Illustrator: Giger@H.R.

Cover von Dea Mortis von Andreas GößlingRick Nadar ist 25 Jahre alt und will jetzt, da seine Freundin Rachel im fünften Monat schwanger ist, ein geregeltes Leben führen. Also arbeitet er nun als Sicherheitsbeauftragter in einer Computerfirma. Doch aus seinem Traum von einem normalen Familienleben wird nichts. Als er von seiner Schicht nach Hause kommt, fordert ihn seine Freundin auf, sofort mit dem Auto loszufahren, sie könne nicht in dieser Stadt bleiben. Sie brechen auf, ohne daß Rick erfährt, wohin die Reise geht. Nachdem sie in mehreren Hotels abgestiegen sind, in denen merkwürdige Dinge vor sich gehen, gelangen sie zur Stadt Idleton. Dort verschwindet Rachel und Rick muß bald feststellen, daß er in Idleton seines Lebens nicht sicher ist.

-Diese Woche hatte Rick Nadar Nachtschicht, und als er um fünf Uhr früh nach Hause fuhr, ging über den Hügeln von New Providence gerade die Sonne auf.-
1.Kapitel NEW PROVIDENCE

Andreas Gößling hat sich zu seinem Roman von Bildern H.R. Gigers inspirieren lassen, die dieser in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts geschaffen hat. Diese Bilder sind es, die DEA MORTIS (=Die Göttin des Todes) zu einem besonderen Buch machen. Viele von Gigers Schwarz-Weiß-Zeichnungen wirken wie eine Kreuzung von Gemälden Boschs und Brueghels mit dem Film Metropolis, da er häufig dämonische Geschöpfe mit maschinenähnlichen Gebilden, Stahlkonstruktionen oder futuristisch anmutenden Häuserfassaden, die aber genausogut Teile eines gotischen Doms darstellen könnten, verbindet. Die Bilder sind verstörend, unheimlich und voller religiöser und sexueller Bezüge. Wer also seinem achtjährigen Sprößling nicht erklären möchte, was sich da auf einigen Bildern so augenfällig in die Höhe reckt und auch schon mal direkt von unten in die Mitte zwischen die nackten Backen (denen auf der Hinterseite wohlgemerkt) einer Frau zielt, der sollte das Buch kindersicher aufbewahren.
Der Roman ist leider weder so verstörend, noch so unheimlich wie Gigers Bilder. Man wird nie das Gefühl los, daß man zwar nicht die Geschichte kennt, aber die Einzelteile, aus denen sie zusammengesetzt ist. Und allzu oft ist dem Leser von vorneherein klar, daß Andreas Gößling versucht, Erwartungen zu wecken, die er nicht einhalten wird. Wenn Rick Nadar sich also zu Beginn plakativ ausmalt, wie er mit seiner großen Liebe Rachel und dem gemeinsamen Kind das idyllische Leben einer Kleinfamilie führen wird, dann muß man weder ein Prophet sein, noch über langjährige Leseerfahrung verfügen, um zu wissen, daß sich seine Vorstellungen in Null Komma Nichts in Luft auflösen werden. Und wenn eine schwangere Frau holterdipolter darauf besteht, die Stadt zu verlassen, ihrem Liebsten nicht sagt, wohin die Reise geht, sondern ihn einfach durch die Gegend dirigiert, dabei wie ferngesteuert wirkt und unbedingt in äußerst merkwürdigen Hotels mit noch merkwürdigeren Bewohnern absteigen möchte, dann wird der Leser nicht unbedarft daran glauben, daß schwangere Frauen eben so komische Dinge machen und derartige Reisen für sie genauso normal sind, wie das plötzliche Verlangen, saure Gurken mit Erdbeeren und Schlagsahne zu verspeisen. Selbstverständlich wird er annehmen, daß sich die Geschichte entweder in Richtung Rosmarys Baby oder Alien entwickeln wird. So ist der Überraschungseffekt und damit auch ein Großteil der Spannung erstmal gestorben.
Im weiteren Verlauf erinnert der Roman weniger an bekannte Filme, sondern mehr an Albträume. Gößling beschreibt, immerhin ziemlich eindrucksvoll, Traumbilder, die jeder kennt, entweder aus eigenem nächtlichen Erleben oder weil sie hinlänglich bekannt sind. Ob Rick Nadar nackt auf der Straße steht, ob er von Jugendlichen verfolgt wird, die ihn verstümmeln und ermorden wollen oder ob er bei seiner Flucht kaum von der Stelle kommt, – die unheimlichen Frauen, bis hin zur Opfer fordernden Göttin, dazu die Erinnerungen Ricks an seine Kindheit und der Hinweis, daß hier Dinge vor sich gehen, die er so ähnlich in einem Film gesehen hat – das alles stößt den Leser mit der Nase darauf, daß hier surreale Traumbilder erzählt werden. Man erliegt nicht einen Augenblick der Illusion, hier könnte einem Menschen wie Du und Ich wirklich etwas Furchtbares passieren, was einem – Gott bewahre- vielleicht selbst zustoßen könnte, auch wenn die Wahrscheinlichkeit noch so gering scheinen mag. Aber nur, wenn es dem Autor gelingt, die Illusion wenigstens für einen Moment zu erschaffen, das Beschriebene könnte Realität sein, sodaß man erschrocken bei der Lektüre zusammenzuckt, wenn die schwangere Freundin ins Zimmer kommt und sagt: “Komm Schatz, laß uns einen Ausflug mit dem Wagen machen”, kann wirklich Spannung aufkommen. Hat man jedoch den Eindruck, hier wird ein Traum beschrieben und man nur noch rätseln darf, ob es der Albtraum des Autors nach der Betrachtung der Bilder H.R.Gigers ist, der des Helden, den unterbewußt doch die Panik vor einem Familienleben gepackt hat oder ob Gößling diese Traumbilder aus anderen Büchern zusammengetragen und mit Mythen vermischt hat, dann mag man vielleicht bewundern, wie der Autor Bilder in Sprache umgesetzt hat, atemberaubende Spannung kommt jedoch nicht auf, weil jeder Leser weiß: Albträume mögen zwar einige Zeit bedrohlich wirken, aber letztendlich sind Träume nur Schäume, von denen keine Gefahr ausgeht.