In Darujistan und in Schwarz-Korall scheint, nachdem der offene Krieg vorbei ist, langsam Ruhe in die Straßen einzukehren. Jedoch nicht in das Herz ihrer Bewohner: während sich Seesoldaten einer neuen Bedrohung ausgesetzt sehen und Crokus auf der Suche nach seinem alten Leben nur Scherben findet, formiert sich in Schwarz-Korall ein Widerstand gegen die herrschenden Tiste Andii. Und was hat es eigentlich mit dem Erlöserkult auf sich …?
– Ruhm und böse Omen, freudiges Wiedersehen und schreckliche, drohende Gefahr, ein geflügeltes Dies und ein geflügeltes Das, … was für eine Nacht!
Was für eine Nacht! –
Kapitel 3
Nach all der großflächigen, unbegreiflichen Kriegsgewalt der vergangenen Bände, nach der Pannionischen Domäne, nach den Auseinandersetzungen in Letheras folgt mit Die Stadt des blauen Feuers (Toll the Hounds, 1. Teil) ein neuer Band der Reihe, der leisere Töne anschlägt. Es ist nicht mehr das Geräusch zehntausend marschierender Soldaten, sondern das Weinen in der Dunkelheit, das leise Gerede in beinah leeren Gasthäusern, die geflüsterten Drohungen, die den Takt des Buches angeben. Das menschenverachtende Schlachtgewühl weicht dem inneren Krieg, den Schuldgefühlen, den schlaflosen Nächten. „Im Krieg lag Trauma“ – diese Lektion, diese Quintessenz des Romans, müssen sowohl Figuren als auch Leser kompromisslos und schmerzhaft lernen.
Nach der Unmenschlichkeit des Krieges wendet sich Erikson also den nicht weniger bedrückenden Menschlichkeiten zu. Einem Kammerspiel gleich konzentriert sich die Handlung auf die Städte Darujistan und Schwarz-Korall und ihre Bewohner und Besucher. Die Akteure der großen Kriege sind weitläufig verstreut, doch das Leben pulsiert in beiden Städten, die zu Orten großer Konvergenzen werden. Sehr schnell wird deutlich, dass Erikson mit diesem Roman ein anderes Tempo einschlägt als mit den Vorgängerbänden; bis sich die inneren Konflikte der Figuren in äußere umwandeln, vergeht mehr als die Hälfte des Buches – und darin liegt sein großer Gewinn. Erikson lotet seine Figuren mit einer psychologischen Feinfühligkeit und Tiefe aus, die auf eindimensionale Erklärungsversuche verzichtet und den Leser mit der Aufgabe betraut, sich auf Leid, Wut und Kriegs- und Lebensmüdigkeit seiner Figuren einzulassen. Erst dann wird der Roman seine Wirkung entfalten, die, das möchte man nicht bestreiten, keine beruhigende oder wohlige ist. Nicht nur die Wandlung von Crokus zu Schlitzer, auch das, was von Duikers Seele noch übrig ist, wird erst in diesem Band in nötiger Ruhe und mit eindringlichem Blick zur Sprache gebracht. Und so erfährt der Leser, sofern er gewillt ist, den Gedanken zu folgen, weit mehr über den Menschen, als jede Bequemlichkeitszone es zulässt und als es ein anderes modernes phantastisches Werk zu erzählen vermag.
Nicht nur strukturell – mit direkter Leseransprache, beinah filmischen Szenenwechseln und kammerspielartigen Erzählweisen –, auch thematisch schlägt der Autor Wege ein, die in den Vorgängerbänden weniger präsent waren: Liebe, Eifersucht, höfisches Intrigenspiel, Existenzängste eines Stadtbürgers; es sind weniger die Kriege von Göttern, sondern die Kleinkriege in Hinterhöfen und Himmelbetten, die die Grundfesten des Lesers erschüttern. Und wie immer ist es der gewagte Balanceakt zwischen Schmerz und Humor, Schönheit und Zerbrechen, den Erikson mal bildgewaltig, mal leise und hintergründig bewältigt. Ob nun mit den unglückseligen Schuldeneintreibern Flamm und Leff auf Patrouille, daheim bei Ehepaar Nom oder zu Besuch in Kruls Kneipe – Erikson beherrscht die Humorpalette von trocken-ironisch bis hin zum Klamauk natürlich auch in diesem Band. Wenn Kruppe über den Markt schlendert, bleibt keine Spezialität unangetastet, kein Weinkrug und kein Auge trocken.
Eriksons sprachliche Ausdruckskraft, die in der deutschen Übersetzung glänzt, kann sich in diesem Reigen menschlicher Tragödien genauso prachtvoll und schmerzlich entfalten wie auf der Bühne des Spieles der Götter. Die Betrachtung über das phantasievolle Spielen eines Kindes ist für mich eine der poetischsten Passagen der Reihe, und ein Beweis, wie kraftvoll Literatur sein kann – und dafür, dass es Fantasyautoren gibt, die neue Welten, Planeten, Universen erdichten können, die uns völlig fremd und dennoch schmerzlich lebensnah sind.
All dies verwebt Erikson zu einem Portrait einer Stadt, zu einer Studie ihrer Bewohner und zu einem tragischen Epos über Einsamkeit. Und wem das alles jetzt zu menschlich klang: keine Angst – die Götter schlafen nicht. Sie sterben nur. Und Kruppe tanzt dazu.
Sicher ahnt ihr, was das bedeutet.