Roland Deschain, der letzte Revolvermann in einer Welt, die sich weiterbewegt hat, steht endlich vor dem Ziel seiner epischen Reise, dem Turm selbst, dem Zentrum aller Zeiten, der Mitte aller Welten. Die Gruppe seiner Gefährten ist auf schmerzliche Weise kleiner geworden, und Mordred und die bösen Kräfte des scharlachroten Königs setzen ein letztes Mal alles daran, Roland doch noch aufzuhalten.
-Und daher, meine lieben treuen Leser, sage ich euch Folgendes: Ihr könnt hier aufhören.-
Bär und Knochen
Das ist es also. Das Ende des Zyklus um den Dunklen Turm. Nach 16 Jahren (der erste Band erschien auf Deutsch 1988 als Schwarz) und den wildesten Abenteuern in diversen Welt- und Zeitebenen kommt die Gruppe (Ka-Tet) des Revolvermanns Roland an das von ihnen (und dem Leser) heiß ersehnte Ziel. Nach so vielen Jahren und mehreren tausend Seiten Handlung ist die Erwartungshaltung des Lesers so hoch wie die Seitenzahl. Kann ein Autor diesem Druck überhaupt standhalten? Ich habe mir gewünscht, dass King seiner Reihe einen würdigen Abschluss verleihen kann, ein Ende, das alle Handlungsstränge auflöst und den Leser zufrieden zurücklässt. Vor allem wünschte ich mir einen “Aha-Effekt”, etwas beispiellos Überraschendes: Was ist im Dunklen Turm? Was geschieht mit Roland, wenn er ihn erreicht? Was oder wer ist der scharlachrote König?
Um es kurz zu machen: Leider kann Stephen King keine der (hohen) Erwartungen erfüllen.
Eine Rezension ist unmöglich ohne Rückblick auf die vorherigen Bände, auch Spoiler lassen sich nicht ganz vermeiden. Wer den letzten Band selbst lesen möchte, sei an dieser Stelle gewarnt.
Der dunkle Turm ist für Stephen King eine Obsession. Spätestens gegen Ende von Band V und mehr noch in Band VI hatte ich den Eindruck, dass er den Zyklus zu einem Abschluss bringen und zugleich bis in alle Ewigkeit von einer Reise ohne Ziel erzählen wollte. Nun ist aber Band VII der Letzte, auf die eine oder andere Weise müssen jetzt also alle Handlungsstränge zusammengeführt werden. In einer so komplexen Geschichte wie dem Dunklen Turm ein ambitioniertes Vorhaben, und genau darin liegt das Problem:
Die schiere Unzahl an aufzulösenden Strängen führt dazu, dass King fast mechanisch die einzelnen Punkte (Personen, Orte, Dinge, etc.) abhakt, was zu regelrecht absurden Situationen führt, etwa wenn Rolands Nemesis, der über alle Bände als Oberschurke aufgebaute Walter O’Dim (auch bekannt als Randall Flagg) bereits im ersten Drittel des Buches von Rolands Sohn Mordred beiläufig getötet wird. Aber auch Mordred, um den sich immerhin fast der ganze Band VI dreht, wird reduziert auf wenige, nur noch sporadisch eingestreute Kapitel.
Dies hinterlässt ein schales Gefühl. Was soll ich davon halten, dass behutsam aufgebaute Elemente (u.a. die Schildkröte, die schwarze 13, Mordred, Walter O’Dim, u.v.m), denen hunderte von Seiten gewidmet waren, plötzlich als “unwichtig” gelten und Knall auf Fall aus der Geschichte befördert werden? Dass der Autor keine Lust mehr hatte, sich damit zu befassen und lieber auf den allerletzten Seiten völlig neue Bausteine (z.B. den Künstler Patrick Danville) erfindet, die nie zuvor auch nur erwähnt wurden und dann doch von entscheidender Bedeutung sind?
Stattdessen baut King sich selbst in immer stärkerem Maße in die Geschichte ein, was spätestens dann albern wird, wenn der Romanheld-King als Autor-King den Helden den entscheidenden Hinweis gibt, um einer drohenden Gefahr zu entrinnen. Diese Katalysatorfunktion ist weder amüsant noch aufregend, sondern selbstzweckhaft und arrogant.
Auf der positiven Seite bleiben einige großartige Szenen, die für einen King-Fan alleine den Kauf von Der Turm rechtfertigen, so z.B. Jakes Erstürmung des Nachtclubs gleich zu Beginn oder die Lebensgeschichte von Ted Brautigan mit anschließendem Angriff auf die Brecherunterkünfte gegen Mitte des Romans. Auch Kings einzigartige Fähigkeit zur Erschaffung noch so beiläufiger Nebenfiguren ist spürbar und sei an dieser Stelle erwähnt. Sprachlich aber fällt vor allem die zunehmend wirre Verklausulierung (Can-No-Rey, Dan-Tete, An-Tete, Und-noch-mehr-Tet) auf.
Vom Ende, dem Erreichen des Dunklen Turms selbst, will ich nur so viel verraten: Es ist verblüffend und doch fade. Vielleicht hätte es dem Epos besser gestanden, auf eine simple aber geradlinige Weise zu enden als eine pseudo-artifizielle Wendung zu nehmen. Mir scheint es bezeichnend, dass King vor dem letzten Kapitel davor warnt, das Ende seines eigenen Buches zu lesen. Und was ich immer noch nicht weiß: Was ist der scharlachrote König?
Der Turm bietet mit Abstrichen die ordentliche Unterhaltung, die ein King immer bietet, als Gesamtwerk (und auch als Abschluß seines vollmundig beworbenen Epos) ist er aber leider (um es mit Kings eigener Formulierung auszudrücken) nur ein Bumhug. Vielleicht war aber die Meßlatte von Band I-IV auch einfach zu hoch.