Nachdem Jürgen auf dem Heimweg das Gute an der Arbeit des Teufels gepriesen hat, bedankt sich bei ihm ein schwarz gekleideter Mann für die freundlichen Worte und wünscht Jürgen ein sorgenfreies Leben. Doch der entgegnet, der gute Wunsch käme zu spät, er sei schon verheiratet. Zu Hause angekommen stellt Jürgen fest, dass seine Frau “wohl von einem Teufel entführt wurde. Der arme Kerl.” So macht sich Jürgen auf eine lange Irrfahrt, auf der er seine Jugend zurückerhält und Gebiete wie Cameliard, der Heimat von Guinevere, und Leuke, der Heimat von Helena, die Hölle seiner Ahnen und den Himmel seiner Großmutter besucht, um das Mannhafte zu tun und Lisa zurückzuholen…
-Im Land Poictesme erzählt man eine Geschichte: Vor langer Zeit lebte dort ein Pfandleiher namens Jürgen; doch die Namen, die seine Frau ihm gab, waren sehr oft viel schlimmer.-
Warum Jürgen das Mannhafte tat
Jürgen ist ein schräger Vogel; in seiner Jugend war er ein Draufgänger, Charmeur und Dichter – im Alter ist er ein dickbäuchiger Pfandleiher geworden, der keine wunderschöne Gräfin geheiratet hat, sondern die nette Tochter des Pfandleihers. Mit seiner Jugend, die er von Sereda erhält, tollt der knapp fünfzigjährige Jürgen durch eine skurrile Welt und versucht sein Glück zu finden. In der Wahl der Mittel ist er nicht zimperlich; schmeicheln, lügen und betrügen sind an der Tagesordnung und kann er einen Gegner nicht im fairen Kampf bezwingen, dann erdolcht er diesen auch schon einmal heimtückisch. Doch die Reise und sein ihn verspottender Schatten verändern ihn.
Gerade oder gar edle Charaktere gibt es hier nicht – König Gogyrvan will belogen werden, König Smoit hat seine Ehefrauen reihenweise ermordet und König Artus taucht persönlich nicht auf. Auch wenn außer Jürgens Charakter keiner näher beleuchtet wird, trifft man nie auf bloße Klischees.
Da Jürgen bereit ist, es mit jeder schönen Frau zu versuchen, begegnet man vielen – einige sind aber mehr als sie zunächst scheinen. Dorothee, seine Jugendliebe, leitet Jürgens Abenteuer ein, die Leschie Sereda ermöglicht es. Im Kern stehen Guinevere, Anaitis und Helena. Mit ihrer Hilfe kann Jürgen seinem Ziel näher kommen – einem Ziel, welches er eigentlich nicht kennt. Bis dahin versucht er seine Frau Lisa zu befreien.
Magie spielt eine gewisse Rolle, so gibt es Zentauren, Trolle, Naturmythen, Engel und Teufel. Doch nichts ist wie gewohnt; die Engel verspotten Petrus und die jungen Teufel wollen die Sünder nicht mehr quälen – sie wollen mehr Freizeit. Jürgen führt ein Zauberschwert, trägt ein magisches Hemd und nutzt den Zauberspruch des Meisterphilologen. Trotzdem drückt sich die Magie eher im Anarchismus der Geschichte als in magischen Gegenständen oder Zauberei aus.
Die Geschichte ist klar an die Odyssee angelehnt, Jürgen versucht Befriedigung zu finden, symbolisiert in der Suche nach seiner Frau Lisa. Für eine Fantasy-Geschichte scheint mir dieses höchst originell zu sein, zumal wenn man bedenkt, dass sie 1919 veröffentlicht wurde. Jürgen stolpert nolens-volens von einer Eskapade zur nächsten um sich langsam über sich selbst klar zu werden.
Insgesamt ist dieses eine Geschichte der Zweideutigkeit, des “Statt dessen”, der Kompromisse. Die Ereignisse sind zwar amüsant, aber immer mit einem tragischen Unterton hinterlegt; Jürgen erhält zumeist das, was er anstrebt, selten ist es aber das, was er will.
Bekannt geworden ist Jürgen als Geschichte der pornographischen Anspielungen. Die sind natürlich enthalten – sogar zu Hauf – da Cabell sich u. a. gegen die Sexualmoral der USA des frühen 20. Jhd. wendet. Jürgen ist ein Auftakt der “Roaring Twenties” – der junge Jürgen würde sich in den 20ern wohlgefühlt haben. Alle Phallus-Symbole (Schwert, Lanze, Szepter, Keule etc.) sind ernst zu nehmen – wenn der betrunkene Jürgen nächtens mit seinem Schwert vor dem Zimmer der Anaitis herumfuchtelt, hat dieses zwei Lesarten. Doch die Geschichte ist mehr als das; sie ist zunächst sehr humorvoll – die Nüchternheit, mit der Anaitis auf die zuvor geschilderte Szene reagiert, ist bezaubernd komisch. Vor allem aber ist es eine Reflexion auf die Jugend, das Alter, Menschlichkeit und deren Auffassung. Auch wenn das Buch für bare Münze genommen an vielen Stellen eine Männerphantasie zu sein scheint – alle Frauen lassen sich von Jürgen betören – löst sich dieses auf, wenn man die Symbole zu interpretieren beginnt. Anzumerken ist noch, daß die Stellen eindeutig zweideutig sind. Man weiß ganz genau, dass Jürgen sich gerade sexuell betätigt, doch lässt sich diese Szene auch ohne Problem ohne sexuelle Anspielung verstehen.
Auch wenn Jürgen Teil des Poictesme-Zyklus ist, lässt sich die Geschichte ohne weiteres verstehen; wer den Rest kennt, kann noch ein wenig mehr über der Part von Koshchei und vor allem Horvendil rätseln, darüber hinaus ist Jürgen aber das extreme Gegenteil von Dom Manuel; im Zyklus legt Cabell seine Ansichten über Lebensauffassungen dar, die Vertreter sind Dom Manuel (Chevalereske/Ernste), Jürgen (Galante/Ironische) und Horvendil (Poetische/Schaffende).
Sprachliche ist das Werk durchaus gelungen, es gibt keine Fehltritte und manch schöne Wendung – an die Sprachgewalt Lord Dunsanys oder Lewis Carrolls Zauber kann es aber nicht heranreichen.