Subgenre: Phantastik

Alice hinter den Spiegeln von Lewis CarollIm Spiel mit ihrem kleinen schwarzen Kätzchen vertieft, überlegt das Mädchen Alice sich, wie lustig es auf der anderen Seite des Spiegels wohl sein mag, und so geht sie durch diesen ins Spiegelhaus. Sich dort umschauend sieht sie, wie die Figuren des Schachspiels lebendig werden. Auch sonst ist einiges sonderbar, und Alice beschließt sich den Garten anzusehen, was ihr zunächst sehr schwer fällt, da die Wege vom Haus weg zum Haus hinführen. Erst nach einigen Anstrengungen kann sie dem Haus entkommen. Im Garten trifft sie auf die Schwarze Königin, die dem Mädchen erklärt, wie es vom Bauern zur Königin werden kann. Alice nimmt die Herausforderung an und beginnt eine höchst bizarre Reise…

– So viel stand fest: das weiße Kätzchen hatte nichts damit zu tun – das schwarze war ganz allein an allem schuld. –
Kapitel 1, Das Haus hinterm Spiegel

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Alice im Wunderland von Lewis CarollDer kleinen Alice ist zum Einschlafen langweilig. Da läuft plötzlich ein weißes Kaninchen vorüber, das auf seine Taschenuhr schaut und sein Zu-Spät-Kommen laut bedauert. So etwas hat Alice noch nie gesehen, daher folgt sie ihm und fällt lange Zeit durch ein Kaninchenloch an Regalen mit Marmeladengläsern (leider leer) vorbei. Auf der anderen Seite angekommen, stellt sich alles als höchst sonderbar heraus; nicht nur die Leute, auch Alice’s Körper und Gedächtnis (Ist sie überhaupt noch Alice?) verhalten sich nicht so, wie man es von ihnen erwarten sollte.

– Hinab, hinab, hinab. Wollte das denn nie ein Ende nehmen? »Wie viele Meilen ich wohl schon gefallen bin?« –
Hinab in das Kaninchenloch, S. 13

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Cover von Alice's Adventures in Wonderland von Lewis CarrollDer kleinen Alice ist zum Einschlafen langweilig. Da läuft plötzlich ein weißes Kaninchen vorüber, das auf seine Taschenuhr schaut und sein Zu-Spät-Kommen laut bedauert. So etwas hat Alice noch nie gesehen, daher folgt sie ihm und fällt lange Zeit durch ein Kaninchenloch an Regalen mit Marmeladengläsern (leider leer) vorbei. Auf der anderen Seite angekommen, stellt sich alles als höchst sonderbar heraus; nicht nur die Leute, auch Alice’s Körper und Gedächtnis (Ist sie überhaupt noch Alice?) verhalten sich nicht so, wie man es von ihnen erwarten sollte.

-Alice was beginning to get very tired of sitting by her sister on the bank, and of having nothing to do: once or twice she had peeped into the book her sister was reading, but it had no pictures or conversations in it, ‘and what is the use of a book,’ thought Alice, ‘without pictures or conversation?’-
Down the Rabbit-Hole

Wahrhaftig, Alice landet im Wunderland, einer unmöglichen Version des idyllischen Englands des 19. Jahrhunderts. Klare Strukturen sind kaum erkennbar – d.h. nur dann, wenn Alice sie einfordert. Alles kann sich von Moment zu Moment kraß verändern, aber schon die Grundlagen sind reichlich grotesk. Der Glanz aber sind die außerordentlich bizarren Figuren.
Alice ist gut getroffen; sie ist ein kleines Mädchen, das gerade erst zur Schule geht. Mit Längen- und Breitengeraden kann sie nur wenig anfangen – es sind aber schwierige Worte, die der Situation sicherlich angemessen sind. Stolz darauf ein so wichtiges Wort wie “Juror” zu kennen, wiederholt sie es auch ein paar mal. Mühsam hat sie die Regeln der Höflichkeit erlernt (zumindest recht passabel) und nun reagiert sie mit der für Kinder typischen peniblen Korrektheit bei frisch Gelerntem. Einiges erschrickt die Kleine, doch da sie nicht das gesamte Ausmaß der Absonderlichkeiten überblicken kann, bleibt sie viel ruhiger, als ein Erwachsener dieses könnte. Als die Situation für das riesenhaft angewachsene Mädchen zu erdrückend ist, weint sie, nur um kurz darauf ins Zwergische zu schrumpfen und im See ihrer Tränen vom Ertrinken bedroht zu werden.
Die meisten anderen Figuren sind in irgendeiner Art Herausforderungen für Alice, die mit der Logik eines Kindes an die Sache heran geht. Doch niemand meint es böse mit ihr. Es ist ein Panoptikum von Kuriositäten, das ihr den Weg weißt: eine Wasserpfeife rauchende Raupe, die nichts für gegeben hält; die bekannte grinsende Cheshire Cat, die Alice freimütig Auskunft gibt; die verrückte Teegesellschaft – March Hare, Mad Hatter und the sleeping Dormouse – für die es immer tea-time ist, nachdem Zeit (ein er) befürchten muß, vom Hutmacher getötet zu werden; die Königin (eigentlich die Spielkarte “Herzdame”), die auf jedes Problem gleich reagiert: “Kopf-AB!”, neben unzähligen weiteren grotesken Gestalten.
Magie in Form von Zaubersprüchen oder magischen Artefakten gibt es nicht – es ist die Absurdität, die mit normalem Verstand unverständlichen Regeln der Welt, welche die Magie ausmachen.
In der Geschichte relativiert der Autor (und Dozent für Mathematik) Wahrnehmungsweisen und “Zeit” & “Raum”- Verständnis radikal. Mit diesen Unverständlichkeiten muß Alice umgehen, ihr Körper, Geist und ihre Umwelt stellen sie von Episode zu Episode vor neue Rätsel. Es dauert eine Weile, bis Alice beginnt, die vertrackte Logik zu durchschauen und ein wenig Kontrolle zurückzugewinnen. Ein festes Moralverständnis und Selbstvertrauen gehören zwar dazu, aber Lewis will mit dieser Geschichte nicht missionieren.
Humor entsteht in der Geschichte durch die ins absurde geführten Konventionen der englischen Gesellschaft des 19. Jhd., die Wortspiele und den daraus entstehenden Verwechslungen. “Then you should say, what you mean,” [said the March Hare]. “I do,” Alice hastily replied; “at least – at least I mean what I say – that’s the same thing, you know.” “Not the same thing a bit!” said the Hatter. “You might just as well say that ‘I see what I eat’ is the same thing as ‘I eat what I see’!” – Sprachphilosophisch nicht uninteressant.
Sprachlich ist das Werk ebenfalls eine Meisterleistung, doch die Sätze und das Vokabular sind nicht sprachgewaltätig, sondern fließen leicht und elegant dahin, man kann sich den flinken Wendungen kaum entziehen. Wer kann, sollte Alice im Original lesen; auch wenn es eine hervorragende Übersetzung von Christian Enzensberger gibt, so ist dieser perfekte Umgang mit der englischen Sprache einfach nicht ohne zu große Verluste ins Deutsche zu übersetzten.

Am Ende der Straße von Brian KeeneEines Morgens geht über dem kleinen Städtchen Walden die Sonne nicht mehr auf. Sämtliche Verbindung mit der Außenwelt ist abgebrochen, die Elektrizität versagt, Telefonleitungen und auch der Mobilfunk sind tot. Sonne, Mond und Sterne… das gibt es nicht mehr. Die Stadt ist lückenlos eingehüllt von alles verzehrender Dunkelheit und wer immer Walden verlässt, kommt nicht mehr zurück.
Robbie, seine Freundin Christy und ihr Nachbar Russ finden heraus, dass sich etwas in der Dunkelheit befindet, etwas Tödliches. Doch auch innerhalb der Stadtgrenzen treibt das Übel der Menschen in rasantem Tempo an die Oberfläche.

– Die Dunkelheit ist lebendig, genau wie wir. –

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Cover von Anansi Boys von Neil Gaiman“Fat” Charly Nancy, der eigentlich gar nicht mehr dick ist, ist ärgerlich, verwirrt und (wenn er ehrlich ist) mehr als nur ein bisschen verängstigt. Sein Leben ist nämlich dabei, außer Kontrolle zu geraten und das ist alles nur die Schuld seines (toten) Vaters. Wäre der nämlich nicht gestorben, hätte Fat Charly niemals erfahren, dass er einen Bruder namens Spider hat, der wie sein Vater ein Gott ist. Da dieser Bruder nun aber versucht sein Leben, seinen Job, seine Wohnung und seine Verlobte zu übernehmen, muss sich Fat Charly etwas einfallen lassen, um ihn wieder los zu werden.

-It begins, as most things begin, with a song.
In the beginning, after all, were the words, and they came with a tune.-
Chapter One

Es war ja nun noch nie so, dass Neil Gaimans Bücher durch eine stringente, spannende Handlung geglänzt hätten, noch sind seine Helden besonders heroische Charaktere. Im Gegenteil, die Hauptperson ist meist ein Verlierer, der eine zum Scheitern verurteilte Beziehung zu einer Frau hat. Dann gerät er in eine fantastische, aberwitzige Situation, die er zunächst nicht kontrollieren kann, an der er dann aber wächst.
Das alles ist meist nicht so wahnsinnig spannend, wenn auch gespickt mit absurden und nicht selten extrem komischen Situationen und Figuren. Und da wären wir auch schon bei Gaimans größtem Talent, nämlich seiner wunderbaren Art, die Fiesen, die Gemeinen, die Hinterhältigen und die schlichtweg Brutalen darzustellen. Dieses Gesindel stiehlt dann auch gemeinhin den Guten ganz lässig die Show. Zwar zwingt einen das als Leser immer, sich beim Lesen von einem Auftritt der Bösen zum nächsten zu hangeln, aber was soll’s, Spaß macht das allemal.
Da aber liegt der größte Schwachpunkt von Anansi Boys (Anansi Boys): es gibt keinen Bösen. Es gibt nicht einmal jemand Zwielichtigen. Nichts. Einzig Spider hat den Ansatz dazu, der sich jedoch in eine andere Richtung entwickelt.
Was bleibt, ist die übliche, etwas wirre und von Mythen durchzogene Neil-Gaiman-Geschichte, ein paar witzige Situationen, und ein furchtbarer Jammerlappen als Hauptperson. Fat Charlie ist bis zur Mitte des Romans unerträglich, er ist peinlich, weinerlich und ein Verlierer, wie er im Buche steht. Klar, das ändert sich im Verlauf der Geschichte, aber bis dahin habe ich mir ein paar Mal ernsthaft gewünscht, er möge sein Elend (und meins) doch bitte durch sein Verschwinden aus der Geschichte beenden.
Im übrigen sind die Schauplätze, die ja sonst auch immer recht eigenwillig daherkamen, diesmal ebenfalls etwas lahm. London ist ganz einfach London und Miami ist nun auch nicht eben aufregend. Ansonsten gibt es noch eine lauschige Karibikinsel und die obligatorische Mythen-Parallelwelt, also alles wie gehabt.
Sprachlich ist das Ganze auf gewohnt hohem Niveau, da gibt es nichts zu meckern, und auch Neil Gaimans bizarrer Humor ist immer wieder für einen Lacher gut. Alles in allem ist das aber einfach zu wenig, um aus Anansi Boys ein richtig gutes Buch zu machen. Fans werden es vermutlich trotzdem mögen, alle anderen lesen lieber American Gods oder Neverwhere, da ist eindeutig mehr geboten.

Anansi Boys von Neil Gaiman“Fat” Charly Nancy, der eigentlich gar nicht mehr dick ist, ist ärgerlich, verwirrt und (wenn er ehrlich ist) mehr als nur ein bisschen verängstigt. Sein Leben ist nämlich dabei, außer Kontrolle zu geraten und das ist alles nur die Schuld seines (toten) Vaters. Wäre der nämlich nicht gestorben, hätte Fat Charly niemals erfahren, dass er einen Bruder namens Spider hat, der wie sein Vater ein Gott ist. Da dieser Bruder nun aber versucht sein Leben, seinen Job, seine Wohnung und seine Verlobte zu übernehmen, muss sich Fat Charly etwas einfallen lassen, um ihn wieder los zu werden.

– Es beginnt, wie es ja meistens der Fall ist, mit einem Lied.
Im Anfang waren schließlich die Worte, und dazu gab es auch gleich Melodie. So wurde die Welt geschaffen, so wurde das Nichts geteilt, so kamen sie alle in die Welt: die Landschaften und sie Sterne und die Träume und kleinen Götter und Tiere. –
Kapitel 1, S. 9

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Cover des Buches "Anubis" von Wolfgang HohlbeinMogens VanAndt ist Professor für Archäologie an einer kleinen Universität an der Ostküste der USA. Ihm stand einmal eine glänzende Karriere bevor. Doch es gibt einen dunklen Fleck in seiner Vergangenheit. Da erhält er eine neue Chance – ausgerechnet von dem Mann, den er für sein Unglück verantwortlich macht.
Es geht um die größte archäologische Entdeckung auf amerikanischem Boden, einen unterirdischen Tempel in Kalifornien. Einen Tempel, wie es ihn dort gar nicht geben dürfte. Und das Tor, welches die stummen Tempelhüter bewachen, öffnet einen Weg in das Reich der Toten …

-»Willst du behaupten, dass du plötzlich an Gott glaubst?«, fragte er.
»Ich habe gesagt, dass alle diese Welten dort draußen von einem Gott erschaffen worden sind«, bestätigte Graves. »Aber habe ich gesagt«, fügte er hinzu, und plötzlich klang seine Stimme ein kleines bisschen besorgt, »von welchem?«-

Wieder einmal versucht Wolfgang Hohlbein uns mit einem seitenstarken Werk in die dunklen Abgründe der Welt zu führen, Fakten gemischt mit Fiktion auf unheimliche Art zu verbinden und dem Leser eine neue Sichtweise auf unsere Welt zu geben. Und leider bleibt es bei dem Versuch.

Was Hohlbein dann wirklich abliefert, ist eine mehr als dürftige Gruselgeschichte, in der es zwar von Monstern wimmelt, die Spannung aber auf der Strecke bleibt. Dabei ist die Grundidee vielversprechend: ein ägyptischer Tempel in den USA! Etwas, das es nicht geben und das die Sichtweise auf unsere Welt grundlegend verändern dürfte.
Doch dann werden bereits nach knapp 200 Seiten die ersten schakalköpfigen Monster eingebaut, es gibt die ersten Toten. Danach stürzt der Roman in ein wildes Durcheinander von möglichst extremen Entdeckungen und bizarren Kreaturen, dem ich nur mit Mühe folgen konnte. Anscheinend ging es dem Autor ähnlich: Er liefert kaum eine Erklärung, was Mogens und der Rest denn überhaupt gefunden haben. Gelegentlich wird vage eine Andeutung gemacht, aber grundsätzlich nehmen die Charaktere das Gegebene einfach hin und versuchen nicht mal im Ansatz eine Erklärung für das Gefundene zu geben. Bis zum Schluss stellen sich keine Antworten ein, so dass der Leser es sich selbst zusammenreimen darf, was da gerade geschehen ist.

Auch sprachlich muss der Leser einiges hinnehmen. Abgesehen von teilweise wahnwitzig langen Sätzen wiederholt Hohlbein ständig dieselben Ausdrücke, was auf Dauer wirklich stört. Wenn Mogens in fast jedem Kapitel etwas falsch erscheint, es etwas gar nicht geben dürfte oder sein langjähriger Feind Jonathan Graves unmenschlich erscheint oder sich widernatürlich bewegt, dann fragt man sich, ob Hohlbein nicht mehr eingefallen ist oder Mogens einfach an Wahrnehmungsstörungen leidet. Zumal der Autor dann auch keine Erklärung geben kann, was eigentlich genau so falsch sein soll und der Leser damit ganz allein gelassen wird.
Auffällig sind auch die ganzen “Zufälle”, die der Autor braucht, um seine Hauptperson bei der Ausgrabungsstelle zu halten: Immer, wenn Mogens bereit ist, endlich mal seinen Instinkten zu trauen und zu gehen, taucht entweder der Dorfpolizist mit Fragen auf, nimmt ein Unwetter seinen Kurs auf die Ausgrabung oder jemand kommt zu Tode. Das alles wirkt arg konstruiert, so dass einfach keine Spannung aufkommt.
Schade eigentlich, denn hier wird eine gute Idee grundlos verheizt.

Artemis Fowl: Die verlorene Kolonie von Eoin ColferCaptain Holly Short ist alles andere als zufrieden mit ihrer Privatdetektei, die sie mit ihrem ehemaligen Gegner, dem verdauungswütigen Zwerg Mulch Diggums, betreibt. Seit sie die ZUP, die unterirdische Polizei von Erdland, verlassen hat, hat sie nur noch mit kleinen Fischen zu tun. Hollys Hilfe wird jedoch benötigt, als der Zeitstrom, in dem sich die Insel der Dämonen befindet, zusammenzubrechen scheint. Dadurch würden die Dämonen in alle möglichen Welten zerstreut werden. Unangenehm für die Erde, denn die Dämonen meinen, noch eine Rechnung mit der Menschheit offen zu haben, und das Auftauchen von Dämonen an der Erdoberfläche hat bereits begonnen …

-Holly Shorts Karriere als unterirdische Privatdetektivin entwickelte sich nicht wie geplant. Das lag vor allem daran, dass Erdlands beliebteste Fernsehshow in den letzten Monaten gleich zwei Sondersendungen über sie gebracht hatte. Es war nicht einfach, als verdeckte Ermittlerin zu arbeiten, wenn das eigene Gesicht dank der zahllosen Wiederholungen ständig über den Bildschirm flimmerte.-
Kapitel 2 – Doodah Day

Endlich ist er da, der neue Artemis Fowl, und kaum habe ich den fünften Band Die verlorene Kolonie (The Lost Colony) im Buchladen gesehen, habe ich direkt mein restliches Geld auf die Kasse gelegt und das noch recht frische Exemplar gekauft. Nun, direkt das erste Kapitel enttäuschte mich. Zu Anfang fühlt man sich an Kapitel Eins des ersten Fowl-Bandes erinnert: Artemis und sein stets wachsamer Leibwächter Butler halten sich in einer erhitzen, altertümlichen Stadt im Hochsommer auf – diesmal ist Barcelona dran, und zunächst können wir nichts weiter als mit Butler leiden: wir haben keine Ahnung, wovon Artemis spricht. Er “wartet auf etwas”, leider verschweigt er Butler schon die ganze Zeit über, worum es sich dabei handelt, und nach kurzer Zeit nervt dies schon. Es sorgt nicht sonderlich für Spannung, dass es einige Seiten lang so weiter geht. Und dann taucht aus einem Lichtstrahl plötzlich ein verdutzter Dämon auf, verschwindet wieder und reißt Artemis mit in einen Zeitenstrom. Butler kann Artemis nur mit Glück und großem Zufall retten. Zuvor aber reist Artemis mit dem Dämon durch die Zeit und trifft dabei kurz auch noch den berühmten Architekten Gaudí und hinterlässt seine Spuren an der Casa Milà. Das ist nicht witzig, finde ich, und Eoin Colfer hat dieses erste Kapitel wirklich vollkommen verbraten. Vor allem, da diese Zeitreise Artemis mehr als zufriedenstellt, aber Butler immer noch zu großen Teilen im Unklaren lässt.

Ab dem zweiten Kapitel findet Colfer wieder in die alten und geliebten Höhen seiner Fowl-Romane zurück, und das alte Gefühl ist wieder da. Zwischen Mulch und Holly besteht weiterhin eine Art Hassliebe à la Spock & McCoy aus Star Trek, und der folgende Teil des Buches bleibt weiterhin eine angenehme Mischung aus Spannung, High-tech und Sarkasmus, der schön über das Buch gestreut ist. Die alte Stimmung bleibt zum großen Teil erhalten. Doch storymäßig wackelt es stellenweise sehr. Eine Art weibliche Ausgabe von Artemis Fowl, die junge Minerva Paradizo, hat selbst etwas über die Welt der Dämonen herausbekommen und wünscht diese zu vernichten. Zwar ist die Auseinandersetzung zwischen ihr und Artemis spannend und interessant gestaltet, aber dennoch kommt uns all dies bekannt vor: noch ein hochbegabtes Kind, das in das Geschehen der Nichtmenschen eingreift. Es ist, als kämpfte der junge Artemis Fowl gegen sein nicht sehr originell gestricktes Spiegelbild.

Zudem ist wenig von dem alten, unsympathischen, fast abstoßenden Fowl übrig geblieben: diesmal handelt Artemis nur aufgrund seines “Gewissens”, es geht ihm nicht einmal um Geld. Das mag für Holly und ihre Konsorten erstaunlich und moralisch richtig wirken, doch die Figur wird dadurch eher weniger interessant. Artemis Fowl war immer ein Schlitzohr, ein bisschen Verbrecher steckte immer in ihm, selbst wenn er stets auf der Seite des Guten stand. Dieser Zwiespalt machte den gewissen Reiz von Artemis Fowl aus, der leider von Buch zu Buch immer weiter ausgemerzt wurde. Letztendlich scheint aus Artemis doch ein richtiger Held geworden zu sein. Ein Genie und verrückt vielleicht, aber dennoch ein gewissenhafter Held. Den Ganoven in ihm vermisst man hingegen sehr, der Irrsinn der Figur, ihr inneres Feuer, scheint erloschen. Dies war der Grund, warum ich das Geschehen um Holly und Butler viel lieber verfolgt habe als die Geschichte um Artemis und Minerva. Und ab dem dritten Viertel des Buches wird endgültig klar: das ist nicht mehr Artemis Fowl, wie man ihn kennt. Dass weiterhin Spannung herrscht und Eoin Colfers großartiger Humor wie immer zu begeistern weiß, ist nicht zu verleugnen. Aber wie schon gesagt: je näher das Buch auf sein Finale zusteuert, desto mehr geht die Fowl-Atmosphäre verloren.

Ein schlechtes Buch ist Artemis Fowl: Die verlorene Kolonie ganz bestimmt nicht. Aber das missratene Finale bringt ihm weitere Minuspunkte ein. Um dem Leser nicht die Spannung zu rauben, nehme ich keinen direkten Bezug auf den Inhalt. Insgesamt würde ich jedoch sagen: es war zuviel. Weniger wäre in diesem Falle mehr gewesen, Qualität hätte vor Quantität stehen müssen.
Artemis Fowl bleibt dennoch in meinen Augen eine gelungene Buchreihe, und auch den fünften Band habe ich sehr gerne gelesen. Er mag zwar gewisse Ecken und Kanten haben, von denen einige wirklich unsanft auffallen, aber dennoch war es eine Lektüre, die mich entspannt und zurück in eine andere Welt geführt hat, allein schon aufgrund Colfers humorsprühender, sarkastischer Sprache.
Ich hätte nicht mehr erwartet, sondern eher weniger Beliebigkeit, die in diesem Buch vorrangig ist.
Fans der Fowl-Reihe würde ich das Buch dennoch empfehlen, es ist wirklich nicht zu verachten. Doch die ungewohnten Neuheiten in Artemis’ Welt sind nicht einfach aufzunehmen.

Blackbirds von Chuck WendigMiriam Black hat eine dunkle Gabe: sie kann Zeit und Art des Todes eines Menschen sehen, sobald sie dessen Haut berührt. Verhindern konnte sie einen Tod nie. Meist sieht Miriam sie im hohen Alter sterben, manche verunglücken bei einem Unfall, selten beobachtet Miriam einen Mord. Als sie den hilfsbereiten Trucker Louis trifft, sieht sie jedoch genau das – Louis’ brutale Ermordung in wenigen Wochen. Was sie jedoch am meisten schockiert, ist, dass sie dabei sein wird, wenn es passiert. Was hat das zu bedeuten und hinter wem sind die Killer wirklich her? Kann Miriam seinen Tod verhindern, wenn sie sich von ihm, so weit es geht, fernhält? Oder steht das Schicksal fest geschrieben und jeder Versuch, es zu ändern, muss scheitern?

»Es ist dein Schicksal, an deines eigenen Mundes Fleisch zu ersticken, hier in diesem gottverfickten Motel am Arsch der Welt. Ich würde ja etwas tun, wenn ich könnte, aber ich kann nicht. Würde ich dir die Brieftasche unter die Zunge schieben, würde ich die Zunge wahrscheinlich nur tiefer reindrücken. Weißt du, meine Mutter hat immer gesagt: ›Miriam, es ist, wie es ist.‹ Und so, Del Amico, ist es.«
– Der Tod von Del Amico

Blackbirds ist der Auftakt einer Reihe, die allen Roadmovie-Fans das Herz höher schlagen lassen wird. Meist in der Perspektive der abgebrühten Miriam wird der Leser in eine Achterbahn von Ereignissen geworfen. Ehe man es sich versieht, jagen Drogendealer und Killer sie quer durchs Land und metzeln alles nieder, was ihnen in den Weg kommt. Es wird mit Wonne gefoltert und zwar auch gerne mal mit Ausführungen des Täters. Es wird zwar nicht zum Splatter-Roman, doch man sollte nicht zu zart besaitet sein, wenn man Blackbirds lesen möchte.

Der Roman beginnt mit Miriam, die in einem schäbigen Hotel dem bevorstehenden Tod eines wirklich unsympathischen Scheißkerls beiwohnen möchte – nunja, „möchte“. Vielmehr fühlt sie sich verpflichtet, schließlich hat sie seinen Tod bereits gesehen, außerdem hilft ihr das Bargeld in seinen Taschen dabei, ein paar Tage über die Runden zu kommen. Sie ist knallhart, hat ein ausgesprochen derbes Vokabular, säuft, was das Zeug hält, und bevorzugt den gelegentlichen, aber auf jeden Fall unverbindlichen Sex mit Fremden. Ihre unheimliche Fähigkeit hat sie sichtlich gezeichnet und sie meidet enge Bindungen zu anderen Menschen wie der Teufel das Weihwasser. Als Straßenvagabundin macht sie also keine Gefangenen und kann ebenso heftig austeilen, wie sie einstecken kann, und sie geht keinerlei Verpflichtungen ein. Sie denkt praktisch, egoistisch und überaus zynisch. Kurz gesagt: Miriam ist selbstzerstörerisch. Umso überraschender ist es, dass sie dem vereinsamten Louis ein wenig das Herz öffnet und zum ersten Mal seit einer Ewigkeit so etwas wie Zuneigung für einen Menschen zulässt. Es ist eine wackelige Beziehung, die Miriam aber etwas mehr Menschlichkeit verleiht und den Bogen an einer Stelle schlägt, wo man als Leser beinahe zu genervt ist von der schlecht gelaunten Protagonistin, um noch lange am Ball bleiben zu wollen. Denn im Grunde ist der Ansatz dieser rohen Figur nicht schlecht, nur leider übertreibt es der Autor gerne mal. Es dauert recht lange, bis man mit der Figur wirklich warm wird. Viel zu lange bleibt sie zu oberflächlich, als dass man das Verhalten glaubhaft nachvollziehen oder sich in Miriam hineinversetzen könnte.
Nach und nach erfährt man schließlich aber doch mehr über die holprige Vergangenheit von Miriam und endlich wird ihr Tiefe zuteil. Das macht den anfänglich schwachen Start zwar auch nicht wieder gut, doch mit diesem Wandel wird plötzlich die Neugier des Lesers geweckt und auch dessen Verständnis.
Den übrigen Charakteren schadet die Oberflächlichkeit nicht, da es sich dabei hauptsächlich um regelrechten Abschaum handelt, der sowieso keine Sympathien wecken soll und stattdessen für Entsetzen zuständig ist. Das betrifft vor allem die Auftragskillerin Harriet, für die zu foltern Kunst und Glücksgefühle bedeuten; und ihren Chef, den seltsamen Glatzkopf, der in seinem Beutel Menschenknochen sammelt.

Die Erzählung wird in mehreren Teilen immer wieder unterbrochen und fortgesetzt, so dass sich die Details wie ein Puzzle langsam zusammenfügen und spannende Stellen mit einem „Zwischenspiel“ zum Cliffhanger werden. Im Falle von Blackbirds ist das recht interessant und wertet die Erzählung auf, auch sind die Sprünge nicht so groß, dass man den Faden verlieren würde.

Blackbirds liefert eine spannende Idee und ein actionreiches Abenteuer mit ordentlich Blut. Einzig die vulgäre Sprache der Protagonisten ist auf Dauer etwas anstrengend, da hier wirklich, wirklich viele davon sich die Klinke in die Hand geben, zu jeder Gelegenheit. Vielleicht musste der Autor, der sonst Drehbücher schreibt, in seinem Debütroman etwas kompensieren, was ihm bei den Filmstudios aufgrund von Zensuren verwehrt bleibt. Man weiß es nicht. Einen Blick wert ist der Roman aber durchaus. Chuck Wending hat die Verbindung von Urban Fantasy, Thriller und Roadmovie gut hinbekommen, und wer es gerne rau, teils brutal, auf jedenfall schonungslos mag, der kommt ganz auf seine bzw. ihre Kosten. Man sollte sich allerdings bewusst sein, dass dieser Auftaktroman ganz klar auf die Fortsetzung baut und viel mehr Fragen aufwirft, als welche zu beantworten. So bleibt auch ungeklärt, wie Miriam zu ihrer Fähigkeit gekommen ist und was genau in ihrer Jugend mit ihr passierte. Blackbirds schließt zwar die Haupthandlung letztlich ab, liest sich aber insgesamt doch mehr wie eine Einleitung für das eigentliche Spektakel.

Noch ein Wort zum Buchcover, denn hier sind mit viel Liebe zum Detail jede Menge Hinweise auf die Story eingeflochten worden. Und wie oft kommt es bei einem Cover schon vor, dass es ernsthaft durchdacht wurde? Schöne Sache!

Blood and Iron von Elizabeth BearIm New York der Gegenwart verfolgt Matthew der Magier, ein Mitglied des Prometheus-Clubs, die „Sucherin“ der Feenkönigin, die für ihre Herrin Kinder ins Feenreich entführt. Er zieht zwar im Kampf den Kürzeren, doch die Vorherrschaft der Menschen mit ihrem kalten Eisen ist besiegelt. Allerdings taucht ein begnadeter Magier auf – ein sogenannter Merlin – der das Gleichgewicht verschieben und den Konflikt beenden könnte. Sowohl Feen als auch Magier machen sich auf die Suche nach dem Merlin, um seine Gunst zu gewinnen. Die Sucherin, die durch grausame Bande an die Feenkönigin gebunden ist, und Matthew werden dabei in einen Strudel aus uralten und immer wieder neuen Ereignissen gerissen.

-Matthew the Magician leaned against a wrought iron lamppost on Forty-second Street, idly picking at the edges of his ten iron rings and listening to his city breathe into the warm September night.-
Chapter 1

Das Spannungsfeld zwischen modernem Großstadtleben und archaischer Märchenwelt bedient mittlerweile ein ganzes Genre mit Stoff, in dem gefährliche Vampire und Werwölfe auf toughe Frauen von nebenan stoßen oder abgerissene Detektive übernatürliche Fälle lösen müssen. Der Fokus liegt in der heutigen Urban Fantasy aber nur selten auf dem Wunderbaren, das einerseits nahtlos in den modernen Alltag eindringt und andererseits nicht seiner ureigenen Atmosphäre beraubt wird – wenn das geschieht, heißt der Autor mit großer Wahrscheinlichkeit Neil Gaiman oder Peter S. Beagle.
Elizabeth Bear könnte mit ihrer Promethean Age-Reihe in diesen illustren Kreis eintreten, wenn die guten Ansätze des Eröffnungsbandes Blood and Iron fortgeführt werden. Dabei pflegt Bear weder den elegant-sparsamen Stil eines Gaiman noch die lyrische Sprache eines Beagle, sondern fasst irgendwo dazwischen Fuß. An lyrischen Momenten fehlt es trotzdem nicht, bezieht sich doch die Handlung neben einer ganzen Reihe an anderen Mythenstoffen (von der Artus-Legende über Dracula bis hin zu nordischen Sagas und vielem mehr) auf traditionelle Balladen um Menschen, die ins Elfenland entführt worden sind, insbesondere Tam Lin. Kenntnisse in diesem Bereich eröffnen eine weitere Handlungsebene und machen das ein oder andere besser verständlich, sind aber nicht zwingend zum Genuss von Blood and Iron erforderlich.

Bear ist eine mit allen Wassern gewaschene Erzählerin, aber nicht immer einfach zu lesen. Sie verflicht ihre Handlungsstränge um die Sucherin aus den Elfenlanden und Matthew den Magier ausgesprochen vielschichtig, nutzt die Unterschiede zwischen Ich-Erzähler und Erzählern in der dritten Person für plot-relevante Kniffe und bringt eine Spirale in Gang, in der sich ihre Figuren in einem immer wiederkehrenden dramatischen Muster wiederfinden, das dem versierten Leser (und den Protagonisten) aus Geschichten und Mythen wohlbekannt ist. Sie wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen, sind aber so tief darin verstrickt, dass sie letzten Endes mit unlösbaren Entscheidungen konfrontiert werden. Nahezu nebenbei bekommt man auch Einblicke in eine alternative Weltgeschichte, die bis in die Moderne hinein vom ewigen Kampf menschlicher Magier gegen die Einflüsse der Elfenlande geprägt ist – ein Konzept, das Elizabeth Bear in den sehr locker zusammenhängenden Bänden der Promethean Age-Reihe weiter verfolgt und das in seiner ambitionierten Planung durchaus als eine Art Lebenswerk gesehen werden kann.

Der beschreibungsreiche Stil der Autorin fügt sich vor allem dort gut ein, wo das düster-blutige, aber trotzdem farbenfrohe Elfenland lebendig werden soll; bei den Figurenbeschreibungen grenzt er manchmal ans Überladene. Was Bear allerdings aus ihrem Drachen macht, sollte jeden Fantasyleser überzeugen, der der Ansicht ist, dass gute Drachen rar sind. Und auch den ambivalenten Kelpie namens Whiskey vergisst man garantiert nicht so schnell …
Die Bandbreite an Mythen, Literatur und Geschichte, die in Anspielungen verpackt oder direkt als Stoffgeber genutzt wird, ist riesig, und Bear liefert fast immer eine erkennbar eigene Interpretation – unter anderem trifft man etwa auf eine eifrig häkelnde und doch in keinster Weise zu unterschätzende Morgan von Cornwall.
Der im modernen New York angesiedelte Handlungsstrang um Matthew, den menschlichen Magier, ist weniger opulent und gewinnt erst in der zweiten Hälfte des Romans Dynamik, wenn sich herausstellt, wie stark alle Figuren und Geschichten ineinander verschachtelt sind, und die Ereignisse sich überschlagen.
Bears Talent für beeindruckende Szenen kann sich richtig austoben, wenn sich das ganze Drama entfaltet, und nach dem stimmigen Ende, das dem Leser viel Raum für weitere Spekulationen lässt, fragt man sich eigentlich lediglich noch ein klein wenig, weshalb der eigentliche Aufhänger der Geschichte, die Merlin-Figur, um deren Gunst die Parteien ringen, in dem ganzen Spektakel etwas zu kurz gekommen ist.

Und wenn man schon auf hohem Niveau jammern möchte: In Blood and Iron wartet man vergeblich auf große Erklärungen zu dem teils hochkomplexen Geschehen. Weite Teile kann man sich gut zusammenpuzzeln, aber hin und wieder geschehen manche Entwicklungen einfach, und dem Leser sind weder Ursachen noch Folgen bekannt. Auch die Sucherin als Protagonistin, mit der Bear gegen sämtliche Konventionen verstößt, was ihre Charakterentwicklung und die Fortführung ihrer Geschichte angeht, ist bei einigen –schwerwiegenden– Entscheidungen schlecht nachvollziehbar. Der drastischen und beeindruckenden Entwicklung der Figur tut das allerdings keinen allzu großen Abbruch, denn die Naturgesetze des Promethean Age gründen sich häufig eher auf Mythen und alte Erzählmuster als auf Rationalität, und das macht einen großen Teil der Faszination dieser Geschichte aus.

Blood Engines von T.A. PrattMarla Mason, Oberhaupt der Magier der Stadt Felport, verschlägt es nach San Francisco, um dort an ein magisches Artefakt zu kommen. Es ist ihre einzige Möglichkeit, einen tödlichen Zauber zu kontern, den eine Konkurrentin für sie vorbereitet. Doch ihren Bekannten in San Francisco, den chinesischen Magier Lao Tsung, findet sie ermordet vor – Todesursache: Pfeilgiftfrosch. Das magische Artefakt ist weg. Marla, die notgezwungen den Fall lösen muss, taucht in die magische Community von San Francisco ein und kommt finsteren Plänen auf die Spur.

-Marla Mason crouched in the alley beside the City Lights bookstore and threw her runes.-
1

Würde man von Marla Mason behaupten, sie sei Harry Dresdens große Schwester, würde sie vermutlich ganz garstig lachen (und darauf bestehen, dass sie immerhin für ihr Alter noch ganz gute Titten hat, was sie nie müde wird, in diesem Wortlaut zu unterstreichen …), aber eine gewisse Verwandtschaft der beiden in modernen Großstädten operierenden Magier lässt sich nicht leugnen.
Die Heldin von Blood Engines (Hexenzorn), dem Auftaktband der Marla-Mason-Reihe, ist nur auf den ersten Blick ein wandelndes Klischee: Magisch universell begabt, mit einer mächtigen Waffe und einem fiesen Wendemantel ausgestattet, bestens in der Kampfkunst bewandert, immer einen zynischen Spruch auf den Lippen. Zur richtigen Sympathieträgerin wird die (von ganz unten kommende) Überfliegerin nur in wenigen Szenen, als bissig-biestigen Gegenentwurf zu den sonstigen Weibchen der Urban Fantasy macht sie dafür aber großen Spaß: Unter ihrer rauen Schale verbirgt sich auch ein harter Kern.
Marlas Sidekick, ihr dämonischer Gehilfe Rondeau, ist ein Sprücheklopfer (in jedweder Hinsicht) und Stichwortgeber für allerlei Geplänkel zwischen den Figuren; der abgestürzte Schauspieler B., der gerne das Müllorakel befragt, fungiert als unbedarfter Sympathieträger und heimlicher Star des Romans.

So schön der Humor und die skurrile Figurenriege allerdings auch sind, der Plot, der darunter liegt, ist dünn, auch wenn das zwischen all den farbenfrohen Ideen beinahe untergeht. Die titelgebenden Blood Engines werden fast nur pro forma erwähnt, und der Bösewicht mit seinen Scharen von Fröschen und Kolibris und seiner Obsession mit aztekischen Gottheiten ist zwar erfrischend anders, wie so vieles an Marla Masons Welt, aber für eine wasserdichte Geschichte taugt er nicht.
Deutliche Krimi-Elemente wie bei Jim Butchers Harry Dresden sollte man trotz der ähnlichen Ausgangslage ohnehin nicht erwarten: Im Wesentlichen gondelt Marla auf der Suche nach Verbündeten von einem Magier zum nächsten, da die magische Oberaufsicht über San Francisco im stetigen Wechsel ist und durch die Pfeilgiftmorde auch noch gehörig durcheinander gerät, und der Aztekenfiesling ist ihr stets einen Schritt voraus.

Marla Mason sollte man vor allem dann lesen, wenn man mit einem Ideenreichtum glücklich wird, der es in sich hat, und die Logik dem unterordnet. Im Unterschied zu weiten Teilen der Urban Fantasy haben die Marla-Mason-Romane einen Ausbund unterschiedlichster Magie zu bieten: Sie ist überall und existiert nicht als eine verborgene, mythische Welt neben der unseren, in der es dann tatsächlich auch Elfen, Vampire und Feen gibt, sondern in Form von menschlichen Magiern, die durchaus modernen Berufungen nachgehen: Börsenspekulierenden Wahrsagern, Internet-Technomanten, einem China-Schwarzmagier, der direkt aus Big Trouble in Little China entsprungen sein könnte, und sogar an der ausufernden Orgie eines Pornomanten kann man teilhaben – allesamt moderne Menschen, die häufig die Möglichkeiten zeitgenössischer Technik und Lebensart für sich nutzen wollen und sie in ihr Leben und die Magie integrieren.
Da verwundert es auch nicht, dass es Tim Pratt gelungen ist, San Francisco  eine eigene magische Geschichte zu verpassen (und zwar nicht nur eine vorzeitlich-mythische, sondern auch eine neuzeitliche). Nicht nur dadurch wird die Stadt zu einem sehr plastisch geschilderten Schauplatz, von dem man nach der Lektüre beinahe meint, eine (magische) Straßenkarte zeichnen zu können.
Innerhalb dieses Kosmos agieren die Magier als Unterweltbosse, regieren knallhart über ‘ihre’ Städte und Bezirke und sehen sich ähnlichen Intrigen und Konkurrenzen ausgesetzt. Doch natürlich bricht auch in dieses wohlgeordnete Setting hin und wieder unerklärliche Magie ein, und der unbeherrschte Weltenreigen nach dem Besuch bei der Hexe von Alcatraz gehört zu den schönsten Szenen von Blood Engines.

Überhaupt schafft es Pratt, in schnoddriger Sprache mit einer Vielfalt an Details der magischen Welt ein sehr weltoffenes und tolerantes Setting und Figurenensemble zu zeichnen: Ethnien, sexuelle Orientierungen, Fetische und vieles mehr trifft man bei Marla Mason in allen Varianten an, wobei Klischees und Quotenauftritte weitgehend außen vor bleiben – aber sie werden auch ohne Blatt vor dem Mund aufgetischt. Wen interessieren in einer Welt voller abgefahrener Magie schon so banale Differenzen? Der Schauplatz San Francisco tut noch ein Übriges zur Offenheit. Wer keine Lust auf eine sich über dutzende Seiten erstreckende Orgie hat, die im Übrigen eher mit Humor als mit Erotik abgehandelt wird, aber schon ins Detail geht, sollte sich lieber nicht auf Blood Engines einlassen.

Marla Masons Abenteuer werden mit Blood Engines recht spektakulär eröffnet, der Schwerpunkt liegt auf dem Humor und den Figuren, auf Anspielungen auf die Pop-Kultur und auf der Schöpfung einer magischen Gegenwartswelt. Der in diesem Band abgeschlossene Wettlauf mit einem Erzbösewicht überzeugt nicht auf ganzer Länge – aber als dreckigere und zynischere Variante zu Dresden & Co. hat Marla genug Pfiff, um ein paar Stunden solide Unterhaltung zu bieten.

Blood Rites von Jim ButcherWenn man gerade einer Horde wütender Affendämonen und ihrer fäkalen Wurfgeschosse entkommen ist, gibt es sicher Schöneres, als kurz darauf einem Vampir in die Arme zu laufen. Glück im Unglück, trifft Harry auf einen vergleichsweise harmlose Ausgabe, als Thomas vom Weißen Hof Harry bittet, einen Auftrag zu übernehmen. Der Regisseur eines kleinen Filmstudios glaubt sich verflucht, da seine weiblichen Darstellerinnen der Reihe nach auf merkwürdige Weise sterben. Harry übernimmt den Fall nur als Gefallen für Thomas, dessen Succubi-Clan er nicht mehr schätzt als fliegende Affenkacke. Dabei stolpert er jedoch über Geheimnisse, die ihm die Schuhe ausziehen.

– The building was on fire, and it wasn’t my fault. –
Chapter One

Wenn bei der Rettung von Hundewelpen mit Kot werfende Affendämonen zu einem gigantischen geflügelten King Kong in lila Farbe verschmelzen, dann führt das unweigerlich zu bizarrem Kopfkino. Doch genauso startet Blood Rites (Bluthunger) in das sechste Abenteuer von Harry Dresden, und es wird noch besser. Als »Mädchen für alles« (das darf man nun nicht falsch verstehen) landet Harry am Set eines Erotikfilms, wo tatsächlich ein Fluch die Darstellerinnen umbringt. Wer dahinter steckt, bleibt lange unklar, sicher ist nur, dass es einen Hexenzirkel geben muss, der sich seine Opfer gezielt aussucht. Doch was könnte der Grund sein? Steckt eine der zahlreichen Ex-Frauen des Regisseurs dahinter? Oder vielleicht ein konkurrierendes Filmstudio, das sich von den innovativen Ansätzen des neuen Mitbewerbers bedroht sieht? Oder ist es vielleicht auch etwas ganz anderes? Harry unternimmt selbstverständlich alles, um die Damen in Nöten vor der unsichtbaren Gefahr zu schützen, tritt dabei aber nicht selten in Stolperfallen, die ihn selbst zum Hauptverdächtigen machen. Richtig spannend wird es, als er am Set einen Vampir des Weißen Hofs entdeckt, der so schön wie gefährlich ist und sich als Schwester von Thomas entpuppt. Damit werden Verwicklungen aufgedeckt, die sich bis in Harrys dubiose Vergangenheit erstrecken. Erfreulich hierbei insgesamt ist, dass einmal nicht jedes Kapitel mit Harrys potentiellem Nahtod endet, sondern mit Neugier weckenden Mini-Cliffhangern zum Handlungsstrang.

Blood Rites liefert viele Einblicke in die Charaktere, allen voran in die von Harry und Thomas. Die Beschaffenheit des Weißen Hofs der Vampire wird näher beleuchtet, ebenso die Bürde, die er für manche Zugehörige bedeutet. Bisher ist diese Vampirfamilie nur als eine Art weniger gefährlicher und weniger ernst zu nehmender Sex-Vampire in Erscheinung getreten. Nun aber erfährt man mehr darüber, wie diese Familie sich ernährt, funktioniert und lebt. Die Dinge sind dabei nicht so schwarzweiß, wie es bisher den Anschein hatte.
Trotz des zunächst eindeutigen thematischen Schwerpunktes wird die Lektüre nie platt oder besonders erotisch (weniger sogar noch als in Death Masks), sondern die entsprechenden Elemente werden eher funktional beleuchtet – sicherlich bleibt da dennoch genug Platz für den ein oder anderen kessen Spruch.
Die Entdeckungen, die Harry macht, reichen von abstoßend bis unerwartet zu ganz klassisch überraschend oder erfreulich. Im sechsten Band lernt der Leser im Wesentlichen größere Charakterhintergründe kennen, die immer mal wieder zum Teil in den vorigen Bänden angedeutet wurden, und das sorgt für Spannung.

Wie schon in Death Masks (Silberlinge) wirkt Harry mit vorlauter Arroganz auch in Blood Rites insgesamt etwas spröder und muss deswegen ein paar Sympathiepunkte abgeben. Trotzdem ist dieser Band wieder sehr stark, deckt er doch vieles aus Harrys verschleierter Vergangenheit auf und verleiht seinem Charakter mehr Substanz. Ebenso kommt der Humor wieder stärker heraus, doch das ist angesichts der Entwicklungen fast schon zu vernachlässigen. Blood Rites wird von Seite zu Seite besser, da man hier neugierig verfolgen kann, welches Geheimnis sich als nächstes lüften wird. Am Ende ist nicht nur Harry verblüfft, wohl aber treffen ihn die Veränderungen am deutlichsten.

Cover von Der Blumenkrieg von Tad WilliamsTheo ist dreißig Jahre alt und es sieht nicht danach aus, als würde er in naher Zukunft auf einen grünen Zweig kommen. Dann muß er auch noch zwei Schicksalsschläge verarbeiten, die ihn völlig unvermittelt treffen. Theo zieht sich in ein abgelegenes Haus zurück und denkt darüber nach, wie er sein Leben weiterführen soll. Manchmal fühlt er sich, als gehöre er nicht in diese Welt, er hat Albträume und gelegentlich kommt es ihm vor, als sei sein Körper von einem zweiten Ich besetzt. Kann es noch schlimmer kommen? Ja, es kann: Eines Tages erhält Theo Besuch von einer Elfe namens Apfelgriebs. Kaum hat er sich von dieser Überraschung erholt, greift ihn ein Untoter an. Theo kann sich mit Apfegriebs gerade noch durch einen mysteriösen Spalt in eine andere Welt retten.

-Theo verspürte einen leisen Gewissensbiß, als er das Handy wieder anstellte, vor allem als er merkte, daß er es über zwei Stunden lang nicht angehabt hatte.-
1 Wolken

Die originellste Figur in Tad Williams Roman Der Blumenkrieg (The War of the Flowers) ist ohne Zweifel die kleine Elfe Apfelgriebs. Ein klarer Fall von “klein, aber oho”. Sie ist mutig, treu, gewitzt, burschikos, kann Shakespeares Kaufmann von Venedig zitieren, bedient sich jedoch gewöhnlich einer derberen Sprache, deren Ton zwischen rauh und herzlich changiert und die man eher einem Matrosen auf Landgang zutrauen würde, als einer zarten Elfe. Es macht Spaß zu verfolgen, wie Apfelgriebs dem durch die Ereignisse leicht verstörten Theo hilft, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Leider übernimmt diese Aufgabe nach einiger Zeit der Laborassistent Wuschel Segge, auch ein treues, aufopferungsvolles und symphatisches Kerlchen, dem aber die Originalität und der Witz der kleinen Elfe fehlt. Und ohne Apfelgriebs ist Der Blumenkrieg ein Fantasy-Roman, der dem üblichen Muster folgt: 1. Held muß die Welt retten. 2. Held gerät zwischen die Fronten rivalisierender Elfenclans und rebellierender Goblins. 3. Held wird von den Bösen verfolgt und wird auf der Flucht mit überraschend auftauchenden und gar schröcklichen Gefahren konfrontiert, aus denen er ebenso überraschend gerettet wird. 4. Held findet Freunde und verliebt sich. 5. Happy End. Das ist nun wahrlich nicht neu, aber Tad Williams ist ein guter Schriftsteller und deshalb gehört Der Blumenkrieg zu den besseren Fantasy-Romanen. Tatsächlich ist einiges in diesem Buch zu gut beschrieben. In einer Vobemerkung entschuldigt sich der Ator, daß es Abschnitte gibt, die die Leser an den 11. September und die Vernichtung der Twin Towers in New York erinnern könnten, er habe diese Szenen aber schon im Jahr 2000 konzipiert und sie seien so elementar für den Roman, daß er nicht gänzlich darauf verzichten konnte.
Das Problem ist weniger, daß es diese Szenen überhaupt gibt, das Problem ist, daß sie zu wenig verfremdet sind. Es gibt einzelne Sätze, die klingen, als sage sie ein im World Trade Center Verschütteter und plötzlich verfolgt der Leser nicht mehr distanziert die Geschehnisse in einem phantastischen Elfenland, sondern er befindet sich für einen Moment in der Realität des 11. Septembers 2001 und da will er mit Sicherheit nicht sein. Es genügt nicht, die Flugzeuge durch etwas anderes zu ersetzen und die Opfer durch Fabelwesen. Gewalt in Romanen kann nur so lange unterhaltsam sein, wie sie sich eindeutig in einem fiktiven Rahmen abspielt und der Leser in seinem bequemen Sessel sicher sein kann, daß sie mit der Realität nicht das Geringste zu tun hat.

Bluthunger von Jim ButcherWenn man gerade einer Horde wütender Affendämonen und ihrer fäkalen Wurfgeschosse entkommen ist, gibt es sicher Schöneres, als kurz darauf einem Vampir in die Arme zu laufen. Glück im Unglück, trifft Harry auf einen vergleichsweise harmlose Ausgabe, als Thomas vom Weißen Hof Harry bittet, einen Auftrag zu übernehmen. Der Regisseur eines kleinen Filmstudios glaubt sich verflucht, da seine weiblichen Darstellerinnen der Reihe nach auf merkwürdige Weise sterben. Harry übernimmt den Fall nur als Gefallen für Thomas, dessen Succubi-Clan er nicht mehr schätzt als fliegende Affenkacke. Dabei stolpert er jedoch über Geheimnisse, die ihm die Schuhe ausziehen.

Zu Bluthunger liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Das Böse kommt auf leisen Sohlen von Ray BradburyObwohl die beiden Jungen Jim Nightshade und Will Halloway völlig unterschiedlich sind, verbringen sie jede freie Minute miteinander und sind ein Herz und eine Seele. Das ändert sich, als eine Woche vor Halloween ein Jahrmarkt in die Stadt kommt. Der Roman spielt ungefähr in den dreißiger Jahren und so gibt es zwar ein Karussell, aber es handelt sich eher um eine Kuriositätenschau. Die Erwachsenen merken es nicht, doch den Jungen ist bald klar, daß mit den Jahrmarktleuten das Böse in die kleine Stadt Einzug gehalten hat. Trotzdem zieht es Jim immer wieder zu den Attraktionen des Jahrmarktes, während Will versucht, seinen Freund davon abzubringen. Bald wird die Freundschaft der beiden auf eine harte Probe gestellt.

-Denn jene können nicht schlafen, wenn sie nicht übel getan, und sie ruhen nicht, wenn sie nicht Schaden getan. Sie nähren sich vom Brot des Frevels und trinken vom Wein der Gewalttat.-
Sprüche, 4: 16-17

Über sechzig Seiten plätschert die Geschichte so vor sich hin: Die Jungen genießen unbeschwert ihr Leben, man erfährt etwas über ihre Eltern und ab und zu philosophiert Bradbury über die Zeit, das Leben und die Menschheit. Alles ganz nett, aber nicht so, daß es den Leser vom Hocker reißen würde. Trotzdem horcht man schon von Zeit zu Zeit auf: Das Gewitter, das in der Luft liegt, dieser Blitzableiterverkäufer, und daß plötzlich überall diese Zettel herumfliegen, die den Jahrmarkt ankündigen -im Oktober, wenn die fahrenden Leute eigentlich nicht mehr durchs Land ziehen; normal ist das alles nicht. Und dann sind sie plötzlich da. Nachts um drei, bringt sie eine altertümliche Dampflok in die kleine Stadt, von niemandem bemerkt, außer von Jim und Will. Von diesem Zeitpunkt an wird die Geschichte von Seite zu Seite unheimlicher, bis sich das Geschehen in einem atemberaubend spannenden Finale entlädt.
Ray Bradbury erzählt allegorisch eine Geschichte über das Leben, über Trauer, über Zeit, über Freundschaft, über die Verbundenheit zwischen Vätern und Söhnen und natürlich über den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, der nicht hoffnungslos sein muß, weil das Böse nur siegen kann, wenn man sich ihm überläßt. Nur wenn man sich dem Bösen überläßt, dann kann auch das Böse den Sieg davon tragen. Und der Leser weiß bis zum Ende nicht, ob sich nicht irgend jemand in diesem Roman von dem Bösen korrumpieren lassen wird. Ich werde es hier ganz bestimmt nicht verraten. 🙂
Noch ein Hinweis für die Literaturfreunde unter den Lesern: Das Böse kommt auf leisen Sohlen (Something Wicked This Way Comes) weist einige Parallelen zu Der Name der Rose auf, auch wenn beide Bücher völlig unterschiedliche Handlungen besitzen und zu völlig verschiedenen Zeiten spielen.
Ach ja, und falls sich jemand vom Diogenes Verlag auf diese Seite verirren sollte: Auf das Cover gehört natürlich nicht ein Briefe lesendes Mädchen, das von einer Katze beobachtet wird, sondern ein Bild, das etwas mit einem Jahrmarkt zu tun hat, zum Beispiel ein schönes altes Karussell mit Holzpferdchen.

Cover von Das Buch der Wunder von Miriam Kronstädter/Hans-Joachim Simm (Hgg.)Miriam Kronstädter und Hans-Joachim Simm haben für dieses Buch siebenundvierzig phantastische Geschichten bedeutender Autoren aller Herren Länder zusammengetragen. Wie immer bei Anthologien gibt es mehr Informationen zum Inhalt in der Buchbesprechung.

-In einer norddeutschen Seestadt, in der sogenannten Düsternstraße, steht ein altes verfallenes Haus. Es ist nur schmal, aber drei Stockwerke hoch; in der Mitte desselben, vom Boden bis fast in die Spitze des Giebels, springt die Mauer in einem erkerartigen Ausbau, vor, welcher für jedes Stockwerk nach vorne und an den Seiten mit Fenstern versehen ist, so daß in hellen Nächten der Mond hindurchscheinen kann.-
Theodor Storm: Bulemanns Haus

Diese Anthologie ist eine Fundgrube für Freunde der phantastischen Literatur. Berühmte Autoren wie Nikolaj W. Gogol, Gabriel Garcia Márquez, Jack London, H.P. Lovecraft, August Strindberg, Ludwig Tieck, Joseph Sheridan Le Fanu, E.T.A. Hoffmann, Stanislaw Lem, Tania Blixen, Edgar Allan Poe und Prosper Mérimée teilen sich einträchtig die Seiten mit Schriftstellern, die nicht ganz so bekannte Namen tragen: Fjodor Sologub, Adolfo Bioy Casares, Stefan Grabinski, Mircea Eliade, Boris Vian oder Tommaso Landolfi. Ob weltbekannt oder nicht – erzählen können sie alle.
Die Themen ihrer Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Leser findet hier klassische Geistergeschichten wie Le Fanus Erzählung von der Gespensterhand oder Becqers Geschichte vom Geisterberg, in der eine Frau ihrem Cousin eine unheimliche Mutprobe abverlangt. Was ist Wahn, was ist Wirklichkeit? Diese Frage stellt sich bei der Lektüre von Ludwig Tiecks Märchen Der blonde Eckbert oder von Edith Nesbits Das violette Automobil. Stefan Grabinskis Erzählung Das Abstellgleis hingegen ist so beklemmend, weil sie real wirkt, so real, daß sie jedem heute oder morgen passieren könnte und man dennoch fühlt, daß etwas Unheimliches im Gange ist, das unerbittlich und unaufhaltsam das Ende bringt. Nicht alle Geschichten sind unheimlich oder gruselig, manche sind voller Witz und Ironie wie die vom Werwolf, der sich in ein erotisches Abenteuer stürzt oder die von Wolfgang Hildesheimer, in der der Ich-Erzähler erläutert, warum er sich in eine Nachtigall verwandelt hat. Andere sind der literarische Ausdruck politischen Widerstands wie die Parabel Der Basilisk von Werner Bergengruen. Ein eitler Wichtigtuer tritt in die SA ein und spukt nach seinem Tode im Haus herum, bis das Dritte Reich endgültig zusammenbricht.
Häufig sind Künstler die Protagonisten, die, wenn sie auch nicht unbedingt mit dem Teufel im Bund sind, doch offensichtlich besonders gefährdet sind, in den Bannkreis übernatürlicher Mächte zu geraten und nur selten, wie in Beheim-Schwarzenbachs Geschichte Das Spinett sind die Begegnungen mit dieser anderen Welt hilfreich.
Allen Geschichten ist gemeinsam, daß die Normalität und die Realität durch den Einbruch des Übernatürlichen gestört werden. Das kann auf den Leser beängstigend, verstörend und beklemmend wirken oder auch nur verwunderlich, seltsam oder gar lustig, aber jedesmal ist es im doppelten Sinne des Wortes phantastisch.
Die Übersetzung hakt an manchen Stellen etwas. Das Wort Katalanin liest sich doch viel schöner als Katalanerin, schlurfende Schritte sind den schlürfenden Schritten auf jeden Fall vorzuziehen und das Wort ausgepowert gehört nicht in eine Geschichte, die im Jahre 1840 spielt. Liest man solche sprachlichen Stolpersteine, fühlt man sich als hätte man sich den Ellbogen an einer Kante gestoßen. Es wird zwar kein großer Schaden angerichtet, aber es schmerzt doch.

Clan Rathskeller von Kevin HearneOh du fröhliche … Druidenzeit! Während die Bürger von Tempe sich im milden Winter auf das Weihnachtsfest vorbereiten, befinden sich waschechte Geschöpfe der keltischen Mythologie unerkannt unter ihnen. Getarnt als Weihnachtselfen in einer Shopping Mall, trachten die letzten Gnome des Clans Rathskeller einem diebischen Kobold nach dem Leben. Atticus und sein irischer Wolfshund Oberon stolpern unfreiwillig nicht nur in konsumwütige Shopper, sondern auch in eine Verfolgungsjagd, die das Chaos perfekt macht.

Oberon stopped and cocked his head to one side. <You’re telling me those are gnomes pretending to be dwarfs pretending to be elves? Are you trying to play Six Degrees of Bilbo Baggins again?>

Oh, Atticus, es geht doch nichts über eine charmante kleine Geschichte, um daran zu erinnern, warum du so umwerfend (witzig) bist.

Clan Rathskeller ist wie A Test of Mettle eine Kurzgeschichte von Kevin Hearne, die zu der Buchreihe The Iron Druid Chronicles gehört und kostenlos zum Download angeboten wird. Die Geschichte spielt chronologisch betrachtet zehn Monate vor Band 1 (Hounded/Die Hetzjagd) und ist zwar nicht handlungsrelevant für die Reihe, dafür aber ein köstlicher Happen Humor für zwischendurch, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Da die Charaktere hier nicht näher vorgestellt bzw. ausgearbeitet werden, ist es für Neueinsteiger vielleicht trotzdem ganz ratsam, nicht gleich mit Clan Rathskeller in die Iron Druid Chronicles einzusteigen. Es könnten sonst doch einige Dinge Fragen aufwerfen, die erst durch die Bücher erklärt werden und dem Leser das nötige Grundwissen vermitteln.

Wer nun schon die Freude hatte, mindestens Hounded gelesen zu haben, der wird Clan Rathskeller als sehr unterhaltsamen Zusatzstoff empfinden, mit einem typischen Atticus, bei dem es viel zu lachen gibt. Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte könnte man es auch nennen, schließlich wird hier ein böser Kobold von Santas Elfen verfolgt. Allein die Vorstellung lässt einen schon albern kichern.
So richtig witzig wird es aber natürlich erst, wenn man tatsächlich die Geschichte selbst liest und sich die teils urkomisch gezeichneten Bilder vor dem geistigen Auge ausmalt. Oberon kann auch im Angesicht einer ernsten Lage nur an mit Schinken umwickelte Steaks denken, Atticus muss mal wieder blank ziehen (ja hier darf gesabbert werden, liebe LeserInnen), eine Emo-Fee macht außerdem Bekanntschaft mit einem Kühlergrill und wer dachte, Gnome und Stöckelschuhe passen nicht so richtig zusammen … der hatte recht.

Kurz gesagt: Clan Rathskeller, ein Titel, der einen leicht auf eine falsche Spur führen kann, ist eine schrecklich amüsante Ergänzung zu den Büchern, mit liebenswert schrulligen Figuren und mindestens einem Beweis mehr, dass Autor Kevin Hearne für jede Lage passende Querverweise zu Musik, Film und Literatur auf Lager hat. Überhaupt ist es erfrischend, wie dieser Autor es schafft, einen alle zwei Minuten lachen oder grinsen zu lassen, ohne dabei platt oder Slap-Stick-artig zu werden. Bitte mehr davon!

Darkness on the Edge of Town von Brian KeeneEines Morgens geht über dem kleinen Städtchen Walden die Sonne nicht mehr auf. Sämtliche Verbindung mit der Außenwelt ist abgebrochen, die Elektrizität versagt, Telefonleitungen und auch der Mobilfunk sind tot. Sonne, Mond und Sterne… das gibt es nicht mehr. Die Stadt ist lückenlos eingehüllt von alles verzehrender Dunkelheit und wer immer Walden verlässt, kommt nicht mehr zurück.
Robbie, seine Freundin Christy und ihr Nachbar Russ finden heraus, dass sich etwas in der Dunkelheit befindet, etwas Tödliches. Doch auch innerhalb der Stadtgrenzen treibt das Übel der Menschen in rasantem Tempo an die Oberfläche.

– According to the Bible, here’s how it all went down. You’ve got the word and the darkness and not much else. The two of them are just sort of hanging out together. The word and the darkness, chilling together in the void. And then the word says, “Let there be Light” and there was. And things continued just fine after that, for the most part.
Then, millennia later, some asshole comes along and fucks it all up.” –
One, S. 7

Darkness on the Edge of Town (Am Ende der Straße) ist das hinterlassene Notizbuch des Protagonisten Robbie Higgins. In Form rückblendender Aufzeichnungen schildert er dem Leser die Ereignisse, die mit der Ankunft der Dunkelheit begonnen haben. Die Art dieser Notizen und die gelegentlich direkte Ansprache des Lesers zielen einerseits auf ein unmittelbares Nacherleben ab, als würden die Aufzeichnungen just in diesem Moment gemacht, und andererseits erwecken sie den Eindruck, man habe als Leser Robbies Tagebuch gefunden.

