält kaum Längen und hält sich nicht mit unwichtigen Nebenaspekten auf. Kleinere Schwächen wie z.B. die vielen kleinen “Zufälle”, mit denen Kara wieder einer tödlichen Gefahr entgeht, stören zwar etwas, dafür wird man diesmal mit einem starken Finale belohnt.
Die letzten vierzig Seiten sind hier das Wichtigste, denn sie lassen die beiden Romane erst im richtigen Licht erscheinen. Sie krempeln die Geschichte nochmal fast völlig um.

Alles in Allem zwei wunderbare Bücher, die so ganz anders sind als das, was man sonst von Hohlbein kennt.

Cover des Buches "Die Töchter des Drachen" von Wolfgang HohlbeinAls Talianna noch ein Kind war, töteten Drachen ihre Eltern und legten ihr Dorf in Schutt und Asche. Nun, fast 20 Jahre später, zieht sie durch die Welt, um die grausamen Drachen zu finden und Rache zu nehmen. Ihr Weg führt sie durch eine zerstörte Welt, durch endlose Wüsten und ausgetrocknete Meere, wo jeder Schritt tödliche Gefahren birgt…

-Die Mauer ragte schwarz gegen den Nachthimmel auf, nicht mehr als ein Schatten, dessen Umrisse die Sterne auslöschten, die wie kleine blankpolierte Augen am Firmament standen; ein finsteres Loch, das jemand in den Himmel gestanzt hatte.-
Prolog

Ups – Moment! Habe ich mich beim Autor vermacht?
Ich habe einige Bücher von Hohlbein gelesen und war danach immer mehr oder weniger enttäuscht, also hatte ich entsprechende Vorurteile von diesem etwas älterem Werk. Aber nein, ich wurde überrascht. Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass ein Hohlbein-Roman mich nochmal so fesseln könnte.

Die Story enthält viele interessante Ideen und überraschende Wendungen. Besonders das Ende lässt den Roman dann in einem völlig anderen Licht erscheinen, als man zu Beginn erwartet hätte. Kleine Schwächen in der Handlung sind leicht zu verzeihen, da ist man wirklich Schlimmeres vom Autor gewohnt.
Anstatt wie üblich durch die Gegend zu hetzen und seine Charaktere möglichst viele tödliche Gefahren überleben zu lassen, nimmt sich Hohlbein Zeit, die Welt auszuarbeiten und zum Leben zu erwecken, in der Tally und ihre Gefährten sich befinden. Die Charaktere wirken nicht nur wie bloße Abziehbilder, sondern sind wie die Welt ziemlich gut beschrieben und glaubwürdig.

Einzig die Aufmachung bedarf Besserung. Vor Rechtschreibfehlern sind wir alle nicht gefeit, aber ein bisschen Mühe darf man sich schon geben. Ab und zu fehlen Buchstaben oder werden Personen vertauscht (was zu ulkigen Selbstgesprächen führen kann, wenn eine Person mit sich selbst streitet, was aber nicht Sinn der Sache ist), das könnte man besser hinbekommen. Dies stört aber den Lesefluss nur unwesentlich und man kann in aller Ruhe Tally bei ihrer Reise begleiten.

With A Tangled Skein von Piers AnthonySatan ist zurück und hat es diesmal darauf abgesehen, die Inkarnation des Schicksals zu manipulieren.
Als Niobes Ehemann im Sterben liegt, begibt sie sich in das Reich der Inkarnationen, um Thanatos darum zu bitten, das Leben ihres Gatten zu verschonen. Da weder er noch die anderen Inkarnationen sein Leben retten können, wird Niobe angeboten, ein Teil der Inkarnation des Schicksals zu werden. Mit der Aussicht darauf, als Inkarnation Satans Pläne zu stören und, wie sich herausstellt, Rache für seine Schuld am Tod von Niobes Mann zu üben, wird sie zu Clotho – dem jungen Aspekt der Inkarnation des Schicksals.

– Niobe was the most beautiful young woman of her generation, with hair like buckwheat honey and eyes like the sky on a misty summer morning and a figure that was better imagined than described. But she had her trifling faults, such as an imperious nature fostered by the ability to use her beauty to get her own way, and she was of only average intellect. Also, though she did not know it, she had been marked for a more difficult destiny, than she had any right to dream of. –
The Bonnie Boy, S. 1

