Rezensent: Theophagos

Cover von ABC Zhang von Maureen F. McHughTechniker Zhang ist schwul. Das ist im Zweite-Welt-Land Amerika strafbar, in China, der Schirmherrin Amerikas, werden Homosexuelle zum Teil sogar hingerichtet. In Episoden, die aus einem Zeitraum von vier Jahren stammen, wird das Leben Zhangs und einiger weiterer Personen, deren Leben er berührt, in dieser fortschrittlichen Welt erzählt. Es wird geschildert, wie er seine Arbeit verliert, weil er die San-xiang, die Tochter seines Vorgesetzten, nicht heiraten will; wie er einen deprimierenden Job auf Baffin Island, jenseits des Polarkreises gelegen, annehmen muß und schließlich in China landet um Bauingenieur zu werden.

-Der Vorarbeiter schnatterte Meihua, die herrliche Sprache, Singapur-Englisch.-
China Mountain – Zhang

Die Geschichte spielt im 22. Jh. auf einer Parallelwelt, doch die Unterschiede, die zu dieser Annahme führen, sind nur kosmetischer Natur (z.B. findet der Zusammenbruch der Sowjet Union im frühen 21. Jh. statt). Die Schauplätze sind sehr unterschiedlich, New York, Baffin Island, Jerusalem Ridge auf dem Mars, Nanjing und Wuxi in China. New York ist heruntergewirtschaftet, viele Gebäude sind noch aus dem 20. Jh. – und dieses sind zumeist die besseren, denn neuere Gebäude haben zum Teil in den oberen Stockwerken kein fließend Wasser. Nach der “Großen Läuterung” ist Amerika ein sozialistisches Land geworden – die Kapitalisten sind allerdings rehabilitiert – und der Staat organisiert die Grundbedürfnisse und verteilt die Arbeit. Dieses alles aber zumeist auf einem niedrigen Niveau, wer mehr will, muß sich auf dem Freien Markt behaupten. Alleine wohnt fast niemand, da der Wohnraum exorbitant teuer ist – ein Luxus, den sich Zhang gönnt, allerdings ist seine Wohnung eine kleine Bruchbude, in der er sich nur zum Schlafen aufhält. Üblich ist das Leben in Kommunen, sich selbst organisierenden Verwaltungseinheiten auf wirtschaftlicher und politischer Basis. In New York ist Homosexualität strafbar, aber sie wird selten geahndet, auf Coney Island läßt man die Homosexuellen sogar weitgehend gewähren. In China ist das Leben ganz anders; Homosexuelle kommen in ein Umerziehungslager oder werden gleich per Genickschuß hingerichtet. Auch wenn die Bürger nicht scharf überwacht werden, geht man mit diesem “Verbrechen” nicht lax um. Technologisch ist China viel weiter entwickelt; während in New York nur passive Systeme, in die man sich aktiv einklingen muß – wie ein Bibliothekscomputer, der auf Anfragen Daten herausgibt, direkt ins Bewußtsein gespeist – existieren, sind in Wuxi aktive Systeme, die sich selbst einklinken üblich – wie ein Gebäudekomplex, der die Bedürfnisse der Anwesenden überprüft und entsprechend reagiert, z.B. die Temperatur so regelt, daß einem nicht zu warm und nicht zu kalt ist.
Das Leben auf dem Mars ist viel härter, es gibt nur wenig Land, nur wenige, veraltete Geräte, aber es gibt auch weniger Vorschriften – die Kommunen entscheiden selbst wie sie verfahren wollen. Aber auch hier sind nicht alle gleich – die Mächtigsten sind die alteingesessenen Pächter – aus ganz pragmatischen Gründen, wie sie versichern, denn die Pächter müssen sich um ihre Pacht kümmern und können daher wenig anderes machen (als andere an die Polkappen abzukommandieren).
Die insgesamt neun Episoden werden von fünf unterschiedlichen Ich-Erzählern bestritten, Zhang Zhong Shan Rafael erzählt in fünfen von seinem Leben, so daß diese ein wenig Ähnlichkeit mit einem Entwicklungsroman erhalten. Er ist das Kind einer Spanierin und eines Chinesen, seine Eltern haben seine Gene manipulieren lassen, so daß er als ABC – American Born Chinese (oder Another Bastard Chink, wie die Langnasen sagen) – durchgeht, immer am Bangen, daß er keine Genanalyse durchhalten muß und auffliegt. Außerdem ist er schwul. Wie er feststellen wird, ist er ein echter New Yorker, es zieht ihn immer wieder in diese Stadt, auch wenn sie das letzte Loch ist, und er anderswo deutlich bessere Chancen hätte.
Wie Zhang selbst sind auch die anderen Episodenerzähler, von denen jeder nur eine erzählt, liebenswerte, alltägliche Menschen mit Macken und Stärken. Daneben tauchen noch viele weitere Figuren auf, die alle interessant und glaubwürdig sind.
Die Episoden erzählen vom Alltag der Figuren, in dem allerdings nicht immer Alltägliches geschieht. So erfährt der Leser viel über die Möglichkeiten der aktiven Systeme in China, die Krankenhauspatienten in die richtige Stimmung versetzen, Hochgefühle beim illegalen Glücksspiel auslösen und den großen Komplexen, in denen der Mensch quasi als Sinnesorgan des gesamten Körpers fungiert, aber auch davon, wie Zhang in eine Razzia gerät und flüchten muß – die Hinrichtung droht. Wer nach echten Helden oder großen Aufgaben sucht wird hier allerdings enttäuscht.
Sprachlich ist das Werk sehr gut, es gelingt der Autorin die Stimmung der Szenen und Emotionen der Protagonisten eindringlich zu schildern; so ist einem die neue San-xiang auf Anhieb unsympathisch, man sieht jedoch schnell, in welche Falle sie zu laufen droht – und man gönnt es ihr nicht.
Wenn es ein Manko hat, dann ist es das fehlende Etwas, es fehlt einfach der Funke Genialität um das Buch perfekt zu machen.
Wer nach Fantasy im engeren Sinne sucht, sollte dieses Buch meiden; es enthält viele Elemente von guter Science Fiction, mit Zhangs Episoden die eines Entwicklungsromans, ist aber auch gute Social Fantasy – nur eben ohne Magie.

Cover von Alice's Adventures in Wonderland von Lewis CarrollDer kleinen Alice ist zum Einschlafen langweilig. Da läuft plötzlich ein weißes Kaninchen vorüber, das auf seine Taschenuhr schaut und sein Zu-Spät-Kommen laut bedauert. So etwas hat Alice noch nie gesehen, daher folgt sie ihm und fällt lange Zeit durch ein Kaninchenloch an Regalen mit Marmeladengläsern (leider leer) vorbei. Auf der anderen Seite angekommen, stellt sich alles als höchst sonderbar heraus; nicht nur die Leute, auch Alice’s Körper und Gedächtnis (Ist sie überhaupt noch Alice?) verhalten sich nicht so, wie man es von ihnen erwarten sollte.

-Alice was beginning to get very tired of sitting by her sister on the bank, and of having nothing to do: once or twice she had peeped into the book her sister was reading, but it had no pictures or conversations in it, ‘and what is the use of a book,’ thought Alice, ‘without pictures or conversation?’-
Down the Rabbit-Hole

Wahrhaftig, Alice landet im Wunderland, einer unmöglichen Version des idyllischen Englands des 19. Jahrhunderts. Klare Strukturen sind kaum erkennbar – d.h. nur dann, wenn Alice sie einfordert. Alles kann sich von Moment zu Moment kraß verändern, aber schon die Grundlagen sind reichlich grotesk. Der Glanz aber sind die außerordentlich bizarren Figuren.
Alice ist gut getroffen; sie ist ein kleines Mädchen, das gerade erst zur Schule geht. Mit Längen- und Breitengeraden kann sie nur wenig anfangen – es sind aber schwierige Worte, die der Situation sicherlich angemessen sind. Stolz darauf ein so wichtiges Wort wie “Juror” zu kennen, wiederholt sie es auch ein paar mal. Mühsam hat sie die Regeln der Höflichkeit erlernt (zumindest recht passabel) und nun reagiert sie mit der für Kinder typischen peniblen Korrektheit bei frisch Gelerntem. Einiges erschrickt die Kleine, doch da sie nicht das gesamte Ausmaß der Absonderlichkeiten überblicken kann, bleibt sie viel ruhiger, als ein Erwachsener dieses könnte. Als die Situation für das riesenhaft angewachsene Mädchen zu erdrückend ist, weint sie, nur um kurz darauf ins Zwergische zu schrumpfen und im See ihrer Tränen vom Ertrinken bedroht zu werden.
Die meisten anderen Figuren sind in irgendeiner Art Herausforderungen für Alice, die mit der Logik eines Kindes an die Sache heran geht. Doch niemand meint es böse mit ihr. Es ist ein Panoptikum von Kuriositäten, das ihr den Weg weißt: eine Wasserpfeife rauchende Raupe, die nichts für gegeben hält; die bekannte grinsende Cheshire Cat, die Alice freimütig Auskunft gibt; die verrückte Teegesellschaft – March Hare, Mad Hatter und the sleeping Dormouse – für die es immer tea-time ist, nachdem Zeit (ein er) befürchten muß, vom Hutmacher getötet zu werden; die Königin (eigentlich die Spielkarte “Herzdame”), die auf jedes Problem gleich reagiert: “Kopf-AB!”, neben unzähligen weiteren grotesken Gestalten.
Magie in Form von Zaubersprüchen oder magischen Artefakten gibt es nicht – es ist die Absurdität, die mit normalem Verstand unverständlichen Regeln der Welt, welche die Magie ausmachen.
In der Geschichte relativiert der Autor (und Dozent für Mathematik) Wahrnehmungsweisen und “Zeit” & “Raum”- Verständnis radikal. Mit diesen Unverständlichkeiten muß Alice umgehen, ihr Körper, Geist und ihre Umwelt stellen sie von Episode zu Episode vor neue Rätsel. Es dauert eine Weile, bis Alice beginnt, die vertrackte Logik zu durchschauen und ein wenig Kontrolle zurückzugewinnen. Ein festes Moralverständnis und Selbstvertrauen gehören zwar dazu, aber Lewis will mit dieser Geschichte nicht missionieren.
Humor entsteht in der Geschichte durch die ins absurde geführten Konventionen der englischen Gesellschaft des 19. Jhd., die Wortspiele und den daraus entstehenden Verwechslungen. “Then you should say, what you mean,” [said the March Hare]. “I do,” Alice hastily replied; “at least – at least I mean what I say – that’s the same thing, you know.” “Not the same thing a bit!” said the Hatter. “You might just as well say that ‘I see what I eat’ is the same thing as ‘I eat what I see’!” – Sprachphilosophisch nicht uninteressant.
Sprachlich ist das Werk ebenfalls eine Meisterleistung, doch die Sätze und das Vokabular sind nicht sprachgewaltätig, sondern fließen leicht und elegant dahin, man kann sich den flinken Wendungen kaum entziehen. Wer kann, sollte Alice im Original lesen; auch wenn es eine hervorragende Übersetzung von Christian Enzensberger gibt, so ist dieser perfekte Umgang mit der englischen Sprache einfach nicht ohne zu große Verluste ins Deutsche zu übersetzten.

Cover von The Amulet of Samarkand von Jonathan StroudÜber das moderne British Empire herrscht eine machtgierige und paranoide Clique von Zauberern. Mr. Underwood, der einen geringen Posten in der Regierung inne hat, soll den hochbegabten Nathaniel unterrichten, unterschätzt diesen jedoch völlig. So beschließt der Junge voller Ehrgeiz und Ungeduld den uralten Djinn Bartimaeus zu beschwören, damit dieser vom arroganten Simon Lovelace das mächtige Amulett von Samarkand stielt. Unversehens geraten die beiden in eine großangelegte Verschwörung um Macht, bei der die Akteure nicht zimperlich sind und ohne zu zögern über die Leichen Unschuldiger steigen…

-The temperature of the room dropped fast.-
1

In The Amulet of Samarkand (Das Amulett von Samarkand) Geschehen findet das Geschehen weitgehend im modernen London mit Limousinen und Telefonen statt, erst gegen Ende verlagert es sich von der Stadt aufs Land. Ein besonderes Gefühl der Urbanität kommt jedoch nicht auf, das Setting ist eher Kulisse für die Handlung. Für die Briten gestaltet sich die Ordnung der intelligenten Wesen so: Ganz oben stehen natürlich die Zauberer, dann kommen die Gewöhnlichen und zum Schluß die Dämonen (Marids, Afrits, Djinn, Foliots und Imps) – aber die meisten “Dämonen” sind nicht gerne Sklaven und auch die Gewöhnlichen wollen nicht alle von Zauberern regiert werden. Um eine Dynastienbildung zu verhindern, dürfen Zauberer keine leiblichen Kinder haben. Gewöhnlichen Eltern wird ein Kind von etwa sechs Jahren abgekauft, einem Zauberer zur Ausbildung überlassen und der Geburtsname wird gelöscht, damit er niemanden in die Hände fällt – denn Wissen über den wahren Namen eines Dinges bedeutet, darüber bestimmen zu können. Von Außenstehenden wird das Kind mit dem Namen seines Meisters angesprochen, vom Meister nur als Junge oder Mädchen bis zum zwölften Lebensjahr, in dem sich der Lehrling einen Namen aussuchen darf.
Mit Zauberei läßt sich so manches vollbringen – mit einer kurzen Spruchformel und einer schnellen Geste lassen sich Schadenszauber, Schutzzauber oder Haltezauber wirken. Der wichtigste Zauber aber ist das Binden von “Dämonen”. Aufwendig muß der Zauberer den wahren Namen recherchieren, in einem anstrengenden Ritual mit seltenen Ingredienzien an sich binden und dann hat er einen Sklaven, der ihm gehorchen muß. Die “Dämonen” nun sind – je nach Grad – mächtige Wesen, ein Djinn wie Bartimaeus kann seine Gestalt fast beliebig verändern, alle sieben Ebenen einsehen – und damit leichter die wahre Natur eines Dinges erkennen – und einiges an Zaubern wirken. Doch Vorsicht ist geboten, denn nur die wenigsten “Dämonen” lieben ihren Herren, die meisten lieben es jedoch diesem Schaden zuzufügen, daher sollte ein Zauberer sich den Wortlaut seiner Befehle genau überlegen. Die arabischen/europäischen Vorbilder der magischen Elemente sind deutlich zu erkennen, was bei der Konfrontation von Magie und Moderne aber auch nicht sonderlich stört. Ärgerlich dagegen ist die Unklarheit darüber, wie mächtig etwas wirklich ist, welche Möglichkeiten die Zauberei bietet und noch schlimmer: “Dämonen” sollen gerne ihren Meistern Schaden zufügen, sagt Bartimaeus, eine unverdächtige Quelle in diesen Zusammenhang. Geboten werden dem Leser aber nur Gegenbeispiele.
Figuren treten zwar etliche auf, doch größere Rollen spielen nur wenige. Nathaniel ist der eigentliche Protagonist der Geschichte, er ist jung, ehrgeizig, höchst talentiert – und ungeduldig. Kunstvoll werden diese Eigenschaften aus einzelnen, aber wichtigen Episoden abgeleitet. Aber im Gegensatz zu seinen Zaubererkollegen hat er noch Reste eines Gewissens. Bartimaeus übernimmt die Rolle des Sidekicks, allerdings ist er nicht nur für den Humor zuständig, sondern auch ein sehr fähiger Djinn. Er ist sehr gewitzt, neigt allerdings auch zu Übertreibungen, besonders dann, wenn es um die Mängel der Konkurrenten oder die eigenen Qualitäten geht. Einen besonders ausgeprägten Charakter hat er nicht, was daran liegt, daß er hauptsächlich Nathaniels Befehlen gehorchen muß. Er ist ironisch, geistreich und nicht besonders gewaltfreudig, aber durchaus dazu fähig. Die anderen Zauberer sind alle hartherzig und machtgierig. Manche sind unfähig, wie Underwood, andere sind talentiert, wie Lovelace, aber alle sind Mächtigeren gegenüber Speichellecker und Schwächeren gegenüber arrogant. Allesamt Radfahrer, ein paar mehr Unterschiede wären schön gewesen. Gelungener ist die Darstellung der “Dämonen”, diese sind viel farbenfroher und interessanter. Auch wenn die Herleitung des Charakters Nathaniels gut gelungen ist und keiner der anderen ein bloßer Gutmensch oder ein arger Bösewicht ist, sind die Charaktere der Menschen zu einseitig tendenziös und die Befähigungen der Zauberer scheinen mir unplausibel verteilt zu sein – Nathaniel ist äußerst talentiert und ihm gelingt, was nicht einmal vielen der Regierungszauberer zusammen gelingt.
Der Plot selbst ist nicht besonders originell, es geht um eine Verschwörung, in die der rachsüchtige Nathaniel und sein Sklave Bartimaeus hineingeraten. Dennoch ist die Geschichte spannend erzählt, dafür sorgen die vielen actionreichen Sequenzen und überraschenden Wendungen. Weiterhin wird sachte der sich anbahnende Konflikt mit der Resistance, einer Gruppe von Kindern der Gewöhnlichen, die allerdings ungewöhnliche Fähigkeiten haben und gegen das Establishment agieren, angedeutet. Da schon im ersten Kapitel ernsthaft in den Plot eingestiegen wird und die Handlung vielfach rasant voranschreitet, ist die Spannung das ganze Buch über hoch – sie unterliegt nur geringen Schwankungen, wenn es mal ein erläuterndes Kapitel gibt. Aus Bartimaeus lakonischen und ironischen Bemerkungen zieht das Buch außerdem einiges an humorvollen Momenten.
Ungewöhnlich wird aber mit den Erzählperspektiven umgegangen: Bartimaeus berichtet als Ich-Erzähler mit Fußnoten, die die unterschiedlichen Ebenen seines Denkens symbolisieren (und zu komischen oder erläuternden Bemerkungen genutzt werden), während Nathaniels Kapitel von einer personalen Perspektive aus erzählt werden. Die Sätze sind einigermaßen unauffällig und die Wortwahl ist immer treffend.

Cover von Die Augen des Drachen von Stephen KingFlagg ist der engste Berater Rolands, des Königs von Delain. Er ist es, der beinahe alle wichtigen Entscheidungen trifft. Das kann er, da es Roland an Willensstärke und Intelligenz mangelt. Doch Roland ist alt und wird nicht mehr lange zu leben haben. Der Thronfolger Peter ist dagegen nicht mit diesen Schwächen versehen, er könnte Flaggs finsteren Pläne im Wege stehen. Thomas, der jüngere Bruder Peters, ließe sich leicht manipulieren, denn er ist oftmals einsam und verwirrt. Gelingt es Flagg, dem Meister der Intrige und des Giftmischens, Peter aus dem Weg zu räumen und Thomas auf den Thron zu setzten?

-In einem Königreich namens Delain lebte einst ein König, der hatte zwei Söhne.-
1

Magie spielt im Königreich Delain eine geringe Rolle. Zwerge und Trolle sind schon lange tot und einen der (vielleicht sogar den) letzten Drachen hat König Roland erlegt. Einzig der Hofzauberer Flagg benutzt in seltenen Fällen Magie und diese ist eher unauffällig – er ist ein Mann der Alchemie und des Giftmischens. Darüber hinaus will die Geschichte realistisch sein, dieses gilt besonders für die Charakterentwicklung und Motivationen.
Peter wird zu einem moralischen Menschen von seiner Mutter Sasha erzogen, er ist intelligent, gebildet (zumindest für einen jungen Adligen) und hält sich physisch fit. Dennoch ist er kein Übermensch, weder moralisch noch von seinen Fähigkeiten her. Thomas, bei dessen Geburt Sasha stirbt, wird weitestgehend sich selbst überlassen – bis sich Flagg seiner annimmt, um ihn zu einem willigen Werkzeug zu formen; Flagg braucht nur eine Marionette. Auch alle anderen Charaktere werden mit liebevollem Detailreichtum entwickelt, so wird zum Beispiel auf zwei Seiten erläutert, warum der Vater meint, seinen Sohn aus Liebe  schlagen zu müssen. Es gibt keine übermenschlichen Helden oder unmenschlichen Bösewichte – mit Ausnahme von Flagg. Die vielen Details und die kleinen Stärken und Schwächen machen die Figuren menschlich und bringen sie nahe. Man bangt mit ihnen und ist erleichtert, wenn die Gefahr vorüber ist – oder trauert gegebenenfalls auch um sie. Doch zu Flagg, ist der nicht unglaubwürdig? Jain. Natürlich wird niemand annehmen, so einem Kerl über den Weg laufen zu können, auch seine Motive lassen sich nicht zur Gänze nachvollziehen, aber wer sich darauf einlassen kann, dem wird Flagg nur um so schrecklicher erscheinen.
Diese besondere Stärke, die ausgedehnte Erläuterung der Beweggründe der Akteure, kann aber auch als besondere Schwäche aufgefaßt werden, denn die Geschichte ist somit sehr charakterzentriert, es bleibt nur wenig Raum, die Handlung zu entwickeln. Dieses mag manchem Leser zu zähflüssig sein. Im ersten Teil geht es um die Bemühungen Flaggs Peter loszuwerden und die Kontrolle über die Regierung zu erlangen.