Es gibt verschiedene kleine und große Ansätze philosophischer, religiöser und heidnischer Erklärungsversuche bis hin zu einem kritischen Blick auf die moderne Gesellschaft, in der keiner mehr seinen Nachbarn kennt und sich jeder nur noch für sich selbst interessiert. Verstärkt und beschleunigt durch den Einfluss der Dunkelheit, die im Weiteren nicht näher beschrieben wird, brechen daher in Walden die letzten verbliebenen moralischen Werte innerhalb von Stunden zusammen, Folter, Mord und Vergewaltigung werden zu einer alltäglichen, kaum beachteten Tagesordnung. Daneben sind die üblichen Ladenplünderungen schon zu vernachlässigen.

Was nun zunächst einmal gar nicht so schlecht beginnt und eine mysteriöse Endzeit-Geschichte mit Gruselfaktor versprechen mag, entpuppt sich als langweiliger Klon hundertfach erzählter Geschichten, ein bisschen Stephen King, ein bisschen Nebel des Grauens etc. – wäre es wenigstens eine gut durchdachte, spannende Erzählung, so könnte man den Roman sicher trotzdem genießen, so jedoch ist Darkness on the Edge of Town eine große Enttäuschung und leider auch eine Beleidigung für das Horror-Genre.
Der sprachliche Stil ist sehr einfach, man könnte auch sagen: zum Erbrechen simpel und stellt eine Ansammlung von Slang, Schimpfworten und gerauchten Joints dar. Die Handlung wirkt stark konstruiert und in sich nicht konsequent, es geschehen immer wieder die gleichen Dinge, dieselben Formulierungen tauchen regelmäßig auf, bestimmte Tatsachen werden zur Genüge wiederholt, auf dass der Leser sie auch wirklich zwischendurch nicht vergesse. Ein Widerspruch jagt den nächsten und weitere zahlreiche Ungereimtheiten tummeln sich unter dem Mantel des Mystery-Horrors.
In jedem Satz spürt man die Bemühung des Autors, etwas von der Furcht und dem Horror zu vermitteln, von dem der Ich-Erzähler in allzu gelangweilter, emotionsloser Manier berichtet, er scheitert dabei entsprechend auf ganzer Linie, trotz der eingangs erwähnten guten Ansätze. Auch der Versuch, einen Running-Gag einzubauen, muss vor der erzwungenen Komik der Sache kapitulieren.

Von den Charakteren kann man leider ebensowenig erwarten wie vom Rest dieses schmalen Romans. Sie bleiben bis zum Schluss blass und vermögen es nicht, den Leser in irgendeiner Form zu beeindrucken. Falls sie etwas anderes als uninteressant sind, dann kann man wohl nur sagen dumm und unglaubwürdig, zumindest verhalten sie sich häufig so, wenn sie nicht gerade wieder eine Bong mit Mariuhana rauchen.
Es mag eine Frage des persönlichen Geschmacks sein, doch es gab schon deutlich besser funktionierende Anti-Helden oder auch völlig normale Alltagsmenschen, die sich im Mittelpunkt einer hoffnungslosen Situation wiederfinden.

Was bleibt abschließend über diesen Roman zu sagen? Nachdem man sich schließlich fast 190 Seiten lang durch diese trockene Erzählung gekämpft hat, in der Hoffnung, die letzten Seiten würden einen für das Durchhalten entschädigen, schließt Darkness on the Edge of Town mit einem offenen Ende ab, welches noch einmal einen letzten kläglichen Versuch unternimmt, ein “Ende-der-Welt” Gefühl aufkommen zu lassen.
Eine insgesamt gute Idee, die leider völlig laienhaft umgesetzt wirkt und wohl eher als notdürftiger Lückenfüller taugt. Schade.

Cover des Buches "Das magische Herz" von Donna BoydIm alten Ägypten werden Han, Akan und Nefar im Hause des Ra zu Magiern ausgebildet. Rasch erkennen sie, dass sie die Welt beherrschen können, wenn sie ihre magischen Kräfte gemeinsam einsetzen. Nachdem die drei im Haus des Ra eine Katastrophe ausgelöst haben, gelingt es ihnen tatsächlich, die Macht in Ägypten an sich zu reißen, doch gleichzeitig beendet ein Verrat ihre Freundschaft. Von diesem Zeitpunkt an geht Han jahrhundertelang seinen eigenen Weg, an dessen Ende ein aufsehenerregendes Verbrechen steht.

-Selbst jetzt hatte er das Bild vor Augen: die Blutfontäne, die in einem hohen Bogen aus der Halsschlagader schoss und sich anmutig gegen den sonnendurchtränkten Himmel wölbte, wo sie einen Moment lang wie erstarrt in Zeit und Raum verharrte, feucht glänzende Tropfen des Lebensflusses, die wie geschmolzenes Gold in einer zähen Suspension wirbelten und tanzten, ehe sie in einem weichen, sanften Sprühregen Gesicht und Haut und Haare benetzten.-
NEW YORK GEGENWART

Obwohl -oder vielleicht gerade weil- die Autorin eine Vielschreiberin ist, die schon mehr als fünfzig Bücher veröffentlicht hat, wirkt Das magische Herz (The Alchemist) als hätte sie sich beim Verfassen dieses Romans genau an das Handbuch für den hoffnungsvollen Fantasyautor gehalten:
1. Zu Beginn mache man den Leser neugierig, indem man ein möglichst grausames Verbrechen schildert.
2. Danach lasse man einen mysteriösen Fremden auftreten, der von sich behauptet, er lebe schon seit ewigen Zeiten und der seine Geschichte einem Normalsterblichen des 20./21. Jahrhunderts erzählt. Am besten geeignet ist die Konstellation “Vampir/Journalist”, sollte Ihnen jemand diese Idee unverschämterweise gestohlen haben, bevor Sie mit dem Schreiben ihres Romans angefangen haben, behelfen Sie sich mit einem ägyptischen Magier und einer Psychotherapeutin.
3. Um zu verhindern, daß der Leser sich langweilt, schildern Sie in regelmäßigen Abständen ein schreckliches Ereignis, das eines der folgenden Szenarien beinhaltet: Ein verheerendes Feuer, einen Mord, bei dem unbedingt Blut spritzen muß oder jemand verspeist ein lebenswichtiges Organ eines anderen. Gegebenenfalls kann man diese Vorgänge beliebig miteinander kombinieren.

Auf gewisse Weise funktioniert dieses Konzept sogar. Die Geschichte ist einigermaßen spannend, Han, Akan und Nefar sind so gestaltet, daß der Leser ihr Schicksal mit Interesse verfolgt und es gibt einige gut geschriebene Szenen, z.B. die, in der die drei entdecken, daß sie fliegen können. Die Freude, die sie dabei empfinden, springt direkt auf den Leser über. Andererseits merkt man dem Roman zu sehr an, daß er schnell dahingeschriebenes Unterhaltungs-Fast-Food ist.

Donna Boyd hat sich wenig Mühe mit der Schilderung des Umfeldes gegeben. Die Orte, an denen die Handlung spielt, sind, wenn überhaupt, nur durch wenige Worte charakterisiert. Ägypten erkennt man hauptsächlich daran, daß die Begriffe “Pharao”, “Wüste” und “Ra” vorkommen. Diese marginale Charakterisierung ist nicht dazu geeignet, vor dem geistigen Auge des Lesers die reiche Kultur des alten Ägyptens entstehen zu lassen.
Ganz unglaubwürdig wird die Geschichte, wenn der mysteriöse Fremde erzählt, daß sie an elektronische, mit Solarstrom betriebene Verkehrsmittel (dachten). Auch wenn er dies in der Gegenwart erzählt und wenn die drei die mächtigsten Magier des alten Ägyptens waren, dann wäre es weitaus stimmiger, wenn sie daran gedacht hätten Wagen zu bauen, die durch die Kraft der Sonne angetrieben würden.Boyds Wortwahl ist unpassend und zu häufig anachronistisch. Erstaunt ist der Leser auch, wenn Han, Akan und Nefar mitten in Ägypten darüber nachdenken, in ein anderes Land zu reisen und zwar nach Afrika (!!!).
Der zweite Teil des Buches trägt die Überschrift Zeitalter der Entdeckungen Venedig 1586. Zeit und Ort sind hier völlig willkürlich gewählt und austauschbar. Die Episode könnte genauso 1498 in Madrid oder 1743 in Paris spielen.

Ein wenig mehr Mühe hätte sich die Autorin schon machen dürfen, so ist der Roman zwar durchaus lesbar und unterhaltsam, wirkt aber lieblos dahingeschludert.

Cover von Dea Mortis von Andreas GößlingRick Nadar ist 25 Jahre alt und will jetzt, da seine Freundin Rachel im fünften Monat schwanger ist, ein geregeltes Leben führen. Also arbeitet er nun als Sicherheitsbeauftragter in einer Computerfirma. Doch aus seinem Traum von einem normalen Familienleben wird nichts. Als er von seiner Schicht nach Hause kommt, fordert ihn seine Freundin auf, sofort mit dem Auto loszufahren, sie könne nicht in dieser Stadt bleiben. Sie brechen auf, ohne daß Rick erfährt, wohin die Reise geht. Nachdem sie in mehreren Hotels abgestiegen sind, in denen merkwürdige Dinge vor sich gehen, gelangen sie zur Stadt Idleton. Dort verschwindet Rachel und Rick muß bald feststellen, daß er in Idleton seines Lebens nicht sicher ist.

-Diese Woche hatte Rick Nadar Nachtschicht, und als er um fünf Uhr früh nach Hause fuhr, ging über den Hügeln von New Providence gerade die Sonne auf.-
1.Kapitel NEW PROVIDENCE

Andreas Gößling hat sich zu seinem Roman von Bildern H.R. Gigers inspirieren lassen, die dieser in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts geschaffen hat. Diese Bilder sind es, die DEA MORTIS (=Die Göttin des Todes) zu einem besonderen Buch machen. Viele von Gigers Schwarz-Weiß-Zeichnungen wirken wie eine Kreuzung von Gemälden Boschs und Brueghels mit dem Film Metropolis, da er häufig dämonische Geschöpfe mit maschinenähnlichen Gebilden, Stahlkonstruktionen oder futuristisch anmutenden Häuserfassaden, die aber genausogut Teile eines gotischen Doms darstellen könnten, verbindet. Die Bilder sind verstörend, unheimlich und voller religiöser und sexueller Bezüge. Wer also seinem achtjährigen Sprößling nicht erklären möchte, was sich da auf einigen Bildern so augenfällig in die Höhe reckt und auch schon mal direkt von unten in die Mitte zwischen die nackten Backen (denen auf der Hinterseite wohlgemerkt) einer Frau zielt, der sollte das Buch kindersicher aufbewahren.
Der Roman ist leider weder so verstörend, noch so unheimlich wie Gigers Bilder. Man wird nie das Gefühl los, daß man zwar nicht die Geschichte kennt, aber die Einzelteile, aus denen sie zusammengesetzt ist. Und allzu oft ist dem Leser von vorneherein klar, daß Andreas Gößling versucht, Erwartungen zu wecken, die er nicht einhalten wird. Wenn Rick Nadar sich also zu Beginn plakativ ausmalt, wie er mit seiner großen Liebe Rachel und dem gemeinsamen Kind das idyllische Leben einer Kleinfamilie führen wird, dann muß man weder ein Prophet sein, noch über langjährige Leseerfahrung verfügen, um zu wissen, daß sich seine Vorstellungen in Null Komma Nichts in Luft auflösen werden. Und wenn eine schwangere Frau holterdipolter darauf besteht, die Stadt zu verlassen, ihrem Liebsten nicht sagt, wohin die Reise geht, sondern ihn einfach durch die Gegend dirigiert, dabei wie ferngesteuert wirkt und unbedingt in äußerst merkwürdigen Hotels mit noch merkwürdigeren Bewohnern absteigen möchte, dann wird der Leser nicht unbedarft daran glauben, daß schwangere Frauen eben so komische Dinge machen und derartige Reisen für sie genauso normal sind, wie das plötzliche Verlangen, saure Gurken mit Erdbeeren und Schlagsahne zu verspeisen. Selbstverständlich wird er annehmen, daß sich die Geschichte entweder in Richtung Rosmarys Baby oder Alien entwickeln wird. So ist der Überraschungseffekt und damit auch ein Großteil der Spannung erstmal gestorben.
Im weiteren Verlauf erinnert der Roman weniger an bekannte Filme, sondern mehr an Albträume. Gößling beschreibt, immerhin ziemlich eindrucksvoll, Traumbilder, die jeder kennt, entweder aus eigenem nächtlichen Erleben oder weil sie hinlänglich bekannt sind. Ob Rick Nadar nackt auf der Straße steht, ob er von Jugendlichen verfolgt wird, die ihn verstümmeln und ermorden wollen oder ob er bei seiner Flucht kaum von der Stelle kommt, – die unheimlichen Frauen, bis hin zur Opfer fordernden Göttin, dazu die Erinnerungen Ricks an seine Kindheit und der Hinweis, daß hier Dinge vor sich gehen, die er so ähnlich in einem Film gesehen hat – das alles stößt den Leser mit der Nase darauf, daß hier surreale Traumbilder erzählt werden. Man erliegt nicht einen Augenblick der Illusion, hier könnte einem Menschen wie Du und Ich wirklich etwas Furchtbares passieren, was einem – Gott bewahre- vielleicht selbst zustoßen könnte, auch wenn die Wahrscheinlichkeit noch so gering scheinen mag. Aber nur, wenn es dem Autor gelingt, die Illusion wenigstens für einen Moment zu erschaffen, das Beschriebene könnte Realität sein, sodaß man erschrocken bei der Lektüre zusammenzuckt, wenn die schwangere Freundin ins Zimmer kommt und sagt: “Komm Schatz, laß uns einen Ausflug mit dem Wagen machen”, kann wirklich Spannung aufkommen. Hat man jedoch den Eindruck, hier wird ein Traum beschrieben und man nur noch rätseln darf, ob es der Albtraum des Autors nach der Betrachtung der Bilder H.R.Gigers ist, der des Helden, den unterbewußt doch die Panik vor einem Familienleben gepackt hat oder ob Gößling diese Traumbilder aus anderen Büchern zusammengetragen und mit Mythen vermischt hat, dann mag man vielleicht bewundern, wie der Autor Bilder in Sprache umgesetzt hat, atemberaubende Spannung kommt jedoch nicht auf, weil jeder Leser weiß: Albträume mögen zwar einige Zeit bedrohlich wirken, aber letztendlich sind Träume nur Schäume, von denen keine Gefahr ausgeht.

Death Masks von Jim ButcherDas Grabtuch von Turin wurde aus dem Vatikan gestohlen, und Harry soll es finden. Was anfangs nach einer einfachen Aufgabe klingt, wird schnell brenzlig, als Harry es mit Auftragskillern, gefallenen Engeln, einer kopflosen Leiche mit zahllosen Krankheiten und dem Champion des Roten Hofes der Vampire zu tun bekommt. Als wären das noch nicht ausreichend Herausforderungen, taucht auch Susan plötzlich vor Harrys Türe auf und hat einen anderen Mann dabei.

– Some things just aren’t meant to go together. Things like oil and water. Orange juice and toothpaste.
Wizards and television. –
Kapitel 1, S. 1

Ein Vampir, ein Priester und ein Magier gehen in eine Talkshow …
Klingt wie der Anfang eines Witzes? Ist es aber nicht. Zumindest nicht für Harry Dresden, denn wie der geneigte Leser inzwischen gelernt haben dürfte, ist Harry ein Magnet für schwergewichtige Probleme, und davon am besten gleich mehrere an verschiedenen Fronten. In Death Masks (Silberlinge) treffen wir daher auf zwei große Handlungsstränge. Einmal wird der Krieg zwischen den Vampiren und den Magiern wieder aufgegriffen: Harry wird vom Champion der Vampire des Roten Hofs zu einem Duell herausgefordert, dessen Ausgang über den gesamten Krieg entscheiden soll. Um es für Harry auch ganz persönlich schwierig werden zu lassen, taucht Susan plötzlich vor seiner Türe auf, noch immer mit dem Vampirgift infiziert und in Begleitung eines anderen Mannes. Damit ist der Tag für Harry freilich bereits gelaufen, doch Harry wäre nicht Harry, wenn ein solcher Tag nicht noch wesentlich schlechter werden könnte. Damit sind wir auch schon beim zweiten großen Handlungsstrang, der buchstäblich biblische Ausmaße annimmt. Gefallene Engel haben es nicht nur auf das Turiner Grabtuch abgesehen, sondern auch auf Harry selbst. Ein Glück für den Magier, dass Michael und zwei weitere Kreuzritter zur Stelle sind, um ihm den Allerwertesten zu retten.

Die Qualität der Dresden-Bücher schwankt leider immer wieder von “einfach genial” zu “so lala” und diesmal sind wir näher an lala als an genial. Nach dem sehr starken vierten Band Summer Knight (Feenzorn) war zu erwarten, dass Death Masks einen schwierigen Stand haben würde. Schade, denn die Ideen sind durchaus gut, doch es gibt verschiedene Altlasten, die allmählich lästig werden. So wird die Geschichte nunmehr zum fünften Mal damit eingeleitet zu erklären, wer Harry ist und was er macht, wie er lebt, wer Bob und Mister etc. sind … Danke, Herr Butcher, doch nach fünf Bänden weiß die Leserschaft, was sie hier zu lesen gedenkt, und muss es nicht immer wieder gesagt bekommen. Ähnlich ist es mit Harrys altmodischem chevaleresken Gebaren in Gegenwart von Frauen, seien sie gerade auch noch so unfreundlich. Wo bleibt da bloß der gesunde Menschenverstand? Eine Frau mit Waffe muss wahrlich nicht beschützt werden, schon gar nicht, wenn sie damit auf einen zielt. Wirklich störend fällt es vermutlich nur deswegen auf, weil so oft wörtlich betont wird, dass Harry altmodisch und galant ist. Vielleicht fürchtet Butcher, seine Leser hätten die Aufmerksamkeitsspanne einer Eintagsfliege, dass er bestimmte Dinge bis zum Erbrechen wiederholen muss, statt einfach Harrys Taten für sich sprechen zu lassen.
Erschwerend kommt hinzu, dass Harry in Death Masks extrem schlecht gelaunt wirkt und der Humor nur schwer durchklingt. Das schwächt den Unterhaltungsfaktor merklich ab und lässt einen verschärft den Blick auf Schwachstellen werfen, wie etwa die etwas seltsame sexuelle Begegnung zwischen Harry und Susan, die eher Bondage-Freunde begeistern dürfte, die eingangs genannten Wiederholungen und auch mal die ein oder andere dumme Entscheidung.

Gut gelungen dagegen sind wie immer der Weltenbau und die Entwicklung der Charaktere, von denen wir auf zahlreiche alte, aber auch etliche neue treffen. Der Leser erhält neue Einblicke in das Leben von Susan, Harry selbst und auch von Michael mit seinen Kreuzrittern. Vor allem mit dem neuen Charakter Archive alias Ivy und dem Auftragskiller Kincaid präsentiert Butcher ein ungleiches Paar, das für all den sonst zu kurz kommenden Humor und die schlechte Laune des Protagonisten entschädigt. Auch werden bereits vorhandene Handlungsstränge aus den vorigen Bänden konsequent fortgesetzt, so dass man auch hier neue Erkenntnisse erlangt. Bloß auf Hausgeist Bob und Ermittlerin Murphy muss man diesmal nahezu verzichten.
Death Masks weist einmal mehr darauf hin, dass es dunkle Geheimnisse in Harrys Familie gibt und er aus einem noch unbekannten Grund deswegen besonders reizvoll für die Denarier – die gefallenen Engel – und deren Anführer Nicodemus ist. Genaues erfährt der Leser leider nicht, die Dinge bleiben rätselhaft und sorgen für genug Neugierde, um auch den Folgeband zur Hand nehmen zu wollen.

Obwohl Death Masks wieder deutlich spröder und weniger unterhaltsam daherkommt als Summer Knight, lohnt es sich, am Ball zu bleiben. Vielleicht ist es auch nur eine Frage des thematischen Fokus. Während sich Summer Knight in der keltischen Sagenwelt bewegte, konzentriert sich Death Masks auf die christliche Mythologie. Doch egal, welche Themenrichtung einem nun mehr zusagt, die Handlungsstränge werden gewohnt temporeich erzählt, und wenn man es mit der Glaubhaftigkeit nicht allzu genau nimmt, dann kann man nach einem Augenrollen auch diesen fünften Roman in der Reihe noch gut genießen.

The Demon and the City von Liz WilliamsDer Dämon Zhu Irzh, der sich vorerst aus der Hölle abgesetzt hat und im Polizeidezernat von Singapur Drei arbeitet, muss in einem Mordfall ermitteln. Bald weisen alle Spuren auf den Mega-Konzern Paugeng, wo sich die Ermittlungen schwierig gestalten, zumal Zhu Irzh nicht gerade die volle Unterstützung seiner menschlichen Kollegen und Vorgesetzten hat.
Paugeng führt in aller Heimlichkeit Experimente an Dämonen durch, und die geheimnisvolle Firmenerbin Jhai Tserai hat Pläne, die weit über diese Welt hinausreichen. Da prophezeit das Testsubjekt Mhara, das sich in der Betreuung der von Schuldgefühlen geplagten Robin befindet, das Ende der Stadt.

-The Chinese inhabitants of Singapore Three say that August is an unlucky month. They say that it is called the month of the dead, for it is always during the endless burning days that the dead return, looking for the living, drawn by blood and breath.-
Prologue

Nach dem fulminanten Serien-Auftakt Snake Agent ist es vielleicht ein wenig ernüchternd, festzustellen, dass der zweite Fall von Detective Inspector Chen eigentlich ein Fall des Dämons Zhu Irzh ist, der sich als irdischer Polizist und temporärer Bürger von Singapur Drei zwar nicht viel daraus macht, auf Erden schlecht gelitten zu sein (so er denn überhaupt bemerkt und nicht übersehen wird), aber außerhalb seiner angestammten Höllenheimat schwer unter Langeweile leidet. Die delikate Interaktion zwischen Chen und Zhu Irzh, die den ersten Band zu einem buchgewordenen Buddy-Movie macht, fehlt damit auf weiten Strecken von The Demon and the City – Chen ist im Urlaub auf Hawaii. Auch auf das Höllendekor und die aberwitzige Bürokratie der chinesischen Hölle muss verzichtet werden, da dieser Fall sich auf der Erde, im Nachthafen und im Himmel abspielt.

Dass dadurch einige der charmantesten Elemente des ersten Bandes verloren gehen, tut weh, auch wenn die Entscheidung letzten Endes nachvollziehbar ist: Da auch The Demon and the City mit himmlisch-höllischen Verschwörungen arbeitet, die am besten durch willige irdische Helferlein vollzogen werden, und wiederum übernatürliche Mächte eingreifen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen, wäre die Gefahr einer Wiederholung groß gewesen, hätte Liz Williams nicht an ein paar Parametern geschraubt.
Zhu Irzh, bisher schon heimlicher Star der Serie, sollte sich als Hauptfigur eigentlich prächtig machen: Er gibt wieder den dämonischen Dandy, der dann am charmantesten ist, wenn er sich ganz undämonenhaft benimmt, doch leider langweilt sein “ich böser, böser Bube”-Gehabe schnell. Schon gut, Zhu Irzh, wir wissen, dass du dir ein Gewissen eingefangen hast und dich hauptsächlich in die blendende Ästhetik des Bösen kleidest!
Zur Entschädigung für das ein oder andere Gähnen gibt es immerhin eine Szene mit Chens hinreißendem bärbeißigen Teekessel, der Zhu Irzh’ Attitüde bricht und für den Lacher des Buches sorgt.

Im Laufe von Zhu Irzh’ Ermittlungen wird eine ganze neue Figurenriege eingeführt, die auch für weitere Bände erhalten bleibt (was allerdings heißt, dass die Geschichten der Figuren aus Snake Agent vorerst nicht weitergeführt werden), daraus sticht vor allem die konfliktbeladene Robin hervor, die zwischen dem, was ihr Gewissen sagt, und den Notwendigkeiten des täglichen Überlebens pendelt, wenn sie jeden Tag zur Arbeit mit ihrem lebenden Versuchsobjekt beim Konzern Paugeng antanzt, weiterexperimentiert und daran leidet, nicht die Wahl zu haben. Liz Williams’ Darstellung der Interaktion zwischen dem Göttlichen (oder Dämonischen) und den Menschen ist ohnehin hervorragend gelungen – einerseits wird die Allmacht der Götter deutlich, und ihre relative Gleichgültigkeit, andererseits gibt es (wohl auch für Götter) ein teils verblüffendes, teils auch hausgemachtes Karma, das für einen gewissen Ausgleich sorgt.

Der Hauptplot ist in The Demon and the City weniger ein eleganter roter Faden als ein Mosaik, das man sich aus verschiedenen Kapiteln und Perspektiven zusammensetzt, und das Bild, das dabei herauskommt, bleibt immer eine Interpretationssache. Beweggründe der einzelnen Beteiligten an der komplexen Verschwörung bleiben schwammig, was zu einem merkwürdigen Hybriden aus verwickelten Einzelheiten und allzu simplen Hintergründen führt.
Es scheint, als würde Liz Williams etwas zu atemlos durch ihre ultrakurzen Kapitelchen hetzen, ohne sich mit Erklärungen oder einem fundierten Aufbau der Handlung zu befassen. Auch in der dürftigen Reaktion der Figuren auf die gigantischen Ereignisse macht sich diese Schieflage bemerkbar.
Williams’ Stärke liegt eindeutig eher bei Einzelszenen, bei der wunderbaren Atmosphäre, die sie in ihrem einzigartigen Setting schaffen kann: in einem Augenblick fremdartig-übersinnlich und im nächsten geerdet, sei es nun im Nachthafen, dem Übergangsort der Seelen, oder in Singapur Drei, das Williams perfekt als globalisierte urbane Metropole präsentiert, in der die Party auch weitergeht, wenn ein Gott gerade einen Wolkenkratzer zertrampelt hat.

Weniger feine Untertöne und weniger Witz als Snake Agent machen aus The Demon and the City einen noch immer gut lesbaren, aber nicht mehr so brillanten Roman wie den Vorgänger. Bei Freunden des maliziösen Schönlings macht Zhu Irzh wohl alles wett, andere müssen abwarten, ob der dritte Band wieder zu alten Stärken zurückfindet.

Cover des Buches "Disappearing Nightly" von Laura ResnickEsther Diamond hat kein Glück. Sie ist Schauspielerin in New York, doch ihr großer Durchbruch lässt auf sich warten. Als sie endlich eine Rolle in einem kleinen Off-Broadway-Stück namens Sorcerer! bekommt, hofft sie zumindest auf gute Kritiken. Doch während die Show gerade beginnt, einigermaßen Erfolg zu haben, verschwindet Golly Gee, die weibliche Hauptrolle, während des Stückes spurlos. Esther, die Zweitbesetzung, erhält endlich ihre Chance auf den erwarteten Durchbruch. Doch was ist mit Golly Gee wirklich passiert? Esther erhält mysteriöse Warnungen, dass ihr das gleiche Schicksal bevorsteht, wenn sie die Hauptrolle übernimmt. Und nicht nur das, denn plötzlich verschwinden noch mehr Menschen während der Auftritte spurlos …

-»I could feel the forces of chaos encroaching on my cosmic destiny,« he said in a shaken voice.
»New York cabs take some people that way.”-
Chapter 3

Nachdem ich die Sirkara-Chroniken von Laura Resnick gelesen habe, habe ich die Autorin zu meinen Favoritinnen hinzugefügt und auf neue Bücher von ihr gewartet. Endlich habe ich es nun auch geschafft, das neueste Werk zu lesen; enttäuscht wurde ich nicht.

Wie bereits in der Sirkara-Reihe setzt die Autorin hauptsächlich auf die Charaktere. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen begegnet uns darin: Esther, die erfolglose Schauspielerin, ist wunderbar spitzfindig und nie um eine Antwort verlegen, was der größte Pluspunkt für dieses Romans ist. Die Dialoge sind herrlich erfrischend und teilweise echt witzig, so dass ich mehr als nur einmal lachen musste. Auch die anderen Charaktere – von “Magiern” über den Cowboy bis zur Drag Queen – sind lebendig und einfach sympathisch. Am Ende jedoch werden es einfach zu viele Charaktere auf zu wenig Seiten, als dass es noch irgendwelche tiefgründigen Beschreibungen geben könnte, einzige Ausnahme ist natürlich die Protagonistin.

Die Story beginnt spannend und innovativ, ebbt aber nach den ersten 100 Seiten ein wenig ab, das Ende ist leider nach Schema F. Trotz allem sorgt besonders der Anfang für ein unterhaltsames Lesevergnügen, so dass sich der Kauf allemal gelohnt hat. Alles im Allem hat sich Frau Resnick durch den Roman in meiner Riege der Favoritinnen bestätigen können und ich freue mich auf die nächsten Bücher.

Diving Mimes, Weeping Czars and Other Unusual Suspects von Ken ScholesDie siebzehn Kurzgeschichten führen diesmal auf die Erde nach einem Alien-Angriff, Kolonien auf fernen Planeten, deren Siedler längst die Technik vergessen haben, in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, ins Herz eines Galaktischen Imperiums, in eine Bar irgendwo im Westen und an etliche andere Orte zu anderen Zeiten.

-Frederico leaned close to smell the poison on his thirteenth wife’s cold, dead lips.-
A Weeping Czar Beholds the Fallen Moon

Auch Ken Scholes’ zweite Sammlung von Kurzgeschichten – eine Form, in der der Autor zu Hause ist wie der Fisch im Wasser – bietet wieder einen kreativen Reigen von vor allem thematisch und durch ihre überbordende Phantasie verbundenen Episoden, die völlig verschiedenen Subgenres zuzuordnen sind und die Tür zu ihren jeweiligen Welten einmal weit aufreißen, um sie nach einem kurzen Blick wieder zu schließen.
Das Nachwort verrät – falls man es sich nicht aus den Texten selbst erschließen konnte – die Zugehörigkeit einzelner Geschichten zu größeren (meist noch ungeschriebenen) Zyklen oder einem gemeinsamen Setting.

Zwei der Geschichten gehören zur Psalms of Isaak (Die Legende von Isaak)-Reihe, darunter die lange Eröffnungs-Erzählung, die eine gute Ergänzung zum zweiten Band der Reihe darstellt und in eine frühere Ära der Benannten Lande führt. Of Missing Kings and Backward Dreams and the Honoring of Lies ist dagegen ein früher Entwurf für den ersten Band, als dieser noch als Zyklus aus mehreren Kurzgeschichten konzipiert war, und gibt einen guten Einblick in Scholes’ schöpferischen Prozess.
In beiden Geschichten tritt eines seiner großen Talente zutage: Mit der Weltschöpfung auch auf kleinstem Raum mehr zu vermitteln als andere in ganzen Zyklen und dieses Grundkonzept der Fantasy, das Simulieren von großen Welten mit wenigen Worten, damit auf die Spitze zu treiben.
In beinahe jeder Geschichte in Diving Mimes and Weeping Czars kann man staunend davorsitzen, wenn dieser Trick wieder und wieder gelingt, etwa in der knallig bunten und tieftraurigen postapokalyptischen Erde der Four Clowns of the Apocalypse and the Mecca of Mirth, die sich schnell ein neues Bezugssystem aus Mythen und Geschichten zugelegt haben, oder im pangalaktischen Invisible Empire of Ascending Light, das schon etliche Schismen hinter sich hat und in der tragischen Erzählung nur eine Ahnung der Geschichten vermittelt, die sich innerhalb seiner Grenzen abspielen könnten.
Dieses unerwähnt bleibende Mehr, das in vielen Geschichten der Sammlung mitschwingt, ist mitunter Scholes’ größte Trumpfkarte.

Eine andere sind seine Themen: Fast alle Geschichten haben spirituelle, aber auch religionskritische Untertöne, in einigen rücken sie auch in den Vordergrund, wie etwa bei On the Settling of Ancient Scores, wo es Gott und der Teufel in einer Bar austragen wollen, oder The God-Voices of Settler’s Rest, einer melancholischen Rückschau auf ein Leben, das einer ominösen Religion gewidmet war.
Auf verschiedenen Wegen nähert sich Scholes auch dem Umgang mit dem Tod (absurd und tragikomisch, aber psychologisch unfehlbar in Grief-Stepping to the Widower’s Waltz, mit eindeutig durchschimmernder Eigenerfahrung in The Taking Night). Zwei Liebesgeschichten bereiten auch dieses Thema verspielt und geschickt auf: Love in the Time of Car Alarms ist eine niedliche, aber unkitschige Romanze in Scholes’ Superhelden-Universum, There Once Was a Girl in Nantucket reiht die Liebe als ein weiteres Element in eine Parade von surrealen Ereignissen ein.

Viel Vergnügen machen auch zwei Geschichten, die auf den Artus-Mythenkreis zurückgreifen, diesen aber sehr ungewöhnlich umsetzen: eine entpuppt sich als auf schlichte Weise schön und bleibt dicht an ihrem adoleszenten Helden, der in die Fußstapfen von Tom Sawyer und Huckleberry Finn zu treten scheint, die andere tischt ein kurioses, drastisches Setting auf und wird von Scholes’ Inszenierung der Heldenwerdung seiner Figuren getragen – wie schon in früheren Geschichten versteht er es, völlige Außenseiter in diese Rolle zu drängen und ihnen in den richtigen Momenten Pathos zu verleihen.
Nicht nur in dieser Geschichte ist die Zeit nach der Apokalypse ein Thema, zu dem Scholes immer wieder zurückkehrt – er beschreibt Neuanfänge, oft Rückfälle auf niedrigere Entwicklungsstufen, oder eine völlige Veschiebung des gesellschaftlichen Paradigmas, meist weg von der Rationalität, hin zum Glauben oder zu Welten, in denen Mythen und Geschichten Realität stiften.

Diese Mythen zaubert er aus dem Hut, als wären sie im Dutzend billiger – Ähnlichkeiten und gemeinsame Ursprünge lassen sich feststellen, genauso, wie sich nach und nach ein Mosaik aus Geschichten ergibt, die Teil eines größeren Entwurfs sind. Selbst in den kürzesten Geschichten, dem poetischen SF-Action-Kracher (!) The Night the Stars Sang Out My Name und der düsteren und trotzdem warmherzigen Endzeit-Episode What Child is This I Ask the Midnight Clear, scheut sich Scholes nicht, eine Fülle von Hintergründen durchscheinen zu lassen, die auf mühelose Weise authentisch wirkt.
Eines der Highlights der Sammlung, The Second Gift Given, ist dann auch zugleich Schöpfungs- und Zukunftsmythos und kann außerdem gut als Beispiel dafür dienen, dass die anspruchsvollen Konstruktionen des Weltenbaus niemals die menschliche Basis der Geschichten überragen: Es behandelt ein moralisches Thema, mit dem beinahe jeder Mensch irgendwann einmal konfrontiert wird, auf so einfühlsame Weise und gleichzeitig mit einem solchen Weitblick, dass man schon allein für diese eine Geschichte unter siebzehn diese Sammlung ins Regal stellen sollte.

Cover des Buches "Drachennächte" von Roman Sander (Herausgeber)Diese Anthologie enthält zehn Fantasygeschichten verschiedener Autoren. Mehr zum Inhalt findet Ihr in der Buchbesprechung.

-Mit der Dämmerung kam der Sturm.-
Sturmnacht

Die zehn in diesem Buch versammelten Geschichten decken einen großen Teil des Spektrums ab, das die Fantasy zu bieten hat.

Uschi Zietschs Sturmnacht erzählt als etwas pathetisch geratene Horrorversion der Wilden Jagd von der Geburt einer deutschen Sagengestalt.
In Terry Pratchetts Die Trollbrücke trifft Cohen der Barbar auf einen Troll. Doch anstatt zum geplanten Kampf um den legendären Trollschatz, von dem Cohens sprechendes Pferd dem gealterten Barbaren übrigens dringend abgeraten hat, kommt es zu einem wehmütigen und höchst komischen Abgesang auf alte Zeiten.
Ganz anders wiederum ist der Stil der Erzählung Die Sonnwendherrin der russischen Autorin Anna Kashina. Sie beruht auf einer alten Legende ihrer Heimat und gleicht mehr einem Märchen als einer Fantasygeschichte. Ihre Protagonistin, die Sonnwendherrin, erinnert an die starken, selbstbewussten und magischen Heldinnen Angela Carters.
David Case wirft in Das Ungeheuer in der Kluft die Frage auf, was den Mensch zum Menschen macht und welche Rolle Religion und Kirche dabei spielen.
In David C. Smith Geduld ist eine Tugend rächt sich eine misshandelte Frau nach Jahren an ihrem Peiniger. Es ist eine bösartige kleine Geschichte und genau deshalb ist sie so gut.

Auch alle anderen Erzählungen sind lesenswert: Rot auf Silber von Uwe Luserke, Hans Dieter Römers Am Rande, Lucius Shepards Der Mann, der den Drachen Griaule bemalte, Chris Naylors Die Burg am Ende der Welt und das Gemeinschaftswerk des Autorengespanns Marion Zimmer Bradley & Ted White: Geburt eines Phönix.

Cover von Das Durchdrehen der Schraube von Henry JamesEin Mann liest seinen Freunden aus dem Manuskript vor, das ihm eine Freundin vermacht hat. Darin erzählt sie eine Geschichte, die sie in ihrer Jugend erlebt hat: Die junge Frau wurde damals als Erzieherin für zwei junge Waisen, Flora und Miles, eingestellt. Als die Gouvernante ihre Stellung antritt, kann sie ihr Glück kaum fassen. Die Kinder leben in einem schloßartigen Anwesen, sie sehen aus und benehmen sich wie kleine Engel. Die junge Frau freundet sich mit der Haushälterin Mrs. Grose an. Doch die Idylle währt nicht lange. Plötzlich der ehemalige Kammerdiener und die letzte Gouvernante der Kinder wieder auf. Schnell wird klar, daß die beiden versuchen, einen fatalen Einfluß auf Miles und Flora auszuüben. Die Erzieherin und Mrs. Grose setzen alles daran, die beiden Kinder zu schützen.

-Die Geschichte hatte unserer Runde am Kaminfeuer wohl hinreichend den Atem verschlagen, doch außer der naheliegenden Bemerkung, daß sie schaurig gewesen wäre, wie das am Weihnachtsabend in einem altertümlichen Haus für eine außergewöhnliche Geschichte unerläßlich sei, erinnere ich mich nichtsdestoweniger keiner Äußerung dazu, bis schließlich jemand beiläufig feststellte, dies sei der einzige ihm bekannte Fall, in dem ein Kind von einer derartigen Heimsuchung betroffen wurde.-

Oscar Wilde sagt über diese Erzählung sie sei “Eine höchst wunderbare, grausige, giftgetränkte kleine Geschichte.” Besser kann man es nicht ausdrücken. Diese Geschichte ist nichts für Leser, die leises Grauen erst dann empfinden, wenn axtschwingende Untote kreischende halbnackte Blondinen zerstückeln. Das Grauen, das sich beim Lesen von Das Durchdrehen der Schraube (The Turn of the Screw) einstellt, ist von völlig anderer Art. Es schleicht sich wie ein langsam wirkendes Gift in die Seele des Lesers -wenn er für diese Art von Schrecken empfänglich ist. Man muß sich die Zeit vergegenwärtigen, in der die Geschichte spielt -ungefähr in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, also im viktorianischen Zeitalter. Zu dieser Zeit galten völlig andere moralische Standards als heute. Da verstößt es gegen die guten Sitten, wenn ein fremder Mann einer jungen Dame aufdringlich hinterher starrt, Kinder werden für ein Verhalten von der Schule gewiesen, das heute niemanden mehr aus der Fassung bringt und es gibt Dinge, über die spricht man nur in Andeutungen. Letzteres macht die Faszination der Geschichte aus. Die Spannung entsteht dadurch, daß etwas Irrationales geschieht. Mit der Rückkehr von Quint und Miss Jessel bricht das Böse in die Idylle ein, aber objektiv gesehen geschieht gar nichts. Die beiden sind einfach nur anwesend, es ist nicht so, daß sie die Kinder angreifen oder verbal bedrohen würden. Aber der Leser weiß durch die Gespräche, die die Erzieherin mit Mrs. Grose führt (und er weiß es nur aus diesen Gesprächen), daß etwas Furchtbares im Gange ist, doch er erfährt nicht, was genau geschieht. So entsteht zwischen dem Leser und der Gouvernante eine Interaktion. Dadurch, daß das Unaussprechliche nur angedeutet wird, bleibt dem Leser Raum, seine eigenen Vorstellungen zu entwickeln, was das Böse wohl sein mag, das versucht, Macht über die Kinder zu gewinnen. Oder hat es tatsächlich Macht über die Erzieherin gewonnen? Henry James’ Schachzug, aus dem Leser die ureigensten Ängste hervorzulocken, anstatt ihm explizit zu erklären, was in diesem Haus geschieht, macht diese Geschichte zu einem Klassiker der phantastischen Literatur.

James verzichtet auf eine Erklärung der Vorgänge und so wurde das Buch zu einem der meistinterpretierten Bücher der Literaturgeschichte. Tun sie sich einen Gefallen und verzichten sie auf eine Interpretation. Sie würden damit nur die Faszination der Geschichte zerstören. Damit meine ich nicht, daß Sie nicht darüber spekulieren sollen, was nun eigentlich geschehen ist. Jedem der diese Geschichte liest, drängen sich Vermutungen auf, wer der Auslöser der Ereignisse ist. Vermeiden Sie es aber, eine bestimmte Deutung als die einzig wahre anzusehen. Diese Geschichte lebt von der Vielfalt der möglichen Erklärungen und von dem offenen Ende.

Die Sprache ist in Ordnung, für jemanden, der noch nie ein Werk aus dieser Epoche gelesen hat, aber wahrscheinlich gewöhnungsbedürftig. Wie Karl Ludwig Nicol im Nachwort schreibt, ist es richtig, daß versucht wurde, den literarischen Sprachstil des neunzehnten Jahrhunderts beizubehalten. Die Sprache muß die Atmosphäre dieser Zeit widerspiegeln. Hätte man ein moderneres Deutsch gewählt, würde die Geschichte nicht funktionieren. Trotzdem klingt die Übersetzung des Titels “The Turn of the Screw” im Deutschen unglücklich. Man muß dem Übersetzer zugute halten, daß es äußerst schwierig ist, den Titel adäquat und wohlklingend ins Deutsche zu übertragen, wenn “Das Drehen der Schraube” als nicht eindeutig genug empfunden wird. Mein Sprachgefühl hätte sich in diesem Fall für “Das Anziehen der Schraube” entschieden.

Wenn Sie der englischen Sprache mächtig sind, genießen Sie das Original.

Cover des Buches "Elfenhügel" von Raymond E. FeistPhil Hastings ist ein glücklicher Mann: Er hat Geld, Erfolg und eine Familie, die das Leben auf dem Land in vollen Zügen genießt. Das Haus der Hastings liegt jedoch im Schatten eines sagenumwobenen Hügels, der seit jeher Okkultisten und Abenteurer anlockt.
Hier machen Hastings Söhne eine unheimliche Entdeckung. Im Elfenhügel hausen tatsächlich seltsame Geschöpfe. Aus dem Spiel wird bald gefährlicher Ernst, als Hastings feststellen muss, dass seine Söhne vertauscht wurden …

-Vor dem Schlafzimmerfenster der Jungen glitt etwas Dunkles und Fremdartiges die Regenrinne hinab und schwang sich auf den nächstgelegenen Ast. Es kletterte den Baum hinunter, sprang von Ast zu Ast und ließ sich die letzten Meter fallen. Es bewegte sich unnatürlich schnell und mit wiegendem Gang, ein gebeugeter, affenartiger Schemen. –
Der Hügel des Erlkönigs – Juni; 5. Kapitel

Raymond Feist versteht es, wirklich gute Fantasy-Bücher zu schreiben – und Elfenhügel ist so eines. Die Geschichte der Familie Hastings, die in ein altes Haus mit riesigem Grundstück zieht, ist eines der besten Bücher, die ich bisher gelesen habe.

Schon auf den ersten Seiten wird Spannung erzeugt, die sich das ganze Buch über halten kann. Der keltische Hintergrund der Geschichte ist wunderbar eingebaut und führt zu einem atmosphärisch dichten Roman, der mich sofort gefesselt hat. Die Ereignisse, in welche die Hastings hineingezogen werden, werden grandios erzählt und erzeugen (besonders gegen Ende) ein Gänsehautgefühl beim Leser. Die Charaktere des Romans werden facettenreich und glaubwürdig dargestellt, so dass es leicht fällt, sich mit ihnen zu identifizieren.

Was mir besonders gut gefallen hat, ist, dass Feist nicht zum alten Schema Gut/Böse greift. Es gibt natürlich einen magischen Gegenspieler, doch seine Position wird gegen Ende in ein ganz anderes Licht getaucht, als man es zu Beginn erwartet. Überhaupt ist der Roman vor allem eines: unvorhersehbar. Ich hatte bis zum Schluss keine Ahnung, wie es enden würde, was es mit den seltsamen Geschöpfen auf sich hat und wie die geheimnisvollen menschlichen Besucher in das Bild passen.
Die Lösung, die Feist präsentiert, ist genauso faszinierend wie überraschend. Ein wirklich gelungener Roman. Das einzige, was fehlt, ist Langeweile!

Etwas endet, etwas beginnt von Andrzej SapkowskiEtwas endet, etwas beginnt ist der dritte bei dtv erschienene Kurzgeschichtenband von Andrzej Sapkowski, in dem auch zwei Erzählungen mit Bezug zum Hexer Geralt enthalten sind. Die Geschichten sind allesamt phantastisch, spielen aber in sehr unterschiedlichen Welten.

– „Aber dass der Sommer zu Ende geht, macht mich traurig. Ich mag keine Enden. Das Ende ist der Schluss der Geschichte. Mir aber gefallen an der Geschichte die Episoden.“ –
Tandaradei!

Der Kurzgeschichtenband enthält acht Erzählungen, die jeweils von einer Anmerkung des Autors zu Hintergrund und Entstehungsgeschichte eingeleitet werden. Diese einführenden Kommentare sind wirklich erhellend und zum Teil amüsant zu lesen.

Die in diesem Buch gesammelten Geschichten leiden etwas darunter, dass es keine großen Zusammenhänge oder Gemeinsamkeiten gibt, die als Verbindung dienen könnten, so wie das in den Geralt-Kurzgeschichten der Fall ist. Man merkt deutlich, dass die Geschichten unter verschiedenen Voraussetzungen und zu unterschiedlichen Zeiten in Sapkowskis Laufbahn entstanden sind. Die als Auftragsarbeiten entstandenen Erzählungen kommen im Schnitt etwas weniger einfallsreich daher.

Für nahezu alle Erzählungen benötigt man spezielles Hintergrundwissen oder muss das verarbeitete Original kennen, um sich komplett an der Kurzgeschichte erfreuen und die Anspielungen schätzen zu können. Dies ist zum Teil auch in den anderen Werken des Autors der Fall, in dieser Sammlung jedoch besonders auffällig. Sapkowski verarbeitet beispielsweise Alice im Wunderland, Tristan und Isolde und Personen aus dem Geralt-Zyklus … Freunde der Phantastik und der mittelalterlichen Literatur sind hier sehr im Vorteil. Wer die Anspielungen versteht, muss sicher einige Male öfter schmunzeln.

Zum Glück gibt es aber auch sonst genug Anlass zum Schmunzeln. In fast jeder Geschichte herrscht der typische Schreibstil des Autors – intelligent-humorvoll und mit kleinen satirischen Seitenhieben. Auch die handelnden Personen werden wie gewohnt lebendig und glaubwürdig dargestellt.

Meine hohen Erwartungen wurden beim Lesen nur teilweise erfüllt. Ich bin bekennender Sapkowski-Fan, und seine zwei Geralt-Kurzgeschichtenbände hatten mich besonders überzeugt. Die Zusammenstellung in diesem Buch fand ich aufgrund der fehlenden Gemeinsamkeiten jedoch nicht so gelungen, und es waren auch mehrere Geschichten dabei, die mir nicht gefallen haben – Im Bombentrichter war sehr langatmig, Die Musikanten unnötig verwirrend. Auch die beiden Geschichten mit Bezug zu Geralt sind für Fans kein Muss. Insgesamt ist die Sammlung von Kurzgeschichten noch ein gutes Buch, aber der Lesegenuss bei den einzelnen Erzählungen schwankt ziemlich stark.

Cover von Das Experiment von Arkadi & Boris StrugatzkiAndrej kommt aus der UdSSR des Jahres 1951, dort war er Astrophysiker, jetzt im Experiment ist er Müllfahrer, gemeinsam mit dem Texaner Donald aus dem Jahre 1967, der mal Professor der Soziologie gewesen ist, bevor er beim Experiment mitmachte. Andrejs Bekanntenkreis ist ein bunter Haufen, schließlich umfasst er u.a. die Schwedin Selma, den intelligenten und tiefsinnigen Juden Isja Katzman, den stoischen Chinesen Wang oder den faschistischen Wehrmachtsoffizier Fritz Geiger. Sie und hunderte, tausende, vielleicht sogar Millionen Menschen bewohnen eine Welt: das Experiment.

“Die Affen waren schon in der Stadt. Sie liefen auf Häusersimsen, hingen wie Trauben an Laternenpfählen, tanzten in pelzigen Horden auf Kreuzungen, klebten an Fenstern, warfen mit Pflastersteinen, jagten verwirrte Menschen, die in Unterwäsche auf die Straße gerannt waren.”
– Erster Teil, Müllfahrer

Es ist schwer Das Experiment (auch veröffentlich als Stadt der Verdammten und Verdammte Stadt) zu rezensieren, ohne zu viel zu verraten, denn ein Gutteil der Faszination des Romans rührt daher, wie Andrej und seine Leidensgenossen immer neue Aspekte des Experiments kennen lernen, viel rätseln, aber nie ein vollständiges Bild erhalten. Genau diese offenen Fragen sind es, die einen als Leserin oder Leser zum Mit- und Nachdenken anregen.
Der Protagonist Andrej ist dabei das gerade zu Anfang höchst willkommene Stückchen „Normalität“ in dem wilden Mix aus Wohlbekanntem (etwa die unfähige Bürokratie) und Abstrusem (plötzlich auftauchende Pavianhorden), der das Experiment auszeichnet. Im weiteren Verlauf des Romans und mit der Rochade durch die verschiedenen Berufsfelder, die die Figuren aufgrund des „Rechts auf abwechslungsreiche Arbeit“ vollziehen müssen, lernt man diese jedoch näher kennen und entdeckt nachdenklich stimmende Ambivalenzen, was die ohnehin schon spannende Figurenriege noch interessanter macht. Frauenfiguren sind jedoch nicht die Stärke der Strugatzkis, sodass man sich hauptsächlich mit einem männlichen Repertoire begnügen muss, aber auch durch sein Frauenbild lernt man den Helden Andrej näher kennen …
Dabei hat Das Experiment noch so viel mehr zu bieten als Absurditäten und den geneigten Leser/die geneigte Leserin erwarten unter anderem mysteriöse Kriminalfälle, abenteuerliche Expeditionen und seltsame Lebensformen, aber genauso politische, ideologische und gesellschaftsphilosophische Diskussionen und Fragen. Mit dem faszinierenden Setting des mysteriösen Experiments haben die Strugatzkis eine tiefgründige, facettenreiche Parabel geschaffen, gespickt mit seltsamen Abenteuern, ambivalenten Figuren und Entwicklungen, die einen unweigerlich zum Nachdenken bringt und gleichzeitig an die Seiten fesselt.

Dieser Roman ist nach der ungekürzten und unzensierten Originalausgabe im zweiten Band der Gesammelten Werke (ISBN: 978-3-453-52631-0) kürzlich neu aufgelegt worden, ergänzt durch einen Kommentar von Boris Strugatzki sowie einen erklärenden Index für Textstellen, in denen auf andere literarische oder filmische Werke oder historische Personen, Ereignisse, etc. verwiesen wird.

Cover von Der Fall Jane Eyre von Jasper FfordeEngland, 1985: Der Krimkrieg zwischen England und dem zaristischen Rußland dauert schon über 130 Jahre. Wales ist eine Volksrepublik. Weite Strecken legt man mit dem Luftschiff zurück und manchmal gerät die Zeit aus den Fugen. Literatur besitzt einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Da lohnt es sich für gewissenlose Subjekte, Verbrechen an der Literatur zu begehen. Thursday Next ist LiteraturAgentin in den Diensten des Special Operations Network und arbeitet an der Aufklärung solcher Verbrechen. Meistens geht es dabei um Fälschungen oder Raubdrucke. Doch eines Tages stiehlt der skrupellose Acheron Hades Dickens Originalmanuskript des Martin Chuzzlewit und bald stellt sich heraus, daß diese Aktion nur als Generalprobe gedient hat: Für den Fall Jane Eyre.

-Mein Vater hat ein Gesicht, das eine Uhr stoppen kann.-

Sie kennen sich in der englischen Literatur aus? Und gleichzeitig besitzen Sie eine Vorliebe für Agentenkomödien? Sehr gut! Damit erfüllen Sie die Voraussetzung, um diesen Roman von Jasper Fforde voll und ganz genießen zu können.

Die Welt, in der Thursday Next lebt, wird – abgesehen vom Krimkrieg – vor allen Dingen von der Literatur bestimmt. Die Hälfte der Bevölkerung hat ihren Namen in “John Milton” umgeändert, aus Verehrung für den großen Dichter. Baconier gehen wie die Zeugen Jehovas von Tür zu Tür, um die Menschen davon zu überzeugen, daß Francis Bacon die Werke Shakespeares verfaßt hat. Die Frage, wer Hamlet, Macbeth, Romeo und Julia etc. verfaßt hat, wird äußerst heftig diskutiert. Allen Literaturfreunden kann ich verraten, daß dieses Rätsel schließlich definitiv gelöst wird. Aber das ist nur ein Nebenprodukt der Geschichte. Kenntnisse der englischen Literatur benötigt man nicht nur, um Spaß an dieser bizarren Welt zu haben, sondern auch, um die vielen Anspielungen und Zitate zu verstehen. Und wer seine Jane Eyre nicht gut genug kennt, wird die Spur nicht bemerken, die Fforde für den Leser legt.

Diese Hommage an die Literatur verbindet Jasper Fforde mühelos mit einer James-Bond-Parodie. Die Agentin Thursday Next macht sich auf, den Superschurken Acheron Hades zur Strecke zu bringen. Der bedroht zwar nicht die ganze Welt, aber er begeht ein Verbrechen an der Literatur, das zumindest die Welt der Fans des Romans Jane Eyre zusammenbrechen läßt. Wie bei James Bond gibt es auch einen Erfinder: Thursdays Onkel Mycroft. Onkel Mycroft hat bei einem seiner letzten Experimente seinen Assistenten in ein Baiser verwandelt, seitdem hilft Tante Polly ihrem Mann bei den Versuchen, die durchaus nicht alle tödlich enden. Mycroft ist es gelungen, Pizza per Fax zu versenden, er hat einen Bleistift mit eingebauter Rechtschreibprüfung erfunden und in seiner Garage steht ein Rolls Royce, der die Farbe wechseln kann. Außerdem hat er einen Weg gefunden, wie man in Bücher einsteigen kann und wenn man Glück hat, auch wieder heraus kommt. Falls Sie jetzt vermuten, daß dies ein zentraler Punkt der Handlung ist, dann liegen Sie richtig. Außerdem mischt Thursdays Vater von Zeit zu Zeit in der Geschichte mit und die “Goliath Corporation”, eine Organisation, die wie Orwells Big Brother nicht nur ihre Augen überall hat, sondern auch noch ihre schmutzigen Finger.

Feenzorn von Jim ButcherIn Harrys neuem Abenteuer trifft der Leser auf einen ausgebrannten und niedergeschlagenen Mann ohne Hoffnung. Die Körperhygiene des Detektivs hat merklich gelitten, seine Wohnung ist ein heruntergekommener Saustall, er hat seine Arbeit vernachlässigt, die unbezahlbaren Rechnungen stapeln sich. Doch am schlimmsten steht es um Harrys seelischen Zustand. Am Tiefpunkt seines Daseins angekommen tun sich nun nicht etwa Silberstreifen am Horizont auf, im Gegenteil. Es beginnt Kröten zu regnen, und um die Probleme noch zu verdoppeln, wollen nicht nur die Vampire des Roten Hofs Harry weiterhin tot sehen, sondern auch seine eigenen Leute vom Weißen Rat. Doch es kommt noch härter, in seinem Büro wartet jemand auf ihn, der tödlicher ist als jeder Vampir: die Winterkönigin der Sidhe.

– An dem Tag, als der weiße Rat in die Stadt kam, regnete es Kröten. –
Kapitel 1

Zu Feenzorn liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Das Flüstern zwischen den Zweigen von Markolf HoffmannDie acht Kurzgeschichten dieser Sammlung führen nicht selten in den Wald, immer in eine ferne Welt und Zeit, und ihren Heldinnen und Helden steht eine Begegnung mit dem Fremden und Unbehaglichen bevor: mit Dämonen, Elfen, Druiden und nicht zuletzt menschlichen Abgründen.

-Die Jagd liegt meiner Familie im Blut. Mein Urgroßvater, so steht es in den Chroniken, zog mit dem Speer durch die Wälder und erlegte Bären und Wölfe.-
Meine Jagd

Fantasy-Kurzgeschichten finden in den großen Verlagen so gut wie gar nicht statt und haben außerdem mit einer Menge Vorurteile zu kämpfen, die ihnen jegliche Wirkmacht absprechen, wenn sie sich erzählerisch nicht in epischer Breite entfalten können. Die Kurzgeschichten-Sammlung Das Flüstern zwischen den Zweigen ist dagegen nicht nur ein starkes Argument, sondern fährt auch sämtliche Tricks und Kniffe auf, um die Probleme, die bei klassischer Fantasy in kurzer Form vielleicht entstehen könnten, gar nicht erst aufkommen zu lassen.
An erster Stelle steht dabei ein sein Handwerk spürbar beherrschender Erzähler – Markolf Hoffmann, einer der wenigen deutschen Fantasy-Autoren, die man gut im Auge behalten sollte, präsentiert nicht nur dramaturgisch hervorragend konstruierte Geschichten, in denen kein Wort zu viel steht, sondern findet sich auch mühelos in die formal und stilistisch unterschiedlichen Herangehensweisen ein, am häufigsten in verschiedene Ich-Erzähler. Die Sprache ist dabei insgesamt ein wenig zurückgenommener als in Hoffmanns Zyklus Das Zeitalter der Wandlung, dafür gibt es jedoch großartige Sätze, von denen man bisweilen einen nach dem anderen als funkelnd-schönes Zitat markieren möchte.

Der thematische Schwerpunkt der Sammlung liegt auf dem Wald, und auch wenn sie hin und wieder von dort abschweift wie in den alles andere als romantisierten Räubermemoiren Am Strand, kreisen die Geschichten meistens doch um den Konflikt zwischen Natur und Kultur, die Ablösung von Altem, Lebensrhythmen und das Zurückdrängen des Ursprünglichen (das sich aber häufig ohne moralische Einordnung einfach als fremder erweist, nicht unbedingt als besser).
Damit stellt Hoffmann ein mindestens seit Tolkien bewährtes Fantasy-Narrativ auf den Kopf, das sogenannte “Thinning”, bei dem die Magie und das ursprüngliche Wesen der Welt schwinden und nur eine verminderte, profanere Realität zurückbleibt. Und dabei bleibt es nicht, denn Das Flüstern zwischen den Zweigen bedient sich etlicher vertrauter Motive und Strukturen, die in der düsteren, hoffnungslosen Welt, die das gemeinsame Setting der meisten enthaltenen Geschichten bildet, uminterpretiert werden.
Elfen, Faune, Feen, Dryaden und andere Waldbewohner stehen für die düstere, verrottende Seite des Waldes; harmlose Ausgangslagen, die jedem Rollenspieler wohlbekannt sein dürften, wie etwa die Schatzjagd, die in Die Kerker von Abîme führt, verkehren sich rasch in etwas Zwanghaftes und Ungewolltes. Die unvorhersehbaren Folgen des eigenen Handelns führen immer wieder in die Katastrophe, bei wohlmeinenden Aktionen wie in der hervorragenden titelgebenden Geschichte ebenso wie bei pragmatisch-egoistischen Ansätzen wie in der ebenfalls grandiosen Eröffnungserzählung Meine Jagd, was auch vordergründig moralisch überlegene gute Absichten auf bitterböse Weise entlarvt.

Positive Enden wird man hier eher nicht finden, Schweigen und Weitermachen ist vielleicht das Beste, was man erwarten kann – genauso wenig, wie “echte” Helden auftauchen, denn sogar diejenigen, die es in den Augen der Leser und Leserinnen vielleicht sein könnten, wie der naive, aber gutherzige Ludger, der in Feenholz eine richtige Entscheidung treffen möchte, werden letztlich nicht unbedingt belohnt.
Das finstere, von neu interpretierten alten Bekannten bewohnte Setting, das ein wenig an die Geralt-Geschichten von Andrzej Sapkowski erinnert, verweist auf eine unbekannte Vorzeit, in der der Mensch den Wald schon ein Stück weit verdrängt hat, aber auch auf Ruinen zurückbleibt – Das Flüstern zwischen den Zweigen ist also alles andere als Wohlfühl-Fantasy. Da Schaudern und Spannung stets gut Hand in Hand gehen, sollte das kein Hinderungsgrund sein, in die abwechslungsreichen Waldwelten Markolf Hoffmanns einzutauchen.

In seinem Vorwort zur Sammlung liefert Jakob Schmidt bereits einige analytische Ansätze, um sie dann gleich wieder abzuwehren, deshalb soll es nun auch bei einer letzten Beobachtung bleiben: Mit Fabelwesen, RPG-Zutaten und Motiven aus der Fantasy-Tradition, die aber stets weiterentwickelt und verändert werden, fügt Markolf Hoffmann in Das Flüstern zwischen den Zweigen dem (allzu?) Vertrauten wieder das Unbehagliche hinzu und erzählt Geschichten mit den äußeren Kennzeichen der klassischen Fantasy im Modus der Phantastik, denn der Schwerpunkt liegt auf dem Fremdheitsgefühl und dem Ausgesetztsein. Das ist ein effektiver Kniff, um der Fantasy Kürze angedeihen zu lassen, vor allem bei einem talentierten Erzähler wie Markolf Hoffmann.

Fool Moon von Jim ButcherHarry Dresden, Magier und Privatermittler in Chicago, bekommt es mal wieder mit übernatürlichen Morden zu tun – noch bevor die Nachwirkungen seines letzten Falls gänzlich verklingen konnten. Nach Monaten ohne jeden Kontakt meldet sich Lieutenant Karin Murphy bei dem Magier und hält eine bizarre Mordserie bereit: jeden Monat zur Vollmondszeit sterben Menschen auf bestialisch entstellte Weise und die Spuren deuten auf eines ganz besonders hin: Werwölfe

– I looked up through the window at the rounded silver shape of the almost-full moon.
»Oh, hell,« I breathed. »Oh, hell.« –
Kapitel 2, S. 18

Fool Moon (Wolfsjagd) ist nicht nur ein herrliches Wortspiel, sondern auch ein Titel, der dem zweiten Band der Dresden Files alle Ehre macht. Autor Jim Butcher beweist hiermit in gewohnt sarkastisch-humorvoller Weise, dass sein Debütroman Storm Front (Sturmnacht) kein einmaliges Kunststück war. Im Gegenteil, Fool Moon übertrifft seinen Vorgänger in vielen kleinen Aspekten von der Charakterzeichnung, über die interessantere Story bis zu der Anzahl an Lachern und Spannungsmomenten. Wer außerdem denkt alles über Werwölfe zu wissen, wird feststellen, dass es da noch mehr gibt als Silberkugeln und Vollmondrausch.

