Zane ist ein echter Pechvogel. Er ist weder besonders attraktiv, noch hat er ein nützliches Talent, und erfolgreich ist er schon gar nicht. Als ihn ein Händler für magische Steine auch noch über den Tisch zieht und ihm nicht nur die Chance auf Reichtum nimmt, sondern auch die Liebe seines Lebens, beschließt Zane seinem Elend ein Ende zu setzen. Er begibt sich in seine heruntergekommene Bleibe, zieht eine Waffe und schießt … dummerweise passiert ihm auch hierbei ein Missgeschick und Zane erschießt nicht wie geplant sich selbst, sondern den Tod höchstpersönlich. Wie es die Gesetze verlangen, muss Zane nun die Nachfolge antreten und die Sense in die Hand nehmen. Als wäre das alles noch nicht genug, stellt er bald fest, dass Satan ganz eigene Pläne für den frischgebackenen Tod hat.
– The door opened again. This time a woman of middle age entered. Zane had never seen her before. She glanced approvingly at the fallen figure. “Excellent,” she murmured.
Zane wrenched his horrified gaze to her. “I killed Death!” he exclaimed.
“Indeed you did. You shall now assume his office.” –
Kapitel 2, S. 28
Piers Anthony hat hier eine interessante Geschichte verfasst, die einfach mal etwas anderes ist und sich vom klassischen Schema der Fantasy abhebt. On A Pale Horse (Reiter auf dem schwarzen Pferd) ist der erste Band aus der achtteiligen Reihe Incarnations of Immortality, veröffentlicht im Jahre 1983. In der hier beschriebenen Welt existieren Magie und Technologie gleichberechtigt nebeneinander, ein Gesellschaftsentwurf, der heute, so scheint es, nur noch selten genutzt wird.
Was diesen Roman so lesenswert macht, ist die Grundidee der Incarnations of Immortality: Ein jeder wird schon von den zentralen Aspekten des menschlichen Seins gehört haben: Zeit, Tod, Schicksal, Krieg, Natur, Gut und Böse. Hier ist es nun so, dass diese Aspekte als leibhaftige Inkarnationen existieren, also von gewöhnlichen Menschen personifiziert werden. In On A Pale Horse erfährt der Leser, wie sich solch ein einfacher Mensch in die Rolle als Inkarnation des Todes einfügt.
Die Figuren in diesem Buch sind allesamt sympathisch. Egal wie böse, geheimnisvoll, kompliziert oder verschroben sie sind, man liest sie gerne und sie wirken lebendig und überzeugend. Selbst Satan mit seiner süffisanten Art und seinen Intrigen bringt einen zum Schmunzeln. Nicht zuletzt ist das natürlich auch Anthonys Schreibstil zu verdanken, der das Ganze mit einer Prise Ironie würzt und viele ungewöhnliche, humorvolle Ideen einbaut. So haben Reisende beispielsweise die Wahl zwischen Flugzeug oder fliegendem Teppich, und die Abteilung “Fegefeuer” hat ihre eigenen Nachrichtensprecher samt dazu gehörendem privaten Fernsehkanal und Videokonferenz.
Ein weiteres Plus dieses Romans ist seine gesellschaftskritische Herangehensweise. Der Autor wendet sich heiklen Themen wie Sterbehilfe, künstlicher Lebenserhaltung und damit der Gerätemedizin zu. Der gesellschaftliche Umgang mit dem Tod wird in Frage gestellt. Der Protagonist Zane/Thanatos muss in seiner Rolle als Inkarnation des Todes lernen, dass der Tod seine Berechtigung hat, dass er nicht um jeden Preis verhindert werden muss, dass es auch ein würdeloses Sterben gibt und der Tod zur Erlösung für den Sterbenden wird. Zane/Thanatos sieht sich sehr oft mit den Fragen um Moral und Mitgefühl konfrontiert, und obwohl Piers Anthony dies meist humorvoll verpackt, wirkt es weder respektlos noch geschmacklos, sondern er würdigt die Ernsthaftigkeit des Themas, ohne belehrend zu wirken. Dadurch bringt Anthony den Leser zum Nachdenken.
On A Pale Horse ist ein zum Ende hin immer spannender werdendes, in sich abgeschlossenes Buch und kann daher problemlos auch ohne die folgenden Bände gelesen werden. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass hier bereits einige Grundsteine für die Serie gelegt werden. Wer sich aber unsicher ist und zunächst nur in die Buchreihe hineinschnuppern möchte, kann das mit On A Pale Horse getrost tun, ohne mit großen Fragen zurückgelassen zu werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieser Roman mehr zu bieten hat, als man zunächst annimmt, und es sich durchaus lohnt, einen Blick zu riskieren.