Bemerkenswert sind die Episoden um das Puppenhaus von Sasha und den Gebrauch von Servietten; beides rettet Peter zweimal das “Leben”. Die Episoden sind originell, z.T. sehr phantastisch, aber dennoch nicht die Glaubwürdigkeit der Geschichte strapazierend. Echte Glanzstücke.
Die Form ist sehr schwer zu fassen. Am Besten scheint die Beschreibung als “Modernes Märchen” zu passen. Nun darf man nicht glauben, daß dieses eine Geschichte für Kinder sei oder daß hier alles “märchenhaft” (wie unglaublich schön) wäre – es geht bisweilen recht brutal zu. Die Schilderungen sind zwar nicht ausführlich, aber durchaus plastisch. Doch die “Logik” der Geschichte erinnert sehr an Märchen, ebenso wie der Schreibstil. Die Sprache ist für ein Märchen immer angemessen, allerdings ist sie auch nicht überragend gelungen.

Cover von Die Burg der Verräter von Mercedes Lackey/Josepha ShermanDem Bardenlehrling Kevin ist sterbenslangweilig, er möchte zeigen, was in ihm steckt, und Abenteuer erleben. Doch er bekommt von seinem berühmten Meister Aidan nur den Auftrag, in der Burg des Grafen Volmar ein altes Lehrbuch zu kopieren. Dort angekommen stellt Kevin schnell fest, daß etwas mit dem Manuskript nicht stimmt – auch Carlotta, die Halbschwester des Königs, versucht herauszufinden, was der mächtige Aidan mit diesem Buch will. Einst versuchte sie den König zu töten, was Aidan verhinderte, seitdem gibt sie vor tot zu sein und hält sich im Verborgenem. Zunächst macht sie sich in der Verkleidung der jungen Charina an Kevin heran. Als dieses scheitert, täuscht sie vor entführt zu werden und Kevin soll eine Rettungsgruppe anführen …

-Zoing!-
1. Kapitel

Das Geschehen findet auf einer leider nur schwach beschriebenen Sekundärwelt statt, und zwar im Reich des Königs Amber. Knappen, Ritter, Burgen, Feudaladel und Turniere mit reisenden Gauklern lassen ein vom typischen Mittelalter geprägtes Bild entstehen. Auch wenn es sehr oberflächlich dargestellt wird, schimmern an einigen Stellen schon gewisse Ungerechtigkeiten des Systems durch – eine Kritik wird allerdings nicht geäußert. Knapp ein Viertel der Geschichte spielt in der großen Stadt Westerin; auch sie wird oberflächlich und klischeehaft beschrieben (z.B. die typische Gaunerkneipe), sodaß teilweise ein leichtes Gefühl von Urbanität aufkommt.

Die Geschichte ist reich gesegnet mit magischen Elementen: So gibt es Weiße Elfen, spitzohriges, magisch affines, schönes Volk mit hellen Haaren und ambivalentem Charakter, und Schwarze Elfen, die ihre dunkelhäutigen Cousins sind, sie sind bekannt für ihr böses Wesen und dunkle Magie – ein freundschaftliches Verhältnis besteht zwischen den Völkern nicht. Dann sind da noch die ewig spottenden und nicht nur nette Streiche spielenden Feen und die sonderbaren, pedantischen Arachnia, intelligente, menschenartige Spinnen. Und Zwerge, Untote und weitere bunte Monster. Es wird außerdem viel gezaubert: Licht, Verwirrung, Schutz oder Blitz, fast nichts ist undenkbar. Insgesamt liest sich dieses wie ein von D&D inspiriertes (z.B. die Schwarzen Elfen erinnern sehr an die D&D Drow) und von Hollywood inszeniertes Spektakel.

Es gibt eine Reihe von Figuren, die tendenziell flache Exzentriker sind. Da ist der Protagonist Kevin der Bardling, ein Lehrling des Helden Aidan; er ist jung und will sich dringend beweisen. Wie es sich für einen angehenden Barden gehört, liegen seine Stärken nicht im Kampf, sondern darin, die Gruppe zusammenzuhalten und die Moral zu heben. Lydia ist eine Amazone, eine geschickte Waldläuferin, aber auch eine gewiefte Schurkin – der Schönheit fällt im Zweifelsfall immer ein Ausweg ein. Ihre Gefährtin ist die Fee Tich’ki. Sie unterstützt die Gruppe mit ihren Tricks und hat vor allem den unerfahrenen Kevin auf dem Kieker – er entgeht nur selten ihrem Spott. Eliathanis ist ein Krieger der Weißen Elfen und Naitachal ist ein Geisterbeschwörer der Dunkel Elfen – die beiden sind einander nicht freundlich gesonnen, aber gerade Naitachal hat einige Überraschungen zu bieten. Die wichtigsten Antagonisten sind die böse Hexe Charlotta, die sich selbst auf den Thron setzen will. Dazu schmiedet die kluge Frau heimtückische Pläne und nützt eine Vielzahl von Zaubern. Nur den Barden Aidan fürchtet die herzlose Intrigantin. Ihr “treuer” Verbündeter ist Graf Volmar; er plant der Mann an ihrer Seite zu sein, wenn sie den Thron besteigt – was danach passiert… So lange stellt er der gemeinsamen Sache seine Ressourcen zur Verfügung. Daneben gibt es noch viele kleine Figuren: korrupte Stadträte, kalte Schwarzmagier, hilfreiche Gaukler und schamlose Schurken.

Bei dem Wunsch Kevins, selbst Abenteuer zu erleben, wird es den Leser kaum verwundern, daß es sich hier um eine Abenteuergeschichte handelt. Ein wenig episodenhaft werden eine Reihe von Standardsituationen präsentiert. Dazu gehört die gruppeninterne Spannung (zwischen Eliathanis und Naitachal, bzw. Tich`ki und dem Rest der Gruppe), das Herabblicken der erfahrenen Kämpen auf den jungen und unerfahrenen Protagonisten, ein Überfall von Wegelagerern, Taschendiebstahl in der Stadt, die billige Anmache von Betrunkenen, derer sich die schöne Amazone erwehren muß, bis hin zur Verkleidung als Frau um gewissen Leuten aus dem Weg zu gehen. Doch es gelingt dem Autoren-Duo dieses mit einer flotten Leichtigkeit und viel Charme zu erzählen, so daß erfahrene Leser zwar nur selten überrascht, aber dennoch amüsiert werden – so hat z.B. der Geisterbeschwörer an der gender-bending Verkleidungssequenz am meisten Spaß.
Auch wenn es eingestreute Episoden gibt, ist der Handlungsverlauf progressiv und dramatisch; die Spannung entsteht zu gleichen Teilen aus den bedrohlichen Situationen wie auch den unterschiedlichen Charakteren.
Erzählt wird diese Geschichte aus der Perspektive des Bardling Kevin. Nur einige wenige Male wird diese von kurzen Zwischenspielen unterbrochen, die aus der Perspektive des Grafen Volmars geschildert werden. Es gibt nur einen Erzählstrang, der in einem neutralen Sil gehalten ist. Die Sätze sind eher unauffällig, lassen sich aber flüssig lesen, was gut zur flotten Abenteuergeschichte paßt. Die Wortwahl ist stellenweise etwas zu modern geraten, sonst aber durchaus angemessen.
Die Burg der Verräter (Castle of Deception) ist der Auftakt der Bard’s Tale Reihe, die von verschiedenen Autoren verfaßt wurde und an das Computer-Spiel gleichen Namens, welches 1987 erschienen ist, anzuknüpfen versucht. Ähnlichkeiten – sieht man vom lockeren Stil ab – sucht man aber vergebens.

Cover des Buches "Der letzte Minotaur" von Thomas Burnett SwannDie lebenslustige Dryade Zoe erzählt die Geschichte von Eunostos, dem letzten Minotaur des Zauberwaldes der Tiere auf Kreta.
Der junge Tiermensch ist in die wunderschöne Dryade Kora verliebt, doch diese mag ihn nicht erhören, denn sie träumt einen sonderbaren Traum und will daher warten. Aber warum folgt Saffron, die Königin eines der neu angekommenen Stämme der Thriae, dem Minotaur mit so lüsternem Blick? Als sich schließlich der Paniskus Phlebas, ein Ziegenjunge mit ungewöhnlich kriminellen Charakter, besonders aufdringlich gegenüber Kora verhält, nimmt das Unheil seinen Lauf …

-Ich bin dreihundertsechzig und stolz darauf, daß ich in all dieser Zeit bestimmt gut doppelt so viele Liebhaber erfreuen durfte, wie ich Jahre genoß.-
Erster Teil, Eunostos, 1.

Die Geschehnisse im Zauberwald finden zur Zeit der Minoischen Palastkultur statt, als der legendäre Minos noch König ist und die Archäer zwar schon Überfälle unternehmen, aber noch keine ernste Bedrohung darstellen. Kreta wird von freundlichen, den Augenblick lebenden Menschen bewohnt, auf dem Lande geht es zwar etwas einfacher und zurückhaltender zu, doch in der Stadt Knossos herrscht ein freizügiges und buntes Treiben, welches sich in den farbenfrohen und vielgestaltigen Palästen widerspiegelt; dort hat der weise und gerechte König Minos seinen Herrschersitz.
Doch die Menschen haben einen Pakt geschlossen mit den Tiermenschen Kretas, deren Heimat soll von Menschen nicht betreten werden. Der Zauberwald ist hauptsächlich ein Wald, in dem seine Bewohner sehr angepasst an diesen leben, so sind die Häuser nicht aus dem Wald gebaut, sondern mit dem Wald gebaut. Das Zauberhafte beschränkt sich allerdings auf die Bewohner.

Die Tiermenschen sind der Mythologie Kretas entlehnt, einige, wie der Minotaur, sind sehr bekannt und im stärkeren Maße an die Mythologie angelehnt, andere, wie die Thriae, sind weniger bekannt und mit mehr Phantasie ausgestaltet. Ein Eigenart der meisten Tiermenschenvölker ist es, entweder nur aus Frauen, wie die Dryaden, oder nur aus Männern, wie die Minotauren, zu bestehen. Nur in wenigen finden sich sowohl Frauen als auch Männer, wie bei den Thriae. Die kriegerischen und draufgängerischen Zentauren werden angeführt vom weisen Chiron; die Panisken – vom Äußeren Satyren sehr ähnlich – entwickeln sich nicht weiter als Jugendliche, sie sind stets auf Nonsens aus; die Artemisbärinnen, zur Hälfte Bär, zur Hälfte Frau, sind auf ewig scheue Mädchen; die Telchin sind großartige Handwerker mit der Gestalt einer übergroßen Ameise; die Thriae, die Bienen, sind sehr dünne mit Flügeln versehene menschenartige Wesen, deren Volk aus Königin, Arbeiterinnen und Drohnen besteht; die Dryaden sind schöne Frauen, die sich nicht lange von ihrer Eiche trennen können.

Eunostos, der letzte Minotaur, ist zur Hälfte Bulle, zur Hälfte Mensch, statt Füße hat er Hufe und aus seinem seidigen, roten Haar ragen Hörner heraus. Wenn er erst ausgewachsen ist, wird er eine gewaltige Statur haben. Wie für Minotauren üblich, arbeitet er als Zimmermann. Er ist ein lebhafter und stürmischer junger Bulle, doch kann er auch sehr sanft und poetisch sein. Er ist unsterblich in die Dryade Kora verliebt.
Diese ist eine junge, romantische Dryade, vielleicht die älteste Jungfrau (sie ist schon neunzehn) im ganzen Wald. Sie wirkt durch ihre Zurückhaltung auf viele erhaben, vielleicht ist sie aber einfach nur unsicher.
Saffron ist die Königin eines Thriae-Stammes, sie ist lüstern und arrogant; sie erwartet von anderen, dass diese sich ihr – der schönen Königin! – fügen. Zudem ist sie eitel und gierig.

Zoe, die Dryadin, ist die Erzählerin der Geschichte, sie ist äußerst beliebt und hat sowohl zu Kora und deren Mutter als auch zu Eunostos, mit dessen Mutter sie befreundet war, ein gutes Verhältnis. Eunostos nennt sie Tante Zoe, obgleich sie sich diesen Titel nicht wünscht, da sie heimlich andere Gefühle für ihn hegt. Schließlich ist da noch der menschliche Kreter Aeacus, der Bruder König Minos’. Ihn verschlägt es im zweiten Teil der Geschichte in den Wald – auch er verliebt sich in die schöne Dryade Kora.
Die Charaktere sind einfach, was nicht weiter stört, da die Tiermenschen einfache Geschöpfe sind, doch manchmal agieren sie ein wenig zu typisch. Dieses mag im Konzept so angelegt sein, um die Schlichtheit der Natur besser gegen die komplizierte Zivilisation abheben zu können, nimmt der Geschichte aber ein wenig an Spannung.

Die Geschichte ist in zwei Teile geteilt, die durch die Liebe Eunostos’ zu Kora zusammengehalten werden. Im ersten Teil geht die Bedrohung von der Königin Saffron aus, dieser Teil ist wesentlich humorvoller und handlungsreicher. Während hier Liebe und Lust die Figuren motivieren, sind es im zweiten Teil Liebe und Pflicht. Aeacus ist der Mann in Koras Traum, aber er hätte nicht in das Reich der Tiere kommen dürfen, denn auch wenn er und die Dryade sich lieben, werden seine Kinder doch königlichen Geblütes sein. Hinzu kommt, dass der sanfte Eunostos viel besser mit den Kindern umgehen kann. Wenn Tugend und Laster einander gegenüberstehen, ist ein gutes Ende immer möglich, aber wenn zwei Tugenden sich gegenüberstehen, dann ist eine Tragödie am Ende unausweichlich. So gibt es zwar wiederum komische oder harmonische Episoden, dieser Teil ist aber deutlich melancholischer und dem Leser wird schnell klar, dass am Ende das Leid unvermeidbar sein wird.

Auch wenn die Geschichte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Märchen Die Schöne und die Bestie von Jeanne Marie Leprince de Beaumont hat, ist Eunostos der Einzige, der seine Physis negativ beurteilt. Auch wenn die Thematik Liebe sehr dominant ist, gibt es doch einige gefahrvolle Momente und überraschende Wendungen zu überstehen in dieser ungewöhnlichen Geschichte. Dieses ist zwar der zweite Teil aus der Minotaurus Reihe, aber er kann völlig unproblematisch nur für sich gelesen werden.

Die Erzählung wird zwar von Zoe erzählt, doch diese gibt bisweilen sogar die Gedanken der Figuren wieder, wie ein antiker Historiograph seinen Protagonisten eine Rede in den Mund legen mag. Die Geschichte ist somit aus einer unüblichen Perspektivenmischung von auktorialer Erzählstruktur und Ich-Erzählsituation dargestellt. Die flüssigen Sätze und die treffende Wortwahl passen gut zu dieser schnellen und frivolen Geschichte.

Cover des Buches "Der verschenkte König" von Terry BrooksQuestor Thews, der unfähige Hofzauberer Landovers, findet einen Zauber, um den hundegestaltigen Hofschreiber Abernathy in einen Menschen zurück zu verwandeln. Doch dabei wird Abernathy samt dem Medallion, das dem König die Gewalt über den Verteidiger des Reiches verleiht, in die alte Welt des Königs Ben Holiday transportiert und gegen eine bunte Flasche mit einem bösen Dämon, dem Darkling, vertauscht. Während Ben und seine Freunde den G’heim Gnomen Filip und Sot, die die Flasche gestohlen und den Darkling befreit haben, hinterher jagen, muss Abernathy zu seinem Entsetzen feststellen, dass er bei Michel Ard Rhi, dem ehemaligen König von Landover, gelandet ist; denn einst hatte Questor Abernathy in einen Hund verwandelt, um ihn vor Michel zu verstecken…

-Ben Holiday seufzte müde und wünschte, er wäre woanders als dort, wo er gerade war.-
Niesen

Die Welt Landover ist immer noch dieselbe, wie im ersten Band und alle Bekannten treten wieder auf. Dieses Mal werden die Charaktere von Abernathy und Questor Thews etwas näher beleuchtet, doch leider bleiben sie recht maskenhaft.
Strabo, der Drache, soll einer der größten Feinde des Königs sein, doch die Rolle kann man ihm kaum mehr abkaufen. Kallendbor nimmt sich einiges heraus, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen. Insgesamt sind die bekannten Elemente nicht um interessante Facetten bereichert worden und können ihre Rollen kaum glaubwürdig füllen.
Neue Elemente gibt es kaum, nur den Schattenwicht, der eine kleine Rolle spielt, und den Darkling. Diese beiden Gestalten sind aber durchaus gelungen – der erbärmliche Schattenwicht, der um weiter existieren zu können Leichenteile zusammenstehlen muss, lässt einen schon erschaudern. Auch die grausam-schönen Kunstwerke des Darklings haben viel Potential – leider nutzt der Autor dieses nicht voll aus.
Die in unserer Welt angesiedelten Charaktere gelingen allesamt besser, treten aber nur kurz auf; Michel Ard Rhi allerdings wird so aufgrund der nebulösen Ferne zu einer interessanten Figur.

Die Geschichte lässt sich vielleicht am besten als Mischung aus urbaner Abenteuergeschichte und klassischer Fantasy-Queste beschreiben. In Landover wird dem Darkling nachgejagt und die bekannten Charaktere abgeklappert. Einige der Verknüpfungen wirken dabei etwas zu konstruiert, als wenn es nur darum ginge, den Charakter auftreten zu lassen; aber glaubwürdig sind sie dennoch. Questors Magie ist leicht störend: Sie schwankt zwischen Slapstick und Lebensrettung, aber fast immer so, dass es die Geschichte voran treibt – nur an einer Stelle verkompliziert sie die Geschichte; diese Stelle ist aber wirklich gelungen. Schade, das es nicht mehr davon gibt.

Im Strang in den USA gilt es Abernathy nach Virginia zu lotsen, damit er nach Landover zurückkehren kann. Alles in allem durchaus gelungen, aber auch kein Meisterwerk. Es lässt sich gut lesen, es tauchen keine Ärgernisse auf, aber leider auch keine überragenden Einfälle.

Auch wenn der Autor versucht humorvoller zu sein als in den vorigen Geschichten, sind mir die auflockernden Slapstick-Szenen zu albern. Sprachlich sind wieder einmal einige der fantastischen Wesen etwas unangemessen: “Und wen nennt Ihr ‘alt’? Ihr seid selbst ein halbes Fossil!” So der Drache Strabo.

Wie alle Teile des Zyklus, so lässt sich auch Der verschenkte König (Wizard at Large) als eigenständiger lesen, da alle wichtigen Zusammenhänge kurz erläutert werden. Es fehlt dann eventuell nur etwas Tiefe.

Cover von Der Drache von Jane GaskellFür Cija haben sich die Dinge drastisch gewandelt: Einst war sie als Tochter der Königin eine Göttin, dann war sie eine ehrenvolle Geisel des Feldherren Zerd mit dem dramatischen und patriotischen Auftrag, diesen zu töten. Doch sie konnte es nicht und danach hat sich die ganze Angelegenheit als Farce herausgestellt. Nach langem Leidensweg ist sie die Geliebte Smahils geworden, der ihren Körper liebt und ihre Seele verachtet. Allerdings kann diese Situation nicht lange gut gehen, zumal die Verbündeten Südländer mit den eigenen Nordländern immer häufiger aneinander geraten. Schließlich muß Cija wieder einmal fort und es scheint sie habe endlich einmal Glück, denn der Hohepriester Kaselm führt sie als Göttin am Hof des Gottkaisers der Südländer ein…

-Smahil hob mich in den Sattel und hülte mich fürsorglich in seinen Umhang.-
Das Bett in der Südmetropole

Die Geschichte schließt nahtlos an den Turm der Göttin, den ‘ersten’ Teil, an – kein Wunder, da die Autorin diese ‘zwei’ Teile als einen Roman schrieb und erst viel später getrennt wurden. Wer den ‘ersten’ Teil nicht gelesen hat, wird sicherlich nicht alles nachvollziehen können.