Zu Beginn wirkt die zweite Story um den altmodischen Detektiv Harry Dresden noch recht wenig beeindruckend und braucht eine Weile bis sie an Fahrt gewinnt. Dann entpuppt sich Fool Moon aber doch als wahrer Pageturner. Das ist zum Einen den wieder einmal wunderbar gezeichneten Charakteren zu verdanken, die in diesem Roman noch stärker auf ihre Kosten kommen und deutlich lebendiger wirken. Zum Anderen strotzt dieser Roman nur so vor Witz und spannenden Entwicklungen. Es gibt auch in der ausweglosesten Situation noch sarkastische Sprüche von Harry oder Murphy und eine ganze Reihe von Kapiteln, die mit einer Nahtod-Situation enden. Letzteres verhindert erfolgreich, dass man als Leser pünktlich ins Bett kommt, denn an einer derart spannenden Stelle muss man mindestens noch eine Seite mehr lesen als geplant. Ehe man sich versieht, ist man schon wieder am Ende des nächsten Kapitels und hat die nächste spannungsgeladene Situation vor Augen – und wieder denkt man “nur noch diese eine Seite…”.
Zugegeben, bei dem dritten Kapitel in Folge, das mit einem Cliffhanger und so-gut-wie-Tod Status endet, fragt man sich schon, ob das jetzt nicht langsam albern wird. Doch der Erfolg dieser Taktik lässt sich nicht leugnen und so verschlingt man das letzte Drittel des Buches praktisch ohne Pause und verflucht jeden Umstand, der einen zu einer Unterbrechung der Lektüre zwingt.

Kurzum: Fool Moon setzt die Reihe wunderbar fort, greift alle guten Eigenschaften seines Vorgängers auf und macht alles richtig, was man sich von einem Folgeband erhoffen kann. Hut ab, für solch einen spannenden wie witzigen Lesegenuss, der – das ist besonders erfreulich – ein erwachsenes Publikum zum Ziel hat.

Cover von Frostfeuer von Kai MeyerMaus lebt seit ihrer Geburt im Edelhotel Aurora in St. Petersburg, das sie noch nie verlassen hat. Alle anderen Bediensteten nennen sie den “Mädchenjungen”, weil sie sich schon immer als Junge gegeben hat, um im Hotel bleiben zu dürfen. Außer dem Eintänzer Kukuschka gibt es niemanden, an den sich Maus wenden kann. Besondere Angst hat sie vor dem “Rundenmann”, der jeden der Bediensteten kontrolliert. Sie ist als Schuhputzerin angestellt und stößt eines Abends auf ein seltsames Schuhpaar, das zu einer überirdisch schönen Dame gehört. Zur gleichen Zeit findet sich eine weitere ausgefallene Gestalt ein: Tamsin Spellwell, die mit ihrem blauen Haar und ihrem Temperament, das so wild ist wie ihre Kleidung, das Hotel auf den Kopf stellt.

-“Guten Tag, Väterchen Frost.” Der Mann blickte auf. Für einen Augenblick schwand sein Lächeln, weil jemand es wagte, ihn bei der Fütterung der Flocken zu stören. Dann aber erkannte er die Frau, die ihn angesprochen hatte. Sein Lächeln kehrte zurück. “Lady Spellwell?”, fragte er. “Tamsin Spellwell?” Eine Frau war aus dem Schneetreiben getreten wie ein kunterbuntes Gespenst.-
Das Kapitel, in dem die wahre Heldin dieser Erzählung noch gar nicht auftritt

Nach Venedig und der Karibik führt der nächste große Jugendroman von Kai Meyer nun nach St. Petersburg. Aber nicht die Stadt selbst bildet die Kulisse für die phantastische Geschichte, sondern das Hotel Aurora. Und dieses Hotel hat Kai Meyer zu einer eigenen Welt gemacht und bemerkenswerte Figuren darin angesiedelt. Das Russland der Zarenzeit zeigt sich in aller Pracht, die allerdings eine schäbige Rückseite hat: Überall finden sich versteckte Türen in einen toten Flügel des Hotels und in den Kellern gibt es Spalten und Nischen, die Maus ein Zuhause geben. Kukuschka und der Rundenmann sind wie der Gut- und Bösepol in Maus’ Leben – so lebhaft, fröhlich und fürsorglich der eine gestaltet ist, so grobschlächtig, kalt und bedrohlich wirkt der andere. Ihre wahren Identitäten sind von Anfang an fraglich; eine überraschende Klärung wartet am Ende der Geschichte. Die Schneekönigin und Tamsin bleiben in ihrer Persönlichkeit und Herkunft immer etwas unscharf, aber das unterstützt nur ihre wundersamen Erscheinungen. Vor allem Tamsin und ihre zaubertüchtigen Utensilien sind eine skurrile, schillernde Bereicherung der Geschichte. In typischer Meyer-Manier muss natürlich noch eine Passage eingebaut werden, die das Grauen auf die Spitze treibt: Was Maus in Tamsins Zylinder erlebt, ist nur den Hartgesottenen unter den Zwölfjährigen zuzumuten, für die das Buch laut Verlag schon geeignet ist. Im Laufe des Romans wird Maus auch mit ihrer größten Angst konfrontiert: Sie muss sich aus dem Hotel hinaus begeben. Ihre krankhafte Panik vor der Außenwelt wird so eindrucksvoll geschildert, dass man in den entsprechenden Szenen das Buch absolut nicht mehr aus der Hand legt. Und die begründete Angst, in den Himmel zu fallen, sobald man einen sicheren Innenraum verlässt, jagt wohl jedem einen Schauer über den Rücken, der sich das als Kind schon mal ausgemalt hat. Vor solchen Ideen sprudelt der Roman über – und wer immer gelacht hat, wenn Kinder sich unsichtbar zu machen versuchen, indem sie einfach ganz fest die Augen schließen, der sollte ihn dringend lesen!

Die Fuchsfrau von Kij JohnsonUnter einem verlassenen Herrenhaus lebt eine Fuchsfamilie. Aber eines Tages kehren die Besitzer des Hauses aus der Hauptstadt zurück – denn Kaya no Yoshifuji, der Hausherr, ist am Hof in Ungnade gefallen; auf dem Land hofft er, Frieden zu finden. Seine Frau Shikujo aber hasst die wilde Natur und das Leben fern der Stadt.
Eine Füchsin verliebt sich in Yoshifuji, obwohl alle anderen Füchse die Menschen fürchten, und sie setzt alles daran, ihn für sich zu gewinnen. Sie reißt ihre ganze Familie mit in den Strudel, um eine Magie zu üben, mit der ein Fuchs in einen Menschen verwandelt werden kann. Yoshifuji indessen entwickelt eine Art Besessenheit von den Füchsen, die seine Frau mit Sorge betrachtet …

-Tagebücher werden von Männern geführt: kräftige Pinselstriche auf glatten Blättern aus Maulbeerbaumpapier, die von einem Band zusammengehalten und in einem lackierten Kasten aufbewahrt werden.-
Kitsunes Tagebuch

Mit Die Fuchsfrau (The Fox Women) betört Kij Johnson ihre LeserInnen gleich auf mehreren Ebenen: Allein schon die Atmosphäre, die sie in ihrem Roman schafft, kann jeden verzaubern, der auch nur einen Hauch von Interesse an der Kulturgeschichte des historischen Japan hat. Unmittelbar davon inspiriert ist die Welt der Fuchsfrau, und Kij Johnson hat offensichtlich keine Mühen gescheut, um ein authentisches Bild dieser Zeit zu vermitteln – und das nicht nur auf dem handwerklichen Sektor, wofür Die Fuchsfrau im Tagebuchstil der Tradition der Kopfkissenbücher folgt, sondern auch auf der Ebene der Erzählung: Man wird in eine hochartifizielle Welt entführt, in der jede Geste, jeder Gegenstand, jedes Ereignis mit Bedeutung beladen ist. Für jeden der drei Protagonisten, aus deren Sicht abwechselnd erzählt wird, hat Johnson eine eigene Stimme gefunden. In den kurzen Abschnitten lesen sich auch Wiederholungen aus jeweils verschiedenen Sichtweisen mit Vergnügen, denn allein sprachlich ist der Roman schon ein Genuss, allerdings werden die Dinge trotz der lyrischen Qualitäten stets beim Namen genannt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Die simple Handlung besteht eigentlich nur aus einem nicht einmal sehr komplizierten Liebesmärchen, und man fühlt sich letztendlich an die Geschichten erinnert, in der schöne Männer in Elfenreiche entführt werden, denn die Füchse schaffen es mit ihrer Magie, die künstliche Lebenswelt der Menschen noch zu perfektionieren und zu übertreffen, mit Illusionen, die an den glamour der Elfen erinnern. Besonders die Szenen, in der die Realität durch den Schein hindurchschimmert, wissen zu faszinieren. Doch trotz ihrer magischen Begabung fürchten die Füchse, zu scheitern – obwohl Kitsune, wie sich die Füchsin als Mensch nennt, bereit ist, alles für ihre Liebe zu opfern. Das Verständnis von Poesie, den Füchsen fremd, steht dabei im Mittelpunkt und zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch.

Die Fuchsfrau ist der erste Band einer Trilogie, die mit Motiven der japanischen Mythologie spielt, und dabei nacheinander die Themen Liebe, Krieg und Tod verarbeiten soll. Vordergründig wird in diesem Band die Geschichte der Füchsin Kitsune erzählt, doch im Grunde geht es um (zwischen)menschliche Verwirrungen und die ganze Bandbreite von Gefühlen im Dunstkreis der Liebe, und um die Scheinwelten, die die Liebe und die Liebenden aufbauen. Kitschig wird es dabei niemals, wer aber von einem Happy End für zumindest einen der Protagonisten träumt, wird enttäuscht werden: Ganz konsequent mit der Entwicklung der Figurenist das Ende der Geschichte vollkommen offen.
Wer ein anspruchsvolles Märchen voll von Poesie und Exotik lesen will, das sich weitab von den Standardpfaden der Fantasy bewegt und einen tiefen Einblick in Kultur und Seele gibt, ist mit Die Fuchsfrau bestens beraten.

Cover von Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz von Ralf IsauDer junge und zögerliche Karl Konrad Koreander möchte die Nachfolge des Herren Trutz in dessen Antiquariat antreten. Doch schon beim ersten Gespräch läuft etwas schief: Es fehlt die Unterschrift unter der Generalvollmacht. So macht sich Karl auf, den plötzlich verschwundenen Herrn Trutz zu suchen. Der junge Mann entdeckt, daß es eine geheime Bibliothek im Antiquariat gibt und diese der Zugang zu einer anderen Welt ist – Phantásien. Der Alte hat dort einen wichtigen Posten, er ist Meisterbibliothekar und Karl ist sein designierter Nachfolger! Aber aus der Bibliothek, die zu den Grundpfeilern Phantásiens gehört, verschwinden Bücher und lassen die “Leere” zurück, deren Ausbreitung nicht nur die Bibliothek, sondern ganz Phantásien bedroht…

-Im Zaudern machte ihm so schnell keiner etwas vor. Karl war ein Experte im verschleppen von Entscheidungen. An diesem Abend sollte sein Talent indes auf eine harte Probe gestellt werden…-

Wie schon das Werk Die unendliche Geschichte (DuG), welche zu diesem inspirierte, spielt die Geschichte einerseits in der “Realität” und andererseits in Phantásien. Die wenigen Szenen der “Realität” sind auf das Antiquariat des Herren Trutz und Umgebung zentriert. Da die Stücke in den späten 30ern des letzten Jahrhunderts spielen, wird dem Leser die “Realität” nicht nahe gebracht. In seinem Phantásien versucht der Autor an das von Michael Ende anzuknüpfen. Einige aus DuG bekannten Orte und Personen werden zwar erwähnt, aber nur zwei Figuren begegnet man wieder. Isau schafft statt dessen Neues, allerdings bleibt er in punkto Kreativität hinter Ende zurück. So schafft er nur etwa ein Drittel der Anzahl von Orten, die in DuG bereist werden; aber sie reichen auch, was den Fantasiereichtum angeht, nicht alle an die Originalschauplätze heran. Der Schwarze Elfenbeinturm ist etwa genau das: nämlich ein finsteres Spiegelbild des Elfenbeinturms der Kindlichen Kaiserin. Der Wald des Vergessens ist eine interessante Idee: Wer hier hineingerät, der wird sich unweigerlich verlaufen, denn er vergißt sich selbst. Leider werden der Wald und seine Auswirkungen nicht näher beschrieben, so daß es bei ein paar Worten bleibt. Die Wolkenburg des König Kumulus IL. scheint mir dagegen durchaus gelungen zu sein; sie besteht aus so leichten Materialien, daß ein Funke das Schloß in einer Stichflamme zergehen und allzu lautes Sprechen die bunten Fenster zerbersten lassen kann, denn diese bestehen aus dem Atem von Elfen. Nimmt man etwas wahrhaft gewichtiges mit, so droht die Wolkenburg abzustürzen.

In der bloßen Zahl der neuen Wesen in Phantásien dürfte Isau Ende gleichkommen, doch neigt er zu albernen Wortspielen – so gibt es Bücherwürmer, Brillenschlangen, Leseratten und Luftikusse als Phantasiewesen, die die Menschen zu entsprechenden Wortschöpfungen inspiriert haben. Auch in Sachen Einfallsreichtum bleibt Isau zurück. So ist der Bücherdrill Alphabetagamma eine Art lebender Bleistift, der sich rasch durch Bücher bohrt um deren Inhalt zu erfassen. Der Briefgreif Huschhusch ist einfach nur ein großer Greif – und übrigens das erste phantásische Wesen mit Namen von dem ich lese, das nicht sprechen kann. Als letztes sei der Bücherbold Lector genannt, ein gorillaartiges Wesen mit blauem Fell und wenig Verstand – sträuben sich seine Haare, sieht er aus wie ein blauer Riesenstaubwedel.
Bei der Namenswahl vieler Figuren war der Autor ebenfalls nicht besonders phantasievoll: Baldrian, die Schnecke; Hallúzina, die Herrin des Hauses der Erwartungen; Kumulus IL., der König der Wolkenburg, und Elster, der König der Diebe seien hier als Beispiele genannt.

Die Figuren spielen zumeist größere Rollen als die in DuG, aber nur drei treiben die Geschichte weitestgehend voran: Karl Konrad Koreander, Thaddäus Tillmann Trutz und die Phantásierin Qutopía.
Die komplette Handlung wird von einer Queste umfaßt, Karl will nämlich die Nachfolge im Antiquariat antreten, dazu muß er von Herrn Trutz die Unterschrift für die Generalvollmacht bekommen. Hierzu ist allerdings erst mal Phantásien zu retten und einige Abenteuer zu bestehen, die unterschiedliche Lösungen erfordern. So muß geklärt werden, wie die Bücher verschwinden und wer dahinter steckt – ganz zu Schweigen davon, daß dem ein Riegel vorgeschoben werden muß. Dazu müssen Rätsel gelöst, Leute überzeugt und Feinde bezwungen werden. Es gibt auch eine kleine Liebesgeschichte, diese soll jedoch nur die Wandlung Karls unterstreichen; im Gegensatz zur Wandlung Bastians in DuG geschieht Karls nur beiläufig und hat mit der eigentlichen Geschichte nicht viel zu tun, sondern läßt nur den Helden mit seinen Aufgaben wachsen.
Insgesamt fehlt es der Geschichte an Tiefe; während Phantásien sich um Bastians Wünsche herumformte und der Leser vor die Frage gestellt wurde, ob es schon immer so war oder eben erst geschaffen wurde, erfüllen sich Karls Wünsche beinahe mit einem “Plopp!” Wie erwähnt ist die Wandlung des Helden einfacherer Natur und auch die Bedrohung Phantásiens ist kein tiefgreifendes Strukturproblem, sondern das Werk einiger Bösewichte. Während Bastian sich die Herausforderungen wünschte um sich produzieren zu können, werden sie Karl aufgedrängt, damit er wachsen kann. Schließlich ist auch der Spannungsbogen weniger gelungen; während DuG spätestens ab dem zweiten Kapitel den Leser mitreißt, braucht dieses Werk erheblich länger um Fahrt aufzunehmen, erst ab dem vierten Kapitel beginnt sich langsam Spannung aufzubauen und nach dem Höhepunkt flaut diese auch schnell wieder ab, so das am Ende noch einige Seiten übrig bleiben.
Sprachlich hebt sich das Werk deutlich von DuG ab; die Sprache hier ist lockerer und weniger mystisch, bisweilen gibt es sogar etwas “Technobabble”; auch sind die Sätze schnell lesbar. Insgesamt paßt der Sprachstil gut zum Phantásien Isaus.

Cover von Glas von Stephen KingDer Vorgänger Tot entließ den Leser mit einem Cliffhanger, der seinesgleichen suchte. Glas setzt exakt an diesem Punkt an, Jake hat den rettenden Einfall, mit dem das Ka-Tet ihre Wette gewinnt und Blaine (wenn auch widerwillig) zum Anhalten gebracht wird. Roland und die anderen machen sich zu Fuß auf ihren weiteren Weg, und unterwegs beschließt Roland, seinen Kameraden von seiner Vergangenheit und seiner großen Liebe zu erzählen …

-Am Ende schrie er kein Wort mehr, nicht einmal “nein”, er heulte wie ein waidwundes Tier, und seine Hände blieben mit der Kugel verschmolzen, die wie ein gehetztes Herz pochte.–
Teil 2, Kapitel 10: Unter dem Dämonenmond (III)

Die Absicht, die der Autor mit diesem Buch verfolgt, scheint klar. Die mythisch-stilisierte Figur des Revolvermanns soll gleichsam vermenschlicht, fast schon entzaubert werden. Dafür muss King weit zurückgehen, zu den Erlebnissen, die den jungen Roland in den harten und innerlich abgestorbenen Mann machten, den wir aus drei Vorgänger-Bänden kennen.
Man mag King vorwerfen, wiedereinmal unverhohlen nach großen Vorbildern zu schielen (die von Anfang an unter keinem guten Stern stehende Liebe von Roland und Susan trägt deutliche Züge von Romeo und Julia), doch seine schiere sprachliche Gewalt fegt dieses Mal jeden Zweifel hinweg. Obwohl die Entwicklung der Beziehung vorhersehbar zu sein scheint, ist sie doch in jedem Moment glaubwürdig, wirken die zur Schau gestellten Gefühle niemals aufgesetzt oder verkitscht. Im Gegenteil, durch die behutsame Annäherung Kings an seine beiden Adoleszenten wird die Tragik der Ereignisse beinahe fühlbar.

Dennoch ist Glas weit davon entfernt, ein Liebesroman zu sein. Wie King schon früher andeutete, ist Rolands Mittwelt an den klassischen Western angelehnt und gemischt mit Mittelalter-Elementen (die monarchisch anmutenden Herrschaftsstrukturen, der “Revolvermann” als Pendant zum Ritter, etc.) – dass dies beim Leser gewisse Erwartungen weckt, ist dem Autor bewusst. In erster Linie sind Roland und seine Freunde nämlich trotz ihrer Jugend Revolvermänner, und so entwickeln sich die Ereignisse in Mejis recht schnell zu einem düsteren, unkontrollierbaren Mahlstrom, in dessen Verlauf etliche Menschen umkommen werden und nichts mehr so wie vorher sein wird. Durch die abwechselnde Schilderung der beiden Erzählstränge kann King beide Spannungsbögen auf einem hohen Niveau halten. Auch sprachlich findet King in Glas genau das richtige Mittelmaß zwischen “modernen” Formulierungen und der “alten Sprache von Mittwelt”.

Pluspunkte kann der Roman auch durch seine Nebenfiguren für sich verbuchen. Personen wie Sheemie Ruiz oder Eldred Jonas hätten bei anderen Autoren wohl nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, was aber mit einem deutlichen Verlust an Dreidimensionalität verbunden gewesen wäre. Dadurch, dass die Handlungen/Denkweisen auch von Personen außerhalb des Zentrums beleuchtet werden, entsteht eine gewisse Vertrautheit, wodurch für den Leser auch ungewöhnliche oder abwegige Handlungen nachvollziehbar werden.
Schade, dass King hier zum letzten Mal einen größeren Ausflug in Rolands Vergangenheit unternimmt. Gerne hätte ich noch mehr über ihn erfahren, oder über seine Freunde Alain, Jamie und Cuthbert, sowie (vor allem) die Schlacht am Jericho Hill. Rückblickend wird man zudem etwas wehmütig, dass viele neugierig machende Dinge und Personen (z.B. Rhea vom Cöos, Maerlyns Regenbogen) in den Nachfolgebänden nicht den Raum einnehmen, den man sich gewünscht hätte.

Der chronisch vom Pech verfolgte Student Anselmus wird vom Archivarius Lindhorst als Kopist für arabische Manuskripte angestellt. Anselmus verliebt sich in Lindhorst’ Tochter, die den unchristlichen Namen Serpentina trägt. Ihre Mitgift besteht aus einem goldenen Topf und als die beiden schließlich heiraten, ziehen sie nach Atlantis.

-Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes häßliches Weib feilbot, so daß alles, was der Quetschung glücklich entgangen, hinausgeschleudert wurde, und die Straßenjungen sich lustig in die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen.-
Erste Vigilie

Wer hat eigentlich behauptet, Deutsche könnten keine gute Fantasy schreiben? E.T.A Hoffmann konnte es, aber anscheinend ging diese Kunst in Deutschland irgendwann verloren. Vielleicht sind Sie auch der Ansicht, “Der goldene Topf” sei keine Fantasy. Aber 1814 erschien die Erzählung als Teil einer Sammlung, deren Titel “Fantasiestücke (“Stücke” im Sinn von “Gemälde”) in Callots Manier” lautete. Übersetzen Sie das einmal ins Englische…Wie auch immer, dem Studenten Anselmus stoßen lauter merkwürdige Sachen zu. Er macht die Bekanntschaft einer Hexe, einer sprechenden Schlange und eines Geisterfürsten, Häuser sind von innen größer als sie von außen erscheinen und Menschen sind in Flaschen eingeschlossen. Die allerseltsamsten Dinge geschehen, die nicht nur den guten Anselmus, sondern auch den Leser in Verwirrung stürzen: Passiert all dies wirklich, spricht der Student zu sehr dem Alkohol zu, oder ist Anselmus einfach nur wahnsinnig? Die Antwort muß jeder für sich selbst finden. Er kann natürlich auch die reichlich vorhandene Sekundärliteratur zurate ziehen und sich damit den Spaß an der Erzählung ruinieren. Für Leser, die noch nie etwas aus dem 19. Jahrhundert gelesen haben, ist die Sprache sicherlich etwas gewöhnungsbedürftig. Falls dies so ist, sollten Sie sich von der Sprache genauso faszinieren lassen wie von dem Inhalt der Erzählung.

Cover von Der Golem von Gustav MeyrinkDer Erzähler der Geschichte fällt in einen ungewöhnlichen Schlaf. In diesem Zustand nimmt er die Identität des Gemmenschneiders Athanasius Pernath an, der 1885 im Prager Ghetto lebt. Zu diesem kommt eines Tages ein seltsamer Besucher, der ihm den Auftrag gibt, ein besonderes Buch auszubessern. Bald hegt Pernath den Verdacht, der mysteriöse Auftraggeber könne der Golem gewesen sein, die alte jüdische Sagengestalt, die alle dreiunddreißig Jahre im Ghetto umgehen soll. Von nun an gerät das Leben des Gemmenschneiders aus den Fugen. Nicht nur, daß ihm merkwürdige Dinge widerfahren, er wird auch in einen Rachefeldzug verwickelt und lernt den Archivar Hillel kennen, einen außergewöhnlichen Mann, in dessen Tochter Mirjam er sich verliebt.

-Das Mondlicht fällt auf das Fußende meines Bettes und liegt dort wie ein großer, heller, flacher Stein.-
Schlaf

Begehen Sie nicht den Fehler, dieses Buch mit dem Verstand zu analysieren und zu versuchen, jede okkulte Passage zu entschlüsseln. Damit würden Sie nur die Faszination des Romans zerstören. Allerdings gibt es manche Szenen, bei denen sich eine tiefenpsychologische Deutung aufdrängt. So bemüht sich Pernath, ein Zimmer zu finden, zu dem es keinen Zugang gibt. Der Leser weiß, daß der Gemmenschneider eine Zeitlang wahnsinnig war und keine Erinnerung an diese Zeit hat. Damit fehlt ihm auch der Zugang zu Teilbereichen seiner Seele. Und wenn Pernath in den unterirdischen Gängen des Ghettos herumwandert, erhält man den Eindruck, er würde eigentlich in den Tiefen seiner Seele umherirren. So simpel ist Der Golem aber nicht, daß man diese Parallelen eins zu eins ziehen könnte. Meyrink, der Zeit seines Lebens an okkulten Geheimlehren interessiert war, vermischt hier einen Kriminalfall mit kabbalistischen und theosophischen Elementen, mit altägyptischen Mysterien und der jüdischen Sage um den Golem. Zu der beklemmenden Atmosphäre des Romans trägt bei, daß Meyrink die Geschichte im alten Prager Ghetto, kurz vor seiner Sanierung, spielen läßt. Er beschreibt diesen, seit dem 13. Jhd. bestehenden Prager Stadtteil mit seinen kleinen alten Häusern, die in engen, verwinkelten Gassen stehen, so ausdrucksstark, daß der Leser sich in einen expressionistischen Film der Zwanziger Jahre versetzt fühlt. Diese unheimliche Atmosphäre wird noch durch die ausgezeichneten Illustrationen von Hugo Steiner-Prag, einem Zeitgenossen Meyrinks, gesteigert. Der Golem ist nichts für Leser, die schnelle, oberflächliche Unterhaltung für Zwischendurch suchen. Es lohnt sich aber, sich auf diesen Klassiker der phantastischen Literatur einzulassen, der trotz allem Mystischen, das er enthält, sehr realistisch erzählt wird. Auch dieser scheinbare Widerspruch trägt zum Reiz des Buches bei.

Grabesruh von Jim ButcherIm dritten Fall von Privatdetektiv Harry Dresden spukt es heftig. In ganz Chicago tauchen randalierende Geister auf, die das Leben der Menschen bedrohen. Harry Dresden und sein befreundeter Kollege Michael machen sich daran, die Ursache für die plötzlich aggressiven Verhaltensmuster der Geister herauszufinden. Die Antwort führt sie allerdings weit weg von der Welt der Geister und treibt sie unweigerlich in die Arme nach Rache dürstender Vampire.

– Irgendwo sang jemand. Eine Frauenstimme, sanft und lieblich.
»Schlaf, Kindchen, schlaf! Dein Vater hüt’ die Schaf!«
Ein letzter Blick über die Schulter zu Michael, dann huschte ich durch die Tür. Sehen konnte ich nichts mehr, aber ich bin nicht umsonst ein Magier.-
Kapitel 2

Zu Grabesruh liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Grave Peril von Jim ButcherIm dritten Fall von Privatdetektiv Harry Dresden spukt es heftig. In ganz Chicago tauchen randalierende Geister auf, die das Leben der Menschen bedrohen. Harry Dresden und sein befreundeter Kollege Michael machen sich daran, die Ursache für die plötzlich aggressiven Verhaltensmuster der Geister herauszufinden. Die Antwort führt sie allerdings weit weg von der Welt der Geister und treibt sie unweigerlich in die Arme nach Rache dürstender Vampire.

– I heard singing. A woman’s voice. Gentle. Lovely.
Hush little baby, don’t say a word. Mama’s gonna buy you a mockingbird.
I glanced back at Michael, and then slipped inside the door, into total darkness. –
Kapitel 2, S. 10

Die Handlung von Grave Peril (Grabesruh) beginnt zunächst vielversprechend. Geister erheben sich aus ihren Gräbern, treiben in der Stadt ihr Unwesen, gefährden das Leben der Menschen und keiner kann sich ihr ungewöhnliches Auftauchen und ihr bedrohliches Verhalten erklären. Harry Dresden findet schließlich heraus, dass die Geister wie Marionetten von jemandem kontrolliert werden, und damit beginnt der Abstieg dieses interessanten Auftakts. Denn gerade als man denkt, es wird nun richtig geisterhaft, vielleicht ein bisschen gruselig, aber auf jeden Fall spannend, flaut die Story merklich ab und die Erzählung tropft eine Zeit lang zäh vor sich hin. Die Handlung selbst entwickelt sich außerdem plötzlich in eine gänzlich andere und nicht recht nachvollziehbare Richtung.

Inhaltlich ist es ab und an schwer, den vielen verschiedenen Ansätzen des Autors zu folgen. Er hat sich in Grave Peril viel vorgenommen – zu viel. Besonders Verweise auf vergangene Ereignisse, die für den Leser nicht stattgefunden haben und lediglich im vorliegenden Band als Tatsachen präsentiert werden, lassen einen immer wieder im Lesefluss stolpern. Man fragt sich unweigerlich, ob einem in den beiden Vorgängerbänden etwas entgangen ist oder ob man sich gar vergriffen hat und statt Band drei vielleicht Band vier oder fünf in Händen hält. Vieles, was in Grave Peril als gegeben angesehen wird, kommt für den Leser völlig unvorhersehbar und ohne erklärende Herleitung. Es gibt unzählige verschiedene Handlungsstränge, die in diesem Roman aufgebaut werden und zwar einiges an Material für kommende Bücher liefern und einem den Mund wässrig machen, in ihrem geballten Auftreten aber zu viel für die Möglichkeiten eines einzigen Bandes sind. Bis zur Buchhälfte bleibt dementsprechend vieles sprunghaft; die Fülle an neuen Informationen verhindert eine Entwicklung der Handlung und erschwert es, das Buch genießen zu können.
Die zweite Buchhälfte dagegen nimmt schließlich doch noch Fahrt auf und konzentriert sich etwas mehr auf den eigentlichen Plot von Grave Peril, auch wenn die Story nicht mehr ganz so ansprechend ist, wie sie eingangs zu werden versprach.

Die Charaktere sind solide und gut gezeichnet wie auch in den beiden Vorgängern schon, vermögen aber in der Interaktion gelegentlich ebenfalls zu verwirren. Es werden außerdem verschiedene neue Charaktere eingeführt die bisher unerwähnt geblieben sind und sich nun etwas zu schnell in das bisher bekannte Bild einfügen, während Murphys Charakter in Grave Peril kaum auftaucht und eher zu Randfigur degradiert wird.

Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass Grave Peril im Vergleich zu seinen Vorgängern einige Schwächen aufweist und die Handlung stellenweise stark konstruiert und erzwungen wirkt. Trotzdem macht das Buch unter dem Strich Lust auf weitere Bände, in denen die vielen nebensächlich angedeuteten Handlungsstränge hoffentlich weiter ausgebaut werden und das etwas tragische Ende vielleicht nur der Anfang von etwas Größerem ist.

The Grimoire of the Lamb von Kevin HearneAls ein ägyptischer Hobbykoch den weiten Weg nach Arizona unternimmt, nur um ein uraltes Rezeptbuch aus Atticus Sammlung zu erwerben, ahnt der Druide bereits, dass hier etwas im Argen liegt, und lehnt den Verkauf ab. Sein Besucher erweist sich prompt auch als Hobbydieb und klaut Atticus das Buch vor der Nase weg. Grund genug, die Verfolgung aufzunehmen und eine Reise ins Land der Pharaonen zu anzutreten.

– People today think ancient Egypt was ineffably cool. I blame this misconception on hieroglyphics and (to a lesser extent) on the Bangles. –

Grimoire of the Lamb (IDC #0.4) ist ein Buch über ein Buch! Jawohl, liebe Leseratten, eine doppelte Versuchung! Einziger Wermutstropfen ist, dass diese neuerliche Kurzgeschichte nur als eBook erhältlich ist und nicht auf raschelndem Papier erscheint. Das tut dem genussvollen Inhalt aber keinen Abbruch, also auf in das nächste Abenteuer von Druide Atticus!

Wir sind zurück in Tempe, Arizona (pre-Hounded, dem ersten Band der Iron Druid Chronicles) und gleich vorweg: es ist nicht empfehlenswert, schon hier mit der Buchreihe einzusteigen, auch wenn es die chronologisch korrekte Abfolge wäre. Wie schon bei Hearnes anderen Kurzgeschichten fehlt es, ohne die Buchreihe nicht wenigstens teilweise schon zu kennen, an Hintergrundwissen beim Leser. Der Autor schreibt hier ganz klar für die Kenner seiner Bücher, nicht für Neueinsteiger.
Kenner der Iron Druid Chronicles werden schnell wieder in die neue Handlung hineingezogen. Das »Grimoire of the Lamb« enthält angeblich bloß ein paar harmlose Rezepte zur Zubereitung von Lamm, und als Atticus es seinerzeit selbst aus der Bibliothek in Alexandria stahl, geschah das doch nur aus Versehen. Komisch bloß, dass ca. zweitausend Jahre nach Atticus’ unrechtmäßigem Erwerb plötzlich ein wenig freundlicher Anhänger des ägyptischen Krokodilgottes derart großes Interesse dafür zeigt und sich das Buch zurück klaut. Schnell ist daher klar, dass es sich bei dem angeblichen Kochbuch in Wahrheit um eine der gefährlichsten Sammlungen blutiger Rituale handelt und Atticus die Verfolgung nach Ägypten aufnehmen muss.
Wie gewohnt geizt Autor Kevin Hearne nicht mit humorvollen Ideen, popkulturellen Zitaten, Anspielungen auf Film und Fernsehen und taucht in den Mythos der Pharaonen und alten ägyptischen Götter ein. Man fühlt sich ein wenig wie im Jäger des verlorenen Schatzes zu Gast, kreuzt die Klingen mit der Mumie, entdeckt Sarkophage, schleicht durch unterirdische Opferkammern und findet blutige Wahrheiten. Außerdem erfahren wir, wie sich eine Horde stalkender Katzen auf lautlosen Pfoten auf die Gesundheit auswirkt. Bücher stehlen zahlt sich ganz offensichtlich nicht aus, vor allem nicht, wenn die einstige Besitzerin Katzengöttin Bast ist und nur zu froh darüber scheint, den diebischen Druiden wieder auf ihrem Jagdgrund zu wissen.
In Grimoire of the Lamb sind eine Menge hin und her gestohlener Bücher im Umlauf, und das sorgt für die ein oder andere zusätzliche Ironie.

Fans der Buchreihe um Atticus O´Sullivan werden Grimoire of the Lamb wieder in vollen Zügen genießen können, obwohl einem die später eingeführten Figuren doch deutlich fehlen. Außerdem scheint Hearne in seinen Kurzgeschichten etwas mehr Freiheiten zu haben als bei den Romanen, vielleicht ist es aber auch nur Zufall, dass Grimoire of the Lamb blutiger, böser und insgesamt weniger »entschärft« wirkt. Wartet man gerade ungeduldig auf die Veröffentlichung des nächsten Bandes, so kommt einem die Kurzgeschichte mehr als recht und sollte nicht auf dem Leseplan ausgespart bleiben.

Hammered von Kevin HearnePackt die Wintermäntel aus, es wird kalt im neuen Abenteuer von Druide Atticus! Thor, der nordische Donnergott, hat sein Spiel zu weit getrieben und nun sind ein Vampir, ein Werwolf, ein alter Zauberer und eine Horde Frostriesen hinter ihm her. Druide Atticus hat allerhand zu tun, um am Leben zu bleiben. Denn egal wie er sich entscheidet, eine echte Wahl bleibt ihm in diesem Kampf nicht …

– Once you’re facing a giant bloody squirrel the size of a cement truck, they lose the majority of their charm. –
Chapter 1

Long story short: in Hammered gibt es nicht viel zu Lachen. Das ist nicht nur Oberons Abwesenheit, sondern auch einigen ernsten und tragischen Entwicklungen zu verdanken. Die Handlung lastet schwerer auf den Protagonisten als bisher, vor allem auf Atticus, der sich in einer schwierigen Situation ohne echten Ausweg befindet.
Das Buch kommt dabei allerdings auch langsamer in die Gänge. Atticus ist zunächst ohne Begleitung unterwegs, und seine Monologe sind nur halb so unterhaltsam wie seine Dialoge mit anderen. Außerdem hat er sich diesmal wohl ein Beispiel an Kollege Harry Dresden genommen, dessen zweite Natur es zu sein scheint, permanent mehr tot als lebendig zu sein. Hat man sich aber erst einmal eingewöhnt, entdeckt man in Hammered andere Qualitäten, die vor allem den Figuren zugute kommen. Neben der Einführung neuer Charaktere erfahren wir endlich, weshalb Vampir Leif Helgarson einen solchen Groll gegen Thor hegt, wie Werwolf Gunnar da rein passt und im Zuge der Männerfreundschaft gibt es auch noch ein paar unterhaltsame Geschichten anderer Thor-Geschädigter.

Der nordische Donnergott, der derzeit als sympathischer Held und Beschützer der Menschen durch die Kinos zieht, zeigt sich in Hammered dabei von einer ganz anderen Seite. Als wahres Ar… äh … als verantwortungsloser und grausamer Gott, dem seine Macht zu Kopf gestiegen ist, hat er sich einiges zuschulden kommen lassen und den Rachewunsch wirklich alter Individuen auf sich gelenkt – vom chinesischen Zauberer bis zum russischen Donnergott (der wohl versucht, sein Gewicht in Vodka zu vertilgen), marschieren die Geplagten mit Atticus’ Hilfe in Asgard ein und stellen Ragnarok in den Schatten.
Nicht verwunderlich, dass es in Hammered daher vor allem blutig und schonungslos wird. Gerade erst hat man den ein oder anderen Charakter näher kennengelernt, vielleicht sogar ins Herz geschlossen, da muss man sich auch schon von ihm verabschieden.

Gänzlich auf Humor verzichten muss man dabei zum Glück nicht, doch geeignete Momente für Lacher und nerdige Sprüche sind limitiert. Hammered ist daher insgesamt etwas schwächer, was den Unterhaltungswert angeht, baut dafür aber stärker an Handlung auf und endet nun, im Gegensatz zu den beiden Vorgängern, auch mit offenen Fragen. Nach den Ereignissen dieses Romans dürften da im Nachfolger Tricked einige Veränderungen auf Druide und Leser zukommen.
Auch wenn Hammered nicht so humorvoll ist wie Hounded und Hexed, lohnt es sich doch am Ball zu bleiben.

Bonus:
Zeitgleich zu den Ereignissen in Hammered erlebt Granuaile ein eigenes ungeplantes Abenteuer. Nachzulesen in der Kurzgeschichte A Test of Mettle, die vom Autor kostenlos auf seiner Website zum Download angeboten wird.

Cover des Buches "Die Handschrift von Saragossa" von Jan Graf Potocki Im Jahre 1739 macht sich der junge flämische Edelmann Alfons van Woerden, Sohn eines berühmten Fachmanns für Zweikämpfe und Ehrenhändel, auf den Weg, in die Dienste des Königs von Spanien zu treten. In der Sierra Morena wird er Zeuge mysteriöser Ereignisse und trifft auf Vagabunden, maurische Weise, den Ewigen Juden, wirrköpfige Gelehrte, Don Belial de Gehenna, Überlebenskünstler, frühe Mafiosi und zauberkräftige Kabbalisten, die allesamt voller Geschichten stecken. Alfons lauscht fasziniert und verliert sich in dem Labyrinth der Worte, bis er hinter all den Erzählungen die Umrisse einer gewaltigen Verschwörung erblickt, die mit seiner familiären Herkunft verknüpft ist …

Es war ein spanisch geschriebenes Manuskript; ich hatte nur geringe Kenntnisse des Spanischen, dennoch wusste ich genug, um zu begreifen, dass dieses Buch unterhaltsam sein konnte: es handelte von Räubern, Gespenstern, Kabbalisten, und nichts war besser geeignet, mich nach den Strapazen des Feldzuges zu zerstreuen, als die Lektüre eines Romans, der von seltsamen, ungewöhnlichen Dingen berichtet. (Seite 13)

Kann ein solcher Roman echt sein? Schon die Umstände seiner Entstehung erinnern an einen geschickt arrangierten Plot, wie er von Umberto Eco oder einem anderen Meister der Postmoderne nicht kunstvoller hätte erdacht werden können: Jan Graf Potocki (1761 – 1815), polnischer Aristokrat, Geheimrat des Zaren und heimlicher Anhänger der französischen Revolution, las seiner schwer erkrankten Frau aus Tausendundeine Nacht vor. Sie äußerte den Wunsch, mehr solche Geschichten zu hören. Der Graf setzte sich ans Schreibpult und las abends vor, was er geschaffen hatte. Nachdem die Gräfin verschieden war, feilte Potocki so lange an einer Silberkugel herum, die er von einem Samowar (ein Familienerbstück) abgebrochen hatte, bis sie in den Lauf seiner Pistole passte, und erschoss sich.
Wahrheit oder Legende? Wir wissen es nicht, doch es ist anzunehmen, dass Graf Potocki es wie jeder gute Geschichtenerzähler verstand, sich in einen Schleier von Geheimnissen zu hüllen.

Die Abenteuer in der Sierra Morena ist also im Gegensatz zu  Der Name der Rose und ähnlichen Büchern eine wirkliche Handschrift. Zunächst wurden Auszüge veröffentlicht, und einige Kapitel sind nur in einer polnischen Übersetzung erhalten. (Der Graf schrieb französisch.) Erst seit einigen Jahren liegt der Roman komplett vor – das heißt, in der Gestalt, die er zum Todeszeitpunkt des Autors hatte. Die Ausgabe im Haffmans Verlag enthält sämtliche erhaltenen Kapitel, außerdem eine Karte der Sierra Morena, ein Faksimile, einige unveröffentlichte Parallelstellen und umfangreiche Erläuterungen und Anmerkungen.

Es handelt sich um einen klassischen Schachtelroman in der Tradition des Decamerone und der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Im Unterschied zu diesen gewichtigen Vorläufern sind die einzelnen Erzählungen, die die Handschrift ausmachen, allerdings lose miteinander verbunden, wodurch sich eine äußerst komplexe Handlung ergibt. Der Leser läuft Gefahr, sich selbst im Labyrinth der Geschichten zu verlieren, welches er so bereitwillig betreten hat. Nach jeder Biegung, hinter jeder Tür tun sich neue erzählerische Räume auf, hier eine Liebesgeschichte, dort eine Räuberpistole, jenseits einer verborgenen Tür eine fein gesponnene Intrige, in einer finsteren Höhle eine Geistererscheinung. Man kann in diesem Labyrinth Jahre zubringen …

Graf Potocki war ein glühender Bewunderer der Aufklärung. Seine Liebe galt der Slawistik, der er erstmals wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse brachte. Er unternahm mehrere Reisen, förderte die polnische Kultur und verfolgte aufmerksam den Verlauf der französischen Revolution. Dem zeitgenössischen Ideal des Universalgelehrten kam er sehr nahe. All dies eröffnet noch eine weitere, völlig unerwartete Dimension in Potockis gewaltigem Werk: Es handelt sich um nichts geringeres als eine Enzyklopädie der Aufklärung, den Roman einer Epoche. Deismus, Hobbessche Staatsphilosophie, Religionskritik, materialistische Naturbetrachtung, Rationalismus, satirische Bloßlegung des überkommenen aristokratischen Ehrbegriffs – alles legt Potocki seinen Protagonisten in den Mund, wird diskutiert und erläutert. Und das in einer gleichzeitg eleganten und fieberhaft-phantastischen Weise, wie man sie einem trockenen und nüchternen Aufklärer nie zugetraut hätte.

Wer Umberto Eco, Jorge Luis Borges und Patrick Süskind liebt, wird von der Handschrift begeistert sein.

Die Hetzjagd von Kevin HearneAtticus O’Sullivan, vermutlich der letzte echte Druide, hat die letzten 2000 Jahre damit zugebracht vor einem recht aufgebrachten keltischen Gott zu flüchten, dem er das magische Schwert Fragaragh – The Answerer entwendet hat. Nachdem sich der Druide in der Wüste Arizonas niedergelassen und einen okkulten Buchladen eröffnet hat, dauert es nicht lange, bis ebenjener Gott ihn aufspürt und dem Druiden das Leben schwer macht. Atticus wäre jedoch nicht Atticus, wenn er neben seinem Charme und seinem Sinn für Humor nicht auch ein paar ordentliche Kräfte zur Verteidigung hätte.

Zu Die Hetzjagd liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Hexed von Kevin HearneKaum hat sich Atticus von seiner letzten Auseinandersetzung erholt, wird er von einem tödlichen Fluch getroffen, als er sich gerade einen ruhigen Abend mit Vampir Leif auf der Veranda eingerichtet hat. Nur Atticus’ magischem Amulett ist es zu verdanken, dass der letzte Druide nicht sofort in Rauch aufgeht. Doch nicht nur dieser Angriff eines neuen Hexenzirkels hält Atticus auf Trab, es treibt sich auch ein gefallener Engel in Tempe herum, der gerne auf Teenagern herumkaut, und eine Horde lüsterner Töchter des Bacchus ist auf dem Weg, um die Stadt ins Chaos zu stürzen und die Macht an sich zu reißen.
So bleibt dem Druiden nichts anderes übrig, als eine schwierige Allianz zu knüpfen und ein paar mächtigen Gegnern kräftig in den Hintern zu treten.

– Turns out that when you kill a god, people want to talk to you. Paranormal insurance salesmen with special “godslayer” term life policies. Charlatans with “god-proof” armor and extraplanar safe houses for rent. But, most notably, other gods, who want to first congratulate you on your achievement, second warn you not to try such shenanigans on them, and finally suggest that you try to slay one of their rivals – purely as a shenanigan, of course. –
Kapitel 1, S.1

In Hexed, dem zweiten Teil der Iron Druid Chronicles, geht es im wahrsten Sinne des Wortes verhext zu. Atticus muss sich nicht nur mit dem örtlichen Hexenzirkel gut stellen, er muss sich auch gegen ein paar schlecht gelaunte und schlecht gekleidete deutsche Hexen verteidigen, die ihm so mir nichts dir nichts einen Fluch an den Hals jagen. Mehrfach. Genauer betrachtet hat es unser Schwerenöter insgesamt nicht leicht mit den Frauen. Nicht nur, dass die Versuchung überall lauert, ohne konkret zu werden, Hexen, Bacchantinnen und keltische Göttinnen scheinen es sich außerdem zum Ziel gesetzt zu haben, dem letzten Druiden möglichst viel Feuer unter dem Hintern zu machen, teilweise darf man das sogar wörtlich nehmen. Doch Atticus wäre nicht Atticus, wenn er dass nicht mit einer gehörigen Portion Sarkasmus und druidischer Schlagkraft beantworten würde; und so wird die Fortsetzung dieser Buchreihe nicht nur konsequent und stimmig weitergeführt, sondern auch um noch mehr Lacher bereichert, als es schon in Hounded der Fall gewesen ist.

Sprecherziehung für altmodische Vampire, ein Wolfshund, der sich den Hippie Wavy Gravy zum Vorbild genommen hat, absolut nerdige Anspielungen auf eine Vielzahl bekannter Kult-Filme und -Bücher, richtig fiese Hexen, eine alte Witwe, die gerne mal einen Blick auf den entblößten Hintern unseres knackigen Druiden wirft, und wenn die Morrigan in ihrer Leidenschaft über Atticus herfällt, kann er einem fast schon Leid tun …
Die Charaktere in Hexed sorgen für ein turbulentes Lesevergnügen voller Sympathieträger, und auch Figuren, denen man gerne selbst mal einen beherzten Tritt verpassen würde.

Es gibt eigentlich fast nichts, was man an Hexed nicht mögen kann. Lediglich zwei kleinere Abzüge gibt es für wieder vorhandene Wiederholungen und die etwas gewöhnungsbedürftige Sache mit den deutschen Sätzen. Wobei letzteres natürlich nur deswegen so stark auffällt, weil man als deutschsprachiger Leser wohl ein extra scharfes Auge auf die betreffenden Sätze wirft. Meistens funktioniert es sogar fehlerfrei, doch wenn im Text z.B. immerzu von den “hexen” die Rede ist, dann kommt man nicht umhin sich eine Shift-Taste für Gedrucktes zu wünschen.
Ansonsten gibt es aber nichts zu bemängeln. Autor Kevin Hearne bleibt sich und seiner Buchreihe treu.

Wer sich mal wieder so richtig schön in Dialog- und Situations-Komik ergehen will und Gefallen am ersten Band gefunden hatte, der sollte auch bei Hexed beherzt zugreifen. Es ist wieder eine kurzweilige und unterhaltsame Geschichte mit Lachgarantie, die man schon allein wegen Oberons unschlagbar komischen Dialogen dringend weiterverfolgen muss.

Cover von Hexensturm von Sean StewartIn Hexensturm erzählt die Ich-Erzählerin Toni Beauchamps, was im Verlauf des Jahres geschah als ihre Mutter starb und sie selbst eine Tochter zur Welt brachte. Tonis Mutter Elena verfügte über die Gabe des Hellsehens und mußte dafür einen hohen Preis zahlen. Sie besaß ein Schränkchen mit sechs Puppen, die verschiedene Geistwesen symbolisierten, die von Zeit zu Zeit in Elena fuhren und sie besessen machten. Toni haßt diese Wesenheiten und das, was sie aus ihrer Mutter gemacht haben. Als ihre Mutter stirbt, ist Toni fest entschlossen, diese Puppen keine Rolle in ihrem Leben spielen zu lassen. Aber es kommt anders: Elena vererbt Toni das Schränkchen mit den Puppen und damit auch die zeitweise Besessenheit.

-Wenn du auf dem Boden der Flasche angelangt bist, wie meine Mutter zu sagen pflegte, dann erzählt diese Geschichte, wie ich Mutter geworden bin.-
Eins

Sean Stewart hat vor Hexensturm schon “richtige” Fantasyromane geschrieben und über eines dieser Bücher sagte dann wohl jemand es “Erinnert an die besten Romane von Le Guin und an Tolkien“. Wahrscheinlich findet sich dieser Werbespruch seitdem auf jedem Buch von Stewart wieder und hat sich so auch auf die Rückseite von Hexensturm verirrt. Jedenfalls ist er hier so fehl am Platze wie die Bemerkungen “Erinnert an die besten Gebrauchsanleitungen für Waschmaschinen” oder “Noch besser als das St.Petersburger Telefonbuch”. Hexensturm hat mit keiner dieser Feststellungen auch nur im entferntesten irgend etwas zu tun.
Diese ebenso gedankenlose wie falsche Werbung ist zwar mittlerweile gang und gäbe, aber hier ist sie besonders ärgerlich, denn es bringt ein gutes Buch um seine Leserschaft. Bücherfreunde, die einen tolkienähnlichen Roman erwarten, werden Hexensturm nach ein paar Seiten enttäuscht aus der Hand legen und Leser, die solche Bücher lieben, werden es aufgrund des Vergleichs mit Tolkien und Le Guin wieder ungelesen ins Regal zurückstellen.
Tonis Geschichte spielt nicht in einer Fantasywelt, sondern in Houston, Texas, und je weiter man der Handlung folgt, um so realer scheint sie zu sein. Stewart beschreibt beklemmend und eindringlich, wie eines der Wesen sich in Tonis Kopf festsetzt. Niemand, der dies liest, kommt als erstes auf die Idee, hier läge ein Fall von magischer Besessenheit vor, es klingt vielmehr so, als beschreibe ein Patient einem Psychiater seinen ersten Anfall von Schizophrenie oder den Beginn einer multiplen Persönlichkeitsstörung. Noch erschreckender ist der Gedanke, daß diese Wesen verschiedene Seiten einer normalen Persönlichkeit sein könnten, wie sie in jedem von uns stecken. Tonis “Reiter”, wie sie sie nennt, sind eine leichtlebige und sexuell freizügige Frau namens “Schätzchen”, ein höchst moralischer Priester, eine barsche Witwe, ein Pierrot, der grausame Späße treibt, Herr Kupfer, der eine Vorliebe für Geld hat und eine “Spottdrossel”, die nur nachplappert, was andere sagen. Außerdem hat Elena immer von einem kleinen verlorenen Mädchen erzählt, das von ihrer Mutter verstoßen wurde und nun verzweifelt versucht, wieder nach Hause zu finden. Das klingt wirklich als wären Elena und später Toni Fälle für die Psychiatrie und das Buch erzähle von Tonis Kampf, mit ihrer Krankheit zurecht zu kommen und nicht völlig dem Wahnsinn zu verfallen. Andererseits ist das Buch viel zu humorvoll geschrieben als daß diese Version zutreffend erscheint und die Anfälle von Besessenheit in Tonis Leben sind relativ selten, im Großen und Ganzen handelt die studierte Mathematikerin und Aktuarin nüchtern und überlegt. Außerdem macht Stewart klar, daß Dinge geschehen, die wirklich magisch sind: Elena konnte definitiv die Zukunft vorhersagen, Candy kann es teilweise und die Geistwesen existieren auch außerhalb von Tonis Kopf. Stewart bewegt sich mit seiner Geschichte auf der dünnen Linie, die man Realität nennt und die die Grenze darstellt zwischen Wahn und Magie. Der Leser hat dabei die Rolle des Beobachters, der darauf wartet, daß die Geschichte zur einen oder anderen Seite hin kippt. Allen rätselhaften Vorgängen zum Trotz nimmt die Realität einen großen Raum in diesem Buch ein und erstaunlicherweise heißt hier das zentrale Thema Mutterschaft. Stewart muß lange Gespräche mit seiner Ehefrau geführt haben, um so lebensnah und überzeugend den Mutter-Tochter Konflikt zwischen Elena und Toni zu beschreiben und um so eindrucksvoll die Ängste zu schildern, die Toni während ihrer Schwangerschaft durchmacht.
Stewart ist ein großartiger Erzähler, er schreibt lebendig, witzig und lebensnah. Das einzig Unbefriedigende an Hexensturm ist, daß er am Ende zu viele Erzählstränge offen und den Leser so in der Luft hängen läßt. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, warum Candy vorhergesehen hat, wie ausgerechnet der unsympathische Bill mit Tonis Baby spielt und wie lange die Ehe von Candy und Carlos hält, der einen Leichenwagen fährt, mit Geistern sprechen kann und Angst vor seiner toten Schwiegermutter hat.
Noch eine Warnung am Schluß: Bei der Lektüre dieses Romans könnten Sie unbändige Lust bekommen, Warentermingeschäfte zu tätigen. Mit Sicherheit werden Sie ihr ganzes Geld verlieren, wenn sie es versuchen, also lassen Sie es lieber bleiben…

Hexenzorn von T.A. PrattMarla Mason, Oberhaupt der Magier der Stadt Felport, verschlägt es nach San Francisco, um dort an ein magisches Artefakt zu kommen. Es ist ihre einzige Möglichkeit, einen tödlichen Zauber zu kontern, den eine Konkurrentin für sie vorbereitet. Doch ihren Bekannten in San Francisco, den chinesischen Magier Lao Tsung, findet sie ermordet vor – Todesursache: Pfeilgiftfrosch. Das magische Artefakt ist weg. Marla, die notgezwungen den Fall lösen muss, taucht in die magische Community von San Francisco ein und kommt finsteren Plänen auf die Spur.

– Marla Mason kauerte in der Gasse neben der Buchhandlung »City Lights« und warf ihre Runen.
1

Zu Hexenzorn liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Hounded von Kevin HearneAtticus O’Sullivan, vermutlich der letzte echte Druide, hat die letzten 2000 Jahre damit zugebracht vor einem recht aufgebrachten keltischen Gott zu flüchten, dem er das magische Schwert Fragaragh – The Answerer entwendet hat. Nachdem sich der Druide in der Wüste Arizonas niedergelassen und einen okkulten Buchladen eröffnet hat, dauert es nicht lange, bis ebenjener Gott ihn aufspürt und dem Druiden das Leben schwer macht. Atticus wäre jedoch nicht Atticus, wenn er neben seinem Charme und seinem Sinn für Humor nicht auch ein paar ordentliche Kräfte zur Verteidigung hätte.

– I have been around long enough to discount most superstitions for what they are: I was around when many of them began to take root, after all. But one superstition to which I happen to subscribe is that bad juju comes in threes. –
Kapitel 3, S. 24

2011 erschien mit Hounded (Die Hetzjagd) der erste Teil der Iron Druid Chronicles von Debütautor Kevin Hearne – und was für ein gelungenes und unterhaltsames Debüt er hier abgeliefert hat! Mit seinem Beitrag zur Urban Fantasy kommt frischer und gleichzeitig uralter Wind in das Genre, denn wir bewegen uns mit Druide Atticus O’Sullivan auf den Pfaden keltischer Mythologie. Die Gottheiten anderer Religionen und Kulturen werden am Rande ebenfalls erwähnt, einige davon kommen auch zu einem kurzen Auftritt. Ebenso dabei sind Menschen unterschiedlichster Herkunft. Polen, Russen, Iren, Inder, Dänen, Isländer, Indianer, Norweger, Mexikaner … und zur Freude aller ohne rassistische Vorurteile. Ähnlich erfreulich zeigen sich auch die Geschlechterrollen in Hounded, vornehmlich dadurch, dass es keine nennenswerten Unterschiede gibt. Im Fantasy-Genre heißt es gerne “Damals war das halt so”, womit ein überdominantes Rollenbild des Mannes und eine chronische Opferrolle der Frau in modernen Romanen und TV-Produktionen gerechtfertigt wird. Kevin Hearne scheint da andere Ansichten zu haben. Denn wie Atticus gleich zu Anfang betont, stammt er aus der Eisenzeit, wo man, anders als heute, auch als Mann besser kleine Brötchen backte und einer Frau mit ebensoviel Respekt begegnete wie einem Mann. Sonst konnte es passieren, dass man(n) ruckzuck durch weibliche Hand das Zeitliche segnete, denn die klischeehaften Rollenbilder von starkem und schwachem Geschlecht gab es zu seiner Zeit noch nicht (Gesetze gegen Selbstjustiz auch nicht). Auf diese Weise wird aus “Damals war das halt so” mal ein positives Argument statt einer billigen Ausrede und der Roman zu einer wirklich angenehmen Abwechslung.

Hounded ist auch sonst ein wunderbar gelungener Roman mit seinem Mix aus Moderne, Mythologie und Humor. Druide Atticus versteht es, gleichzeitig aus Star Wars und Shakespeare zu zitieren. Anders als in der ähnlich aufgebauten Buchreihe um den Magier Harry Dresden stellt die Technik für Atticus auch kein Problem dar – im Gegenteil. Er hat sich die Errungenschaften der Moderne zunutze gemacht, besitzt ein Mobiltelefon, führt einen Online-Shop, und in seinem okkulten Buchladen, wo er Heilkräuter mischt und magische Utensilien verkauft, ist eine Video-Überwachung angebracht. Kevin Hearne schafft es insgesamt sehr gut, unsere moderne Welt mit der alten, mythologischen Welt zu kombinieren ohne merkwürdige Ausflüchte finden zu müssen, um die Mystik zu bewahren. Hounded wirkt in sich rund, gegenwärtig und überzeugend. Man hat zu keiner Zeit das Gefühl, dass sich der Autor bemüht haben muss um bestimmte Details zusammen zu bringen.

In dieser sehr lebendig gezeichneten Welt existieren alle von Menschen erdachten Götter gleichzeitig. So kommt es, dass nicht nur eine Gottheit des Todes oder nur eine Gottheit der Liebe etc. herum streifen, sondern so viele davon, wie es verschiedene Religionen gibt. Hast du als charmanter Druide einen vorteilhaften Deal mit der keltischen Göttin des Todes abschließen können, schützt dich das noch lange nicht vor dem christlichen Tod … Erfreulicherweise ziehen es die meisten Götter vor, ihre Sphäre nicht zu verlassen – was zu herrlich absurden Momenten führt, wenn sie es doch einmal tun und feststellen müssen, dass sie nicht ganz auf dem aktuellen Stand der herrschenden Gepflogenheiten und Erfindungen sind. Die Gefahr, in einen Gott hineinzurennen, ist allerdings eher gering, zumindest solange, bis einer dieser Götter beschließt, sich ein Schwert zurückzuholen, das ihm vor verdammt langer Zeit abhanden gekommen ist – und damit plötzlich eine ganze Schar Gottheiten sich veranlasst sieht, dem letzten Druiden einen Besuch abzustatten.
Zu der Schar Götter gesellen sich außerdem auch noch Hexen, Ghoule, Vampire, Werwölfe, Riesen und ein paar Höllendämonen.

Die Gottheiten in Hounded sind besser mit Vorsicht zu genießen. Sie haben durchweg interessante Persönlichkeiten, die von undurchschaubar über listig bis hin zu soziopathisch reichen. Völlig egal wie menschlich die Götter einem ab und an dabei erscheinen, sie brauchen nur Sekunden, um zu beweisen, dass sie tickende Zeitbomben für den normalsterblichen Bürger sein können und eigentlich nur sich selbst im Kopf haben. Sie sind allerdings so naiv gleichgültig, dass man sie trotz einer harschen Urteilsweise als Leser ins Herz schließen muss.
Atticus dagegen, der einem mit seinen 2100 Jahren eigentlich auch schon göttlich vorkommen müsste, ist fest in der irdischen Welt verwurzelt, achtet als Druide die Natur, hat ein liebenswertes Wesen und kennt die Götter gut genug, um sie mit Respekt zu behandeln, ihnen aber auch auf recht lockere, freundschaftliche Art zu begegnen. Noch dazu ist er ein sexy Schwerenöter, lässt sich gerne mal von den keltischen Göttinnen sagen, wo der Hase lang läuft, und flirtet sich mit all seiner jugendlichen Ausstrahlung in die Herzen der Protagonistinnen und die der Leser, ohne dabei zum oberflächlichen Macho zu werden. Um seine Figur noch sympathischer zu machen, gesellt sich auch sein Sinn für Humor dazu, der am besten in Verbindung mit seinem liebsten Gesprächspartner, dem irischen Wolfshund Oberon, funktioniert. Oberon, dessen Instinkte sich im wesentlichen auf sein Fressen und französische Pudeldamen konzentrieren, ist einer der amüsantesten Charaktere dieses Buches. Im Team sind er und Atticus unschlagbar unterhaltsam.

Den einzigen Punktabzug, den man geben kann, gibt es dafür, dass sich der Autor gelegentlich wiederholt und seine Scherze manchmal ein wenig zu konstruiert wirken. Vermutlich ein Anfängerfehler, der jedoch nicht weiter ins Gewicht fällt bei der sonst so überzeugenden Arbeit, die er mit Hounded abgeliefert hat. Als abschließendes Urteil gilt daher: höchst empfehlenswert für jeden, der Urban Fantasy lesen möchte und ein Herz für keltische Mythologie hat.

Sprachlich ist Hounded eher den etwas geübteren Englisch-Lesern zu empfehlen. Das Vokabular besticht öfter durch weniger gängige Begriffe und die nicht wenigen Einsprengsel irischer Namen, Sprichwörter und Bezeichnungen könnten ungeübte Leser durchaus aus dem Lesefluss bringen. Mit verschriftlichtem Akzent ist ebenfalls zu rechnen. Im Vorwort gibt es allerdings auch ein paar Tips, wie die irischen Namen und Orte betont werden (wenn einen das interessiert) und eine kurze Erläuterung ihrer Bedeutung.

Cover des Buches "Huguenins Frau" von Matthew Phipps ShielDas Buch enthält sechs phantastische Erzählungen von Matthew Phipps Shiel: Vaila; Huguenins Frau; Elendes Los eines gewissen Saul; Die Braut, Der bleiche Affe, Der Primas der Rose. Außerdem gibt es eine vom Autor geschriebene Einleitung und im Anhang eine von ihm verfaßte, kurze, Selbstbiographie mit dem Titel Was mich betrifft. Javier Marías, der diese Kurzgeschichtensammlung herausgibt, hat ein Vorwort geschrieben und im Anhang findet man die von ihm verliehenen Titel und Ämter des (halb) fiktiven Königreiches Redonda. Näheres zum Inhalt erfahrt ihr in der Buchbesprechung.

