Autor: Hoffmann@E.T.A.

Der chronisch vom Pech verfolgte Student Anselmus wird vom Archivarius Lindhorst als Kopist für arabische Manuskripte angestellt. Anselmus verliebt sich in Lindhorst’ Tochter, die den unchristlichen Namen Serpentina trägt. Ihre Mitgift besteht aus einem goldenen Topf und als die beiden schließlich heiraten, ziehen sie nach Atlantis.

-Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes häßliches Weib feilbot, so daß alles, was der Quetschung glücklich entgangen, hinausgeschleudert wurde, und die Straßenjungen sich lustig in die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen.-
Erste Vigilie

Wer hat eigentlich behauptet, Deutsche könnten keine gute Fantasy schreiben? E.T.A Hoffmann konnte es, aber anscheinend ging diese Kunst in Deutschland irgendwann verloren. Vielleicht sind Sie auch der Ansicht, “Der goldene Topf” sei keine Fantasy. Aber 1814 erschien die Erzählung als Teil einer Sammlung, deren Titel “Fantasiestücke (“Stücke” im Sinn von “Gemälde”) in Callots Manier” lautete. Übersetzen Sie das einmal ins Englische…Wie auch immer, dem Studenten Anselmus stoßen lauter merkwürdige Sachen zu. Er macht die Bekanntschaft einer Hexe, einer sprechenden Schlange und eines Geisterfürsten, Häuser sind von innen größer als sie von außen erscheinen und Menschen sind in Flaschen eingeschlossen. Die allerseltsamsten Dinge geschehen, die nicht nur den guten Anselmus, sondern auch den Leser in Verwirrung stürzen: Passiert all dies wirklich, spricht der Student zu sehr dem Alkohol zu, oder ist Anselmus einfach nur wahnsinnig? Die Antwort muß jeder für sich selbst finden. Er kann natürlich auch die reichlich vorhandene Sekundärliteratur zurate ziehen und sich damit den Spaß an der Erzählung ruinieren. Für Leser, die noch nie etwas aus dem 19. Jahrhundert gelesen haben, ist die Sprache sicherlich etwas gewöhnungsbedürftig. Falls dies so ist, sollten Sie sich von der Sprache genauso faszinieren lassen wie von dem Inhalt der Erzählung.

Cover des Buches "Nussknacker und Mausekönig" von E.T.A. HoffmannIn der Familie des Medizinalrats Stahlbaum wird Weihnachten gefeiert. Pate Droßelmeier schenkt der siebenjährigen Marie und ihrem älteren Bruder Fritz eine wunderschöne Spieluhr. Doch Fritz spielt lieber mit seinen Soldaten und Marie bevorzugt einen ziemlich hässlichen Nussknacker. Eines Tages beobachtet sie, wie das Spielzeug um Mitternacht  zum Leben erwacht und wie eine heftige Schlacht  mit den Mäusen entbrennt. Marie verletzt sich und Pate  Droßelmeier erzählt ihr am Krankenbett das Märchen von der harten Nuss

Am vierundzwanzigsten Dezember durften die Kinder des Medizinalrats Stahlbaum den ganzen Tag über durchaus nicht in die Mittelstube hinein, viel weniger in das daranstoßende Prunkzimmer.-

Hoffmanns phantastisches Märchen schildert zu Beginn eine idyllische, aber realistische Bürgerlichkeit. Die Kinder dürfen den ganzen Tag lang nicht die gute Stube betreten. Die Abenddämmerung bricht herein, die Geschwister warten aufgeregt und weil kein Licht angezündet wird, auch ein wenig ängstlich, auf die Bescherung. Als es völlig finster geworden ist, meinen sie Flügelrauschen und Musik zu hören, sie sehen einen hellen Schein und wissen, dass das Christkind nun fortgeflogen ist. Es ertönt ein Glöckchen, die Tür wird geöffnet und das Weihnachtszimmer erstrahlt im hellen Glanz. Marie und Fritz sind glücklich mit ihren Geschenken, auch wenn sie -wie Kinder nun mal so sind- schnell die Lust an Droßelmeiers mechanischem Wunderwerk verlieren.
Nur der Pate will nicht so recht in das Idyll passen. Zwar lieben ihn die Geschwister, da er gut zu ihnen ist und ihnen stets die schönsten Geschenke macht, aber er ist kein hübscher Mann: klein und mager, mit Runzeln im Gesicht, auch fehlt ihm das rechte Auge, das durch ein schwarzes Pflaster ersetzt worden ist. Sein Äußeres und die Tatsache, dass er als Spielzeugmacher im wahrsten Sinn des Wortes die Puppen tanzen lassen kann, machen ihn zu einer zwielichtigen Person und der Leser kann sich nie sicher sein, ob der liebe, gute Pate, der so schöne Geschenke macht und der kranken Marie Märchen erzählt, nicht vielleicht doch ein böser Zauberer ist.

Hoffmann spielt mit den Erwartungen des Lesers und ironisiert sie gleichzeitig. Vor allem das Märchen von der harten Nuss mit der undankbaren Prinzessin, steckt voller ironischer Seitenhiebe und zeichnet das satirische Bild eines Königshofes. Das Gegenstück zu Prinzessin Pirlipat ist die reine, gutherzige und opferbereite Marie.