Das Geschehen ist im prähistorischen Südamerika angesiedelt, aber dieses ist dem Leser so fremd, das es genauso gut eine Sekundärwelt sein könnte. Die Nordländer und die Südländer hassen sich, da beides stark chauvinistische Reiche sind – zu dumm, daß die Nordländer mit einer schwachen Armee von unerfahrenen Soldaten mitten unter ihren ‘Verbündeten’ im Südreich stehen. Der Leser erhält Einblick in das Leben am Hofe des Gottkaisers, seine prachtvollen Gebräuche, die dekadenten Adligen und den großen Einfluß der Priesterkaste – Cija würde sich wohlfühlen, wären da nicht ihre Alpträume.
Die phantastischen Elemente sind wieder sehr unaufdringlich, aber dennoch handlungsbestimmend; erst am Ende treten sie deutlicher auf. In diesem Zusammenhang finden auch die vielen Zufälle der Geschichte eine Erklärung – ob sie dem Leser zusagt, steht auf einem anderen Blatt.
Figuren treten wieder sehr viele auf. Wie schon im Vorgänger gibt es kaum klare Positionen, beinahe keine Figur ist einfach gut und keine ist einfach böse; alle haben ihre persönlichen Gründe zu handeln, wie sie es tun. Cija ist kein naives Kind mehr und auch wenn sie zuweilen vermeint frei und glücklich zu sein, haben sich die Mißhandlungen tief in sie eingegraben und so kann sie Ruhe nicht lange ertragen. Nachdem der Mord an Zerd unsinnig geworden ist, irrt sie ziellos weiter, meistens ist sie darum bemüht sich zu verstecken, da sie vielen gegenüber zur Verräterin geworden ist; sie scheut nicht mehr den Tod, sondern das zu Tode gefoltert werden. Cija hat gelernt Gewalt und Demütigungen zu ertragen oder davon zu laufen, so reagiert sie denn auch auf Probleme. Smahil, ihr grausamer Liebhaber, Zerd, der sie ebenfalls begehrt, Kaselm, der Hohepriester, vor dem alle Höflinge Cija warnen, aber auch Ooldra, die Cija so sehr haßte, und einige mehr spielen eine Rolle in Cijas leidenreichen Leben.

Cijas Odyssee ist eine Queste ohne Ziel, sie wird einer Vielzahl von Prüfungen unterzogen, bei denen sie von vornherein keine Chance hat, zu bestehen. Zunächst versucht sie einfach nur Frieden und Ruhe zu finden, doch der freundliche, alte Priester geht ihr nicht aus dem Sinn – als sie diesen erneut trifft, nimmt ihr Leben eine weitere Wendung.
Was ist das eigentlich für Fantasy? Cija nimmt an einem großen Feldzug teil, Schlachten werden geschlagen, Beute wird gemacht, es wird gebrandschatzt und vergewaltigt. Dumm nur, daß sich beide Seiten nichts geben – ein Soldat ist ein Soldat ist ein Soldat, egal ob er dieser oder jener Fahne folgt, am Abend will er Saufen und eine Frau. Dümmer noch, daß Cija kein Soldat ist – sondern eine Frau. Der Leser erlebt Cijas Leid, wie sie permanent der einen oder anderen Form von Gewalt ausgesetzt ist, wie sich ihre Seele immer mehr verformt, bis ihr eine weitere Vergewaltigung gar nicht mehr soviel ausmacht. Der Leser erlebt zunächst ihren sozialen, dann ihren seelischen Verfall – ein ‘Happy End’ kann es da nicht geben. Wer eskapistische Literatur sucht, sollte einen großen Bogen um dieses Werk machen, wer dagegen ein Argument gegen den Eskapismus-Vorwurf gegen die Fantasy braucht, der wird hier fündig. Es ist Heroic Fantasy mit einer sehr düsteren Atmosphäre – aus der Opfer-Perspektive.

Das ist zwar sehr originell, aber leider nicht ohne Fehler. Zum einen erleidet die arme Cija wirklich die Qualen der Welt – mehrfach. Da wäre sicherlich weniger mehr gewesen. Die psychischen Folgen der Mißhandlungen hätten deutlicher herausgestellt werden können, gerade wenn sie in Frieden lebt, sollten diese zum Tragen kommen. Aber statt dessen erleidet sie ein Ungemach nach dem anderen, Zeit zum Reflektieren stellt ihr die Autorin kaum zur Verfügung. Die vielen Zufälle sind ebenfalls störend, auch wenn sie eine Erklärung finden. Diese ist jedoch zu banal und es fehlt ihr ein Clou. Warum muß Cija all das Erleiden? Man weiß es nicht. Ihr Vetter scheint sie einfach nicht zu mögen – wie viel ernüchternder wäre es doch, wenn es keinen besonderen Grund für ihr Leid geben würde? Dann hätte die Geschichte aber auch ohne Zufälle konstruiert werden müssen. Das Ende schließlich wirkt etwas übereilt, so als wenn der Autorin die Puste ausgegangen sei. Was sonst 100 Seiten oder mehr in Anspruch genommen hätte, braucht nur noch einen Bruchteil davon. Neigt die Autorin sonst auch zu langwierigen Beschreibungen, die das Geschehen etwas in die Länge ziehen, so ist es am Ende deutlich zu knapp. Sprachlich ergibt sich kaum überraschend kein Unterschied zum Vorgänger, Gaskell ahmt den Tagebuchstil einer jungen Frau aus gebildeten Verhältnissen, die Erbärmliches durchleiden muß, perfekt nach.

Cover von Dreiherz von Poul AndersonHolger Carlsen, ein dänischer Widerstandskämpfer im 2. Weltkrieg, wacht nach einer Verwundung in einer sonderbaren Umgebung auf. Während er die unbekannte Welt kennen lernt, macht er sich Freunde wie den Waldzwerg Hugi oder Alianora, das Schwanenmädchen. Aber er macht sich auch Feinde wie Alfric, der Herzog im Feenkönigreich ist, oder Morgan le Fay, die mächtige Herrin von Avalon, denn der Kampf zwischen dem Zauberwesen, die dem Chaos dienen, und den Menschen, die der Ordnung dienen, steht bevor und Holger als Ritter der drei Herzen scheint eine wichtige Rolle darin zu spielen. Kann er rechtzeitig herausfinden, wer er ist und welche Aufgabe er hat?

-Nachdem soviel Zeit vergangen ist, fühle ich mich verpflichtet, dies niederzuschreiben.-
Vorbemerkung

Die Welt, in die Holger gerät und zum Ritter der drei Herzen – Holger Danske – wird, ist grob gesagt die des Hohen Mittelalters: Ritter mit Kettenhemden, wenige Steingebäude, viele Holzhäuser, das Heilige Römische Reich, Heiden und die vor Jahrhunderten von Karl dem Großen und seinen Paladinen zurückgeschlagene Sarazenengefahr. Einiges stimmt aber auch nicht mit dem mittelalterlichen Europa überein: Der Westen war seit der Eroberung durch die Römer zivilisierter als Mitteleuropa oder der Osten, Heiden gab es z.Z. des Hl. Röm. Reichs schon lange nicht mehr und es fehlt weitestgehend die Beschwerlichkeit des mittelalterlichen Lebens.

Hinzukommt die Welt der Magie – das Mittelreich. Hier sind die Elfen die Herren; sie fürchten das Sonnenlicht, können Eisen nicht berühren und schrecken vor Heiligem zurück – kein Wunder, daß diese mächtigen Magier gegen das Heilige Röm. Reich einen Krieg führen wollen. Ob sie nun das Chaos (Zauberei) nutzen oder selbst nur mächtige Instrumente des Chaos sind, bleibt unklar. Die Elfen haben viele Verbündete: Drachen, Riesen, Trolle und natürliche böse Menschen wie Hexen, Heiden und Kannibalen.
Magie spielt eine große Rolle, ist sie doch die Hauptwaffe der Agenten des Chaos und auch die Anhänger der Ordnung wie Alianora, die sich in einen Schwan verwandeln kann, nutzen sie – allerdings weit seltener. Magie wirkt sich generell so aus, daß sie Fähigkeiten des Dings, dem sie innewohnt, verstärkt oder verändert; als Beschwörungsformel für Geister und Dämonen wird sie bisweilen auch genutzt. Dieses Magie-Konzept gefällt mir durchaus.
Weit weniger gefallen mir die “wissenschaftlichen” Erklärungen der magischen Phänomene, wenngleich sie manchmal einen gewissen Charme haben: Das Gold eines überlisteten Riesen (sie verwandeln sich in Stein, wenn Sonnenlicht sie berührt) ist verflucht, so wissen die Einheimischen. Warum weiß Holger – wenn Kohle zu Silikon wird, ergibt sich zwingend eine radioaktive Isotope.
Die Charaktere sind ebenfalls nicht besonders gelungen: Holger ist der gutmütige All-round-Held, Alinora ist die schöne und gute Versuchung, Hugi der Waldzwerg ist der ungebildete, aber weise Sidekick – alles in allem an der Grenze zum Klischee.
Der Roman-Holger ist an die Mythenfigur Holger Danske angelehnt, ursprünglich einer der Paladine Karl des Großen im Rolandslied. Außer seinem Dänisch-Sein hat er dort keine weiteren Qualitäten. Später taucht die Figur in allen möglichen Zusammenhängen auf, so benannte sich z.B. die bekannteste dänische Widerstandsgruppe im Zweiten Weltkrieg nach ihm, doch am bekanntesten dürfte das Märchen Holger Danske von Hans Christian Andersen sein.
Noch ein Wort zur Rollenverteilung: Die meisten Frauen (ca. 66%) sind feindlich, aber alle sind problematisch; nur wenige (16%) stehen auf Seiten der Ordnung. Die meisten himmeln Holger an. Alle haben mit Magie zu schaffen. Die meisten Männer dagegen sind freundlich, einige (33%) sind problematisch und nur wenige sind feindlich. Die meisten sind Krieger und einige haben mit Magie zu tun. Wem’s gefällt … (Woher die Zahlen stammen: Es gibt jeweils 6 weibliche und 6 männliche Personen, die etwas wichtiger sind – wer rechnen mag, der kann sich einige Spoiler ausrechnen.)
Der Grundplot ist auch nicht übermäßig originell – Ein Mensch aus der Moderne gerät in eine Fantasy-Welt; dort kann er mit Hilfe von Errungenschaften der Moderne manchmal aus brenzligen Situationen entkommen (s. A Conneticut Yankee in King Arthur’s Court von Mark Twain – das ist älter; der Film: Army of Darkness mit Bruce Campbell ist komischer).
Interessant ist der Konflikt zwischen Chaos und Ordnung. Der bekannteste Vertreter ist Elric von Michael Moorcock – es scheint, als wenn er sich ein wenig von Dreiherz (Three Hearts and Three Lions) habe inspirieren lassen, ist doch Dreiherz etwa acht Jahre älter als Die ewige Schlacht, die älteste Geschichte des Ewiger Held-Zyklus.
Ein weiterer Hinweis an die D&D-Fangemeinde: Wer sehen will, wo sich das häßliche Haupt eines D&D-Trolls zum ersten Mal erhob, der lese das 22. Kapitel.
Bleibt das abrupte Ende zu erwähnen, es bleiben zu viele Ungereimtheiten, zu vieles wird in zwei Sätzen abgehandelt. Das Ende paßt zu einer Kurzgeschichte, die mit “Seltsam, aber so steht es geschrieben” schließt, aber nicht zu einem Roman.
Sprachlich ist das Werk immer angemessen, der Autor ist sich der Differenzen zwischen moderner Alltagssprache und mystischer Sprache bewußt und geht bisweilen darauf ein – “Ich habe Durst, wie wär’s, wenn wir einen heben würden?” – “Wenn wir einen was würden?”
Das Buch ist hauptsächlich interessant, wenn man sich mit den Ursprüngen der verschiedenen oben erwähnten Konzepte befassen will, wer einfach nur eine Sword & Sorcery Geschichte lesen will, wird besseres finden. Zur Ehrrettung des Autors mag erwähnt sein, daß Dreiherz 1953, also vor dem Herrn der Ringe und vor der 70er Fantasy-Welle der Verkitschung und Verklischeeung geschrieben wurde.

Cover von Der dunkle Thron von Chris BunchAls Damastes á Cimabue, ein rang-niedriger Kavallerie-Offizier der numantischen Armee, den Seher Laish Tenedos, der die unfähige numantische Regierung anprangerte, als militärische Eskorte auf eine Strafversetzung in die Grenzstaaten begleitet, beginnt der soziale und finanzielle Aufstieg der beiden. Vor dem Höhepunkt aber gilt es Kultisten, Sozial-Revolutionäre, Dämonen, andere ehrgeizige Männer und das alte System zu bekämpfen.

-Der Seherkönig, Laish Tenedos Imperator Rex, ist tot.-
Kapitel 1: Exil

Die Geschichte findet im Reich Numantia und dessen Nachbarn statt. Von der Namensgebung und der Struktur erinnert Numantia an das späte Römische Reich, es gibt Legaten, ein Lyzeum, Tenedos wid Imperator, die Hauptstadt heißt Nicias. Da Tenedos ein Magier ist, spielt Magie eine deutliche, aber quantitativ keine dominierende Rolle (ein gutes Dutzend Zauber auf 631 S.). Qualitativ sind einige Probleme nur mittels Magie zu lösen, es handelt sich also nicht um Feierabendmagie. Außer Dämonen gibt es neben den Menschen keine intelligenten Lebewesen. Generell nicht schlecht, aber auch nicht besonders innovativ.

Schon im ersten Kapitel wird das Ergebnis des gesamten Bandes vorweggenommen – sogar der weiteren Geschichte, da es vom Damastes im Exil, 15 Jahre nach dem Beginn der eigentlichen Geschichte erzählt wird. Aber auch wenn man das erste Kapitel wegließe, hätte man spätestens nach 100 Seiten das Strickmuster heraus. Die Personen sind nur Archetypen, die eine Aufgabe zu erfüllen haben – sind sie auf Seiten der Protagonisten, dann sind sie hervorragend befähigt für ihre Aufgabe, sind sie Gegner der Protagonisten, dann sind sie unfähig. Ändern sie ihre Gesinnung, verlieren, bzw. gewinnen sie an Befähigung. Eine Ausnahme bilden nur die jeweiligen Anführer der Gegner.

“Oh, Lieber, bitte, bitte, es ist so lange her, oh spalte mich, zerreiße mich, fick mich!”
S.624

Sehr plastisch beschreibt der Autor die Sex-Szenen – und davon gibt es eine Menge. So viele, daß man das Wort “Riemen” bald nicht mehr lesen mag und die entsprechenden Seiten genervt überfliegt. In diesem Zusammenhang: Frauen spielen eine große Rolle, zwangsläufig, da Homosexualität negativ konnotiert ist. Frauen sind: Bedienstete (Geliebte von Soldaten), Köchin (Geliebte von Damastes), “Huren”, Geliebte, Ehefrauen (meist Geliebte von irgendjemanden) und Mörderinnen (die den Beischlaf gerne nutzen, um das Opfer zu umgarnen). Schließlich finden sich einige an den Nationalsozialismus erinnernden Formeln: Damastes Familienehre lautet: “Auf immer Treu.” (SS-Motto: “Unsere Ehre heißt Treue!”), Laish beschwört den totalen Krieg (Göbbels, Sportpalast) und allgemein ist das einfache Landleben gut, während die Zivilisation nur Verderbnis, Korruption und Degeneration hervorbringt (Himmler wünschte sich ein “Bauerndeutschland” aus eben diesen Gründen) etc. Dazu paßt, daß alle Ausländer Diebe, Mörder und “Hurenböcke” sind. Die meisten (die Bösen) sind außerdem Rassisten. Die Tovieti, der erste zu besiegende Feind, sind – Oh, Wunder! – heimtückische, fiese Protokommunisten.

Die Sprache ist einfach, hin und wieder sind ein paar magische Formeln eingestreut, die nicht überzeugen. An einer Stelle war der Sprung in der Geschichte so groß, daß ich die Seitenzahlen überprüfte um mich zu vergewissern, daß ich nichts überschlagen hatte.
Es wäre noch einiges zu sagen über Politik, Militär, Charaktere und Ideologie – das meiste fiele negativ aus. An manchen Stellen deutet der Autor an, daß nicht alles was glänzt auch Gold ist und es vielleicht in den kommenden Bänden zu einer Weiterentwicklung des Protagonisten Damastes kommt.
Die oben geschilderten “Qualitäten” wiegen für mich so schwer, daß ich beim Lesen zwischen echter Verärgerung und Langeweile schwankte.

Feuerfrost von Alan GarnerSusan und Collin kommen in den Ferien nach Alderley, wo sie bei Bauern Gowther Mossock und seiner Frau Bess leben. Schon am ersten Tag, als sie den von Legenden umrankten Berg Edge erkunden, begegnen sie sehr sonderbaren Gestalten: Einer unangenehmen Frau, welche die beiden ein Stück im Auto mitnehmen will und merkwürdiges Zeug redet, dem garstigen Gezücht von Ymir und dem Zauberer von Alderley, der ihnen erklärt, was an einer Sage dran ist und warum es für die Zukunft der Welt wichtig ist, daß er den magischen Stein Feuerfrost wieder bekommt. Es scheint, als haben die Kinder etwas damit zu schaffen – oder warum erhalten sie sonst so viel Aufmerksamkeit von der Morthsippe?

-Vor langer, langer Zeit ritt früh am Morgen eines stillen Oktobertags ein Bauer aus Mobberley über den Alderley-Berg zum Markt nach Macclesfield.-
Eine Sage aus Alderley

Alderley und der Edge liegen in Cheshire nahe Manchester – in einem sehr ländlichen Gebiet. Weitere Teile sind mit Wäldern bewachsen, es gibt Sumpfland und einen großen See – den Lindow. Der Edge ist ein Berg, in dem viele Kupferminen gegraben wurden. Alle im Buch besuchten Orte sind real, wer mag, kann dort Urlaub machen. Die Geschichte trägt sich in der Gegenwart zu, auch wenn sie mit wenigen Ausnahmen auch im Mittelalter stattfinden könnte.
Die Geschichte quillt vor magischen Elementen geradezu über: mit Ausnahme des ersten Kapitels tauchen in jedem welche auf. Diese sind aus der Mythologie der britischen Inseln geschöpft, vieles stammt aus der Mabinogion-Tradition, einiges aus dem Artus-Kreis. Es gibt in einem Hügel schlafende Ritter, die in der Zeit höchster Not zurückkehren (Artus), einen weisen Zauberer, der sie wecken soll (Merlin), eine verzauberte, schwimmende Insel, Maras (Trolle), die Morthsippe (Hexen und Dämonologen), Zwerge, Lichtelfen und natürlich die Svart-Alfar, widerwärtige, böse menschenartige Wesen von knapp einem Meter Größe mit dünnen, sehnigen Körpern. Alle Elemente aufzuführen oder gar herzuleiten wäre sehr aufwendig – in diesem Interview gibt Garner einen Einblick. Die Legenden, die sich um die besuchten Orte ranken, sind ebenfalls authentisch.

Figuren gibt es viele. Im Laufe der Ereignisse treten immer weitere neue Figuren auf. Susan und Collin sind zwei noch recht kindliche Schüler, die in die Obhut von Gowther und Bess gegeben werden. Susan ist zunächst etwas furchtsamer als Collin, später wandelt sich dies. Rechtschaffenheit und Neugier zeichnet die beiden aus. Gowther ist ein Bauer wie aus dem Bilderbuch – vierschrötig, erdverbunden und pragmatisch – seine Frau eine bloße Randfigur. Die Zwerge Fenodyree und Durathos sind kleine Krieger – Fenodyree ist wissend und vorsichtig, Durathor ist tollkühn und kampfeslustig. Schon diese Figuren werden nur schwach charakterisiert und agieren eher im Rahmen eines Märchens denn der phantastischen Literatur plausibel; die weiteren Figuren kommen über den Status des Funktionsträgers nicht hinaus: Morrigan ist die böse Oberhexe, Grimnir der pervertierte hermetische Magier etc. Ausgefeilte Figuren bietet die Geschichte nicht. Das stört in dieser Geschichte allerdings nicht sonderlich, da die Aufgabe soviel größer ist, als die Figuren es sind.

Die Geschichte dreht sich um den magischen Stein Feuerfrost. Wenn er dem Herren der Morthsippe in die Hände fällt, könnte er ein mächtiges Werkzeug der guten Seite ausschalten. Zunächst geht es darum, den Stein zu finden, denn er wurde vor langer Zeit dem Zauberer gestohlen, und dann muß er zurückgebracht werden – es ist also eine Queste. Die Geschichte steigt schnell in den Plot ein, schon im zweiten Kapitel gibt es die erste Herausforderung. In der ersten Hälfte der Geschichte purzeln die Plotpunkte nur so, die Ereignisse überschlagen sich geradezu. Die zweite Hälfte wird zwar von Action dominiert – man flüchtet, versteckt sich, klettert und kämpft – doch der Plot kommt nur sehr langsam voran, auch verliert die Geschichte an Spannung, da sie zu unvorhersehbar wird.

Verblüffend ist die große Ähnlichkeit der Geschichte zu Tolkiens Hobbit und Herrn der Ringe. Dem Leser werden hier viele Bilder präsentiert, die sich wohl aus denselben Quellen speisen. Ein magischer Gegenstand darf dem Herren der bösen Seite nicht in die Hände fallen, da sonst das Schicksal der Welt bedroht ist. Eine kleine Gruppe von Gefährten macht sich auf, dies zu verhindern. Sie werden von Scharen widerwärtiger, häßlicher nachtaktiver Schergen verfolgt. Sie begegnen Trollen, die bei Nacht mächtig sind und im Sonnenlicht zu Stein erstarren. Eine Elfenherrin gewährt ihnen Schutz vor Verfolgern und langanhaltende Speisung und leichte Mäntel, die wärmen und nahezu unsichtbar machen. Es gibt noch einige weitere Parallelen.

