Nachdem Hezhi, Prinzessin von Nhol, gemeinsam mit Perkar und dem Schamanen Brother Horse aus dem Einflussgebiet des Großen Flußgottes fliehen konnte und sich in Sicherheit wähnt, sammelt dieser gerade erst seine Kräfte: Ghe, von den Toten auferstanden und mehr Geist als Mensch, wird zur mächtigsten Waffe seines Herren.
Angesichts dieser Gefahr verbündet sich Hezhi mit dem Gott Karak, der Krähe, um den Flußgott für immer zu besiegen, und bald wird es unmöglich, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden …
Wake up, my guest
You have slept long
In the house of my ribs,
The house of my heart
Wake up now,
See through my eyes,
Walk with my feet,
Yush, my old friend.-
XIX. Drum Battle
„Waterborn Fans will be jubilant“, lautet das Versprechen auf der Rückseite des zweiten Romans der Chosen of the Changeling-Reihe, The Blackgod, in welchem uns Greg Keyes einmal mehr in die Welt eines alternativen Amerika entführt, wo indianische Nomaden und sesshafte Hirtenvölker neben orientalisch angehauchten Hochkulturen existieren. Es ist eine Welt, die von ursprünglicher Magie erfüllt und und wo jeder Baum, jeder Stein, jedes Lebewesen beseelt ist. Der Schamanismus und Mystizismus, der von den Naturvölkern praktiziert wird, steht deshalb im scharfen Gegensatz zu dem aggressiven und krankhaft-dekadenten Monotheismus der Stadt Nhol, und tatsächlich ist auch in The Blackgod die Anbetung des großen Flußgottes Ausgangspunkt aller Konflikte.
Der Fortsetzungsband The Blackgod schließt inhaltlich nahtlos an seinen Vorgänger an und rückt den Kampf von Hezhi und Perkar gegen den Flußgott in den Mittelpunkt, denn die Flucht Hezhis aus Nhol beendete keineswegs den kranken Einfluss des Flußgottes auf ihr Schicksal und das Schicksal ihres Volkes. Denn der Gott hat sich eine mächtige Waffe erschaffen: Ghe, schon zu Lebzeiten ein tödlicher Gegner, wird nach seiner Wiedererweckung durch den Fluß ein übermächtiger Feind, dessen Macht übermenschlich erscheint und einen hohen Tribut fordert – die Menschlichkeit selbst. Keyes schildert meisterhaft und bedrückend, wie der Ghul, weder Mensch noch Tier noch Gott, an physischer und magischer Stärke gewinnt und auf diesem Weg seine Menschlichkeit schleichend verliert. Die Entwicklung des einstigen Assassinen zeigt, wie mit anormaler, pervertierter Logik sämtliche Moralvorstellungen scheinbar außer Kraft gesetzt und durch Pflichterfüllung ersetzt werden können – danach finden alle Taten ihre Rechtfertigung, und es ist für den Leser keine bequeme Aufgabe, Ghe in seine Gedankenwelt zu folgen. Simple Kategorien wie „Gut“ oder „Böse“ wird man in The Blackgod nicht antreffen; denn auch die Jäger von Hezhi haben treffliche Gründe für ihr Handeln, Perkars Weg – der des Helden – ist mit Leichen übersät, und für die Götter existiert keine Moral, kein Gesetz, sondern die Notwendigkeit und das Gutdünken. Das Brechen mit den etablierten Vorstellungen von Gut und Böse ist eine der größten Stärken des Romans; dies macht The Blackgod nicht zu einer einfachen, aber mehr als lohnenswerten Lektüre.