Nussknacker und Mausekönig ist aber nicht nur ein idyllisches und lustiges Märchen, es verbreitet auch Angst, Schrecken und ein gewisses Maß an Abscheu und zwar nicht nur für die kleine Marie.
Wer glaubt, der Mausekönig hieße so, weil er eine Krone trägt und der königliche Herrscher über alle Mäuse ist, der irrt. Der Hoffmannsche Mausekönig ist zwar auch Monarch und Befehlshaber seiner Truppen, aber wer den gebräuchlicheren Begriff “Rattenkönig” kennt, der kann sich eine ungefähre Vorstellung vom Aussehen des Mausekönigs machen. Wenn eine Ratte in einem Wurf mehrere Jungen zur Welt bringt und deren Schwänze sich unentwirrbar miteinander verknoten, so dass sie sich nicht voneinander trennen lassen, nennt man dies einen “Rattenkönig”. Er wirkt wie ein Körper mit vielen Köpfen und genauso sieht Hoffmanns Mausekönig aus – ein Körper, sieben Köpfe, kein wirklich schöner Anblick, schon gar nicht wenn er von dem genialen Illustrator Maurice Sendak gemalt worden ist.

Die meisten Illustrationen Sendaks sind wunderschön, weil er sie im Stil des 19. Jahrhunderts gemalt hat und alle Figuren klassizistische Gewänder tragen, so dass man glaubt, ein altes Märchenbuch in Händen zu halten. Aber es gibt auch Bilder, auf denen die Figuren bedrohlich wirken, allen voran der bösartige Mausekönig, aber auch Pate Droßelmeier macht nicht gerade den Eindruck eines liebenswürdigen, gütigen Mannes und es gibt eine riesengroße Abbildung des Gesichtes des Nussknackers, bei der man nicht weiß, ob man sich fürchten oder darüber lachen soll.
Die Farben sind übrigens gedeckt und nicht so bunt wie auf der Abbildung des Covers.

Cover des Buches "Der Sandmann" von E.T.A. HoffmannNathanael ist Student in einer kleinen Stadt, zu Hause wartet seine Verlobte Clara auf ihn – ein scheinbar perfektes Leben. Doch die Vergangenheit holt Nathanael ein: als Kind beobachtete er seinen Vater bei geheimen alchimistischen Versuchen mit dem Advokaten Coppelius, einem kinderhassenden, unfreundlichen Riesen. Bei einem letzten Experiment geht etwas schief und Nathanaels Vater stirbt bei einer Explosion, Coppelius ist aber verschwunden. Eines Tages klopft es an Nathanaels Tür und der Wetterglashändler Coppola tritt ein. Nathanael ist zu Tode erschrocken: Coppola sieht genauso aus wie Coppelius! Aber ist er es wirklich, oder tut er dem Wetterglashändler unrecht? Und was ist mit der seltsamen Nachbarstochter, die ihn die ganze Zeit beobachtet?

-Mir war es als würden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber ohne Augen – scheußliche, tiefe schwarze Höhlen statt ihrer. »Augen her, Augen her!« rief Coppelius, mit dumpfer, dröhnender Stimme.-
Seite 9, Zeile 19 ff.

Der Sandmann war eine Pflichtlektüre im Deutschunterricht und ich war anfangs gar nicht davon begeistert. Der Titel versprach anscheinend Einschlafgarantie, aber das Buch hat mich sehr positiv überrascht.

Die Novelle beginnt mit einem Briefwechsel von Nathanael an Clara bzw. Lothar, deren Bruder, in welchem Nathanael seine Situation schildert. Bereits auf den ersten Seiten erfährt man, wie sehr der Besuch des Coppola ihn mitnimmt und welch starken Gefühle Nathanael ergreifen. Schon allein dieser eine Besuch und die Erinnerung an das Unglück bringen ihn völlig aus der Fassung und zerstören fast sein Liebesglück, denn er kann sich nicht von seinen Gefühlen trennen. Zunächst flacht dann die Spannungkurve etwas ab, bevor sie wieder rassant steigt: eine weitere Person betritt das Geschehen, Olympia, die Tochter eines Professors. Doch wie passt sie da hinein und warum beobachtet sie die ganze Zeit Nathanael?

Ob Nathanael nun einen Sinn für das “böse Prinzip” in der Welt hat oder vielleicht geisteskrank ist, wird vom Autor nicht verraten. Clara versucht durch den ganzen Roman einen guten Einfluss auf ihren Verlobten auszuüben, doch der entzieht sich immer mehr ihren beruhigenden Worten. Realität und Phantasie verschwimmen und am Ende bleibt es dem Leser überlassen, über Nathanael zu urteilen.
Hoffmanns Bild von Nathanael zeigt die Gefährdung des Menschen, wenn dieser nicht mehr in der Lage ist, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden. Nathanael ist gefangen in seiner Vorstellung, dem Mörder seines Vaters gegenüberzustehen. Doch ob Coppola und Coppelius ein und dieselbe Person sind, wird nicht verraten.

Neben den romantischen Leitbildern lässt Hoffmann auch bitterböse Ironie über die damalige Gesellschaft mit einfließen. Genau diese Ironie rundet den Roman hervorragend ab.
Nur wenige Bücher haben mich so überzeugt wie dieses. Obwohl es schon fast 200 Jahre alt ist, erzeugt es immer noch Spannung und ein gewisses Gänsehautgefühl, gerade heute, da die eigentliche Thematik aktueller denn je ist.