Die Moderne spielt leider fast keine Rolle, man merkt es weder den Kindern noch den Bauern an. Hier wurde eine wunderbare Gelegenheit zur Konfrontation von Magie und Moderne, altmodischer Rückständigkeit und Feenreich verpaßt. Die Kinder wundern sich über fast nichts und scheinen nicht in der Gegenwart verwurzelt zu sein.
Der Stil ist einfach und flüssig, sehr angemessen für junge Leser; die mythischen und realen Orte werden sehr stimmungsvoll geschildert und manche Vorfälle sind unheimlich und bedrohlich erzählt.

Cover von Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz von Ralf IsauDer junge und zögerliche Karl Konrad Koreander möchte die Nachfolge des Herren Trutz in dessen Antiquariat antreten. Doch schon beim ersten Gespräch läuft etwas schief: Es fehlt die Unterschrift unter der Generalvollmacht. So macht sich Karl auf, den plötzlich verschwundenen Herrn Trutz zu suchen. Der junge Mann entdeckt, daß es eine geheime Bibliothek im Antiquariat gibt und diese der Zugang zu einer anderen Welt ist – Phantásien. Der Alte hat dort einen wichtigen Posten, er ist Meisterbibliothekar und Karl ist sein designierter Nachfolger! Aber aus der Bibliothek, die zu den Grundpfeilern Phantásiens gehört, verschwinden Bücher und lassen die “Leere” zurück, deren Ausbreitung nicht nur die Bibliothek, sondern ganz Phantásien bedroht…

-Im Zaudern machte ihm so schnell keiner etwas vor. Karl war ein Experte im verschleppen von Entscheidungen. An diesem Abend sollte sein Talent indes auf eine harte Probe gestellt werden…-

Wie schon das Werk Die unendliche Geschichte (DuG), welche zu diesem inspirierte, spielt die Geschichte einerseits in der “Realität” und andererseits in Phantásien. Die wenigen Szenen der “Realität” sind auf das Antiquariat des Herren Trutz und Umgebung zentriert. Da die Stücke in den späten 30ern des letzten Jahrhunderts spielen, wird dem Leser die “Realität” nicht nahe gebracht. In seinem Phantásien versucht der Autor an das von Michael Ende anzuknüpfen. Einige aus DuG bekannten Orte und Personen werden zwar erwähnt, aber nur zwei Figuren begegnet man wieder. Isau schafft statt dessen Neues, allerdings bleibt er in punkto Kreativität hinter Ende zurück. So schafft er nur etwa ein Drittel der Anzahl von Orten, die in DuG bereist werden; aber sie reichen auch, was den Fantasiereichtum angeht, nicht alle an die Originalschauplätze heran. Der Schwarze Elfenbeinturm ist etwa genau das: nämlich ein finsteres Spiegelbild des Elfenbeinturms der Kindlichen Kaiserin. Der Wald des Vergessens ist eine interessante Idee: Wer hier hineingerät, der wird sich unweigerlich verlaufen, denn er vergißt sich selbst. Leider werden der Wald und seine Auswirkungen nicht näher beschrieben, so daß es bei ein paar Worten bleibt. Die Wolkenburg des König Kumulus IL. scheint mir dagegen durchaus gelungen zu sein; sie besteht aus so leichten Materialien, daß ein Funke das Schloß in einer Stichflamme zergehen und allzu lautes Sprechen die bunten Fenster zerbersten lassen kann, denn diese bestehen aus dem Atem von Elfen. Nimmt man etwas wahrhaft gewichtiges mit, so droht die Wolkenburg abzustürzen.

In der bloßen Zahl der neuen Wesen in Phantásien dürfte Isau Ende gleichkommen, doch neigt er zu albernen Wortspielen – so gibt es Bücherwürmer, Brillenschlangen, Leseratten und Luftikusse als Phantasiewesen, die die Menschen zu entsprechenden Wortschöpfungen inspiriert haben. Auch in Sachen Einfallsreichtum bleibt Isau zurück. So ist der Bücherdrill Alphabetagamma eine Art lebender Bleistift, der sich rasch durch Bücher bohrt um deren Inhalt zu erfassen. Der Briefgreif Huschhusch ist einfach nur ein großer Greif – und übrigens das erste phantásische Wesen mit Namen von dem ich lese, das nicht sprechen kann. Als letztes sei der Bücherbold Lector genannt, ein gorillaartiges Wesen mit blauem Fell und wenig Verstand – sträuben sich seine Haare, sieht er aus wie ein blauer Riesenstaubwedel.
Bei der Namenswahl vieler Figuren war der Autor ebenfalls nicht besonders phantasievoll: Baldrian, die Schnecke; Hallúzina, die Herrin des Hauses der Erwartungen; Kumulus IL., der König der Wolkenburg, und Elster, der König der Diebe seien hier als Beispiele genannt.

Die Figuren spielen zumeist größere Rollen als die in DuG, aber nur drei treiben die Geschichte weitestgehend voran: Karl Konrad Koreander, Thaddäus Tillmann Trutz und die Phantásierin Qutopía.
Die komplette Handlung wird von einer Queste umfaßt, Karl will nämlich die Nachfolge im Antiquariat antreten, dazu muß er von Herrn Trutz die Unterschrift für die Generalvollmacht bekommen. Hierzu ist allerdings erst mal Phantásien zu retten und einige Abenteuer zu bestehen, die unterschiedliche Lösungen erfordern. So muß geklärt werden, wie die Bücher verschwinden und wer dahinter steckt – ganz zu Schweigen davon, daß dem ein Riegel vorgeschoben werden muß. Dazu müssen Rätsel gelöst, Leute überzeugt und Feinde bezwungen werden. Es gibt auch eine kleine Liebesgeschichte, diese soll jedoch nur die Wandlung Karls unterstreichen; im Gegensatz zur Wandlung Bastians in DuG geschieht Karls nur beiläufig und hat mit der eigentlichen Geschichte nicht viel zu tun, sondern läßt nur den Helden mit seinen Aufgaben wachsen.
Insgesamt fehlt es der Geschichte an Tiefe; während Phantásien sich um Bastians Wünsche herumformte und der Leser vor die Frage gestellt wurde, ob es schon immer so war oder eben erst geschaffen wurde, erfüllen sich Karls Wünsche beinahe mit einem “Plopp!” Wie erwähnt ist die Wandlung des Helden einfacherer Natur und auch die Bedrohung Phantásiens ist kein tiefgreifendes Strukturproblem, sondern das Werk einiger Bösewichte. Während Bastian sich die Herausforderungen wünschte um sich produzieren zu können, werden sie Karl aufgedrängt, damit er wachsen kann. Schließlich ist auch der Spannungsbogen weniger gelungen; während DuG spätestens ab dem zweiten Kapitel den Leser mitreißt, braucht dieses Werk erheblich länger um Fahrt aufzunehmen, erst ab dem vierten Kapitel beginnt sich langsam Spannung aufzubauen und nach dem Höhepunkt flaut diese auch schnell wieder ab, so das am Ende noch einige Seiten übrig bleiben.
Sprachlich hebt sich das Werk deutlich von DuG ab; die Sprache hier ist lockerer und weniger mystisch, bisweilen gibt es sogar etwas “Technobabble”; auch sind die Sätze schnell lesbar. Insgesamt paßt der Sprachstil gut zum Phantásien Isaus.

Cover von The Golem's Eye von Jonathan StroudNach den Ereignissen um das Amulett von Samarkand sind zwei Jahre vergangen, zwei Jahre, in denen aus Nathaniel immer mehr John Mandrake, ein ehrgeiziger, gewissenloser Zauberer wurde. Er ist nun mit der Aufgabe betraut worden, die Resistance zu zerschlagen, aber Anhaltspunkte hat er wenige: Er war vor zwei Jahren Kitty, Stan und Fred begegnet. Dann aber richtet etwas Mächtiges großen Schaden in London an – die Verantwortlichen entscheiden, daß es in Mandrakes Ressort fällt, dieses aufzuklären. Aber auch die Resistance um Kitty steht vor einem großen Problem, denn die gegenwärtige Strategie ist ausgereizt. Da teilt ihr Anführer mit, er habe einen Plan, nach dessen Erfolg London in den Grundfesten erschüttert werden könnte…

-At dusk, the enemy lit their campfires one by one, in greater profusion than on any night before.-
Prologue. Prague, 1868

Das Geschehen in the Golem’s Eye (Das Auge des Golem) findet hauptsächlich in London statt, aber es gibt auch kurze Ausflüge nach Prag. Die Herrschaft des von einer Clique machtgieriger, arroganter und hartgesottener Zauberer kontrollierten Britischen Empire zeigt erste Risse: Die Yankees der nordamerikanischen Küste streben nach Unabhängigkeit, das vor 150 Jahren zerschmettere Tschechische Kaiserreich beginnt sich wieder zu rühren und daheim in London agiert die Resistance gegen das Diktat der Zauberer.

In vielen Punkten scheint es die Moderne zu sein: Die Zauberer fahren in dunklen Limousinen, lassen Fotokopien machen und fliegen mit Flugzeugen. Doch dann gibt es eigenartige Rückständigkeiten: Die Schiffahrt wird mit Windkraft betrieben, Soldaten tragen bunte, klimpernde Uniformen und benutzen keine vollautomatischen Waffen. Die Geschichte spielt zwar ausschließlich in Städten, aber ein Gefühl der Urbanität wird nicht vermittelt. Die magischen Elemente dominieren die Geschichte. Da sind die Zauberer, die von ihnen kontrollierten Dämonen, beide sprechen Zaubersprüche und die Mitglieder der Resistance, die alle eine gewisse Resistenz gegenüber Magie besitzen, haben häufig noch eine weitere magische Fähigkeit. Echte nicht-magische Leute und Gegenstände treten nur sehr am Rande auf und haben fast keine Bedeutung. Insgesamt bleibt unklar, welche Zaubersprüche nur Dämonen sprechen können und welche auch von Zauberern genutzt werden können. Dann ist nicht klar, was sich mit Zaubersprüchen alles anfangen läßt oder welche Dämonen über welche Fähigkeiten verfügen: Irgendein kleiner Foliot kann sich unsichtbar machen und Bartimaeus nicht – warum? An diesem Kritikpunkt hat sich also seit dem ersten Band nichts verändert.

Figuren treten zwar nur drei zentrale auf, doch daneben gibt es eine ganze Anzahl weiterer: Kittys Eltern, die anderen Mitglieder der Resistance, ein alter Freund, dann zahllose Zauberer aus den unterschiedlichen Ministerien und “Dämonen”. Einige haben allerdings so kurze Auftritte, daß man sich fragt, warum die überhaupt einen Namen erhalten haben. Vielfach neigen die Figuren leider dazu, sehr ähnliche Charaktere zu haben: Alle Zauberer sind machtgierig und gewissenlos, die meisten “Dämonen” neigen zu einer fatalistischen Sklavenhaltung. Interessant und gelungen dagegen sind die Gewöhnlichen (inklusive der Resistance), hier finden sich Kollaborateure, zögerliche Regimegegner und aktive Widerständische mit vielen unterschiedlichen Motivationen. Die drei zentralen Figuren sind Kitty, Nathaniel und Bartimaeus. Kitty ist seit drei Jahren ein Mitglied der Resistance. Zunächst will das Mädchen einfach nur Rache, aber langsam entsteht ein Einsehen, daß diese Haltung zu nicht viel führen wird. Nathaniel, der sich John Mandrake nennt um seinen wahren Namen zu schützen, ist der Assistent von Mr. Tallow, dem Vorsitzenden der Internen Angelegenheiten. Nathaniel will einerseits Rache für die Demütigung, die er vor zwei Jahren von der Resistance erlitten hatte, und andererseits mehr Macht. Auch wenn er mehr und mehr John Mandrake wird, ist da noch ein Rest vom idealistischen Nathaniel. Bartimaeus schließlich ist ein uralter Djinn, der mehr oder minder widerwillig die Befehle seines Meisters – Nathaniel – ausführt. Mit einem sarkastischen Kommentar ist er allerdings schnell bei der Hand.
Die Geschichte besteht aus zwei Plotsträngen, die nach und nach zusammengeführt werden – allerdings nicht so, wie man meinen könnte. In einem Strang geht Nathaniel den sonderbaren Geschehen in London nach und muß sich immer wieder Gedanken über die Resistance  machen. Dieser Strang erinnert an eine hardboiled Detektiv-Geschichte – nur nicht so “hard”. Nathaniel und Bartimaeus ziehen umher, sammeln Hinweise und geraten in gefährliche Situationen. Hinzu kommt noch ein bißchen Intrigengerangel und viel Korruption. Der andere Strang ist auf Kittys Entwicklung fokussiert – quasi eine Entwicklungsgeschichte. Hier werden ihre wichtigsten Erfahrungen geschildert – warum sie schlecht auf Zauberer zu sprechen ist, wie sie zur Resistance kam und wie sie bemerkte, daß es so nicht weitergeht, bis hin zum großen Coup – und was daraus wird. Hätte es nicht eine so starke Anbindung an die Politik und die Moderne, dann wäre diese Abenteuerhandlung klassischer Sword & Sorcery mit dem vielen Verstecken, Schleichen, Stehlen, Kämpfen und Flüchten sehr ähnlich.

Die Geschichte hat Schwächen am Anfang: Einiges wirkt zu gewollt; Bartimaeus kann man bei seinem schnellen Einknicken seine Wut kaum abnehmen, ausgerechnet Nathaniel soll die Resistance zur Strecke bringen, etc. Auch kommt die Geschichte nur langsam in Fahrt, erst nach knapp hundert Seiten geht es im Hauptplot voran, Kittys Vorgeschichte zieht sich sogar noch etwas länger hin. Dann aber wird es spannend und spannender, es gibt einige echte Überraschungen und ein Ende, das auf die Fortsetzung gespannt macht.
Die Geschichte ist der zweite Teil der Bartimaeus-Trilogie. Zwar ist sie im Großen und Ganzen abgeschlossen, doch es gibt auch einige Fäden, die aus dem ersten Teil stammen und einige Fäden, die noch am Ende offen bleiben.
Es werden drei Erzählperspektiven genutzt. Kittys und Nathaniels Kapitel werden jeweils aus der personalen Perspektive erzählt, Bartimaeus tritt dagegen als Ich-Erzähler auf. In Bartimaeus’ Kapiteln wird häufig von Fußnoten Gebrauch gemacht, um die unterschiedlichen Ebenen seines Denkens zu symbolisieren. Leider tendiert der Autor dazu Action-Szenen durch Fußnoten massiv an Geschwindigkeit – und damit an Spannung zu nehmen. Während seine Kapitel vor Ironie und Sarkasmus sprühen, sind die der beiden Anderen deutlich ernster. Die Sätze sind einigermaßen unauffällig und die Wortwahl ist immer treffend.

Cover von Herr der Ratten von Mary GentleIn der gewaltigen Metropole, die Das Herz der Welt genannt wird, brodelt es. Die Menschen leben unterdrückt von den Rattenlords, sie werden aber wegen ihrer Handwerks-Mysterien benötigt, denn deren Strukturen prägen die Welt. Doch die Anhänger des Hauses Salomon um den Meister-Bauer Falke wollen nicht länger Tempel für andere bauen und die Verschwörer um den Priester Plessiez wollen den Rattenkönig von der weltlichen Herrschaft der Dekane, den 36 Inkarnationen des Göttlich-Dämonischen, befreien. In diese Verschwörungen hinein gerät der junge Lucas, ein Student an der Universität des Verbrechens, der sich prompt in die ältere Frau Weiße Krähe verliebt, eine Schüler-Soldatin des Unsichtbaren Kollegs. Wer hält schlussendlich die Fäden in der Hand?

-Heiseres Geschrei tönte über den Platz vor der Kathedrale, wo die Menge darauf wartete, ein Schwein hängen zu sehen.-
1

Das Herz der Welt ist eine monströse Stadt, die sich bis an den Horizont erstreckt – die Zahl der Einwohner läßt sich nicht einmal schätzen. In und unter der Stadt spielt sich das ganze Geschehen der Geschichte ab. Auch wenn vieles an die Renaissance erinnert, wie Rapiere, Musketen, Kutschen und architektonische Kunstwerke, gibt es doch auch viele andere Details, wie Luftschiffe, Fotoapparate, Mikrophone samt Lautsprecheranlage sowie eine U-Bahn. Noch sonderbarer sind aber die Paradoxa; so gibt es fünf Himmelsrichtungen (Nord – West und Aust), die jeweils in einem 90° Winkel auf einem 360° Kreis liegen oder das merkwürdige Verhältnis von feststehendem Schicksal und beeinflußbarer Zukunft. Diese magischen Elemente, wie das Wirken von Magie insgesamt, sind der hermetischen Magia der Renaissance entliehen; Talismane, Tarot-Karten, astrologische Tabellen und insbesondere das Prinzip der Korrespondenz spielen eine große Rolle, Zauberstäbe und Feuerbälle keine.

Die Zahl der auftretenden Figuren ist überwältigend. Viele der Figuren sind umfassend gebildet oder sehr schlau, es gibt kaum einen einfachen Schlagtod oder Langfinger, auch wird ihnen kaum Raum zur Entfaltung zu gestanden. Dafür aber sind es keine geraden Typen, es ist keine Schönheit dabei, kein Muskelprotz oder hagerer Herrscher, sie alle sind ein wenig sonderbar und eigentümlich. Einigermaßen ungewöhnlich ist auch die schiere Zahl der starken Frauenfiguren, deutlich mehr als die Hälfte der aktiven Figuren sind weiblich.
Die Autorin erzählt eine Vielzahl von Geschichten, die einander überkreuzen. Die meisten davon sind in irgendeiner Form Verschwörungen. Im Kern stehen jedoch die Bemühungen von Plessiez und Falke den Status Quo endgültig zu verändern und Valentines Bemühungen das Ende der Welt zu verhindern. Aufgrund der zahlreichen Handlungsstränge wirkt die Geschichte sehr wirr, es scheint, als ob sich die Autorin selbst nicht immer im klaren sei, wohin die Reise gehen soll, denn mindestens ein Strang verläuft ins Leere.

Daß einige Figuren sehr spät eingeführt werden, die Paradoxa des Settings und die Tendenz der Autorin wenige Überblicksinformationen zu geben und die wenigen nur sehr beiläufig, macht das Verständnis nicht leichter. Hinzukommt, daß die Autorin gerne und ausführlich Details beschreibt – so sind die Kern-Plots nach etwa 600 Seiten abgeschlossen, aber es folgen noch ungefähr 70 Seiten. Dennoch ist die Geschichte interessant, einige Stränge sind sogar sehr spannend und die Auflösung um Valentines Strang ist sehr ungewöhnlich – kurzum: Es wird viel magisches, phantastisches und originelles geboten.
Auch wenn diese Geschichte Teil des White Crow Zyklus’ ist, sind kaum Anknüpfungspunkte zu den anderen Geschichten zu finden, selbst die zwei wiederkehrenden Charaktere – Valentine und Casaubon – verändern sich von Geschichte zu Geschichte.
Der Schreibstil ist dem Verlauf der Geschichte angemessen, denn die Autorin benutzt häufig mittellange Sätze, deren Duktus nicht immer leicht zu folgen ist. Die Wortwahl ist zumeist angemessen, so ist die Ausdrucksweise der Figuren bisweilen recht derb. Allerdings ist die Übersetzung nicht immer gut – Scholar-Soldier wird mit Schüler-Soldat übersetzt; “Gelehrter-Soldat” oder “Lehrer-Soldat” wäre treffender gewesen, am besten wäre es vielleicht den ersten Teil gar nicht zu übersetzen: Scholar-Soldat.
Das Titelbild ist bescheiden, aber dafür gibt es kommentierte Holzschnitte, die das Geschehen z. T. sehr treffend wiedergeben, aber in jedem Fall gut zur Gesamtstimmung passen.

Cover von Hexenzauber von Terry BrooksRydall, der König von Marnhull, fordert Ben Holiday, der König von Landover ist, zu einem Kampf um Landover auf. Ben und seine Frau Willow entschließen sich dazu ihre Tochter Mistaya zusammen mit dem Hofzauberer Questor Thews und dem hundegestaltigen Abernathy zu Willows Vater, dem Flußherren, zu schicken. Doch unterwegs überfällt Nightshade die Reisenden und entführt Mistaya, während Questor und Abernathy in Bens alte Welt gelangen. Rydall entpuppt sich als Handlanger Nightshades: Er behauptet Mistaya in seiner Gewalt zu haben und zwingt so Ben dazu gegen seine Kämpfer anzutreten. Sollte es Bens Kämpen, dem Paladin, gelingen, alle sieben zu besiegen, so würde Rydall abziehen und Mistaya freilassen, wenn nicht…

-Eine Krähe mit roten Augen saß auf einem Ast in der gewaltigen, alten Eiche – dort, wo das Laub am dichtesten war – und blickte zu den Menschen hinab, die sich auf der sonnigen Lichtung zu einem Picknick versammelt hatten.-
Mistaya

Familie Holiday hat Nachwuchs bekommen: Tochter Mistaya erweitet den Kreis der üblichen Verdächtigen, außerdem kommen noch Rydall und Poggwydd, ein G’Heim Gnom, hinzu. Seine Rolle ist zwar ähnlich wie die von Filip und Sot, nämlich die Situation mit etwas Humor aufzulockern, aber deutlich weniger albern und dafür tragischer. Ein netter Ansatz, wenn auch nur in engen Grenzen ausgeschöpft.
Mistaya ist ein eigenartiges Wesen und schwer zu beurteilen – sicher, sie gibt kein glaubwürdiges Menschenkind ab, aber sie ist auch als Schote auf die Welt gekommen, wer das akzeptieren kann, kann (vielleicht) auch den Rest akzeptieren.
Mit Mistaya soll wohl das Erwachsenwerden und die Versuchung (durch den Teufel, die Dunkle Seite der Macht, Willenschwäche, oder welches Konzept auch immer der Leser dafür verantwortlich macht, wenn er sich nicht so verhält, wie er es sollte) thematisiert werden. Da die Versuchung aber nicht plastisch genug ist, bleibt dieses Unterfangen eher oberflächlich.
Nightshade (früher: Nachtschatten) ist dieses Mal ebenfalls eine zentrale Gestalt. Schön ist das Kapitel “Nightshades Geschichte” in dem sie Mistaya diese erzählt und damit Einblick in ihren Charakter gewährt, aber leider bleibt es dabei und so erhält man den Eindruck, der reduzierte Charakter der Wirrkästchen-Episode (vgl. Das Zauberlabyrinth) sei komplexer.
Ben Holiday ist die dritte zentrale Figur, doch hier ergibt sich wenig; es wird häufig erwähnt, daß der Paladin Ben brutalisiere, doch es scheint eher, als ob Ben den Paladin zivilisiere.

