Krieg ist entbrannt im Lande Merkurien zwischen Hexen und Dämonen. Doch König Gorice von Hexenland kämpft mit dunklen Mächten an seiner Seite und so müssen die Dämonenfürsten Juss und Brandoch Daha den Gipfel des höchsten aller Berge erklimmen, von dem kein Sterblicher je zurückgekehrt ist, um das Schicksal zu ihren Gunsten zu wenden. Vor den Toren Carcës wird die gewaltigste Schlacht geschlagen, die die Welt je erblickte, und entscheidet über Untergang oder zeitlosen Ruhm. Und um all dies Geschehen windet sich der Wurm Ouroboros, der Drache, der seinen eigenen Schweif verschlingt.
-Von den Schätzen, dergleichen in dem hohen Audienzsaal waren gar schön und lieblich anzuschaun, und von den Vorzügen und dem Stande des Dämonenlandes; und von der Botschaft, welchselbige ihnen König Gorice XI. gesandt, und der Antwort darob.-
Der Wurm Ouroboros (The worm Ouroboros) ist das letzte unentdeckte Meisterwerk der Fantasy und, wenn mich nicht alles täuscht, sogar noch ein wenig älter als der Herr der Ringe. Wer jetzt aber eine wunderschöne, durchdachte, magische Welt à la Tolkien erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht werden. Über die Landschaft und Geographie Merkuriens lässt sich nur reichlich wenig sagen und die Völker wie Hexen, Dämonen oder Gnomen sind nur halb so magisch, wie sie sich anhören. Im Grunde haben sie überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem, was man sich darunter vorstellt. Eher kann man sie mit den Figuren aus den Islandsagas gleichsetzen, denen Eddisons Leidenschaft galt. Das tut der Spannung der Geschichte, die voller gewaltiger Schlachten und schwerer Prüfungen ist, aber keinen Abbruch. Vor allem Eddisons Stil, der sich am elisabethanischen Drama orientiert (Eddisons zweite Leidenschaft), sorgt für eine ganz eigene Athmosphäre.
Zugleich erschwert gerade dieser Stil das Lesevergnügen. Sprache und Satzstellung sind teilweise extrem schwierig zu verstehen, einige Phrasen und Begriffe waren schon zu Eddisons Zeiten vom Aussterben bedroht oder entstammen literarischen oder volksmundlichen Vorbildern, die heute vor allem nur Anglisten zuordnen können. Ein wenig Abhilfe schaffen hier die Anmerkungen im ausführlichen Index von Herausgeber P.E. Thomas und Übersetzer Helmut W. Pesch und das ausführliche Vorwort beider Herren, dessen Lektüre sich wirklich lohnt, um den Wurm besser zu verstehen und etwas über seine Ursprünge zu erfahren. Obwohl Eddisons Sprache so schwierig ist, kann sie trotzdem mitreißen. Andererseits ergeht sich Eddison gerne seitenweise in Beschreibungen, was dem Fortgang der Handlung abträglich ist (aber dank des Indexes lernt man hierdurch eine Menge über Edelsteine, Stoffe und klassische englische Literatur).
Die Charaktere des Wurms sind leider etwas unnahbar. Die Männer sind tugendhafte Helden, wahre Übermenschen, für die der Kampf die größte Ehre ist. Mit dem Frauenbild konnte zumindest ich mich nur schwerlich anfreunden. Die Frauen sind zwar starke Persönlichkeiten und natürlich voller Tugenden, aber bis auf eine Ausnahme entweder intrigante Biester, vollkommen unselbstständig oder sie bieten sich jedem männlichen Wesen an, das bei drei nicht auf den Bäumen ist. Dennoch verteilt man seine Sympathie recht schnell, auch wenn Eddison versucht, möglichst objektiv und ohne Wertung zu erzählen.
Man könnte noch einiges mehr über das Für und Wider des Wurms schreiben, aber ich möchte jetzt mit einer abschließenden Wertung zum Ende kommen. Zuerst einmal muss man sagen, dass die Übersetzung von Helmut W. Pesch durchaus gelungen ist. Er hat sehr schön die Sprache des elisabethanischen Dramas eingefangen, die man hierzulande ja vor allem von Shakespeare kennt, wodurch der Wurm authentisch bleibt. Gedichte und Lieder hat er jedoch nicht übersetzt, sondern sich barocker Gedichte deutschsprachiger Dichter bedient, die einen gleichwertigen Inhalt wie das Original haben. Eine gute Idee, wie ich finde, da Lyrik noch schwieriger zu übersetzen ist als Prosa, wenn es nicht sogar unmöglich ist. Eddison selbst hat sich übrigens ebenfalls barocker Gedichte englischsprachiger Autoren bedient und nicht selbst gedichtet. Der Wurm Ouroboros ist eine durchaus spannende Geschichte in kunstvoller Sprache, die man jedoch eher durcharbeitet als liest. In jedem Fall ist der Wurm in keinster Weise mit der heutigen Fantasy zu vergleichen und selbst von Tolkiens Werk, das ihm zeitlich noch am nächsten ist, grenzt er sich weit ab. Für heutige Verhältnisse, wo wir eine Flut von magischen Welten und Völkern sowie wendungsreichen und intriganten Handlungsmustern zur Auswahl haben, mag der Wurm vielleicht ein wenig einfallslos wirken. Aber man muss sich vor Augen führen, dass zu Eddisons Zeiten die Fantasy noch in den Babyschuhen steckte.
Für Freunde der leichten Unterhaltung wird der Wurm wohl zu anstrengend sein, und ich persönlich fand den Schluss auch etwas frustrierend, obwohl er vorhersehbar ist, wenn man sich die Symbolik des Ouroboros vor Augen führt. Aber wer sich nicht scheut, Zeit und auch ein paar Nerven zu investieren, wird mit Fantasy der besonderen Art belohnt.
Für alle, die lieber Originale lesen: Bisher habe ich nur die deutsche Übersetzung gelesen. Aber ich glaube, dass man sich an die englische Version nur heranwagen sollte, wenn man Shakespeare oder ältere Werke der klassischen englischen Literatur ohne Probleme und Vokabelhilfe bewältigt, da die Sprache schwierig und stark veraltet ist.
Kleine Warnung am Schluss: Wer sich den Wurm kaufen will, muss ein wenig suchen. Meist kriegt man ihn nur noch gebraucht.
Ob man nun dem Wurm oder dem Ring die Treue hält, bleibt jedem selbst überlassen. Ich halte es wie Herr Pesch und bleib beim Ring.