-Vor vielen Jahren stand ich als junger Student in Paris dem großen Corat nahe und wurde an seiner Seite Augenzeuge mehrerer jener Fälle von Geisteskrankheit, die er mit unvergleichlicher Meisterschaft analysierte .-
Vaila

Wahnsinn, Tod, Rache und die Unerbittlichkeit des Schicksals sind die beherrschenden Themen in Shiels Kurzgeschichten.
Vaila ist eine von hohen Felsen umgebene, nördlich von Großbritannien, inmitten gefährlicher Strudel gelegene, sturmumtoste Insel, und der Stammsitz derer von Harfager. Als seine Mutter im Sterben liegt, bitte Haco von Harfager seinen alten Studienfreund, den Ich-Erzähler der Geschichte, ihn zu besuchen.
Schon die Überfahrt erweckt in dem Freund den Eindruck, als führte unsere Fahrt ins Jenseits dieser Welt und was ihn auf Vaila erwartet, könnte schlimmer nicht sein. Harfagers Mutter ist tot und wartet im offenen Sarg auf ihre Beerdigung. Haco selbst ist vorzeitig gealtert und wirkt verwahrlost. Er leidet unter Halluzinationen und der fixen Idee, dass ein alter Fluch das Haus und das Leben der letzten Harfangers -seines und das seiner Schwester- bedroht. Ein grauenhaft entstelltes Faktotum kümmert sich um das Haus, und die Insel scheint sich auf unerklärliche Weise zu drehen.
Jede Zeile dieser Geschichte atmet Verfall und Bedrohung und die Szenerie ist unheimlich.  Dennoch geht Vaila dem Leser nicht wirklich unter die Haut. Allzu deutlich erinnert die Erzählung an Poes Untergang des Hauses Usher, allzu genau erfüllt sich die Erwartung des Lesers, die durch die Erwähnung von Wahnsinn, Tod und einem alten Fluch geschürt worden ist, und zu artifiziell ist das Gebilde, von dem die Bedrohung ausgeht – ein riesiges Stundenglas. Ein Stundenglas, auch wenn es in absehbarer Zeit seinen Dienst einzustellen droht, wirkt nicht so angsteinflößend, wie z.B. ein beständig unaufhaltsam näherrückendes Pendel wie in Poes Geschichte Die Grube und das Pendel, und schließlich darf der Leser eines von einem Ich-Erzähler verfaßten Berichtes immer darauf hoffen, daß die Geschichte wenigstens für einen der Protagonisten gut ausgeht. Dies alles trägt dazu bei, dass der Leser trotz der unheimlichen Atmosphäre eher in die Rolle eines stillen Beobachters gedrängt wird, als in die, eines unsichtbaren, mitleidenden und sich ängstigenden Beteiligten. Dennoch ist Vaila zweifellos die beste der hier versammelten Geschichten.
Die zweite Erzählung, Huguenins Frau, beginnt ähnlich wie die erste. Der Ich-Erzähler erhält den verzweifelten Brief eines alten Freundes, der allein mit zwei Dienern, die ihn beharrlich zu meiden scheinen, in einem riesigen Haus auf der griechischen Insel Delos lebt und sich nach menschlicher Nähe sehnt. Diesmal geht die Gefahr von einem schrecklichen Ungeheuer aus, das auf geheimnisvolle Weise mit Huguenins verstorbener Frau in Verbindung zu stehen scheint. Auch hier wieder findet man viel Poe, vermischt mit ein wenig griechischer Sagenwelt.
In Elendes Los eines gewissen Saul gibt es sogar zwei Ich-Erzähler. Der erste, in der Rahmenerzählung, gibt den Bericht des mittlerweile lang verstorbenen James Dowdy Saul wieder, den er in einer Manuskript-Truhe der Cowling-Bibliothek gefunden hat.
Der zweite Erzähler, Saul, erzählt um 1601 im Alter von 60 Jahren kurz, aber eindrucksvoll, von seinen Abenteuern auf See und zu Land. Er berichtet, wie er 1571 auf Hispaniola in die Hände der Spanischen Inquisition fällt, auf ein Schiff verfrachtet und während eines Sturms in einem Faß über Bord geworfen wird. Das Faß sinkt rasch mit seiner lebendigen Fracht. Saul macht alle Qualen eines Ertrinkenden durch und gelangt schließlich in eine mit Luft gefüllte Höhle, in der sich auch ein Süßwassersee befindet. Nahrung bieten ihm die Tiere und Früchte des Meeres.
Dies ist keine Horror-Geschichte im Stile Poes. Elendes Los eines gewissen Saul ist eine Abenteuergeschichte und wäre der Autor unbekannt, könnte man die Theorie verfechten, dies sei eine von Jules Verne verfaßte Version von Robinson Crusoe.
“Die Braut heißt Rachel Evans.”, teilt Walter Teeger dem Standesbeamten mit, als er sein Aufgebot bestellt. Dies ist die reine Wahrheit, der Beamte weiß allerdings nicht, daß es zwei Schwestern gibt, die beide nach ihrer Großmutter “Rachel” heißen.
Die eine, “Annie Rachel” wird “Annie” gerufen, die andere, “Mary Rachel”, “Rachel”. Walter liebt Annie, aber Rachel liebt Walter und zeigt ihm dies überdeutlich, obwohl zu dieser Zeit von Frauen Zurückhaltung im Ausdruck ihrer Gefühle erwartet wurde. Walter ist von Rachels so offensiv zur Schau getragener Leidenschaft berückt und gebannt und kann sich nicht entscheiden, welche von beiden er nun heiraten soll. Da entscheidet das Schicksal für ihn, – um dann seinen unvermeidlichen Lauf zu nehmen. Wieder finden sich eindeutige Anklänge an Poe.

Der bleiche Affe spukt angeblich im Hause Sir Philip Listers, in das eine Gouvernante kommt, um die zwölfjährige Esmé, Vollwaise und Nichte Sir Philips, zu unterrichten. Das Mädchen behauptet steif und fest, es habe den Geist eines riesigen Affen gesehen, der früher zusammen mit den anderen, noch lebenden Affen in einem Käfig nahe eines Wasserfalls lebte. Um die Spannung nicht zu verderben, soll hier nur so viel gesagt werden, daß Shiel sich ganz offensichtlich an einen berühmten Roman der Weltliteratur anlehnt.
In Der Primas der Rose hat der verheiratete E.P.Crooks ein Verhältnis mit der 25 Jahre alten Minna Smyth, deren Bruder Crichton er kennt. Crichton erzählt Crooks von einem exklusiven Geheimbund, der eine geheimnisvolle Wohnung in London unterhält, von der nur das Oberhaupt, der sogenannte Primas der Rose weiß, wo sie sich befindet. Crooks beschwatzt Crichton, ihm den geheimnisvollen Raum zu zeigen. Der stimmt nach langem Zögern zu, besteht aber darauf, Crooks die Augen zu verbinden, damit er den Weg nicht wiederfinden kann. Schließlich steht Crooks allein in dem ominösen Raum und nimmt die Binde von den Augen…
Was mich betrifft ist Shiels kurze, mit Selbstironie gespickte Lebensbeschreibung, in der er auch sehr warmherzig über seinen Vater spricht.
Die Auflistung der von Javier Marías verliehenen Titel und Ämter des Königreiches Redonda ist eher ein Insidergag zwischen Marías und den Genannten, von denen nur wenige so bekannt sind wie Pedro Almodovar, Antonia Susan Byatt, John Michael Coetzee und Francis Ford Coppola.
Redonda ist ein fiktives Königreich auf der gleichnamigen unbewohnten Antilleninsel. Shiel wurde im Jahr 1880 von seinem Vater zum ersten König dieser Insel gekrönt. Der vierte König ist nun Javier Marías, der dafür die Erinnerung an das Königreich, die Legende und die früheren Könige wachhalten muß und dafür die Rechte an Shiels Werk geerbt hat und so viele Ämter und Titel verleihen darf, wie er möchte. Sehr viel mehr sagt er über Redonda nicht, denn wie Javier Marías in seinem Vorwort Nur Luft und Rauch und Staub mitteilt, hat er das schon in seinen Romanen Alle Seelen und Schwarzer Rücken der Zeit getan und gedenkt nicht, sich zu wiederholen. Dieses “Fischen nach Lesern” für seine eigenen Werke hat Marías eigentlich nicht nötig und es ist für den Leser nur ärgerlich.
Fazit: Auch wenn die Erzählungen häufig an Poe und andere berühmte Schriftsteller erinnern, und das schreckliche Ende oft vorhersehbar ist, so sind die Geschichten doch höchst unterhaltsam und decken ein breites Spektrum der Phantastik, von der Horrorgeschichte (Vaila), über den Schauer”roman” bzw. die Prosaversion einer Ballade (Die Braut) bis hin zur Entdeckung fremder, außergewöhnlicher Welten (Elendes Los eines gewissen Saul), ab. Außerdem hat Shiel sich nicht nur von berühmten Autoren inspirieren lassen, sondern hat unzweifelhaft auch anderen als Vorbild gedient. Für Freunde der Phantastik sind Shiels Erzählungen ein Muss – lesenswert sind sie allemal.

Hunted von Kevin HearneWer es sich mit den richtigen Göttern verscherzt, nimmt besser die Beine in die Hand! Gerade erst sind Atticus und Granuaile den lästigen Bacchus los geworden, da schicken sich die nächsten Götter an, die beiden Druiden quer durch das moderne Europa zu jagen. Artemis und Diana, die Göttinnen der Jagd, sind wenig begeistert von der Gefangennahme Bacchus’ und nur zu gewillt, die beiden Druiden endlich ins Jenseits zu befördern.

– When the blurred shape of Atticus fell in front of me, at first I thought he’d simply tripped and I almost laughed, because pratfalls have been amusing since the Stone Age. Then I heard the belated crack of a rifle to the south and Oberon’s startled cry: »Atticus!« –

Hunted schließt nahtlos an das Ende von Trapped an und man wird als Leser direkt in die Jagd bzw. Flucht hinein geworfen. Wenn man zwei Göttinnen der Jagd auf den Fersen hat, bleibt nicht viel Zeit für Verschnaufpausen oder entspanntes Geplänkel. Besonders dann nicht, wenn man es mit wirklich unsterblichen Göttern des Olymp zu tun hat. Da muss man auch als Druide tief in die Trickkiste greifen, um sich aus der Affaire zu ziehen. Leicht ist das nicht, denn man weiß nicht, wem zu trauen ist. Noch immer treibt sich ein Verräter in Tír na nÓg herum, die Dunkelelfen liegen ebenfalls auf der Lauer, Loki ist unterwegs um neues Unheil zu stiften, Scharfschützen kontern mit modernen Waffen, Seemonster haben Entscheidungsprobleme bei der Fütterung und die Vampire sind auch nicht fern.

Die Dialoginhalte wirken diesmal an machen Stellen etwas erzwungen und vor allem mit dem Humor tut sich der Autor da schwerer als sonst. Vielleicht liegt es aber auch an der eher ungünstigen Kombination von Humor und Überlebenskampf, dass die Witze diesmal nicht so richtig zünden. An der Situationskomik ändert das wenig, die beschriebenen Szenen wirken weiterhin, nur in den Dialogen passen die scherzhaften Kommentare nicht unbedingt zum Geschehen. Hunted bleibt unterhaltsam und steuert einiges zur Charakterentwicklung bei, das lustigste Buch der Reihe ist es aber nicht, da es thematisch eben doch etwas ernster zur Sache geht.

Eine kleine Besonderheit gibt es diesmal noch oben drauf: wechselnde Erzähler. Teile des Buches werden aus der Sicht von Granuaile erzählt, und erfreulicherweise verleiht ihr der Autor auch eine eigene Stimme, die nicht wie eine Modifikation von Atticus wirkt. Granuailes Gedanken wirken etwas ernster, sortierter und sie bilden einen angenehmen Kontrast zu der sonst üblichen Erzählperspektive von Atticus. Es ist auch interessant zu sehen, wie unterschiedlich die beiden Charaktere ihre Bindung an die Erde zelebrieren. Während Atticus natürlich schon vieles akzeptiert hat, ist Granuaile noch voller Erstaunen und Ehrfurcht für ihre neuen Gaben und Fähigkeiten, was sich in ihren Gedanken immer wieder ausdrückt. Dadurch erhält der Leser jenes Maß an druidischem Flair, das in der sehr modernen Umgebung bisher recht kurz kam. Auch Oberon überrascht stellenweise mit ungewohnt tiefgängigen Gedanken.

Der einzig wirklich bittere Beigeschmack bei Hunted ist wohl, dass es auf Dauer doch etwas ermüdend wird, den Protagonisten immer und immer wieder auf der Flucht beizuwohnen. Während die übergeordnete Handlung um Loki und Ragnarök eher spärlich dahintröpfelt, passiert auch sonst nicht viel mehr. Es bahnen sich weiterhin an allen Ecken potentielle Konflikte an, leider kommt bisher nichts davon in Gang, und die ständigen beinahe-tot-Momente verlieren, genau wie bei Kollege Harry Dresden, irgendwann ihren Reiz. Bleibt abzuwarten ob Kevin Hearne mit Shattered wieder etwas mehr zielgerichtete Bewegung in die Geschichte bringen wird, statt sich um möglichst viele Dramen zu bemühen.

I Am Not A Serial Killer von Dan WellsJohn Wayne Cleaver ist fünfzehn Jahre alt und studiert mit Vorliebe das Verhalten von Serienmördern, denn John ist ein Soziopath, der gegen seine Neigungen ankämpft, um nicht selbst zum Killer zu werden. Dazu hat er zahlreiche Regeln für sich selbst aufgestellt. Doch als ein echter, praktizierender  Serienkiller in seiner Stadt Einzug hält, beginnen Johns mühsam errichtete Regeln zu zerfallen und der Killer in ihm drängt immer weiter an die Oberfläche. Als John erkennt, dass der Serienkiller kein Mensch ist, sieht er seine Chance gekommen, seiner mordlüsternen Phantasie nachzugeben unter dem Deckmantel dabei etwas Gutes zu tun.

– In coming here, I was digging at the foundations of something larger and deeper, scratching tiny lines in a wall I dare not breach. There was a monster behind that wall, and I had built it strong to keep the monster at bay; now it stirred and stretched, restless in its dreaming. There was a new monster in town, it seemed – would its presence awaken the one I kept hidden? –
Kapitel 2, S. 30

I Am Not A Serial Killer (Ich bin kein Serienmörder) ist ein Buch, das unter die Haut geht und dort langsam und unheimlich unter der Oberfläche herum kriecht. Es laufen einem mitunter eiskalte Schauer über den Rücken, der Roman ist also nicht unbedingt etwas für Zartbesaitete. Im klassischen Sinne handelt es sich bei dieser dreiteiligen Buchreihe auch nicht gerade um waschechte Fantasy, vielmehr ist es ein Psychothriller mit einem Dämon in der Nebenrolle. Soviel vorweg gesagt, auf ans Eingemachte!

Der Debütroman des Autors Dan Wells schlägt eine sehr ungewöhnliche Richtung ein, indem er seine Geschichte aus der Sicht eines potentiellen Serienmörders erzählt. John Cleaver hat es bisher geschafft, seine dunklen Gelüste zu kontrollieren, doch der Leser bemerkt schon von den ersten Sätzen an, dass der Junge eine tickende Zeitbombe ist, die jeden Moment explodieren könnte. In seiner Freizeit hilft er leidenschaftlich gerne im Bestattungshaus seiner Mutter aus, seine Schulreferate drehen sich immer um Serienmörder. Nach außen hin wirkt John trotzdem fast wie ein normaler Teenager, doch in seinem Inneren herrscht ein unerbittlicher Kampf zwischen Gut und Böse. Es ist insbesondere dieser immer gegenwärtige Kampf mit sich selbst und der ungewöhnliche Einblick in den Geist eines Menschen, der davon träumt, jemanden zu töten, was I Am Not A Serial Killer so eindringlich macht. Man erlebt düstere Gedanken darüber, wie John im Geiste mit einer erschreckend analytischen und gut informierten Routine die Funktionen und Schwachpunkte des menschlichen Körpers durchgeht, wie er lauernd auf den richtigen Moment wartet und seine Anspannung aufspart. Der Junge weiß, wie er morden kann, aber auch, dass er nicht morden darf. Hin- und hergerissen zwischen Wunsch und Rechtsbewusstsein, fesselt der Protagonist den Leser auf diese Weise an das Buch, seien seine Schilderungen auch noch so “alltäglich”. Was für John zum normalen Tagesablauf gehört, wirkt auf den normalen Leser meist doch ziemlich erschreckend.

Als Antiheld tritt John nun einem Dämon gegenüber, der in vielen Belangen wesentlich menschlicher erscheint in seinem Handeln und seinen Beweggründen als der Junge. Trotzdem ist John ein Charakter, den man nicht hassen kann und dem man wünscht, dass er irgendwann einfach “gesund” werden kann. Der Dämon selbst wird dabei fast zur Nebensache, denn der Hauptgegner bleibt immer Johns eigene unterdrückte Seite. Nichtsdestotrotz bekleidet der Dämon eine wichtige Position in diesem Roman, denn er ist es, der Johns Tätigkeiten und Gedanken beflügelt. Alles wird von einem sarkastisch-zynischen Unterton des Protagonisten begleitet, der Galgenhumor als eine Option sieht, mit seinem inneren Ich zurechtzukommen. Das macht dieses Buch nicht nur extrem spannend, sondern auch sehr unterhaltsam, und stellenweise lockt es dem Leser ein böses Lachen über die Lippen.

I Am Not A Serial Killer ist ein Pageturner von der unheimlichsten Sorte, da er soviel realistische Möglichkeiten beleuchtet. Die Erzählung wirkt sehr glaubhaft konstruiert und nachvollziehbar. Zumindest für Leser, die weder Soziopathen noch Therapeuten sind, dürfte es sehr überzeugend erzählt sein und eine buchstäblich unheimliche Wirkung entfalten.
Wer sich neben Fantasy auch gerne mal in die Welt der Krimis und Thriller begibt und mit wenig phantastischen Elementen zufrieden ist, der wird John Cleaver garantiert lieben. Für eher schwache Nerven und Freunde klassischer Phantastik ist das Buch dagegen nicht zu empfehlen.

Ich bin kein Serienkiller von Dan WellsJohn Wayne Cleaver ist fünfzehn Jahre alt und studiert mit Vorliebe das Verhalten von Serienmördern, denn John ist ein Soziopath, der gegen seine Neigungen ankämpft, um nicht selbst zum Killer zu werden. Dazu hat er zahlreiche Regeln für sich selbst aufgestellt. Doch als ein echter, praktizierender Serienkiller in seiner Stadt Einzug hält, beginnen Johns mühsam errichtete Regeln zu zerfallen und der Killer in ihm drängt immer weiter an die Oberfläche. Als John erkennt, dass der Serienkiller kein Mensch ist, sieht er seine Chance gekommen, seiner mordlüsternen Phantasie nachzugeben unter dem Deckmantel dabei etwas Gutes zu tun.

– Hinten in der Leichenhalle war niemand außer mir und Mrs Andersons Leiche. –
Eins

Zu Ich bin kein Serienkiller liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Ich und die anderen von Matt RuffAndrew Gage ist zwei Jahre alt und arbeitet als Hausmeister in einer Firma für Virtual Reality Projekte. Für einen Zweijährigen eine ungewöhnliche Beschäftigung und es wäre sicher aufgefallen, wenn sein Körper nicht bereits achtundzwanzig Jahre alt gewesen wäre.
Dennoch könnte man sagen, Andy führt ein normales und relativ ereignisloses Leben mit seiner Familie. Doch Andys Familie ist eine Besonderheit, denn sie alle wohnen in einem imaginären Haus in seinem Kopf.

-Mein Vater rief mich heraus.
Ich war sechsundzwanzig, als ich aus dem See kam, was manche Leute wundert, die sich fragen, wie ich ein Alter haben konnte, ohne eine Vergangenheit zu haben. Aber auch ich wundere mich: Die meisten Leute, die ich kenne, können sich an ihre Geburt nicht erinnern, und – das ist das erstaunlichste – es stört sie gar nicht, dass sie sich nicht erinnern.-
Seite 9

Obwohl das Buch nicht mit Matt Ruffs Erstlingswerk Fool on the Hill zu vergleichen ist, schreibt Ruff hier wieder eine fantastische Geschichte auf realem Boden mit realen Problemen. Mit diesem Buch beweist er einmal mehr, dass seine Werke in keine Genre-Schublade passen. Sie sind ein wenig fantastisch, aber zu real um gänzlich Fantasy zu sein. Vielleicht zeigt das auch nur, wie viel Phantastik in unserer Welt verborgen liegt.

Dennoch: Dieses Buch ist schwere Kost. Nicht im sprachlichen Sinne und auch nicht was seine Verständlichkeit angeht. Nein, Ich und die anderen (Set This House In Order) bleibt hängen und windet sich für eine ganze Zeit fest um die Seele, melancholisch, traurig, ein wenig hoffnungsvoll, auf jeden Fall ernüchternd. Wer aber glaubt, ein Buch um das Thema multiple Persönlichkeit müsse zwangsläufig ausschließlich ernst und trocken aufgezogen sein, um dem Thema respektvoll zu begegnen und Humor habe darin keinen Platz, der täuscht sich. Neben den durchaus ernsten und bedrückenden Schicksalen der Hauptpersonen kommt der Humor keinesfalls zu kurz. Dieser Roman steckt nämlich voller Überraschungen und ist so wandlungsfähig, dass es einen so unvorbereitet trifft, wie ein Schlag mitten ins Gesicht.

Gerade die erste Hälfte des Buches animiert zum Schmunzeln und auch mal zum lauthals Auflachen. Bis zum Schluss ahnt man so nicht im Geringsten, wohin dieser Roman seinen Leser führt. Manchmal ist das Buch so spannend, fantastisch und komisch, dass man es kaum zur Seite legen kann und dann wieder so bedrückend, dass man es eine Weile zur Seite legen muss, um die geschilderten grausamen Ereignisse erst einmal verdauen zu können. Eben jene Ereignisse, von denen an dieser Stelle nichts verraten wird, haben zur Spaltung von Andy Gages Psyche geführt und damit wiederum eine ganz andere, für den Leser charmante Situation erschaffen, die auch für einen fantastischen Roman ungewöhnlich ist.
Ich und die anderen beginnt mit einer absurden Komik und wunderbar gezeichneten, starken, teilweise imaginären, Charakteren, nur um in einer vollkommen unerwarteten Ernsthaftigkeit zu gipfeln, die dem Buch zu seinem wahren Erinnerungswert verhilft, den Leser aber auch ausgesprochen unsanft in die Realität zurück holt. Es lässt die Krankheit dabei weniger als Krankheit erscheinen sondern vielmehr wie eine alternative Lebenseinstellung.

Dieses Buch spielt mit Gegensätzen, die auch Wochen später immer noch beschäftigen. Es fällt selten so schwer ein Buch angemessen zu beschreiben, da man Ich und die anderen viel mehr erfühlt als begreift und nur schwer in Worte fassen kann. Die nachhaltige Wirkung dieses Romans geht über das normale Begreifen des Verstandes hinaus und zwingt den Leser zu einer emotional erfühlten Bewertung des Gelesenen und der letztendlichen Frage, ob man im realen Leben einen an MP erkrankten Menschen mit derselben liebevollen Sympathie begrüßen würde, wie man es bei der Lektüre über Andy und seine Hausgemeinschaft beinahe selbstverständlich macht.

Empfehlenswert für alle, die nicht zu zartbesaitet sind und nicht nur seichte Unterhaltung oder Fantasy nach Schema F suchen.

Cover von Im Land der Frauen von Li Ju-tschenT’ang Ao gelingt es zwar im fortgeschrittenem Alter, die Doktorprüfung als einer der besten abzuschließen, doch aufgrund einer Intrige bleibt ihm die weitere Beamtenlaufbahn verwährt. Mißmutig umherziehend beschließt er, seine Heimkehr so weit wie möglich aufzuschieben. Da kommt es ihm gerade recht, daß sein Schwager Lin, ein Kaufmann, eine längere Seereise antritt und er ihn begleiten kann. Es geht auch alles ganz gut, bis die beiden ins Land der Frauen gelangen und der König sich in Lin verliebt…

-Unter der Herrschaft der Kaiserin Wu lebten in der Provinz Ling-nan im Kreise Ho-yüan zwei leibliche Brüder, T’ang Ao und T’ang Min geheißen.-
Erstes Kapitel

Auch wenn die Geschichte im China des 7. Jhd. n. Chr. beginnt, spielt doch der größte Teil im Land der Frauen, einem Phantasieland, in dem die Geschlechterrollen umgekehrt sind. Mit Ausnahme eines Flusses, der regelmäßig über die Ufer tritt, werden weder Natur noch Architektur weiter beschrieben, das ist aber auch nicht weiter nötig, denn im Zentrum der Erzählung steht das Geschlechterverhältnis und insbesondere die Rolle der Frau. Anzumerken ist hier eine für Leser der westlichen Welt sonderbare Eigenart: Die Bezeichnung “Frau” wird nicht nach physischen Geschlechtsmerkmalen, sondern nach der gesellschaftlich besetzten Rolle vergeben. So kommt es, daß die Frauen lange Bärte im Alter haben und die Männer Kinder zur Welt bringen. Ausführlich wird der Alltag der Frauen dargestellt, wenngleich dieser überspitzt wird – so faulen dem Kaufmann Lin beispielsweise die Zehen der eingebundenen Füße in nur wenigen Tagen ab.
Die Handlung wird vor allem von T’ang Ao und Lin Tschi-yang getragen. T’ang ist ein Gelehrter im fortgeschrittenem Alter, aufgrund einer Intrige ist ihm die weitere Beamtenlaufbahn verwehrt. Da er gerne reist – aber schon ganz China in den letzten 20 oder 30 Jahren gesehen hat – und nach dem Debakel nicht zurück nach Hause mag, schließt er sich seinem Schwager Lin an. Er ist ein kluger, doch bisweilen etwas weltfremder Mensch, auch wenn er den Gesetzesbruch scheut, schreckt er nicht davor zurück, nur Gewalt wendet er nicht an. Lin ist ein junger Kaufmann, er besitzt ein Schiff und versucht mit den geladenen Gütern ein möglichst vorteilhaftes Geschäft (bei möglichst wenig Aufwand) abzuschließen. Lin ist außerdem recht gutaussehend – alles Eigenschaften, die ihm zum Verhängnis werden. Auch wenn er kein Held ist, der alles stoisch erträgt und zuweilen verzagt, so hält er doch seine Versprechen und geht dafür manches Risiko ein.
Daneben gibt es noch ein paar weitere Figuren, wie den Steuermann To, die geborene Lü, die Ehefrau Lins, und deren Tochter Wan-ju neben einigen namenlosen Anderen. Ihre Rolle ist jedoch relativ untergeordnet. Doch allen Charakteren ist eine Glaubwürdigkeit zu eigen, die man selten findet, es sind eben keine Helden und Schurken, sondern Menschen, die ganz menschlich auf ihr Umfeld entsprechend der Rolle, die sie in der Gesellschaft haben, reagieren.
Die Geschichte befaßt sich hauptsächlich mit Lins Leiden als Frau, hinzu kommt noch T’angs Handeln um Lin zu befreien; dieses fällt allerdings sehr zahm aus, ist er doch ein Gelehrter, der zudem um das Gute bemüht ist (sich also nicht in seinen Charakterfehlern sonnt).

Wer hier spannende Intrigen und aufregende Kämpfe erwartet, wird enttäuscht – zwar fließt auch Blut, aber nur als Ergebnis von Strafe, die auch nur begrenzt hart ausgeführt wird um den schönen Körper nicht zu beschädigen.
Die Geschichte schwankt zwischen humorvoll, aufgrund der grotesken Situationen, in die die beiden Schwager geraten – wenn z. B. von einer langbärtigen Palastdame die “beiden reizenden Arschbäckchen” mit den Gesichtern von Pan An und Sung Yü (sprichwörtlichen Schönheiten des chinesischen Altertums) verglichen werden – und tragisch, wenn Lin die Schmerzen nicht länger ertragen kann und darum bettelt getötet zu werden, die Qualen der langsamen Hinrichtung aber auch nicht erträgt und sich schließlich in sein Schicksal fügt.
Sprachlich ist das Werk durchaus gelungen; die Sätze sind zumeist kurz und trocken, was mitunter etwas ungewöhnlich ist, aber das Vokabular beschreibt sehr treffend und vielschichtig die Szenen.
Im Land der Frauen ist eigentlich kein eigenständiges Werk, sondern eine Auswahl an Szenen aus dem Werk Djing Hua Yuan (Spiegel und Blume in seltsamer Beziehung); das Ende wirkt daher auch etwas seltsam und die Kürze ist auch das größte Manko der Geschichte: Man wünscht sich mehr.

Cover des Buches "Imagon" von Michael Marrak Poul Silis ist Geophysiker und hasst den Winter, den Schnee und besonders die Kälte. Doch ausgerechnet er wird nach Grönland ins ewige Eis beordert, um mit einer Gruppe von Wissenschaftlern einen mutmaßlichen Meteoriteneinschlag zu untersuchen. Zahlreiche Menschen wollen das grelle Licht eines Himmelskörpers gesehen haben, und es befindet sich auch ein riesiger Krater im Eis. Von einem Meteoriten aber gibt es keine Spur. Stattdessen werden Schrecken lebendig, die älter als die Erdgeschichte sind.

-Abscheu und Neugier. Grauen und Faszination.
Ich stand vor dem Aqunaki und kam nicht umhin, ihn unverhohlen anzustarren, im Sternenlicht jede Hautfalte zu studieren, jede seiner Bewegungen zu verfolgen und jedes Geräusch wahrzunehmen, das diese bizarre Kreatur erzeugte.-
Kap. 15., S. 271

Imagon aus der Reihe “H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens” ist ein phantastischer Horrorroman, der in der von Lovecraft geschaffenen Welt des Cthulu Mythos spielt.
Der erste Satz beginnt mit: “Ich hasse den Winter”, und schon ist der Einstieg geschafft. Die darauffolgenden Seiten saugen den Leser förmlich in die Person Pouls und ziehen ihn mit in den Strudel der Ereignisse.
Poul ist eine angenehme Identifikationsfigur, und man leidet um so mehr mit ihm, als daß er eine ganz normale Person ist und aus seiner Sicht alles richtig macht, aber dennoch nicht seinem Schicksal entfliehen kann.

Marraks Schreibstil ist flüssig und in seinen Beschreibungen sehr lebendig. Insbesondere die plastische Darstellung der Örtlichkeiten entführt den Leser mit Leichtigkeit an die verschiedenen Handlungsorte. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die in Lovecrafts Tradition schreiben, versucht er nicht, dessen Stil zu kopieren. Auch die Handlung ist nicht nur ein einfacher Austausch von Personen und Orten, sondern zeugt von eigener Kreativität. Die Handlungsstränge sind komplex, enthalten überaschende Wendungen und sind nicht linear aufgebaut. Selbst wenn man Lovecrafts Werke gut kennt, lassen sich die Geschehnisse kaum erahnen.
Wer allerdings noch nie mit der Welt der Alten Götter und von Cthulu in Berührung gekommen ist, kann schon ein wenig von den verschiedenen Wesen und ihren Beziehungen zueinander verwirrt werden. Besonders die Auflösung verlangt vom Leser höchste Aufmerksamkeit und geistige Flexibilität.

Insgesamt hat Marrak einen sehr spannenden Phantastikroman geschrieben, der es wert ist, in die Reihe der Lovecraftwelt aufgenommen zu werden. Mit den rund 400 Seiten ist er gerade lang genug, um in die dargestellte Welt einzutauchen und sich mit der Hauptperson zu identifizieren, aber kurz genug, um Längen zu vermeiden.

Cover von Katzenwinter von Wolfgang und Heike HohlbeinMit Beginn des Winters breitet sich langsam etwas Bedrohliches, Böses über der Stadt Crailsfelden aus. Es sind uralte, böse Kräfte, die ihren Ursprung in der alten, rußgeschwärzten Ruine des Klosters auf dem Hügel haben. Justin ist jetzt, an Stelle seiner Großmutter, dazu bestimmt, diesen Mächten Einhalt zu gebieten. Dabei stehen ihm die Katzen seiner Großmutter und ein seltsames Mädchen zur Seite. Aber die Tore der Hölle haben sich bereits aufgetan …

-Der Winter kam früh in diesem Jahr und als die erste Schneeflocke fiel, stürzte Justins Großmutter die Treppe hinunter und brach sich das Genick.-

Nun – ich mag Katzen, und deshalb lese ich Geschichten, die von Katzen handeln, oder in denen Katzen eine Rolle spielen, eigentlich ganz gern. So war es auch, als ich mir dachte: “Dieses Buch müsste wohl ganz passabel für mich sein …” Hatte ich mir gedacht …
Es war eine Enttäuschung. Es ist eben wieder ein typischer Hohlbein, gestrickt nach typischem Hohlbein-Konzept: Kleiner-Junge-rettet-die-Welt – und hat erst einmal keine Ahnung, wie und warum er zu dieser Ehre kommt. Da lebt ein kleiner Junge (diesmal heißt er Justin) in einem Städtchen irgendwo in Deutschland und um ihn herum versinkt alles nach und nach in immer mehr brutaler Rohheit, Mordlust und sonstiger sinnloser Gewalt. Ich hatte manchmal schon streckenweise das Gefühl, ins Horror-Genre gerutscht zu sein, und statt eines Fantasy-Romans, einen “Stephen King” zu lesen (in den jüngeren Ausgaben, gerade von Wolfgang Hohlbein, fällt mir eine gewisse Ähnlichkeit immer mehr auf …). Justin stolpert natürlich wieder darum in seine Bestimmung hinein, weil er “familiär vorbelastet” ist (bei Dreizehn und Unterland ist es ähnlich …), und weiß lange nicht wie, was, wer, warum miteinander zusammenhängt und welche Rolle eigentlich die zehn Katzen seiner Großmutter spielen. Die alte Dame hätte über die näheren Zusammenhänge bestens bescheid gewußt, wurde aber zum richtigen Zeitpunkt außer Gefecht gesetzt, so dass sie dem armen unwissenden Knaben fast keine Informationen mehr über seine Aufgabe zukommen lassen kann – und auch dem armen Leser nicht – der, zusammen mit Justin, erstmal von einem abgehackten Hinweis zum nächsten stolpert und schließlich, immer noch genauso unwissend wie unser bedauernswerter Weltenretter, mit (erst) Gemeinheiten, dann (etwas später) Grobheiten und am Ende (da hat man schon die Hälfte des Buches gelesen) mit offener roher Gewalt bis hin zu purer Mordlust konfontriert wird. Hier liegt meiner Ansicht nach eine große Schwäche dieses Buches: man wird viel zu lange im Unklaren gelassen, und deshalb weiß man nicht, warum man sich dieses ganze Szenario 417 Seiten lang antun muss.
Auch die Sprache des Werkes macht es einem nicht gerade leicht. Es nicht trivial, aber der Hochgenuss ist es auch nicht, und natürlich gibt es auch wieder einen Compagnon, (diesmal weiblich) der unserem kleinen Helden zur Seite steht, aber (wie in Drachenfeuer ein gewisser Llewellyen …) bleibt das Mädchen bis zum Schluß undurchsichtig, ist ziemlich mundfaul und auch nicht eben sympatisch. Alles in allem haben wir die bekannte Riege an Figuren, bei denen irgendwie, meines Erachtens, bloß die Namen geändert werden.

Cover von Die Klippen des Heute von Dave DuncanIm Jahr 1917 erscheint Edward mitten in einer Schlacht auf der belgischen Ebene – nackt, verletzt und orientierungslos. Er hat drei Jahre auf Nebenan verbracht und ist dabei nicht gealtert.
Unter dem Verdacht der Spionage wird er in ein Landhaus in England gebracht, das als Lazarett dient. Dort entdeckt ihn sein Schulfreund Smedley, der beschließt, Edward zur Flucht zu verhelfen. Es beginnt eine Flucht vor den “Quälgeistern”, die verhindern wollen, dass Edward seine Bestimmung erfüllt. Es wird vor allem erzählt, was sich in den vergangenen drei Jahren auf Nebenan ereignet hat.

-Inmitten des Chaos des ersten Weltkrieges wird ein Mann im Schatten der Schlachtfelder gefunden: zerschunden an Leib und Seele, nackt und hilflos – und er hat eine unglaubliche Geschichte zu erzählen.-
Klappentext

Auch in Die Klippen des Heute (Present Tense), dem zweiten Teil der Reihe Das große Spiel, zeigt sich die Vorliebe des Autors für einen zweigeteilten Handlungsstrang: während Edward nach drei Jahren auf Nebenan auf die Erde zurückkehrt und sich durch die Wirren des immer noch andauernden Ersten Weltkrieges kämpfen muss, erzählt er in Rückblicken, was in diesen drei Jahren passiert ist. Fast nach jedem Kapitel wechselt die Geschichte wieder zum anderen Handlungsstrang, trotzdem ist es für den Leser einfach, der Handlung zu folgen. Duncan schafft es, den Roman ohne Verlust des “roten Fadens” zu erzählen und dabei durchaus noch Spannung reinzubringen.

Neben dem Helden gibt es noch viele interessante Nebencharaktere, die der Autor mit viel Mühe darstellt und entwickelt. Natürlich wird die dichte Atmosphäre aus dem ersten Band übernommen und mit bedrückenderem, dunklerem Touch versehen: Aus dem Blitzkrieg wurde eine bereits drei Jahre andauernde, nervenaufreibende Todesmaschine, halb Europa ist verwüstet und immer noch lassen jeden Tag tausende junge Männer ihr Leben auf dem Schlachtfeld. Die Begeisterung für den Krieg aus dem ersten Teil weicht dem Schrecken davor und genau diesen Wandel fängt Duncan gelungen ein. Fakten mischen sich gelungen mit Fiktion, was mich durchaus beeindruckt hat.

Wirklich schade ist das Fehlen einer Übersichtskarte. Der Autor bemüht sich zwar durch genaue Beschreibungen zu erklären, wohin es den Helden verschlägt, aber ein richtiges Bild ergab sich bei mir nicht. Leider kommt es auch in der Sprache bzw. Übersetzung zu häufigen Wiederholungen von Redewendungen, die dem deutschen Leser seltsam vorkommen. Wenn z.B. Edward als “verrückt wie eine besoffene Fledermaus” beschrieben wird, dann mag es in England vielleicht ein gängiges Sprachbild sein, hierzulande wirkt die Übersetzung aber arg konstruiert. Das stört leider den Lesefluss und fällt immer wieder ins Auge, obwohl die Übersetzung an sich gut gelungen ist.

Cover des Buches "Die Königstochter aus Elfenland" von Lord DunsanyDas Parlament von Erl hofft Ruhm durch Zauberei zu erlangen. Darum schickt der König von Erl seinen Sohn Alveric aus Lirazel, die Tochter des Königs der Elfen, zu freien. Es gelingt ihm im fremdartigen Elfenreich Lirazel zu finden, sie erkennen die Liebe, die sie für einander empfinden und kehren nach Erl zurück – jedoch gegen den Willen des Elfenkönigs. Von seinen drei mächtigen Runen nutzt er eine um seinen ältesten Soldaten wiederzubeleben und die zweite um seine Tochter zurückzuholen. Alveric macht sich erneut auf die Suche nach der Königstochter aus Elfenland.

-In ihren rötlichen Lederjacken, die ihnen bis zu den Knien reichten, erschienen die Männer von Erl vor ihrem Herren, dem würdig weißhaarigen Manne, in seinem langen roten Gemach.-
Der Plan des Parlaments von Erl

Wie der Autor im Vorwort ankündigt, spielt sich ein Großteil der Geschichte von Die Königstochter aus Elfenland (The King of Elfland’s Daughter) im Königreich Erl ab, welches wohl im mittelalterlichen Großbritannien zu finden ist. Erl besteht aus einer Burg, einem Dorf und einigen einzelnen Gehöften – und liegt etwa zwanzig Meilen von Elfenland entfernt. Erl wird zwar vom König regiert, doch der muss auf die Meinung des Parlaments achten. Auch der Priester des Befreiers, des wahren Gottes, hat Einfluss auf seine Gemeinde.
Im Elfenland herrscht der König von Elfenland absolut. Er ist namenlos, denn sein Alter ist gewaltig. Er ist ein mächtiger Magier, der über die drei großen Runen gebietet. Sonst leben im Elfenland verschiedene Wesen: Einhörner, Irrlichter, Elfenkrieger und besonders Trolle. Trolle sind kleine, nackte braune Wesen, die beständig in Bewegung sind und deren stärkste Charaktereigensaft entweder ihre Neugier oder ihr Spieltrieb ist. Der Troll Lurulu ist der Bote des Königs und durchaus nicht würdig.

Der bedeutendste Unterschied zwischen Erl und Elfenland ist der Zeitfluß, denn in Elfenland vergeht keine Zeit. Nachdem Orion und Lurulu sich nach zwölf Jahren wiedersehen und Orion fragt, wieviel Zeit vergangen sei, antwortet Lurulu: “Bei mir ist immer noch Heute.” Morgen ist ein Konzept, mit dem Bewohner von Elfenland nichts anfangen können. Was geschieht morgen? Da kann man sich nicht mehr bewegen und die anderen begraben einen in der dunklen Erde, wo man dann für immer liegen muss.
Auch wenn die Charaktere einfach sind – zumeist sind sie auf eine Motivation beschränkt – sind sie keineswegs Klischees oder Schablonen. Alveric nimmt man die brennende Liebe, die er für Lirazel empfindet, durchaus ab. Man leidet mit Alveric auf seiner Suche mit.

Die Geschichte ist schwer zu erläutern; viele Stränge spalten sich auf, laufen nebeneinander her, überkreuzen sich nur um sich wieder zu trennen; es ist allerdings niemals so kompliziert, daß man den Überblick verliert. Alveric jagt Lirazel nach, Lurulu neuen Erfahrungen, das Parlament dem Ruhm, Orion allen Tieren, die sterblich sind, und der Elfenkönig ebenfalls Lirazel. Aber viele werden die Geschichte als langatmig empfinden, zumal es keine “richtige” Bedrohung gibt. Jeder geht seinen Geschäften nach und manchmal haben diese etwas miteinander zu schaffen.

Das Werk glänzt allerdings mittels Sprache; hier ist es nahezu perfekt, auch wenn mancher sich über das wiederholte Auftreten einiger Wendungen ärgern mag. Die Beschreibungen sind so prachtvoll, daß man unweigerlich davon gefangengenommen wird – wenn man sich mit dem altertümlichen Stil anfreunden kann.

Cover von Krieg der Engel von Wolfgang HohlbeinImmer wieder träumt Eric von einem Engel, der mit brennendem Gefieder auf dem Dach einer gigantischen schwarzen Kathedrale steht, die sich über einer apokalyptischen Landschaft erhebt. Und immer endet dieser Traum, kurz bevor sich entscheidet, ob der Engel leben oder die Apokalypse endgültig über die Welt hereinbrechen wird. Eric ist sicher, dass die düsteren Bilder eine Botschaft enthalten, vielleicht auch eine Warnung, die er nur nicht entziffern kann. Als Erics Eltern in die Gewalt des Schwarzen Engels geraten und er sie zu befreien versucht, gerät er in den Kampf der weißen und schwarzen Engel, der mit gnadenloser Härte in der schwarzen Kathedrale wütet …

-Der Engel brannte. Sein Gewand, sein Haar und die gewaltigen Schwingen standen in Flammen und seine ganze Gestalt schien wie in einen Mantel aus gleißender Helligkeit gehüllt zu sein, so grell und weiß, dass es fast unmöglich war ihn anzusehen.-

Mit Krieg der Engel hat das Ehepaar Hohlbein ein Jugendbuch entworfen, das meiner Meinung nach nicht unbedingt für ganz junge Leser geeignet ist. Die Geschichte um den Jungen Eric, der in den apokalyptischen Kampf zwischen schwarzen und weißen Engeln gerät, ist nicht nur außerordentlich spannend, sondern auch düster. Erics Weg ist begleitet von Schicksalsschlägen, denen er sich entgegenstellen muss, um seine Eltern zu retten. Dass dieses Unternehmen nicht ungefährlich ist, wird ihm immer wieder bewußt, denn nicht nur er befindet sich in tödlicher Gefahr. Und so kommt es, dass Eric auch Menschen verliert, die ihm wichtig sind. Gerade die Tatsache, dass nicht alles so gut ausgeht wie geplant, erzeugt ein apokalyptisches, düsteres Gefühl beim Leser.

Die Geschichte an sich ist gelungen: Die Hohlbeins greifen sich diesmal das drohende Weltende heraus und verarbeiten diese Thematik mit viel Geschick zu einer spannenden und fesselnden Geschichte. Eric wird glaubhaft dargestellt, während er sich im Laufe des Buches von einem verschüchterten Jungen zum Retter seiner Eltern entwickelt. Dabei bleibt er aber im Grunde immer noch er selbst und die Entwicklung ist hart erkämpft. Aus der Verzweiflung über die Entführung seiner Eltern und den Verlust von Freunden wächst der Wunsch, wenigstens die Eltern retten zu können. Dabei erhält er Hilfe von Cheb, seinem Schutzengel, der Eric bei seinem Unternehmen zur Seite steht.
Welche Rolle Eric genau in diesem Kampf spielt, wird bis zum Schluss nicht verraten. So viel vorweg, niemand ist der, der er vorgibt zu sein, und es kommt anders, als man denkt.
Spannend, apokalyptisch, düster, so kann man den Roman vielleicht am besten beschreiben. Nur weil ein Kind die Hauptrolle spielt, ist das Buch noch lange kein Kinderroman. Empfehlen würd’ ich das Buch für Leser ab 13, da die Geschichte komplexer und düsterer ist als so manche Romane für Erwachsene.

The Last Guardian of Everness von John C. WrightGalen, der jüngste Spross der Familie Waylock, wird von seinem Großvater dazu ausgebildet, sich im Familienanwesen Everness in die Welt der Träume zu begeben und dort die ewige Wacht zu halten, mit der die Familie betraut ist: Wenn sich die Finsternis erhebt, müssen die Waylocks die Mächte des Lichts zum Kampf rufen. Galen erkennt untrügliche Zeichen dafür, dass diese Zeit gekommen ist, und da er seinem alten Großvater die schwere Aufgabe abnehmen will, wagt er einen Alleingang in das Reich der Träume. Gleichzeitig bangt der kräftige, aus dem Kaukasus stammende Raven in einem Krankenhaus um das Leben seiner hübschen Frau Wendy – und erhält ein verlockendes Angebot.

-Upon a midnight in midsummer, upon an unchanging ancient house upon the coast, in the year when he was a boy no more and a man not yet, Galen Waylock heard the far-off sound of the sea-bell tolling slowly in his dream.-
Founding, 1

John C. Wright ist ein Autor, den man heute eigentlich nicht mehr guten Gewissens empfehlen kann, nachdem er ein christliches Erweckungserlebnis hatte und darauffolgend auch politisch in die extreme Ecke abgewandert ist, wie er stetig mit mehr als fragwürdigen Äußerungen untermauert. Mit der zweibändigen Saga The War of the Dreaming, seinem ersten Ausflug in die Fantasy, hat er jedoch einen atemberaubenden modernen Mythos geschaffen, und da The Last Guardian of Everness auch vor Wrights Radikalisierung verfasst wurde, hat es sich eine Erwähnung verdient. Ob man den Roman mit dem Wissen um Wrights Gesinnung, die aus The Last Guardian of Everness allerdings nur schwer herauszulesen ist, ungebtrübt genießen kann, sei dahingestellt.
Wright erfindet die Mär vom ewigen Kampf zwischen Licht und Dunkel nicht neu, sondern stürzt sich mit großer Begeisterung auf ältere und neuere Vorgänger in diesem Metier und nimmt sich hier und da, was er für sein großes Mosaik braucht. Und das Gesamtwerk, das er dann aus all diesen kleinen Schnipseln schafft, geht erstaunlicherweise nicht in dieser Vielzahl von Versatzstücken und Ideen unter, sondern ist tatsächlich etwas Eigenes und mehr als die Summe seiner Teile geworden.

In Wrights Traumlanden wird eine Welt gezeigt, die über die Grenzen der unseren hinausgeht und doch mit ihr verbunden ist. Je mehr Seiten man von The Last Guardian of Everness liest, desto unglaublicher scheint die schiere Menge an Mythen, Sagen und Geschichten, die Wright zu einem großen Mythos verknüpft hat. Alle Anspielungen zu verstehen, die aufgefahren werden, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit: Neben der Artussage, antiken Gottheiten und exotischeren Gestalten wie dem russischen Koschei stehen Schöpfungen Lord Dunsanys oder C.S. Lewis’ und etlicher anderer Schriftsteller. Das erstaunliche an diesem bunten Flickenteppich ist, dass Wright zwar mit so manchem Klischee bricht und all die Orte und Figuren zu einem großen Über-Mythos verbindet, ihnen aber trotzdem ihre Identität nicht nimmt: Eine Fee ist bei ihm letzten Endes trotz aller Brechungen doch eindeutig eine Fee, und ein Gott kann auf ungewohnte, aber dennoch stimmige Weise seine Mächte zum Einsatz bringen.

Bei all dem schweren Geschütz, das aufgefahren wird, ist The Last Guardian of Everness meistens trotzdem locker erzählt und verblüffend modern – so sind die Waylockschen Familienverhältnisse nicht die allerbesten, und mögen die Charaktere auch noch so phantastisch sein und gegen überirdische Gegner antreten, so kämpfen sie doch auch mit ganz alltäglichen Problemen. Die Handlungsstränge bieten einige gelungene Wendungen und sind auf äußerst spannende Weise miteinander verknüpft; Wright scheut sich auch nicht, einnehmende Figuren unerwartet abzuschießen.
Besonderen Genuss bereiten die wunderbaren Bilder, die Wright präsentiert – gigantische Kompositionen, die den Leser mit offenem Mund dasitzen lassen. Gerade zu Beginn des Romans jagt diesbezüglich ein Höhepunkt den nächsten, und man hätte sich durchaus einmal etwas Entspannung zwischendurch erhofft, wenn die Dichte der epischen Momente fast zu schön ist, um wahr zu sein. Atemberaubend ist es allemal, und jedes Detail vom kleinen Gedicht bis zum riesigen Panorama ist stimmig.
Eine diesmal rein inhaltliche Warnung zum Abschluss: Die Geschichte endet dann, wenn sie am schönsten ist, bzw. in einem absoluten Cliffhanger und erfordert eigentlich auch die Lektüre des zweiten und abschließenden Teils.

Long Walks, Last Flights von Ken ScholesIn 17 Kurzgeschichten nimmt Ken Scholes seine Leser mit auf Reisen durch die Zeit, in qualmende Ruinen, auf abgelegene Planeten, nach Paris, in eine amerikanische Kleinstadt, in die japanische Mythologie, kreuz und quer durch Fantasy-Welten und sogar in die Hölle …

-Meriwether Lewis stared down at the time-worn scrap of paper, holding it in his hands as if it were a rare butterfly too easily crushed.-
The Man With The Great Despair Behind His Eyes

Ken Scholes, inzwischen mit dem Roman Lamentation als Autor von epischer, post-apokalyptischer Fantasy zu Ehren gekommen, hat seine Karriere mit dem Schreiben von Kurzgeschichten begonnen. Diese erste Sammlung bietet einen guten Überblick über die thematische Bandbreite und das weite Feld von Stilrichtungen dieses ausgesprochen ideenreichen Schriftstellers.
Dabei ziehen sich die Themen Religiosität, Schuld und Mythos quer durch alle Geschichten und werden mehrfach beleuchtet, und Leser, die gerne tüfteln, finden reichlich Anspielungen auf historische Persönlichkeiten, im kulturellen Gedächtnis verankerte Ereignisse und Musik, Literatur und Film.
Psychologisch fein herausgearbeitete Figuren verankern die Geschichten, die verschiedenste Spielarten der Phantastik abdecken, in der Realität. Da lernt man zum Beispiel den Obdachlosen Fearsome Jones kennen, der mit seiner obsessiven Sammelleidenschaft versucht, über sein eigenes Versagen hinwegzukommen und dabei etwas aus dem Müll fischt, das ihn und seine Kumpels in höchste Schwierigkeiten bringt (Fearsome Jones’ Discarded Love Collection).
Oder den einfach gestrickten Trucker Jeb, der mit Hilfe eines geheimnisvollen Mädchens in der Hölle Erlösung findet, als er erkennt, daß ein Großteil der Hölle im eigenen Kopf entsteht (So Sang the Girl Who Had No Name).
Und einen Hibakusha – einen traumatisierten Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Japan – dessen Weg zurück zu sich selbst mit Gruppensitzungen in psychologischer Betreuung einerseits in die Realität Japans nach dem Zweiten Weltkrieg eintaucht, andererseits in die Welt der japanischen Mythologie und sogar der modernen Mythen über Japan in der westlichen Welt führt (Hibakusha Dreaming in the Shadowy Land of Death).

Ein zweiter Besuch in der Hölle aus So Sang the Girl Who Had No Name präsentiert mit Houdini und William Hope Hodgson zwei prominente Protagonisten, die eine Queste durch das symbolisch stark aufgeladene Leben nach dem Tod führt – mit den Mitteln und dem Selbstverständnis zweier Abenteurer des frühen 20. Jahrhunderts (Into the Blank Where Life is Hurled). Scholes’ Hölle mit ihren Monstern, surrealen Landschaften und einem dennoch routinehaften Alltag kann beispielhaft dafür stehen, wie geschickt der Autor mit seinen Settings und Ideen die Aufmerksamkeit des Lesers bindet und seine Neugier immer weiter füttert.
Der Zauberer und der Schriftsteller sind längst nicht die einzigen historischen Persönlichkeiten, die in den Kurzgeschichten auftreten: In The Man With The Great Despair Behind His Eyes begegnet man nicht nur der Expedition zur Pazifik-Küste von Lewis und Clark – die Erzählung ist gespickt mit Anspielungen quer durch die US-Geschichte, so daß man als Europäer mitunter Wikipedia bemühen muß.
Wiederum mit Gestalten des 20. Jahrhunderts spielt Summer in Paris, Light from the Sky, die problematischste Geschichte der Sammlung, in der man das Schicksal von Hemingway, Chaplin und Hitler in einer alternativen Realität verfolgt, in der alle drei aufgrund veränderter äußerer Umstände teils völlig anders verlaufende Lebenswege einschlagen. Scholes arbeitet hier mit dem stärksten vorstellbaren Kontrast zur Realität, um zu vermitteln, daß Monster und Heilige durch Einwirkungen von Außen geschaffen werden – das garantiert der Geschichte eine große Wirkung, verstärkt durch eine Rahmenhandlung, die aus fiktiven Zitaten besteht, wird aber nicht jedermanns Geschmack treffen.

Ein, wenn nicht sogar der Höhepunkt der Sammlung ist Edward Bear and the Very Long Walk, eine Art inverses Winnie-Pu-Abenteuer, in dem es den Spielzeugbären auf einen fremden Planeten verschlägt und der Leser Heldentum durch Stoffbären-Augen erfährt. Eine behutsame Überführung des Kinderbuch-Helden in die Science Fiction, die klassische Themen des Genres aufgreift und eine anrührende, epische Queste erzählt, dabei aber dem Stil der originalen Pu-Geschichten sehr treu bleibt und sie gleichzeitig auf den Kopf stellt. Eine Pflichtlektüre für alle, die noch ein Kuscheltier besitzen – aber Vorsicht: die Geschichte geht ans Herz.
Ebenfalls in ganz klassischen SF-Gefilden bewegt sich A Good Hair Day in Anarchy, das Western und Science Fiction auf eine Weise verbindet, die auch Fans der Serie Firefly zu schätzen wissen dürften. Lässiger Humor, ein schräges Setting in den gesetzlosen Außenbezirken des bewohnten Universums und eine clevere Geschichte machen das Ganovenstückchen um einen Frisör mit Vergangenheit zu einer runden und sehr vergnüglichen Lektüre.

Schon in Edward Bear and the Very Long Walk hat Scholes angedeutet, wie Mythen geboren werden, in The Santaman Cycle treibt er das Konzept auf die Spitze und beschreibt mit eleganter Hand eine nur lose im Bestehenden verankerte Schöpfungsgeschichte einer Welt nach der Apokalypse. Der epische Ton und die verwendeten Bilder funktionieren erstaunlich gut – nach den lediglich drei Seiten ist man fasziniert von den angerissenen Geschichten und der Welt, deren verschwommenes Bild sich vor dem inneren Auge zeigt.
In The Doom of Love in Small Spaces greift Scholes die Mythen aus dem Santaman Cycle noch einmal auf, erzählt aber eine relativ hermetische Geschichte, die kaum Episches anklingen läßt, sondern aufzeigt, daß die Bürokratie mit ziemlicher Sicherheit auch nach der Apokalypse erhalten bleibt.
In ähnlicher Weise funktioniert Of Metal Men and Scarlet Thread and Dancing with the Sunrise. Die Geschichte skizziert auf wenig Raum und mit großartigen Bildern eine Welt, die Scholes inzwischen mit dem auf diesem Ausschnitt basierenden Zyklus The Psalms of Isaak weiter erkundet hat. Das Potential der Figuren und der Welt ist auch in diesem kurzen Streiflicht nicht zu übersehen.

Einen nur leichten bzw. erst im Laufe der Geschichte anwachsenden phantastischen Einschlag hat sowohl das kurze, eindringliche Soon We Shall All Be Saunders, eine Parabel über die Entfremdung vom eigenen Selbst unter den Anforderungen der (Arbeits-)Welt, und That Old-Time Religion, das konsequent das Bild des zürnenden Gottes aus dem Alten Testament in eine amerikanische Kleinstadt transportiert.
Richtige Enttäuschungen wird man in Long Walks, Last Flights and Other Strange Journeys kaum finden, lediglich eine Handvoll Geschichten sind nicht ganz überzeugend durchkomponiert: So ist zwar Ken Scholes’ Ausflug ins Superhelden-Genre für einige Lacher gut und liefert zumindest eine überzeugende Grundidee, der Plot jedoch läßt zu wünschen übrig (Action Team-Ups Number Thirty-Seven), und auch One Small Step und East of Eden and Just a Bit South, beide mit Untertönen aus der Schöpfungsgeschichte, wirken nicht ganz überzeugend.
Abgeschlossen wird die Sammlung mit der Erzählung Last Flight of the Goddess, die vorab auch schon als Kurzroman erschienen war – einer Hommage an das Rollenspiel Dungeons & Dragons und die unsterbliche Liebe. In Rückblenden verfolgt man den Werdegang eines Abenteurer-Pärchens und gleichzeitig den Umgang mit dem Verlust eines Partners. Rollenspieler finden darin einiges zum Schmunzeln, und auch Fans klassischer Abenteuer-Fantasy dürften durch den warmen Erzählton, den augenzwinkernden Humor und die schrägen Ideen auf ihre Kosten kommen, allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Plot nicht über die ganze Länge trägt und eine Straffung hier und da nicht geschadet hätte.

Die Vielfalt der Geschichten, die Long Walks, Last Flights zu bieten hat, läßt letzten Endes keine Wünsche offen und zeigt eindrucksvoll, wie versiert Scholes in seinen Themen ist – sowohl als Chronist epischer, gewaltiger Ereignisse als auch als Beobachter des Zwischenmenschlichen und der seelischen Vorgänge. Besonders empfehlenswert ist darüber hinaus das Nachwort zur Entstehungsgeschichte der einzelnen Werke, das die Geschichten gut ergänzt und eine sprühende Kreativität durchblicken läßt, die ansteckend wirkt. Idee und Umsetzung sind fast durchgängig gleichermaßen gelungen, so daß man sich auf weitere Geschichten aus Scholes’ Feder nur freuen kann – er ist ein Meister dieses Fachs.

Die Magier von Montparnasse von Oliver PlaschkaDer Bühnenkünstler Ravi und seine Assistentin Blanche brechen nach ihrer letzten Zaubervorführung eine Grundregel: Anstatt wie üblich nur mit Illusionen zu spielen, verwenden sie echte Magie. Dabei geht jedoch etwas schief, und Paris ist in einer Zeitschleife gefangen: Jeder Tag beginnt wie der vorherige, und fast niemand in der Stadt scheint auch nur etwas davon zu ahnen.
Das Hotel Jardin im Künstlerviertel Montparnasse wird daraufhin zum Treffpunkt für mehrere äußerst außergewöhnliche Gestalten, die das Rätsel um die stillstehende Zeit zu ergründen versuchen. Nicht nur für Ravi und Blanche, sondern auch für das Personal des Jardin hat die Zeitschleife auf Dauer ungeahnte Konsequenzen.

-»Kreativität«, sagte Barneby, »ist eine Krankheit des Geistes, die einem Übermaß an Vorstellungskraft, gepaart mit einem Mangel an gesichertem Wissen, entspringt – genau wie Verfolgungswahn.«-
Magische Nächte

Zu Beginn der Geschichte scheinen die Vorkommnisse im Jardin noch sehr mysteriös und für den Leser unverständlich – man fühlt sich ähnlich wie die Kellnerin Justine: Sie bekommt zwar mit, dass etwas anders ist, und ihr fallen merkwürdige Einzelheiten auf, aber sie kann sich keinen Reim auf das Ganze machen. Anders als bei Justine werden die Erinnerungen des Lesers zum Glück nicht über Nacht wieder auf Null gesetzt, und so kommt man des Rätsels Lösung mit jedem verstrichenen Sonntag wieder einen Schritt näher.
Die Erleuchtung lässt jedoch eine ganze Weile auf sich warten. Es gibt einige Längen, insbesondere am Anfang von Tag 5 tritt die Handlung ziemlich auf der Stelle. Dafür zieht die Spannung auf den letzten 200 Seiten ordentlich an und das Ende enthält noch eine (zumindest für mich) unerwartete Wendung.

Durch die langwierigeren Passagen helfen die liebenswürdigen skurrilen Charaktere und verrückten Dialoge.
Plaschka verarbeitet bekannte Bibel- und Märchenmotive wie Adam & Eva oder Schneewittchen und verfremdet sie auf eine sinnvolle, interessante Weise. Auch das Stadtviertel Montparnasse entspricht sicher nicht ganz dem Paris der goldenen Zwanziger, ist aber doch deutlich erkennbar und sorgt für eine passende Kulisse.
Das Ganze wird garniert mit einer wohldosierten Portion Ironie, das Buch ist mit einem leichten Schmunzeln im Hinterkopf zu lesen (wie eine Autorenlesung eindrucksvoll bewiesen hat). Lässt man sich auf die Sprache, Atmosphäre und das Tempo des Romans ein, ist Die Magier von Montparnasse eine amüsant-rätselhafte Lektüre.

Der magische Wald von Paul KearneyMichael wächst bei seinen Großeltern auf einer abgelegenen irischen Farm auf. Im nahegelegenen Wald entdeckt er allerdings auf seinen zahlreichen Streifzügen Unheimliches: Speerbewaffnete Fuchsleute in der Abenddämmerung auf der anderen Seite des Flusses, unsichtbare Wesen, die ihn aus den Bäumen beobachten. Als er sich über den Fluss wagt und von der anderen Seite eine Trophäe mitbringt, dringt die andere Welt auch in sein friedliches Hofleben ein. Fasziniert und entsetzt zugleich zieht es Michael immer mehr in die Welt des Wildwalds, die nur ihm sichtbar und zugänglich ist.

-Für einen Erwachsenen, dem die Müdigkeit der Welt durch die Adern fließt, ist das Land überschaubar und ohne Geheimnisse – wie ein Schiffsmodell in einer Flasche.-
Kapitel eins

Ein Heranwachsender, der Übergänge in eine andere Welt findet und nutzt – das ist beinahe schon ein eigenes Genre innerhalb des Fantasy-(Jugend-)Buchs, an dem sich so viele Autoren versucht haben, dass das Konzept unendlich ausgewalzt wirkt. Paul Kearney hat sich der Thematik des Betretens einer Anderswelt in seinen ersten drei Romanen gewidmet, ehe er sich der heroischen Fantasy zuwandte. In Der magische Wald (A Different Kingdom) macht er daraus eine Hommage an die Vergangenheit seiner Heimat Nordirland und an das Erwachsenwerden, eine akribische Beobachtung der Entwicklung, die sowohl Land als auch Held vollziehen und die mit Wehmut begleitet wird.
Dabei gelingt es ihm, den Zauber der Jugend schon in den schlichten Szenen auf dem Bauernhof von Michaels Großeltern famos einzufangen: die Kinderwelt, in der jeder Wechsel der Jahreszeiten ein Abenteuer ist, die Freiheit, in die das Fremde sowohl in Form von neuen (schulischen) Pflichten eindringt, aber auch in Form von Sexualität – auch dieser Aspekt wird ohne Tabus angesprochen und als elementarer Bestandteil des Aufwachsens nimmt er einen Stellenwert ein, der sämtliche Jugendbuch-Assoziationen, die die Thematik vielleicht wachgerufen hat, schnell unter den Tisch fallen lässt. Gleichzeitig nimmt der Wald – der fremde und wilde Wald, der nicht mehr Bestandteil von Michaels Welt ist und zugleich seine Angst und seine Neugier weckt – immer mehr Raum in Michaels Leben ein.

