Autor: Gentle@Mary

Cover des Buches "Der blaue Löwe" von Mary Gentle Im späten Mittelalter kämpft die Söldnerführerin Ash an der Spitze ihrer eigenen Kompanie unter dem Wappen des blauen Löwen. Seit ihrer Jugend hört sie die Stimme eines Heiligen in ihrem Kopf, die in Sachen Strategie und Taktik stets den richtigen Rat gibt. Während das Herzogtum Burgund und das Heilige Römische Reich deutscher Nation ihre Rivalitäten ausfechten und so Söldnern wie Ash goldene Zeiten bereiten, landen in Südeuropa überraschend fremdartige Invasionstruppen, deren Waffentechnologie geradezu magisch anmutet. Ash wird tiefer in diese Auseinandersetzungen hineingezogen, als ihr lieb ist. Und sie entdeckt, dass ihre “Stimme” so heilig gar nicht ist…

Ich entschuldige mich nicht dafür, eine Neuübersetzung dieser Dokumente zu präsentieren, welche unsere einzige Verbindung zum Leben dieser außergewöhnlichen Frau darstellen, Ash (geb. 1457 [?], gest. 1477 [?]), denn eine solche Neuübersetzung war schon lange nötig.-
Einführung

Mary Gentle orientiert sich unübersehbar an neueren Vertretern des Fantasygenres wie China Miéville, George R.R. Martin oder Michael Swanwick. Ihr Vorhaben ist daher durchaus ambitioniert.

Im Gegensatz zur üblichen Vorgehensweise der genannten Autoren lässt Gentle ihre Geschichte allerdings in einer historischen Epoche Europas spielen, dem 15. Jahrhundert. Es ist die Zeit des Niedergangs des Rittertums. Anstelle feudaler Heere stehen sich auf den Schlachtfeldern Söldnerkompanien gegenüber, die von Plünderung und taktischen Seitenwechseln in den zahlreichen Kriegen dieses blutigen Jahrhunderts leben.
Die Heldin Ash ist eine Art Gegenentwurf zu Jeanne d’Arc: im Tross einer Söldnerkompanie geboren, von frühester Kindheit an ans Töten gewöhnt, für das Überleben in einer harten Männerwelt bestens ausgerüstet mit einem großen Repertoire blasphemischer Flüche und zweideutiger Witze.
Mary Gentle würzt ihre Geschichte mit zahlreichen Details über spätmittelalterliche Waffentechnik, womit sicherlich nicht jeder Leser etwas anfangen kann. Die phantastischen Elemente nehmen sich anfangs spärlich aus, treten aber im Verlauf der Handlung immer stärker hervor.
Womit wir beim großen Manko dieses Romanauftakts zu einem neuen Zyklus wären: Die Handlung zieht sich wie ein Kaugummi, schleppt sich durch nichtssagende Dialoge und zerstückelt wirkende Szenen. Man wird das Gefühl nicht los, die Autorin hätte ihr Werk auf Wunsch der Verleger so ausgedehnt, denn in komprimierter Form hätte Gentle ein- und denselben Roman wesentlich spannender und dynamischer gestalten können. Ein weiterer Minuspunkt ist die deutsche Übersetzung, die selbst für Fantasy-Verhältnisse außerordentlich holprig ist, offensichtliche Grammatik- und Ausdrucksfehler sind gar nicht mal so selten.

Typische Fantasymotive und -figuren versucht die Autorin (wie ihre angenommenen Vorbilder auch) zu vermeiden. Stattdessen bedient sie sich der Technik alternativer Geschichtsverläufe. So ist das Christentum in diesem fiktiven 15. Jahrhundert weniger von der jüdischen Tradition als vielmehr vom Mysterienkult des Sonnengottes Mithras geprägt, dem in der Antike zum Beispiel Kaiser Konstantin anhing und der vor allem unter Soldaten Verbreitung fand. Es ist eine interessante Spekulation, wie das mittelalterliche Christentum ausgesehen haben könnte, wenn es sich in eine stärker synkretistische Richtung entwickelt hätte. Konstantin, der das Christentum zur römischen Staatsreligion machte, identifizierte schließlich Christus zeitlebens mit “seinem” Sonnengott. Auf mit der Materie weniger vertraute Leser dürften solche Anspielungen aber eher irritierend wirken. Auch die geheimnisvollen Invasoren im Roman sind ein im Nebel der (bekannten) Geschichte versunkenes Volk. Um wen es sich handelt, sei hier nicht verraten. Die Phantastik beschränkt sich jedoch nicht auf Alternativgeschichte: Priester und Rabbis wirken Wunder, es gibt Heiligenerscheinungen und im Hintergrund tut sich eine Welt geheimnisvoller Wesenheiten auf, die über steinerne Köpfe und Statuen mit den Menschen kommunizieren.

