Andrej kommt aus der UdSSR des Jahres 1951, dort war er Astrophysiker, jetzt im Experiment ist er Müllfahrer, gemeinsam mit dem Texaner Donald aus dem Jahre 1967, der mal Professor der Soziologie gewesen ist, bevor er beim Experiment mitmachte. Andrejs Bekanntenkreis ist ein bunter Haufen, schließlich umfasst er u.a. die Schwedin Selma, den intelligenten und tiefsinnigen Juden Isja Katzman, den stoischen Chinesen Wang oder den faschistischen Wehrmachtsoffizier Fritz Geiger. Sie und hunderte, tausende, vielleicht sogar Millionen Menschen bewohnen eine Welt: das Experiment.
“Die Affen waren schon in der Stadt. Sie liefen auf Häusersimsen, hingen wie Trauben an Laternenpfählen, tanzten in pelzigen Horden auf Kreuzungen, klebten an Fenstern, warfen mit Pflastersteinen, jagten verwirrte Menschen, die in Unterwäsche auf die Straße gerannt waren.”
– Erster Teil, Müllfahrer
Es ist schwer Das Experiment (auch veröffentlich als Stadt der Verdammten und Verdammte Stadt) zu rezensieren, ohne zu viel zu verraten, denn ein Gutteil der Faszination des Romans rührt daher, wie Andrej und seine Leidensgenossen immer neue Aspekte des Experiments kennen lernen, viel rätseln, aber nie ein vollständiges Bild erhalten. Genau diese offenen Fragen sind es, die einen als Leserin oder Leser zum Mit- und Nachdenken anregen.
Der Protagonist Andrej ist dabei das gerade zu Anfang höchst willkommene Stückchen „Normalität“ in dem wilden Mix aus Wohlbekanntem (etwa die unfähige Bürokratie) und Abstrusem (plötzlich auftauchende Pavianhorden), der das Experiment auszeichnet. Im weiteren Verlauf des Romans und mit der Rochade durch die verschiedenen Berufsfelder, die die Figuren aufgrund des „Rechts auf abwechslungsreiche Arbeit“ vollziehen müssen, lernt man diese jedoch näher kennen und entdeckt nachdenklich stimmende Ambivalenzen, was die ohnehin schon spannende Figurenriege noch interessanter macht. Frauenfiguren sind jedoch nicht die Stärke der Strugatzkis, sodass man sich hauptsächlich mit einem männlichen Repertoire begnügen muss, aber auch durch sein Frauenbild lernt man den Helden Andrej näher kennen …
Dabei hat Das Experiment noch so viel mehr zu bieten als Absurditäten und den geneigten Leser/die geneigte Leserin erwarten unter anderem mysteriöse Kriminalfälle, abenteuerliche Expeditionen und seltsame Lebensformen, aber genauso politische, ideologische und gesellschaftsphilosophische Diskussionen und Fragen. Mit dem faszinierenden Setting des mysteriösen Experiments haben die Strugatzkis eine tiefgründige, facettenreiche Parabel geschaffen, gespickt mit seltsamen Abenteuern, ambivalenten Figuren und Entwicklungen, die einen unweigerlich zum Nachdenken bringt und gleichzeitig an die Seiten fesselt.
Dieser Roman ist nach der ungekürzten und unzensierten Originalausgabe im zweiten Band der Gesammelten Werke (ISBN: 978-3-453-52631-0) kürzlich neu aufgelegt worden, ergänzt durch einen Kommentar von Boris Strugatzki sowie einen erklärenden Index für Textstellen, in denen auf andere literarische oder filmische Werke oder historische Personen, Ereignisse, etc. verwiesen wird.