In diesem Setting konnte Kearney seine Zuneigung zu seiner nordirischen Heimat, zum Gaelischen, zu den Überlieferungen einbringen, wobei die psychologisch ausgefeilte Darstellung seines heranwachsenden Helden nie zu kurz kommt. Das beschauliche Leben im ländlichen Irland ist historisch und kulturell stimmig portraitiert, die akribische Darstellung der Landwirtschaft kurz vor ihrer  Industrialisierung hätte John Seymour wohl Tränen in die Augen getrieben. Diese innerhalb von einer Generation verlorene Lebenswelt wirkt authentisch, vielleicht ein wenig idealtypisch dargestellt, dafür wird einem beim Lesen aber auch ganz warm ums Herz. Dahinter, weniger gemütlich, verbirgt sich immer die archaische, nicht domestizierte Waldwelt, ein phantastisches Irland voller Kelten, magischer Waldwesen und frommer Priester. Der Wald besticht weniger durch seine Details (z.B. gibt es bei den Wyrims, den Waldwesen, nur recht wenige genau zu unterscheidende Arten), sondern durch seine Erhabenheit, und genauso wie die Szenen in Michaels Heimat ein verlorenes Landleben beschwören, rufen die Waldszenen ‘Erinnerungen’ an ein von riesigen Wäldern bedecktes Europa wach, dem der Mensch nur kleine, fragile Bastionen abringen konnte.

Michaels Abenteuer führen immer tiefer in den Wald, immer weiter weg von seiner realen Welt. Die verschachtelte Erzählung auf drei Zeitebenen, die man erst nach und nach zu einem kompletten Bild zusammensetzen kann, tut das ihre dazu, um zu klären, dass die Heldenreise noch weitere Dimensionen aufweist. Die Geschichte des erwachsenen Michael Fay gerät dabei etwas knapp, was aber im Kontext das Gefühl unterstreicht, dass er nach dem Kontakt mit der Anderswelt nicht mehr in und mit den Anforderungen der echten Welt zurechtkommt – die Geschichte vom Menschen, der durch einen kurzen Aufenthalt unter dem Elfenhügel tatsächlich hundert Jahre verpasst hat, wird hier auf sehr clevere Weise variiert. Dazu passt auch das stimmige, aber relativ einfach abgehandelte Ende, das den Kreis schließen kann.

Der magische Wald öffnet für den Leser Tore in mehrere fremde Welten und kann mit dem perfekt eingefangenen Charme der Jugend verzaubern, lässt die Veränderungen im jungen Selbst mit einer sich verändernden Welt korrespondieren und zeigt einen nicht rundum tröstlichen, sondern durchaus auch grusligen und fremdartigen archaischen Zufluchtsort eines Menschen, der an den nötigen Anpassungen zu scheitern droht und sich nicht von der Zivilisation zähmen lässt.

20.000 Meilen unter dem Meer von Jules VerneAls Ende des 18. Jh. die Meldung von einem ,,riesigen Seeungeheuer” durch die Weltpresse geht, schließen sich der Naturkundler Pierre Arronax zusammen mit seinem Diener und der Walfänger Ned Land einer Expedition an, die das Tier finden und zur Strecke bringen soll. Bald ist das Objekt ausgemacht, doch als die Jagd beginnt, setzt sich der vermeintliche Wal heftig zur Wehr; die drei Freunde werden über Bord gespühlt. So gelangen sie an Bord des unglaublichen Unterseebootes “Nautilus”, mit dem sie sich, gemeinsam mit dem rätselhaften Kapitän Nemo und seiner Mannschaft, auf eine phantastische Kreuzfahrt durch die sieben Weltmeere begeben …

-Eine seltsame, unerklährliche Naturerscheinung erregte im Jahr 1866 großes Aufsehen.
Die Bevölkerung war durch Gerüchte beunruhigt; Matrosen und Kapitäne, Kaufleute und Reeder sowie Offiziere der Kriegsmarine gerieten in Aufregung, ja sogar die Regierungen in Europa und Amerika schalteten sich ein.-

Eines vorweg: Wer actiongeladene, rasante Unterwassergefechte und ergreifende Romantik erwartet, der wird von diesem Buch enttäuscht sein. In weiten Teilen gleicht es nämlich eher einer utopischen Studie als einem Roman.
Jules Verne schickt den Leser mit seinen Helden auf eine Entdeckungsreise in die Welt unter Wasser, bei der sein Gespür für Zukunftstrends deutlich wird. Es ist schon erstaunlich, wie die beschriebenen Technologien den heutigen ähneln, obgleich Autor und Gegenwart über ein Jahrhundert trennen.
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des Forschers Pierre Arronax, der eher ein Mittel zum Zweck denn ein echter Charakter zu sein scheint. Die Ereignisse werden meist (wie für die damalige Literatur üblich) recht neutral und unbeteiligt geschildert, so dass auch der Leser stets eine gewisse Distanz wahrt. Nur gelegentlich sind dramatische oder emotionale Momente zu spüren. Zumal ist Arronax ein Forscher, das heißt, er interessiert sich meist nur für die naturwissenschaftliche Komponente der Reise.
Und hier liegt auch einer der Schwachpunkte der Geschichte: Viel von dem, was Jules Verne erdachte, ist heute entweder wissenschaftlich belegt und bekannt, sodass der Leser eher gelangweilt ist, oder es ist widerlegt, was die auf Realitätsnähe ausgelegte Geschichte unglaubwürdig werden lässt. Was heutzutage ebenfalls befremdlich anmutet, ist der Umgang mit Natur und Tierwelt. Da werden schonmal die “bösen” Pottwale herdenweise von der “guten” Nautilus abgeschlachtet, weil sie ja so fies sind. Damals sicher ein verbreiteter Standpunkt, heute eher empörend.

Aber das Buch hat durchaus auch seine guten Seiten. Gerade am Anfang kann man sich unglaublich gut in die Geschichte hineinträumen, in die einmalige Atmosphäre unter dem Meer und an Bord der Nautilus. Jules Verne beschreibt das Panorama der unterseeischen Wildnis und die barock anmutende Borddeko des Bootes oft so lebendig (wenn auch sparsam), dass man sich sehnsüchtig dorthin wünscht. Der zweite grosse Pluspunkt ist die Figur des Kapitän Nemo. Geheimnisvoll und verschlossen, aber dennoch höflich, wird der Leser bis zuletzt im Unklaren über dessen Identität gelassen. Der Kapitän ist das Mysterium, das Unbekannte, das die Spannung stets aufrechterhält.
Gegen Ende wiederholt sich der Autor dann oft; das Buch bietet wenig neues mehr, nur zum Showdown wird’s nochmal spannend. Ab und an werden seitenweise unwichtige geschichtliche Zusammenhänge erörtert, was der Spannung auch nicht gerade gut tut. Dennoch habe ich die Lektüre dieses Buches nicht bereut; am Ende überwogen doch die positiven Aspekte.
Wer ein wenig vom Ozean träumt, der sollte einen Blick riskieren.

Cover des Buches "Der Meister und Magarita" von Michail BulgakowMoskau in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts: Berlioz, der Chefredakteur einer Literaturzeitschrift und der Lyriker Iwan Ponyrew, genannt Besdomny, diskutieren auf offener Straße darüber, ob Jesus je gelebt hat. Da mischt sich ein Fremder in das Gespräch, der behauptet, er wisse genau, daß Jesus gelebt hat, denn er sei bei der Passion Christi dabeigewesen, übrigens habe er auch mit Kant gefrühstückt und Berlioz würde noch heute abend der Kopf vom Rumpf getrennt. Offensichtlich haben es Berlioz und Besdomny mit einem Irren zu tun. Doch als am gleichen Abend Berlioz tatsächlich seinen Kopf verliert, weiß Besdomny, daß der Unbekannte keineswegs verrückt ist. Er versucht, die Miliz zu alarmieren, was zur Folge hat, das Besdomny in die Psychiatrie eingeliefert wird, da ihm natürlich kein Mensch glaubt. Dort trifft er auf den Meister, der gerade seinen Roman über Pontius Pilatus verbrannt hat. Währenddessen treibt der Teufel höchstpersönlich sein Unwesen in Moskau und verwandelt die ganze Stadt in ein Tollhaus.

-An einem ungewöhnlichen heißen Frühlingstag erschienen bei Sonnenuntergang auf dem Moskauer Patriarchenteichboulevard zwei Männer.-
Sprechen Sie nie mit Unbekannten

Der Meister und Margarita (Master i Margarita) ist eine phantastische Satire auf das stalinistische Moskau, mit Anspielungen auf Goethes Faust und auf russische Schriftsteller wie Dostojewski oder Gogol.

Dieser Roman spielt auf verschiedenen Ebenen.
Bulgakow schildert einmal, was der Satan in Moskau anrichtet. Er nennt sich “Voland”, tritt im Varieté als Magier auf und entlarvt mit seinen grotesken Zauberkunststückchen die Habgier, die Heuchelei und die Schlechtigkeit der Menschen. Außerdem gibt er einen Frühlingsball, auf dem die Geister verstorbener Sünder erscheinen. Alle, die nähere Bekanntschaft mit Voland schließen, wandern in die Psychiatrie, nur eine nicht: Margarita.

Margaritas Liebesgeschichte mit dem Meister bildet die zweite Ebene des Romans. In die Schilderung des Moskauer Geschehens werden Kapitel aus dem Roman des Meisters eingestreut. Dieser Roman behandelt verfremdet die Passion Christi und das Verhältnis zwischen Jesus und Pontius Pilatus.

Das ist die dritte Ebene des Romans. Die unverhohlenste Kritik an dem real existierenden Kommunismus unter Stalin äußert Bulgakow in der Passionsgeschichte und sagt damit gleichzeitig den Untergang des Sowjetregimes voraus. Jeschua erwidert Pontius Pilatus, der ihn verhört:

“Ich habe ihm unter anderem gesagt, … daß von jeder Staatsmacht den Menschen Gewalt geschehe und daß eine Zeit kommen werde, in der kein Kaiser noch sonst jemand die Macht hat.”

Zwar handelt es sich bei Der Meister und Margarita um anspruchsvolle Literatur, trotzdem ist das Buch leicht zu lesen, auch wenn dem Leser ab und an ein Wort begegnet, das ihm nicht geläufig ist. Um den Roman zu verstehen, ist es aber hilfreich, wenn man eine Vorstellung über das Leben im Moskau der dreißiger Jahre besitzt oder wenn man zumindest Erfahrungen mit der DDR gemacht hat. Sonst wird man kaum nachvollziehen können, warum die Menschen sich wegen einer Wohnung korrumpieren lassen oder warum Devisen eine so wichtige Rolle spielen.

Cover von Eine Milliarde Jahre vor dem Weltuntergang von Arkadi & Boris StrugatzkiIn einer etwas heruntergekommenen Stadt in der Sowjetunion während eines brütend heißen Sommers sitzt der Astrophysiker Maljanow an seiner Arbeit und steht vor einer großen Entdeckung, doch ständig wird er von seinen Berechnungen abgelenkt. Seltsame Dinge passieren, nicht nur ihm, sondern auch seinen Freunden, dann wird sein Nachbar tot aufgefunden und plötzlich steht die Geheimpolizei vor seiner Tür …

-Waingartens Recht auf die Freiheit wissenschaftlicher Neugier. Keine schlechte Ware, Alter, das musst du zugeben! Wenn auch ein Ladenhüter!- S. 366

Eine Milliarde Jahre vor dem Weltuntergang. Eine unter seltsamen Umständen aufgefundene Handschrift (auch bekannt als Milliarden Jahre vor dem Weltuntergang. Eine unter seltsamen Umständen aufgefundene Handschrift) liest sich die ganze erste Hälfte über wie ein spannender Mystery-Thriller, ein Ereignis jagt das nächste, Verschwörungstheorien werden gesponnen und wieder verworfen, doch Maljanow und seine Freunde tappen im Dunkeln und mit ihnen der Leser oder die Leserin.

An diesem Punkt vollzieht der Roman eine gelungene Wendung zum Lebensphilosophischen, weg von Verschwörungstheorien, hin zu der Frage, wie weit der Einzelne zur Verwirklichung seiner Überzeugungen gehen soll und kann, wenn es doch andere leichtere, für ihn und seine Familie sicherere oder sogar (vermeintlich) lohnenswertere Wege gibt, die eben nicht zu diesem Ziel führen. Auch wenn darin der Entstehungskontext des Romans – die Sowjetunion – deutlich erkennbar ist, zeigt sich ebenso, wie zeitlos diese Thematik ist. Arkadi und Boris Strugatzki verstehen es außerdem, das Wackeln mit dem moralischen Zeigefinger zu unterlassen und zugleich den Leser/die Leserin auf den Boden allzu menschlicher Tatsachen herunterzuholen, ohne dabei der Resignation anheimzufallen. Dies gelingt ihnen vor allem durch die sehr gelungen skizzierten Figuren, anhand derer die vielen Ambivalenzen des Themas beleuchtet werden und die einem, trotz der Kürze des Romans, bald ans Herz gewachsen sind. Zumal durch sie immer wieder auch eine feine Prise Humor ihren Weg in die Handlung findet und für angenehme Auflockerung sorgt.

Der Roman ist jüngst in Band 2 der Werkausgabe der Gebrüder Strugatzki (ISBN: 978-3-453-52631-0) neu aufgelegt worden und wird darin durch einen knappen Kommentar von Boris Strugatzki zur Entstehung desselben sowie durch ein Verzeichnis literarischer und filmischer Zitate ergänzt, das wunderbar aufzeigt, mit wie vielen Anspielungen die Strugatzkis gearbeitet haben und das als Startpunkt für weitere Recherchen dienen kann, denn mehr als bibliographische Angaben zum zitierten Werk enthält das Verzeichnis nicht.

Moon Called von Patricia BriggsMercy ist was Besonderes. Es könnte daran liegen, dass sie Mercedes heißt und eine Volkswagenreparaturwerkstätte betreibt, an ihren Tatoos, an ihren seltsamen Freunden (eine Adoptivfamilie von Werwölfen, ein Undercoverpolizist mit einer besonderen Gabe; ein Gremlin, der in Harvard studiert, und noch mehr) oder daran, dass sie eine Art Gestaltwandlerin ist und sich in einen Koyoten verwandeln kann. Wie auch immer. Als Nachbarskind und pupertäre Neunmalkluge Jesse entführt und deren Vater (der ganz nebenbei der Anführer des örtlichen Werwolfrudels ist) beinahe getötet wird, muss sie beweisen, was in ihr steckt. Dabei hat sie mit arroganten Werwölfen, anmaßenden Ex-Freunden und böswilligen Geschöpfen der Nacht zu tun.

-A werewolf tossed me against a giant packing crate while I was trying to rescue a frightened young girl who’d been kidnapped by an evil witch and a drug lord.-

Die größte Stärke von Moon Called (Ruf des Mondes)ist die Protagonistin Mercedes Thompson alias Mercy. Sie ist ein erfrischender weiblicher Charakter mit Ecken und Kanten. Einerseits heben sich ihre soziale Stellung und äußeres Erscheinungsbild stark von der Norm ab (das Coverbild trifft sie perfekt), andererseits bietet sie hohes Identifikationspotential, da sie eine bewundernswerte Persönlichkeit ist. Mercy ist sexy ohne billig zu wirken, ist stark, kann aber Schwäche zulassen, ist unabhängig und doch eine engagierte Freundin. Sie ist stur, weiß aber, wann sie nachgeben muss, hat Humor, obwohl sie es nicht immer leicht hat und vor allem, sie ist eine Frau, kein Mädchen. Kurz, Mercy ist eine “gewachsene” Persönlichkeit, die man auch im realen Leben gerne kennen würde.
Den zweiten Riesen-Pluspunkt können die Nebencharaktere für sich verbuchen. Normalerweise besteht bei einer derart starken Hauptfigur die Gefahr, dass die Nebencharaktere blass wirken oder ins Stereotypenhafte abgleiten – das Gegenteil ist der Fall. Sie wirken unglaublich real und sind selbst starke Sympathieträger. Als # starb, hätte ich am liebsten geheult, obwohl ich ihn erst seit einigen Seiten kannte. Außerdem gehören Briggs Charaktere den verschiedensten ethnischen und sozialen (Rand-)Gruppen an (und damit meine ich nicht das Feenfolk und andere Zauberwesen). Weiß, männlich und protestantisch bildet hier die Ausnahme von der Regel. Und wenn man sieht, wie vielschichtig und ausbaufähig die Haupt- als auch die Nebenfiguren sind, kann man erkennen, dass der Autorin mehr als nur eine Geschichte unter den Nägeln brennt.
Die Geschichte selbst ist gut und spannend geschrieben, selten vorhersehbar und nebenbei ist auch eine Love-Story am köcheln (Kitschfaktor kleiner gleich Null). Für deutsche Leser besonders amüsant sind die eingebauten dt. Heldensagen und deutsche Konversationsfetzen – einfach süß!
Nur gegen Ende gibt es ein, zwei kleinere Wehwehchen, die wahrscheinlich durch überhastetes Schreiben zustande gekommen sind. Einmal weicht Patricia Briggs vom obersten Gebot der Autorenzunft ab (“show, don’t tell”) und lässt zwei Figuren (Mercy und Christiansen) einander die Handlung samt gegenwärtigem Stand der Verschwörungstheorie erklären. Es reißt den Leser aus dem bis dato flotten Tempo heraus und wirkt etwas unbeholfen. Auch vom eigentlichen Gegenspieler, der die Fäden im Hintergrund zieht, hätte ich mir mehr erwartet als die letztendlich etwas lahme Konfrontation. Aber bitte, bitte, lasst euch nicht von meiner etwas pingeligen Kritik davon abhalten, dieses fantastische Buch zu lesen!

Cover des Buches "Münchhausen erzählt" von Gottfried August BürgerDer Baron Münchhausen, ein passionierter Waidmann und Reisender aus Leidenschaft, erzählt am Abend bei einem Glas von seinen haarsträubenden Abenteuern. So erzählt er, wie er sich selbst am eigenen Zopf samt Pferd aus dem Sumpf zog, wie er auf einer Kanonenkugel ritt um den Feind auszuspähen, wie er von Riesenfischen verschlungen wurde, zum Mond reiste und unzähliges mehr.

-Ich trat meine Reise nach Rußland von Haus ab mitten im Winter an, weil ich ganz richtig schloß, daß Frost und Schnee die Wege durch die nördlichen Gegenden von Deutschland, Polen, Kur- und Livland, welche nach der Beschreibung aller Reisenden fast noch elender sind als die Wege nach dem Tempel der Tugend, und man, ohne besondere Kosten hochpreislicher wohlfürsorgender Landesregierungen, ausbessern müßte.-
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Angesiedelt ist die Erzählung in den verschiedensten Regionen der Erde des späten 18. Jahrhunderts (das zweite Seeabenteuer beginnt 1766). Es werden so unterschiedliche und exotische Gebiete besucht wie das winterliche Russland, Ceylon oder das Osmanische Reich mit Konstantinopel und Alexandria. Doch eingehende Beschreibungen gibt es nicht – ganz explizit sagt Münchhausen, er wolle seine Zuhörer nicht mit derartigen Alltäglichkeiten langweilen. Erst in der zehnten Seereise, in der er zum Mond segelt, und der Reise durch die Erde wird etwas über die Bewohner und Umwelt an sich berichtet, da sie selbst schon Lügen sind. Kurzum: Kein Ding, welches der Leser kennen könnte, wird eingehend beschrieben.

Eine Geschichte im herkömmlichen Sinne gibt es nicht; Münchhausen erzählt seinen Zuhörern eine Reihe von erlogenen Anekdoten, die im besten Falle marginal mit einander verknüpft sind. Münchhausens Abenteuer als kohärente Geschichte ist eine Leistung des modernen Films, eine Konzession an die Sehgewohnheiten der Zuschauer.
Die Lügenmärchen aber haben es in sich: Es sind nicht bloß unglaubwürdige Lügen, sondern Parodien jeglicher Form auf die (damaligen) Verhältnisse und Reiseerzählungen, insbesondere des sprichwörtlich gewordenen “Jägerlateins” und des “Seemannsgarns”. So bekennt ein Begleiter Münchhausens der Sohn einer Prostituierten und des Papstes zu sein oder Münchhausens Hündin wirft (auf der Jagd) natürlich ebenso viele Welpen, wie die verfolgte Häsin selbst Junge wirft – selbstverständlich werden alle gefangen.
Aufgrund dieser extremen Zuspitzung können weder Alltäglichkeiten noch Charaktere beschrieben werden.

Sprachlich ist das Werk ebenfalls sehr gelungen und den Gegebenheiten wunderbar angemessen; manchen mag allerdings dieses altertümliche Deutsch, welches bisweilen reichlich verschachtelt ist, abschrecken. Bürger gelingt es immer wieder bekannte Ausdrücke einzuflechten und dem Stil der volkstümlichen Erzählung anzupassen.
Die Bewertung fällt sehr schwer, da es ein sehr spezielles Werk ist; vieles, was in anderem Zusammenhang negativ zu werten ist, ist hier beabsichtigt. Wer also die Prämissen akzeptieren kann, der wird ein einmaliges Lügenmärchen aufgetischt bekommen. Wer die Prämissen nicht teilen mag, der sollte einen großen Bogen um den Münchhausen machen.

Eine Bemerkung zur Textgeschichte: Die erste schriftliche Fassung dürfte das 1781 in Berlin veröffentlichte Vade Mecum für lustige Leute, enthaltend eine Sammlung angenehmer Scherze, witziger Einfälle und spaßhafter kurzer Historien aus den besten Schriftstellern zusammengetragen, Achter Teil sein. In diesem hatte ein Unbekannter einige Geschichten des berüchtigten (realen) Münchhausen aufgeschrieben. 1785 erschien in England allerdings Baron Munchhausen’s Narative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia, geschrieben hatte es der flüchtige Rudolf Erich Raspe (er hatte eine Münzsammlung gestohlen und verkauft; darauf musste er nach England fliehen). 1786 schon erschien eine zweite Auflage, (von Raspe) erweitert um die Seeabenteuer. Im selben Jahr erschien in Göttingen (London als Druckort war vorgetäuscht) das Werk Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. Doch dieses war keineswegs eine bloße Übersetzung; vielmehr hat Bürger dem Text die gelungene Form gegeben und wohl auch etwas erweitert.
Seitdem erfreut sich der Text enormer Beliebtheit und auch andere Herausgeber behandelten diesen nach eigen Gesichtspunkten; Episoden wurden in eine neue Reihenfolge gebracht oder ganz ausgelassen (die Prostituierte und der Papst fehlen häufig), sie wurden nacherzählt und umformuliert, schließlich wurden sie (durch den Film) in einem kohärentem Zusammenhang gebracht; es lassen sich also kaum zwei textidentische Auflagen finden.
Doch das Lügenmärchen hörte durchaus nicht mit Lord Dunsanys Jorkens-Geschichten auf zu bestehen; auch in neuester Zeit finden sich Lügenmärchen. Dem Fantasy-Leser könnten Geschichten wie Wilde Reise durch die Nacht oder Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär, jeweils von Walter Moers, bekannt sein.

Wer die Geschichte Online lesen mag, der kann dieses auf den Seiten des “Gutenberg-Projektes” machen; weitere interessante Details finden sich hier: http://www.munchausen.org/.

Der Nachtzirkus von Erin MorgensternDer Zirkus erscheint plötzlich. Er ist nur bei Nacht geöffnet und seine Zelte, seine Akteure, alles ist ganz und gar schwarz und weiß. Hellseher, Illusionisten, Zelte, die in die Wolken oder in weiße Gärten aus Eis führen. In seinem Zentrum brennt ein weißes Feuer, das niemals erlischt. Der Nachtzirkus ist anders als jeder normale Zirkus, er ist der Inbegriff der Mystik.
Doch was niemand weiß: er ist das neue Spielbrett zweier sehr alter Magier, die ihre eigenen Schüler gegeneinander antreten lassen – in einem Wettstreit um Leben und Tod. Es gab schon viele Schüler, und nun gibt es zwei Neue: Celia und Marco wachsen getrennt voneinander auf, werden verschieden ausgebildet, gefangen in einem lebenslangen Spiel, dessen Regeln sie nie erfahren.

– Der Zirkus kommt überraschend.
Es gibt keine Ankündigung, keine Reklametafeln oder Plakate an Litfaßsäulen, keine Artikel und Zeitungsanzeigen. Plötzlich ist er da, wie aus dem Nichts. –
Gespannte Erwartungen

Zu Der Nachtzirkus liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Johannes Cabal the Necromancer von Jonathan L. HowardJohannes Cabal hätte vom Teufel gerne seine Seele zurück, die er gegen nekromantische Expertise eingetauscht hatte, möchte sein Wissen aber behalten. Also muss er eine Wette eingehen, wenn er es schafft 100 Seelen innerhalb eines Jahres für die ewige Verdammnis zu lukrieren, erhält er seine zurück. Und welches Mittel stellt der Teufel dem unterkühlten, streng-rationalen Johannes Cabal zur Verfügung? Natürlich ein eingestampftes höllisches Jahrmarktsprojekt …

-“Lo!” cried the demon. “I am here! What dost thou seek of me? Why dost thou disturb my repose? Smite me no more with that dread rod!” He looked at Cabal. “Where’s your dread rod?” “I left it at home,” replied Cabal. “Didn’t think I really needed it.”- p. 2

The Necromancer (Seelenfänger) tritt mit dem Anspruch auf, Grusel mit Funtasy zusammenzubringen, und ist gleichzeitig der Debutroman von Jonathan L. Howard. Dabei sieht sich das Buch mit einer generellen Schwierigkeit der Funtasy konfrontiert: Witz und Komik allein tragen den Leser oder die Leserin nicht durch das ganze Buch. Die Wahl eines Faustianischen Grundthemas mit den inzwischen schon stereotypen Elementen und Figuren kann dieses Manko nicht vollkommen ausgleichen, weshalb die Handlung des Romans hauptsächlich von den Schwierigkeiten und Konflikten getragen wird, die sich beim Organisieren des Jahrmarkts und dem Sammeln der Seelen ergeben. Da aber fast jedes größere Ereignis mit einem mehr oder weniger ausführlichen Exkurs eingeleitet wird, die Aufgaben relativ in sich geschlossen sind und keine tiefergehende Verknüpfung mit der eigentlichen Handlung besitzen, wirkt der Roman recht episodenhaft. Dies führt einerseits dazu, dass es dem Roman an innerer Kohärenz fehlt, und manche dieser Geschichten haben auch ihre Längen, andererseits stecken in diesen Geschichten oft sehr atmosphärische Szenen, die Howard mit seinem Hang zu ausführlichen Beschreibungen zu erzeugen versteht, und eine pointierte Erzählweise.

Der Funtasy-Aspekt ist ein zweischneidiges Schwert. Seinen größten Witz entfaltet der Roman dann, wenn Howard seiner Erzählerstimme einen ironischen Unterton verpasst, um die Erzählelemente von Horror- und Gruselgeschichten durch den Kakao zu ziehen. So ist der abgeklärte Johannes Cabal, der den pompösen Ritualen der schwarzen Magie und ihren Kreaturen mit distanzierter Missachtung begegnet, eine erfrischend witzige Abwechslung. Was Komik anbelangt, lässt Howard aber auch sonst nichts unversucht, von Slapstick-Humor über (mal mehr, mal weniger gut gelungene) intelligent-sarkastische Dialoge bis hin zu popkulturellen Anspielungen ist alles dabei. Zum Manko wird die Komik, wenn fast jede Szene eine humoristische Wendung nehmen muss. Dies bricht sehr oft mit der zuvor aufgebauten Atmosphäre und/oder der Figurenentwicklung, zumal der Versuch, den Akteuren und ihren Dialogen Witz und Pointen einzuhauchen, nicht immer geglückt ist und dann bemüht wirkt. Dies bessert sich jedoch deutlich im Verlauf des Romanes, der Humor wird ab dem zweiten Drittel gezielter und pointierter eingesetzt. Allerdings ist gerade dieser Aspekt des Buches sehr schwer einzuschätzen, da Humor bekanntermaßen eine sehr subjektive Angelegenheit ist.

Der Humor ist es auch, der einem Johannes Cabal näherbringt. Dieser ist alles andere als ein strahlender Held, seine Kälte und Rücksichtslosigkeit machen ihn nicht gerade zu einem Sympathieträger, seine trockenen und bissigen Kommentare gleichen dies aber teilweise wieder aus. Außerdem erhält er im Verlauf der Geschichte durch Rückblenden und Entwicklungen zunehmend Substanz (und Menschlichkeit), um nicht zum Abziehbild zu verkommen. Schon sehr bald bekommt er auch eine Riege an Begleitern, unter denen sich einige Sympathieträger befinden und die Dynamik in die Figurenkonstellationen bringen. Als heimlicher Held erweist sich bei seinen wenigen detailreicheren Auftritten der Jahrmarkt selbst, in den Howard einige sehr gelungene und witzige Ideen einfließen lässt.
Zum Ende des Buches werden jedoch Handlung, Grundthema und Figurenkonflikte gut zusammengeführt, sodass man wirklich von einem Finale sprechen kann. Gleichzeitig eröffnen sich neue Thematiken als Grundlage für die weiteren Bände der Reihe.

The Necromancer ist also ein solider Roman, auch wenn beim Humor anfangs weniger mehr gewesen wäre. Die englische Ausgabe lohnt sich nur für Leute mit gehobeneren Englischkenntnissen, allen anderen sei die deutsche Ausgabe empfohlen, die mit ihrem leicht Burtonesken Cover durchaus mit dem Original mithalten kann.

The Night Circus von Erin MorgensternDer Zirkus erscheint plötzlich. Er ist nur bei Nacht geöffnet und seine Zelte, seine Akteure, alles ist ganz und gar schwarz und weiß. Hellseher, Illusionisten, Zelte, die in die Wolken oder in weiße Gärten aus Eis führen. In seinem Zentrum brennt ein weißes Feuer, das niemals erlischt. Der Nachtzirkus ist anders als jeder normale Zirkus, er ist der Inbegriff der Mystik.
Doch was niemand weiß: er ist das neue Spielbrett zweier sehr alter Magier, die ihre eigenen Schüler gegeneinander antreten lassen – in einem Wettstreit um Leben und Tod. Es gab schon viele Schüler, und nun gibt es zwei Neue: Celia und Marco wachsen getrennt voneinander auf, werden verschieden ausgebildet, gefangen in einem lebenslangen Spiel, dessen Regeln sie nie erfahren.

– The Circus arrives without warning.
No announcements precede it, no paper notices on downtown posts and billboards, no mentions or advertisements in local newspapers. It is simply there, when yesterday it was not.
The towering tents are striped in white and black, no golds and crimsons to be seen. No color at all … –
Anticipation, S. 3

Erin Morgenstern liefert mit ihrem Debütroman The Night Circus (Der Nachtzirkus) ein ungewöhnliches und nachhallendes Lesevergnügen ab. Zunächst erscheint einem die Entscheidung, im Präsens zu erzählen, sehr gewöhnungsbedürftig, doch nach einer Weile stellt sich dadurch verstärkt der Eindruck ein, das Ganze direkt mitzuerleben. Durch die episodenhafte Aufteilung der Kapitel und einer nicht chronologischen Erzählstruktur, die in der Zeit vor und zurück springt, erfährt man zunächst auch nur die grobe Rahmenhandlung und ist darüber hinaus als Leser ebenso ahnungslos wie die beiden Spielfiguren Celia und Marco. Die Autorin schildert die Welt dabei sehr plastisch und schafft es trotz einer wenig ausgefallenen Sprache, Leben in jedes Zelt und jeden Charakter zu hauchen. Als Freund bildhafter Beschreibungen ist man mit The Night Circus daher gut beraten. Doch auch die Ideen selbst verstehen zu faszinieren, es ist beinahe enttäuschend, dass man als Leser nicht die Chance hat, den Zirkus leibhaftig zu besuchen.

Anfangs bleibt lange unklar, was die eigentliche Handlung dieses Romans ist und was der Zirkus damit zu tun hat. Man entdeckt gerne jedes einzelne Zelt und kann sich als Leser an den wunderbaren Ideen und Beschreibung ergötzen, doch was der Zweck des Ganzen ist, wird nur vage angedeutet. Erst nach und nach setzen sich ab Buchmitte alle Episoden zu einem großen Puzzle zusammen. Die Handlung erstreckt sich über ca. 30 Jahre und wird durch die Sprünge in der Erzählung bereits komplex, doch auch die Beweggründe und das Verhalten der Protagonisten werden erst dann nachvollziehbar, wenn man sich immer mal wieder einen Moment Zeit nimmt, um sich in die Figuren hineinzuversetzen und über ihr Handeln und ihre Reaktionen nachzudenken. Das Buch macht einen traurig und glücklich zur selben Zeit, wenn man versteht, was das alles für die betroffenen Charaktere und ihr Leben bedeutet. Dieses Gefühl spiegelt auch perfekt wider, wie der Nachtzirkus – The Circus of Dreams – auf seine Besucher wirkt, und erklärt, weshalb ihm eine Schar von Menschen rund um den Globus folgt. Er berührt Sehnsüchte nach Geheimnissen, Magie und Mystik in der Welt.
Es erwarten einen hier keine großen Spannungsmomente, keine epischen Schlachten, nicht einmal aufgebauschte Dramatik oder ein fulminantes Finale. The Night Circus schafft es auf ganz alltägliche, sanfte Weise ergreifend und faszinierend zu sein, angereichert mit einem Hauch von Magie, die sich nicht in bombastischen Effekten zeigt, sondern im Erschaffen von Attraktionen. Für den Romantiker wird auch bald ersichtlich, dass … nein, das wollen wir an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel: das Verhältnis zwischen Celia und Marco entwickelt sich auf erwachsene und beiläufige Weise, vermag es aber trotz hintergründigem Ablauf, die Pläne der beiden Wettväter gründlich zu stören und den Wettstreit zu einem noch grausameren Akt zu machen, als er es ohnehin schon ist.

Neben stark gezeichneten Charakteren, die mit jedem Kapitel mehr Persönlichkeit bekommen und einen dazu bewegen, Interesse an ihrem Leben zu entwickeln, ist vor allem die Idee interessant, wahre Magie hinter technischen Konstrukten zu verstecken um sie glaubhaft zu machen. Der Roman spielt in unserer realen Welt um 1870 bis ca. 1900, später wird auch ein noch deutlich neueres Datum angedeutet – das einen von Schmunzeln begleiteten Aha-Effekt auslöst – und so bleiben die Magier selbstbestimmt unerkannt und verbergen ihre Talente hinter dem Scheinbild des Zirkus. Bei allem hat man stets eine gewaltige Welt aus feinen, detaillierten Scherenschnitten vor Augen, sobald man den Zirkus betritt, was sicherlich der reduzierten Farbgebung und künstlerischen Beschreibung zu verdanken ist.

The Night Circus ist keine schnell zu verschlingende Lektüre. Daher die Warnung: wer leichte Kost für zwischendurch sucht, wird mit diesem Roman sicher nicht glücklich werden. Allen, die Bücher vor allem emotional erleben und erfühlen wollen, ist dieser faszinierende, ruhige Roman dagegen dringend zu empfehlen. Ansonsten verhält es sich mit The Night Circus wie mit der Farbgebung der Zelte in schwarz oder weiß: Entweder man liebt es oder man hasst es, dazwischen dürfte es kaum Graustufen geben.

The Ocean at the End of the Lane von Neil GaimanEin Mann mittleren Alters kehrt zum ersten Mal seit Jahrzehnten an den Ort zurück, an dem er aufgewachsen ist. Von einem Gefühl getrieben findet er sich auf dem Bauernhof der Hempstock-Frauen wieder und langsam kehren die Erinnerungen an seine Kindheit zurück. An den einen Sommer, als die Hempstocks seine Nachbarn waren, als er mit der jüngsten der drei Frauen, Lettie, auszog, um einem unbenannten Bösen das Fürchten zu lehren. Und an den Preis, den er für seine Neugier bezahlen musste. Denn Magie fordert immer ihren Preis und hinterlässt ihre Spuren, wo man sie nicht erwartet. Und manchmal findet sie sogar ihren Weg an den Ort, an dem man ihr lieber nicht begegnen würde …

-Lettie Hempstock said it was an ocean, but I knew that was silly. She said they’d come here across the ocean from the old country. Her mother said that Lettie didn’t remember properly, and it was a long time ago, and anyway, the old country had sunk.-

Neil Gaiman zeichnet in The Ocean at the End of the Lane mit sparsamen Strichen eine schaurig-schöne Geschichte. Das Motiv – das unschuldige Kind im Kampf gegen mystische Kräfte jenseits seiner Vorstellung – ist klassisch, Gaiman erzählt jedoch keineswegs nach, sondern gibt diesem Motiv einen neuen dunklen Anstrich. Als Leser ist man nie sicher, ob die ganze Sache noch eine gute Wendung nehmen kann.

Während die drei Hemsptock-Frauen zwar den Archetypen “Mother, Maiden, Crone” (Mutter, Jungfrau, alte Frau) entsprechen, sind sie in ihrer Darstellung sehr lebendig und keine farblosen Schablonen.
Die dichte Atmosphäre und die gestraffte, Gaiman-typische Erzählweise machen das Buch zu einem wahren Page-Turner, ich konnte kaum aufhören. Die Erinnerungen sind zwar die eines Erwachsenen, die Erzählstimme ist allerdings ein (wenn auch sehr reifes) Kind – und um dieses Kind, den Bücherwurm, der an Magie glaubt, dreht es sich auch, der erwachsene Erzähler stellt lediglich die Rahmenhandlung.

Sprachlich ist das Buch ganz wunderbar, aber das sollte niemanden überraschen – erzählen kann der Mann schließlich wie der Teufel. Trotz der kindlichen Sicht der Dinge wirkt die Geschichte an keiner Stelle kindlich oder gar kindisch.
Und für meinen Teil wundert es mich auch nicht, dass bereits über Filmrechte verhandelt wird – ich denke, wenn der richtige Regisseur dafür gefunden wird, kann man sich auf einen düsteren, phantastischen Film freuen – die Bilder, die in meinem Kopf während des Lesens entstanden, sprechen jedenfalls dafür.

Cover des Buches "Parlament der Feen" von John CrowleyDer junge Smoky Barnable verlässt die Große Stadt, um nach Edgewood zu gehen, wo er Alice Drinkwater heiraten möchte. Der Ort ist auf keiner Landkarte verzeichnet und Alice hat Smoky die Anweisungen gegeben, er möge nach Edgewood wandern und nicht fahren, er solle einen Hochzeitsanzug haben, der weder alt noch neu ist, als Proviant selbst zubereitete Speise mit sich führen und keine gekaufte und wenn er übernachten muss, soll er eine Herberge finden oder sich erbitten, aber nicht dafür bezahlen. Damit fangen die Merkwürdigkeiten erst an. Die Drinkwaters wohnen in einem Haus mit unzähligen Türen, Gängen und Erkern und es gehen ungewöhnliche Dinge vor sich, von denen einige Familienmitglieder mehr wissen als andere.

-An einem gewissen Tag, im Juni 19–, machte sich ein junger Mann auf den Weg nach Norden, hinaus aus der Großen Stadt, und in ein Städtchen, oder einen Ort namens Edgewood, von dem er hatte erzählen hören, den er aber noch nie gesehen hatte.-
Erstes Buch Edgewood 1

Immer wieder wird in Das Parlament der Feen (Little, Big) betont, diese Geschichte sei ein Märchen mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende. Tatsächlich gibt es viel märchenhaftes und phantastisches in diesem Buch: Sprechende Tiere, schemenhafte Gestalten auf Photographien, ein Held namens Auberon, der seine Titania findet, ein vertauschtes Kind, ein seit langem erwarteter Herrscher, Wahrsagerinnen und alle Protagonisten besitzen sprechende Namen. Daneben gibt es realistische Szenen: Smokys Sohn geht in die Große Stadt, wird Alkoholiker und schreibt Drehbücher für eine Soap Opera.

Auf siebenhundert Seiten entwickelt John Crowley eine nicht einfach zu lesende, komplexe Familienchronik, die sich um Smokys und Alices Liebe rankt,  aber auch viele andere Familienmitglieder umfasst und sich immer wieder in Andeutungen darüber ergeht, dass das Leben der Sippe auch von Wesen bestimmt wird, die einer anderen Welt angehören.
Falls Sie langsam den Eindruck gewinnen, der Rezensent versuche krampfhaft das Wort “Fee” zu vermeiden, dann haben Sie recht. Es kann durchaus sein, dass in dieser Geschichte Feen vorkommen, falls ja, könnte es sein, dass sie nicht dem lieblichen, ätherischen, freundlichen Bild entsprechen, das sich der Mitteleuropäer gemeinhin von ihnen macht.

Wie schon erwähnt, gibt es in diesem Roman viel märchenhaftes und phantastisches, aber Das Parlament der Feen sprengt die Dimensionen eines gewöhnlichen Fantasyromans. Worauf es ankommt, ist die Geschichte hinter der Geschichte. John Crowley hat nicht einfach ein Buch über eine phantastische Welt geschrieben, sondern er hat das Fantasy-Genre genutzt, um eine Parabel über unsere reale Welt zu schreiben. Und so erzählt er in einer wunderschönen poetischen Sprache über die Liebe, das Leben und den Tod, über das Fortgehen und das Nachhausekommen, über das Erinnern und Vergessen, über Träume und das Vergehen der Zeit, wie man sein eigenes Paradies verliert und es wiederfindet, er erzählt von dem langen Weg zu sich selbst und davon, dass manche Menschen in einer Welt leben, die anderen für immer verschlossen bleibt.

Cover des Buches "Picknick am Valentinstag" von Joan LindsayAn einem australischen Sommertag, dem Valentinstag des Jahres 1900, veranstalten die Schülerinnen des Appleby Colleges unter Aufsicht ihrer Gouvernante ein Picknick am Fuße des Hanging Rock. Vier Mädchen machen sich auf, um die Felsformation näher zu erkunden. Eine von ihnen kehrt Stunden später völlig in Panik, hysterisch schreiend und mit zerrissenen Kleidern zurück, ohne sich daran erinnern zu können, was geschehen ist. Die anderen Mädchen bleiben vorläufig verschwunden und auch die Gouvernante ist plötzlich nicht mehr auffindbar.

– Ob das “Picknick am Valentinstag” sich tatsächlich so ereignet hat oder nicht, müssen meine Leser selbst entscheiden. Doch da das Picknick im Jahre neunzehnhundert stattgefunden hat und die Charaktere, die in diesem Buch auftreten, schon lange tot sind, erscheint diese Frage unerheblich. –

In diesem Roman gibt es keine Elfen, Feen, Magier oder Drachen; man wird auch kein Grüppchen Aufrechter darin finden, die gegen das Böse kämpfen. Das Faszinierende an Joan Lindsays Roman ist, dass eine friedliche Idylle unerwartet und auf unheimliche Weise zerstört wird.
Die Szenerie ist real. Was könnte harmloser, friedvoller, unbeschwerter und romantischer wirken als ein Grüppchen junger Mädchen, korrekt gekleidet in lange weiße Musselinkleider, mit Handschuhen und Sonnenschirmen? Und wie groß muss das Entsetzen sein, wenn ein Mädchen derart derangiert wieder auftaucht und drei Anderen samt ihrer Gouvernante verschwunden bleiben?
Ein weiteres Mädchen wird eine Woche später aufgefunden, nur leicht verletzt, ebenfalls halb bekleidet, ohne Erinnerung an das Geschehene und das Letzte, was man von der Gouvernante hört, ist, dass sie noch einmal gesehen wurde – nur in Unterwäsche.
Jeder Leser kann sich halbwegs vorstellen, was am Hanging Rock geschehen sein muss und darf diese Vermutung gleich wieder über Bord werfen. Die beiden Mädchen sind immer noch jungfräulich.

Nach diesem Schock scheint das Leben im Appleby College den Umständen entsprechend normal weiter zu gehen und der Leser könnte auf den Gedanken kommen, dass der Roman jetzt so vor sich hinfließt und längere Zeit nichts Spannendes oder Unheimliches passiert. Das ist aber nur vordergründig so. Das Unheimliche und Phantastische tritt nicht mehr so plakativ auf, wie am Anfang der Geschichte, es steckt in Anspielungen und Nebensätzen, und muss zwischen den Zeilen herausgelesen werden.
Dieser Roman braucht Leser, die sich auf leise Untertöne und Bildersprache verstehen. Zum Ende hin gewinnt er wieder an Dramatik, als sich die Tragödien häufen, die alle mit den Geschehnissen am Hanging Rock in Zusammenhang stehen.

Das Ende des Romans bleibt offen, jedenfalls war das über zwanzig Jahre lang so und in englischsprachigen Ausgaben endet das Buch auch heute noch mit dem siebzehnten Kapitel. Joan Lindsay hat aber ein Schlusskapitel geschrieben, in dem sie das Rätsel um den Verbleib der drei Verschwundenen auflöst. Die Autorin hat verfügt, dass dieses Kapitel am dritten Valentinstag nach ihrem Tod veröffentlicht wird. In meiner Ausgabe gibt es dieses erklärende achtzehnte Kapitel und noch ein alternatives Schlusskapitel, das sich der Übersetzer hat einfallen lassen.
Mein Tip ist: Hören Sie nach dem siebzehnten Kapitel auf zu lesen. Die angebotenen Auflösungen sind nicht schlecht und tendieren in die Richtung, die die meisten Leser ohnehin vermuten werden. Aber es besteht die Gefahr, dass für einige Leser der Zauber des Buches zerstört wird und andere werden die angebotenen Auflösungen nicht glauben und ihre eigene Theorie vom Grund des Verschwindens der Mädchen trotz der Vorgabe nicht aufgeben.

Cover des Buches "Pique Dame" von Alexander PuschkinLisaweta Iwanowna lebt als Pflegetochter bei einer über achtzigjährigen Gräfin. Die junge Frau leidet unter den Schrullen der alten Dame und auf den Bällen der guten Gesellschaft bleibt ihr nur die Rolle des Mauerblümchens. Umso erfreuter ist Lisaweta als Hermann, ein junger Offizier, ihr den Hof macht. Sie ahnt nicht, dass Hermann sie nur als Mittel zum Zweck benutzt. Er will von der Gräfin das Geheimnis erfahren, wie man im Kartenspiel gewinnen kann, das diese in ihrer Jugend von dem Grafen Saint-Germain  gelernt haben soll. Um sich der Greisin nähern zu können, bändelt der junge Offizier mit Lisaweta an.

-Bei Narumow, einem Offizier der Gardekavallerie, spielte man Karten. Die lange Winternacht ging fast unbemerkt, vorüber; zum Abendbrot setzte man sich um fünf Uhr morgens.-
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Pique Dame (Pikawaja Dama) fasziniert den Leser durch die Ironie, die immer wieder aufblitzt und durch die realitätsnahe Erzählweise. Puschkins Charaktere scheinen direkt aus dem Leben gegriffen: Die alte Gräfin, die ihrer verlorenen Jugend nachtrauert und sich immer noch kleidet wie vor sechzig Jahren; Lisaweta, die keineswegs solch ein armes, unglückliches, vom Leben benachteiligtes Geschöpf ist, wie man zunächst glaubt und Hermann, der habgierig ist, sich aber so lange das Kartenspiel verbietet, bis er die Gewissheit hat, dass er ohne Risiko gewinnen kann. Eigentlich sind sie alle miteinander bemitleidenswerte Figuren, doch Puschkins bisweilen fast bösartige Ironie mit der er z.B. schildert, wie die Gräfin ausgekleidet wird, verhindert, dass wirkliches Mitgefühl aufkommt.

Wie bei jeder guten phantastischen Erzählung fragt sich der Leser am Ende der Novelle, ob sich tatsächlich etwas Übernatürliches ereignet hat, oder ob einer der Protagonisten nicht von Anfang an unter Wahnvorstellungen leidet. Investieren Sie eine knappe halbe Stunde für einen Ausflug in die Weltliteratur und finden Sie es selbst heraus.

Cover von Der Preis der Zukunft von Dave DuncanFünf Jahre lang hat Edward Exeter dem Schicksal getrotzt, das ihm in Filobys Testament vorhergesagt wurde. Fünf Jahre lang ist der junge Engländer durch die geheimen Tore, welche die Welten miteinander verbinden, gereist, um dem Großen Spiel zu entrinnen, in dem er eine Hauptrolle spielen soll. Nun naht der Tag der Entscheidung und Edward findet sich in einem dichten Netz von Intrigen wieder. Doch er hat inzwischen die Regeln des Großen Spiels gelernt und er hält einige Überraschungen bereit – für seine Feinde und seine Freunde.

-»Lassen sie mich eines klarstellen: Wir tanzen und singen, dann setzt der Zauber ein, und wir finden uns auf Nebenan wieder? Läuft das so ab?«
»Genau so. Im einen Augenblick ist man in St. Gall, im nächsten auf dem Knoten in Olympus. Auf einem Rasen mit einer Hecke drumherum.«
Eher im Irrenhaus von Colney Hatch mit einer Zwangsjacke drumherum.-
IV – 19

Nach dem etwas schwächeren zweiten Teil war ich bereits auf alles gefasst, gerade weil auch Der Preis der Zukunft (Future Indefinite) ähnlich wie der zweite beginnt: Zwei Jahre sind nach dem Ende von Die Klippen des Heute (Present Tense), jetzt zieht D’ward durch Nebenan und predigt in aller Öffentlichkeit, er sei der prophezeite Befreier – was sowohl das Pantheon als auch Olympus nicht gerade begeistert. Wer jetzt aber erneut einen langwierigen (oder langweiligen) Blick auf die vergangenen zwei Jahre erwartet, den kann ich beruhigen: sie werden nur am Rand erwähnt, weil sie für die Geschichte auch nicht notwendig sind. Das Buch erzählt nun endlich die Geschichte von D’ward Befreier, von seinem Kampf gegen die sogenannten Götter und der Erfüllung des Filoby-Testaments. Und das gelingt dem Autor durchaus fesselnd und spannend. Besonders die liebevoll gestaltete Welt überrascht des öfteren, würde aber mehr Freude machen, wenn man mal eine Karte hätte.

Besonders gelungen sind die Verschmelzung der vielen Nebenhandlungen zu einer großen Rahmenhandlung – die unzähligen Schauplätze zu Beginn des Romans werden nach und nach zusammengeführt und ergeben wie ein großes Mosaik ein beeindruckendes Gesamtbild.
Auch bei den Charakteren gab sich der Autor Mühe: niemand bleibt platt, alle haben ihre Vergangenheit, niemand ist bloß böse oder gut. Und so fällt es nicht schwer, sich in sie hineinzuversetzen und mitzufiebern, wenn sie sich auf die gefährliche Reise nach Tharg begeben, um “dem Tod den Tod zu bringen”.
Und das Ende … wird natürlich nicht verraten, doch so viel darf ich sagen: spannend, überraschend, tragisch, aber auch wunderschön. Auf jeden Fall also eine lesenswerte Trilogie mit guten Ideen.

Cover des Buches "Prinzessin der Haie" von Thomas Burnett Swann Als Charlie auf einen Schlag Mutter und Bruder verliert, verfällt er in eine tiefe Depression. Damit endet sein bisher so glückliches und behütetes Leben. Er verlässt die Universität und bewirbt sich für eine Stelle als Hauslehrer auf einer einsamen Karibikinsel.
Dort findet er nicht nur einen guten Freund und seine erste große Liebe, sondern er begegnet auch dem seltsamen Mädchen Jill und Curk, einem mysteriösen Fremden, der der eigentliche Herr der Insel zu sein scheint. Während Charlie versucht, Jill ein wenig Benehmen und klassiche Bildung zu vermitteln, gerät er in große Gefahr.

-Ich richte meine Geschichte nicht an meine Mitdelphine, obwohl ich sie natürlich, wie es bei meiner Rasse üblich ist, immer und immer wieder meinem erstgeborenen Sohn erzählen werde, bis er sie, Wort für Wort, einmal an seinen Erstgeborenen weitergeben kann.-
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In Prinzessin der Haie (The Goat without Horns) wendet sich Thomas Burnett Swann von der klassischen antiken Mythologie ab und verarbeitet Elemente aus der Sagenwelt der Karibik und der Seefahrt.
Gleich zu Beginn lernt der Leser “Grübler”, den Erzähler, kennen. Dessen Perspektive wechselt im Laufe der Geschichte mehrfach: so gehen Passagen, die in der ersten Person erzählt werden, nahtlos in Kapitel über, in denen Grübler eine reine Beobachter- oder Nacherzählerstellung einnimmt. Diese für Swann typische Art des Erzählens schafft eine fast authentische Atmosphäre, da sie das Gefühl vermittelt, die Geschichte von einem direkt Beteiligten zu hören.
Und wie für Swann auch typisch, ist Grübler nicht einfach ein Mensch, sondern diesmal lässt er die Geschichte von einem Delphin erzählen. Ähnlich wie Charlie, die Hauptperson der Erzählung, hat Grübler vor kurzem seine Mutter verloren und hat sich von seinen Artgenossen zurückgezogen. So ist es nur logisch, dass die Beiden gleich bei ihrer ersten Begegnung einen Seelenverwandten im jeweils anderen finden und sofort Freundschaft schließen. Nachdem Grübler kurz erzählt hat, wie er selber zur Insel “Oleandra” kam und den Leser bei dieser Gelegenheit mit der Welt der Delphine vertraut gemacht hat, wendet er sich bald Charlie und dessen Geschichte zu.

Charlie wirkt, aus Grüblers Sicht beschrieben, wie der perfekte Held einer romantischen Geschichte: gutaussehend, sportlich, empfindsam, bescheiden und klug. Auf Grund des Erzählstils wird aber schnell klar, dass Grübler ein sehr junger Delphin ist. So relativiert sich die beschriebene Perfektion zur Schwärmerei eines Jugendlichen, dessen fehlende Lebenserfahrung einen Großteil seines Urteilsvermögens ausmacht. Genauso unerfahren kommt auch Charlie auf die Insel. Bis zum gleichzeitigen Tod seiner Mutter und seines Zwillingsbruders wohlbehütet aufgewachsen, in einer Atmosphäre der Liebe und Harmonie, begegnet er seiner Umwelt mit einer Selbstgerechtigkeit, die nahezu kindlich wirkt und den Leser eher nachsichtig lächeln lässt, als dass er Charlies Verhalten übel nimmt.
Sicher trägt auch Swanns leichte und poetische Sprache zu diesem Lächeln bei, die gerade in den Begenungen Charlies mit Elisabeth, seiner Arbeitgeberin, so weit aufblüht, dass sie fast ironisch wirkt.

Elisabeth, um einiges älter als Charlie, doch in ewiger Jugend erstarrt, ist die Frau, in der Charlie seine erste große Liebe findet. Beide schwärmen für die gleichen Dichter und nehmen ihre Umwelt durch einen romantisch verklärten Schleier der Melancholie wahr. So erschafft Swann mit Elisabeth einen Charakter, der für Charlie tröstende Mutter, geheimnisvolle Fremde und romantische Geliebte zugleich sein kann.
Ihre Tochter Jill ist so ganz anders als Elisabeth. Ihre direkte, forsche Art des Auftretens, frei von jeglicher Konvention, wirkt fast brutal in diesem Umfeld und lässt Charlie anfangs heftig erschrecken. Da ihre Mutter gesundheitlich stark angeschlagen ist, wurde Jill von Curk erzogen.
Dieser wiederum ist ein Eingeborener, der fest in den Werten und Mythen seines Volkes verankert ist. Er besetzt für Jill die Vaterrolle und Elisabeth kann seiner kraftvollen und düsteren Ausstrahlung wenig entgegensetzen. Da erstaunt es den Leser wenig, dass Jill mit einer Art Geringschätzung auf ihre Mutter herabschaut und Curk nahezu vergöttert.

Erscheint Curk dem Leser geheimnisvoll und stark, so kommen seine Stammesgenossen gar nicht gut weg. Sie werden durchgehend als böse, faul und degeneriert dargestellt. Ob Swann mit dieser Art der Beschreibung provozieren wollte, ob er der Meinung war, dass diese Darstellung einer richtigen Abenteuergeschichte angemessen ist oder ob er wirklich in dieser typisch kolonialen Sichtweise gefangen war, muss wohl jeder Leser für sich selbst entscheiden.
Auch verlangt die Erzählung die Bereitschaft, sich auf die Idealisierung des viktorianischen Frauenbildes einzulassen: wunderschön, gebildet aber auch zurückhaltend und wohlerzogen soll SIE sein. Zwar wird dieses Idealbild zwischendurch gebrochen – erst durch die Grenzüberschreitung Elisabeths wird die Romanze zwischen ihr und Charlie möglich, und auch Jill fasziniert diesen anfangs mit ihrem betont “unweiblichen” Auftreten – doch am Ende unterwerfen sich beide Protagonistinnen wieder dem klassischen Frauenbild ganz bewusst und nahezu begeistert: “Auf dem Schiff werde ich mein Haar wachsen lassen. Es wächst sehr schnell. In ein paar Monaten müßte ich eigentlich präsentabel aussehen.” (Jill, Kap. 12) und können nur dadurch wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden.

So begegnet dem Leser hier also eine Erzählung, die nicht frei von Ecken und Kanten ist. Doch hier ist es nun wieder Grübler, dessen ganz eigene Sicht auf das menschliche Verhalten die Ecken abmildert, der Geschichte ihre Unschuld bewahrt und ihr einen heiteren Nebenton verleiht. Grüblers jugendliche, ja fast kindliche Sicht auf die Geschehnisse, gepaart mit Swanns schon erwähntem blumigen Schreibstil und einem fast schwülen kolonialen Setting, machen aus Prinzessin der Haie das, was es ist: eine unterhaltsame Geschichte für Liebhaber poetisch-melancholischer Abenteuer mit einem Hauch Mystik.

The Radleys von Matt HaigIm Norden Englands leben sie, die Radleys. Auf den ersten Blick sind sie eine ganz normale Familie, mit ganz alltäglichen Problemen wie Allergien, Migräne, Ehezwistigkeiten und einem banalen Job. Sie sind so spießig und kränklich, dass sie fast schon langweilig sind. Doch diese Familie hat ein gefährliches Geheimnis, das selbst die Kinder noch nicht kennen: Die Radleys sind waschechte Vampire.

– Your instincts are wrong. Animals rely on instincts for their daily survival, but we are not beasts. We are not lions or sharks or vultures. We are civilised and civilisation only works if instincts are suppressed. So, do your bit for society and ignore those dark desires inside you.
The Abstainer’s Handbook (second edition), p.54 –
The Radleys, S.5

Dieser Einzelroman  beginnt auf zunächst humorvolle Weise und man ist geneigt zu denken, dass man eine Komödie vor sich hat. Das Bild wandelt sich jedoch schnell und es wird zunehmend ernster. The Radleys (Die Radleys: Ein Vampirroman) ist auch keine glitzernde Vampir-Klischee-Romanze, wie sie derzeit zuhauf in den Regalen zu finden sind. Matt Haig setzt statt dessen auf eine zerrüttete Ehe, die nach beinahe zwanzig Jahren kurz vor dem Scheitern steht, als Tochter Claire eines nachts in Notwehr zubeißt und einen aufdringlichen Mitschüler instinktiv zu Tode saugt. Da nun auch noch der Blut schlürfende Vampironkel Will auf den Plan tritt und immer mehr schmutzige, blutige Geheimnisse ans Tageslicht kommen, prallen Kleinstadt-Drama und dekadentes Vampirvolk aufeinander und sorgen für ordentlich Unruhe im streng organisierten, bisher blutlosen Leben der Radleys. Dieses Buch ist ein kleiner Stadtkrimi, der interessant und durchaus spannend zu lesen ist. Man ist fast schon bereit die Vampire zu bemitleiden, in einer Zeit, in der es so entsetzlich viele Möglichkeiten der Spurensicherung gibt.

Die Charaktere wirken sehr überzeugend und glaubhaft und es fällt leicht, sich in sie hinein zu versetzen. Ihre Probleme und die Art wie sie versuchen damit umzugehen, sind allzu menschlich. Die relativ simple Handlung kommt ohne Umschweife daher, was die tragischen und teils deprimierenden Zustände dieser Familie noch deutlicher auf den Punkt bringt. Vor allem am Beispiel von Vater Peter wird sehr schnell klar, dass The Radleys mehr eine Geschichte über selbst auferlegte Zwänge und Regeln ist, die dazu dienen, Teil der gewöhnlichen Gesellschaft zu werden, als über hungrige Bestien, die nach dem Blut eines Menschen dürsten. Noch ein wenig realistischer wird das Ganze durch die immer wieder eingefügten “Zitate” aus dem Handbuch des abstinenten Vampirs, nach dessen Anleitung das Ehepaar Radley ihr unblutiges Leben und das ihrer ahnungslosen Kinder errichtet hat.
Wie wenig lebenswert dieses erstrebte Ziel jedoch ist, wird den Protagonisten nach und nach klarer, als die Kinder ihr wahres Ich zu entdecken beginnen und die Lebensweise der Eltern in Frage stellen. Pubertät für Vampire – letzten Endes sind die Radleys tatsächlich eine ganz normale Familie, nur dass sie eben auch zufällig noch Vampire sind und etwas andere Essgewohnheiten bevorzugen.

Leider kommt das Ende von The Radleys ein wenig zu perfekt daher und mit einer Lösung, bei der man sich als Leser schon früh im Buch fragt, warum das als Option gar nicht erst zur Debatte steht. Dennoch lohnt sich die Lektüre als leichte Kost zwischendurch und bietet ein wenig positive Abwechslung im schmachtenden Vampirregal.

Cover von Die Radleys von Matt HaigIm Norden Englands leben sie, die Radleys. Auf den ersten Blick sind sie eine ganz normale Familie, mit ganz alltäglichen Problemen wie Allergien, Migräne, Ehezwistigkeiten und einem banalen Job. Sie sind so spießig und kränklich, dass sie fast schon langweilig sind. Doch diese Familie hat ein gefährliches Geheimnis, das selbst die Kinder noch nicht kennen: Die Radleys sind waschechte Vampire.

– Unsere Instinkte sind falsch. Tiere verlassen sich auf ihre Instinkte, um zu überleben, aber wir sind keine wilden Tiere. Wir sind keine Löwen oder Haie oder Geier. Wir sind zivilisiert, und Zivilisation funktioniert nur, wenn wir unsere Instinkte unterdrücken. Tun Sie also das Ihre für die Gesellschaft und unterdrücken Sie die finsteren Begierden in sich.
Handbuch für Abstinenzler (Zweite Ausgabe), S. 54 –
Die Radleys, S. 5

Zu Die Radleys liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Reise durch das Sonnensystem von Jules VerneAls sich Hauptmann Hector Servadac und Graf Timascheff am Morgen des 1. Januar zu einem Duell gegenüberstehen, reißt ein Komet aus Gold ein Stück Algerien mit einem Teil des Mittelmeers und ein wenig Gibraltar aus der Erdkruste. Auf diesem Brocken treten nun die beiden Kontrahenten, zusammen mit einer handvoll Menschen, auf einer elliptischen Bahn die Reise durch das Sonnensystem an. Die äußeren Planeten Jupiter und Saturn rücken näher – es wird eiskalt. Die Menschen flüchten sich in das Höhlensystem eines aktiven Vulkans – sind Hauptmann Servadac und seine Schicksalsgenossen in der Tiefe des Weltraums verloren oder gibt es noch Hoffnung, zur Erde zurückzukehren?

-Gallia??? Ab sole, au 15. fév., dist. 236 000 000 km! Chemin parcouru de janv. à fév.: 128 000 000 km.
Va bene! All right! Parfait!!!-
Kapitel 12

Jules Verne gestaltet die Romanhandlung so, daß Hauptmann Servadac, der Held der Geschichte, seine Ordonnanz Ben-Zouf, der russische Graf und Servadacs Rivale Timascheff und all die anderen erst einmal keine Ahnung haben, was eigentlich passiert ist. Es wird lange herumgerätselt ob denn die Erde ihre angestammte Umlaufbahn verlassen habe, da jetzt die Sonne statt im Osten im Westen aufgeht… Ob die Erde durch den Zusammenstoß mit dem Kometen an Masse verloren habe, da man nun mit einem Sprung eine Höhe von bis zu 12 m erreichen kann …

Dieses Rätselraten bildet zunächst das Hauptmotiv des Romans – die Beschreibung und Erforschung des Himmelskörpers “Gallia” nimmt einen Großteil der Handlung in Anspruch. Dynamik wird dadurch ins Geschehen gebracht, daß sich der Komet in einer elliptischen Bahn zunächst zur Sonne hin (was die Temperaturen dramatisch ansteigen läßt) und dann sehr weit von der Sonne wegbewegt. Proportional zur Entfernung von der Sonne sinken die Temperaturen drastisch ab.

