Zyklus: dunkle Turm@Der

Cover von Glas von Stephen KingDer Vorgänger Tot entließ den Leser mit einem Cliffhanger, der seinesgleichen suchte. Glas setzt exakt an diesem Punkt an, Jake hat den rettenden Einfall, mit dem das Ka-Tet ihre Wette gewinnt und Blaine (wenn auch widerwillig) zum Anhalten gebracht wird. Roland und die anderen machen sich zu Fuß auf ihren weiteren Weg, und unterwegs beschließt Roland, seinen Kameraden von seiner Vergangenheit und seiner großen Liebe zu erzählen …

-Am Ende schrie er kein Wort mehr, nicht einmal “nein”, er heulte wie ein waidwundes Tier, und seine Hände blieben mit der Kugel verschmolzen, die wie ein gehetztes Herz pochte.–
Teil 2, Kapitel 10: Unter dem Dämonenmond (III)

Die Absicht, die der Autor mit diesem Buch verfolgt, scheint klar. Die mythisch-stilisierte Figur des Revolvermanns soll gleichsam vermenschlicht, fast schon entzaubert werden. Dafür muss King weit zurückgehen, zu den Erlebnissen, die den jungen Roland in den harten und innerlich abgestorbenen Mann machten, den wir aus drei Vorgänger-Bänden kennen.
Man mag King vorwerfen, wiedereinmal unverhohlen nach großen Vorbildern zu schielen (die von Anfang an unter keinem guten Stern stehende Liebe von Roland und Susan trägt deutliche Züge von Romeo und Julia), doch seine schiere sprachliche Gewalt fegt dieses Mal jeden Zweifel hinweg. Obwohl die Entwicklung der Beziehung vorhersehbar zu sein scheint, ist sie doch in jedem Moment glaubwürdig, wirken die zur Schau gestellten Gefühle niemals aufgesetzt oder verkitscht. Im Gegenteil, durch die behutsame Annäherung Kings an seine beiden Adoleszenten wird die Tragik der Ereignisse beinahe fühlbar.

Dennoch ist Glas weit davon entfernt, ein Liebesroman zu sein. Wie King schon früher andeutete, ist Rolands Mittwelt an den klassischen Western angelehnt und gemischt mit Mittelalter-Elementen (die monarchisch anmutenden Herrschaftsstrukturen, der “Revolvermann” als Pendant zum Ritter, etc.) – dass dies beim Leser gewisse Erwartungen weckt, ist dem Autor bewusst. In erster Linie sind Roland und seine Freunde nämlich trotz ihrer Jugend Revolvermänner, und so entwickeln sich die Ereignisse in Mejis recht schnell zu einem düsteren, unkontrollierbaren Mahlstrom, in dessen Verlauf etliche Menschen umkommen werden und nichts mehr so wie vorher sein wird. Durch die abwechselnde Schilderung der beiden Erzählstränge kann King beide Spannungsbögen auf einem hohen Niveau halten. Auch sprachlich findet King in Glas genau das richtige Mittelmaß zwischen “modernen” Formulierungen und der “alten Sprache von Mittwelt”.

Pluspunkte kann der Roman auch durch seine Nebenfiguren für sich verbuchen. Personen wie Sheemie Ruiz oder Eldred Jonas hätten bei anderen Autoren wohl nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, was aber mit einem deutlichen Verlust an Dreidimensionalität verbunden gewesen wäre. Dadurch, dass die Handlungen/Denkweisen auch von Personen außerhalb des Zentrums beleuchtet werden, entsteht eine gewisse Vertrautheit, wodurch für den Leser auch ungewöhnliche oder abwegige Handlungen nachvollziehbar werden.
Schade, dass King hier zum letzten Mal einen größeren Ausflug in Rolands Vergangenheit unternimmt. Gerne hätte ich noch mehr über ihn erfahren, oder über seine Freunde Alain, Jamie und Cuthbert, sowie (vor allem) die Schlacht am Jericho Hill. Rückblickend wird man zudem etwas wehmütig, dass viele neugierig machende Dinge und Personen (z.B. Rhea vom Cöos, Maerlyns Regenbogen) in den Nachfolgebänden nicht den Raum einnehmen, den man sich gewünscht hätte.

