Autor: Stewart@Sean

Cover von Hexensturm von Sean StewartIn Hexensturm erzählt die Ich-Erzählerin Toni Beauchamps, was im Verlauf des Jahres geschah als ihre Mutter starb und sie selbst eine Tochter zur Welt brachte. Tonis Mutter Elena verfügte über die Gabe des Hellsehens und mußte dafür einen hohen Preis zahlen. Sie besaß ein Schränkchen mit sechs Puppen, die verschiedene Geistwesen symbolisierten, die von Zeit zu Zeit in Elena fuhren und sie besessen machten. Toni haßt diese Wesenheiten und das, was sie aus ihrer Mutter gemacht haben. Als ihre Mutter stirbt, ist Toni fest entschlossen, diese Puppen keine Rolle in ihrem Leben spielen zu lassen. Aber es kommt anders: Elena vererbt Toni das Schränkchen mit den Puppen und damit auch die zeitweise Besessenheit.

-Wenn du auf dem Boden der Flasche angelangt bist, wie meine Mutter zu sagen pflegte, dann erzählt diese Geschichte, wie ich Mutter geworden bin.-
Eins

Sean Stewart hat vor Hexensturm schon “richtige” Fantasyromane geschrieben und über eines dieser Bücher sagte dann wohl jemand es “Erinnert an die besten Romane von Le Guin und an Tolkien“. Wahrscheinlich findet sich dieser Werbespruch seitdem auf jedem Buch von Stewart wieder und hat sich so auch auf die Rückseite von Hexensturm verirrt. Jedenfalls ist er hier so fehl am Platze wie die Bemerkungen “Erinnert an die besten Gebrauchsanleitungen für Waschmaschinen” oder “Noch besser als das St.Petersburger Telefonbuch”. Hexensturm hat mit keiner dieser Feststellungen auch nur im entferntesten irgend etwas zu tun.
Diese ebenso gedankenlose wie falsche Werbung ist zwar mittlerweile gang und gäbe, aber hier ist sie besonders ärgerlich, denn es bringt ein gutes Buch um seine Leserschaft. Bücherfreunde, die einen tolkienähnlichen Roman erwarten, werden Hexensturm nach ein paar Seiten enttäuscht aus der Hand legen und Leser, die solche Bücher lieben, werden es aufgrund des Vergleichs mit Tolkien und Le Guin wieder ungelesen ins Regal zurückstellen.
Tonis Geschichte spielt nicht in einer Fantasywelt, sondern in Houston, Texas, und je weiter man der Handlung folgt, um so realer scheint sie zu sein. Stewart beschreibt beklemmend und eindringlich, wie eines der Wesen sich in Tonis Kopf festsetzt. Niemand, der dies liest, kommt als erstes auf die Idee, hier läge ein Fall von magischer Besessenheit vor, es klingt vielmehr so, als beschreibe ein Patient einem Psychiater seinen ersten Anfall von Schizophrenie oder den Beginn einer multiplen Persönlichkeitsstörung. Noch erschreckender ist der Gedanke, daß diese Wesen verschiedene Seiten einer normalen Persönlichkeit sein könnten, wie sie in jedem von uns stecken. Tonis “Reiter”, wie sie sie nennt, sind eine leichtlebige und sexuell freizügige Frau namens “Schätzchen”, ein höchst moralischer Priester, eine barsche Witwe, ein Pierrot, der grausame Späße treibt, Herr Kupfer, der eine Vorliebe für Geld hat und eine “Spottdrossel”, die nur nachplappert, was andere sagen. Außerdem hat Elena immer von einem kleinen verlorenen Mädchen erzählt, das von ihrer Mutter verstoßen wurde und nun verzweifelt versucht, wieder nach Hause zu finden. Das klingt wirklich als wären Elena und später Toni Fälle für die Psychiatrie und das Buch erzähle von Tonis Kampf, mit ihrer Krankheit zurecht zu kommen und nicht völlig dem Wahnsinn zu verfallen. Andererseits ist das Buch viel zu humorvoll geschrieben als daß diese Version zutreffend erscheint und die Anfälle von Besessenheit in Tonis Leben sind relativ selten, im Großen und Ganzen handelt die studierte Mathematikerin und Aktuarin nüchtern und überlegt. Außerdem macht Stewart klar, daß Dinge geschehen, die wirklich magisch sind: Elena konnte definitiv die Zukunft vorhersagen, Candy kann es teilweise und die Geistwesen existieren auch außerhalb von Tonis Kopf. Stewart bewegt sich mit seiner Geschichte auf der dünnen Linie, die man Realität nennt und die die Grenze darstellt zwischen Wahn und Magie. Der Leser hat dabei die Rolle des Beobachters, der darauf wartet, daß die Geschichte zur einen oder anderen Seite hin kippt. Allen rätselhaften Vorgängen zum Trotz nimmt die Realität einen großen Raum in diesem Buch ein und erstaunlicherweise heißt hier das zentrale Thema Mutterschaft. Stewart muß lange Gespräche mit seiner Ehefrau geführt haben, um so lebensnah und überzeugend den Mutter-Tochter Konflikt zwischen Elena und Toni zu beschreiben und um so eindrucksvoll die Ängste zu schildern, die Toni während ihrer Schwangerschaft durchmacht.
Stewart ist ein großartiger Erzähler, er schreibt lebendig, witzig und lebensnah. Das einzig Unbefriedigende an Hexensturm ist, daß er am Ende zu viele Erzählstränge offen und den Leser so in der Luft hängen läßt. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, warum Candy vorhergesehen hat, wie ausgerechnet der unsympathische Bill mit Tonis Baby spielt und wie lange die Ehe von Candy und Carlos hält, der einen Leichenwagen fährt, mit Geistern sprechen kann und Angst vor seiner toten Schwiegermutter hat.
Noch eine Warnung am Schluß: Bei der Lektüre dieses Romans könnten Sie unbändige Lust bekommen, Warentermingeschäfte zu tätigen. Mit Sicherheit werden Sie ihr ganzes Geld verlieren, wenn sie es versuchen, also lassen Sie es lieber bleiben…