With A Tangled Skein (Des Schicksals dünner Faden) ist der dritte Band aus der Reihe der Incarnations of Immortality von Piers Anthony und befasst sich mit einem sehr interessanten Charakter: der Inkarnation des Schicksals. Hierzu bedient sich Anthony bei der griechischen Mythologie, in der das Schicksal von drei Schwestern verkörpert wird. In dem vorliegenden Roman handelt es sich nicht um Schwestern, sondern um drei willkürlich gewählte Frauen, die in einem einzigen Körper miteinander verschmelzen, jedoch Individuen mit verschiedenen Aufgaben bleiben. Während die griechischen Vorbilder eine nicht zu unterschätzende Neigung zur Gehässigkeit aufweisen, sind die Frauen der Inkarnation überaus rechtschaffen und pflichtbewusst.
Die Dreifaltigkeit dieser Inkarnation hätte dabei so manche spannende Charakterentwicklung eröffnen können, doch der Autor verschenkt dieses Potential, indem er auf die beiden anderen Aspekte so gut wie nicht eingeht und sich allein auf Niobe konzentriert. Neben einer kurzen Einführung zu den verschiedenen Zuständigkeiten besitzen die drei auch kaum besondere Fähigkeiten, interagieren nur selten wirklich miteinander und wechseln so häufig, dass dem Leser kaum Zeit bleibt, die einzelnen Aspekte näher kennen zu lernen.

Interessant ist es dagegen wieder zu erleben, wie die einzelnen Fäden aus den vorangegangen Romanen erneut aufgegriffen und die Bände zu einem Gesamtbild verwoben werden – Hintergründe bekannter Figuren werden noch weiter ausgebaut und das Fundament für eine übergeordnete Handlung endgültig gefestigt. Dabei erstreckt sich die Handlung über einen Zeitraum von ca. 80 Jahren, was einerseits sehr viele Ereignisse aufzeigt, andererseits hat das auch mal unnötige Längen zur Folge.

Was With A Tangled Skein letztlich aber ungenießbar macht und sämtliche guten Ideen im Keim erstickt, ist der omnipräsente Sexismus. Piers Anthony schreibt hier aus der Sicht einer weiblichen Inkarnation, aus der Sicht einer ganzen Gruppe von Frauen und scheitert damit auf ganzer Linie. Seine Vorstellungen davon, wie Frauen denken, reagieren oder handeln, kann man nur als klassische Altherrenphantasie bezeichnen, in der Sex zur Universallösung wird.
Es beginnt relativ harmlos mit einer klar getrennten Rollenverteilung: Atropos, die Alte, übernimmt die Aufgaben einer Großmutter, Lachesis, die mütterliche Frau mittleren Alters, kümmert sich um die Ordnung, und Clotho, die blühende Jugend, wird die besondere Aufgabe zuteil, ihren männlichen Mitspielern sexuell zu Diensten zu sein. Als man nach einem Wechsel endlich glaubt, nun eine neue, selbstbewusste und emanzipierte Clotho präsentiert zu bekommen, die aufräumt mit den Klischees, wirft sie sich und ihre Jungfräulichkeit bei der erstbesten Gelegenheit demütig einem stereotypen Macho vor die Füße (den sie kurz zuvor geschlagen hat, weil er sie für eine Geisha – hier gleichbedeutend mit einer Prostituierten – gehalten hat). Warum? Weil seine enorme Männlichkeit Clotho die Augen öffnet und ihr ihre Fehler bewusst macht – sie entbrennt binnen Minuten in Liebe zu ihm.
Die Inkarnation des Schicksals, in deren Händen so viel Macht liegen sollte, wird unter Anthonys Feder zu einer weinerlichen, hilfsbedürftigen, oberflächlichen, emotional unberechenbaren, irrationalen und intellektuell beschränkten Puppe, die die Führung eines Mannes braucht, um sich im Leben zurechtfinden zu können, der sie beschützt und ihr die einfachsten Denkspiele verständlich macht. Ein Glück, dass die große Gegenfigur Satan unsere Protagonistin in einem faden Endkampf mit denselben Rätseln konfrontiert und sie dank der Lehren ihrer Ehemänner gerade noch in der Lage ist, den Teufel auszutricksen. Auch hier geht wieder nichts ohne sexuelle Gefahren. Damit einhergehend: mehr als unerfreulich ist der Umgang mit dem Thema Vergewaltigung, das in diesem Roman mehrfach zum Einsatz kommt. Seien es nun ein Dämon, der dies als Methode sieht, der eigentlich unverwundbaren, weiblichen Inkarnation doch noch zu schaden, oder Frauenfiguren, die ihre eigene Erfahrung damit wie ein unspektakuläres Kavaliersdelikt herunterspielen. Wirklich, Herr Anthony, … wirklich? Man weiß bei all den Klischees und bestenfalls seltsamen Ideen kaum, wo man mit dem Aufzählen beginnen und wieder aufhören soll.
Das alles schafft natürlich nicht nur ein stereotypes Frauenbild, sondern, das muss man der Fairness halber sagen, auch ein stereotypes Männerbild, bei denen beide schlecht abschneiden. Es wäre sicher interessant zu erfahren, wie männliche Leser dieses Buch bewerten und erleben.