Die Originialausgabe erschien 1877 zweibändig in Paris unter dem Titel Hector Servadac. Voyages et aventures á travers le monde solaire, wovon der erste Band am 19. Juli 1877 und der zweite am 7. November des gleichen Jahres erschien. Der Verlag Bärmeier u. Nikel hat diesen Roman neu übersetzt und stark gekürzt, wobei besonders, wie der Verlag mitteilt, die allzu polemischen Äußerungen Vernes über den im Roman als Händler auftretenden Juden Hakhabut herausgestrichen bzw. abgemildert wurden. Doch auch in dieser überarbeiteten Ausgabe werden Vernes Meinungen zu politischen und gesellschaftlichen Themen seiner Zeit deutlich. Nicht nur bei dem jüdischen Händler wird mit antisemitischen Äußerungen nicht gespart – auch eine Begegnung von Hector Servadac mit ein paar Briten auf einem Reststück von Gibraltar läßt erahnen, wie der Autor zum “Empire” stand. Dementsprechend sind die auftretenden Figuren hauptsächlich kulturelle (und nationalchauvinistische) Stereotpye, von den untadeligen Franzosen über die machtgierigen Briten bis hin zum geldgierigen Juden.

In dieser Geschichte reihen sich Vermessungsdaten mit Berechnungen zu Masse und Gewicht, Beobachtungen zum Stand der Sterne, der Sonne und Planeten, der Beschaffenheit von Küstenlinien und Landschaften aneinander, ohne daß irgendetwas nennenswertes passiert. Der Verlag unterstützt diese an einen wissenschaftlichen Text erinnernde Erzählweise noch, indem er die Angaben zu Maßen und Gewichten, Zeit und Entfernungen mit ihren physikalisch-mathematischen Kürzeln versieht. Hinzu kommt noch, daß der Zusammenstoß des Kometen mit der Erde zu Beginn der Geschichte von niemandem bemerkt wird. Weder die herausgesprengten Teile von Algerien noch von Gibraltar werden vermißt, so daß man sämtlich glücklich Heimgekehrten ihre Abenteuer nicht glaubt. Es löst sich alles zuvor Beobachtete und Berechnete in einem bloßen Traumgespinst auf, daß nur der Phantasie der Heimgekehrten entsprungen zu sein scheint. Dieses Ende ist zu einfach und zu glatt, um glaubwürdig zu sein und ist deshalb auch leider nicht befriedigend.

Cover von Reise zum Mond und zur Sonne von Savinien de Cyrano de BergeracNachdem der Ich-Erzähler mit einigen Freunden über das Wesen und die Funktion des Mondes philosophiert hat, beschließt er auf den Mond zu reisen. Er landet auf dem Mond und zwar genau an der Stelle, an der sich das irdische Paradies befindet. Dort trifft er den Propheten Elias. Die beiden beginnen ein Streitgespräch, in dem Cyrano solch lästerliche und ketzerische Thesen vertritt, daß Elias ihn aus dem Paradies wirft. Cyrano wird von den Mondbewohnern aufgegriffen, die ihn für einen Affen halten, weil er sich nicht wie sie auf allen Vieren fortbewegt und er wird dort zu einem anderen “Affen”, einem Spanier, in einen Käfig gesperrt. Schließlich kommt er auf die Erde zurück, nur um zur Sonne zu reisen und schließlich einiges über die Liebe zu erfahren.

– Es war Vollmond, klarer Himmel, und es hatte neun Uhr abends geschlagen, als wir, vier meiner Freunde und ich, aus einem Haus in Clamart bei Paris zurückkehrten, wo der junge Monsieur de Cuigy, der dort der Grundherr ist, uns bewirtet hatte. –

Eine kurze Inhaltsangabe kann Cyrano de Bergeracs Reise zum Mond und zur Sonne nicht gerecht werden. Cyrano ergreift in seinem mutigen Werk Partei für die Aufklärung und gegen die Kirche und andere Autoritäten seiner Zeit. Nun hält er aber keine Philippica gegen Aberglauben und Volksverdummung, seine Waffen sind Esprit und Witz, Ironie und Satire. De Bergeracs Florett ist die geschliffene Sprache, mit der er für seine Überzeugungen ficht. Auf dem Mond wird Cyrano von den Priestern beim König angezeigt, weil er es gewagt hat zu behaupten, daß die Welt der Lunarier nur ein Mond sei und keine Erde, er hingegen von der Erde käme und nicht etwa vom Mond, wie die Lunarier glauben. Man holt ihn aus seinem Käfig, der Groß-Pontifex hält eine Anklagerede und am Ende wird Cyrano an alle Ecken der Stadt geführt, wo er seine Überzeugung widerrufen muß: “Untertanen, ich erkläre, daß dieser Mond hier kein Mond ist, sondern eine Erde, und daß diese Erde dort keine Erde ist, sondern ein Mond. Das ist, was die Priester für gut erachten, das Ihr glauben sollt.” Die ganze Schilderung ist eine geistreiche Anspielung auf den Prozeß gegen Galileo Galilei.

Köstlich und außerordentlich einleuchtend ist auch die Episode, in der der Dämon des Sokrates Cyrano vor Augen führt, daß Gott den Menschen keineswegs mehr liebt als Kohlgemüse, ja warum ihm wahrscheinlich am Kohl mehr gelegen ist als an den Menschen. Und alle, die noch der Auffassung anhängen, die Sonne drehe sich um die Erde, versucht de Bergerac mit diesem Beispiel zu überzeugen: “Es wäre gerade so lachhaft zu glauben, der große leuchtende Körper drehe sich um einen Punkt, mit dem er nichts zu schaffen hat, als sich vorzustellen, wenn wir eine gebratene Wachtel sehen, man habe, um sie zu rösten, den Kamin um sie herum gedreht.”
Cyrano de Bergerac bezieht sich immer wieder auf philosophische und wissenschaftliche Werke zeitgenössischer Geistesgrößen wie Pierre Gassendi, Hieronymus Cardanus, Tommaso Campanella und anderen, die dem heutigen Leser nicht mehr geläufig sind. In solchen Fällen leistet der hervorragende Anhang mit seinen Anmerkungen ausreichend Hilfe.

Aber nicht nur Cyranos Umgang mit den philosophischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen seiner Zeit faszinieren, sondern auch die Tatsache, daß ganz offensichtlich sich andere und dazu völlig unterschiedliche Künstler von ihm haben inspirieren lassen. Die futuristischen Flugmaschinen erinnern an Jules Verne, Swift scheint sich Anregungen für Gullivers Reisen geholt zu haben, in Schillers “Die Räuber” finden sich Gedanken über Vaterschaft, die denen Cyrano de Bergeracs verblüffend ähnlich sind und daß die Herrschaftsverhältnisse umgekehrt werden, die Tiere die Menschen in Käfige sperren und sie als minderwertige Geschöpfe ansehen, hat man unter anderem in Planet der Affen gesehen.
Savinien de Cyrano de Bergerac findet ohne Mühe dreieinhalb Jahrhunderte nach seinem Tod den Weg in die Herzen seiner Leser.

Ritus von Markus HeitzFrankreich 1764. Eine rätselhafte Bestie streift durch die Wälder und versetzt die Menschen dort in Angst und Schrecken, denn ihre Kinder sind es, die die Bestie in einem gnadenlosen Ritus hetzt und tötet. Längere Zeit versucht der ansässige Comte de Morangiès, die Bevölkerung zur Ruhe zu bringen. Doch als die Bestie immer mehr Kinderopfer fordert, begeben sich Männer von Nah und Fern auf die Jagd nach der Bestie. Ihnen schließt sich der Wildhüter Jean Chastel mit seinen Söhnen Pierre und Antoine an. In den Herzen der Chastels schlummert ein dunkles Geheimnis, und selbst im Jahre 2004 ist der Fluch der Bestie noch nicht versiegt …

-Mit einer monotonen Melodie gluckerte der Bach über die runden Steine. Die Abendsonne fiel durch die wenigen lichten Stellen des dichten Blätterwerks und erzeugte goldenrote Flecken auf dem schattigen Waldboden. Insekten waren auf der Suche nach Nahrung und summten durch die warme Luft. Der verführerische Duft leitete sie. Es roch nach Frühling, nach neuem Leben. Und nach Verwesung.-
Prolog

Bereits als Markus Heitz‘ Roman Die Rache der Zwerge auf den Markt kam, wurde für sein nächstes Werk Ritus mit den großen Worten Eiskalte Spannung – Dunkle Geheimnisse geworben, und ich griff sofort zu, sobald dieses vielversprechend klingende Buch erhältlich war. Und ich musste feststellen, dass es bei großen Worten geblieben war.
Eines sei erst einmal klargestellt: Heitz’ Ideen sind dennoch sehr interesssant, vor allem die Idee, zwei Handlungsstränge in verschiedenen Epochen zu weben. Der erste Handlungsstrang erzählt von Jean Chastel, der Jagd nach der Bestie in den französischen Wäldern und dem Geheimnis, das Chastel und seine Söhne vor den anderen verbergen. Dieser ist der interessantere der beiden Stränge, und teilweise werden die historischen Informationen gut in die Story intigriert. Der zweite Strang erzählt von dem Werwolfsjäger Eric von Kastell im Jahre 2004, unverkennbar ein Nachfahre des Wildhüters Jean. Vor allem aber die Geschichte um ihn ist es, die vieles an der Innovation von Ritus zerstört. Markus Heitz versucht seinen Eric von Kastell als eine Mischung aus werwolfsjagendem James Bond und den Men in Black rüberzubringen. Eric metztelt und ballert sich fluchend durch Europa, eine Spur der Verwüstung hinterlassend, um nebenbei noch mit allen möglichen Frauen zu schlafen, unter anderem auf einer öffentlichen Toilette und unter einem Brückenpfeiler. Die spröden und übertriebenen Gewalt- und Sexszenen lassen das ganze schmuddelig wirken und rauben Eric von Kastell viel von seiner ohnehin dünn gesäten Glaubwürdigkeit. Somit will der historische Teil nicht mit dem modernen in Einklang stehen, die beiden Erzählstränge werden so oft gewechselt, dass man nach und nach den Überblick (und die Lust am Lesen) verliert. Sobald auch der historische Part mit Jean Chastel nur noch in bluttriefendes Gemetzel übergeht, ist nicht einmal etwas vom barocken Charme des 18. Jahrhunderts zu finden. Letztendlich wird der Leser in Unzufriedenheit über die völlig überzogene und undurchsichtige Handlung zurückgelassen. Von eiskalter Spannung und dunklen Geheimnissen, wie bereits angekündigt, kann keine Rede sein.

Cover von Der rote Löwe von Mária SzepesHans Burger, geboren im Jahr 1535, verläßt schon früh sein trostloses Elternhaus und verdient sich seinen Lebensunterhalt als Hausbursche in einem Gasthaus. Dort lernt er den Alchimisten Rochard kennen, der den wißbegierigen Jungen bei sich aufnimmt und ihn in die Wissenschaft der Weißen und Schwarzen Magie einweist.
Schon bald entdeckt Hans, daß sein Lehrmeister das Geheimnis des ewigen Lebens kennt, ein Elixier mit Namen “Der Rote Löwe”…

– Adam Cadmons Brief erreichte mich vor vielen Jahren im Sommer 1940 in jenem kleinen Haus, von dem außer einigen engen Freunden niemand etwas wußte. –

Mária Szepes ist eine wunderbare Erzählerin. Ihre Sprache ist kraftvoll, präzise und sehr plastisch, so daß der Leser die Beweggründe ihrer Charaktere, deren Emotionen und Beziehungen untereinander sehr gut nachvollziehen kann. Leider ist die Autorin nicht beim reinen Erzählen geblieben.

Der rote Löwe (A vörös oroszlan) ist in drei Teile gegliedert. Schon in den ersten beiden Teilen gibt es einige Abschnitte, in denen die Sprache sehr ins mystisch-esoterische abgleitet und die daher reichlich abgehoben wirken. Man könnte dies noch als Versuch der Autorin ansehen, eine Atmosphäre zu schaffen, die die Handlungsweise der Protagonisten verdeutlicht -zwar etwas störend, aber vertretbar. Am Anfang des dritten Teils wird aber unmißverständlich deutlich, daß Szepes nicht nur eine Geschichte erzählen will, sondern daß sie versucht, eine neue Religion, bzw. eine esoterische Weltanschauung zu etablieren. Und tatsächlich ist Mária Szepes die Gründerin einer esoterischen Schule. Der Leser merkt die Absicht und ist verstimmt, jedenfalls dann, wenn er Romane liest, um sich zu unterhalten und nicht, um indoktriniert zu werden. Die Autorin tritt stellenweise unverhüllt hinter ihren handelnden Personen hervor und propagiert plakativ ihre esoterische Philosophie. Dies vergällt einem völlig die Lust an einem ansonsten gut geschriebenen Roman und trägt auch die Schuld daran, daß das Ende äußerst unbefriedigend ist.
Ein Wort an den Verlag: Da man nicht von jedem Leser, der das Buch zufällig in die Hand bekommt, annehmen darf, daß er sich mit dem esoterisch/alchimistischen Fachvokabular auskennt und dazu noch so gut in Latein ist, daß er die lateinischen Wörter und Inschriften versteht, von denen hier die Rede ist, wäre ein Glossar am Ende des Buches angebracht.

Ruf des Mondes von Patricia BriggsAls Mercy Thompson den jungen Mac als Aushilfe in ihrer Autowerkstätte anheuert, ahnt sie noch nicht, was für einen Ärger sie sich damit aufhalst: Mac, ein junger Werwolf, der offensichtlich sein Rudel verlassen hat, hat gefährliche Feinde. Mercy, selbst nur eine Gestaltwandlerin und weniger stark als ein Werwolf, ist dem Fall bald nicht mehr gewachsen, denn es folgt auch ein Angriff auf das örtliche Werwolfsrudel, wobei die Tochter des charismatischen Anführers entführt wird. Bald sieht Mercy sich gezwungen, alle Register zu ziehen – sie bittet ihren Vampir-Freund um Hilfe und kehrt sogar zu ihren Wurzeln zurück, dem mächtigen Werwolfsrudel, das sie einst aufgenommen hat und an das sie vor allem schmerzliche Erinnerungen binden …

-Mir war nicht sofort klar, dass ich einen Werwolf vor mir hatte.-
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Mercy Thompson, ihres Zeichens Automechanikerin, ist eine Heldin aus einer Legion von Frauen, die in den letzten Jahren vermehrt das Phantastik-Genre aufmischen, die Werwölfe, Vampire oder Dämonen jagen, mit Werwölfen, Vampiren oder Dämonen ins Bett steigen – oder, wie eben Mercy, versuchen, trotz Werwölfen, Vampiren und anderen Gestalten zurechtzukommen und ein ganz normales Leben zu fristen. Keine Frage, daß das nicht klappt, und Mercy Verwicklungen abenteuerlicher und romantischer Natur erleben muß, denn sie behauptet sich in einer Welt, in der einige Feenwesen sich aufgrund des Mediendrucks offenbaren mußten und in Koexistenz mit den Menschen leben, wohingegen die traditionell organisierten Werwölfe und Vampire sich damit noch zurückhalten und weiter im Geheimen agieren. Hier hat Patricia Briggs geschickt einige Elemente des modernen Alltags zu einer lebendigen Parallelwelt zusammengestrickt, um eine nette, wenn auch in Zeiten der Urban-Fantasy-Schwemme nicht sonderlich originelle Kleinstadtkulisse für Mercys Abenteuer zu bieten.

Immerhin sticht die Heldin aus der Masse ihrer Kolleginnen hervor: Umgeben von mächtigen Werwölfen und Vampiren ist sie nur eine kleine Gestaltwandlerin, die ab und an als Kojote durchs Bild huscht, wenn auch durchaus mit besonderen Kräften ausgestattet. Ganz selbstbewußt und unabhängig steht sie ihre Frau (man ist schließlich Automechanikerin!), umgeben von Männern, deren erstes Attribut immer ihre Attraktivität ist, und von den besonders attraktiven sind auch gleich alle bis auf den Quotenschwulen hinter unserer Heldin im Kojotenpelz her und streiten sich mitunter um sie oder leben ihren Beschützerinstinkt aus (Rollenverhalten wird überhaupt gerne mal auf Instinkt geschoben, der im Werwolfumfeld ganz groß geschrieben wird). Urban Fantasy und Rollenklischees sind offenbar einen fast untrennbaren Bund eingegangen, auch wenn man Mercy Thompson zugestehen muß, daß sie sich im Grunde wacker schlägt, ab und an alles mit einem Augenzwinkern abgemildert wird und in diesem Bereich wirklich Schlimmeres existiert.

Mit dem aus Ich-Perspektive erzählenden Hauptcharakter steigt man schnell in eine Handlung ein, in der die örtlichen Werwölfe – nicht eben Mercys beste Freunde – von einer Verschwörung bedroht werden, in die sie mitten hineinschlittert. Witzige Episoden und Charaktere, vom VW-Bus-fahrenden Vampir bis hin zum Werwolf-Anführer, der keiner Katze ein Haar krümmen kann, sorgen für gute, spannende Unterhaltung, die man locker weglesen kann. Allzu viele Gedanken sollte man dem Plot allerdings nicht widmen, sonst fällt er in sich zusammen wie ein Kartenhaus, vor allem beim konstruiert wirkenden und flott abgehandelten Ende wird deutlich, wie dünn die Handlung war. Die letzte Szene schrammt knapp an einem hochromantischen Ausgang vorbei und mündet stattdessen in das vergnügliche Hickhack zwischen den Charakteren, das im gesamten Roman präsent war.

Mercy als lockere Erzählerin tut ein übriges dafür, daß der Humor nicht zu kurz kommt, allerdings wirkt der Ich-Erzähler gerade anfangs stellenweise plump, wenn allzu offensichtlich Dinge erklärt und Informationen eingestreut werden, die, wenn schon auf diese Art, vielleicht immer noch charmanter mit einer direkten Ansprache des Lesers untergebracht worden wären, statt sie ihm in Monologen der Hauptfigur unterzuschieben, die die Handlung bremsen und wie Fremdkörper wirken. Nachdem man die ersten Erklärungen, die gleichsam Einführung in Mercys Welt sind, hinter sich gelassen hat, steht dem Spaß an der Lektüre allerdings nicht mehr viel im Wege, wenn man sie als das nimmt, was sie ist: Seichte Unterhaltung ohne große Hintergründe – jedoch vergnüglich und solide umgesetzt, und somit eine ideale Entspannungslektüre für alle, die nicht gleich in den wirklichen Untiefen der Urban Fantasy und Romantasy nach Lesefutter angeln wollen, sondern eine größtenteils bodenständige Heldin und Geschichte bevorzugen.

Die deutsche Ausgabe von Moon Called wartet allerdings noch mit einem großen Mangel auf: Einer phänomenalen Dichte an Fehlern – vom Tippfehler über verdrehte Namen bis hin zu nicht zu Ende geführten Sätzen, in einer Frequenz, die das Lesevergnügen durchaus beeinträchtigt.

Sanctum von Markus HeitzNach einer langen Hetzjagd erreicht Eric von Kastell Rom, die Ewige Stadt. In den Straßen dieses geheimnisvollen Ortes fließen alle Fäden zusammen, die zum Vermächtnis einer rätselhaften Frau aus dem 18. Jahrhundert führen: Gregoria, die Äbtissin des entweihten französischen Klosters. Nach und nach stellt Eric fest, dass er und Gregoria untrennbar miteinander verbunden sind. Durch die heiligste Substanz, die sich auf Erden finden lässt: Das Sanctum …

-“Macht Euch nicht lächerlich, Abbé. Die Bestie ist tot.” So, wie Pierre-Charles, Comte de Morangiès, es sagte, klang es nach einem Befehl. Wie immer, wenn die Rede auf das Untier kam, das im Gévaudan mehr als drei Jahre lang gewütet hatte.-
Prolog

Bisher ist Sanctum Markus Heitz’ in jeder Hinsicht schlechtestes Buch, und diesmal wirken sich nicht einmal Heitz’ Ideen positiv auf die Bewertung dieses Romans aus. Wieder bestehen zwei Handlungsstränge – ein historischer und ein moderner – und da beide fast ausnahmslos in Rom spielen, verliert man schon bald wieder den Überblick und die aus Ritus bekannte Langeweile kommt auf. Schnell wird erneut – vor allem in Erics Part – gemetzelt, was das Zeug hält – Splatterszenen sind wohl das, was in diesen Büchern die dunkle Spannung beinhalten soll. Es geschehen abartige und unglaubwürdige Morde, die wohl eine Gänsehaut verursachen sollten, jedoch nur einen angewiderten Blick und Lustlosigkeit hervorrufen. Unter anderem zerstört Eric ein Café, ballert hemmungslos darin herum und liefert sich eine Verfolgungsjagd mit einer Sekte, die Werwölfe anbetet – Dan Brown lässt grüßen – ohne für seine Gewalttaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Da wird in aller Öffentlichkeit gemordet und die Zeugen gucken nur groß – so etwas wie eine Polizei scheint es in und um Rom nicht zu geben.
Wieder sind Heitz’ Inspirationsquellen ersichtlich: Illuminati und Sakrileg liefern nicht nur die Vorlage für den Handlungsort, Rom, sondern wohl auch für die lang bestehende Sekte, die stark an die Illuminati und Opus Dei in Dan Browns historischen Krimis erinnert.
Sanctum beherbergt noch mehr Charaktere als Ritus, und durch sich ähnelnde Namen und die Masse der Personen geschieht es leicht, dass man nicht weiß, welchen Handlungsträger man gerade vor sich hat.
Lange Zeit wird ein Geheimnis darum gemacht, was das Sanctum ist, und als das große Geheimnis gelüftet wird, stellt es sich eher als großes Manko heraus. Unlogik und Unglaubwürdigkeit stehen in Sanctum an der Tagesordnung, und man quält sich regelrecht von Seite zu Seite, immer wieder darauf hoffend, dass Markus Heitz doch noch einen großen Knall am Ende setzt. Leider war dem nicht so. Bloß das übliche Standard-Gemetzel und eine weitere, große Enthüllung – sollte das vielleicht der Knalleffekt sein? -, von der nie die Rede war und die bloß dazu dient, dass der Leser ein weiteres Mal erleben darf, wie Eric von Kastell jemandem das Nasenbein zertrümmert. Mit diesem Schluss ist jegliches Wohlwollen dem Buch gegenüber verspielt, und man stellt es mit dem traurigen Gefühl in der Magengegend ins Regal zurück, als Leser nicht ernstgenommen zu werden.

Cover des Buches "Der Sandmann" von E.T.A. HoffmannNathanael ist Student in einer kleinen Stadt, zu Hause wartet seine Verlobte Clara auf ihn – ein scheinbar perfektes Leben. Doch die Vergangenheit holt Nathanael ein: als Kind beobachtete er seinen Vater bei geheimen alchimistischen Versuchen mit dem Advokaten Coppelius, einem kinderhassenden, unfreundlichen Riesen. Bei einem letzten Experiment geht etwas schief und Nathanaels Vater stirbt bei einer Explosion, Coppelius ist aber verschwunden. Eines Tages klopft es an Nathanaels Tür und der Wetterglashändler Coppola tritt ein. Nathanael ist zu Tode erschrocken: Coppola sieht genauso aus wie Coppelius! Aber ist er es wirklich, oder tut er dem Wetterglashändler unrecht? Und was ist mit der seltsamen Nachbarstochter, die ihn die ganze Zeit beobachtet?

-Mir war es als würden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber ohne Augen – scheußliche, tiefe schwarze Höhlen statt ihrer. »Augen her, Augen her!« rief Coppelius, mit dumpfer, dröhnender Stimme.-
Seite 9, Zeile 19 ff.

Der Sandmann war eine Pflichtlektüre im Deutschunterricht und ich war anfangs gar nicht davon begeistert. Der Titel versprach anscheinend Einschlafgarantie, aber das Buch hat mich sehr positiv überrascht.

Die Novelle beginnt mit einem Briefwechsel von Nathanael an Clara bzw. Lothar, deren Bruder, in welchem Nathanael seine Situation schildert. Bereits auf den ersten Seiten erfährt man, wie sehr der Besuch des Coppola ihn mitnimmt und welch starken Gefühle Nathanael ergreifen. Schon allein dieser eine Besuch und die Erinnerung an das Unglück bringen ihn völlig aus der Fassung und zerstören fast sein Liebesglück, denn er kann sich nicht von seinen Gefühlen trennen. Zunächst flacht dann die Spannungkurve etwas ab, bevor sie wieder rassant steigt: eine weitere Person betritt das Geschehen, Olympia, die Tochter eines Professors. Doch wie passt sie da hinein und warum beobachtet sie die ganze Zeit Nathanael?

Ob Nathanael nun einen Sinn für das “böse Prinzip” in der Welt hat oder vielleicht geisteskrank ist, wird vom Autor nicht verraten. Clara versucht durch den ganzen Roman einen guten Einfluss auf ihren Verlobten auszuüben, doch der entzieht sich immer mehr ihren beruhigenden Worten. Realität und Phantasie verschwimmen und am Ende bleibt es dem Leser überlassen, über Nathanael zu urteilen.
Hoffmanns Bild von Nathanael zeigt die Gefährdung des Menschen, wenn dieser nicht mehr in der Lage ist, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden. Nathanael ist gefangen in seiner Vorstellung, dem Mörder seines Vaters gegenüberzustehen. Doch ob Coppola und Coppelius ein und dieselbe Person sind, wird nicht verraten.

Neben den romantischen Leitbildern lässt Hoffmann auch bitterböse Ironie über die damalige Gesellschaft mit einfließen. Genau diese Ironie rundet den Roman hervorragend ab.
Nur wenige Bücher haben mich so überzeugt wie dieses. Obwohl es schon fast 200 Jahre alt ist, erzeugt es immer noch Spannung und ein gewisses Gänsehautgefühl, gerade heute, da die eigentliche Thematik aktueller denn je ist.

Seaserpents! von Jack Dann und Gardner DozoisSeaserpents! gehört zu einer von Jack Dann und Gardner Dozois herausgegebenen Reihe von Anthologien, die jeweils ein bestimmtes phantastisches Thema oder Motiv behandeln. Sie enthält zehn Geschichten über Seeungeheuer. Alle Geschichten sind vorab schon an anderer Stelle erschienen und werden von einem kurzen Text über den Autor bzw. die Autorin eingeleitet. Eine Liste mit weiterführender Literatur zum Thema schließt die Anthologie ab.

-The moonlight was muted and scattered by the mist above the loch. A chill breeze stirred the white tendrils to a sliding, skating motion upon the water’s surface.-
The Horses of Lir

Wäre ich ein Seeungeheuer, ich würde mich beschweren, dass Nessie mir so schamlos die Show stiehlt. In Seaserpents! ist Loch Ness viel präsenter als das Meer und liefert – direkt oder indirekt – u.a. das Material für die ersten beiden Geschichten, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Auf den plumpen Machismo von L. Sprague de Camp in Algy, der Geschichte über ein mutmaßliches Ungeheuer im Lake Algonquin, dem eine (natürlich) schottische Gruppe von Abenteurer nachspürt, die sich dabei überaus männlich gibt und der ortsansässigen Damenwelt nachstellt, folgt mit Lillian Stewart Carls Out of the Darkness eine gefühlsbetonte Geschichte, bei der die Monsterjagd (diesmal direkt am Loch Ness) nur eine Nebenhandlung zu einer Beziehungskrise ist, in der wissenschaftliche und künstlerische Weltsicht aufeinanderprallen. Bei beiden Geschichten ist das Unvermögen zentral, die Existenz des Monsters zu beweisen, aber richtig in Fahrt kommt Seaserpents! mit keiner davon. Das gelingt erst ganz zaghaft mit Leviathan von Larry Niven, der seinen (auch in anderen Geschichten von ähnlichen Aufträgen geplagten) Helden Svetz aus einer fernen Zukunft in die Vergangenheit schickt, um dort Exemplare inzwischen ausgestorbener Spezies einzufangen, in diesem Fall einen Wal. Leider hat die zuständige Behörde eine fatale Tendenz zur Fehlinterpretation der überlieferten Daten – oder läuft etwas ganz anderes schief?

Ein erstes Highlight ist The Horses of Lir von Roger Zelazny, das zeigt, wie Wunderbares (und Schreckliches) im Verborgenen bis in die Gegenwart überdauert haben könnte und was es bedeutet, damit in Berührung zu kommen. Der Schauplatz der Geschichte ist abermals ein schottischer Loch, doch diesmal ist die Atmosphäre einmalig und Zelaznys eleganter Stil macht The Horses of Lir sehr lesenswert.
Mit Gordon R. Dicksons The Mortal and the Monster geht es grandios weiter, auch wenn der Titel, unter dem der Kurzroman ursprünglich veröffentlicht wurde, nämlich The Monster and the Maiden, treffender gewesen wäre – wozu man wissen muss, dass besagte Maid gerne Lachs frisst und ziemlich groß ist. Wir befinden uns wieder einmal am Loch Ness, immerhin sorgt in dieser Geschichte ganz Dickson-typisch ein Perspektivwechsel für Spannung: Man erfährt die Geschichte aus der Sicht des Seeungeheuers. Es ist ein trauriges, aus der Zeit gefallenes Monster, das gleichzeitig jugendlich sprühend wirkt, während sich beim Leser oder der Leserin Melancholie breitmacht, da man die Welt zu gut kennt, durch die die Protagonistin schwimmt. Die Geschichte enthält auch eine bezaubernde Darstellung eines Kommunikationsversuchs zwischen zwei intelligenten Spezies, die in völlig unterschiedlichen Bedingungen leben, und ist rundum gelungen.

In John Colliers Club Story Man Overboard darf man dann endlich Seeluft schnuppern und den gewitzten Ich-Erzähler auf eine Luxus-Yacht begleiten, die nur einem Zweck dient – dem Aufspüren eines Seeungeheuers. Die Geschichte ist klassisches Kurzgeschichten-Material, was man auch von Manly Wade Wellmans The Dakwa behaupten könnte, das allerdings wegen der Nutzung von amerikanischem Sagenstoff und einem schönen Ambiente die Nase weit vorn hat. Hier gelingt auch mühelos, was in der Eröffnungsgeschichte von de Camp gescheitert ist: Männliche Helden tun männliche Dinge … wenn sie nicht gerade im Bademantel herumlaufen, weil sie ein unfreiwilliges Bad mit dem Dakwa, einem ziemlich unheimlichen und bizarren Wassermonster, genommen haben. Wellman beschwört dabei ein phantastisches Nordamerika herauf, in dem man abends in einer einsamen Hütte das Banjo auspackt und hofft, dass die Wesen der Nacht draußen bleiben.
Eine weitere solide Club Story ist The Kings of the Sea von Sterling E. Lanier, in der Brigadier Ffellowes von einem Abenteuer während eines Urlaubs in Skandinavien berichtet. Sie kann mit einem starken Ende und einer bedrohlichen Atmosphäre punkten, während an der Oberfläche eigentlich nur sehr wenig passiert.

Grumblefritz von Marvin Kaye bringt mit nur vier Seiten in Form einer Zeitungsannonce das Format der Kurzgeschichte an seine Grenzen. Das Plädoyer für ein bedrängtes Seeungeheuer von New York ist eine spielerische Satire mit einem wunderbaren Konzept.
Die abschließende Geschichte, The Devil of Malkirk, ist die beste von Charles Sheffields Doctor-Darwin-Geschichten und wirft einige schottische Mythen in den Topf. Die Verortung am Loch Ness und in der Zeit von Erasmus Darwin wirkt aufgrund der sorgfältigen Recherche sehr lebendig. Außerdem gebührt der Geschichte, die zu den besseren dieser etwas durchwachsenen, aber mit sehr starken Höhepunkten ausgestatteten Anthologie gehört, immerhin der Ruhm, den Schlachtruf aller Kryptozoologen einzuführen: »What in the name of Linnaeus is this?«

Johannes Cabal: Seelenfänger von Jonathan L. HowardJohannes Cabal hätte vom Teufel gerne seine Seele zurück, die er gegen nekromantische Expertise eingetauscht hatte, möchte sein Wissen aber behalten. Also muss er eine Wette eingehen, wenn er es schafft 100 Seelen innerhalb eines Jahres für die ewige Verdammnis zu lukrieren, erhält er seine zurück. Und welches Mittel stellt der Teufel dem unterkühlten, streng-rationalen Johannes Cabal zur Verfügung? Natürlich ein eingestampftes höllisches Jahrmarktsprojekt …

– Walpurgisnacht. Hexensabbat, die letzte Nacht im April, in der das Böse umgeht. –
Kapitel 1 – In dem ein Wissenschaftler die Hölle besucht und ein Pakt geschlossen wird.

Zu Seelenfänger liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Seide und Schwert von Kai MeyerNiccolo lebt auf den Wolken, zusammen mit einer kleinen Schar von Auswanderern, die dank einer Erfindung von Leonardo da Vinci dort ihre Wohnstatt errichtet haben. Doch plötzlich funktionieren die Äthermaschinen nicht mehr, und die Wolkensiedlung strandet auf den hohen Gipfeln über China. Nach langem Hin und Her wird Niccolo ausgesandt, auf der Welt unten nach Hilfe zu suchen, bevor sich die Wolken ganz auflösen und die Stadt dem Untergang geweiht ist. Doch die Länder auf der Erde sind voller Gefahren …
In China lebt Nugua, ein Mädchen, das von Drachen aufgezogen wurde. Seit die Drachen verschwunden sind, ist sie auf der Suche nach ihnen.

-Sie war als Menschenmädchen unter Drachen aufgewachsen. Aber erst an dem Tag, als die Drachen aus der Welt verschwanden, wurde Nugua bewusst, wie sehr sie sich von ihnen unterschied.-

Kai Meyer, der in seinen Jugendbüchern schon mehrfach internationale Überlieferungen und Sagen herangezogen und diese Elemente zu etwas Neuem verbunden hat, als wäre er der deutsche Neil Gaiman, hat für seine Trilogie Das Wolkenvolk vor allem die chinesische Kultur als Inspiration genutzt. Und weil ein Themenkreis für Meyers aufwendige Gebilde nicht ausreicht, ist das namensgebende Wolkenvolk selbst ein über China gestrandeter Haufen von Italienern unter Führung der Medici, die dank einer Erfindung Leonardo da Vincis zweihundert Jahre lang auf verfestigten Wolken mit den Luftströmen um die Erde gereist sind.
Abwechselnd erzählt Meyer von den Fährnissen der nun sinkenden Wolkenstadt, zu deren Rettung der junge, schüchterne Freigeist Niccolo ausgesandt wird, und von China, wo das eigensinnige Mädchen Nugua die verschwundenen Drachen sucht – unschwer zu erraten, daß sich die Helden treffen und ihre Questen zusammenzuhängen scheinen.

Die Abenteuer führen quer durchs Land und erfordern allerlei Gefährten, wobei hier Rätselhaftigkeit bei allen Nebenfiguren Programm ist – keiner stellt sich als das heraus, was er anfangs zu sein scheint. Vom unsterblichen Streiter und der überirdischen Schönheit bis hin zum komischen Feigling und der spröden Kämpferin ist alles vertreten. Trotz dieser Fülle sind viele Charakterbeziehungen vorhersehbar und stereotyp. Ein Jugendbuch ist vielleicht nicht der Ort für hochdifferenzierte Motivationen und uneindeutige Charaktere, doch so starr hätten die Rollen nicht von Anfang an festgelegt sein müssen. Es mag auch daran liegen, daß in diesem Auftakt-Band zu viele Figuren eingeführt werden, so daß sogar der bemitleidenswerte Tolpatsch Feiqing kaum genügend Zeit hat, wirklich die Sympathie des Lesers zu erwerben, obwohl er sich redlich bemüht und durch seine Eigenwilligkeit eine der liebenwürdigsten Figuren des Romans ist.

So wird auch Mythos um Mythos bemüht und sämtlichen Vorstellungen genügt, die man gemeinhin mit dem fernen Osten verbindet, und phantastische Schauplätze rauschen am Leser vorbei. Dementsprechend huscht alles nur kurz durch’s Bild, und die Helden müssen um die Lösungen ihrer Probleme meistens nicht kämpfen (obwohl spektakuläre Actionszenen, die an den asiatischen Film erinnern, durchaus ihren Platz haben), denn ein spektakuläres Problem wird einfach vom nächsten (ab)gelöst. Der ganze Roman ist randvoll gepackt mit mysteriösen Figuren, großartigen Schauplätzen und überraschenden Abenteuern, so daß einige feinere Nuancen zwangsläufig auf der Strecke bleiben.

Die Achterbahnfahrt durchs mythische China liest sich aber trotz allem äußerst angenehm, denn Kai Meyer erzählt stilvoll und, bis auf einige Patzer (schade zum Beispiel, daß man jungen Lesern realisieren als “wahrnehmen” statt “wahr machen” vorsetzt), sehr flüssig.
Der Versuch, möglichst viel vom Zauber Chinas einzufangen, ist leider nur in einzelnen Szenen gelungen – und wenn man dort einen Hauch davon erfährt, merkt man, daß das Konzept eigentlich aufgehen hätte können. Nach einem offenem Ende und nun, da alle Figuren bereit und mitten in der Handlung stehen, vielleicht im zweiten Band ohne die Hektik von Seide und Schwert.

Silberlinge von Jim ButcherDas Grabtuch von Turin wurde aus dem Vatikan gestohlen, und Harry soll es finden. Was anfangs nach einer einfachen Aufgabe klingt, wird schnell brenzlig, als Harry es mit Auftragskillern, gefallenen Engeln, einer kopflosen Leiche mit zahllosen Krankheiten und dem Champion des Roten Hofes der Vampire zu tun bekommt. Als wären das noch nicht ausreichend Herausforderungen, taucht auch Susan plötzlich vor Harrys Türe auf und hat einen anderen Mann dabei.

– Manche Dinge passen einfach nicht zusammen, etwa Öl und Wasser, Orangensaft und Zahnpasta.
Das gilt auch für Magier und das Fernsehen. –
Kapitel 1, S. 1

Zu Silberlinge liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Snake Agent von Liz WilliamsDetective Inspector Chen, Polizist in Singapore Three, erhält eine Vermißtenmeldung: Der Geist von Pearl Tang, der Tochter eines Großindustriellen, ist nach dem Tod des Mädchens nicht im Himmel aufgetaucht. Chen stößt bei seinen Ermittlungen sehr schnell auf Widerstand, findet aber schließlich heraus, daß Pearl widerrechtlich in der Hölle gelandet ist. Während sein primäres Ziel die Überführung des Geistes in den Himmel ist, hat die Hölle ein eigenes Interesse an der Aufklärung der Sache und schickt dazu den Seneschall Zhu Irzh vom Lasterministerium zu Ermittlungen auf die Erde. Dort gerät er Chen in den Weg.

-Detective Inspector Chen brushed aside the chaos on his desk and carefully lit a single stick of scarlet incense.-
One, Singapore Three, Earth, One Week Earlier

Wenn westliche Autoren Krimi-Geschichten aus einem China mit mythischem Einschlag erzählen, liegt die Meßlatte hoch, denn dabei Pfade einzuschlagen, über die Barry Hugharts Meister Li noch nicht mit größerer Kunstfertigkeit von seinem Gehilfen Nummer Zehn der Ochse getragen wurde, ist eine Herausforderung.
Ein erster Schritt in eine andere Richtung ist es, Snake Agent, den ersten Band mit den Fällen von Detective Inspector Chen, nicht im alten China, das es niemals gab, sondern in einer Volksrepublik der nahen Zukunft anzusiedeln, die sich von unserer Gegenwart hauptsächlich in fortgeschrittener Kommunikationstechnologie und darin unterscheidet, daß aus Städten Franchises geworden sind, wobei Chens Singapur der dritte Ableger der Metropole ist. Und im Gegensatz zu seinem in Shanghai tätigen Namensvetter Inspector Chen von Qiu Xiaolong kümmert Chen Wei sich um die übernatürlichen Kriminal- und Problemfälle seiner Stadt, in der Himmel und Hölle und alles dazwischen präsent genug sind, daß jeder vernünftige Bürger sich an die Richtlinien des Feng Shui hält, aber dennoch jemanden wie Chen, der mit diesen Mächten persönlichen Kontakt pflegt, furchtsam beäugt.
In allem anderen – dem feinen Humor, den absurden Situationen zwischen spiritueller und physischer Welt und dem rasanten Plot – marschiert Liz Williams zielsicher und frohgemut in dieselbe Richtung los wie Hughart.

Der Form nach beginnt Snake Agent wie ein typischer Polizeiroman, der allerdings nicht nur ein wenig übernatürliche Dekoration ins Bild schiebt, sondern durch und durch aus seinem Setting schöpft, und das von der ersten Seite an, wenn klar wird, daß das verschwundene Mädchen, das Chen suchen soll, bereits als Geist durch die Hölle schwebt, wo sie dummerweise fehl am Platz ist. Bürokratie, Korruption und abergläubische Kollegen machen Chen das Leben schwer, während er mit meditativ gestärktem Qi und Rosenkranz bewaffnet und unter den Fittichen einer unzuverlässigen Schutzgöttin seinen ungewöhnlichen Arbeitsalltag bestreitet.

Sein Weg führt ihn nicht nur in Singapurs Reichenviertel, sondern recht schnell auch ins Rotlichtviertel der Hölle, die sich gemäß der chinesischen Mythologie vor allem als bürokratisches Monstrum darstellt, wo an jeder Ecke ein dämonischer Apparatschik lauert. Die Designvorstellungen der Höllenbewohner sind bisweilen eklig, man kennt diese Knochen- und Blutaffinität auch aus westlichen Darstellungen – in Sachen Hölle scheinen sich die Kulturen nicht viel zu schenken. Direkt stattfindende Grausamkeiten spielen dagegen bei Snake Agent so gut wie keine größere Rolle. Das Höllen-Dekor vervollständigt damit vor allem das gezeigte Höllenbild. Die Ironie, die in dieser altmodischen und zugleich erschreckend modernen Unterwelt liegt (in der man zur Organisation des höllischen Wirkens auch Emails einsetzt), ist fast immer ein Treffer, nur ganz selten kommen bei der Kombination von biblisch anmutendem Moralverständnis und einer modernen Bürokratie seltsame Gebilde heraus.
Aus dieser Hölle, einem Ort voller bizarrer Lebewesen und Regeln, kommt Chens dämonischer Gegenpart Zhu Irzh, nie um eine Opiumzigarette oder ein modisches Accessoire verlegen. Kurz bevor es zu viel wird mit der Faszination und Attraktivität des Bösen, zieht Liz Williams meistens die Reißleine. Spätestens wenn der Seneschall sich fragt, ob er sich einen hartnäckigen Fall von Moral eingefangen hat und hofft, daß er dagegen auch krankenversichert ist, hat er die Lacher auf seiner Seite.
Die Interaktion der beiden Hauptcharaktere ist ein Glanzpunkt von Snake Agent – sie ist zwar ein Klassiker, diese forcierte Zusammenarbeit von gegnerischen Parteien unter widrigen Umständen, aber wer möchte bei einer so frischen, charmanten Umsetzung wie hier nicht gleich „Nochmal!“ rufen und sich auf den nächsten der inzwischen fünf Fälle freuen? Während Chen als ruhiger Ankerpunkt und Antrieb der Handlung fungiert (spätestens, nachdem seine Frau involviert ist, der Liz Williams einen bezaubernden Vertrauten aus dem asiatischen Fabelschatz an die Seite gestellt hat), tritt Zhu Irzh als der aufgewühlte und aufwühlende Gegenpol auf. Auch die Nebenrollen sind bis in kleine Details liebevoll besetzt, mit Chens Polizeikollegen, einem streng parteitreuen Dämonenjäger, diversen höllischen Auswüchsen oder dem stets mürrischen Exorzisten Lao.

Die Erinnerungen an Hughart und seine besten Szenen, die Liz Williams mit Chen und Zhu Irzh wachzurufen imstande ist, sprechen für ein Gelingen des Experiments; aber auch Good Omens von Pratchett und Gaiman läßt durch das Protagonistenduo und die Thematik hie und da grüßen. Kleinere Schwächen wie die Vorhersehbarkeit einiger Entwicklungen und eine letztlich recht simple Lösung des komplizierten Falls (wie das eben so ist, wenn Gottheiten und überirdische Mächte involviert sind) verzeiht man gerne, denn vorab ging es ausgesprochen spannend zur Sache, in gut abgestimmten Handlungssträngen und temporeichen Szenen, die immer wieder große Bildgewalt entfalten.
Seinen Höhepunkt – und auch das, was Snake Agent von anderen lockeren Fantasy-Krimis abhebt – findet der Roman in den bitterbösen Seitenhieben auf unsere Gesellschaft, die sich in ihren Verflechtungen mit der Hölle und deren spiegelbildlicher Struktur finden. Surreal und allzu real stehen oft so dicht hintereinander, daß einem manches Lachen ein klein wenig im Hals stecken bleiben will.

Cover von Das Spiegellabyrinth von Frank BeddorVor zwölf Jahren gab es im Wunderland einen Bürgerkrieg, von dem sich das Land nur langsam erholt hat. Jetzt herrscht ein brüchiger Friede. Die Matriarchinnen der Familien Karo, Kreuz und Pik neiden Genevieve, der Königin aus der Herzdynastie, ihre Macht. Doch ihre größte Feindin entstammt der eigenen Familie, es ist Genevieves Schwester Redd. Prinzessin Alyss verschwendet keinen Gedanken an Krieg. Sie feiert heute ihren siebten Geburtstag. An der Parade, die ihr zu Ehren veranstaltet wird, findet sie keinen rechten Gefallen. Sie wartet sehnsüchtig auf die Heimkehr ihres Vaters. Er war zu König Arch von Grenzland gereist, um ihn für eine Allianz gegen Redd zu gewinnen, deren Truppen sich Berichten zufolge zum Angriff rüsten. König Nolan wird jeden Moment zurückerwartet, doch Alyss’ Vater kommt nicht nach Hause – niemals mehr. Redds Soldaten haben ihn und seine Männer niedergemetzelt. Danach stürmen sie den Palast, ermorden die Königin und jeden, dessen sie habhaft werden können. Mac Rehhut, der Leibwächter der Königin, packt Alyss und springt mit ihr in den Spiegel. Doch im Teich der Tränen werden die beiden getrennt. Mac Rehhut landet im Paris des Jahres 1895 und Prinzessin Alyss im viktorianischen London.

– Vor zwölf Jahren hatten scheußliche Massaker die Türschwelle eines jeden Wunderländers mit Blut besudelt.-
1.Teil

Ihr kennt doch sicher die Geschichte von Alice im Wunderland. Bestimmt habt Ihr irgendwann einmal das Buch von Lewis Carroll gelesen oder eine Verfilmung davon gesehen. Erinnert Ihr Euch an die Königin, die jeden, der ihr widersprach, umbringen lassen wollte, und die ständig “Kopf ab, Kopf ab” rief? Die war witzig, nicht??? Wenn Ihr das denkt, dann solltet Ihr einmal Alyss fragen, wie es war, als Redd mit ihrer Mordtruppe den Palast stürmte und jeden töten ließ, der sich ihr in den Weg stellte. Fragt sie, wie es war, als der grinsende Kater den Hauptmann der Palastgarde mit einem Prankenhieb zerfetzte. Ihr könnt versichert sein: Das war nicht witzig! Gott sei Dank blieb Alyss es erspart, mit ansehen zu müssen, wie ihre Tante Redd ihrer Mutter eigenhändig den Kopf abschlug.
Reverend Dodgson hat gewußt, wie es war, als er Alice’ Abenteuer unter der Erde schrieb, das Buch, das er später unter dem Pseudonym Lewis Carroll veröffentlichte und das unter dem Titel Alice im Wunderland weltberühmt wurde. Alyss hat ihm ihre wahre Geschichte erzählt, damals bei dem Ausflug, als sie als Adoptivtochter bei den Liddells lebte und “Alice” genannt wurde. Aber er hat ihr nicht geglaubt, er hat sogar ihren Namen falsch geschrieben, wie alle anderen in der realen Welt auch und er hat es vorgezogen, eine alberne Geschichte für Kinder daraus zu machen. Reverend Dodgson hat sich über Alyss lustig gemacht und sie hintergangen. Erst viel später hat ein anderer die wahre Geschichte von Alyss im Wunderland aufgeschrieben. Sein Name ist Frank Beddor und er hat diese Aufgabe mit Bravour gemeistert.
Alyss wahre Geschichte ist aufregend, blutig und nichts für schwache Nerven, doch sie ist auch voller Hoffnung, denn neben all den Grausamkeiten, die sie beschreibt, erzählt sie auch vom Sieg der Weißen Phantasie über das Böse. Spannend und atemberaubend schildert Beddor in Das Spiegellabyrinth (The Looking Glass Wars) den Kampf zwischen Alyss und ihren Getreuen und der abgrundtief bösen Redd und deren Verbündeten, aber er vermag auch die leisen Töne anzuschlagen. Er benötigt nur wenige Worte, um den Leser an der Traurigkeit des Leibwächters teilhaben zu lassen, wenn er über eine junge Frau schreibt, die die zu Redds Mordtruppe gehörenden Gläserne Augen abgeschlachtet haben: Mac hatte sie sehr gern gehabt. In diesen sechs Wörtern steckt eine ganze wunderbare Liebesgeschichte.

Die Figuren und Schauplätze aus Carrolls Romanen sind leicht wiederzuerkennen, aber dennoch anders, allen voran Alyss. Alyss ist hier im Wunderland zu Hause. Wie alle Frauen ihrer Familie kann sie mit Hilfe ihrer Phantasie Dinge erschaffen. Die Quelle aller Schaffenskraft ist der Herzkristall, ein riesiger Edelstein. Was in ihm aufgeht, regt in anderen Welten die Phantasie an. Alyss muß lernen, ihre Phantasie zu kontrollieren. Dabei hilft ihr der Hauslehrer Nanik Schneeweiß, dem Carroll als hektisches weißes Kaninchen ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt hat. Der verrückte Hutmacher wird zum Modisten Mac Rehhut, Genevieves und Alyss’ Leibwächter, der über ein tödliches Waffenarsenal verfügt.
Die Cheshire-Katze ist Redds rechte Hand, ein grausamer und gnadenloser Killer mit neun Leben. Erleidet er eine tödliche Verletzung, schließt sich die Wunde, der Kater erhebt sich und mordet weiter. Redd hat ihn auf Alyss angesetzt.
Beddor vermischt aber nicht nur seine Fiktion mit der Carrolls, sondern er webt auch die Realität kunstvoll in seine Geschichte ein. Carrolls Roman ist tatsächlich entstanden, nachdem Reverend Dodgson mit der zehnjährigen Alice Liddell und ihren Schwestern einen Boots-Ausflug unternommen hatte. Alyss’ Situation bei den Liddells schildert Beddor sehr real. In dieser Familie wird sie zu Alice, einem normalen Mädchen, dem seine Phantasie von den Eltern ausgetrieben wird. In dem Maße, in dem Alice ihre Phantasie verliert und ihre Erinnerungen an das Wunderland verblassen, verringert sich auch die Hoffnung der Wunderländer auf die Befreiung von Redds Gewaltherrschaft durch Prinzessin Alyss. Es gibt auch Wunderländer, die sich mit der neuen Herrin arrangieren. Der Karobube wird zum widerwärtigen Opportunisten und löst im Leser den heftigen Wunsch aus, ihn bei zukünftigen Kartenspielen schnellstmöglich loszuwerden.
Unterdessen erhält Alice in der Realität einen Heiratsantrag von Prinz Leopold, einen Sohn Königin Viktorias. Das ist ein unglaublicher und einzigartiger gesellschaftlicher Aufstieg für ein Waisenkind von zweifelhafter Herkunft. Wenn der Leser anfängt ernsthaft zu überlegen, ob Alice Liddell tatsächlich einen Sohn Queen Victorias geheiratet hat, dann weiß er endgültig, daß ihn “die wahre Geschichte” der Alice im Wunderland in ihren Bann geschlagen hat.

Cover von Stadt der goldenen Schatten von Tad WilliamsIn den verschlammten Gräben der Westfront überkommen den britischen Soldaten Paul Jonas plötzlich seltsame Visionen von einer Frau in Gefangenschaft, die ihn in fremde Welten locken. Im Südafrika einer ferneren Zukunft kämpft die Universitätsdozentin Irene („Renie“) Sulaweyo nicht nur mit ihren prekären Familienverhältnissen, sondern auch um ihre Identität und vor allem um ihren jüngeren Bruder, dessen Geist nicht mehr aus der Cyberwelt zurückgekehrt ist. In den USA derselben Zukunft fühlt sich Orlando Gardiner um seinen wertvollen Onlinecharakter Thargor betrogen, der sein liebevoll entwickeltes Alter Ego darstellte. Um wiederzufinden, was sie verloren haben, begeben sich Renie und Orlando individuell tief in die virtuelle Realität.

-Paul Jonas seufzte. Er war fünfmal um den Baum herumgegangen, und das Ding machte keinerlei Anstalten, weniger unmöglich zu werden.- S. 18

Vielen wird Tad Williams vor allem aufgrund seines High-Fantasy-Zyklus Osten Ard bekannt sein – ob ihm mit Stadt der goldenen Schatten (City of Golden Shadow ) ein Cyberpunk-Roman gelingt?

Die Handlung dieses Auftaktbandes zum Otherland-Zyklus wird in drei parallel verlaufenden Handlungssträngen erzählt, die sich im Verlauf der Geschichte teilweise überkreuzen. Die Verschiedenheit der drei Protagonisten, was ihre jeweilige Zeitebene, aber auch ihren sozialen Kontext betrifft, bietet einen Vorgeschmack auf die Ideenvielfalt, die den Leser oder die Leserin in Stadt der goldenen Schatten erwartet. Mit der Südafrikanerin Renie Sulaweyo ist Tad Williams dabei eine tolle Figur gelungen, auch, weil die Kombination “farbig” und “weiblich” unter den Hauptfiguren in der Fantasy leider immer noch Seltenheitswert besitzt. Darüberhinaus bieten ihre zerrütteten Familienverhältnisse sowie das Zusammentreffen mit dem nicht weniger interessanten Sidekick !Xabbu, einem Buschmann, der es geschafft hat, akademische Ausbildung und die Traditionen seines Volkes zu vereinen, viele Möglichkeiten für das Thematisieren von Identität, Selbstfindung und damit Charakterentwicklung. Ähnlich verhält es sich mit dem spät hinzukommenden Strang um Orlando Gardiner, der aus ganz anderen Gründen eine tiefgreifende Persönlichkeitsentwicklung durchläuft.

Paul Jonas wirkt dagegen etwas blass, dafür punktet seine Geschichte mit dem, was diesen Roman so aufregend macht: der Weltenbau. Renies und Orlandos global vernetzte Welt mit ihren Science-Fiction- und Cyberpunk-Elementen ist schon spannend genug, zumal es Tad Williams versteht, mit kleinen Informationstupfern ein schönes Panorama zu liefern, in den Episoden der Virtual Reality und besonders in Pauls Handlungsstrang entfaltet der Autor jedoch eine beeindruckende Ideenvielfalt. Zwar werden die einzelnen Schauplätze teilweise nur episodisch und schlaglichtartig abgehandelt, trotzdem wirken sie sehr bunt und plastisch, was vor allem daran liegt, dass jede ihre eigenen Regeln und Normen hat. Dabei reicht die Bandbreite von fantasytypischen Mittelalterwelten bis hin zum steampunkigen Abenteuerromansetting, bei dem es Williams sogar gelingt, den kolonialen Gestus klassischer Abenteuerromane zu treffen.

Mit Stadt der goldenen Schatten ist Tad Williams ein wilder Genre-Mix gelungen, der zugleich ein beeindruckendes Beispiel für seinen Ideenreichtum darstellt. Durch die drei Handlungsstränge werden Längen, trotz der hohen Seitenzahl des Buches, großteils vermieden und wen das Buch fesselt, dem oder der rate ich den zweiten Band am Ende griffbereit zu haben. 😉

Die Stimme der Finsternis von Tad Williams und Nina Kiriki HoffmanMasrur al-Adan ist Teil eines Soldatentrupps, der eine Karawane seines Kalifen sicher zu ihrem Ziel geleiten soll – einem benachbarten Fürsten im hohen Norden. Die Route wird als sehr gefährlich und unüberwindbar beschrieben, doch dies und auch ein vernichtender Überfall eines Banditentrupps sind nicht das schlimmste, was den Soldaten auf ihrer Reise bevorsteht. Es heißt, ein fürchterlicher, unbezwingbarer Vampir treibe genau in dem Tal sein Unwesen, durch das die Karawane reisen muss, um an ihr Ziel zu kommen. Bald schon ist ihre einzige Chance zu überleben das Erzählen von Geschichten …

-Der flackernde Schatten, den das Geschöpf an die Bäume warf, schien voller böser Absichten. Ich dachte an all die Dinge, die ich noch nie getan, all die Freuden, die ich noch nie genossen hatte. Dann trat das Wesen näher ans Feuer.-
Kapitel 5

Die Stimme der Finsternis basiert auf Williams‘ erster Kurgeschichte und wurde mit Hilfe von Nina Kiriki Hoffman in eine Novelle ausgestaltet. Hierbei wandelte sich der ursprüngliche Fokus weg vom Monster hin auf die Bedeutung des Erzählens von Geschichten. Etwas, das laut Williams der Kern vieler seiner Bücher ist:
„[…], like a lot of my work, storytelling became what the story itself was about.
Die Stimme der Finsternis ist wie eine Lagerfeuergeschichte aus Tausendundeiner Nacht. Damit ist jedoch nicht nur das Setting gemeint, sondern auch der gesamte Aufbau der Novelle. Innerhalb einer kurzen Rahmenhandlung baut sich die eigentliche Geschichte auf, in der noch einige weitere kurze Erzählungen verschachtelt sind. Erzählungen über Liebe, Trauer, Verlust und Fehlbarkeit, meist gekoppelt mit einer zugrunde liegenden Moral – sie sind der eigentliche Kernpunkt des Werkes, wenngleich sie auch erst im letzten Drittel aufkommen.

Die Figuren sind zum Großteil lediglich Namen mit ein oder zwei zugeordneten Attributen, die sich im Laufe der kurzen Geschichte auch nicht ändern oder weiter entwickeln. Man muss sogar sagen, dass der Vampir hierbei am detailliertesten ausgearbeitet ist. Und dieser gleicht zum Glück keinesfalls der modernen Ausprägung des heimlichen Geliebten.
Aber auf die Figuren per se zielt Die Stimme der Finsternis auch nicht ab. Hier geht es lediglich um Geschichten und Erfahrungen, die eine Person gemacht hat und von denen sie vielleicht sogar geprägt wurde. Das Leben schreibt die schönsten und grausamsten Geschichten, doch so oder so, der Mensch wird geformt von diesen Erfahrungen, zieht in weniger schönen Zeiten Kraft daraus, oder genießt es einfach, seine eigenen Erlebnisse im Kreise seiner Freunde oder Familie weiterzugeben oder einfach nur anderen Geschichten zu lauschen.

Bis auf die Rahmenhandlung ist Die Stimme der Finsternis aus der Ich-Perspektive erzählt, wie es jede gute Lagefeuergeschichte auch sein sollte. Doch die damit einhergehende Problematik eines gewissen Spannungsverlustes hinsichtlich der Hauptperson der jeweiligen Geschichte ist auch hier nicht zu vermeiden. Der Makel ist allerdings definitiv verschmerzbar. Der Weg ist das Ziel – es ist nicht eine Frage darüber, ob das Ziel erreicht wird, sondern wie, und das ist die Reise allemal wert.
Die Stimme der Finsternis ist recht einfach und direkt geschrieben – kein Vergleich zu den ausufernden, blumigen Beschreibungen wie z.B. im Osten-Ard-Zyklus von Williams. Während das in den größeren Reihen gut funktionieren mag, hätten seitenweise Beschreibungen der Umgebung hier eigentlich nur geschadet und die Dringlichkeit der Situation abgeschwächt. So kann man sagen, dass die knapp 160 Seiten wie im Flug vorbei gehen. Eine nette, kurzweilige Geschichte für zwischendurch, mit der man mit den richtigen Erwartungen eigentlich nichts falsch machen kann.

Stimme in der Nacht von William Hope HodgsonDie Boote der Glen Carrig sind zwei Rettungsboote, die sich durch unbekannte Gewässer schlagen und auf Inseln mit geheimnisvollen  Bewohnern treffen, immer auf der Suche nach Nahrung, Wasser und einer Möglichkeit, wieder in die Heimat zu gelangen.
Die Herrenlose ist ein treibendes Wrack, das von der Besatzung eines vorüberkommenden Schiffes entdeckt wird und ein unheimliches Geheimnis verbirgt.
Die Nachtwache eines kleinen Schiffes hört eine Stimme in der Nacht. Der Sprecher sitzt in einem kleinen Boot und fleht um Nahrung, aber er will sich um keinen Preis zeigen.
Die Crew der Lancing segelt durch tropische Gewässer, als plötzlich Dampf aus dem Meer aufsteigt. Ein fremdes Schiff nimmt ihre Verfolgung auf.

-Wir waren nun seit fünf Tagen in den Booten und hatten während dieser ganzen Zeit kein Land entdeckt.-
Die Boote der “Glen Carrig”: 1 Das Land der Einsamkeit

In vier Geschichten wendet sich der britische Autor William Hope Hodgson seinem Lieblingsthema – der See – zu. Aber nicht Riffe, Haie, Piraten oder Skorbut sind es, gegen die die Seeleute hier bestehen müssen, sondern vielmehr übernatürliche Schrecken der Meere. Hodgson, der selbst zur See gefahren ist, plaudert aus dem Nähkästchen und verlangt dem Leser einiges an maritimem Vokabular ab, aber die Geschichten sind auch ohne Spezialkenntnisse verständlich – auf die Gefahr hin, nicht ganz genau zu wissen, welcher der Masten gerade vom Sturm geknickt wurde …
Die Crew der Lancing ist die längste der vier Geschichten, mit 160 Seiten eigentlich ein eigener Roman. Sie wartet mit dem unkommodesten der vier Ich-Erzähler auf – keinem einfachen Seemann, sondern eine wohlhabenden, gebildeten Passagier, der einen affektierten, sehr ausführlichen Sprachstil pflegt. Deshalb eignet sich die Geschichte nicht sonderlich gut zum Einlesen ins Hodgsons Stil; sie ist auch die am wenigsten überzeugende der Sammlung. Ursprünglich als Fortsetzungsroman erschienen, gibt es in den kurzen Episoden zwar massenhaft Abenteuer zu bestehen, Kämpfe gegen tückische Meeresteufel, schleimige Blutsauger und heulende Bäume; Stürme werden überstanden und fremde Länder erkundet – aber einen großen Spannungsbogen oder eine Entwicklung der Geschichte gibt es nicht.
Die Herrenlose wird von einem Schiff entdeckt, das mit dem Schiffsarzt und dem naturwissenschaftlich interessierten Ich-Erzähler eine Besatzung aufbietet, die eine wissenschaftliche Erklärung für die übernatürlichen Vorgänge auf dem Wrack sucht – aber sie scheitert und erfährt, daß die See unerklärlich und unerfassbar bleibt. Auch in dieser Geschichte gibt es Kämpfe und Action, und Hodgson versteht es, die Atmosphäre des Übernatürlichen langsam aufzubauen und in Form eines treibenden Wracks in den Alltag der Seeleute eindringen zu lassen.
Die beeindruckendste Geschichte der Sammlung ist allerdings das titelgebende Stimme in der Nacht. Hier erfährt nicht der Ich-Erzähler und mit ihm die Besatzung des Schiffes am eigenen Leib, welche Schrecken das Meer bereithält, sondern nur durch die Worte der geheimnisvollen Stimme, die ihr Schicksal von einem Rettungsboot aus erzählt, wird das reine Grauen vermittelt. Hodgson vermag es, den Leser an die unglaublich Erzählung des Fremden zu bannen. Die Thematik ist eine ähnliche wie bei der vorausgehenden Geschichte, aber hier läuft alles ohne Action ab und das Unheimliche stiehlt sich leise und eindringlich in die Vorstellung des Lesers.
Die Crew der Lancing schließlich setzt auch auf eine unheimliche Begegnung mit einem anderen Schiff, und hat aufgrund des tropischen Settings einen etwas anderen Charakter als die vorausgehenden Erzählungen. Dennoch ist sie nach einem ähnlichen Muster aufgebaut.

