Wirrun, ein junger Mann aus dem Volk – den Ureinwohnern Australiens – reist durch das Land seiner Vorfahren und macht dabei eine erstaunliche Entdeckung: Mitten im Sommer findet er Eis, und einen Augenblick lang steht die Welt regelrecht auf dem Kopf.
Wieder zurück in der Großstadt verfolgt er Berichte über mehrere Eisfunde, denen außer ihm niemand Beachtung schenkt. Er stellt fest, daß das Eis nach Süden wandert, und daß es keine natürliche Ursache haben kann. Als er mehr über die Legenden der Ureinwohner erfährt, wird ihm klar, daß die Ninya, uralte Geister des Eises, hinter der Sache stecken. Da niemand sonst darauf aufmerksam geworden ist, liegt es an Wirrun, die Nachricht vom drohenden Eis zu verbreiten und ein Gegenmittel zu finden.
-Das alte Land liegt im Süden der Erde wie eine quer über den Globus gelegte, sanft gewölbte offene Hand.-
Ein junger Mann aus dem Volk: 1. Kapitel
Dieser – eigentlich als Jugendbuch erschienene – Roman ist genau die richtige Kost für Fantasy-Leser, die gerne über den Tellerrand gucken und einmal Fantasy mit anderen als den altbekannten Hintergründen, aber auch mit einer ganz und gar nicht standardmäßigen Heransgehensweise lesen wollen. Dabei klingt die Geschichte im Grunde ganz konventionell – ein junger, unbedarfter Helden-Anwärter muß ausziehen, um das Land vor einer uralten, unterschätzten Bedrohung zu retten, und erhält dabei Hilfe von allerlei phantastischen Gestalten.
Nun ist aber die Kulisse das andere Ende der Welt – Australien – und man begegnet weder erwarteten Funktionsweisen (Held erschlägt Drache, und die Sache ist gegessen), noch irgendwelchen Wesen, die man gleich einordnen kann. Der Bunyip ist da noch das bekannteste Fabelwesen, das den Weg des jungen Wirrun kreuzt, und selbst dieser mutet fremd an und bekommt erst durch die bei seinem Auftreten vermittelte Atmosphäre ein Gesicht. Es gibt also einiges zu entdecken zwischen diesen Buchdeckeln, und das Abenteuer wartet mit unvorhersehbaren Überraschungen auf, weil es nicht nach dem üblichen Schema erzählt ist – Wirruns widerwillige Begleiterin etwa, ein scheuer Felsengeist, wird ihm wortwörtlich mit dem Wind vor die Füße geweht, und bleibt auch fortan ein ‘windiger’, aber hochinteressanter Sidekick.
Wirrun selbst ist eine liebenswerte Hauptfigur, mit der man gemeinsam und etwas unabsichtlich in die Geschichte schlittert, und ganz ohne Heldenpathos wird er zum Kämpfer für das Land, der durchaus seine Fehler macht, und gerade weil er in der Großstadt lebt, nicht besonders versiert in den Bräuchen seiner Vorfahren ist. So steht er oft wie der Ochse vor dem Berg und ist (zum Glück) ähnlich befremdet wie der Leser durch die Dinge, die ihm im Laufe seines Abenteuers begegnen. Auch seine Begleiterin, die Mimi, ist mitnichten ohne Fehl – bis zum Ende bleibt sie widerwillig, kratzbürstig und vor allem sehr fremd: Wie allen Erdgeistern, mit denen man es im Laufe der Geschichte zu tun bekommt, haftet ihr nur wenig Menschliches an. Dabei gibt es aber durchaus witzige Gesellen unter den ganzen seltsamen Gestalten, und die Reise durch das fermdartige und von allerlei Geisterwesen bewohnte Land ist alles andere als langweilig.
Der charmante Humor der Autorin tritt auch zu Tage, wenn sie das Verhältnis von Weißen und Aborigines beleuchtet. Die Großtstadtmenschen, von den Ureinwohnern ganz treffend als Glückssucher bezeichnet, geben alles in allem ein eher lächerliches Bild ab – dennoch geht Wrightson mit dem Thema sehr sensibel um und vermittelt ohne anzuklagen Stimmungen.
Letzteres gelingt ihr in jeder Hinsicht, denn die wunderschöne, bildreiche Sprache verleiht der phantastischen Seite Australiens erst richtiges Leben. Ein actiongeladenes Spektakel sollte man allerdings von Wirrun zwischen Eis und Feuer (The Ice Is Coming) nicht erwarten, die Geschichte plätschert eher ruhig durch die traumartige Landschaft und bezieht ihre Spannung aus Kleinigkeiten und der Entdeckerlust in der erfrischenden Fantasywelt des fünften Kontinents.