Cover von Wolfsmond von Stephen KingRoland von Gilead ist in Mittwelt noch immer auf der Suche nach dem magischen dunklen Turm. Mit seinen Gefährten gelangt er in den kleinen Ort Calla Bryn Sturgis, wo den Farmern auffallend häufig Zwillinge geboren werden. Doch seit Generationen überfallen Wolfsreiter das Dorf und rauben jeweils einen der Zwillinge. Wenn das Kind dann zurückkehrt, ist es geistig behindert. Als Andy, der Boten-Roboter, erneut einen Überfall angekündigt, erklären sich Roland und seine Freunde bereit, den hilflosen Farmern beizustehen. Dabei entdecken sie in einer Höhle des Dorfes eine geheimnisvolle Tür, die sich als Verbindung zur Erde und zu anderen Welten entpuppt. Die Freunde nutzen die Tür, um im New York des Jahres 1977 eine Rettungsaktion zu unternehmen …

-Hier in der Calla ernten die Wölfe Kleinkinder.-
Kapitel 5 (Die Versammlung der Folken)

Offensichtlich war Stephen King beim Schreiben dieses Buches gedanklich noch stark dem Vorgängerroman verhaftet, spielt die Handlung doch größtenteils abermals in einer an den Wilden Westen gemahnenden Umgebung. Das ist auch der größte Pluspunkt des Buches, denn damit kann King einen Großteil der Atmosphäre von Glas nach Wolfsmond (Wolves of Calla) hinüberretten. Nur vordergründig geht es um den Kampf Gut gegen Böse, auf einer tiefer liegenden Ebene behandelt King aber wiederum ein Grundproblem der menschlichen Gesellschaft. Ging es in Glas darum, ob die eigenen Prinzipien schwerer wiegen als ein geliebter Mensch, geht es in Wolfsmond um die Frage, wie man mit einer Entscheidung umgehen muss, bei der beide Auswahlalternativen schlecht sind.
Im Falle der Bewohner der Calla Bryn Sturgis bedeutet das: Sollen sie sich für die vermeintlich “sichere” Variante entscheiden und ein Kind für die Sicherheit aller opfern oder kämpfen und den Tod aller riskieren? Darf man so eine Entscheidung überhaupt über den Kopf der Betroffenen (nämlich der zu opfernden Kinder) hinweg treffen?
Das daraus resultierende moralische Dilemma der Hauptpersonen nimmt den größten Teil des Buches ein, was der Geschichte sehr viel Realitätsnähe verleiht und die Ausweglosigkeit der handelnden Personen spürbar macht. King ist eben immer dann am stärksten gewesen, wenn er weniger auf äußere denn auf innere Spannung setzt.
Die Glaubwürdigkeit der inneren Konflikte schließlich bereitet auch den Nährboden für das furiose Finale, das auch in seiner Konsequenz und Schonungslosigkeit dem von Glas kaum nachsteht.
Problematisch dagegen ist die im Laufe des Romans immer mehr in den Vordergrund rückende Schwangerschaft von Susannah. Zum einen kommt dieser neue Handlungsstrang recht unvermittelt und wirkt dadurch irgendwie gekünstelt, zum anderen lenkt sie stark von der eigentlichen Handlung ab. Richtiggehend störend wird der neue Faden zum Schluss des Romans, denn der folgende Cliffhanger hinterlässt den Leser frustriert und ratlos, was den großartigen Showdown des Romans konterkariert und entwertet.
Darüber hinaus total daneben: Die unfreiwillig komischen Gegenwartsbezüge (z.B. die Schnatz-Handgranate Marke “Harry Potter”).
Die Handlung erinnert übrigens nicht von ungefähr an den Filmklassiker Die glorreichen Sieben (seinerseits ein Plagiat des genialen Kurosawa-Streifens Die sieben Samurai), vielmehr stellt sie eine liebevolle Hommage dar an diese Meilensteine der Filmgeschichte, was ganz deutlich am Schauplatz der Geschichte abzulesen ist: Calla BRYN (Yul Brynner ist der Hauptdarsteller in Die glorreichen Sieben) STURGIS (John Sturges der Regisseur).