Generell läßt sich über die Charaktere sagen, daß Brooks beginnt, ihnen mehr Tiefe zu verleihen, sie aber immer eindimensional und vorhersehbar handeln läßt. Die aufgezeigten Schwächen bleiben immer ohne Wirkung.

Die Geschichte ist der Form nach an eine Queste angelehnt, verbunden mit Nightshades Rachefeldzug und den Versuchungen Mistayas und Abernathys. Insgesamt eher durchschnittlich, weder sind die Episoden besonders originell, noch handwerklich gut gelungen, stellenweise nicht einmal zur Gänze einleuchtend.
Einzig der Schreibstil Brooks hat sich etwas verbessert; die eigenartigen alltagssprachlichen Einwürfe bleiben zwar aus, aber ein Sprachmagier ist er immer noch nicht geworden.
Bemerkenswert ist noch das beinahe komplette Ausbleiben des Slapstick-Humors. Questors Zaubersprüche gelingen beinahe immer und scheitern nie auf alberne oder groteske Weise. Auch Poggwydds Auftritt ist erheblich ernster als die von Filip und Sot.
Die Übersetzung weist etliche Flüchtigkeitsfehler auf; da wird aus einer Anwesenheit eine Abwesenheit (S. 61) oder aus der Erdmutter eine Erbmutter (S. 97) etc. Die Namen werden wie im Zauberlabyrinth ‘übersetzt’ mit Ausnahme von Elderew, welches jetzt wieder Eldero (wie auf der Karte) heißt.
Hexenzauber ist zwar etwas besser als der direkte Vorgänger, aber weit von Königreich zu verkaufen oder Das schwarze Einhorn entfernt.

Cover von Im Land der Affenmenschen von Jane GaskellNachdem Cija durch eine lange Seereise aus Atlantis flüchtete, kommt sie in einer unbekannten Stadt an. Der Kapitän des Schiffes beschließt, die Bordkasse etwas aufzubessern und Cija in ein Bordell zu verkaufen, aber der Schiffsjunge Aal hilft ihr zu entkommen und bringt sie im Bordell seiner Mutter unter. Cija erkennt schnell, daß Prostitution sie endgültig zerstören würde. Doch sie hat Glück im Unglück, denn ihr erster Freier ist ein romantischer Junge, der ihr zusammen mit seinen Kumpels eine weitere Flucht ermöglicht und seine Mutter davon überzeugt, sie und ihre Tochter im Haushalt aufzunehmen. Dort lebt sie für eine Zeit zufrieden, bis sie feststellt, daß sie in ihrer Geburtsstadt angekommen ist und ihr Vater, der Hohepriester, verzweifelt nach ihr sucht – um sie zu töten…

-Ein hochgewachsener Seemann trug mich auf die Uferstraße.-
Das kalte kleine Freudenhaus

Das Geschehen trägt sich ausschließlich in der namenlosen Stadt von Cijas Geburt und dem umliegenden Dschungel zu. Im Gegensatz zu den Vorgängerbänden wird die Umgebung kaum geschildert. Die Stadt ist heruntergekommen, denn in den letzten Jahrzehnten wurde sie wiederholt geplündert und seitdem der König des Nordreiches Zerd ausschickte, wurde es besonders schlimm. Die Stadt hatte niemals viele Steinbauten, aber nach den letzten Besetzungen besteht sie fast nur noch aus Holz- und Strohhütten. Dominiert wird die Stadt im doppelten Sinne vom Tempel – zum einen ist da das monumentale Bauwerk und dann die omnipräsente Priesterschaft. Sie ist verhaßt – aber auch so sehr gefürchtet, daß die meisten Opfer ohne Gegenwehr mitkommen. Und Opfer gibt es viele, denn die Götter verlangen danach. Ganze Plätze sind mit den Überresten von unliebsamen Bewohnern, die den Opfertod starben, übersät. Aber nicht nur die Gewalt der Priester verunsichert die Stadt – Adlige feiern Orgien, bei denen die auf der Straße gefangenen Frauen schlimmstes zu erwarten haben; Kriminelle, Bordellwirte und Sklavenhändler sind keineswegs zimperlicher. Die Gesellschaft erinnert entfernt an die der Azteken. Die Schilderungen lassen bisweilen ein leichtes Gefühl von Urbanität aufkommen.

Die magischen Elemente sind offensichtlicher und gewöhnlicher als früher. Cija hat einen Schutzzauber gelernt, die Priester nutzen zuweilen welche, eine Unsterbliche demonstriert ihre Macht, es gibt Affenmenschen, Geister und Dinosaurier. Gaskell bietet eine bunte Palette; es paßt zwar alles zum Setting, wirkt z.T. unausgereift und aus bloßem Selbstzweck eingeworfen – etwas uninspiriert, wenn auch mit einigem Geschick umgesetzt.
Cija ist wieder die zentrale Figur; die ehemalige Göttin ist weit herum gekommen und heruntergekommen. Sie will keinen Mann mehr, sie will keine Intrigen in feinen Palästen mehr, sie will nur noch in Frieden ein einfaches Leben führen und sich um ihre Tochter Seka kümmern (wenngleich es Cija nicht besonders stört, als sie diese bei ihrer Pflegefamilie zurücklassen muß). Das ist alles ohne weiteres nachvollziehbar – wenn man ihre Vorgeschichte kennt. Ein paar mehr Erläuterungen wären hier hilfreich gewesen. Cija ist ein wenig aktiver als in den Vorromanen, aber immer noch eine ungewöhnlich passive Figur – da aber die Handlung rascher voranschreitet, bemerkt man dieses nicht so sehr. Es treten ein paar bekannte Figuren – wie Zerds stumme Tochter Seka, Cijas inzestuöser Halbbruder und Liebhaber Smahil und Cijas göttliche Mutter – und einige neue Gesichter – wie Bronza und Urga, die kecken Schwestern des romantischen Jungen, der Cija aus dem Bordell rettet, und der Rest ihrer bodenständigen Familie, der einfache Affenmensch Ung-g, bei dessen Stamm Cija eine Zeit lang lebt, und der mächtige und korrupte Hohepriester, Cijas Vater, der sie dringend töten will – neben etlichen anderen auf. Insgesamt sind die Figuren einfacher, aber kräftiger charakterisiert – Cijas Verhältnis zu Smahil wird z.B. auf deren Liebesbeziehung reduziert.

Cija führt ihr Tagebuch weiter, aber die alltäglichen Einträge sind mittlerweile fast komplett verschwunden. Rasant gerät die junge alleinerziehende Mutter von einem Abenteuer ins andere. Auch wenn sie immer das potentielle Opfer ist, kann sie häufig vor dem Schlimmsten durch eigenes Handeln oder fremde Hilfe fliehen.
Die thematisierte Sexualität ist allerdings etwas befremdlich; im Bordell wird darüber diskutiert, ob es das kalte Bett unter dem Fenster oder ob es “[…] der Fick mit dem Esel [war], der [die Prostituierte] so fertiggemacht hat.” (S. 346) Später hat Cija Sex mit einem der Affenmenschen. Auch Zwangsprostitution wird angerissen. Doch die Themen werden nicht tiefer behandelt und scheinen eher grelle Aufhänger als ernsthaft behandelte Phänomene zu sein. Es fehlt ihnen sehr stark an eindringlicher Schilderung, um so verstörend wie die Vorgänger zu sein.
Im Land der Affenmenschen ist der 4. Band des Zyklus’ um Cija, und man merkt es sehr deutlich. Die Erzählstränge, die aus den ersten drei Bänden in diesen hineinreichen, werden kaum erläutert, vielfach fehlt es so an Tiefe: Es sollte ein Schock sein, wenn sich herausstellt, daß die namenlose Stadt Cijas Heimatstadt ist – wie soll sich dieser aber ohne das Vorwissen einstellen? Es lohnt sich nur diesen Band zu lesen, wenn man wissen will, wie es mit der kleinen Göttin weitergeht, denn einige Stränge werden hier zuende gebracht, andere bleiben allerdings noch offen. Sonst wird man von einer halbtrivialen, halbverstörenden Abenteuergeschichte aus der Opferperspektive “unterhalten.”
Gaskells Stil ist rund und poliert, die Geschichte läßt sich flüssig lesen und die Wortwahl ist zumeist treffsicher, wenngleich sie bisweilen zum Vulgären neigt. Aber der Stil unterstützt die Tagebuch-Fiktion überhaupt nicht mehr.

Cover von Im Land der Frauen von Li Ju-tschenT’ang Ao gelingt es zwar im fortgeschrittenem Alter, die Doktorprüfung als einer der besten abzuschließen, doch aufgrund einer Intrige bleibt ihm die weitere Beamtenlaufbahn verwährt. Mißmutig umherziehend beschließt er, seine Heimkehr so weit wie möglich aufzuschieben. Da kommt es ihm gerade recht, daß sein Schwager Lin, ein Kaufmann, eine längere Seereise antritt und er ihn begleiten kann. Es geht auch alles ganz gut, bis die beiden ins Land der Frauen gelangen und der König sich in Lin verliebt…

-Unter der Herrschaft der Kaiserin Wu lebten in der Provinz Ling-nan im Kreise Ho-yüan zwei leibliche Brüder, T’ang Ao und T’ang Min geheißen.-
Erstes Kapitel

Auch wenn die Geschichte im China des 7. Jhd. n. Chr. beginnt, spielt doch der größte Teil im Land der Frauen, einem Phantasieland, in dem die Geschlechterrollen umgekehrt sind. Mit Ausnahme eines Flusses, der regelmäßig über die Ufer tritt, werden weder Natur noch Architektur weiter beschrieben, das ist aber auch nicht weiter nötig, denn im Zentrum der Erzählung steht das Geschlechterverhältnis und insbesondere die Rolle der Frau. Anzumerken ist hier eine für Leser der westlichen Welt sonderbare Eigenart: Die Bezeichnung “Frau” wird nicht nach physischen Geschlechtsmerkmalen, sondern nach der gesellschaftlich besetzten Rolle vergeben. So kommt es, daß die Frauen lange Bärte im Alter haben und die Männer Kinder zur Welt bringen. Ausführlich wird der Alltag der Frauen dargestellt, wenngleich dieser überspitzt wird – so faulen dem Kaufmann Lin beispielsweise die Zehen der eingebundenen Füße in nur wenigen Tagen ab.
Die Handlung wird vor allem von T’ang Ao und Lin Tschi-yang getragen. T’ang ist ein Gelehrter im fortgeschrittenem Alter, aufgrund einer Intrige ist ihm die weitere Beamtenlaufbahn verwehrt. Da er gerne reist – aber schon ganz China in den letzten 20 oder 30 Jahren gesehen hat – und nach dem Debakel nicht zurück nach Hause mag, schließt er sich seinem Schwager Lin an. Er ist ein kluger, doch bisweilen etwas weltfremder Mensch, auch wenn er den Gesetzesbruch scheut, schreckt er nicht davor zurück, nur Gewalt wendet er nicht an. Lin ist ein junger Kaufmann, er besitzt ein Schiff und versucht mit den geladenen Gütern ein möglichst vorteilhaftes Geschäft (bei möglichst wenig Aufwand) abzuschließen. Lin ist außerdem recht gutaussehend – alles Eigenschaften, die ihm zum Verhängnis werden. Auch wenn er kein Held ist, der alles stoisch erträgt und zuweilen verzagt, so hält er doch seine Versprechen und geht dafür manches Risiko ein.
Daneben gibt es noch ein paar weitere Figuren, wie den Steuermann To, die geborene Lü, die Ehefrau Lins, und deren Tochter Wan-ju neben einigen namenlosen Anderen. Ihre Rolle ist jedoch relativ untergeordnet. Doch allen Charakteren ist eine Glaubwürdigkeit zu eigen, die man selten findet, es sind eben keine Helden und Schurken, sondern Menschen, die ganz menschlich auf ihr Umfeld entsprechend der Rolle, die sie in der Gesellschaft haben, reagieren.
Die Geschichte befaßt sich hauptsächlich mit Lins Leiden als Frau, hinzu kommt noch T’angs Handeln um Lin zu befreien; dieses fällt allerdings sehr zahm aus, ist er doch ein Gelehrter, der zudem um das Gute bemüht ist (sich also nicht in seinen Charakterfehlern sonnt).

Wer hier spannende Intrigen und aufregende Kämpfe erwartet, wird enttäuscht – zwar fließt auch Blut, aber nur als Ergebnis von Strafe, die auch nur begrenzt hart ausgeführt wird um den schönen Körper nicht zu beschädigen.
Die Geschichte schwankt zwischen humorvoll, aufgrund der grotesken Situationen, in die die beiden Schwager geraten – wenn z. B. von einer langbärtigen Palastdame die “beiden reizenden Arschbäckchen” mit den Gesichtern von Pan An und Sung Yü (sprichwörtlichen Schönheiten des chinesischen Altertums) verglichen werden – und tragisch, wenn Lin die Schmerzen nicht länger ertragen kann und darum bettelt getötet zu werden, die Qualen der langsamen Hinrichtung aber auch nicht erträgt und sich schließlich in sein Schicksal fügt.
Sprachlich ist das Werk durchaus gelungen; die Sätze sind zumeist kurz und trocken, was mitunter etwas ungewöhnlich ist, aber das Vokabular beschreibt sehr treffend und vielschichtig die Szenen.
Im Land der Frauen ist eigentlich kein eigenständiges Werk, sondern eine Auswahl an Szenen aus dem Werk Djing Hua Yuan (Spiegel und Blume in seltsamer Beziehung); das Ende wirkt daher auch etwas seltsam und die Kürze ist auch das größte Manko der Geschichte: Man wünscht sich mehr.

Cover von Im Reich der Atlantiden von Jane Gaskell Cija ist die Gemahlin des Feldherren Zerd, der mit einem Heer unerwünschter Bürger des Nordreichs auf eine Selbstmordmission geschickt wurde. Er ist der Renegat, dem es gelang sich auf den Thron von Atlantis zu setzen. Cija ist nun seine Kaiserin, doch schon zu Friedenszeiten ist deren Beziehung problematisch. Als aber das Heer des Nordreichs mit Sedili, Zerds erster Gemahlin, an der Spitze und dann das Heer der Waldmenschen unter der Führung Laras, Zerds zweiter Gemahlin, in Atlantis landen, gegen die Zerd nur noch die Reste seines alten Heeres setzen kann, muß Cija aus dem Weg – zumal sie einen Bastard gebar, der Zerd so unähnlich sieht…

-Als ich zwanzigtausend einsame Meilen weit gewandert war, hörte ich hinter mir den Reiter.-
Die Straße

Das Geschehen findet auf dem prähistorischen Kontinent Atlantis statt, welches Zerd im Band Der Drache “erobert” hatte. Atlantis selbst hat zwei Gesichter: Zum einen ein Gewöhnliches mit einsamen Herbergen in der Wildnis, die als Bordell fungieren, Bauern, die Rüben anpflanzen, umherstreunenden Wegelagerern und gefährlichen Tieren in den weiten Wäldern – diese Seite unterscheidet sich nicht wesentlich vom Nord- oder Südreich. Der Alltag ist überall vom sozialen Stand abhängig, sonst aber gleich. Die Darstellung Atlantis’ erinnert mich vage an die minoische Palastkultur.
Daneben existiert aber noch ein altes, mystisches Atlantis: Die Tiere in den Wäldern sind nicht bloß tumbe Dinosaurier oder Mastodonten, es gibt auch gewaltige Wölfe, die etwas Geheimnisvolles an sich haben und Teil einer größeren Gemeinschaft sind, es gibt Atlantiden, die besser unterrichtet sind, als es scheinbar möglich ist, einige haben sonderbare Fähigkeiten, so tritt der Flötenspieler wieder auf und eine Hexe weiß über Tränke gut bescheid. Diese magischen Elemente sind nur schwer zu greifen und niemals genau einzuschätzen – eine originelle und durchaus gelungene Darstellung. Von der alten, fortschrittlichen Wissenschaft ist nicht mehr viel geblieben, es tritt aber ein alter Gelehrter auf, der Frankensteins Monster zu schaffen vermag. Diese Passagen sind zwar unangenehm zu lesen, das Vorbild ist aber zu deutlich zu erkennen.

Als Autorin des Tagebuchs, in dessen Form die Geschichte verfaßt ist, steht Cjia erwartungsgemäß im Mittelpunkt. Sie ist keine aktive Figur; zumeist reagiert sie nur auf veränderte Umstände, selten zeigt sie echte Initiative – die dann für gewöhnlich schnell scheitert. Ihr Verhalten paßt dazu: Entweder versucht sie zu flüchten oder sie bemüht sich anzupassen, die Lage zu ihren Gunsten zu verändern versucht sie nie. Viel Raum wird dem Gefühlsleben Cijas gewährt, welches bisweilen recht verwirrend ist. Zu Beginn taucht ihr Halbbruder Smahil kurz auf. Ihre Gefühle ihm gegenüber sind zwiespältig – sie erinnert sich an die inzestuöse Geborgenheit, welche die Beiden teilten und liebt ihn dafür, gleichzeitig verabscheut sie ihn, sich und das Kind, das aus dieser Beziehung hervorgeht, dafür. Auf die vielen Grausamkeiten, die er ihr antat, wird kaum Bezug genommen. Eigenartig ist auch, wie sie ihr feindlich gesonnenen Leuten noch in den absurdesten Situationen  gefällig sein will – Cija, so scheint es, hegt niemals Rachegedanken. Nun gibt es derartige Personen wohl, aber es gelingt der Autorin nur begrenzt, dieses nahezubringen. Ihr Gemahl Zerd, der Kaiser von Atlantis in prekärer Situation, den sie zugleich liebt und verabscheut; ihre zwei Kinder Nal, der Sohn Smahils, und Seka, die Tochter Zerds, die sie beide auf distanzierte Weise liebt; Wahnsinnsfaust, ein atlantischer Räuber, den sie irgendwie anziehend findet, Narbe, ein Strolch aus ihrem Gefolge, den sie verabscheut und Sedili, Zerds erste Gemahlin, die sie zugleich verehrt und haßt, neben weiteren. Die Figuren sind alle ambivalent, keiner ist bloß gut oder böse – dieses läßt sie aber nicht immer plausibel handeln. Hier sei ein Wort der Warnung gesagt: Cija ist eine unzuverlässige Erzählerin, je nach Stimmung bewertet sie die Dinge unterschiedlich. Manchesmal mag das unplausible Verhalten auch dem Unvermögen Cijas die Personen richtig einzuschätzen geschuldet sein.

Von einem Plot läßt sich in dieser Geschichte nur begrenzt sprechen, da Cija eine ungewöhnlich passive Figur ist, die für gewöhnlich bloß auf veränderte Umstände reagiert. So wird sie schließlich von den Handlungen Anderer und zufälligen Ereignissen umhergetrieben. Es ist eine Odyssee durch die Schattenseiten von Atlantis aus der Opferperspektive. Nur wer die Darstellung des massiven Leidens von Hauptfiguren schätzen kann, sollte sich hier herantrauen – wem Frodos Qualen zu penetrant waren, der sollte einen großen Bogen um Cija machen – sie wird verprügelt, vergewaltigt und immer wieder gedemütigt. Die Zufälle nehmen einen ähnlich großen Raum wie in der ersten Geschichte ein, nur wird dieses Mal Cijas Göttlichkeit nicht bemüht – eine bessere Aufklärung gibt es aber auch nicht. Es mangelt deutlich an plausiblen Verknüpfungen der Ereignisse. Das offene und unbefriedigende Ende paßt zur Geschichte. Der Leser bleibt oftmals im Unklaren, manches Mal ist das vorteilhaft – wie bei den magischen Elementen, vielfach jedoch eher lästig. So fragt sich der Leser, warum das erste Kapitel von Narbe erzählt wird oder was aus Juzd geworden ist. Es bleibt im Dunkeln. Ärgerlich ist auch, das der dritte Teil nicht sauber an den zweiten anknüpft. An dessen Ende hatten Zerds Soldaten der mächtigen Reiche im Norden und Süden bezwungen, am Anfang dieses Teils aber ist das Südreich plötzlich bedeutungslos geworden, dafür droht die Armee der Waldstämme, die vormals sehr unorganisiert waren, und die des Nordreiches Zerd zu besiegen.