Cover von Der schwarze Dolch von Sean StewartMark, Sohn einfacher Leute, hat schon immer davon geträumt, den Gespensterwald zu bezwingen und den Bann der Roten Festung zu brechen. Der König hat versprochen, dem siegreichen Helden einen Wunsch zu erfüllen. Viele tapfere Männer, die sich allein auf die Kraft ihres Schwertes verlassen haben, sind an der Aufgabe gescheitert. Doch Mark kann nicht nur kämpfen, sondern er hat auch Verstand und so gelingt es ihm tatsächlich, den Bann zu brechen. Aber dann ist alles anders als er es sich ausgemalt hat. Und zu allem Überfluß muß er eines Tages erkennen, daß die Gespenster nicht alle besiegt sind, nicht die der Roten Festung und auch nicht die seiner Vergangenheit.

– Der Gespensterwald wurde von Erinnerungen heimgesucht, brüchig wie die Zweige, die winzigen Knochen gleich unter Marks Stiefeln knirschten.-
Die Rote Festung

Auf den ersten Blick scheint Der schwarze Dolch (Nobody’s Son) nichts weiter zu sein als eine ironische Abrechnung mit den alten Märchen. Der Held besteht seine Prüfung und erwartet -genau wie der Leser- das übliche Happy End: Der Retter wird gefeiert, der König gibt ihm die Hand seiner Tochter und sie leben alle glücklich bis an ihr Lebensende. Zu Marks Enttäuschung und zum Vergnügen des Lesers verläuft die Geschichte aber anders. Der König ist von dem hergelaufenen und nach seinem Abenteuer ziemlich derangiert aussehenden Schwiegersohn in spe überhaupt nicht begeistert. Die Herren und Damen des Hofes verhalten sich fast alle arrogant bis beleidigend und Prinzessin Gail ist zwar sympathisch, weil sie natürlich, bodenständig und ohne Dünkel ist, aber sie weigert sich aus Angst vor einer Schwangerschaft strikt, das Bett mit Mark zu teilen, außerdem scheint sie einen sehr vertrauten Umgang mit ihrer Hofdame zu haben. Das ist witzig geschrieben und Mark ist ein Held, den man gern haben muß. Stewart läßt den Leser Anteil an Marks inneren Dialogen nehmen und so formt sich recht schnell ein Bild seines Charakters. Mark hat zwar Angst im Gespensterwald, benimmt sich aber tapfer, er weiß, daß er die Spielregeln des Hofes nicht beherrscht, aber er hat ein gesundes Selbstbewußtsein, er ist manchmal undiplomatisch, aber offen und geradeheraus. So einen wie Mark möchte man gerne zum Freund haben, vor allen Dingen, wenn man in der Nähe eines verwunschenen Gespensterwaldes wohnt. Doch je mehr sich die Geschichte ihrem Ende zuneigt, um so klarer wird, was sich schon am Anfang des Romans angedeutet hat. Hier geht es eigentlich nicht um “reale” Gespenster, um Untote, die spuken, weil sie keine Ruhe finden, es geht um Gespenster, die uns alle verfolgen können, Gespenster der Vergangenheit. Es geht um einen Sohn, der darunter leidet, daß der Vater die Familie verlassen hat, als er noch klein war, ein Sohn, der alles Mögliche vollbringen will, damit sein Vater eines Tages zurückkehrt, ihm auf die Schulter klopft und sagt: “Gut gemacht, Sohn” und es geht darum, daß dieser Sohn die Vergangenheit überwinden und seinen Frieden mit ihr schließen muß, damit er eine glückliche Gegenwart und Zukunft haben kann.