Cover von Susannah von Stephen KingMia hat im Körper der hochschwangeren Susannah die Flucht in das New York von 1977 ergriffen, und es gelingt Roland und seinen Gefährten Eddie, Jake und Callahan ihr durch die Tür in der Höhle zu folgen. Sie geraden in einen Hinterhalt und werden von Balazars Leuten überfallen, die es ebenfalls auf den dunklen Turm abgesehen haben. Nur mit Hilfe eines neuen Freundes gelingt ihnen die Flucht. In ihrer Verzweiflung beschließen sie, ihren Schöpfer (sic, Stephen King selbst) aufzusuchen, während Susannah in New York Rolands Sohn zur Welt bringen will.

-Auch wenn Geschichtenerzählen nicht meine Stärke ist, werde ich mein Bestes tun.-
11. Strophe (Der Schriftsteller)

Die Inhaltsbeschreibung klingt wirr? Ist aber so.
Was sich im Vorgänger Wolfsmond abzeichnete, wird traurige Realität. Der vollkommen unnötige Handlungsstrang um die bevorstehende Niederkunft von Susannah und die Geburt von Rolands Sohn wird zu einem ganzen Roman von x Seiten Stärke ausgewalzt. Der Grund dafür bleibt nebulös, und so sitzt Band VI des dunklen Turms zwischen allen Stühlen:
Um dem Epos die zusätzliche Facette eines Vater-Sohn-Konflikts à la Artussage zu verleihen, beschäftigt sich der Roman zu sehr mit Susannah und ihrem Alter Ego Mia Niemandstochter, und um die Hassliebe-Beziehung der beiden Frauen tiefer zu reflektieren, ist das ganze Grundkonzept einer Hetzjagd einfach zu atemlos. Obwohl Mias Verhalten durchaus verständlich sein mag (will sie doch letztendlich nur einmal Mutterfreuden genießen und ihr Kind im Arm halten), bleibt der ganze Charakter oberflächlich und damit bedeutungslos. Fast möchte man meinen, der ganze Roman ist nur entstanden, damit sich der Autor selbst unauffällig in die Geschichte reinschreiben kann. Man kann grundsätzlich geteilter Meinung über so einen deus ex machina sein, aber wenn die ganze Geschichte darüber hinaus wenig Aufregendes zu bieten hat, kann auch das nicht begeistern.
Letztlich bleibt die Geschichte trotz einiger netter Detail-Ideen und einer zugegeben originellen Kapitelstruktur Stückwerk. Negativ fällt vor allem auf, mit welch platten Anspielungen King auf den Artusmythos verweist (Mordred). Das wäre subtiler auch möglich gewesen.

Der Turm von Stephen KingRoland Deschain, der letzte Revolvermann in einer Welt, die sich weiterbewegt hat, steht endlich vor dem Ziel seiner epischen Reise, dem Turm selbst, dem Zentrum aller Zeiten, der Mitte aller Welten. Die Gruppe seiner Gefährten ist auf schmerzliche Weise kleiner geworden, und Mordred und die bösen Kräfte des scharlachroten Königs setzen ein letztes Mal alles daran, Roland doch noch aufzuhalten.

-Und daher, meine lieben treuen Leser, sage ich euch Folgendes: Ihr könnt hier aufhören.-
Bär und Knochen

Das ist es also. Das Ende des Zyklus um den Dunklen Turm. Nach 16 Jahren (der erste Band erschien auf Deutsch 1988 als Schwarz) und den wildesten Abenteuern in diversen Welt- und Zeitebenen kommt die Gruppe (Ka-Tet) des Revolvermanns Roland an das von ihnen (und dem Leser) heiß ersehnte Ziel. Nach so vielen Jahren und mehreren tausend Seiten Handlung ist die Erwartungshaltung des Lesers so hoch wie die Seitenzahl. Kann ein Autor diesem Druck überhaupt standhalten? Ich habe mir gewünscht, dass King seiner Reihe einen würdigen Abschluss verleihen kann, ein Ende, das alle Handlungsstränge auflöst und den Leser zufrieden zurücklässt. Vor allem wünschte ich mir einen “Aha-Effekt”, etwas beispiellos Überraschendes: Was ist im Dunklen Turm? Was geschieht mit Roland, wenn er ihn erreicht? Was oder wer ist der scharlachrote König?
Um es kurz zu machen: Leider kann Stephen King keine der (hohen) Erwartungen erfüllen.