Wenn man sich auf Hodgsons mittlerweile etwas antiquierten Stil einläßt, wird man feststellen, daß die Faszination des Unbekannten, das auf und unter den endlosen Wassern lauert, bis heute nicht nachgelassen hat. Der Autor versteht es, der Nachtseite des Meeres erschreckende Gesichter zu verleihen. Anklänge an den Cthulhu-Mythos werden wach bei den Gestalten, die die See in diesen Geschichten ausspuckt, und es verwundert nicht, daß H.P. Lovecraft Hodgsons Werk schätzte.

Storm Front von Jim ButcherIn einem Hotel in Chicago wird ein Liebespaar ermordet aufgefunden. Im Bett. Noch immer im Akt vereint und mit explodierten Herzen. Eine nach Ansicht der Polizei eher ungewöhnliche und vor allem nicht zu erklärende Todesart. Doch klar ist, es handelt sich um Mord. Einen durch Magie herbeigeführten Mord. Da bleibt den Ermittlern nur eines zu tun: Sie ziehen den einzigen öffentlich praktizierenden Magier der Stadt zu Rate, den Privatdetektiv Harry Dresden, und ehe man sich versieht, steckt man knietief in magischen Formeln und wird von krötenähnlichen Dämonen verfolgt.

– People who know diddly about wizards don’t like to give us their names. They’re convinced that if they give a wizard their name from their own lips it could be used against them. To be fair, they’re right. –
Kapitel 1, S.5

Harry Dresden bedient viele Klischees des abgetakelten Privatdetektivs eines Film Noir. Das kann, je nach Natur des Lesers, entweder ein Plus- oder ein Minuspunkt sein. Für Fans dieses Filmgenres mag das entsprechende Setting in The Dresden Files nicht ganz authentisch wirken oder zu oberflächlich behandelt werden, doch glücklicherweise bietet Storm Front (Sturmnacht) einiges mehr als nur einen weiteren Detektivroman nach Schema F.

Die Hauptmerkmale des Buchs sind schnell erklärt: ein notorisch abgebrannter Magier-Detektiv in einer Welt wie der unseren, mit dem Unterschied, dass Magie real ist und Feen, Trolle, Vampire und andere Gestalten Seite an Seite mit den Menschen leben. Oft gehört, oft versucht, hat mancher Autor ein passables Ergebnis erreicht. Doch Harry Dresden dürfte der Vater aller ermittelnden Magier sein. Der Autor, Jim Butcher, schafft es, aus diesen nicht unbekannten Zutaten ein erstaunlich gut funktionierendes und stimmiges Gefüge zu machen. Zu verdanken ist dies u.a. einer Kombination aus interessanten Charakteren, einem dichten Plot und einem flotten, erfrischend unterhaltsamen Schreibstil. Die übernatürlichen Aspekte des Romans werden zwar mit Liebe zum Detail, aber nicht ausufernd langweilig geschildert. Kurz gesagt: Dieses Buch ist dreckig, blutig, absurd komisch, einfach gestrickt und macht schlichtweg süchtig.

Die Seiten von Storm Front fliegen also nur so dahin, mit viel trockenem Humor, rasanter Action und einem unglaublich sympathischen, fesselnden Hauptcharakter. Harry Dresden möchte eigentlich nur eins: sein Leben leben, seine Rechnungen bezahlen können und seine magischen Kräfte auf legale Weise benutzen. Mit seinen magischen Eskapaden und einer nicht ganz sauberen Vorgeschichte jedoch ist er, trotz seiner gelegentlichen Feigheit, ein Unikat in der Masse der Detektive. Harry ist der altmodische Typ Mann, der die Jungfrau in Nöten vor dem Drachen rettet, der die Unschuldigen vor dem Unheil beschützt, weil er das für seine Pflicht hält, auch wenn er ahnt, dass er dafür keinen angemessenen Dank bekommen wird. Altmodisch sind auch seine Ausrüstungsgegenstände, denn mit der modernen Technik steht er gezwungenermaßen auf Kriegsfuß. Magie und Elektronik, nein, das harmoniert ganz und gar nicht, da brennt auch der beste CD-Player durch.
Was diese Figur so richtig sympathisch macht, ist die Tatsache, dass sie viele gegensätzliche, aber sehr authentische Eigenschaften in sich vereint. Auf der einen Seite ist Harry der absolut selbstbewusste, stolze und gelehrte Magier und auf der anderen Seite ist er in mehrfacher Hinsicht menschlich und fehlbar, ungeschickt, tollpatschig und manchmal einfach nur dumm (und er weiß es in diesen Momenten selbst). Harry Dresden ist als Protagonist komplex genug, um eine ganze Serie an ihm aufzuhängen, mit einem ironischen bis selbstironischen Humor, der dafür sorgt, dass das Buch nicht zu ernsthaft wird. So kommt es auch vor, dass er seine teils durchaus ernsten Konflikte mit köstlichem Galgenhumor kommentiert.
Die Art, wie Dresden seine Welt dabei als Ich-Erzähler beschreibt, erlebt und mit ihr interagiert, ist so selbstverständlich und die Beschreibungen wirken derart gewöhnlich, dass man als Leser keine andere Wahl hat, als ihm zu glauben. Das wirkt trotz der magischen Schwerpunkte echt, lebendig und geradezu natürlich.

Storm Front ist nur der erste Teil einer umfangreichen Serie, das Buch schließt die Haupthandlung aber ohne Beanstandungen ab. Wer nun ein Kribbeln in den Fingern verspürt, sich den ersten Band anzueignen, aber kein Fan von Cliffhangern ist, darf also getrost aufatmen. Storm Front lässt dennoch genügend Geheimnisse offen, um neugierig auf den nächsten Band zu machen. Es mag kein besonders tiefgründiger Roman sein, aber er ist ein großes Lesevergnügen mit Spannung und vielen Lachern.

Sturmnacht von Jim ButcherIn einem Hotel in Chicago wird ein Liebespaar ermordet aufgefunden. Im Bett. Noch immer im Akt vereint und mit explodierten Herzen. Eine nach Ansicht der Polizei eher ungewöhnliche und vor allem nicht zu erklärende Todesart. Doch klar ist, es handelt sich um Mord. Einen durch Magie herbeigeführten Mord. Da bleibt den Ermittlern nur eines zu tun: Sie ziehen den einzigen öffentlich praktizierenden Magier der Stadt zu Rate, den Privatdetektiv Harry Dresden, und ehe man sich versieht, steckt man knietief in magischen Formeln und wird von krötenähnlichen Dämonen verfolgt.

– Meine Überlebenschancen waren auf der Treppe erheblich höher als in der beengten Aufzugkabine.
Paranoid? Wahrscheinlich. Aber das ist noch lange kein Grund zu glauben, es gäbe keine unsichtbaren Dämonen, die einem im nächsten Moment das Gesicht wegfressen. –
Kapitel 1

Zu Sturmnacht liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Summer Knight von Jim ButcherIn Harrys neuem Abenteuer trifft der Leser auf einen ausgebrannten und niedergeschlagenen Mann ohne Hoffnung. Die Körperhygiene des Detektivs hat merklich gelitten, seine Wohnung ist ein heruntergekommener Saustall, er hat seine Arbeit vernachlässigt, die unbezahlbaren Rechnungen stapeln sich. Doch am schlimmsten steht es um Harrys seelischen Zustand. Am Tiefpunkt seines Daseins angekommen tun sich nun nicht etwa Silberstreifen am Horizont auf, im Gegenteil. Es beginnt Kröten zu regnen, und um die Probleme noch zu verdoppeln, wollen nicht nur die Vampire des Roten Hofs Harry weiterhin tot sehen, sondern auch seine eigenen Leute vom Weißen Rat. Doch es kommt noch härter, in seinem Büro wartet jemand auf ihn, der tödlicher ist als jeder Vampir: die Winterkönigin der Sidhe.

– I was working for the queen of wicked faeries – well, Queen of Winter, of the Unseelie faeries, at any rate –
Kapitel 4, S. 38

Summer Knight (Feenzorn) setzt neun Monate nach den Ereignissen aus Grave Peril (Grabesruhe) an und bringt einen neuen Plot mit, der gleichzeitig an einen der vielen losen Fäden aus Harrys Vergangenheit anknüpft. Auch der Krieg zwischen dem Weißem Rat und dem Rotem Hof ist ein Thema, wird als nun übergeordneter Handlungsstrang jedoch eher beiläufig zu einem Stein, der die aktuelle Handlung ins Rollen bringt. Das zentrale Thema aber ist ein bevorstehender Krieg zwischen den Fae-Königinnen von Sommerhof und Winterhof. Mit der Einführung dieses keltisch verwurzelten Sagenlandes kommen viele märchenhafte und phantastische Figuren und Elemente zum Einsatz: Hochelfen, Feen, Oger, Trolle, Wechselbalge, Einhörner, Satyrn und etliche andere Fabelwesen haben ihren Auftritt in einem gelungen Mix aus Sagenwelt und moderner Realität. Man streift durch Faerie oder dunkle Gassen unterhalb Chicagos und findet verborgene Eingänge in fremde Reiche. In einer wunderbar stimmigen Atmosphäre kommt der Fan von Urban Fantasy mit Summer Knight voll auf seine Kosten.

Neben neu eingeführten Charakteren, die sich neben einigen Mitgliedern des Weißen Rats vor allem aus dem Feenreich der Sidhe rekrutieren, treffen wir auch auf alte Bekannte. Billy und seine Werwolfgang, die Alphas,  aus Fool Moon (Wolfsjagd) beteiligen sich aktiv an Harrys Fall. Dafür muss der Leser auf Michael, der in Grave Peril eine prominente Rolle einnahm, gänzlich verzichten. Was unseren Protagonisten Harry Dresden angeht, so erfährt der Leser einiges mehr aus dessen Vergangenheit und lernt sowohl den Weißen Rat als auch Personen aus seiner Zeit als Lehrling kennen.
Insgesamt ist es sehr schön, wie Summer Knight die oft angedeuteten Begebenheiten aus der Vergangenheit des Magiers aufgreift und weiter ausbaut. Hierdurch gewinnt der Charakter ebenso an Substanz wie auch die Geschichte an Überzeugungskraft. Die Handlung wirkt insgesamt deutlich homogener als der Vorgänger, was nicht zuletzt einem souverän konstruierten Plot zu verdanken ist, der sich auf eine Haupthandlung konzentriert.

Auch der Humor des Autors und seiner Protagonisten ist wieder erfreulich stark präsent und sorgt für zusätzliche Leseanreize. Ein bisschen trocken, ein bisschen schwarz und auch reichlich selbstironisch kommt Summer Knight mit flotten Sprüchen daher. Ein paar Figuren neben Harry verstehen durch bloße Anwesenheit zu amüsieren. Hier sei vor allem der kleine Toot Toot, der zum ersten und letzten Mal in Storm Front (Sturmnacht) einen kurzen Auftritt hatte, hervorgehoben. Was beinahe von der ersten Seite an zu herzhaftem Lachen verführt, steigert sich im Laufe des Buches proportional zu Harrys langsam beginnender seelischer Heilung. Während Grave Peril da insgesamt weniger Gefahren bot, sollte man Summer Knight daher möglichst nicht in öffentlichen Verkehrsmitteln lesen. Schiefe Blicke, verursacht durch spontanes Auflachen, sind bei diesem Roman vorprogrammiert.

Bei all dem Lob sei darauf hingewiesen, dass auch Summer Knight gelegentlich noch an der ein oder anderen Kinderkrankheit leidet und stellenweise etwas bemüht wirkt. Doch der Roman hat viel zu bieten, was diese kleinen Mängel unwichtig erscheinen lässt. Magie, keltischer Mythos, ein Harry, der sich von ganz unten langsam wieder hocharbeitet, auch seine oftmals überspitzten Leiden kommen ein wenig realistischer daher – so wie Harry Dresden seinen Fokus in diesem Roman wiederfindet, so scheint sich nun auch Jim Butcher in seine Serie eingefunden und eine stabile Linie angepeilt zu haben. Sofern es in diesem Stil weiter geht, darf man von dem Folgeband, Death Masks, nur Gutes erwarten.

Cover von Susannah von Stephen KingMia hat im Körper der hochschwangeren Susannah die Flucht in das New York von 1977 ergriffen, und es gelingt Roland und seinen Gefährten Eddie, Jake und Callahan ihr durch die Tür in der Höhle zu folgen. Sie geraden in einen Hinterhalt und werden von Balazars Leuten überfallen, die es ebenfalls auf den dunklen Turm abgesehen haben. Nur mit Hilfe eines neuen Freundes gelingt ihnen die Flucht. In ihrer Verzweiflung beschließen sie, ihren Schöpfer (sic, Stephen King selbst) aufzusuchen, während Susannah in New York Rolands Sohn zur Welt bringen will.

-Auch wenn Geschichtenerzählen nicht meine Stärke ist, werde ich mein Bestes tun.-
11. Strophe (Der Schriftsteller)

Die Inhaltsbeschreibung klingt wirr? Ist aber so.
Was sich im Vorgänger Wolfsmond abzeichnete, wird traurige Realität. Der vollkommen unnötige Handlungsstrang um die bevorstehende Niederkunft von Susannah und die Geburt von Rolands Sohn wird zu einem ganzen Roman von x Seiten Stärke ausgewalzt. Der Grund dafür bleibt nebulös, und so sitzt Band VI des dunklen Turms zwischen allen Stühlen:
Um dem Epos die zusätzliche Facette eines Vater-Sohn-Konflikts à la Artussage zu verleihen, beschäftigt sich der Roman zu sehr mit Susannah und ihrem Alter Ego Mia Niemandstochter, und um die Hassliebe-Beziehung der beiden Frauen tiefer zu reflektieren, ist das ganze Grundkonzept einer Hetzjagd einfach zu atemlos. Obwohl Mias Verhalten durchaus verständlich sein mag (will sie doch letztendlich nur einmal Mutterfreuden genießen und ihr Kind im Arm halten), bleibt der ganze Charakter oberflächlich und damit bedeutungslos. Fast möchte man meinen, der ganze Roman ist nur entstanden, damit sich der Autor selbst unauffällig in die Geschichte reinschreiben kann. Man kann grundsätzlich geteilter Meinung über so einen deus ex machina sein, aber wenn die ganze Geschichte darüber hinaus wenig Aufregendes zu bieten hat, kann auch das nicht begeistern.
Letztlich bleibt die Geschichte trotz einiger netter Detail-Ideen und einer zugegeben originellen Kapitelstruktur Stückwerk. Negativ fällt vor allem auf, mit welch platten Anspielungen King auf den Artusmythos verweist (Mordred). Das wäre subtiler auch möglich gewesen.

A Test of Mettle von Kevin HearneWährend Atticus in Asgard das Gefüge der nordischen Götter ins Wanken bringt, bleibt sein Lehrling Granuaile in Arizona zurück, wo sie der Erdelementaren Sonora helfen will, ein ökologisches Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen. Unvorhergesehen tauchen jedoch die Tuatha Dé Danann auf und unterziehen Granuaile einem Test, der leicht tödlich ausgehen könnte.

– Already I am made wholly new. Though I probably do not look any different, I feel as if the world must see me in a new way now that I can see the world as it truly is. –

A Test of Mettle ist eine Kurzgeschichte aus dem Zyklus The Iron Druid Chronicles (Die Chroniken des eisernen Druiden). Den Text kann man sich kostenlos auf der Website des Autors herunterladen. Zu beachten wäre hierbei lediglich, dass die Ereignisse zeitgleich zu Hammered (dem dritten Band der Buchreihe) stattfinden, auch wenn sich die enthaltenen Spoiler in Grenzen halten. Um die kleinen Details von A Test of Mettle wirklich genießen zu können, sollte man die Reihenfolge aber beibehalten und dies als Band 3.1 betrachten.

Die Kurzgeschichte kommt anders daher als die Romane. Nicht nur erleben wir diesmal die Ereignisse aus Sicht der Lehrlings-Druidin Granuaile, Kevin Hearne schafft es auch, dieser bisher sporadisch auftauchenden Figur einen eigenen Charakter einzuhauchen. Auf den Humor muss der Leser dabei leider erst einmal verzichten, denn obwohl Oberon mit von der Partie ist, erlebt man von seinen sonst so unterhaltsamen Gedanken nichts. Es gibt hier auch keine flotten Actionszenen oder schlagfertigen Sprüche. Die Geschichte ist anders als Atticus’ Abenteuer, aber nicht schlechter.
A Test of Mettle punktet mit Einsichten in Granuailes Vergangenheit, ihre Reaktionen auf ihre neuen Aufgaben als angehende Druidin und auch einen möglichen Grund für ihren Entschluss, dem Weg des Druiden zu folgen. Was dem Leser hier präsentiert wird, ist eine zunächst unscheinbare Erzählung, die eine tiefgreifende Facette von Granuaile offenbart, die sonst neben Atticus bisher immer eher ein blasser Sidekick war. Was der Autor ihr in diesen wenigen Seiten an Persönlichkeit verleiht, könnte den Grundstein für eine spannende Nebenhandlung kommender Bücher der Reihe darstellen, und man darf gespannt sein, welche Konsequenzen dieser Einblick in Granuailes Leben haben wird.

Cover von Teufels Werke von Witali RutschinskiMoskau, Ende der achtziger Jahre, zur Zeit der Perestroika. Der junge Schriftsteller Jakuschkin ist frustriert: Niemand will seinen Roman veröffentlichen. Als Jakuschkin feststellt, daß der Dramaturg Sutenewski ihm sein Manuskript ungelesen zurückgegeben hat, obwohl er dreist behauptet, es gelesen zu haben, platzt dem Schriftsteller der Kragen. Im Haus der Literaten haut Jakuschkin Sutenewski die Mappe mit dem Roman über den Kopf. Daraufhin wird er festgenommen. Da naht unerwartet Hilfe. Jakuschkin schließt einen Pakt mit dem Teufel. Der erfolglose Autor verbrennt sein komplettes Manuskript und dafür wird eine seiner Romanfiguren lebendig. Kusja, das Kaninchen, treibt fortan in Moskau sein Unwesen. Jeder, der von ihm in den Finger gebissen wird, erforscht sein Gewissen und erzählt in aller Öffentlichkeit von den Schandtaten, die er in seinem Leben begangen hat. Das hat katastrophale Folgen.

– Vor Moskaus bedeutendstem Theater, das im ganzen Land und sogar über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, tauchte eines Abends um acht oder, um genauer zu sein, um 19.45 Uhr ein junger Mann auf.-
1. Kapitel Jakuschkin, die Zerberuska und so manch anderer

Der Untertitel des Buches lautet “Ein Roman um Bulgakows Der Meister und Margarita” und so muß der Literaturkenner nicht lange überlegen, wo er ähnliches schon einmal gelesen hat. Die Personen, die Moskau ins Chaos stürzen, sind dieselben wie in Bulgakows Roman: Der Teufel, der sich Voland nennt und seine Gehilfen, Kater Behemoth, Korowjew und Asasello. Auch vieles andere kommt dem Leser bekannt vor: Das Treffen an den Patriarchenteichen, der Roman im Roman, der Ritt auf dem Hexenbesen, der Silvesterball und der große Auftritt Volands, der diesmal nicht im Theater, sondern im Kreml stattfindet, wo der Teufel wieder zahllose wertlose Geldscheine unter den Anwesenden verteilt. Nur die Zeit ist eine andere. Witali Rutschinski nimmt mit seiner gelungenen Satire Gorbatschows Rußland aufs Korn, in dem es nicht weniger korrupt zugeht als in der von Stalin regierten Sowjetunion und das offensichtlich nicht viel anders ist als das zaristische Rußland, denn die Aufständischen der Oktoberrevolution revoltieren munter weiter, als sie durch einen Zeitspalt in die Gegenwart geraten. Rutschinski spottet auf höchst amüsante Weise über Moskaus Kulturbetrieb, über die Rivalitäten zwischen Miliz und Geheimdienst, über die herrschende Kaste, über russische Naturwissenschaftler und über deutsche Wirtschaftsberater. Teufels Werke (Woswraschtschenije Wolanda, ili Nowaja djawoliada) wäre ein perfekter Roman, dem fünf Sternchen gebührten, wenn es nicht das große Vorbild gäbe, dem er nacheifert. Der Meister und Margarita ist ein geniales Werk. Rutschinski gelingt es in seiner Hommage daran nicht, dem Original etwas Neues hinzuzufügen, das über Bulgakows Roman hinausweist. Er nutzt “nur” den Vorteil der vergangenen Zeit, der es ihm ermöglicht z.B. den Silvesterball, der diesmal den Tyrannen gewidmet ist, hervorragend in Szene zu setzen und der natürlich auch dafür sorgt, daß Rutschinski sich über das im Umbruch befindliche Rußland lustig machen kann. Er ist ein ausgezeichneter Epigone – aber nicht mehr.
Man muß Der Meister und Margarita nicht gelesen haben, um Teufels Werke zu verstehen, doch steigert es das Lesevergnügen, wenn man mit dem Original vertraut ist.

Three Parts Dead von Max GladstoneVierzig Jahre nach dem Krieg zwischen den alten Göttern und den gleichmächtigen Magiern gibt es nur noch wenige Städte, die von einer der alten Gottheiten regiert werden. Kos Everburning ist die Gottheit von Alt Coulumb und gerade dahingeschieden, als der Novize Abelard sein Gebet abhält. Mit dem unerwarteten Ableben des Gottes droht das von Götterkraft angetriebene Alt Coulumb nun beim nächsten Vollmond in sich zusammen zu fallen. Wen ruft man in so einem Fall? Die Thaumaturgen von Kelethres, Albrecht & Ao natürlich – um mit etwas Glück ein Fragment des Gottes wiederauferstehen zu lassen und die Stadt so vor dem sicheren Untergang zu bewahren.

– When the Hidden Schools threw Tara Abernathy out, she fell a thousand feet through wisps of cloud and woke to find herself alive, broken and bleeding, beside the Crack in the World. –
1

Willkommen zu Three Parts Dead, der vermutlich besten Neuentdeckung des gesamten Jahres! Selten ist mir ein solch gelungenes Konzept untergekommen wie in diesem Roman von Autor Max Gladstone. Es beginnt mit einem schlüssigen Magiesystem: Menschen beten zu ihrer Gottheit, die Gottheit erhält dadurch Macht, die Gottheit nutzt die Macht, um das Leben der Menschen zu verbessern, indem z.B. für warme Häuser gesorgt wird oder für ein Verteidigungssystem der Stadt. Auf dieser Basis ist eine ganze Wirtschaft entstanden. Nicht-Anbeter können gegen eine Gebühr Verträge mit den Göttern abschließen. Sie gewinnen dadurch temporär etwas Macht von der Gottheit und zahlen sie gewinnbringend zurück. Das Ganze führt zu einem fantastisch ausgearbeiteten Weltenbau mit facettenreichen Charakteren. Als nun Kos Everburning stirbt, ist es die Aufgabe von Miss Kevarian und ihrer Auszubildenden Tara Abernathy, herauszufinden, wie es zum Tod von Kos kommen konnte, dessen Verträge auf den ersten Blick ausgeglichen aussehen – und doch führte irgendetwas zu einem Machtverlust, der schlagartig so groß war, dass es ihn das Leben gekostet hat. Die Basis dieses durchdachten Romans bildet die daraus resultierende Kriminalermittlung.

Der Roman spielt sich irgendwo in einer Parallelwelt ab in der die Menschen gelernt haben sich einer Magie zu bedienen, die den Göttern ebenbürtig ist. Zeitlich oder örtlich lässt sich die Welt nicht eindeutig zuordnen. Es gibt Elemente von Frühindustrie, epischer Fantasy, Gaslichtatmosphäre und ein teils vertrautes Rechtssystem wie vertraute Gottheiten. Das Stadtbild von Alt Coulumb kommt eindrucksvoll, lebendig und voller Gegensätze daher: ein moderner Club, im Aufbau Dantes sieben Stufen der Hölle nachempfunden, wird monolithischen Steinbauten gegenübergesetzt, die an die goldenen 20er Jahre oder Gotham City erinnern, fahrerlose Pferdekutschen fungieren als Taxis und verströmen einen Hauch von 19. Jhrd. und dann ist da noch das vermutlich coolste Polizeisystem seit Erfindung der Fantasy.
Seril, einst Göttin der Gerechtigkeit und Geliebte des Feuergottes Kos, starb vierzig Jahre zuvor im Krieg zwischen Göttern und Magiern. Ihre Macht wurde von einem Thaumaturgen gewandelt und so entstand »Justice« – ein transformiertes und wiederbelebtes Fragment der einstigen Göttin, das nun für Gesetz und Ordnung in Alt Coulumb sorgt. Justice wird von vielen freiwilligen Menschen verkörpert, die für die Dauer ihrer Arbeitsschicht zu sogenannten »Blacksuits« – einem Teil von Justice selbst – werden. In dieser Zeit werden die Blacksuits von dem kollektiven Geist geleitet, die persönlichen Emotionen verstummen, der Verstand wird ausschließlich auf das bestehende Recht ausgerichtet. Die Blacksuits gewinnen übermenschliche Kraft, sind nahezu unverwundbar und ihr äußeres Erscheinungsbild verändert sich zu einer monochromen Maske in der Masse nachtschwarzer Gestalten. Nachteile hat das System für die Blacksuits allerdings auch, denn die Zeit als Teil von Justice wirkt wie eine Droge auf die Freiwilligen und führt bei manchen zu Entzugserscheinungen. Wenn nichts anderes an diesem Roman interessant genug wäre, ihn zu lesen, so würde diese Personifizierung der Gerechtigkeit schon ausreichen, um das Ruder noch herumzureißen. Doch glücklicherweise gibt es mehr!

All das erfährt man als LeserIn schon auf den ersten Seiten, und doch stecken hierin ungleich viele Informationen, die es erst einmal zu verarbeiten gilt. Dies wird im Verlauf der Handlung durchaus nicht viel einfacher. Autor Max Gladstone fackelt in seinem Roman nicht lange mit Vorgeschichte und Aufbau von Hintergrundwissen. Er wirft seine Leserschaft einfach mitten ins Geschehen und lässt sie nach und nach das Puzzle dieser Welt zusammentragen. Für Schnellleser und jene, die einfach nur seichte Unterhaltung möchten, dürfte sich Three Parts Dead daher als Stolperfalle erweisen, denn hier ist ein eingeschaltetes Hirn und aufmerksames Lesen Pflicht, will man den Zusammenhängen folgen können. Das ist jedoch alles andere als negativ zu sehen. Dieses Buch ist tatsächlich erfrischend anders und sein Autor widersetzt sich mit Bravour dem Trend, das Denken für die Leserschaft zu übernehmen.

Auch die Charaktere lassen nichts zu wünschen übrig. Von der kleinsten Nebenfigur bis zur tragenden Hauptrolle böten alle Figuren dieses Romans genug Stoff für eine eigene Geschichte. Da gibt es den kettenrauchenden jungen Novizen Abelard, der gerade eine berechtigte Glaubenskrise durchmacht und dazu verdonnert wird, Tara Abernathy zur Hand zu gehen. Tara ist gerade erst von den Hidden Schools als Magierin graduiert und anschließend unsanft aus den Wolken gestoßen worden. Abelard ist eher der ruhige, etwas sensible und schüchterne Typ, Tara dagegen hat sich bereits ihre Narben verdient und ist sowohl schlagfertig als auch unkompliziert im Umgang mit anderen. Sie scheut sich nicht davor, jemandem das Gesicht zu stehlen, was durchaus blutig und wörtlich zu nehmen ist. Das Besondere an Tara ist außerdem, dass sie sich ihr Leben ausgesucht hat. Gerade bei weiblichen Charakteren ist es oft so, dass sie in ihre Rolle gedrängt wurden, Tara dagegen ist eine starke Persönlichkeit, die eine bestimmte Karriere anstrebt.
Neben diesen beiden Hauptfiguren gesellen sich noch eine ganze Menge weiterer hinzu, die mal prominenter, mal seltener in Erscheinung treten. Shale, der Gargoyle, Cat, die Vampirbiss-Abhängige, Raz, der Vampir-Pirat … Es ist gesellig und lebendig in Three Parts Dead.

Was die Lektüre zusätzlich zu etwas Besonderem macht, ist, dass hier auf ganz außergewöhnlich leichte Art und Weise sämtliche Klischees und Vorurteile umschifft werden. Sei es nun das Thema Rasse oder die allseits (un-)beliebten Genderrollen, in Max Gladstones Welt sind alle gleich. Hautfarben spielen in der Gesellschaft überhaupt keine Rolle und werden nur beiläufig als körperliches Merkmal genannt. Genderprobleme gibt es nicht. Männer denken im maskulinen Wortschatz, Frauen im femininen. Gibt es z.B. einen unbekannten Täter mit unbekanntem Geschlecht, so denkt Tara »die Täterin war vermutlich…« während ein männlicher Kollege mit »der Täter war vermutlich…« beginnt. Wer nun glaubt das müsse verwirrend sein, der täuscht. Es funktioniert völlig unproblematisch und ist wunderbar zu lesen.

Three Parts Dead ist ein absolut gelungener Roman. Er bietet eine große Vielfalt und komplexe Inhalte, die so nahtlos ineinandergreifen, dass der Roman auf eine fiktive Art realistisch wird. Er versucht nicht »historisch korrekt« zu sein, sondern logisch durchdacht, um in einem eindeutig als Alternativwelt erkennbaren Setting überzeugend zu werden.

Es gibt eine Fortsetzung (Two Serpents Rising), die im kommenden August erscheinen soll. Bisher scheint es aber nur eine Geschichte in der selben Welt mit anderen Charakteren zu sein. Ob dort auch bekannte Figuren auftauchen oder Aspekte der Handlung aus Three Parts Dead wieder aufgegriffen werden ist noch nicht bekannt. Three Parts Dead ist daher zunächst einmal als Einzelroman zu betrachten.

Cover des Buches "Through the looking glass" von Lewis CarollIm Spiel mit ihrem kleinen schwarzen Kätzchen vertieft, überlegt das Mädchen Alice sich, wie lustig es auf der anderen Seite des Spiegels wohl sein mag, und so geht sie durch diesen ins Spiegelhaus. Sich dort umschauend sieht sie, wie die Figuren des Schachspiels lebendig werden. Auch sonst ist einiges sonderbar, und Alice beschließt sich den Garten anzusehen, was ihr zunächst sehr schwer fällt, da die Wege vom Haus weg zum Haus hinführen. Erst nach einigen Anstrengungen kann sie dem Haus entkommen. Im Garten trifft sie auf die Schwarze Königin, die dem Mädchen erklärt, wie es vom Bauern zur Königin werden kann. Alice nimmt die Herausforderung an und beginnt eine höchst bizarre Reise…

-One thing was certain, that the white kitten had had nothing to do with it: – it was the black kitten’s fault entirely.-
Chapter 1 Looking-Glass House

Die Welt hinter dem Spiegel ist eine höchst eigenartige, verzerrte und verdrehte Variante des “realen” Englands des späten 19. Jh., auch wenn es nirgends explizit erwähnt wird, so schimmert doch das Britische überall durch.
Um ihr Ziel zu erreichen, muss Alice zur anderen Seite des Landes reisen, welches in schachbrettartige Felder unterteilt ist. Wobei es beim Überqueren der Feldergrenzen zu drastischen Veränderungen kommen kann – während sie im ersten Feld noch auf einer Wiese geht, sitzt sie nach dem Übergang plötzlich in einem fahrenden Zug und wird von einem Schaffner angeschnauzt.

Unterwegs trifft Alice auf äußerst bizarre Figuren; so unterhält sie sich mit sprechenden Blumen – einige sind hilfsbereit, andere sind besserwisserisch; sie lernt die Weiße Königin, eine etwas hilflos wirkende Dame, die in der Zeit rückwärts lebt, und die Schwarze Königin, die sich Alice gegenüber sehr ambivalent verhält, kennen; sie muss sich mit den aufgeblasenen Brüdern Tweedledum und Tweedledee auseinandersetzen, die Höflichkeit einfordern, aber selbst unhöflich sind; sie lässt sich vom eiförmigen Humpty Dumpty das Gedicht vom Jabberwocky erklären und vom tolpatschigen Weißen Ritter, der viele fragwürdige Erfindungen macht, gegen den Schwarzen Ritter, der die Kleine gefangen nehmen will, verteidigen.
Daneben trifft sie ein Schaf, das einen Kaufmannsladen führt, den Weißen König und seine Boten, den Löwen und das Einhorn und zahllose andere groteske Gestalten.

Das die Figuren irgendwie plausibel seien, wird niemand behaupten, denn sie verhalten sich dermaßen absurd, dass selbst die einfachsten Gespräche zur Herausforderung werden – die anderen akzeptieren kaum die alltäglichen Deutungen. Besonders deutlich wird dieses bei Redewendungen: Als Humpty Dumpty erklärt, dass er lieber Un-Geburtstagsgeschenke möge, bittet Alice mit “Beg your pardon?” um eine Erläuterung, doch ihr Gesprächspartner nimmt es wörtlich: “I’m not offended.” Dennoch sind die Figuren alle einzigartig, keine ist ein bloßes Klischee oder unausgereift.

Alice selbst ist genau sieben Jahre und sechs Monate alt, sie hat viel Phantasie und Abenteuerlust. Während sie in der “Realität” die Unvernünftige ist, wird sie in der Spiegelwelt scheinbar zur Vernünftigsten, gemessen an den normalen Maßstäben; gemessen an denen der anderen Welt ist sie auch hier unvernünftig. In der ganzen Geschichte ist sie die einzige plausible Figur, Carroll trifft die Eigenarten eines Kindes wieder sehr gut.

Der Plot an sich ist relativ nebensächlich: Um eine Königin zu werden muss Alice, die als Weißer Bauer startet, ins achte Feld und so macht sie sich auf die Reise. Der Schwerpunkt der Story liegt ganz deutlich auf den grotesken Begegnungen, die mal komisch sind (oder furchterregend, wenn man sie ernst nimmt) und mal zum Nachdenken über Sinn und Unsinn von Sprache und Gebräuchen anregen.
Dieses erreicht Carroll einerseits durch seine Wortspiele und andererseits durch die (alp-)traumhaften Wandlungssequenzen. Im Vergleich zum ersten Buch ist Through the Looking Glass (Alice hinter den Spiegeln) düsterer geraten; es fehlt zwar an einer Bedrohung, aber durch die schnellen Verwandlungen und abrupten Wechsel wird das gewohnte Kausalitätsgefüge noch stärker aufgebrochen.

Außerdem werden viele Gedichte und Lieder zum Besten gegeben, die durchaus gelungen und nicht bloßer Selbstzweck sind. Der geneigte Leser sollte einmal das Jabberwocky-Gedicht mit getragener Stimme vortragen; gerade die erste Strophe klingt sehr bedeutsam und bedeutet doch nichts. Das Lied vom Walross und Tischler, welche die Austern zum Picknick überreden und diese dann verspeisen, dient dazu, ein moralisches Dilemma aufzuwerfen: Wer ist schlimmer, das Walross, welches mehr Austern aß, aber den Tod der Austern betrauert, oder der Tischler, der weniger aß, aber soviel, wie er bekam? Das Gedicht regte Terry Gilliam (Monty Python) zum Film Jabberwocky an und auf das Lied bezieht sich Matt Damon als Loki in dem Film Dogma, als er der Nonne erklärt, warum er seinen Glauben verlor. Man sieht, auch der zweite Teil ist nicht ohne Wirkungsgeschichte.

Zum ersten Teil, Alice’s Adventures in Wonderland (Alice im Wunderland), gibt es allerdings nahezu keine Beziehung – Alice ist dieselbe, allerdings etwas selbstsicherer, und es gibt ein paar Andeutungen, so ist wohl Haigha der Hase und Hatta der Hutmacher der verrückten Teeparty.

Die Sprache ist wiederum unglaublich elegant und flüssig, allerdings nicht ganz so kunstvoll wie im Vorgänger. Außerdem wird es etwas schwieriger, da Carroll ungebräuchlichere Worte wählt. Dennoch sollte man sich nicht von der englischen Ausgabe abschrecken lassen.

Cover von Tochter der Nacht von Marion Zimmer BradleyDas Buch erzählt die Geschichte der Zauberflöte aus der allseits bekannten Oper nach: Der edle Prinz Tamino soll im Auftrag der Königin der Nacht ihre Tochter Pamina aus den Fängen des Sarastro retten. An dessen Hof angekommen, stellt sich jedoch heraus, dass die Rollen von Gut und Böse nicht so verteilt sind wie anfangs gedacht, und so müssen sich Tamino und Pamina gemeinsam den vier Prüfungen der Elemente unterziehen.

„Die zierliche und zarte Prinzessin Pamina stand auf dem Balkon und blickte erschrocken auf den fahlen, blutroten Nebel, der über das Gesicht der silbernen Scheibe, über das Gesicht des Mondes kroch.“

Es gibt Bücher von der Autorin, die ich mit Begeisterung gelesen habe – aber dieses gehört eindeutig nicht dazu.
Der Prolog ist extrem verwirrend. Er erinnert an eine misslungene Kopie aus dem Silmarillion, denn es werden die Namen von allerlei Göttern und deren Rollen bei der Schaffung der Welt aufgezählt. Von Anfang an wirken die Welt und die darin wohnenden Personen dennoch platt und zu wenig durchdacht. Die Charaktere bleiben blass und stets in ihrer Rolle, die stattfinden Entwicklungen verlaufen so, wie es zu erwarten war. Wer die Oper kennt, darf auch von der Handlung her kaum Überraschungen erwarten.
Warum Tamino die verschiedenen Prüfungen ablegen soll und möchte, ist unklar. Es scheint, als müsste die Antwort auf alle Fragen nach dem Sinn der Handlung „weil es im Libretto steht“ lauten.
Die Prüfungen an sich wurden schön ausgestaltet und an phantastischen Elementen und Moral angereichert, diese Szenen lassen sich gut lesen .

In Atlas-Alamesios, der Welt von Tochter der Nacht (Night’s Daughter), spielen Halblinge, also Mischwesen aus Mensch und Tier, eine große Rolle. Diese sind durch genetische Experimente entstanden und werden in der Gesellschaft meist unterdrückt – was irgendwie überhaupt nicht zum ansonsten märchenhaften und auch so erzählten Rest des Romans passt. Auch wurde das Thema der Rassenideologie nicht immer angemessen behandelt und meiner Meinung nach zuweilen zu unkritisch betrachtet.

Ein wenig Positives kann man jedoch auch finden. Die kurzen Kapitel und die Beschränkung auf wenige Handlungsorte und -personen erleichtert dem Leser die Übersicht. Die Autorin hat glücklicherweise darauf verzichtet, die Vorlage in dieser Hinsicht unnötig auszuweiten und zu verkomplizieren. So fällt der Roman auch relativ dünn aus und lässt sich schnell weglesen. Streckenweise kommt auch ein wenig Spannung auf, vor allem im Verlauf der Prüfungen.

An sich ist die Umsetzung der Zauberflöte in Romanform eine schöne Idee. Es ist Marion Zimmer Bradley jedoch nicht geglückt, das im inneren Klappentext als „krude und nicht immer einleuchtend“ bezeichnete Libretto in eine nachvollziehbare Geschichte umzuschreiben, sondern auch durch ihren Roman ziehen sich Logiklöcher. Zudem ist der Stil zu plakativ und wenig magisch, daher würde ich das Buch selbst Opernliebhabern nicht empfehlen – schade um die Idee.

Cover von Das Tor ins Gestern von Dave Duncan1914 in England: Edward Exeter ist eines grausamen und eigentlich unmöglichen Mordes angeklagt, er hat jedoch keine Erinnerung an die Vergangenheit. Es stellen sich ihm viele Fragen, vielleicht liegt die Antwort bei den Toren zu anderen Dimensionen, die sich plötzlich öffnen … auf “Nebenan”: Eleal Singer, das jüngste Mitglied einer Schauspieltruppe, wird von den Schergen einer korrupten Göttin gefangen genommen. Doch damit ist ihr Schicksal nicht besiegelt, denn ihr ist ein Treffen mit einem Mann aus einem weit entfernten Land angekündigt…

-Das große Spiel der Götter dauert schon Jahrhunderte an und erstreckt sich über alle Dimensionen in alle Welten: ein tödlicher Kampf, in dem skrupellose Zauberer ihre Kräfte messen….-

Nach längerer Zeit habe ich endlich wieder ein Fantasybuch zur Hand genommen und fand sofort wieder Gefallen an dem Genre. Die Geschichte von Eleal und Edward (oder D’ward, je nachdem, wo man gerade ist) liest sich spannend und fesselnd. Trotz einiger Schwierigkeiten am Anfang, besonders mit den Göttern und ihren Avataren, kommt man schnell in die Geschichte rein, nicht zuletzt dank der vorangestellten Glossare.
Besonders gelungen fand ich die Geschichte, die zu Beginn noch parallel jeweils auf der Erde und auf “Nebenan” verläuft und dann geschickt zusammengeführt wird. Allerdings muss der Leser auf manche Antworten lange warten. Wie Edward tastet er sich Stück für Stück in die Welt hinein und erfährt immer nur das Nötigste. Zum Glück erhält man am (offenen) Ende viele (nicht alle!) Antworten, die Lust machen auf den Fortsetzungsroman.

Der Autor gibt gut die Atmosphäre Englands kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges wieder – die Begeisterung der jungen Männer für den Krieg, Englands Kolonialpolitik und die gekünstelte, behütete Welt der Privatschulen werden überraschend genau dargestellt. Und auch bei “Nebenan” gab sich der Autor Mühe: ein ausgefeilter Götterkult ist nur eines von vielen Details, mit denen der Autor die Welt aufbaut. Leider vermisst man trotz aller Details eine Karte, was es dem Leser einfacher machen würde, dem Geschehen zu folgen.
Die Charaktere sind liebevoll gestaltet und glaubwürdig, was dem Roman zusätzlich lesenswert macht.
Im ersten Teil zeigt Duncan seine beste Seite und man kann nur hoffen, dass es auch so bleibt.

Trapped von Kevin HearneEigentlich sind Atticus’ Ansprüche recht niedrig, möchte er doch nichts weiter als Granuailes Training beenden und ihre Tattoos auftragen, die sie zu einem vollwertigen Druiden machen und ihr die Fähigkeiten verleihen, die sie zum Überleben braucht. Doch bevor Atticus sie an die Erde binden kann, platzt Donnergott Perun in die Szene, dicht gefolgt von Loki. Das russische Götterreich wurde völlig niedergebrannt von dem nordischen Gott der Lügen, der sich zu früh aus seinem Gefängnis befreit hat. Steht Ragnarök nun ein ganzes Jahr früher bevor als gedacht? Und wird es Atticus gelingen, seine Schülerin an die Erde zu binden, bevor er, sie oder beide getötet werden?

– When in doubt, blame the dark elves. –

Im nunmehr fünften Teil der Iron Druid Chronicles wird Atticus von dem Chaos eingeholt, welches er zwölf Jahre zuvor in Asgard verursacht hat. Loki wurde zu früh befreit, Donnergott Perun, seiner Heimat beraubt, sucht Unterschlupf im Reich der keltischen Götter, wo er nichts anbrennen und seinen rustikalen Charme spielen lässt. Irgendwo dort befindet sich vermutlich auch ein Verräter, der oder die gleich mal Attentäter in Form von u.a. Dunkelelfen auf Atticus und Granuaile ansetzt. Dunkelelfen sind nicht nur grundsätzlich zu beschuldigen, sondern auch ernst zu nehmende Gegner, wie Atticus wenig begeistert feststellen muss. Zwerge rasieren sich nebenbei auch noch die Bärte ab und die Vampire sind ebenfalls nicht fern. Wurden die Mörder-Clowns schon erwähnt?

Eines kann man über Trapped gleich sagen: es passiert verdammt viel!

Nicht nur, dass sich nordische, keltische, griechische und römische Mythologie und ihre verschiedenen Götter die Klinke in die Hand geben, es tut sich auch einiges im Bereich Charakterentwicklung. Es gibt tiefe Einblicke in Atticus früheres Leben, Granuaile tritt zum ersten Mal als Druidin auf (und was für eine!) und das keltische Reich Tír na nÓg wird deutlicher in den Mittelpunkt gerückt. Sehr gefallen dürfte auch, dass in Trapped verschiedene lose Handlungsstränge aus den vorherigen Bänden eine würdige Zusammenführung finden. Trotz der vielen Ereignisse in diesem Band hat man dabei erfreulicherweise nie das Gefühl, der Autor überstürze etwas oder arbeite eine Art Einkaufsliste ab. Die Geschichte ist wieder sehr gut gelungen und die gewohnte Portion Humor ist freilich auch mit dabei.

Trapped bietet letztlich alles, was sich der eingefleischte Fan dieser Serie nur wünschen kann. Die Handlung ist stimmungsvoll, glaubhaft, zum Brüllen komisch, ein bisschen sexy, ein bisschen romantisch und außerdem spannend bis zum letzten Moment. Wie der Appetit auf Popcorn außerdem brenzlige Situationen auflösen kann, erfährt man ebenfalls in diesem Band.
Für einen kurzen Moment Panik bei der Leserschaft sorgt eventuell das unerwartet offene Ende, welches unseren Druiden in einer Situation verlässt, die man nur als haarsträubend bezeichnen kann. Manchmal fragt man sich schon, wie viel Steigerung geht da eigentlich noch?
Die Empfehlung zum Schluss lautet also: Legt euch Hunted rechtzeitig als Reserve auf den Bücherstapel!

Sonstiges:
Es ist nicht unbedingt nötig, aber es lohnt sich doch, vor Trapped die Kurzgeschichte Two Ravens and One Crow gelesen zu haben. Trapped nimmt häufiger Bezug auf die dortigen Ereignisse und fasst sie im Roman nur sehr kurz angebunden zusammen.

Tricked von Kevin HearneAtticus’ Auftritt in Asgaard hat dem Druiden mehr als genug Feinde gemacht und ihm und Granuaile bleibt nichts anderes übrig, als unter neuer Identität ein anderes Leben anzufangen. Im Navajo Reservat scheint die nötige Ruhe gegeben, bis Coyote, trickreicher Gott der Navajos, einen Gefallen bei Atticus einfordert. Kaum angekommen sehen sich Atticus, Granuaile und Wolfshund Oberon einer weiteren schlecht gelaunten Gottheit sowie einem Duo von Gestaltwandlern gegenüber, und ein neuer Vampirchef gibt sich ebenfalls die Ehre. Da bleibt nicht viel Zeit für Ruhe und Glückseligkeit.

– The best trick I ever pulled off was watching myself die. –
Chapter 1

Man muss diese Buchreihe aus vielen verschiedenen Gründen einfach lieben. Der Humor, die ungezwungene Leichtigkeit, die rasante Action und selbstverständlich die unvergleichlichen Lacher. Oberons Obsession mit Speck erreicht einen neuen Höhenpunkt, als ihm die Geschichte von Francis Bacon (BACON!) erzählt wird, und die Morrigan lässt keine Gelegenheit ungenutzt, um die Leserschaft beschämt den Kopf schütteln zu lassen.
Positiv hervorzuheben ist an der Stelle auch, dass wir mehr über Atticus’ Vergangenheit erfahren, wie er nach Amerika kam, wie er mit dem Mythos von Big Foot in Verbindung steht und vor allem gibt es nun eine erste nicht abwegige Erklärung dafür, weshalb Atticus selten in Erinnerungen schwelgt oder generell nur wenig in der Vergangenheit lebt und sich lieber dem Zeitgeist anpasst. Hat man 2.000 Jahre erlebt und hinter sich, was Atticus bereits an Erfahrungen gesammelt hat, so ist es vermutlich nicht unrealistisch ein Meister der bewussten Verdrängung zu sein, um sich selbst zu schützen. Man stelle sich all die Verluste im Verlaufe eines so langen Lebens vor!

Doch zurück zum Kern! In Tricked dreht sich die Haupthandlung diesmal hauptsächlich um die indianische Mythologie, die mit interessanten Motiven aufwartet, ein paar neue Charaktere einführt und Gott Coyote in Bestform zeigt.
Nach den verheerenden Zuständen, die Druide Atticus mit seinem Eindringen in Asgaard in Hammered hinterlassen hat, schlängelt er sich nun zunächst etwas zu geschmeidig aus der Misere, indem er mit Hilfe des trickreichen Coyote seinen Tod vortäuscht, und niemand stellt das infrage. Während einem an dieser Stelle erste Zweifel an der Vorgehensweise des Autors kommen, lauert hinter der nächsten Ecke aber schon wieder der Preis für die viel zu leichte Lösung. Denn Coyotes Hilfe kommt den Druiden teurer zu stehen, als dieser erwartet hatte. Im Reservat, wo Atticus lediglich eine Goldader verschieben sollte, tummeln sich Gestaltwandler, mit denen Coyote sich lieber nicht selbst befassen will, und die blutige Drecksarbeit daher Atticus aufzwingt. Angefacht durch Hel, nordische Göttin der Unterwelt, die es sich im gestohlenen Körper einer toten alten Lady bequem gemacht hat, landet da schonmal der ein oder andere knackige Druidenhappen schnell im Magen einer dieser dämonischen Kreaturen. Damit noch nicht genug hat Atticus’ alter Vampirfreund Leif nach seiner annähernden Zerstörung durch Thors Hammer ganz eigene Probleme, die er ebenfalls mit Atticus’ erzwungener Hilfe zu lösen gedenkt und dabei auch zu Mitteln greift, die alles andere als freundschaftlich sind. Die Opfer sind vorprogrammiert und Atticus’ Zorn damit sicher.
Tricked ist, wie der Titel schon sagt, voller Versteckspiele, Verrat, hinterlistigen und eigennützigen Entscheidungen und alle gehen sie auf Kosten von Atticus und derer, die ihm nahe stehen.

Hier und da gibt es sicherlich ein paar Knackpunkte, die bei längerer Betrachtung nicht ganz überzeugend rüberkommen. Die kleinen Mankos werden allerdings von so vielen positiven Faktoren überlagert, dass man gerne weiter darüber hinweg sieht.
Auch die wenigen offenen Enden dienen wohl der Fortsetzung in kommenden Bänden und sind daher positiv zu sehen. Die Serie und ihre Charaktere entwickeln sich stetig weiter und werden zu einem immer besser funktionierenden, sehr unterhaltsamen Gefüge, das man nicht verpassen sollte.

Der Turm von Stephen KingRoland Deschain, der letzte Revolvermann in einer Welt, die sich weiterbewegt hat, steht endlich vor dem Ziel seiner epischen Reise, dem Turm selbst, dem Zentrum aller Zeiten, der Mitte aller Welten. Die Gruppe seiner Gefährten ist auf schmerzliche Weise kleiner geworden, und Mordred und die bösen Kräfte des scharlachroten Königs setzen ein letztes Mal alles daran, Roland doch noch aufzuhalten.

-Und daher, meine lieben treuen Leser, sage ich euch Folgendes: Ihr könnt hier aufhören.-
Bär und Knochen

Das ist es also. Das Ende des Zyklus um den Dunklen Turm. Nach 16 Jahren (der erste Band erschien auf Deutsch 1988 als Schwarz) und den wildesten Abenteuern in diversen Welt- und Zeitebenen kommt die Gruppe (Ka-Tet) des Revolvermanns Roland an das von ihnen (und dem Leser) heiß ersehnte Ziel. Nach so vielen Jahren und mehreren tausend Seiten Handlung ist die Erwartungshaltung des Lesers so hoch wie die Seitenzahl. Kann ein Autor diesem Druck überhaupt standhalten? Ich habe mir gewünscht, dass King seiner Reihe einen würdigen Abschluss verleihen kann, ein Ende, das alle Handlungsstränge auflöst und den Leser zufrieden zurücklässt. Vor allem wünschte ich mir einen “Aha-Effekt”, etwas beispiellos Überraschendes: Was ist im Dunklen Turm? Was geschieht mit Roland, wenn er ihn erreicht? Was oder wer ist der scharlachrote König?
Um es kurz zu machen: Leider kann Stephen King keine der (hohen) Erwartungen erfüllen.

Eine Rezension ist unmöglich ohne Rückblick auf die vorherigen Bände, auch Spoiler lassen sich nicht ganz vermeiden. Wer den letzten Band selbst lesen möchte, sei an dieser Stelle gewarnt.
Der dunkle Turm ist für Stephen King eine Obsession. Spätestens gegen Ende von Band V und mehr noch in Band VI hatte ich den Eindruck, dass er den Zyklus zu einem Abschluss bringen und zugleich bis in alle Ewigkeit von einer Reise ohne Ziel erzählen wollte. Nun ist aber Band VII der Letzte, auf die eine oder andere Weise müssen jetzt also alle Handlungsstränge zusammengeführt werden. In einer so komplexen Geschichte wie dem Dunklen Turm ein ambitioniertes Vorhaben, und genau darin liegt das Problem:
Die schiere Unzahl an aufzulösenden Strängen führt dazu, dass King fast mechanisch die einzelnen Punkte (Personen, Orte, Dinge, etc.) abhakt, was zu regelrecht absurden Situationen führt, etwa wenn Rolands Nemesis, der über alle Bände als Oberschurke aufgebaute Walter O’Dim (auch bekannt als Randall Flagg) bereits im ersten Drittel des Buches von Rolands Sohn Mordred beiläufig getötet wird. Aber auch Mordred, um den sich immerhin fast der ganze Band VI dreht, wird reduziert auf wenige, nur noch sporadisch eingestreute Kapitel.

Dies hinterlässt ein schales Gefühl. Was soll ich davon halten, dass behutsam aufgebaute Elemente (u.a. die Schildkröte, die schwarze 13, Mordred, Walter O’Dim, u.v.m), denen hunderte von Seiten gewidmet waren, plötzlich als “unwichtig” gelten und Knall auf Fall aus der Geschichte befördert werden? Dass der Autor keine Lust mehr hatte, sich damit zu befassen und lieber auf den allerletzten Seiten völlig neue Bausteine (z.B. den Künstler Patrick Danville) erfindet, die nie zuvor auch nur erwähnt wurden und dann doch von entscheidender Bedeutung sind?
Stattdessen baut King sich selbst in immer stärkerem Maße in die Geschichte ein, was spätestens dann albern wird, wenn der Romanheld-King als Autor-King den Helden den entscheidenden Hinweis gibt, um einer drohenden Gefahr zu entrinnen. Diese Katalysatorfunktion ist weder amüsant noch aufregend, sondern selbstzweckhaft und arrogant.

Auf der positiven Seite bleiben einige großartige Szenen, die für einen King-Fan alleine den Kauf von Der Turm rechtfertigen, so z.B. Jakes Erstürmung des Nachtclubs gleich zu Beginn oder die Lebensgeschichte von Ted Brautigan mit anschließendem Angriff auf die Brecherunterkünfte gegen Mitte des Romans. Auch Kings einzigartige Fähigkeit zur Erschaffung noch so beiläufiger Nebenfiguren ist spürbar und sei an dieser Stelle erwähnt. Sprachlich aber fällt vor allem die zunehmend wirre Verklausulierung (Can-No-Rey, Dan-Tete, An-Tete, Und-noch-mehr-Tet) auf.

Vom Ende, dem Erreichen des Dunklen Turms selbst, will ich nur so viel verraten: Es ist verblüffend und doch fade. Vielleicht hätte es dem Epos besser gestanden, auf eine simple aber geradlinige Weise zu enden als eine pseudo-artifizielle Wendung zu nehmen. Mir scheint es bezeichnend, dass King vor dem letzten Kapitel davor warnt, das Ende seines eigenen Buches zu lesen. Und was ich immer noch nicht weiß: Was ist der scharlachrote König?
Der Turm bietet mit Abstrichen die ordentliche Unterhaltung, die ein King immer bietet, als Gesamtwerk (und auch als Abschluß seines vollmundig beworbenen Epos) ist er aber leider (um es mit Kings eigener Formulierung auszudrücken) nur ein Bumhug. Vielleicht war aber die Meßlatte von Band I-IV auch einfach zu hoch.

Two Ravens and One Crow von Kevin HearneWenn die Morrigan an die Tür klopft und einem sagt »wir verreisen«, dann ist das keine Bitte, sondern eine Aufforderung zu packen. Als sich Atticus mit genau dieser Situation konfrontiert sieht, ahnt er, dass ihm kein Wellness-Ausflug angeboten wird und die Wiederherstellung seiner Tattoos nur eine Ausrede für größere Pläne darstellt, die einmal mehr mit unliebsamen Gefahren einhergehen.

– What would it be like, I wonder, if humans could slobber as freely as dogs? There’s no social stigma for dogs when they slobber and it looks like a lot of fun, so envy them that freedom. –

Wichtige Info vorweg: Diese Kurzgeschichte (IDC #4.5) spielt zwischen den Romanen Tricked und Trapped und enthält eindeutige Spoiler zu ersterem. Außerdem überbrückt sie den recht großen Zeitraum von zwölf Jahren zwischen den beiden Romanen und sollte daher in jedem Fall innerhalb der chronologischen Reihenfolge gelesen werden.

Two Ravens and One Crow setzt sechs Jahre nach den Ereignissen von Tricked an. Atticus steckt mitten in der Ausbildung von Granuaile und hat mit ihr die letzten Jahre unauffällig auf seiner neuen Farm im Navajo-Reservat verbracht. Als die Morrigan ihm einen Besuch abstattet, ändert sich das freilich unverzüglich, denn die hat ein Treffen mit den überlebenden nordischen Göttern vereinbart. Wie man anhand des Titels vielleicht schon erraten kann, trifft man u.a. auf Hugin und Munin, die Raben von Allvater Odin. Ärger vorprogrammiert? – Aber Hallo!
Das ist deswegen spannend, weil einen das Ende von Hammered doch etwas in der Luft hat hängen lassen und die Ereignisse nicht den Eindruck machten schon gänzlich abgeschlossen zu sein. Die vorliegende Kurzgeschichte sorgt nun dafür, dass der Handlungsstrang wieder aufgegriffen wird, und schafft zugleich eine Basis für zukünftiger Bücher.

Die Geschichte liefert wieder sehr viel Humor zum lauthals Auflachen. Die Dialoge zwischen Oberon und Atticus sind zwar in ihrer Anzahl begrenzt, dafür aber von meisterlicher Qualität. In Kombination mit Granuailes wohl platzierten Versuchen ihrem Sensei die Sinne zu rauben wird das Ganze zu einer der bisher herrlichsten Episoden. Insgesamt schwirren in Two Ravens and One Crow eine ganze Menge Hormone durch die Luft, allerdings auf eine unterhaltsame, nicht fingiert wirkende Art und Weise, die man gerne verfolgt.

Während die üblichen Erwartungen an eine Geschichte aus den Iron Druid Chronicles bestens erfüllt werden, gibt es aber auch überraschende Extras. Eines davon ist der tiefere Einblick in den Charakter der Morrigan, die diesmal eine tragende Rolle erfüllen darf und dadurch deutlich an Substanz gewinnt. Sie wirkt gleich menschlicher, etwas weniger berechnend und eiskalt, ja sie weckt glatt Sympathien und man versteht ihre Art zu handeln und zu denken ein gutes Stück besser.
Was Atticus angeht, so wird seine nebulöse Vergangenheit auch in Two Ravens and One Crow weiter aufgedeckt. Man erfährt etwas über die Hintergründe dessen, wie er an das Rezept für seinen Immortalitea gekommen ist, und erlebt ihn zu einer Zeit, da er noch am Anfang seiner Karriere als Druide stand. Wer sich schon die ganze Zeit gewünscht hat, endlich mal ein wenig uralte Luft zu schnuppern, der wird in dieser Kurzgeschichte ein wenig belohnt.

Two Ravens and One Crow ist eine wunderbare Mischung aus Humor und Tiefe, die man als Fan der Buchreihe nicht verpassen sollte. Wer keinen eReader besitzt muss leider dennoch erst einmal auf dieses reine eBook verzichten, wobei »leider« hier sehr groß geschrieben werden sollte. Wer schon immer mit dem Gedanken spielte sich ein solches Gerät zuzulegen, dies wäre die passende Gelegenheit sich einen finalen Ruck zu geben. 😉

Two Serpents Rise von Max GladstoneDie Wüstenmetropole Dresediel Lex ist abhängig von Magie und der Kraft gefallener Götter, um den Durst der Stadt zu stillen. Als Dämonen im Wasserversorgungsreservoir auftauchen, muss Red King Consolidated – ein Unternehmen, das die Funktion der gefallenen Götter ersetzt – herausfinden, ob es sich um einen terroristischen Anschlag handelt oder um einen gewöhnlichen Konkurrenzkampf. Caleb Altemoc, Risk Manager bei RKC und Sohn des letzten Hohepriesters, wird beauftragt herauszufinden, was hinter dem verseuchten Wasser steckt. Was zunächst nach einem einfachen Fall klingt, wird plötzlich zu einer halsbrecherischen Jagd über den Dächern der Stadt.

– A carved black stone altar rose from the center of the roof, large enough to hold a reclining man, or woman, or child. From the iron fence around the altar hung a bronze plaque embossed with a list of dates an victims’ names. –
Book One, Cliff Running

Mit Two Serpents Rise reisen wir erneut in die Welt von Alt Coulumb – dem Handlungsschauplatz in Three Parts Dead – wenn auch nicht zu dessen Charakteren. Autor Max Gladstone bricht mit der gängigen Tradition der meisten Autoren und konzentriert sich in seiner Reihe nicht auf einzelne Figuren, sondern auf die Welt, die er erschaffen hat. In Two Serpents Rise lernen wir daher nicht nur neue Figuren kennen, sondern auch eine gänzlich andere Landschaft und andere Sitten, eben einen anderen Teil von Gladstones vage vertrauter Parallelwelt, die einem ebenso traditionell wie fortschrittlich erscheint.

Dresediel Lex, der Schauplatz dieses Romans, ist anders als Alt Coulumb: eine Stadt, die mitten in der Wüste von Göttern erschaffen und durch Menschenopfer am Leben erhalten wurde. Die beschriebene Architektur und die rituellen Opferungen, die bis zum Sturz der Götter an der Tagesordnung waren, erinnern stark an ein präkolumbisches Vorbild, so dass man als LeserIn unweigerlich die Maya im Sinn hat. Inzwischen sind die Götter abgelöst und Red King Consolidated hat das Sagen. RKC schließt nun als modernes Unternehmen die Lücke, welche die Götter unfreiwillig hinterlassen haben. Keine Menschenopfer, keine persönlichen Verluste mehr, damit die Stadt zu trinken bekommt, sondern moderne Technik und die Magie der Crafter. Man reist entweder per Bus durch die 17-Millionen-Metropole oder, wenn man über das nötige Kleingeld verfügt, per Opteran. Was ein Opteran ist? Ach, Entomologen werden jetzt glänzende Augen kriegen, denn der Opteran ist ein überdimensional großes Fluginsekt, das einst den Göttern diente und nach deren Fall von den Craftern dressiert und zum Flugtransporter umerzogen wurde. Wer es sich leisten kann, chartert also eines dieser langbeinigen Tierchen, lässt sich von ihm in sechs Arme bzw. Beine schließen und bequem über die Stadt fliegen. Es ist vermutlich eine ebenso geniale wie gruselige Idee, je nachdem, wie sypathisch einem die Krabbler sind …
Außerdem wird der (Welt-)Krieg zwischen Göttern und Menschen in diesem Roman zu einem weniger flüchtigen Ereignis, was im dritten Band Full Fathom Five hoffentlich noch weiter ausgebaut wird.