Wer nun die geteilte erste Geschichte kennt, wird sich fragen, warum er diese Fortsetzung lesen sollte; auch wenn die Handlung schneller voranschreitet, ist die Geschichte nicht spannender, während es in den Vorgängern auch lange Erläuterungen gab, hielten diese den Verlauf nicht auf – hier schildert die Erzählerin sich in einer lebensgefährlichen Situation befindend schon einmal über eine Seite das gepflegte Äußere der Feindin. Auch endet die erste Geschichte deutlich runder. Nur wer ein Interesse an Cija entwickelt hat oder eine werdende bzw. junge Mutter durch ihre Leiden begleiten mag, braucht die Fortsetzung zur Hand nehmen.
Der Stil ist immer noch gut und angemessen, aber viel zu poliert – er klingt weniger nach Tagebuch als nach Roman.

Cover des Buches "Jürgen" von James Branch CabellNachdem Jürgen auf dem Heimweg das Gute an der Arbeit des Teufels gepriesen hat, bedankt sich bei ihm ein schwarz gekleideter Mann für die freundlichen Worte und wünscht Jürgen ein sorgenfreies Leben. Doch der entgegnet, der gute Wunsch käme zu spät, er sei schon verheiratet. Zu Hause angekommen stellt Jürgen fest, dass seine Frau “wohl von einem Teufel entführt wurde. Der arme Kerl.” So macht sich Jürgen auf eine lange Irrfahrt, auf der er seine Jugend zurückerhält und Gebiete wie Cameliard, der Heimat von Guinevere, und Leuke, der Heimat von Helena, die Hölle seiner Ahnen und den Himmel seiner Großmutter besucht, um das Mannhafte zu tun und Lisa zurückzuholen…

-Im Land Poictesme erzählt man eine Geschichte: Vor langer Zeit lebte dort ein Pfandleiher namens Jürgen; doch die Namen, die seine Frau ihm gab, waren sehr oft viel schlimmer.-
Warum Jürgen das Mannhafte tat

Jürgen ist ein schräger Vogel; in seiner Jugend war er ein Draufgänger, Charmeur und Dichter – im Alter ist er ein dickbäuchiger Pfandleiher geworden, der keine wunderschöne Gräfin geheiratet hat, sondern die nette Tochter des Pfandleihers. Mit seiner Jugend, die er von Sereda erhält, tollt der knapp fünfzigjährige Jürgen durch eine skurrile Welt und versucht sein Glück zu finden. In der Wahl der Mittel ist er nicht zimperlich; schmeicheln, lügen und betrügen sind an der Tagesordnung und kann er einen Gegner nicht im fairen Kampf bezwingen, dann erdolcht er diesen auch schon einmal heimtückisch. Doch die Reise und sein ihn verspottender Schatten verändern ihn.

Gerade oder gar edle Charaktere gibt es hier nicht – König Gogyrvan will belogen werden, König Smoit hat seine Ehefrauen reihenweise ermordet und König Artus taucht persönlich nicht auf. Auch wenn außer Jürgens Charakter keiner näher beleuchtet wird, trifft man nie auf bloße Klischees.
Da Jürgen bereit ist, es mit jeder schönen Frau zu versuchen, begegnet man vielen – einige sind aber mehr als sie zunächst scheinen. Dorothee, seine Jugendliebe, leitet Jürgens Abenteuer ein, die Leschie Sereda ermöglicht es. Im Kern stehen Guinevere, Anaitis und Helena. Mit ihrer Hilfe kann Jürgen seinem Ziel näher kommen – einem Ziel, welches er eigentlich nicht kennt. Bis dahin versucht er seine Frau Lisa zu befreien.

Magie spielt eine gewisse Rolle, so gibt es Zentauren, Trolle, Naturmythen, Engel und Teufel. Doch nichts ist wie gewohnt; die Engel verspotten Petrus und die jungen Teufel wollen die Sünder nicht mehr quälen – sie wollen mehr Freizeit. Jürgen führt ein Zauberschwert, trägt ein magisches Hemd und nutzt den Zauberspruch des Meisterphilologen. Trotzdem drückt sich die Magie eher im Anarchismus der Geschichte als in magischen Gegenständen oder Zauberei aus.
Die Geschichte ist klar an die Odyssee angelehnt, Jürgen versucht Befriedigung zu finden, symbolisiert in der Suche nach seiner Frau Lisa. Für eine Fantasy-Geschichte scheint mir dieses höchst originell zu sein, zumal wenn man bedenkt, dass sie 1919 veröffentlicht wurde. Jürgen stolpert nolens-volens von einer Eskapade zur nächsten um sich langsam über sich selbst klar zu werden.

Insgesamt ist dieses eine Geschichte der Zweideutigkeit, des “Statt dessen”, der Kompromisse. Die Ereignisse sind zwar amüsant, aber immer mit einem tragischen Unterton hinterlegt; Jürgen erhält zumeist das, was er anstrebt, selten ist es aber das, was er will.
Bekannt geworden ist Jürgen als Geschichte der pornographischen Anspielungen. Die sind natürlich enthalten – sogar zu Hauf – da Cabell sich u. a. gegen die Sexualmoral der USA des frühen 20. Jhd. wendet. Jürgen ist ein Auftakt der “Roaring Twenties” – der junge Jürgen würde sich in den 20ern wohlgefühlt haben. Alle Phallus-Symbole (Schwert, Lanze, Szepter, Keule etc.) sind ernst zu nehmen – wenn der betrunkene Jürgen nächtens mit seinem Schwert vor dem Zimmer der Anaitis herumfuchtelt, hat dieses zwei Lesarten. Doch die Geschichte ist mehr als das; sie ist zunächst sehr humorvoll – die Nüchternheit, mit der Anaitis auf die zuvor geschilderte Szene reagiert, ist bezaubernd komisch. Vor allem aber ist es eine Reflexion auf die Jugend, das Alter, Menschlichkeit und deren Auffassung. Auch wenn das Buch für bare Münze genommen an vielen Stellen eine Männerphantasie zu sein scheint – alle Frauen lassen sich von Jürgen betören – löst sich dieses auf, wenn man die Symbole zu interpretieren beginnt. Anzumerken ist noch, daß die Stellen eindeutig zweideutig sind. Man weiß ganz genau, dass Jürgen sich gerade sexuell betätigt, doch lässt sich diese Szene auch ohne Problem ohne sexuelle Anspielung verstehen.

Auch wenn Jürgen Teil des Poictesme-Zyklus ist, lässt sich die Geschichte ohne weiteres verstehen; wer den Rest kennt, kann noch ein wenig mehr über der Part von Koshchei und vor allem Horvendil rätseln, darüber hinaus ist Jürgen aber das extreme Gegenteil von Dom Manuel; im Zyklus legt Cabell seine Ansichten über Lebensauffassungen dar, die Vertreter sind Dom Manuel (Chevalereske/Ernste), Jürgen (Galante/Ironische) und Horvendil (Poetische/Schaffende).
Sprachliche ist das Werk durchaus gelungen, es gibt keine Fehltritte und manch schöne Wendung – an die Sprachgewalt Lord Dunsanys oder Lewis Carrolls Zauber kann es aber nicht heranreichen.

Cover des Buches "Königreich zu verkaufen" von Terry BrooksDer verzweifelte Chicagoer Anwalt Ben Holiday erhält ein seltsames Angebot: Für 1.000.000 Dollar kann er das magische Königreich Landover kaufen und dort ein neues Leben als König beginnen. Dort angekommen stellt sich jedoch schnell heraus, dass es in Landover nicht zum Besten steht. Nachdem 20 Jahre lang die Könige im Fluge wechselten, haben sich die Untertanen vom Thron entfremdet, den Mächtigen des Reiches ist der neue König bestenfalls gleichgültig, schlimmstenfalls würden sie ihn gerne tot sehen. Die Magie, die Landover belebte, schwindet. Kann der König rechtzeitig das Rätsel lösen, das den magischen  Verteidiger, den Paladin, Landovers umgibt?

-Landover: Reich der Magie, Reich der Abenteuer, Heimat von Rittern und Knappen, Drachen und Edelfräulein, Zauberern und Hexen.-
Ben: Aus der Annouce des Rosen Weihnachts-Wunschbuch

Das Königreich Landover ist nicht besonders groß, mit dem Pferd kann man es in wenigen Tagen durchreiten. Um das Königreich herum liegen die Elfennebel, die einen gefährlichen Raum bilden, der Tore zu anderen Welten bietet.

In Landover sind die politischen Verhältnisse einfach, denn es gibt nur vier Völker und zwei weitere mächtige Wesen. Die Herren des Grünlandes sind relativ langweilig. Eine menschliche Feudalgesellschaft mit Rittern und Bauern. Geben sie sich auch offen und ehrlich, so sind sie doch intrigant und machtgierig. Einst bildeten sie das militärische und wirtschaftliche Rückgrat, heute zerfleischen sie sich selbst und nehmen die Verschmutzung der Flüsse in Kauf. Die Elfen des Seelandes sind ein Sammelsurium von sonderbaren Wesen, kaum zwei gleichen einander. Die Exilanten aus den Elfennebeln sind zufrieden, wenn sie ruhig und abgeschieden vom Rest der Welt in ihren Wäldern und Gewässern leben können. Die Trolle vom Melchor sind wilde Bergarbeiter und Waffenschmiede. Bleiben die G’Heim Gnome (engl.: “G’Home Gnome!”), ein diebisches Pack rattengesichtiger Hunde- und Katzenfresser, die von überall fortgejagt werden. Die Hexe Nachtschatten ist die Herrin über den Tiefen Schlund und der Drache Strabo macht nicht nur das Königreich unsicher.
Magie ist der zentrale Faktor in Landover: die Blaubonnie-Bäume, die auch die Ärmsten ernähren können; Burg Silberstein, der Sitz des Thrones, ein magisches Wesen, welches seinen Bewohnern – so lange die Magie fließt – stets volle Vorratskammern und eine starke Feste bietet; die schönen Regenblumen und schließlich der magische, unbezwingbare Paladin… Aber die Magie schwindet unaufhörlich aus Landover.

Doch lebt diese von Brooks erschaffene Welt von seinen bunten Figuren: Da ist Questor Thews, der inkompetente Hofzauberer, der nur gelegentlich die Magie beherrscht; der bierernste Hofschreiber Abernathy, ein Zyniker, halb-Mensch, halb-Weizenterrier dank eines misslungenem Zaubers; Weide, die wunderschöne Sylphe, die sich gelegentlich in einen Baum verwandelt; der Drache Strabo, der sich über den menschlichen Mangel an Quellenkritik zu Geschichten über Drachen beschwert; dieses sind nur ein paar der grotesken, nahezu karikierenden Ansammlung von Romanfiguren.

Der Plot in Königreich zu verkaufen (Magic Kingdom for Sale – Sold) ist allerdings nicht wirklich neu: Der Held muss eine magische Queste bestehen um die Welt vor einer Horde Dämonen zu retten. Dem Autoren gelingt es aber mittels überraschender Wendungen, die Geschichte immer spannend zu halten. Der Form nach ist es deutlich ein Bildungsroman – es geht in der Geschichte um Ben Holiday, der einen Platz in Landover suchen muss. So liegt der Schwerpunkt auf dem zwar nicht übermäßig glaubwürdigen aber doch interessanten Charakter des Anwalts und seiner Entwicklung von einem verzweifelten, depressiven, der Alkoholsucht nahen Stadtmenschen, der den Tod seiner Frau nicht verwunden hat, zum König von Landover, der sein altes Leben zwar nicht vergisst, das neue aber Schritt für Schritt annimmt. Dazu gehört auch die gelungene und überraschende Auflösung um den Paladin.
Je weiter die anderen Charaktere von Holiday entfernt sind, desto oberflächlicher bleiben sie auch für den Leser. Es gibt bessere Bildungsromane (Voltaires Candide oder Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre), aber ein fantastischerer ist mir noch nicht untergekommen.
Interessant, aber leider nur angerissen, sind die Elemente der Umweltverschmutzung der Herren vom Grünland und die Parabel des Paladins als Krieg.

Cover des Buches "Die Königstochter aus Elfenland" von Lord DunsanyDas Parlament von Erl hofft Ruhm durch Zauberei zu erlangen. Darum schickt der König von Erl seinen Sohn Alveric aus Lirazel, die Tochter des Königs der Elfen, zu freien. Es gelingt ihm im fremdartigen Elfenreich Lirazel zu finden, sie erkennen die Liebe, die sie für einander empfinden und kehren nach Erl zurück – jedoch gegen den Willen des Elfenkönigs. Von seinen drei mächtigen Runen nutzt er eine um seinen ältesten Soldaten wiederzubeleben und die zweite um seine Tochter zurückzuholen. Alveric macht sich erneut auf die Suche nach der Königstochter aus Elfenland.

-In ihren rötlichen Lederjacken, die ihnen bis zu den Knien reichten, erschienen die Männer von Erl vor ihrem Herren, dem würdig weißhaarigen Manne, in seinem langen roten Gemach.-
Der Plan des Parlaments von Erl

Wie der Autor im Vorwort ankündigt, spielt sich ein Großteil der Geschichte von Die Königstochter aus Elfenland (The King of Elfland’s Daughter) im Königreich Erl ab, welches wohl im mittelalterlichen Großbritannien zu finden ist. Erl besteht aus einer Burg, einem Dorf und einigen einzelnen Gehöften – und liegt etwa zwanzig Meilen von Elfenland entfernt. Erl wird zwar vom König regiert, doch der muss auf die Meinung des Parlaments achten. Auch der Priester des Befreiers, des wahren Gottes, hat Einfluss auf seine Gemeinde.
Im Elfenland herrscht der König von Elfenland absolut. Er ist namenlos, denn sein Alter ist gewaltig. Er ist ein mächtiger Magier, der über die drei großen Runen gebietet. Sonst leben im Elfenland verschiedene Wesen: Einhörner, Irrlichter, Elfenkrieger und besonders Trolle. Trolle sind kleine, nackte braune Wesen, die beständig in Bewegung sind und deren stärkste Charaktereigensaft entweder ihre Neugier oder ihr Spieltrieb ist. Der Troll Lurulu ist der Bote des Königs und durchaus nicht würdig.

Der bedeutendste Unterschied zwischen Erl und Elfenland ist der Zeitfluß, denn in Elfenland vergeht keine Zeit. Nachdem Orion und Lurulu sich nach zwölf Jahren wiedersehen und Orion fragt, wieviel Zeit vergangen sei, antwortet Lurulu: “Bei mir ist immer noch Heute.” Morgen ist ein Konzept, mit dem Bewohner von Elfenland nichts anfangen können. Was geschieht morgen? Da kann man sich nicht mehr bewegen und die anderen begraben einen in der dunklen Erde, wo man dann für immer liegen muss.
Auch wenn die Charaktere einfach sind – zumeist sind sie auf eine Motivation beschränkt – sind sie keineswegs Klischees oder Schablonen. Alveric nimmt man die brennende Liebe, die er für Lirazel empfindet, durchaus ab. Man leidet mit Alveric auf seiner Suche mit.

Die Geschichte ist schwer zu erläutern; viele Stränge spalten sich auf, laufen nebeneinander her, überkreuzen sich nur um sich wieder zu trennen; es ist allerdings niemals so kompliziert, daß man den Überblick verliert. Alveric jagt Lirazel nach, Lurulu neuen Erfahrungen, das Parlament dem Ruhm, Orion allen Tieren, die sterblich sind, und der Elfenkönig ebenfalls Lirazel. Aber viele werden die Geschichte als langatmig empfinden, zumal es keine “richtige” Bedrohung gibt. Jeder geht seinen Geschäften nach und manchmal haben diese etwas miteinander zu schaffen.

Das Werk glänzt allerdings mittels Sprache; hier ist es nahezu perfekt, auch wenn mancher sich über das wiederholte Auftreten einiger Wendungen ärgern mag. Die Beschreibungen sind so prachtvoll, daß man unweigerlich davon gefangengenommen wird – wenn man sich mit dem altertümlichen Stil anfreunden kann.

Cover des Buches "Die Legende von Manuel" von James Branch CabellManuel ist ein einfacher Schweinehirt, als ein Fremder an ihn herantritt und dazu überredet Gisèle, die Tocher des Königs, aus den Klauen des bösen Magiers Miramon zu befreien. Dazu überlässt er Manuel sogar das magische Schwert Flamberge, aber irgendwie verläuft die Rettung dann doch nicht wie erwartet: Manuel verliebt sich in die Falsche. Auf dem Heimweg begegnet er Horvendile, aus dessen Ratschlag Manuel sein Lebensmotto ableiten wird: “Mundus vult decipi.” – Die Welt will betrogen sein. Sich dieses zu Herzen nehmend scheint seinem Aufstieg nichts mehr im Wege zu stehen. So wird aus ihm der größte und von Skrupeln unbeleckteste Glücksritter, schließlich sogar der Erlöser Poictesmes.

-Man erzählt sich in Poictesme, dass in den alten Zeiten, als Wunder so gewöhnlich waren wie Pasteten, ein junger Schweinehirt namens Manuel lebte, der still und bescheiden des Müllers Schweine hütete.-
I. Wie Manuel den Schweinen Lebewohl sagte

Die fiktive Grafschaft Poictesme liegt an der französischen Küste des Golf du Lion, umgeben von mehr oder weniger fiktiven feudalistischen Gesellschaften des Mittelalters, doch dieses dient hauptsächlich als Kulisse für die Legendenbildung.

Wie der Titel vermuten lässt, ist Manuel die zentrale Figur der Geschichte, doch er bleibt dem Leser fremd. Manuel ist selbstsüchtig und er versucht stets seine egoistischen Taten mit Idealen als gut oder zumindest gerechtfertigt hinzustellen. Am Ende muss der Leser sich fragen, wieviel von diesem mutigen, gewitzten und liebenswürdigen Abenteurer nur gespielt ist – ist er vielleicht einfach nur ein kaltherziger Opportunist – Mundus vult decipi – der der Welt zu zeigen vermag, was sie sehen will? Cabell schreibt die Legende nicht für Manuels Mitmenschen, sondern für den Leser.

Aufgrund der starken Episodenhaftigkeit der Legende wirken die anderen Figuren mehr wie ein bestimmtes menschliches Verhalten, als wie eine ganze Figur. Dennoch sind sie nicht bloß konsequent die Verkörperungen einer einzelnen Eigenschaft, sondern weichen ein wenig von ihrem klaren Kurs ab – sie haben doch mehr als eine Eigenschaft.
Die wichtigste Figur nach Manuel ist sicherlich seine Frau. Er formt ihren Körper nach seinen Vorstellungen aus Lehm und beseelt ihn mit dem Geist einer Toten. Doch ist es ihm gut gelungen? Die anderen Männer verwundern sich, warum er diesen kleinen Krüppel anderen Frauen vorzieht. Sie liebt ihn und er liebt sie, doch scheint ihre Liebe hauptsächlich aus Meinungsverschiedenheiten zu bestehen. Sie verändert ihn mehr, als er es anderen gestattet.
Durch Prinzessin Alianora erhält Manuel den Schlüssel zur weltlichen Macht, denn sie will einen großen König aus ihm machen. Von Königin Freydis erhält er die Fähigkeit, Lehmstatuen zu beleben, denn sie will einen großen Künstler aus ihm machen. Daneben treten noch weitere Figuren auf, die seine Leben beeinflussen: Math, seine Halbschwester; Suskinde, seine Jugendliebe; Horvendil, der Dichter; der Gott Sesphrada, den er selbst schuf und seine Tochter Melicent, die ein ungewöhnlich dummes Balg ist.

Auch wenn alle magischen Elemente der Sword & Sorcery auftreten – Miramon, der finstere Magier; das magische Schwert Flamberge; ein Drache und sogar Sesphrada der Gott – so sind diese doch alle schräg: Der Gott ist ein mieser, selbstgeschaffener Götze und den Drachen kann man nur als Leichnam bemerken. (Manuel: “Und wenn ich daran denke, dass für den Rest der Zeit diese Kreatur [seine Frau] meine Lebensgefährtin sein soll, dann gehe ich gewöhnlich hinaus und bringe jemanden um. Dann komme ich zurück, weil sie weiß, wie ich gern mein Toast habe.”, S. 195-196)

Wie der Titel richtig feststellt, behandelt die Geschichte die Legende von Manuel – im doppelten Sinne. Einerseits wird geschildert, wie aus dem einfachen Schweinehirten der Erlöser Poictesmes wird, wobei zumeist die großen Heldentaten nur sehr summarisch zusammengefasst werden (weil sie vermutlich nie stattgefunden haben), und andererseits wird in einigen Episoden gezeigt, wie Manuel aus Zufällen und egoistischen Taten eine Legende um sich herum strickt. Wie bei Legenden üblich trägt auch die Manuels biographische Züge.

