Marla Mason, Oberhaupt der Magier der Stadt Felport, verschlägt es nach San Francisco, um dort an ein magisches Artefakt zu kommen. Es ist ihre einzige Möglichkeit, einen tödlichen Zauber zu kontern, den eine Konkurrentin für sie vorbereitet. Doch ihren Bekannten in San Francisco, den chinesischen Magier Lao Tsung, findet sie ermordet vor – Todesursache: Pfeilgiftfrosch. Das magische Artefakt ist weg. Marla, die notgezwungen den Fall lösen muss, taucht in die magische Community von San Francisco ein und kommt finsteren Plänen auf die Spur.
-Marla Mason crouched in the alley beside the City Lights bookstore and threw her runes.-
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Würde man von Marla Mason behaupten, sie sei Harry Dresdens große Schwester, würde sie vermutlich ganz garstig lachen (und darauf bestehen, dass sie immerhin für ihr Alter noch ganz gute Titten hat, was sie nie müde wird, in diesem Wortlaut zu unterstreichen …), aber eine gewisse Verwandtschaft der beiden in modernen Großstädten operierenden Magier lässt sich nicht leugnen.
Die Heldin von Blood Engines (Hexenzorn), dem Auftaktband der Marla-Mason-Reihe, ist nur auf den ersten Blick ein wandelndes Klischee: Magisch universell begabt, mit einer mächtigen Waffe und einem fiesen Wendemantel ausgestattet, bestens in der Kampfkunst bewandert, immer einen zynischen Spruch auf den Lippen. Zur richtigen Sympathieträgerin wird die (von ganz unten kommende) Überfliegerin nur in wenigen Szenen, als bissig-biestigen Gegenentwurf zu den sonstigen Weibchen der Urban Fantasy macht sie dafür aber großen Spaß: Unter ihrer rauen Schale verbirgt sich auch ein harter Kern.
Marlas Sidekick, ihr dämonischer Gehilfe Rondeau, ist ein Sprücheklopfer (in jedweder Hinsicht) und Stichwortgeber für allerlei Geplänkel zwischen den Figuren; der abgestürzte Schauspieler B., der gerne das Müllorakel befragt, fungiert als unbedarfter Sympathieträger und heimlicher Star des Romans.
So schön der Humor und die skurrile Figurenriege allerdings auch sind, der Plot, der darunter liegt, ist dünn, auch wenn das zwischen all den farbenfrohen Ideen beinahe untergeht. Die titelgebenden Blood Engines werden fast nur pro forma erwähnt, und der Bösewicht mit seinen Scharen von Fröschen und Kolibris und seiner Obsession mit aztekischen Gottheiten ist zwar erfrischend anders, wie so vieles an Marla Masons Welt, aber für eine wasserdichte Geschichte taugt er nicht.
Deutliche Krimi-Elemente wie bei Jim Butchers Harry Dresden sollte man trotz der ähnlichen Ausgangslage ohnehin nicht erwarten: Im Wesentlichen gondelt Marla auf der Suche nach Verbündeten von einem Magier zum nächsten, da die magische Oberaufsicht über San Francisco im stetigen Wechsel ist und durch die Pfeilgiftmorde auch noch gehörig durcheinander gerät, und der Aztekenfiesling ist ihr stets einen Schritt voraus.
Marla Mason sollte man vor allem dann lesen, wenn man mit einem Ideenreichtum glücklich wird, der es in sich hat, und die Logik dem unterordnet. Im Unterschied zu weiten Teilen der Urban Fantasy haben die Marla-Mason-Romane einen Ausbund unterschiedlichster Magie zu bieten: Sie ist überall und existiert nicht als eine verborgene, mythische Welt neben der unseren, in der es dann tatsächlich auch Elfen, Vampire und Feen gibt, sondern in Form von menschlichen Magiern, die durchaus modernen Berufungen nachgehen: Börsenspekulierenden Wahrsagern, Internet-Technomanten, einem China-Schwarzmagier, der direkt aus Big Trouble in Little China entsprungen sein könnte, und sogar an der ausufernden Orgie eines Pornomanten kann man teilhaben – allesamt moderne Menschen, die häufig die Möglichkeiten zeitgenössischer Technik und Lebensart für sich nutzen wollen und sie in ihr Leben und die Magie integrieren.
Da verwundert es auch nicht, dass es Tim Pratt gelungen ist, San Francisco eine eigene magische Geschichte zu verpassen (und zwar nicht nur eine vorzeitlich-mythische, sondern auch eine neuzeitliche). Nicht nur dadurch wird die Stadt zu einem sehr plastisch geschilderten Schauplatz, von dem man nach der Lektüre beinahe meint, eine (magische) Straßenkarte zeichnen zu können.
Innerhalb dieses Kosmos agieren die Magier als Unterweltbosse, regieren knallhart über ‘ihre’ Städte und Bezirke und sehen sich ähnlichen Intrigen und Konkurrenzen ausgesetzt. Doch natürlich bricht auch in dieses wohlgeordnete Setting hin und wieder unerklärliche Magie ein, und der unbeherrschte Weltenreigen nach dem Besuch bei der Hexe von Alcatraz gehört zu den schönsten Szenen von Blood Engines.
Überhaupt schafft es Pratt, in schnoddriger Sprache mit einer Vielfalt an Details der magischen Welt ein sehr weltoffenes und tolerantes Setting und Figurenensemble zu zeichnen: Ethnien, sexuelle Orientierungen, Fetische und vieles mehr trifft man bei Marla Mason in allen Varianten an, wobei Klischees und Quotenauftritte weitgehend außen vor bleiben – aber sie werden auch ohne Blatt vor dem Mund aufgetischt. Wen interessieren in einer Welt voller abgefahrener Magie schon so banale Differenzen? Der Schauplatz San Francisco tut noch ein Übriges zur Offenheit. Wer keine Lust auf eine sich über dutzende Seiten erstreckende Orgie hat, die im Übrigen eher mit Humor als mit Erotik abgehandelt wird, aber schon ins Detail geht, sollte sich lieber nicht auf Blood Engines einlassen.
Marla Masons Abenteuer werden mit Blood Engines recht spektakulär eröffnet, der Schwerpunkt liegt auf dem Humor und den Figuren, auf Anspielungen auf die Pop-Kultur und auf der Schöpfung einer magischen Gegenwartswelt. Der in diesem Band abgeschlossene Wettlauf mit einem Erzbösewicht überzeugt nicht auf ganzer Länge – aber als dreckigere und zynischere Variante zu Dresden & Co. hat Marla genug Pfiff, um ein paar Stunden solide Unterhaltung zu bieten.