Die Charaktere in Two Serpents Rise haben auch wieder einiges zu bieten. Humor, Vielschichtigkeit, ernsthafte Gedanken, Ängste und mutige Entscheidungen. Egal ob männlich oder weiblich, die Figuren haben es in sich. Allen voran steht natürlich Hauptfigur Caleb Altemoc, der Sohn des letzten Eagle Knight, des letzten Hohepriesters der alten Götter. Ein junger Mann, dessen Körper von rituellen Narben übersät ist und der ein fester Anhänger der modernen Entwicklung ist. Während sich Vater Temoc auf der Flucht vor dem Gesetz befindet und immer mal wieder terroristische Anschläge gegen RKC verübt, hat sich Sohn Caleb also der modernen Entwicklung verschrieben und arbeitet noch dazu für RKC. Man kann also schon erahnen, dass das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ein angespanntes ist, und auch die immer mal wieder auftauchenden Einblicke in Calebs Vergangenheit vergrößern die Kluft zwischen diesen beiden Menschen, die doch nicht ganz voneinander lassen können. Max Gladstone schafft es, auch in Two Serpents Rise wieder solide Charaktere zu erschaffen, die alle nicht ganz schwarz oder weiß sind. Als LeserIn wird man regelmäßig gezwungen, die eigene Perspektive zu überdenken und sich die Beweggründe und Argumente aller Parteien einzuverleiben. Es gibt keinen eindeutigen Feind in diesem Roman, so wie es keinen eindeutig guten Retter gibt. Alle Beteiligten agieren meist mit guten Absichten und haben nachvollziehbare Argumente, auch wenn manches Ergebnis zu Lasten anderer geht.
Die traditionellen Menschenopfer spielen eine große und wichtige Rolle in Two Serpents Rise, denn sie sind das Kernelement der Gesellschaft, auf der Dresediel Lex beruht. Durch den Wegfall der Götter entstehen spannende Konflikte in der Gemeinschaft und zwischen den vorgestellten Charakteren. Stärker noch als in Three Parts Dead macht der Autor in seinem zweiten Roman auf die sozialen und psychischen Folgen aufmerksam und wirft dabei interessante Fragen auf. Ist der Kapitalismus wirklich besser als das alte Blutopferverfahren, oder ist er letztlich nur eine andere, eine stillere Form des Menschenopfers?

Wer in Three Parts Dead aufgepasst hat, wird sich außerdem an die Erwähnung der unsterblichen Skelettkönige erinnern. Die wenigen Sätze, die ihnen in Three Parts Dead zugestanden wurden, zeichneten ein recht düsteres Bild dieser Kreaturen. Im zweiten Teil nun lernen wir einen dieser Skelettkönige, den Red King Kopil kennen, und man ist zunächst überrascht, wie menschlich er noch immer ist. Anfangs bleibt Kopil nur der Arbeitgeber, der mächtige Vorstand eines Unternehmens, das die Stadt am Leben hält. Gefürchtet von denen, die nur seinen Namen hören. Doch Max Gladstone haucht diesem Skelett nach und nach eine überraschende Vergangenheit ein, eine leidenschaftliche Überzeugung und eine Suche nach Gerechtigkeit. Es sammeln sich kleine Hinweise darauf, was Kopil dazu getrieben hat, sich gegen die Götter zu erheben und ihren Platz einzunehmen, und man fängt an, ihn nur zu gut zu verstehen.

Auch die weiblichen Heldinnen kommen selbstverständlich nicht zu kurz. Was an der Stelle wieder positiv auffällt, ist, wie wünschenswert alle Charaktere miteinander umgehen. Ob es nun um die sexuelle Orientierung geht oder Geschlechterrollen, irgendwie schafft es der Autor, alle ganz selbstverständlich miteinander leben zu lassen, ohne dass sie dabei unecht oder konstruiert wirken oder in traditionelle Klischees gesteckt werden.

Wem Three Parts Dead gefallen hat, dem ist auch Two Serpents Rise zu empfehlen. Zwar ist die sandige Atmosphäre ortsbedingt eine gänzlich andere, wirkt überschaubarer, weniger monolithisch, aber man ist doch eindeutig noch immer in derselben spannenden Welt.

Unschöne Dinge von Mark Del FrancoNach einem epochalen Ereignis ist die Welt der Feen mit der unseren verschmolzen und allerlei Fabelwesen mussten in die Gesellschaft der Menschen eingegliedert werden. Auch nach mehreren Jahren herrscht noch immer Argwohn vor und die Zuständigkeiten sind nicht immer so klar wie sie sein sollten. Als ein Elfenstricher ermordet aufgefunden wird, schiebt die Polizei den Fall Connor Grey zu, einem Druidenermittler, der seine Fähigkeiten nach einem missglückten Einsatz fast vollständig verloren hat und sich nun als Detektiv durchschlägt. Bald schon geschehen weitere ähnliche Morde und Connor Grey erkennt nicht nur die Eigenschaften von Ritualmorden, sondern auch einen fatalen Zusammenhang, der eine weltweite Katastrophe auslösen könnte.

– Der nackte Leichnam lag auf dem Rücken und starrte in den leeren Nachthimmel. Es war ein hellhäutiger Elf, nicht besonders gut gebaut, wenngleich sich so etwas nur bedingt beurteilen lässt, wenn jemand tot ist und Blut in alle Richtungen fließt. –
Kapitel 1, S.5

Bei Unschöne Dinge (Unshapely Things) handelt es sich um den 1. Teil einer Reihe paranormaler Detektivromane, in dem die sonst so elegant geschilderten Elfen- und Feenwesen genauso menschlich und verwundbar werden, genauso schmutzig, unschön, verbittert und wenig märchenhaft, wie ein gewöhnlicher, am Leben gescheiterter Mensch. Inhaltlich durchaus solide angelegt, kommt die Handlung zunächst aber nur schleppend in Gang und tut sich schwer damit Atmosphäre zu erzeugen.
So richtig warm wird man daher auch mit den Charakteren nicht. Sie bleiben ein wenig blass und vermögen es nicht, Sympathie oder auch Antipathie zu wecken. Einzig Connor Grey selbst gewinnt gegen Ende ein wenig Substanz und schafft es, die Neugier des Lesers doch noch für einen Moment herauszukitzeln.

Man merkt diesem Roman deutlich an, dass er das erste Werk des Autors Mark Del Franco ist. Die Erzählung holpert hier und da ein wenig, doch vor allem der viel zu bemühte Versuch, humorvoll zu sein, fällt negativ auf. Obwohl die Ideen zu den Figuren und ihrer Welt oft einen interessanten Ansatz bieten und in der Theorie auch witzig sein könnten, fehlt letztlich die richtige Ausarbeitung, um das Ganze funktionieren zu lassen und dem Roman zu einem harmonischen Gesamtgefüge zu verhelfen. Man hat den Eindruck, der Autor wollte hier mit allem Eifer etwas wirklich Lustiges und Spannendes erschaffen, scheitert dabei aber an seiner mangelnden Erfahrung darin, Geschichten lebendig zu erzählen.

Um es kurz zu sagen, dieses Buch weiß nicht recht was es will und dennoch, so richtig schlecht ist es auch nicht. Wenn man den langatmigen Anfang erst einmal überwunden hat, wird die Rahmenhandlung doch ausreichend spannend, sodass man trotz der Mängel weiterlesen möchte; vor allem aber will man mehr über Connor Greys Vergangenheit erfahren.
Ein Must Have ist Unschöne Dinge daher vielleicht nicht, aber wer Detektivgeschichten zu schätzen weiß und das Bedürfnis nach leichter Lesekost verspürt, für den dürfte dieser Roman genau das Richtige sein.

Eine kleine Warnung sollte zum Schluss noch mit auf den Weg gegeben werden: man muss für diesen Roman bereit sein, sich auf homosexuelle Beziehungen zwischen Männern einzulassen. Wer dafür keine Akzeptanz oder Toleranz aufbringen kann, der sollte wirklich die Finger davon lassen. Denn auch wenn Unschöne Dinge keine expliziten Szenen schildert, so ist die romantische Orientierung des Autors doch auf subtile Art allgegenwärtig und erfordert bei manchen Lesern und Leserinnen unter Umständen ein gedankliches Ausbrechen aus den eigenen, konventionellen Bahnen.

Cover von Unterland von Wolfgang und Heike HohlbeinAls Michael auf einem Fest des Schriftstellers Herny Wolf eingeladen ist, fühlt er sich unwohl, fürchtet sich vor den Dekorationen, und schließlich ereignet sich dort eine schreckliche Katastrophe. Und Michael erinnert sich an das, was er zusammen mit Wolf erlebt hat: Als er sich während eines Schulausflugs in die Katakomben der Stadt davonstiehlt und auf den Schriftsteller trifft, brechen sie durch eine Kammer und gelangen in ein Labyrinth voll von endlosen Gängen und unheimlichen Monstern. Und tief unter der Erde entdecken sie eine Stadt und Menschen, die ein Leben wie in vergangenen Zeiten führen. Doch Böses bedroht diese Stadt, und auf ihr, Michael und Wolf lastet ein schreckliches Geheimnis …

-Es war ein Gesicht wie aus einem Alptraum; einem jener Alpträume von der ganz besonders unangenehmen, hartnäckigen Sorte, die normalerweise von Schüttelfrost und Krämpfen begleitet kommen und im Grunde schon ins Reich der Fieberphantasien gehören …-
Das Fest

Hätte ich das Buch nicht geschenkt bekommen und mich irgendwie verpflichtet gefühlt, es zu lesen, hätte ich es wohl irgendwann abgebrochen. Aber so hab ich mich überwunden und irgendwoher die Geduld aufgebracht, es zu Ende zu lesen.
Über 700 Seiten lang verfolgt man das Umherirren von Michael in der oberen und unteren Welt. Die Handlung ist dabei genauso hanebüchen wie langweilig. Allein die glücklichen Zufälle treiben einen fast zum Wahnsinn, denn egal welche Gefahr auch immer auftaucht, stets entkommt der Held in letzter Sekunde oder wird gerettet. Klar, dass da keine Spannung aufkommen kann. Ein paar durchaus lustige Stellen (wenn z.B. ein Irrlicht seinen “Bruder” aus einem Fernseher befreien will) können hier aber auch nicht viel retten. Das große Finale am Ende kommt dann ebenso lasch und fade daher wie der Rest des Buches. Die “große Offenbarung”, mit der die Handlung aufgelöst wird, wird vom Leser nach den endlosen Seiten klaglos hingenommen, egal wie seltsam sie auch ist. Bei einem Fantasyroman ist ja man durchaus gewillt, sich “fantastischen” Möglichkeiten zu öffnen, das ist aber noch lange kein Freibrief, alles Mögliche (und Unmögliche) irgendwie zu verarbeiten und dabei mangelnde Logik mit Magie auszugleichen.
Die Figuren bleiben ebenso blass wie die Handlung, selbst an Michael geht die Handlung fast spurlos vorüber. Die Aktionen Henry Wolfs sind bar jeder Logik, zwar wird am Ende einigermaßen deutlich, worum es geht, dennoch würde kein normal denkender Mensch sich so verhalten.
Hohlbeins Stil ist der jugendlichen Zielgruppe angepasst, einige Stellen und Ausdrücke erscheinen recht eigenwillig und das allgegenwärtige “weißt du?” am Ende eines Satzes nervt auf Dauer. Selbst die Unterweltler hängen es an ihre Sätze. Nebenbei fragt man sich, wie eine seit fünfhundert Jahren unter der Erde lebenden Kulur, die äußerlich im Mittelalter stehen geblieben zu sein scheint, auf moderne Begriffe wie terrorisieren kommt.
Alles in allem ein “unterirdischer” Roman, den man nicht kennen muss.

Cover von Der Vampir, der mich liebte von Charlaine HarrisSookie Stackhouse, 26 Jahre alt und Kellnerin von Beruf, hat sich gerade von ihrem Freund getrennt. Bill war ihr erster richtiger Freund, außerdem verlief die Trennung unter besonders unerfreulichen Umständen, deshalb fühlt sich Sookie ziemlich mitgenommen. Die Aussichten auf eine neue Beziehung sind eher gering, denn Sookie kann Gedanken lesen und das finden normale Männer eher abschreckend. Bill, den Vampir, hat diese Gabe nie gestört, Gedanken von Vampiren kann sie sowieso nicht lesen. Eigentlich ist Sookies Bedarf an Aufregungen für die nächste Zeit gedeckt. Aber es kommt noch schlimmer. In der Neujahrsnacht läuft ihr Bills Chef, der Vampir Eric, halbnackt und völlig verwirrt vor’s Auto. Er hat sein Gedächtnis verloren und nicht die geringste Ahnung, was mit ihm geschehen ist. Erics Stellvertreterin Pam kann Licht ins Dunkel bringen. Die skrupellose und mächtige Hexe Hallow will mit ihren Getreuen Erics Geschäfte übernehmen, außerdem forderte sie noch eine andere Dienstleistung, die der Vampir so schroff ablehnte, daß Hallow ihn wütend mit einem Fluch belegte. Daraufhin fand sich Eric in diesem derangierten Zustand auf der Straße wieder. Hallow hat für seine Ergreifung ein Kopfgeld ausgesetzt. Der Machtkampf zwischen Hexen und Vampiren hat begonnen. Sookie steckt unfreiwillig mitten drin und wäre dringend auf die Hilfe ihres Bruders angewiesen – doch der ist seit dem Neujahrstag verschwunden…

– Jetzt hätte ich meinen Bruder angerufen, wenn ich gewußt hätte, wo er war. Denn wenn du in deiner Küche ein Blutbad beseitigen mußt, hast du am liebsten die Familie um dich.-
Seite 300, Kapitel 13

Charlaine Harris gehört offensichtlich zu den Autoren, die das Vampir-Genre nicht sooo todernst nehmen. Das ermöglicht ihr, munter draufloszuschreiben und ihre eigene Vampirwelt zu erschaffen. Sie versucht erst gar nicht, berühmtere Kollegen wie Bram Stoker oder Anne Rice zu kopieren und das ist der Grund dafür, daß Der Vampir, der mich liebte (Dead to the World) ein witziger, unterhaltsamer Roman geworden ist und keineswegs eine kitschige Liebesschmonzette, wie der völlig verunglückte Titel vermuten läßt.
Die Geschichte spielt in Louisiana. Vampire leben offen unter den Menschen, seit die Untoten vor ein paar Jahren, am Abend der Großen Enthüllung, überall auf der Welt im Fernsehen auftraten, um von ihrer Existenz zu berichten. Dieser Schritt an die Öffentlichkeit wurde durch die Entwicklung von synthetischem Blut ermöglicht. Seitdem leben sie genauso mehr oder weniger einträchtig mit den Menschen zusammen wie es Menschen untereinander auch tun. Im Allgemeinen geht es friedlich zu, aber es kommt auch schon einmal zu unschönen Zwischenfällen wie z.B. Eifersuchtsdramen, Drogenhandel, Mord und Totschlag und die arme Sookie ist in diese unglückseligen Ereignisse immer wieder verstrickt, obwohl sie sich alle Mühe gibt, Ärger aus dem Weg zu gehen. Es gibt aber auch Angenehmes im Leben der Kellnerin. Der Sex mit Eric ist für sie himmlisch. Ja, der erstaunte Leser muß feststellen, daß es im modernen Louisiana keine doppeldeutige, schwüle Erotik gibt. Keine Frau gerät hier in ekstatische Verzückung, weil ein Vampir mit seinen spitzen Zähnen in ihre Halsschlagader eindringt. Diese Vampire können auch anders, sie besitzen tatsächlich die Fähigkeit, sich anderen weiblichen Körperregionen auf menschliche Weise zu widmen.
Die Sexszenen zwischen Sookie und Eric sind so detailliert beschrieben, daß hier eine deutliche Warnung ausgesprochen werden muß. Es könnte Leserinnen geben, die nach der Lektüre für die Männerwelt verloren sind. Bedenken Sie aber, meine Damen, daß es für Sie äußerst schwierig sein dürfte, einen Vampir wie Eric zu finden, der nebenbei gesagt, weitaus weniger charmant ist, wenn er seine Sinne beisammen hat und nicht gerade unter Gedächtnisverlust leidet.

Außer Vampiren gibt es in Louisiana auch noch andere nichtmenschliche Wesen, die den Schritt an die Öffentlichkeit aber vorerst noch scheuen. Sookie erkennt sie trotzdem. Es sind Werwölfe und andere Gestaltwandler, manchen von ihnen sollte man bei Vollmond lieber aus dem Weg gehen, einigen sogar in gewöhnlichen Nächten. Die meisten von ihnen sind harmlos, aber nicht mit allen ist gut Kirschen essen, vor allen Dingen nicht mit der mysteriösen Sippe, die draußen an der abgelegenen Kreuzung lebt und sich seit Generationen fast ausschließlich durch Inzest erhält – was das für Auswirkungen auf die geistige Gesundheit haben kann, ist ja allgemein bekannt.
Schließlich fällt dann auch noch dieser brutale Hexenclan in den Ort ein und natürlich kommt es zu einem erbitterten Kampf auf Leben und Tod.

Der Vampir, der mich liebte ist sicherlich kein raffiniert gestrickter, gruseliger, traditioneller Vampirroman, in dem die Untoten Menschen jagen, um ihr Blut zu trinken und Menschen Vampire, um sie zu vernichten und in dem von Zeit zu Zeit ein Protagonist der Faszination der jeweils anderen Welt verfällt. Charlaine Harris erzählt ihre Geschichte geradeheraus, in einer modernen Umgangssprache, mit Witz und Augenzwinkern, sie schmeißt viele der gängigen Klischees über nichtmenschliche Wesen über Bord, stattet Vampire wie Werwölfe und Gestaltwandler mit bisher nicht gekannten Eigenschaften aus und spinnt so einen höchst unterhaltsamen Roman.

Cover von Die verlassene Geschichte von Andrés IbáñezPrinz Adenar lebt in Amaula, im Lande des Ewigen Augenblicks. Sein Vater ist der regierende König und seine Mutter hat sich vor langer Zeit in einen Drachen verwandelt und ist fortgegangen. Aber das ist nicht schlimm, denn wenn man sich in Amaula mit einer geliebten Person in Verbindung setzen will, muß man nur an sie denken, dann wird man von ihr gehört. Doch Adenars Mutter antwortet nicht mehr, denn der Prinz ist von einer schrecklichen Krankheit befallen worden -der Langeweile. Deshalb hat er auch keinen Zutritt mehr zu seinem Gedächtnis. Das ist in Amaula eine Katastrophe, da es dort keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt und die Einwohner sind des Lesens unkundig. Alles, was man sich merken möchte, legt man mit einer besonderen Technik in seinem Gedächtnis ab. Bücher sind seltene und kostbare Schätze. Prinz Adenar hat vor langer Zeit von seiner Mutter ein Buch geschenkt bekommen. Er hütet es, weil es ihn an sie erinnert, aber er kennt den Inhalt nicht. Magier wollen den Prinzen nach Saalpano schicken, doch er landet in der Stadt Floria. Dort behandelt man ihn in einer psychiatrischen Klinik und behauptet, er sei ein junger Mann, der sein Gedächtnis verloren habe. Weil er sich an seine eigene Identität nicht mehr erinnert, habe er die eines Helden aus einem bekannten Kinderbuch angenommen, eben die des Prinzen Adenar. Ist Adenar tatsächlich verrückt? Als er aus der Klinik entlassen wird, kommt er einem erschreckenden Geheimnis auf die Spur.

– Der ehrwürdige Doktor honoris causa Mirmidon Aguanopulos, Verwaltungsdirektor des Mondes, fuhr auf seinem Hochrad über die Phönixallee von Floria, der monumentalen Hauptstadt des an Wäldern reichen und übermäßig vom Regen gesegneten Landes Goyanas.-
Prolog: Gedächtnis und Gedächtnisschwund

Die verlassene Geschichte (La sombra del pájaro lira ) ist ein großartiges Buch mit einem hässlichen Schönheitsfleck. Der Roman beginnt wie ein poetisches Märchen oder ein Traum. Amaula ist ein phantastisches Land mit surrealen Elementen, beschrieben in einer poetischen, bildhaften Sprache, die zu psychologischen Deutungen einlädt: ein Land, in dem die Zeit aufgehoben ist, dessen Bewohner Bücher wertschätzen, sie aber nicht lesen können, die Mutter, die sich verwandelt hat und fortgegangen ist, die Magier, der sprechende rote Vogel. Man versucht, diese Bilder zu enträtseln, aber da am Anfang noch nicht klar ist, wie die Geschichte verlaufen wird, gelangt man zu keinem befriedigendem Ergebnis. Als Adenar in der Stadt Floria ankommt, scheint sich der Roman zu einer Kaspar-Hauser-Geschichte zu entwickeln: ein junger Mann, der in der Stadt gestrandet ist, ohne zu wissen, wer er ist und wo er herkommt und der schließlich einen Honoratioren der Stadt als Vormund erhält. Adenar bekommt sogar ein Vermögen, als er aus der Klinik entlassen wird, um seinen Unterhalt zu sichern. Man könnte ihn fast beneiden, hätte man nicht gleich darauf gelesen, daß er sich wie alle Florianer an seinem achtzehnten Geburtstag im Schicksalministerium melden muß, um ein Kästchen in Empfang zu nehmen. Der Leser bekommt ein ungutes Gefühl in der Magengrube und denkt an “orwellsche” Verhältnisse. Und tatsächlich scheint sich immer mehr zu bestätigen, daß Floria eher einer Diktatur gleicht als einem Wohlfahrtsstaat. Fesselnd erzählt Ibáñez davon, wie Adenar hinter das Geheimnis der Stadt kommt und welche Entscheidung er trifft. Man könnte Die verlassene Geschichte als phantastischen Entwicklungsroman in den höchsten Tönen loben und davon schwärmen wie poetisch, traumhaft, phantasievoll, weise und philosophisch dieses Buch ist, gäbe es diesen fragwürdigen Schluß nicht, der eindeutig zu esoterisch ist. Das Ende der Geschichte könnte folgendermaßen verstanden werden: Wir, die wir ein höheres Bewußtsein erreicht haben, sind die geistige Elite, deshalb laßt uns diesen dämonischen Planeten mit einem Raumschiff verlassen, um zu einem Stern aufzubrechen, der uns ein besseres Leben bietet. Und mit Verlaub, das erinnert doch fatal an die Stories, die Sektenführer ihren Anhängern erzählen, bevor sie sich in einem Massenselbstmord vergiften. Natürlich kann man die Moral der Geschichte auch anders und positiver interpretieren. Als Rezensent glaubt man ja immer an das Gute im Menschen und daran, daß die Leser die richtigen Schlüsse ziehen, aber der Knackpunkt ist, daß Ibáñez ein virtuoser Schriftsteller ist, der es gar nicht nötig hätte auf der Esoterikwelle zu reiten. Seine Philosophie der Selbstfindung und des Lebensmuts hätte er auch ideologiefrei und ohne esoterischen Einschlag allgemeingültig formulieren können. Das wäre weitaus wirkungsvoller und weniger fragwürdig gewesen.

Waechter der Nacht von Sergej LukianenkoNeben den Menschen gibt es die Anderen – Magier, Vampire, Hexen, Werwölfe – und diese fechten einen ewigen Kampf um die Menschen, auf der guten und der bösen Seite.
Im modernen Moskau hat dieser Kampf mittlerweile etwas Bürokratisches, und Anton, ein kürzlich von der IT zum Außendienst abkommandierter Anderer, geht auf Streife. Er trifft auf eine Frau, die mit einem Fluch belegt worden ist, der ganz Moskau ins Verderben reißen könnte. Als ob das nicht genug wäre, rettet er noch einen Jungen, der ein hohes Potential als Anderer besitzt. Ein Potential, nach dem beide Seiten gieren, sowohl die Wächter der Nacht, Antons Organisation des Guten, als auch die verfeindeten Wächter des Tages …

-Langsam und ächzend kroch die Rolltreppe nach oben. Kein Wunder, so alt wie die Station war. Dafür fegte der Wind durch die ganze Betonröhre, zerzauste ihm das Haar, zerrte an der Kapuze, schlängelte sich unter den Schal und drückte Jegor nach unten.-
Prolog

Fantasy und SF sind in Rußland hochbeliebte Genres – nebst diversen Übersetzungen wird auch einiges an eigener Literatur produziert, und mittlerweile verirrt sich ein Teil davon auf den deutschen Markt. Maßgeblicher Grund dafür ist der Erfolg von Sergej Lukianenkos Wächter der Nacht (Nočnoj dozor), das zum Start des gleichnamigen Films  in Deutschland debütierte.
Lukianenko erzählt in diesem Roman drei locker zusammenhängende Geschichten aus der Perspektive des Nachtwächters Anton Gorodezki, der eher zur heruntergekommeneren Sorte der Streiter für das Licht gehört und auch ein entsprechend flapsiger, aber durchaus interessanter Erzähler ist. Der Kampf zwischen Gut und Böse im modernen Moskau besticht durch allerlei interessante Ideen, die sich wie ein nach Rußland verpflanztes Inventar der üblichen Urban-Fantasy-Welt lesen: Vampire, die das Blutspendewesen vorantreiben, um auf der legalen Seite bleiben zu können; der insgesamt sehr bürokratische Ablauf des ewigen Hin und Hers zwischen Licht und Dunkel, der vor allem auf einem zugunsten der normalen Menschen geschlossenem Pakt beruht. Hier ist Ausgleich angesagt – wenn die eine Seite eine Seele rettet, darf sich die andere eine holen. Die ethischen Bedenken, die ein solcher Pakt in einer dermaßen schwarz-weißen Welt mit sich bringt, sind dann auch Thema der Handlung; allerdings wird die Problematik eher als Motor für die Spannung benutzt, als daß man sich in der Tiefe damit auseinandersetzen würde.

Die strukturierte Welt aus Gut und Böse mit ihren festen Regeln bietet einen wunderbaren Hintergrund für Intrigenspiel, und genau darauf basiert auch die Handlung der drei Geschichten. Die Schachzüge der Beteiligten sind recht elegant und kaum von Anfang an zu durchschauen – manchmal sind diese kryptischen Hintergrundgeschichten auch ein Manko, wenn man erst auf der letzten Seite einer Erzählung erfährt, was wirklich geschehen ist.
Wer sich von Wächter der Nacht – auch aufgrund des vollmundigen Herr-der-Ringe-Vergleichs von der Verlagsseite – eine große epische Handlung erwartet, die den Kampf zwischen Gut und Böse thematisiert, wird allerdings enttäuscht sein. Die drei Geschichten erzählen jeweils von einer Krisensituation, die gelöst werden muß, aber das Chaos bricht niemals aus und der Pakt zwischen Licht und Dunkel wird gehalten. Zusammengehalten wird das Ganze von der jeweils im Mittelpunkt stehenden Hauptfigur Anton und einer Liebesgeschichte. Letztere findet allerdings innerhalb des Romans nicht statt, und wirkt als Triebfeder der Handlung daher nicht immer glaubwürdig.
Mit der ersten der drei Geschichten liest man gleich die Beste, was auch daran liegen könnte, daß man anschließend weiß, wie der Hase läuft, und nicht mehr dermaßen überrascht sein wird. Das Ende des Bandes bietet dann aber statt des üblichen Musters durchaus eine interessante Wendung.

Sehr charmant bindet der Autor auch andere Werke der Phantastik mit ein, und steht damit augenzwinkernd zu seinen vielfältigen Inspirationsquellen von Alice im Wunderland bis Star Wars.
Vor allem aber die Erzählerfigur sorgt dafür, daß man gerne am Ball bleibt – zusammen mit Anton wachsen einem langsam Zweifel, ob “gut” und “böse” nicht einfach nur nichtssagenden Bezeichnungen in einem schmutzigen Kampf sind. Dieser ganz eigene, russische Charme hebt die Wächter der Nacht vom Standard der Urban Fantasy ab und macht sie auch aufgrund ihrer Episodenstruktur zu einer interessanten Ergänzung in der düsteren Phantastik.

Cover des Buches "The War of the Flowers" von Tad Williams Theo, ein Sänger in einer unbekannten Rockband, lebt ein normales, wenn auch unspektakuläres Leben. Plötzlich jedoch taucht eine kleine Elfe auf und rettet ihm im letzten Moment das Leben vor einem Horrorwesen. Die Elfe Applecore bringt Theo nach Faerie, eine Märchenwelt, die aber entgegen unseren Erwartungen nichts Märchenhaftes hat, sondern ein verzerrtes Abbild unserer eigenen Welt ist. Faerie wird von schönen, lustigen aber auch schrecklichen Wesen bevölkert und von einer herrschsüchtigen Elfenrasse regiert.

-The shape of Faerie itself is even stranger than the nautilus plan of the city I call New Erewhon – for it is no shape at all. To accurately reflect the experience of traveling there, a map that land have to revolve like a child´s top or go through some other metamorphosis I cannot quite concieve, for Faerie simply will not lie flat an behave itself….-

The War of the Flowers (Der Blumenkrieg) ist eine Mischung aus Fantasy und Phantastik.
Der Plot ist zuerst in der realen Welt dieses Jahrhunderts angesiedelt, dann taucht der Leser mit der Hauptperson in Faerie ein, eine Märchenwelt, bevölkert mit allerlei märchenhaften, phantastischen, skurrilen und auch albtraumhaften Bewohnern, die den Leser auf den ersten Blick mit allerlei Anachronismen konfrontiert.
Der Einstieg in die Geschichte wird dem Leser einfach gemacht, da der Hauptcharakter Theo als ein ganz durchschnittlicher, ja gewöhnlicher Mensch beschrieben wird. Es ist daher ist leicht, gedanklich in seine Rolle zu schlüpfen, und man hat dabei sogar noch das gute Gefühl, es ein wenig besser zu haben als dieser Blumenzusteller und Musiker in einer unbekannten Rockband.
Der Autor beschreibt seine Figuren, insbesondere Theo, vielschichtig, plastisch und sehr umfangreich. Die Personen wirken in ihrem Charakter und Verhalten erfrischend natürlich und nicht konstruiert oder stereotyp.

Tad Williams ist ein Meister im Erschaffen und Beschreiben von phantastischen Elementen. Er stellt die Bewohner und Gesetze seiner Welt lebhaft und plastisch dar. Nicht selten muss man über besonders skurrile Erscheinungen schmunzeln, wie z. B. einen blinden Taxifahrer, der einem Pferd nicht ganz unähnlich ist und dessen Rasse oder Art sozusagen zum Chauffieren geboren ist, oder auch den “Remover of Inconvinient Obstacles”, dessen Titel schon allein ein Grinsen beim Leser provoziert. Williams schafft es, die Welt mit unterhaltsamen, lebendigen Figuren anzufüllen.
Wer durch die vielen Bezeichnungen von Wesen nicht durchblickt, dem wird im Anhang mit einer kurzen Erklärung von Personen, Wesen und Dingen geholfen.
So interessant Faerie auch ist, der Plot selbst geht teilweise nur schleppend voran und weist häufig Längen auf. Von Williams’ anderen Romanen Der Drachenbeinthron und Otherland mit vielen Handlungssträngen und ebenso vielseitigen Personen verwöhnt, muss der Leser sich in The War of the Flowers nur mit einem größerem Handlungsstrang begnügen. Theo muss folglich die ganze Geschichte tragen, aber leider bleibt er so gewöhnlich, wie anfangs beschrieben, und vollzieht keine charakterlichen Weiterentwicklungen. Die wenigen handelnden Nebenpersonen werden einigermaßen gelungen herausgearbeitet, sind aber genauso entwicklungsarm.
Tad Williams schafft es aber trotzdem, das Leseinteresse durch dichte Atmosphäre, Sprachwitz und ein paar kleine “Highlights” aufrecht zu erhalten.

Die Geschichte endet in einem sehr spannenden und mitreißenden Höhepunkt und gibt dem Leser letztlich das versöhnliche Gefühl, es habe gar keine Längen gegeben. Der Plot wurde von Williams sorgsam durchdacht und ist abgerundet.

Wirrun zwischen Eis und Feuer von Patricia WrightsonWirrun, ein junger Mann aus dem Volk – den Ureinwohnern Australiens – reist durch das Land seiner Vorfahren und macht dabei eine erstaunliche Entdeckung: Mitten im Sommer findet er Eis, und einen Augenblick lang steht die Welt regelrecht auf dem Kopf.
Wieder zurück in der Großstadt verfolgt er Berichte über mehrere Eisfunde, denen außer ihm niemand Beachtung schenkt. Er stellt fest, daß das Eis nach Süden wandert, und daß es keine natürliche Ursache haben kann. Als er mehr über die Legenden der Ureinwohner erfährt, wird ihm klar, daß die Ninya, uralte Geister des Eises, hinter der Sache stecken. Da niemand sonst darauf aufmerksam geworden ist, liegt es an Wirrun, die Nachricht vom drohenden Eis zu verbreiten und ein Gegenmittel zu finden.

-Das alte Land liegt im Süden der Erde wie eine quer über den Globus gelegte, sanft gewölbte offene Hand.-
Ein junger Mann aus dem Volk: 1. Kapitel

Dieser – eigentlich als Jugendbuch erschienene – Roman ist genau die richtige Kost für Fantasy-Leser, die gerne über den Tellerrand gucken und einmal Fantasy mit anderen als den altbekannten Hintergründen, aber auch mit einer ganz und gar nicht standardmäßigen Heransgehensweise lesen wollen. Dabei klingt die Geschichte im Grunde ganz konventionell – ein junger, unbedarfter Helden-Anwärter muß ausziehen, um das Land vor einer uralten, unterschätzten Bedrohung zu retten, und erhält dabei Hilfe von allerlei phantastischen Gestalten.
Nun ist aber die Kulisse das andere Ende der Welt – Australien – und man begegnet weder erwarteten Funktionsweisen (Held erschlägt Drache, und die Sache ist gegessen), noch irgendwelchen Wesen, die man gleich einordnen kann. Der Bunyip ist da noch das bekannteste Fabelwesen, das den Weg des jungen Wirrun kreuzt, und selbst dieser mutet fremd an und bekommt erst durch die bei seinem Auftreten vermittelte Atmosphäre ein Gesicht. Es gibt also einiges zu entdecken zwischen diesen Buchdeckeln, und das Abenteuer wartet mit unvorhersehbaren Überraschungen auf, weil es nicht nach dem üblichen Schema erzählt ist – Wirruns widerwillige Begleiterin etwa, ein scheuer Felsengeist, wird ihm wortwörtlich mit dem Wind vor die Füße geweht, und bleibt auch fortan ein ‘windiger’, aber hochinteressanter Sidekick.

Wirrun selbst ist eine liebenswerte Hauptfigur, mit der man gemeinsam und etwas unabsichtlich in die Geschichte schlittert, und ganz ohne Heldenpathos wird er zum Kämpfer für das Land, der durchaus seine Fehler macht, und gerade weil er in der Großstadt lebt, nicht besonders versiert in den Bräuchen seiner Vorfahren ist. So steht er oft wie der Ochse vor dem Berg und ist (zum Glück) ähnlich befremdet wie der Leser durch die Dinge, die ihm im Laufe seines Abenteuers begegnen. Auch seine Begleiterin, die Mimi, ist mitnichten ohne Fehl – bis zum Ende bleibt sie widerwillig, kratzbürstig und vor allem sehr fremd: Wie allen Erdgeistern, mit denen man es im Laufe der Geschichte zu tun bekommt, haftet ihr nur wenig Menschliches an. Dabei gibt es aber durchaus witzige Gesellen unter den ganzen seltsamen Gestalten, und die Reise durch das  fermdartige und von allerlei Geisterwesen bewohnte Land ist alles andere als langweilig.

Der charmante Humor der Autorin tritt auch zu Tage, wenn sie das Verhältnis von Weißen und Aborigines beleuchtet. Die Großtstadtmenschen, von den Ureinwohnern ganz treffend als Glückssucher bezeichnet, geben alles in allem ein eher lächerliches Bild ab – dennoch geht Wrightson mit dem Thema sehr sensibel um und vermittelt ohne anzuklagen Stimmungen.
Letzteres gelingt ihr in jeder Hinsicht, denn die wunderschöne, bildreiche Sprache verleiht der phantastischen Seite Australiens erst richtiges Leben. Ein actiongeladenes Spektakel sollte man allerdings von Wirrun zwischen Eis und Feuer (The Ice Is Coming) nicht erwarten, die Geschichte plätschert eher ruhig durch die traumartige Landschaft und bezieht ihre Spannung aus Kleinigkeiten und der Entdeckerlust in der erfrischenden Fantasywelt des fünften Kontinents.

Wolfsjagd von Jim ButcherHarry Dresden, Magier und Privatermittler in Chicago, bekommt es mal wieder mit übernatürlichen Morden zu tun – noch bevor die Nachwirkungen seines letzten Falls gänzlich verklingen konnten. Nach Monaten ohne jeden Kontakt meldet sich Lieutenant Karin Murphy bei dem Magier und hält eine bizarre Mordserie bereit: jeden Monat zur Vollmondszeit sterben Menschen auf bestialisch entstellte Weise und die Spuren deuten auf eines ganz besonders hin: Werwölfe

– Normalerweise achte ich nicht weiter auf den Wechsel der Mondphasen. Daher wusste ich auch nicht, dass es eine Nacht vor Vollmond war, als sich im McAnally’s eine junge Frau zu mir setzt und mic bat, ihr alles über eine Sache zu erzählen, die sie angeblich umbringen konnte. –
1

Zu Wolfsjagd liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Wolfsmond von Stephen KingRoland von Gilead ist in Mittwelt noch immer auf der Suche nach dem magischen dunklen Turm. Mit seinen Gefährten gelangt er in den kleinen Ort Calla Bryn Sturgis, wo den Farmern auffallend häufig Zwillinge geboren werden. Doch seit Generationen überfallen Wolfsreiter das Dorf und rauben jeweils einen der Zwillinge. Wenn das Kind dann zurückkehrt, ist es geistig behindert. Als Andy, der Boten-Roboter, erneut einen Überfall angekündigt, erklären sich Roland und seine Freunde bereit, den hilflosen Farmern beizustehen. Dabei entdecken sie in einer Höhle des Dorfes eine geheimnisvolle Tür, die sich als Verbindung zur Erde und zu anderen Welten entpuppt. Die Freunde nutzen die Tür, um im New York des Jahres 1977 eine Rettungsaktion zu unternehmen …

-Hier in der Calla ernten die Wölfe Kleinkinder.-
Kapitel 5 (Die Versammlung der Folken)

Offensichtlich war Stephen King beim Schreiben dieses Buches gedanklich noch stark dem Vorgängerroman verhaftet, spielt die Handlung doch größtenteils abermals in einer an den Wilden Westen gemahnenden Umgebung. Das ist auch der größte Pluspunkt des Buches, denn damit kann King einen Großteil der Atmosphäre von Glas nach Wolfsmond (Wolves of Calla) hinüberretten. Nur vordergründig geht es um den Kampf Gut gegen Böse, auf einer tiefer liegenden Ebene behandelt King aber wiederum ein Grundproblem der menschlichen Gesellschaft. Ging es in Glas darum, ob die eigenen Prinzipien schwerer wiegen als ein geliebter Mensch, geht es in Wolfsmond um die Frage, wie man mit einer Entscheidung umgehen muss, bei der beide Auswahlalternativen schlecht sind.
Im Falle der Bewohner der Calla Bryn Sturgis bedeutet das: Sollen sie sich für die vermeintlich “sichere” Variante entscheiden und ein Kind für die Sicherheit aller opfern oder kämpfen und den Tod aller riskieren? Darf man so eine Entscheidung überhaupt über den Kopf der Betroffenen (nämlich der zu opfernden Kinder) hinweg treffen?
Das daraus resultierende moralische Dilemma der Hauptpersonen nimmt den größten Teil des Buches ein, was der Geschichte sehr viel Realitätsnähe verleiht und die Ausweglosigkeit der handelnden Personen spürbar macht. King ist eben immer dann am stärksten gewesen, wenn er weniger auf äußere denn auf innere Spannung setzt.
Die Glaubwürdigkeit der inneren Konflikte schließlich bereitet auch den Nährboden für das furiose Finale, das auch in seiner Konsequenz und Schonungslosigkeit dem von Glas kaum nachsteht.
Problematisch dagegen ist die im Laufe des Romans immer mehr in den Vordergrund rückende Schwangerschaft von Susannah. Zum einen kommt dieser neue Handlungsstrang recht unvermittelt und wirkt dadurch irgendwie gekünstelt, zum anderen lenkt sie stark von der eigentlichen Handlung ab. Richtiggehend störend wird der neue Faden zum Schluss des Romans, denn der folgende Cliffhanger hinterlässt den Leser frustriert und ratlos, was den großartigen Showdown des Romans konterkariert und entwertet.
Darüber hinaus total daneben: Die unfreiwillig komischen Gegenwartsbezüge (z.B. die Schnatz-Handgranate Marke “Harry Potter”).
Die Handlung erinnert übrigens nicht von ungefähr an den Filmklassiker Die glorreichen Sieben (seinerseits ein Plagiat des genialen Kurosawa-Streifens Die sieben Samurai), vielmehr stellt sie eine liebevolle Hommage dar an diese Meilensteine der Filmgeschichte, was ganz deutlich am Schauplatz der Geschichte abzulesen ist: Calla BRYN (Yul Brynner ist der Hauptdarsteller in Die glorreichen Sieben) STURGIS (John Sturges der Regisseur).

Das Wunschtal von Ursula K. Le GuinHugh ist Kassierer in einem Supermarkt und lebt ein mehr als eintöniges Leben unter der Fuchtel seiner Mutter, die den jungen Mann nicht gehen lassen will und ihm seine Ausbildung zum Bibliothekar verwehrt.
Eines Tages findet Hugh bei einem Spaziergang im Wald ein Tor, das an einen anderen Ort führt. Bald schon geht er jeden Tag an jenen Ort und genießt dort die Natur und die Tatsache, daß kaum Zeit vergeht, während er sich dort aufhält. Doch dann begegnet er Irene, einem Mädchen aus seiner Stadt, das den Ort schon seit Jahren kennt. Irene ist nicht erfreut über den zusätzlichen Besucher, führt ihn aber schließlich widerwillig zu den Bewohnern der Welt hinter dem Tor. Die einfachen Menschen dort warten auf einen Retter und glauben ihn in Hugh zu erkennen…

-“Kassa sieben besetzen”, und wieder zurück zwischen die Kassen, Drahtkörbe entladen, Äpfel, drei um neunundachtzig, Ananas-Stücke im Sonderangebot, eine halbe Gallone fünfundsiebzig, vier, und eins ist fünf, danke, von zehn bis sechs, sechs Tage die Woche; und er machte seine Arbeit gut.-
1. Kapitel

Ein Tor, das von unserer in eine andere Welt führt, in der es Abenteuer zu bestehen gilt, ist eine der Grundzutaten der Fantasy, und so wähnt man sich in Ursula K. Le Guins Wunschtal schnell auf bekanntem Grund und Boden. Doch ist die phantastische Welt hinter dem Tor im Wald auffallend flach, sie entwickelt keinerlei Tiefe, und ihre Bewohner bleiben Platzhalter, genauso die Queste für die menschlichen Besucher Hugh und Irene, die nicht über eine simple Mutprobe hinauskommt. Von einer voll ausgeformten Anderswelt könnte dieser Roman nicht weiter entfernt sein.

Während man zu Beginn noch darauf wartet, daß sich größere Zusammenhänge in der ursprünglich-schlichten Welt hinter dem Tor auftun, wird zum Ende hin klar, daß es sich dabei lediglich um ein Konstrukt außerhalb unserer Realität handelt, in dem sich die beiden Helden der Geschichte, aus deren Sicht abwechselnd erzählt wird, bewähren können, um schließlich nach ihrer Rückkehr den Mut zu haben, ein neues Leben anzufangen.
Vor ihrem Besuch hinter dem Tor sind die beiden alles andere als heroisch, sie leben in bedrückenden Umständen, die auch immer wieder die Erlebnisse in der Anderwelt überlagern und erst nach und nach zurückgedrängt werden. Die Kraft, etwas an ihrer Lage zu ändern und sich gegenseitig zu unterstützen, bringen sie erst nach dem Kampf in der anderen Welt auf, dann können sie auch ihr hiesiges Leben meistern und brauchen die Anderswelt nicht mehr.
Damit ist die Welt hinter dem Tor lediglich ein Vehikel, das durchgehend blass bleibt und nur seinen Zweck erfüllt – als Phantasie-Ort der Prüfung und Bewährung bietet sie vielmehr Analogien als für sich stehende Handlungselemente, vor allem auch im sich rasch abzeichnenden Endkampf. Rasch ist überhaupt ein gutes Stichwort – mit ihren 200 Seiten ist die Geschichte in erster Linie eine Parabel und nicht der epische Fantasy-Roman, den der Klappentext verspricht.

Tortzdem bleibt man von der einfach konstruierten Geschichte seltsam unberührt – zu Le Guins besseren Werken zählt sie nicht. Positiv fällt wie immer die Sprache der Autorin auf, die den Protagonisten aus unserer Welt angemessen relativ modern ist und nur selten in den Duktus klassischer Fantasy fällt. Trotzdem steckt viel Mühe in der Sprache der Anderswelt-Bewohner, was angesichts der Tatsache, daß der Rest dieser Welt bloß angezeichnet ist, etwas unbalanciert wirkt und den Eindruck verstärkt, daß Das Wunschtal nicht recht entschieden hat, ob es nun Fantasy oder Gleichnis sein will.

Cover von Der Wurm Ouroboros von E.R. EddisonKrieg ist entbrannt im Lande Merkurien zwischen Hexen und Dämonen. Doch König Gorice von Hexenland kämpft mit dunklen Mächten an seiner Seite und so müssen die Dämonenfürsten Juss und Brandoch Daha den Gipfel des höchsten aller Berge erklimmen, von dem kein Sterblicher je zurückgekehrt ist, um das Schicksal zu ihren Gunsten zu wenden. Vor den Toren Carcës wird die gewaltigste Schlacht geschlagen, die die Welt je erblickte, und entscheidet über Untergang oder zeitlosen Ruhm. Und um all dies Geschehen windet sich der Wurm Ouroboros, der Drache, der seinen eigenen Schweif verschlingt.

-Von den Schätzen, dergleichen in dem hohen Audienzsaal waren gar schön und lieblich anzuschaun, und von den Vorzügen und dem Stande des Dämonenlandes; und von der Botschaft, welchselbige ihnen König Gorice XI. gesandt, und der Antwort darob.-

Der Wurm Ouroboros (The worm Ouroboros) ist das letzte unentdeckte Meisterwerk der Fantasy und, wenn mich nicht alles täuscht, sogar noch ein wenig älter als der Herr der Ringe. Wer jetzt aber eine wunderschöne, durchdachte, magische Welt à la Tolkien erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht werden. Über die Landschaft und Geographie Merkuriens lässt sich nur reichlich wenig sagen und die Völker wie Hexen, Dämonen oder Gnomen sind nur halb so magisch, wie sie sich anhören. Im Grunde haben sie überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem, was man sich darunter vorstellt. Eher kann man sie mit den Figuren aus den Islandsagas gleichsetzen, denen Eddisons Leidenschaft galt. Das tut der Spannung der Geschichte, die voller gewaltiger Schlachten und schwerer Prüfungen ist, aber keinen Abbruch. Vor allem Eddisons Stil, der sich am elisabethanischen Drama orientiert (Eddisons zweite Leidenschaft), sorgt für eine ganz eigene Athmosphäre.

Zugleich erschwert gerade dieser Stil das Lesevergnügen. Sprache und Satzstellung sind teilweise extrem schwierig zu verstehen, einige Phrasen und Begriffe waren schon zu Eddisons Zeiten vom Aussterben bedroht oder entstammen literarischen oder volksmundlichen Vorbildern, die heute vor allem nur Anglisten zuordnen können. Ein wenig Abhilfe schaffen hier die Anmerkungen im ausführlichen Index von Herausgeber P.E. Thomas und Übersetzer Helmut W. Pesch und das ausführliche Vorwort beider Herren, dessen Lektüre sich wirklich lohnt, um den Wurm besser zu verstehen und etwas über seine Ursprünge zu erfahren. Obwohl Eddisons Sprache so schwierig ist, kann sie trotzdem mitreißen. Andererseits ergeht sich Eddison gerne seitenweise in Beschreibungen, was dem Fortgang der Handlung abträglich ist (aber dank des Indexes lernt man hierdurch eine Menge über Edelsteine, Stoffe und klassische englische Literatur).

Die Charaktere des Wurms sind leider etwas unnahbar. Die Männer sind tugendhafte Helden, wahre Übermenschen, für die der Kampf die größte Ehre ist. Mit dem Frauenbild konnte zumindest ich mich nur schwerlich anfreunden. Die Frauen sind zwar starke Persönlichkeiten und natürlich voller Tugenden, aber bis auf eine Ausnahme entweder intrigante Biester, vollkommen unselbstständig oder sie bieten sich jedem männlichen Wesen an, das bei drei nicht auf den Bäumen ist. Dennoch verteilt man seine Sympathie recht schnell, auch wenn Eddison versucht, möglichst objektiv und ohne Wertung zu erzählen.

Man könnte noch einiges mehr über das Für und Wider des Wurms schreiben, aber ich möchte jetzt mit einer abschließenden Wertung zum Ende kommen. Zuerst einmal muss man sagen, dass die Übersetzung von Helmut W. Pesch durchaus gelungen ist. Er hat sehr schön die Sprache des elisabethanischen Dramas eingefangen, die man hierzulande ja vor allem von Shakespeare kennt, wodurch der Wurm authentisch bleibt. Gedichte und Lieder hat er jedoch nicht übersetzt, sondern sich barocker Gedichte deutschsprachiger Dichter bedient, die einen gleichwertigen Inhalt wie das Original haben. Eine gute Idee, wie ich finde, da Lyrik noch schwieriger zu übersetzen ist als Prosa, wenn es nicht sogar unmöglich ist. Eddison selbst hat sich übrigens ebenfalls barocker Gedichte englischsprachiger Autoren bedient und nicht selbst gedichtet. Der Wurm Ouroboros ist eine durchaus spannende Geschichte in kunstvoller Sprache, die man jedoch eher durcharbeitet als liest. In jedem Fall ist der Wurm in keinster Weise mit der heutigen Fantasy zu vergleichen und selbst von Tolkiens Werk, das ihm zeitlich noch am nächsten ist, grenzt er sich weit ab. Für heutige Verhältnisse, wo wir eine Flut von magischen Welten und Völkern sowie wendungsreichen und intriganten Handlungsmustern zur Auswahl haben, mag der Wurm vielleicht ein wenig einfallslos wirken. Aber man muss sich vor Augen führen, dass zu Eddisons Zeiten die Fantasy noch in den Babyschuhen steckte.
Für Freunde der leichten Unterhaltung wird der Wurm wohl zu anstrengend sein, und ich persönlich fand den Schluss auch etwas frustrierend, obwohl er vorhersehbar ist, wenn man sich die Symbolik des Ouroboros vor Augen führt. Aber wer sich nicht scheut, Zeit und auch ein paar Nerven zu investieren, wird mit Fantasy der besonderen Art belohnt.
Für alle, die lieber Originale lesen: Bisher habe ich nur die deutsche Übersetzung gelesen. Aber ich glaube, dass man sich an die englische Version nur heranwagen sollte, wenn man Shakespeare oder ältere Werke der klassischen englischen Literatur ohne Probleme und Vokabelhilfe bewältigt, da die Sprache schwierig und stark veraltet ist.
Kleine Warnung am Schluss: Wer sich den Wurm kaufen will, muss ein wenig suchen. Meist kriegt man ihn nur noch gebraucht.

Ob man nun dem Wurm oder dem Ring die Treue hält, bleibt jedem selbst überlassen. Ich halte es wie Herr Pesch und bleib beim Ring.

Das Zauberhaus von Peter S. BeagleAls die Mutter der 13jährigen Jenny erneut heiratet, steht ein Umzug ins ländliche England an. Jenny ist außer sich vor Wut, denn das ohnehin mit sich und der Welt  unzufriedene Mädchen muß New York verlassen, ihre geliebte Katze Herr Kater muß für Monate in Quarantäne und sie hat überhaupt keine Lust auf ein Leben auf dem Bauernhof mit einem Stiefvater und zwei neuen Stiefbrüdern.
Doch kein Wutanfall hilft – Jenny findet sich bald auf dem alten, halb verfallenen Gut wieder. Und obwohl sie gewillt ist, den Rest ihrer Tage zu schmollen, kann sie sich der unheimlichen Magie des alten Anwesens nicht entziehen: Seltsame Dinge geschehen, und alte Sagen von Boggarts, Pookas und Geistern scheinen wahr zu werden…

-Als ich ganz klein war, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als unsichtbar zu sein. Ich saß im Klassenzimmer und träumte mit offenen Augen davon, so wie andere Kinder davon träumten, Filmstar oder ein berühmter Basketballspieler zu sein.-
Eins

Peter S. Beagle glänzt nach wie vor mit einer der schönsten Erzählstimmen des Fantasy-Genres. Er war allerdings nie ein Vielschreiber, und thematisch hat er sich in den letzten Jahren eher in unserer Welt eingefunden, deren magische Aspekte er wie kein zweiter herausstellen kann, als in anderen Fantasy-Welten. In Das Zauberhaus (Tamsin) ist er wieder auf der Höhe dieser Kunst, und mit seiner jugendlichen Protagonistin wirkt der Roman vielmehr wie eine Anknüpfung an He! Rebeck!, die auch für jüngere Leser von Interesse sein könnte, als daß es Parallelen zu Beagles anderem großen Erfolg Das letzte Einhorn gäbe.
Dennoch kann man wortwörtlich vom ersten bis zum letzten Satz in einer anderen Welt aufgehen – der Welt von Jenny Glücksstein. Mit der Stimme der Protagonistin berichtet Beagle die Ereignisse auf der Stourhead Farm, und mit einer geradezu sensationellen Einfühlungsgabe bringt er dem Leser die Ängste, Leidenschaften, Fehler und Heldentaten einer Dreizehnjährigen nahe, die man schon nach wenigen Seiten persönlich zu kennen glaubt. Das macht vielleicht sogar sehr viel mehr Spaß, wenn man mit einem Augenzwinkern auf die Zeit des Dreizehn-Seins zurückblicken kann. Durch ihren meistens gegen sich selbst gerichteten Humor und vor allem ihre verschämte Ehrlichkeit wächst Jenny dem Leser recht schnell ans Herz.

Die Stourhead-Farm ist ein erstaunlich mystischer Erzählort, der dennoch ganz fest im ländlichen England und seiner Geschichte verwurzelt ist. Ohne Bruch und ganz natürlich tut sich die Welt der Geister auf und zieht Jenny und den Leser in ihren Bann, und die netten (und weniger netten) englischen Fabelwesen sind liebevoll in die Geschichte eingefügt. Wichtige Rollen in diesem Roman sind Themen zugedacht, die auch in Beagles früheren Werken eine Rolle spielen – Katzen, Musik und natürlich Geistern. Eine gute Recherche in der englischen Geschichte und viele Anspielungen auf das Werk Thomas Hardys (die aber keine Voraussetzung zum Verständnis der Handlung sind – über die englische Sagenwelt sollte man dagegen schon das ein oder andere gehört haben) komplettieren die Geschichte um einen Geist, der wegen eines alten Greuels noch an diese Welt gebunden ist. Die Auflösung dieses Fluchs erfolgt Puzzelstück um Puzzlestück.

Daß Beagle seine poetische Sprachkunst auch in den Worten eines jungen Mädchens ausspielen kann, ohne unglaubwürdig zu wirken, ist beeindruckend, dabei springen gerade auch in der deutschen Übersetzung an einigen Stellen geschickte Lösungen regelrecht ins Auge (auch wenn man nach dem Drachen auf dem Cover der deutschen Ausgabe im Text vergeblichen Ausschau halten wird).
Das Ende des Romans sticht noch einmal besonders hervor – es ist sozusagen ein Geschenk an alle Liebhaber erfundener Geschichten und des Märchenhaften im Alltag.

Cover des Buches "Der Zensor" von Marcus Hammerschmitt Ironie der Geschichte: Die Conquista verlief andersherum, die Maya haben durch ihre nanotechnische Überlegenheit die Spanier besiegt und kontrollieren nun den Südwesten Europas. Die iberische Bevölkerung, technologisch und wirtschaftlich an den Rand der neuen Mayagesellschaft gedrängt, dämmert in Hilflosigkeit und Armut dahin. Einige wenige aber, wie Enrique, lehnen sich gegen die Usurpatoren auf und kämpfen einen hoffungslosen Guerillakrieg.

-Weiter draußen, wo die bewässerten Felder aufhörten, wo die Spanier lebten, war alles anders. Die Straßen waren schlechter, die Häuser nicht nur einfach, sondern primitiv, und das Wellblech, der Standartbaustoff der Armut, war hier allgegenwärtig. Die Spanier, faul wie immer, hatten wieder einmal viel zu früh mit der Siesta angefangen.-
16. Juni 2136
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Marcus Hammerschmitt hat eine spannende und innovative Utopie geschaffen, in der die Mayas Spanien erobert haben, und nun den iberischen Bewohnern ihre Kultur mit Hilfe von technologischen Errungenschaften auf dem Gebiet der Nanotechnologie gewaltsam aufzwingen. Die spanischen Städte wie auch jeder Spanier bekamen Mayanamen (Madrid heißt Nadz Caan), Mais ist das Hauptnahrungsmittel und die Hauptstadt Nanotikal wird von einem künstlich erschaffenen Urwald umringt.
Hammerschmitt kehrt die Geschichte um und schafft so eine interessante Mischung aus Geschichtsgedankenspiel und Science Fiction. Die opponierenden Seiten (Maya und Spanier) werden aus Sicht von Yaqui Ahau, dem obersten Zensor von Naotikal, und Enrique, einem spanischen Guerillero geschildert. Beide Protagonisten werden facettenreich und farbig charakterisiert, so dass sie dem Leser, obwohl sie durchaus nicht sympathisch sein müssen, ans Herz wachsen.

Der Einstieg in die Geschichte fällt dem Leser leicht, da anfangs ein wenig der Alltag des Ahau Yaqui geschildert wird und man sich auf diese Weise behutsam mit der Welt der technisierten Mayagesellschaft vertraut machen kann. Dann wird die Handlung zügig vorangetrieben und die Spannung bis zum Ende aufrecherhalten. Mit 221 Seiten ist dieses Werk nicht gerade umfangreich, dennoch schafft es Hammerschmitt, die Kultur der futuristischen Maya und Spanier anschaulich und in vielen Aspekten zu beschreiben. Hammerschmitt setzt futuristische technologische Ideen gekonnt sparsam ein und schafft es, diese glaubwürdig in seine Welt zu integrieren.
Wer sich allerdings noch mehr für die politischen Auswirkungen dieser geschichtlichen Wendung interessiert, wird im Dunkeln gelassen. Der Leser erfährt kaum etwas über die Welt außerhalb Südamerikas und des eroberten Spaniens. Auch bleiben die Umstände um die Conquista durch die Maya nebelhaft. Sicherlich wäre es Hammerschmitt möglich gewesen, den Leser stärker über diese Aspekte zu informieren, aber er hat sich auf die wesentlichen Inhalte seiner Utopie konzentriert. Dieses kommt dem Werk sehr zugute, da auf Nebenhandlungsstränge, langatmige Schilderungen und “Geschwafel” verzichtet wird. Die Handlung ist daher knackig und wirkt sehr durchdacht, ist aber keinesfalls vorhersehbar.
Hammerschmitt hat eine flüssige Sprache. Sein Schreibstil ist prägnant und auf positive Art “erfrischend” deutsch, weshalb die Seiten unter den Augen nur so dahingleiten.

Ein gutes Buch will man meist irgendwann nochmals lesen, aber der volle Lesespaß würde dem Leser beim zweiten Mal nur zuteil, falls er sich die überraschende Auflösung mit einer nanotechnologischen “Gedächtnisbombe” aus dem Gedächtnis löschen könnte. Denn sonst wird der Leser das geniale Ende wohl kaum vergessen.

Zwischen neun und neun von Leo PerutzStanislas Demba muß dringend Geld auftreiben. Aus diesem Grund läuft er seit dem Morgen durch das kaiserlich-königliche Wien und trifft dabei auf alle möglichen Leute. Doch warum benimmt er sich ihnen gegenüber so merkwürdig? Unterhält er sich zunächst freundlich mit Fremden und Bekannten, wechselt sein Ton aus heiterem Himmel und Demba wird ausfallend und aggressiv, einmal tritt er sogar einen Hund, der ihm nichts getan hat. Gibt es einen Grund für Dembas Stimmungsschwankungen? Und was noch wichtiger ist: Wird es ihm gelingen, an das benötigte Geld zu kommen?

-Die Greislerin in der Wintergasse, Frau Johanna Püchl, trat an diesem Morgen gegen halb acht Uhr aus dem Laden auf die Straße. Es war kein schöner Tag. Die Luft war feucht und kühl, der Himmel bewölkt.-
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Stellen Sie sich vor, ein Hollywood-Produzent möchte den Kinohit des Jahres produzieren. Er hat ein großartiges Drehbuch, er engagiert die besten Schauspieler und damit der Clou der Geschichte nicht vorzeitig verraten wird, müssen alle am Film beteiligten eine Geheimhaltungsklausel unterschreiben. Der Produzent tut alles, was ihm möglich ist, um den Zuschauern einen spannenden und überraschenden Film zu präsentieren. Und wenn dann der Film in Deutschland anläuft, engagiert der Filmverleih viele, viele Studenten, stellt sie vor die Kinos, stattet sie mit Megaphonen aus und läßt sie den gespannt an den Kinokassen wartenden Zuschauern zwar nicht das Ende der Geschichte, aber immerhin ein entscheidendes Detail lautstark verraten.
Sie meinen, das ist völlig irrsinnig und das macht doch keiner??? Sie haben vollkommen recht, Filmverleiher sind viel zu intelligent, um ihre Zuschauer auf diese Weise zu verärgern. Nur, warum ist dieses irrationale Verhalten gängige Praxis bei den Buchverlagen? Der Rezensent redet von dem Klappentext, bzw. von den Inhaltsangaben, die Verlage auf/in ihre Bücher drucken und in wenigen Zeilen so viel von der der Geschichte verraten, daß man sich die Lektüre sparen kann. Um so ägerlicher ist dies, wenn es einen so hervorragenden Schriftsteller wie Leo Perutz trifft.

Mehr als sieben Kapitel hindurch verschweigt Leo Perutz meisterhaft auf sehr originelle und kunstvolle Weise dem Leser, warum Stanislas Demba sich so merkwürdig verhält. Statt dessen schildert Perutz humorvoll die aberwitzigen und skurrilen Situationen, in die Demba gerät. Die Leute, die er trifft, stellen sehr phantasievolle Vermutungen über den Grund seines Benehmens an: Steht er unter Haschischeinfluß, ist er ein Krüppel oder ein schrulliger Gelehrter? Und der Leser spekuliert fröhlich mit. Es sei denn, er hat den Fehler gemacht und die Inhaltsangabe auf der Rückseite des Buches gelesen. Dort steht nämlich die Auflösung, die sozusagen die erste Hälfte der Pointe der Geschichte ist und wenn man die kennt, dann ist das Buch natürlich nur noch halb so vergnüglich und spannend. Also tun Sie sich selbst, Leo Perutz und dem Rezensenten den Gefallen und lesen Sie NICHT die Inhaltsangabe des Buches und da zu befürchten ist, daß Internet-Buchhandlungen die Angaben des Verlages treu und brav übernommen haben, vermeiden Sie es, dieses Buch im Internet zu bestellen. Die Gefahr ist zu groß, daß es Ihnen nicht gelingt, die Inhaltsangabe zu ignorieren. Gehen Sie zum Buchhändler Ihres Vertrauens, betrachten Sie nur den Buchrücken und die Vorderseite und schlagen Sie sofort die Seite fünf auf, dort beginnt das erste Kapitel.

Noch ein Wort an die Leser, die dem Rat des Rezensenten gefolgt sind und schon Nachts unter der steinernen Brücke gelesen haben. Die Sprache, die Perutz in diesem Buch verwendet, ist eine ganz andere. Zwischen neun und neun ist in der modernen, zeitgemäßen Sprache des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben und weit entfernt von dem poetischen Stil des Novellenromans. Auch ist die Geschichte realistisch und hat nichts mit der von Mythen und Legenden durchwobenen Erzählung über Kaiser Rudolf und seine Liebe zu der schönen Jüdin gemeinsam. Warum stellt Bibliotheka Phantastika Zwischen neun und neun dann eigentlich vor, wenn es sich doch um einen realistischen Roman handelt? Das, liebe Leser, ist sozusagen die zweite Hälfte der Pointe der Geschichte und wird deshalb nicht verraten…