Keyes beschränkt sich in seiner Charakterzeichnung jedoch keinesfalls nur auf das Ausloten (un)menschlicher Abgründe. Vielmehr entwickelt er mit Hezhi und Perkar zwei Protagonisten, die in ihrem Streben, das Richtige zu tun, unterschiedlicher nicht sein könnten. Da ist Hezhi, die ihrer Rolle der Prinzessin und den festgelegten Bahnen ihres Lebens komplett entfliehen möchte und sich nur in Momenten der tiefen Trostlosigkeit nach dem ihr vorherbestimmten Leben im Palast von Nhol zurücksehnt. Perkar hingegen ist ein Held: er lebt für das Schicksal, für das Erfüllen von Aufgaben und Questen, für schicksalsschwere Kämpfe und seine Ehre als Mann und Krieger. Eine Rolle also, wie sie scheinbar klischeebeladener nicht sein könnte – doch Keyes ironisiert den Heldenmythos derart, dass Perkars von Ehrgefühl geleiteten Taten, seine Schwüre und seine heroisch-verzweifelten Kämpfe immer eine tragisch-komische Saite zum Klingen bringen. Er ist in seiner Rolle derart determiniert, dass alle Regungen, all das Gerede von Schicksal und Ehre, das den fantasyerfahrenen Lesern zu gut bekannt sein dürfte, hohl und leer erscheinen. Der Kampf Perkars gegen seine Heldenrolle ist für mich eines der ehrlichsten Auseinandersetzung mit den Themen Schicksalsergebenheit und Eigenbestimmung, die ich aus der phantastischen Literatur kenne.
Während Perkar also mit dem Heldentum hadert, aber sich gleichzeitig an dieses Rollenkonstrukt klammert wie ein Ertrinkender an den Rettungsring, ist es Hezhis größter Wunsch, all ihre Rollen ablegen zu können wie Kleidungsstücke, um sich endlich als Mensch – nicht als Prinzessin, Gefangene, Schamanin oder Anführerin – zu erfahren. Doch da manche in ihr die einzige Hoffnung, andere in ihr die vollständige Zerstörung sehen, erscheint Hezhi ihr Wunsch nach Selbstbestimmung wie eine egoistische, eitle Regung.
Die Tiefsinnigkeit und Authentizität des Romans wird auch bei einem weiteren Thema spürbar: der Ethnologe Keyes nähert sich den verschiedenen Kulturen seiner geschriebenen Welt, ohne in einen populären romantisierend-entwürdigenden Exotismus zu verfallen, und schildert glaubhaft und detailliert die verschiedenen kulturellen Konzepte. Ohne dies aufdringlich oder plakativ zu gestalten, beschäftigt sich Keyes dabei mit rassistischen Denkweisen, die mehr als vertraut wirken: für die Bewohner des ‘zivilisierten’ Nhol sind die indianischen Mang nicht mehr als Barbaren, wenn auch mit einer „exotischen Schönheit“ behaftet, und ihre Kultur wird nur aus größtmöglicher Ferne studiert und belächelt wie ein skurriler Witz. Der Roman wird inhaltlich auf eine neue Ebene gehoben, als die linguistischen Spurensuchen der Protagonisten ergeben, dass beide Völker die gleichen Wurzeln haben; spätestens an dieser Stelle wird deutlich, mit wie viel Hintersinn und Ironie sich der Autor mit interkulturellen Problemen und dem Toleranzgedanken auseinandergesetzt hat. Besonders in den komplexen Beziehungen der kulturell gemischten Gruppe um Hezhi und Perkar spielen die Themen Freundschaft, Offenheit und Misstrauen allem Fremden gegenüber eine große Rolle und halten dem Leser mehr als ein mal freundlich, aber bestimmt, den Spiegel vor, ohne das der Roman einen belehrenden Tonfall erhält.
Mit viel Sensibilität und Gespür für Menschlichkeit beschreibt Keyes die Entwicklungen seiner Protagonisten, die neben der spannungsgeladenen Handlung einen ganz eigenen Sog entwickeln und den Leser nicht mehr loslassen. So ist es kein Wunder, dass das letzte Viertel des Romanes in atmenloser Spannung am Stück gelesen werden will – mit seiner poetischen und zum Weinen schönen Sprache erschafft Keyes eine von Leben erfüllte Welt, die, es darf nicht anders sein, irgendwo in all ihrer schrecklichen und zerbrechlichen Schönheit und ihrer Naturerhabenheit existieren muss. Wer einmal die Wälder des Balat bereiste und gemeinsam mit behuften, geflügelten und gehörnten Gottwesen unter die Oberfläche des Sees tauchte, um auf Sternenpfaden zu wandern, wird wissen, wovon ich spreche.