Die Episoden der Legende Manuels behandeln parabelförmig die großen Fragen. Was sind die Bedürfnisse der Menschen? Was ist die Liebe? Wie unterscheidet die Gesellschaft zwischen guten Menschen und schlechten? Und im Kern die Frage: Was macht das menschliche Dasein aus und wieviel davon können andere erkennen? Manche Diskussionen sind außerordentlich gehaltvoll – im Kapitel XVII – Die Magie der Bildnismacher liefert der Autor die Kernfrage der Diskursanalyse: Bestimmt der Mensch den Diskurs oder der Diskurs den Menschen? Auch die Frage inwiefern der Beruf den Charakter formt wird neben anderen angeschnitten. In seiner ironischen Art ist dieses ein psychologischer Roman, der relevante Fragen der Gesellschaft aufgreift – Psychologische Fantasy.

Hinzukommt, dass die Geschichte einerseits durch einen gewissen trockenen Humor, viel Ironie und völlig ernstgenommenen Metaphern eine zuweilen bizarre Komik entwickelt.
Der Schreibstil unterstützt dieses, da er manchmal abrupt zwischen alltagsprachlichen Zusammenfassungen und pompöser, altmodischer Rhetorik springt. Aber so oder so – die Sprache bleibt immer elegant. Wie schon bei  Jürgen ist vieles konsequent doppeldeutig, dem Leser stellt sich z.B. die Frage, ob der Storch tatsächlich die Kinder bringt, oder ob es nur eine Metapher ist.

Als erster Teil des Dom Manuel-Zyklus liefert die Geschichte die Grundlagen für die Folgenden, auch wenn diese durchaus für sich gelesen werden können. Wer etwas der anderen kennt, kann noch ein wenig mehr über der Part von Horvendil rätseln. Darüber hinaus ist Manuel aber das extreme Gegenteil von Jürgen; im Zyklus legt Cabell seine Ansichten über Lebensauffassungen dar, die Vertreter sind Dom Manuel (Chevalereske/Ernste), Jürgen (Galante/Ironische) und Horvendil (Poetische/Schaffende).

Cover des Buches "Münchhausen erzählt" von Gottfried August BürgerDer Baron Münchhausen, ein passionierter Waidmann und Reisender aus Leidenschaft, erzählt am Abend bei einem Glas von seinen haarsträubenden Abenteuern. So erzählt er, wie er sich selbst am eigenen Zopf samt Pferd aus dem Sumpf zog, wie er auf einer Kanonenkugel ritt um den Feind auszuspähen, wie er von Riesenfischen verschlungen wurde, zum Mond reiste und unzähliges mehr.

-Ich trat meine Reise nach Rußland von Haus ab mitten im Winter an, weil ich ganz richtig schloß, daß Frost und Schnee die Wege durch die nördlichen Gegenden von Deutschland, Polen, Kur- und Livland, welche nach der Beschreibung aller Reisenden fast noch elender sind als die Wege nach dem Tempel der Tugend, und man, ohne besondere Kosten hochpreislicher wohlfürsorgender Landesregierungen, ausbessern müßte.-
1

Angesiedelt ist die Erzählung in den verschiedensten Regionen der Erde des späten 18. Jahrhunderts (das zweite Seeabenteuer beginnt 1766). Es werden so unterschiedliche und exotische Gebiete besucht wie das winterliche Russland, Ceylon oder das Osmanische Reich mit Konstantinopel und Alexandria. Doch eingehende Beschreibungen gibt es nicht – ganz explizit sagt Münchhausen, er wolle seine Zuhörer nicht mit derartigen Alltäglichkeiten langweilen. Erst in der zehnten Seereise, in der er zum Mond segelt, und der Reise durch die Erde wird etwas über die Bewohner und Umwelt an sich berichtet, da sie selbst schon Lügen sind. Kurzum: Kein Ding, welches der Leser kennen könnte, wird eingehend beschrieben.

Eine Geschichte im herkömmlichen Sinne gibt es nicht; Münchhausen erzählt seinen Zuhörern eine Reihe von erlogenen Anekdoten, die im besten Falle marginal mit einander verknüpft sind. Münchhausens Abenteuer als kohärente Geschichte ist eine Leistung des modernen Films, eine Konzession an die Sehgewohnheiten der Zuschauer.
Die Lügenmärchen aber haben es in sich: Es sind nicht bloß unglaubwürdige Lügen, sondern Parodien jeglicher Form auf die (damaligen) Verhältnisse und Reiseerzählungen, insbesondere des sprichwörtlich gewordenen “Jägerlateins” und des “Seemannsgarns”. So bekennt ein Begleiter Münchhausens der Sohn einer Prostituierten und des Papstes zu sein oder Münchhausens Hündin wirft (auf der Jagd) natürlich ebenso viele Welpen, wie die verfolgte Häsin selbst Junge wirft – selbstverständlich werden alle gefangen.
Aufgrund dieser extremen Zuspitzung können weder Alltäglichkeiten noch Charaktere beschrieben werden.

Sprachlich ist das Werk ebenfalls sehr gelungen und den Gegebenheiten wunderbar angemessen; manchen mag allerdings dieses altertümliche Deutsch, welches bisweilen reichlich verschachtelt ist, abschrecken. Bürger gelingt es immer wieder bekannte Ausdrücke einzuflechten und dem Stil der volkstümlichen Erzählung anzupassen.
Die Bewertung fällt sehr schwer, da es ein sehr spezielles Werk ist; vieles, was in anderem Zusammenhang negativ zu werten ist, ist hier beabsichtigt. Wer also die Prämissen akzeptieren kann, der wird ein einmaliges Lügenmärchen aufgetischt bekommen. Wer die Prämissen nicht teilen mag, der sollte einen großen Bogen um den Münchhausen machen.

Eine Bemerkung zur Textgeschichte: Die erste schriftliche Fassung dürfte das 1781 in Berlin veröffentlichte Vade Mecum für lustige Leute, enthaltend eine Sammlung angenehmer Scherze, witziger Einfälle und spaßhafter kurzer Historien aus den besten Schriftstellern zusammengetragen, Achter Teil sein. In diesem hatte ein Unbekannter einige Geschichten des berüchtigten (realen) Münchhausen aufgeschrieben. 1785 erschien in England allerdings Baron Munchhausen’s Narative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia, geschrieben hatte es der flüchtige Rudolf Erich Raspe (er hatte eine Münzsammlung gestohlen und verkauft; darauf musste er nach England fliehen). 1786 schon erschien eine zweite Auflage, (von Raspe) erweitert um die Seeabenteuer. Im selben Jahr erschien in Göttingen (London als Druckort war vorgetäuscht) das Werk Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. Doch dieses war keineswegs eine bloße Übersetzung; vielmehr hat Bürger dem Text die gelungene Form gegeben und wohl auch etwas erweitert.
Seitdem erfreut sich der Text enormer Beliebtheit und auch andere Herausgeber behandelten diesen nach eigen Gesichtspunkten; Episoden wurden in eine neue Reihenfolge gebracht oder ganz ausgelassen (die Prostituierte und der Papst fehlen häufig), sie wurden nacherzählt und umformuliert, schließlich wurden sie (durch den Film) in einem kohärentem Zusammenhang gebracht; es lassen sich also kaum zwei textidentische Auflagen finden.
Doch das Lügenmärchen hörte durchaus nicht mit Lord Dunsanys Jorkens-Geschichten auf zu bestehen; auch in neuester Zeit finden sich Lügenmärchen. Dem Fantasy-Leser könnten Geschichten wie Wilde Reise durch die Nacht oder Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär, jeweils von Walter Moers, bekannt sein.

Wer die Geschichte Online lesen mag, der kann dieses auf den Seiten des “Gutenberg-Projektes” machen; weitere interessante Details finden sich hier: http://www.munchausen.org/.

Cover des Buches "Perdido Street Station von China Miéville"In New Crobuzon, der riesigen Metropole, taucht ein Fremder auf, der auf der Suche nach einem Wissenschaftler ist, der das Unmögliche mögliche machen kann. Er gerät an Isaac dan der Grimnebulin, einen Freigeist, der wegen seiner Methoden und Anschauungen von der Universität geflogen ist.
Dieser lässt sich, um seinem Auftraggeber zu helfen, aus allen möglichen zwielichtigen Quellen geflügelte Lebewesen beschaffen, um den Flug zu erforschen, und dabei macht er einen entscheidenden Fehler, der dazu führt, dass ein Monster auf die Bewohner der Stadt losgelassen wird, das alle Rassenkonflikte und die brutal durchgesetzten Gesetze der Regierung nebensächlich erscheinen lässt…

-A window burst open high above the market. A basket flew from it and arced towards the oblivious crowd. It spasmed in mid-air, then spun and continued earthwards at a slower, uneven pace.-
Chapter One

Perdido Street Station (Der Falter, Der Weber) heißt der Hauptbahnhof der monströsen Metropole New Crobuzon, die auf der Welt Bas-Lag liegt. Auf Bas-Lag finden sich viele mysteriöse, gefährliche und absonderliche Orte, doch die Geschichte spielt nur in New Crobuzon und außer dem scheinbar unzivilisierten Cymek werden die Gebiete außerhalb der Stadt nicht weiter beschrieben. Das ist aber auch gar nicht notwendig, denn der Moloch bietet mehr als ausreichend Varianz.
Diese manifestiert sich hauptsächlich in den Figuren, denn das Stadtbild ist ein sehr düsteres: Nirgendwo gibt es strahlende oder neue Gebäude, die Dinge sind nicht fragil oder ästhetisch – die Gebäude sind alt und zweckmäßig, das Metall ist verrostet, der Putz bröckelt von den Wänden und das Glas der Fenster ist gesprungen. Verbunden mit der erdrückenden Enge der Bauwerke und ihrer wuchtigen Monumentalität, entsteht der Eindruck eines früh-industriellen-Film-Noir-Londons.

Auch wenn die Stadt in erster Linie eine Stadt der Menschen ist, deren Regierung vor brutaler Gewalt nicht zurückschreckt, um die Interessen der Oberschicht durchzusetzen, haben die unterschiedlichsten Völker hier ihre Ghettos: Die Cactacae, sehr unempfindliche, intelligente Kakteen mit menschlicher Gestalt, leben vielfach im Glashaus; die Khepri, insektenartige Wesen, bei deren Spezies nur die Weiblichen Intelligenz besitzen, bauen ihre fremdartig-organischen Wohnanlagen in Kinken oder Creekside; die Wyrman, intelligente Vogelwesen, leben in der Stadt verstreut.
Doch daneben gibt es unzählige sonderbare Wesen mehr: Die krötenartigen Vodyanoi, die Garuda, Wesen zur Hälfte Mensch, zur Hälfte Vogel, Vampire und sogar die Hölle hat ihren Botschafter in der Stadt – mit dem die Regierung dubiose Geschäfte macht.
Das Buch quillt über vor eigenartigen Figuren; sind sie physisch unauffällig, haben sie einen interessanten Charakter – wie Isaac Dan der Grimnebulin, ein brillianter, aber unorthodoxer Wissenschaftler, der wann immer er kann auf illegale Kanäle zurückgreift, oder Lemuel Pigeon, ein Schieber, der zwar ein persönliches Interesse an der Geschichte hat, aber deshalb nicht auf den Profit verzichten oder gar sein Leben übermäßig riskieren würde. Es gibt aber auch physisch ungewöhnliche Gestalten, wie Lin, eine Khepri-Künstlerin, die mittels ihrer Physiognomie eine Paste produziert aus der sie Plastiken formt, oder Mr. Motley, DER Boss des Organisierten Verbrechens, dessen Körper eine unbeschreibliche Kombination aus einer Vielzahl von verschiedensten Wesen ist, Ausdruck seiner Besessenheit: der Transformation. Dennoch bleiben alle Charaktere glaubwürdig, sowohl was Motivation, als auch was Handlungen angeht, egal ob sie nun Schurken, Wissenschaftler, Wächter, Verräter oder einfach nur Opfer sind.

Drei grundlegende Arten von Kräften beeinflussen das Geschehen der Welt: die physikalischen Kräfte, die gesellschaftlichen Kräfte und die thaumaturgischen Kräfte. Wer eine der Techniken erlernt hat, um die thaumaturgischen Kräfte zu manipulieren, ist zu höchst befremdlichen Dingen in der Lage. So kann eine Communicatrix mittels einiger persönlicher Gegenstände und Informationen die æthero-mental Waves nutzen um eine weit entfernte Person durch sich sprechen zu lassen, ein Bio-Thaumaturg kann Lebewesen völlig neu gestalten. Die Vodyanoi Schamanen können flüssiges Wasser mit der watercræft in festen Positionen halten und so z.B. einen Gang durch einen Fluss schaffen. Insgesamt wirkt die Magie sehr wissenschaftlich und technisch, generell reproduziert sie die Errungenschaften der Moderne und geht leider nur selten darüber hinaus.

Die Geschichte lässt sich am ehesten als Monsterjagd mit Hindernissen beschreiben. Sie lässt sich nur langsam an: ein gutes Drittel befasst sich mit der Einführung der Welt, der Figuren, Isaacs Forschungen und der feinfühligen Romanze zwischen dem Renegaten-Wissenschaftler und Lin, der Renegaten-Künstlerin. Mit Lin nimmt sich Miéville auch sehr vorsichtig des Themas Rassismus an, wobei besonders Lins Reflektionen über ihre Herkunft gelungen sind.

Dann aber setzt abrupt die Erkenntnis um die Katastrophe ein und fast sofort beginnt die Katharsis – und die ist lang und schmerzhaft. Es ist dem Autoren trefflich gelungen, die das Gemüt niederdrückende Stimmung durch die Ereignisse zu vermitteln. Viele Fäden werden zu einem großen Ganzen versponnen, so entsteht ein sehr komplexes Geflecht. Isaacs Geschichte ist der rote Faden, der sich hindurch zieht, die anderen treten mal hinzu, mal nicht. Dieses ist m.E.n. eine Schwäche: Entweder sollten die Fäden gleichberechtigt sein oder nur dann geschildert werden, wenn sie mit Isaac in Verbindung treten. Auch dauert für meinen Geschmack die Katharsis etwas zu lange, so dass zum Ende hin sich die Spannung in Grenzen hält. Ein weiteres Problem ist die mangelnde Transparenz am Ende: Alle kennen den Plan, nur der Leser muss im Dunkeln auf den Ablauf der Ereignisse warten.

Schließlich ist Miéville etwas zu ausführlich, immer wieder werden Stimmung und Situation detailreich erläutert, hinzu kommt, dass einige Szenen keine neuen Informationen bringen; diese Eigenarten nehmen der Geschichte ebenfalls an Spannung. So bleibt festzustellen, dass die Geschichte größtes Potential, viele hervorragende Elemente – aber leider auch einige Schwachstellen aufweist.
Sprachlich ist das Werk sehr gut gelungen, es mangelt an manchen Stellen allerdings ein wenig an Eindringlichkeit, so dass die dargestellte Szene nicht den Horror auslöst, die sie auslösen sollte.

Cover des Buches "Das schwarze Einhorn" von Terry BrooksDrei seltsame Träume schicken Ben Holiday, den König des magischen Landes Landover, und seine Freunde auf Reisen. Ben besucht seinen alten Partner Miles in Chicago, Questor, der Hofzauberer, holt die verschollenen Zauberbücher und die Sylphe Weide sucht das schwarze Einhorn, von dem Legenden schlechtes zu berichten wissen. Doch die Träume sind ein Trick von Meeks, dem bösen Hexenmeister. So gelingt es ihm mit dem König zurück nach Landover zu gelangen. Dort verzaubert er sich und Ben, so dass Meeks wie der König erscheint und Ben wie ein Fremder. Wird es Ben rechtzeitig gelingen, den Trick, mittels dessen Meeks ihm seine Macht nahm, durchschauen?

-Das schwarze Einhorn tauchte aus den Morgennebeln, fast als sei es aus ihnen entstanden, und blickte über das Königreich Landover.-
Prolog

Die Welt dieser Geschichte ist dieselbe wie in Ein Königreich zu verkaufen, nur konzentriert sich der Autor in Das schwarze Einhorn (The Black Unicorn) noch stärker auf den Handlungsablauf, so dass kaum Platz für Neues ist und ein paar alte Dinge nur noch erwähnt werden, aber selber keine Rolle mehr spielen, wie die Herren des Grünlandes und die Trolle. Mit Ausnahme von Weide und ihrem Vater dem Flussherren, werden die bekannten Figuren auch nicht weiter entwickelt.
Neu hinzu kommt die Erdmutter, welche die Hüterin des Landes ist; vom Konzept her ähnlich wie Tom Bombadil, nur nicht so gelungen, und Edgewood Dirk. Dirk ist eine Prismenkatze, ein mächtiges und undurchschaubares Elfenwesen, das viele andere nervös werden lässt. Er begleitet Ben auf seiner Suche nach sich selbst mit Ratschlägen, die zwar immer den Kern treffen, aber selten verständlich sind. Dirk ist der wahre Star der Geschichte, selten ist mir ein so sonderbarer Charakter untergekommen. Bis zum Schluss bleibt er unberechenbar.

Die Story ist eigentlich recht einfach: Weide sucht das Einhorn, während Ben Weide und seine verlorene Macht sucht. Dazu werden verschiedene Stationen besucht, z.B. der Flussherr, der Tiefe Schlund, etc. Aber man gewinnt dennoch nicht den Eindruck, dass hier alte Geschichten wieder aufgewärmt werden, denn die Stationen werden gut begründet miteinander verknüpft.
Die Geschichte erinnert von der Form her stark an eine klassische Detektiv-Geschichte: Ein Verbrechen wird begangen (Meeks stiehlt Landover) von einem Schurken mit persönlichem Motiv (Meeks will Macht). Der Detektiv und sein Sidekick (Ben Holiday und Edgewood Dirk) müssen eine Reihe von Indizien sammeln um das Verbrechen aufklären zu können. Es gibt am Ende sogar eine Aufklärungsszene, in der die kompletten Vorgänge noch einmal aufgerollt werden.

War der erste Band aufgrund seiner grotesken Situationen humorvoll, so versucht der Autor hier neben den grotesken Szenen mit Edgewood Dirk zusätzlich mittels gewollter Komik einige Szenen aufzulockern – was meiner Meinung nach nicht besonders gut gelingt, aber auch nicht sonderlich störend wirkt.
Lesen lässt sich der zweite Band unabhängig vom ersten da alle wichtigen Ereignisse kurz rekapituliert werden. Allerdings geht dann ein wichtiger Hinweis leider verloren und die Entwicklungen der Charaktere (Ben, Weide und der Flussherr) fallen weniger stark ins Gewicht.

Mit der Bewertung habe ich mich dieses mal sehr schwer getan; auf der einen Seite enthält die Geschichte einige hervorragende Elemente – sie ist sehr spannend, man fühlt sich zum miträtseln regelrecht gedrängt, Edgewood Dirk ist großartig und die Auflösung halte ich ebenfalls für gelungen. Dass die Charaktere keine besondere Tiefe entwickeln stört mich hier nicht sonderlich, da in Detektiv-Geschichten so etwas nur ablenkt. Aber die Geschichte läuft etwas zu reibungslos ab, einiges ist zu konventionell und sprachlich sind manche Dinge ungelenk (der Sprachstil der Erdmutter). Letztlich meine ich aber, dass die positiven Elemente gerade beim ersten Lesen deutlich überwiegen.

Cover des Buches "Der silberne Hengst" von James Branch CabellDom Manuel, der Graf von Poictesme, ist fort. Auf dem letzten Konvent seiner getreuen Ritter vom Orden des silbernen Hengstes prophezeit der undurchsichtige Horvendil einem jeden von ihnen das Entschwinden aus dem Land. Und die Voraussagen erweisen sich als wahr, denn die Ritter erleben seltsame Abenteuer, an deren Ende keiner mehr der ist, der er vorher war – wenn er überhaupt noch ist. Eng verknüpft damit ist die wachsende Legende des mittlerweile religiös als Erlöser Poictesmes verehrten Manuel. So werden die Ritter bald Relikte einer vergangenen Zeit und haben mit dem Wandel, der durch die Legende ihres ehemaligen Kameraden veranlasst wurde, und anderen menschlichen Schwächen zu kämpfen.

-Man erzählt sich, wie Dom Manuel, der der hohe Graf von Poictesme war und den man überall als den größten und von Skrupeln unbeflecktesten Glücksritter seiner Zeit ansah, ohne Grund und Vorwarnung am Festtag von St. Michael und allen Engeln aus seiner Burg zu Storiesende entschwunden war.-
1 Kindergerede

Schauplätze und Zeitraum des Geschehens umfassen große Weiten, es geht durch Persien, nach Mittelamerika, nach Inis Dahut und den anderen Wunderinseln, sogar in den Himmel und die entgegengesetzte Richtung, doch Kern ist die (fiktive) südfranzösische Provinz Poictesme des 13. Jh. Die realen Hintergründe werden nur beiläufig eingeflochten, die z.T. sehr phantastischen Gesellschaftsformen und Wesen werden zwar etwas ausführlicher behandelt, dienen aber in erster Linie dazu, die anthropologischen Konstanten zu verdeutlichen.
Magische Elemente gibt es haufenweise, aber sie lassen sich nicht auf eine einfache Formel bringen. Nur ein paar Dinge seien hier genannt: Es treten Engel, Dämonen, Götter und Zauberer auf, doch niemals so, wie der Leser es erwartet.

