Blackbirds

Blackbirds von Chuck WendigMiriam Black hat eine dunkle Gabe: sie kann Zeit und Art des Todes eines Menschen sehen, sobald sie dessen Haut berührt. Verhindern konnte sie einen Tod nie. Meist sieht Miriam sie im hohen Alter sterben, manche verunglücken bei einem Unfall, selten beobachtet Miriam einen Mord. Als sie den hilfsbereiten Trucker Louis trifft, sieht sie jedoch genau das – Louis’ brutale Ermordung in wenigen Wochen. Was sie jedoch am meisten schockiert, ist, dass sie dabei sein wird, wenn es passiert. Was hat das zu bedeuten und hinter wem sind die Killer wirklich her? Kann Miriam seinen Tod verhindern, wenn sie sich von ihm, so weit es geht, fernhält? Oder steht das Schicksal fest geschrieben und jeder Versuch, es zu ändern, muss scheitern?

»Es ist dein Schicksal, an deines eigenen Mundes Fleisch zu ersticken, hier in diesem gottverfickten Motel am Arsch der Welt. Ich würde ja etwas tun, wenn ich könnte, aber ich kann nicht. Würde ich dir die Brieftasche unter die Zunge schieben, würde ich die Zunge wahrscheinlich nur tiefer reindrücken. Weißt du, meine Mutter hat immer gesagt: ›Miriam, es ist, wie es ist.‹ Und so, Del Amico, ist es.«
– Der Tod von Del Amico

Blackbirds ist der Auftakt einer Reihe, die allen Roadmovie-Fans das Herz höher schlagen lassen wird. Meist in der Perspektive der abgebrühten Miriam wird der Leser in eine Achterbahn von Ereignissen geworfen. Ehe man es sich versieht, jagen Drogendealer und Killer sie quer durchs Land und metzeln alles nieder, was ihnen in den Weg kommt. Es wird mit Wonne gefoltert und zwar auch gerne mal mit Ausführungen des Täters. Es wird zwar nicht zum Splatter-Roman, doch man sollte nicht zu zart besaitet sein, wenn man Blackbirds lesen möchte.

Der Roman beginnt mit Miriam, die in einem schäbigen Hotel dem bevorstehenden Tod eines wirklich unsympathischen Scheißkerls beiwohnen möchte – nunja, „möchte“. Vielmehr fühlt sie sich verpflichtet, schließlich hat sie seinen Tod bereits gesehen, außerdem hilft ihr das Bargeld in seinen Taschen dabei, ein paar Tage über die Runden zu kommen. Sie ist knallhart, hat ein ausgesprochen derbes Vokabular, säuft, was das Zeug hält, und bevorzugt den gelegentlichen, aber auf jeden Fall unverbindlichen Sex mit Fremden. Ihre unheimliche Fähigkeit hat sie sichtlich gezeichnet und sie meidet enge Bindungen zu anderen Menschen wie der Teufel das Weihwasser. Als Straßenvagabundin macht sie also keine Gefangenen und kann ebenso heftig austeilen, wie sie einstecken kann, und sie geht keinerlei Verpflichtungen ein. Sie denkt praktisch, egoistisch und überaus zynisch. Kurz gesagt: Miriam ist selbstzerstörerisch. Umso überraschender ist es, dass sie dem vereinsamten Louis ein wenig das Herz öffnet und zum ersten Mal seit einer Ewigkeit so etwas wie Zuneigung für einen Menschen zulässt. Es ist eine wackelige Beziehung, die Miriam aber etwas mehr Menschlichkeit verleiht und den Bogen an einer Stelle schlägt, wo man als Leser beinahe zu genervt ist von der schlecht gelaunten Protagonistin, um noch lange am Ball bleiben zu wollen. Denn im Grunde ist der Ansatz dieser rohen Figur nicht schlecht, nur leider übertreibt es der Autor gerne mal. Es dauert recht lange, bis man mit der Figur wirklich warm wird. Viel zu lange bleibt sie zu oberflächlich, als dass man das Verhalten glaubhaft nachvollziehen oder sich in Miriam hineinversetzen könnte.
Nach und nach erfährt man schließlich aber doch mehr über die holprige Vergangenheit von Miriam und endlich wird ihr Tiefe zuteil. Das macht den anfänglich schwachen Start zwar auch nicht wieder gut, doch mit diesem Wandel wird plötzlich die Neugier des Lesers geweckt und auch dessen Verständnis.
Den übrigen Charakteren schadet die Oberflächlichkeit nicht, da es sich dabei hauptsächlich um regelrechten Abschaum handelt, der sowieso keine Sympathien wecken soll und stattdessen für Entsetzen zuständig ist. Das betrifft vor allem die Auftragskillerin Harriet, für die zu foltern Kunst und Glücksgefühle bedeuten; und ihren Chef, den seltsamen Glatzkopf, der in seinem Beutel Menschenknochen sammelt.

Die Erzählung wird in mehreren Teilen immer wieder unterbrochen und fortgesetzt, so dass sich die Details wie ein Puzzle langsam zusammenfügen und spannende Stellen mit einem „Zwischenspiel“ zum Cliffhanger werden. Im Falle von Blackbirds ist das recht interessant und wertet die Erzählung auf, auch sind die Sprünge nicht so groß, dass man den Faden verlieren würde.

Blackbirds liefert eine spannende Idee und ein actionreiches Abenteuer mit ordentlich Blut. Einzig die vulgäre Sprache der Protagonisten ist auf Dauer etwas anstrengend, da hier wirklich, wirklich viele davon sich die Klinke in die Hand geben, zu jeder Gelegenheit. Vielleicht musste der Autor, der sonst Drehbücher schreibt, in seinem Debütroman etwas kompensieren, was ihm bei den Filmstudios aufgrund von Zensuren verwehrt bleibt. Man weiß es nicht. Einen Blick wert ist der Roman aber durchaus. Chuck Wending hat die Verbindung von Urban Fantasy, Thriller und Roadmovie gut hinbekommen, und wer es gerne rau, teils brutal, auf jedenfall schonungslos mag, der kommt ganz auf seine bzw. ihre Kosten. Man sollte sich allerdings bewusst sein, dass dieser Auftaktroman ganz klar auf die Fortsetzung baut und viel mehr Fragen aufwirft, als welche zu beantworten. So bleibt auch ungeklärt, wie Miriam zu ihrer Fähigkeit gekommen ist und was genau in ihrer Jugend mit ihr passierte. Blackbirds schließt zwar die Haupthandlung letztlich ab, liest sich aber insgesamt doch mehr wie eine Einleitung für das eigentliche Spektakel.

Noch ein Wort zum Buchcover, denn hier sind mit viel Liebe zum Detail jede Menge Hinweise auf die Story eingeflochten worden. Und wie oft kommt es bei einem Cover schon vor, dass es ernsthaft durchdacht wurde? Schöne Sache!

Stand: 18. März 2014
Originaltitel: Blackbirds
Erscheinungsjahr: D 2013
Verlag: Bastei Lübbe
Übersetzung: Axel Franken
ISBN: 978-3404207107
Seitenzahl: 304