Eine Rezension ist unmöglich ohne Rückblick auf die vorherigen Bände, auch Spoiler lassen sich nicht ganz vermeiden. Wer den letzten Band selbst lesen möchte, sei an dieser Stelle gewarnt.
Der dunkle Turm ist für Stephen King eine Obsession. Spätestens gegen Ende von Band V und mehr noch in Band VI hatte ich den Eindruck, dass er den Zyklus zu einem Abschluss bringen und zugleich bis in alle Ewigkeit von einer Reise ohne Ziel erzählen wollte. Nun ist aber Band VII der Letzte, auf die eine oder andere Weise müssen jetzt also alle Handlungsstränge zusammengeführt werden. In einer so komplexen Geschichte wie dem Dunklen Turm ein ambitioniertes Vorhaben, und genau darin liegt das Problem:
Die schiere Unzahl an aufzulösenden Strängen führt dazu, dass King fast mechanisch die einzelnen Punkte (Personen, Orte, Dinge, etc.) abhakt, was zu regelrecht absurden Situationen führt, etwa wenn Rolands Nemesis, der über alle Bände als Oberschurke aufgebaute Walter O’Dim (auch bekannt als Randall Flagg) bereits im ersten Drittel des Buches von Rolands Sohn Mordred beiläufig getötet wird. Aber auch Mordred, um den sich immerhin fast der ganze Band VI dreht, wird reduziert auf wenige, nur noch sporadisch eingestreute Kapitel.

Dies hinterlässt ein schales Gefühl. Was soll ich davon halten, dass behutsam aufgebaute Elemente (u.a. die Schildkröte, die schwarze 13, Mordred, Walter O’Dim, u.v.m), denen hunderte von Seiten gewidmet waren, plötzlich als “unwichtig” gelten und Knall auf Fall aus der Geschichte befördert werden? Dass der Autor keine Lust mehr hatte, sich damit zu befassen und lieber auf den allerletzten Seiten völlig neue Bausteine (z.B. den Künstler Patrick Danville) erfindet, die nie zuvor auch nur erwähnt wurden und dann doch von entscheidender Bedeutung sind?
Stattdessen baut King sich selbst in immer stärkerem Maße in die Geschichte ein, was spätestens dann albern wird, wenn der Romanheld-King als Autor-King den Helden den entscheidenden Hinweis gibt, um einer drohenden Gefahr zu entrinnen. Diese Katalysatorfunktion ist weder amüsant noch aufregend, sondern selbstzweckhaft und arrogant.

Auf der positiven Seite bleiben einige großartige Szenen, die für einen King-Fan alleine den Kauf von Der Turm rechtfertigen, so z.B. Jakes Erstürmung des Nachtclubs gleich zu Beginn oder die Lebensgeschichte von Ted Brautigan mit anschließendem Angriff auf die Brecherunterkünfte gegen Mitte des Romans. Auch Kings einzigartige Fähigkeit zur Erschaffung noch so beiläufiger Nebenfiguren ist spürbar und sei an dieser Stelle erwähnt. Sprachlich aber fällt vor allem die zunehmend wirre Verklausulierung (Can-No-Rey, Dan-Tete, An-Tete, Und-noch-mehr-Tet) auf.

Vom Ende, dem Erreichen des Dunklen Turms selbst, will ich nur so viel verraten: Es ist verblüffend und doch fade. Vielleicht hätte es dem Epos besser gestanden, auf eine simple aber geradlinige Weise zu enden als eine pseudo-artifizielle Wendung zu nehmen. Mir scheint es bezeichnend, dass King vor dem letzten Kapitel davor warnt, das Ende seines eigenen Buches zu lesen. Und was ich immer noch nicht weiß: Was ist der scharlachrote König?
Der Turm bietet mit Abstrichen die ordentliche Unterhaltung, die ein King immer bietet, als Gesamtwerk (und auch als Abschluß seines vollmundig beworbenen Epos) ist er aber leider (um es mit Kings eigener Formulierung auszudrücken) nur ein Bumhug. Vielleicht war aber die Meßlatte von Band I-IV auch einfach zu hoch.