Mit On A Pale Horse (Reiter auf dem schwarzen Pferd) hat Anthony einst ein ungewöhnliches Universum mit einer wunderbar gelungenen Verschmelzung von Technik und Magie erschaffen, bereits Bearing An Hourglass (Der Sand der Zeit) konnte schon nicht mehr mit dem Auftaktband mithalten. In With A Tangled Skein sind all diese Ansätze endgültig hinfällig. Der Weltenbau ist praktisch nicht existent und die Handlungsorte sind äußerst begrenzt.
Vorerst ist also die gelungene Idee der Inkarnationen der einzige Grund, diese Reihe fortzusetzen. Bleibt zu hoffen, dass Anthony im vierten Band Wielding A Red Sword seine anfängliche Stärke aus On A Pale Horse endlich wiederfindet. Bis dahin stellt With A Tangled Skein den vorläufigen Tiefpunkt dieser Buchreihe dar.

Cover des Buches "Der Zensor" von Marcus Hammerschmitt Ironie der Geschichte: Die Conquista verlief andersherum, die Maya haben durch ihre nanotechnische Überlegenheit die Spanier besiegt und kontrollieren nun den Südwesten Europas. Die iberische Bevölkerung, technologisch und wirtschaftlich an den Rand der neuen Mayagesellschaft gedrängt, dämmert in Hilflosigkeit und Armut dahin. Einige wenige aber, wie Enrique, lehnen sich gegen die Usurpatoren auf und kämpfen einen hoffungslosen Guerillakrieg.

-Weiter draußen, wo die bewässerten Felder aufhörten, wo die Spanier lebten, war alles anders. Die Straßen waren schlechter, die Häuser nicht nur einfach, sondern primitiv, und das Wellblech, der Standartbaustoff der Armut, war hier allgegenwärtig. Die Spanier, faul wie immer, hatten wieder einmal viel zu früh mit der Siesta angefangen.-
16. Juni 2136
13.6.5.5.1 8 Imix 4 Xul Nachtgott 2

Marcus Hammerschmitt hat eine spannende und innovative Utopie geschaffen, in der die Mayas Spanien erobert haben, und nun den iberischen Bewohnern ihre Kultur mit Hilfe von technologischen Errungenschaften auf dem Gebiet der Nanotechnologie gewaltsam aufzwingen. Die spanischen Städte wie auch jeder Spanier bekamen Mayanamen (Madrid heißt Nadz Caan), Mais ist das Hauptnahrungsmittel und die Hauptstadt Nanotikal wird von einem künstlich erschaffenen Urwald umringt.
Hammerschmitt kehrt die Geschichte um und schafft so eine interessante Mischung aus Geschichtsgedankenspiel und Science Fiction. Die opponierenden Seiten (Maya und Spanier) werden aus Sicht von Yaqui Ahau, dem obersten Zensor von Naotikal, und Enrique, einem spanischen Guerillero geschildert. Beide Protagonisten werden facettenreich und farbig charakterisiert, so dass sie dem Leser, obwohl sie durchaus nicht sympathisch sein müssen, ans Herz wachsen.

Der Einstieg in die Geschichte fällt dem Leser leicht, da anfangs ein wenig der Alltag des Ahau Yaqui geschildert wird und man sich auf diese Weise behutsam mit der Welt der technisierten Mayagesellschaft vertraut machen kann. Dann wird die Handlung zügig vorangetrieben und die Spannung bis zum Ende aufrecherhalten. Mit 221 Seiten ist dieses Werk nicht gerade umfangreich, dennoch schafft es Hammerschmitt, die Kultur der futuristischen Maya und Spanier anschaulich und in vielen Aspekten zu beschreiben. Hammerschmitt setzt futuristische technologische Ideen gekonnt sparsam ein und schafft es, diese glaubwürdig in seine Welt zu integrieren.
Wer sich allerdings noch mehr für die politischen Auswirkungen dieser geschichtlichen Wendung interessiert, wird im Dunkeln gelassen. Der Leser erfährt kaum etwas über die Welt außerhalb Südamerikas und des eroberten Spaniens. Auch bleiben die Umstände um die Conquista durch die Maya nebelhaft. Sicherlich wäre es Hammerschmitt möglich gewesen, den Leser stärker über diese Aspekte zu informieren, aber er hat sich auf die wesentlichen Inhalte seiner Utopie konzentriert. Dieses kommt dem Werk sehr zugute, da auf Nebenhandlungsstränge, langatmige Schilderungen und “Geschwafel” verzichtet wird. Die Handlung ist daher knackig und wirkt sehr durchdacht, ist aber keinesfalls vorhersehbar.
Hammerschmitt hat eine flüssige Sprache. Sein Schreibstil ist prägnant und auf positive Art “erfrischend” deutsch, weshalb die Seiten unter den Augen nur so dahingleiten.

Ein gutes Buch will man meist irgendwann nochmals lesen, aber der volle Lesespaß würde dem Leser beim zweiten Mal nur zuteil, falls er sich die überraschende Auflösung mit einer nanotechnologischen “Gedächtnisbombe” aus dem Gedächtnis löschen könnte. Denn sonst wird der Leser das geniale Ende wohl kaum vergessen.