Cover von Herr der Ratten von Mary GentleIn der gewaltigen Metropole, die Das Herz der Welt genannt wird, brodelt es. Die Menschen leben unterdrückt von den Rattenlords, sie werden aber wegen ihrer Handwerks-Mysterien benötigt, denn deren Strukturen prägen die Welt. Doch die Anhänger des Hauses Salomon um den Meister-Bauer Falke wollen nicht länger Tempel für andere bauen und die Verschwörer um den Priester Plessiez wollen den Rattenkönig von der weltlichen Herrschaft der Dekane, den 36 Inkarnationen des Göttlich-Dämonischen, befreien. In diese Verschwörungen hinein gerät der junge Lucas, ein Student an der Universität des Verbrechens, der sich prompt in die ältere Frau Weiße Krähe verliebt, eine Schüler-Soldatin des Unsichtbaren Kollegs. Wer hält schlussendlich die Fäden in der Hand?

-Heiseres Geschrei tönte über den Platz vor der Kathedrale, wo die Menge darauf wartete, ein Schwein hängen zu sehen.-
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Das Herz der Welt ist eine monströse Stadt, die sich bis an den Horizont erstreckt – die Zahl der Einwohner läßt sich nicht einmal schätzen. In und unter der Stadt spielt sich das ganze Geschehen der Geschichte ab. Auch wenn vieles an die Renaissance erinnert, wie Rapiere, Musketen, Kutschen und architektonische Kunstwerke, gibt es doch auch viele andere Details, wie Luftschiffe, Fotoapparate, Mikrophone samt Lautsprecheranlage sowie eine U-Bahn. Noch sonderbarer sind aber die Paradoxa; so gibt es fünf Himmelsrichtungen (Nord – West und Aust), die jeweils in einem 90° Winkel auf einem 360° Kreis liegen oder das merkwürdige Verhältnis von feststehendem Schicksal und beeinflußbarer Zukunft. Diese magischen Elemente, wie das Wirken von Magie insgesamt, sind der hermetischen Magia der Renaissance entliehen; Talismane, Tarot-Karten, astrologische Tabellen und insbesondere das Prinzip der Korrespondenz spielen eine große Rolle, Zauberstäbe und Feuerbälle keine.

Die Zahl der auftretenden Figuren ist überwältigend. Viele der Figuren sind umfassend gebildet oder sehr schlau, es gibt kaum einen einfachen Schlagtod oder Langfinger, auch wird ihnen kaum Raum zur Entfaltung zu gestanden. Dafür aber sind es keine geraden Typen, es ist keine Schönheit dabei, kein Muskelprotz oder hagerer Herrscher, sie alle sind ein wenig sonderbar und eigentümlich. Einigermaßen ungewöhnlich ist auch die schiere Zahl der starken Frauenfiguren, deutlich mehr als die Hälfte der aktiven Figuren sind weiblich.
Die Autorin erzählt eine Vielzahl von Geschichten, die einander überkreuzen. Die meisten davon sind in irgendeiner Form Verschwörungen. Im Kern stehen jedoch die Bemühungen von Plessiez und Falke den Status Quo endgültig zu verändern und Valentines Bemühungen das Ende der Welt zu verhindern. Aufgrund der zahlreichen Handlungsstränge wirkt die Geschichte sehr wirr, es scheint, als ob sich die Autorin selbst nicht immer im klaren sei, wohin die Reise gehen soll, denn mindestens ein Strang verläuft ins Leere.

Daß einige Figuren sehr spät eingeführt werden, die Paradoxa des Settings und die Tendenz der Autorin wenige Überblicksinformationen zu geben und die wenigen nur sehr beiläufig, macht das Verständnis nicht leichter. Hinzukommt, daß die Autorin gerne und ausführlich Details beschreibt – so sind die Kern-Plots nach etwa 600 Seiten abgeschlossen, aber es folgen noch ungefähr 70 Seiten. Dennoch ist die Geschichte interessant, einige Stränge sind sogar sehr spannend und die Auflösung um Valentines Strang ist sehr ungewöhnlich – kurzum: Es wird viel magisches, phantastisches und originelles geboten.
Auch wenn diese Geschichte Teil des White Crow Zyklus’ ist, sind kaum Anknüpfungspunkte zu den anderen Geschichten zu finden, selbst die zwei wiederkehrenden Charaktere – Valentine und Casaubon – verändern sich von Geschichte zu Geschichte.
Der Schreibstil ist dem Verlauf der Geschichte angemessen, denn die Autorin benutzt häufig mittellange Sätze, deren Duktus nicht immer leicht zu folgen ist. Die Wortwahl ist zumeist angemessen, so ist die Ausdrucksweise der Figuren bisweilen recht derb. Allerdings ist die Übersetzung nicht immer gut – Scholar-Soldier wird mit Schüler-Soldat übersetzt; “Gelehrter-Soldat” oder “Lehrer-Soldat” wäre treffender gewesen, am besten wäre es vielleicht den ersten Teil gar nicht zu übersetzen: Scholar-Soldat.
Das Titelbild ist bescheiden, aber dafür gibt es kommentierte Holzschnitte, die das Geschehen z. T. sehr treffend wiedergeben, aber in jedem Fall gut zur Gesamtstimmung passen.