Auch wenn die Zahl der auftretenden Figuren recht groß ist, läßt sich innerhalb eines Abenteuers der Überblick leicht bewahren, aber darüber hinaus ist es z.T. nicht ganz leicht. Zentrale Rollen spielen sieben der zehn Ritter: Gonfal, ein Realist, der die Wunderinseln besucht und um die Hand der Königin Morvyth anhält; Miramon Lluagor, ein Künstler, der endlich die leuchtenden Bienen Toupans erhält und wieder mit seiner Frau Giséle streitet; Coth, ein Hitzkopf und Querulant, der Manuel im fernen Westen bei den Taolteken sucht; Guivric, ein gewitzter Mann, der im wahrsten Sinne des Wortes um seinen Platz in der Gesellschaft kämpfen muß; Kerin, ein naiver Mensch, den seine Frau Saraïde auf eine langwierige Suche nach den Fragen des Lebens schickt; Nizian, der Rechtschaffendste der Ritter, der wie ein Vogel auftritt – was gläubigen Menschen, weder seiner Frau Balthis noch dem Heiligen Holmendis, nicht gefallen kann und Donander, dem Standfestesten der Zehn, der aus Versehen statt in den Himmel nach Walhalla gelangt. Doch auch die Frau Manuels, die ehemalige Heidin Niafer, die sehr um die Verbreitung der Legende um den christlichen Erlöser Poictesmes bemüht ist, und Jürgen, mal als junger Sohn Coths, mal als alter Pfandleiher, kommen Rollen zu.
Auch wenn die Figuren Inkarnationen von Grundmustern menschlichen Verhaltens sind und keine komplexe Psychologie haben, gelingt es Cabell doch, ihnen allen eine gewisse Einmaligkeit zu verleihen – wer Jürgen gelesen hat, erkennt ihn sofort wieder. Aufgrund der höchst befremdlichen Situationen, in welche die Ritter geraten, stört der Mangel auch nicht besonders.

Der Hauptplot befaßt sich wieder mit Manuel, denn es geht um seine Anpassungsfähigkeit – Mundus vult decipi – selbst nach seinem Verschwinden kann er den Menschen darstellen, was sie sehen wollen. Doch oftmals rückt dieser Strang in den Hintergrund und ins Rampenlicht treten die Nebenplots der einzelnen Ritter – jeder der sieben erhält ein Buch, mit Ausnahme von Coth, der zwei erhält; dazu kommt das erste Buch als Einleitung/Auftakt mit der Prophezeiung Horvendils im Mittelpunkt und das zehnte und letzte Buch als eine Art Abschluß in dem Niafer und Jürgen über Manuel und seine Legende nachdenken.
Die Ritterabenteuer befassen sich immer mit Grundpfeilern des menschlichen Verhaltens und zumeist mit dem Geschlechterverhältnis. Oftmals wird der Sinn und Unsinn des Christentums behandelt. In dem Abenteuer des Miramon Lluagor erhält dieser Toupans leuchtende Bienen, die dem Anwender drei Wünsche gewähren. Doch mit jedem Wunsch wird der schlafende Gott Toupan etwas aktiver, sollte er zur Gänze erwachen, würden die alten Götter zurückkehren und die Schöpfung beenden. Miramons turbulente Variante des 3-Wünsche-Themas entbrennt mit dem klassischen Ehestreit zwischen ihm und Giséle.
Die Nebenplots sind unterschiedlich gut gelungen, manche, wie Guvirics Reise, sind recht schwer zugänglich, da sie zu kryptisch sind, und können daher den Leser nicht so recht mitnehmen. Andere, wie Ninzians Erlebnis, sind dagegen äußerst amüsant. Ihre besondere Qualität erhalten die Geschichten aus der ironischen Überzeichnung der fein beobachteten menschlichen Eigenheiten – spannend sind die Geschichten nur selten.

Der silberne Hengst (The Silver Stallion)
ist der zweite Teil der Chroniken von Poictesme. Er ist zwar ohne weiteres für sich lesbar, da die relevanten Punkte aus Manuels Leben (wenn auch etwas verzerrt) im Kapitel Die Legende von Manuel wiederholt werden, aber mit der Kenntnis der anderen Bücher werden viele Details mit Bedeutung aufgeladen. Insgesamt scheint dieses Buch weniger tiefschürfend zu sein, als es Die Legende von Manuel oder Jürgen ist, dennoch ist dieses eine sehr unterhaltsame Satire auf Ritterromane, Märchen – und das menschlichen Miteinander.
Sprachlich unterscheidet es sich nicht vom üblichen ironischen Stil Cabells; kurze, lakonische Sätze wechseln sich mit langen, geschraubten Reden ab und die Wortwahl ist immer äußerst treffend.

Cover des Buches "Die sterbende Erde" von Jack Vance Die Erde stirbt: Die Sonne ist klein und rot geworden, jedem Wesen auf der Erde ist klar, dass sie früher oder später ganz verlöschen wird. Dann wird die Erde in ewige Dunkelheit gehüllt sein. Doch bis es so weit ist, lebt die degenerierte Gesellschaft den Exzess – jede Nacht wird mit fiebriger Heiterkeit gefeiert und an hohen Festen werden sogar Götter der eigenen Lust geopfert. Inmitten dieser zivilisierten Brutalität und künstlichen Wildnis versuchen einige Menschen ihrem Glück etwas näher zu kommen und begeben sich auf die Suche nach uraltem, verloren geglaubtem Wissen.

Turjan saß mit ausgestreckten Beinen auf einem Hocker in seinem Werkraum, den Rücken gegen den Tisch gelehnt, die Ellbogen darauf gestützt.-
Turjan von Miir

Die von Vance beschriebene Welt ist ungewöhnlich und spannend. Es ist die Erde in einer fernen Zukunft, physisch ausgelaugt, die einst spitzen Berge sind durch den Wind zu sanften Hügeln geschliffen worden, die Natur hat viele Gebiete zurückerobert und es ist nicht immer ratsam, die Wildnis zu bereisen. Denn in den überwucherten Ruinen der Zivilisation treiben sich vielfach groteske Geschöpfe herum und nicht wenige davon sind gefährlich.

“Ich begehre jene, die zu Euch gekommen ist. Ich hungre nach ihrem Fleisch”, erklärte der Deodant mit seiner sanften Stimme. (S. 75)

Wie alle Kreaturen sind auch diese dämonischen Kannibalen immer höflich.
Mit Hilfe der Magie lassen sich seltsamste Kreaturen formen: Mazirian schafft sich wunderschöne Tier-Pflanzen Hybriden; wenn ein Maulwurf sich in seinem Garten zu schaffen macht, schreien sie gequält auf, können sie den Übeltäter verdauen, stöhnen sie befriedigt.
Magie nimmt eine zentrale Stellung ein, sowohl was die Bedeutung als auch was die Häufigkeit angeht; sie ist eine sonderbare Mischung von Technik und traditioneller Magie: Mittels komplizierter mathematischer Formeln kann ein Magier Raum und Zeit falten und die Grundlagen der Materie manipulieren. So lassen sich Menschen mit beliebigem Aussehen und Charakter erschaffen oder mit der “Exzellenten Prismatischen Berieselung” die Feinde mit magischen Pfeilen beschießen. Hört sich wie D&D/AD&D an? Das Magie-System dieses Rollenspiels beruht in weiten Teilen auf Vances Ideen.

Zusammen mit der Sonne schwindet auch die Zivilisation; die Gesellschaft degeneriert. Man ist kaum mehr an der Person seiner Mitmenschen interessiert – dagegen sehr an ihren Fertigkeiten, Besitztümern – oder Äußeren – je nach dem, was gerade benötigt wird.
Die Protagonisten spiegeln dieses mal mehr, mal weniger wieder, aber negative Charaktereigenschaften haben alle; sie sind Individualisten, die ihre persönlichen Ziele anstreben, keiner von ihnen hat das Wohl der Gesellschaft im Sinn, bestenfalls ist ihnen ihr Partner nicht egal.
Hervorstechend ist hier Lian der Troubadourbandit. Leichtfüßig und mit viel Charme tänzelt er von Eskapade zu Eskapade, so daß man dem fröhlichen und farbenfrohen Schelm seine grausamen Folterungen und Morde fast nicht übel nimmt.

Das Buch besteht aus einer Reihe von sehr lose miteinander verknüpften Questen. Da ist Turjan, der von Pandelume die Urmatrix erbittet, um in seinen Trögen Menschen züchten zu können; Mazirian, der die schöne T`sain fangen und Turjan sein Wissen abpressen will; T`sais, die nur Haß und Häßlichkeit kennt, sucht Liebe und Schönheit; Lian will ein Artefakt erlangen, um sich die sanfte Hexe Lith gefügig zu machen; Ulan Dhor sucht nach den Tafeln des Rogol Domedonfor, die das Wissen der Menschheit tragen, um seine persönliche Stellung am Hofe zu verbessern und schließlich will Guyal von Sfere den Kurator des Museums der Menschheit finden, damit er die Leere in seinem Gehirn füllen kann.
Mögen die Plots eintönig scheinen, gewinnt die Geschichte durch die ungewöhnlichen Charaktere; im Vordergrund steht immer die Schilderung der bizarren, sterbenden Erde.

Sprachlich ist das Werk durchaus gelungen. Die Sätze sind meistens einfach, aber dafür mit Eleganz zusammengestellt. Das Vokabular ist üblicherweise unkompliziert, an passender Stelle aber durchaus malerisch bis überbordend.

Ob die Geschichte überhaupt zur Fantasy gehört oder doch zur Science Fiction, hängt sicherlich vom Standpunkt des Lesers ab. Einerseits könnte man in der Magie nur eine besondere Wissenschaft, eine Unterart der Mathematik sehen und die sonderbaren Kreaturen für Auswüchse der Kreativität von Menschen mit der Fähigkeit, Materie zu formen, halten, andererseits funktioniert die Geschichte aber genau wie ein Fantasy-Abenteuer und die Artefakte der untergegangenen Zivilisation mögen zwar technischer Art sein, erscheinen den Protoganisten aber wie Produkte des Übernatürlichen. Meiner Meinung nach ist die Geschichte wie die Magie ein Hybrid der Fantasy und SciFi.

Cover des Buches "Die Stunde des Minotauren" von Thomas Burnett SwannThea und Ikaros sind die Kinder des Königs von Kreta, welches von einer Invasion der kriegsliebenden Archäer erschüttert wird. Nachdem sich Thea aber nicht von deren Anführer Ajax vergewaltigen lässt, wirft man sie in die Höhle des Minotauren. Doch dieser entpuppt sich aber als ihr Pate und nimmt die beiden bei sich auf. Nach einigen anfänglichen Problemen können die beiden königlichen Flüchtlinge auch den Wald und das Erbe der Tiermenschen akzeptieren, denn ihre Mutter war eine Dryade. Doch werden die gewalttätigen Archäer mit ihren Totengöttern das Tabu einhalten, welches die Große Mutter auf den Wald der Tiermenschen legte, wie die Kretaer es tun?

Diese wahre Geschichte, die ich hier niederschreibe, berichtet hauptsächlich von Prinzessin Thea, der Nichte des großen Königs Minos, und von ihrem Bruder Ikaros, benannt nach dem bedauernswerten Sohn Dädalus’, der im Meer ertrank, als das Wachs seiner Schwingen schmolz.-
1. Die Hölzernen Schwingen

Das Geschehen in Die Stunde des Minotauren (Day of the Minotaur) findet zum Großteil im Wald der Tiere statt, nur die ersten zwei Kapitel spielen im antiken Kreta der minoischen Palastkultur und diese sind sehr handlungsreich, daher spielt die Kultur Kretas nur eine sehr untergeordnete Rolle.
Der Zauberwald ist in erster Linie nur ein Wald mit ungewöhnlichen Bewohnern. Im Gegensatz zum zweiten Teil (der allerdings später geschrieben wurde) könnte hier die Fremdartigkeit stärker hervorgehoben werden, zumal die Kinder zunächst Fremde aus dem zivilisierten Teil Kretas sind.

Die Bewohner des Waldes sind eng an die antike griechisch-minoische Mythologie angelehnt, wenngleich zuweilen mit einem Kniff versehen.
Es gibt die weisen und kriegserfahrenen Zentauren, angeführt vom mächtigen Chiron; die schönen und frivolen Dryaden, die eng mit ihrer Eiche verbunden sind; die ewig unreifen und frechen Panisken, Wesen zur Hälfte Mensch, zur Hälfte Ziege; die scheuen und ängstlichen Artemisbärinnen und die heimtückischen und kriminellen Thriae, Wesen die viel Ähnlichkeit mit Bienen aufweisen.
Schließlich ist da der letzte Minotaur, der gewaltige Eunostos. Er ist ein sieben Fuß großes Muskelpaket, anstelle von Füßen hat er Hufe und Hörner ragen aus seinen roten Haaren hervor – eine einschüchternde Gestalt, besonders dann, wenn er mit dröhnender Stimme brüllt. Dennoch ist er ein sanftes Wesen, ein Handwerker, der seinen Garten, die Poesie – und Thea liebt.
Sie ist die Tochter von Aeacus, des Königs von Minos, und einer Dryade, daher ist die 16jährige Frau bezaubernd schön, mit leicht grün schimmernden Haaren und spitzen Ohren. Sie fürchtet den Wald und die Tiere, auch wenn sie sich zum Minotauren hingezogen fühlt, will die zurückhaltende Kreterin ihn eher kultivieren als akzeptieren. Ihrem Bruder Ikaros fällt es viel leichter das Erbe ihrer Mutter anzunehmen und schnell wird aus dem Jungen ein junger Mann.
Daneben gibt es noch einige weitere, wie Zoe, die Dryade, eine gute Freundin von Eunostos; Moschus, ein alternder Zentaur und der Liebhaber von Zoe und Pandia, die Artemisbärin, die sich stets in der Nähe des jungen Ikaros aufhält; sie kommt allerdings nicht über den Status des comic-relief hinaus. Auch wenn diesen Figuren nicht viel Raum zugestanden wird, sind es keine bloßen Abziehbilder, denn ihr Verhalten lässt Stärken und Schwächen vermuten – selbst Ajax, der Anführer der Archäer, ist kein Monster.

Auch wenn der Plot mittlerweile nichts ungewöhnliches mehr darstellt – es geht um die unterschiedlichen Möglichkeiten der Menschen mit der Natur umzugehen – so ist die Geschichte doch schwer einzuordnen. Zu Beginn und am Ende gibt es einiges an physischer Action, der Mittelteil ist eher ruhig und gibt Dialogen, inneren Monologen und Beschreibungen viel Raum. Der Spannungsbogen verläuft somit parabelförmig, wobei der Scheitelpunkt zugleich der Tiefpunkt ist.
Im Zentrum des Geschehens steht die Liebe zwischen Eunostos und Thea, doch diese müsste eindringlicher geschildert werden, damit sie ganz wirken kann. Ein anderer Strang ist das Erwachsenwerden von Thea und Ikaros, dieses verläuft aber leider zu sprunghaft – einzelne Augenblicke markieren deutlichen Wandel. Auf der anderen Seite stehen die plündernden Archäer, die möglichst viel Reichtum aus der Beutefahrt schlagen wollen und in ihrer Gier vor alten Tabus nicht halt machen.

Die Geschichte wird von Eunostos aus der Ich-Perspektive erzählt, wenn er anwesend ist, sonst aus der Personalen-Perspektive einer der zentralen Figuren. Die Sätze sind flüssig und die Wortwahl ist treffend, passt aber nicht immer gut zu dieser vielfach langsamen und leicht melancholischen Geschichte.

Die Aufmachung ist – wie für die Terra Fantasy Reihe üblich – sehr spartanisch, es gibt keine Extras außer einem Vorwort von Hugh Walker und auch das ist dieses Mal nicht besonders interessant – Walker fasst kurz die Ereignisse des zweiten Teils der Reihe zusammen (was Swann auch in der Geschichte macht, nur dieser ist etwas ausführlicher) und gibt eine Kurzbiographie hinzu. Das Titelbild ist wieder einmal nicht besonders gelungen – welcher streitlustige Zentaur schleppt wann welche nackte Frau umher? Eine solche Szene gibt es nicht, tatsächlich dreht sie den Impetus der Geschichte sogar um!

Cover des Buches "Through the looking glass" von Lewis CarollIm Spiel mit ihrem kleinen schwarzen Kätzchen vertieft, überlegt das Mädchen Alice sich, wie lustig es auf der anderen Seite des Spiegels wohl sein mag, und so geht sie durch diesen ins Spiegelhaus. Sich dort umschauend sieht sie, wie die Figuren des Schachspiels lebendig werden. Auch sonst ist einiges sonderbar, und Alice beschließt sich den Garten anzusehen, was ihr zunächst sehr schwer fällt, da die Wege vom Haus weg zum Haus hinführen. Erst nach einigen Anstrengungen kann sie dem Haus entkommen. Im Garten trifft sie auf die Schwarze Königin, die dem Mädchen erklärt, wie es vom Bauern zur Königin werden kann. Alice nimmt die Herausforderung an und beginnt eine höchst bizarre Reise…

-One thing was certain, that the white kitten had had nothing to do with it: – it was the black kitten’s fault entirely.-
Chapter 1 Looking-Glass House

Die Welt hinter dem Spiegel ist eine höchst eigenartige, verzerrte und verdrehte Variante des “realen” Englands des späten 19. Jh., auch wenn es nirgends explizit erwähnt wird, so schimmert doch das Britische überall durch.
Um ihr Ziel zu erreichen, muss Alice zur anderen Seite des Landes reisen, welches in schachbrettartige Felder unterteilt ist. Wobei es beim Überqueren der Feldergrenzen zu drastischen Veränderungen kommen kann – während sie im ersten Feld noch auf einer Wiese geht, sitzt sie nach dem Übergang plötzlich in einem fahrenden Zug und wird von einem Schaffner angeschnauzt.

Unterwegs trifft Alice auf äußerst bizarre Figuren; so unterhält sie sich mit sprechenden Blumen – einige sind hilfsbereit, andere sind besserwisserisch; sie lernt die Weiße Königin, eine etwas hilflos wirkende Dame, die in der Zeit rückwärts lebt, und die Schwarze Königin, die sich Alice gegenüber sehr ambivalent verhält, kennen; sie muss sich mit den aufgeblasenen Brüdern Tweedledum und Tweedledee auseinandersetzen, die Höflichkeit einfordern, aber selbst unhöflich sind; sie lässt sich vom eiförmigen Humpty Dumpty das Gedicht vom Jabberwocky erklären und vom tolpatschigen Weißen Ritter, der viele fragwürdige Erfindungen macht, gegen den Schwarzen Ritter, der die Kleine gefangen nehmen will, verteidigen.
Daneben trifft sie ein Schaf, das einen Kaufmannsladen führt, den Weißen König und seine Boten, den Löwen und das Einhorn und zahllose andere groteske Gestalten.

Das die Figuren irgendwie plausibel seien, wird niemand behaupten, denn sie verhalten sich dermaßen absurd, dass selbst die einfachsten Gespräche zur Herausforderung werden – die anderen akzeptieren kaum die alltäglichen Deutungen. Besonders deutlich wird dieses bei Redewendungen: Als Humpty Dumpty erklärt, dass er lieber Un-Geburtstagsgeschenke möge, bittet Alice mit “Beg your pardon?” um eine Erläuterung, doch ihr Gesprächspartner nimmt es wörtlich: “I’m not offended.” Dennoch sind die Figuren alle einzigartig, keine ist ein bloßes Klischee oder unausgereift.

Alice selbst ist genau sieben Jahre und sechs Monate alt, sie hat viel Phantasie und Abenteuerlust. Während sie in der “Realität” die Unvernünftige ist, wird sie in der Spiegelwelt scheinbar zur Vernünftigsten, gemessen an den normalen Maßstäben; gemessen an denen der anderen Welt ist sie auch hier unvernünftig. In der ganzen Geschichte ist sie die einzige plausible Figur, Carroll trifft die Eigenarten eines Kindes wieder sehr gut.

Der Plot an sich ist relativ nebensächlich: Um eine Königin zu werden muss Alice, die als Weißer Bauer startet, ins achte Feld und so macht sie sich auf die Reise. Der Schwerpunkt der Story liegt ganz deutlich auf den grotesken Begegnungen, die mal komisch sind (oder furchterregend, wenn man sie ernst nimmt) und mal zum Nachdenken über Sinn und Unsinn von Sprache und Gebräuchen anregen.
Dieses erreicht Carroll einerseits durch seine Wortspiele und andererseits durch die (alp-)traumhaften Wandlungssequenzen. Im Vergleich zum ersten Buch ist Through the Looking Glass (Alice hinter den Spiegeln) düsterer geraten; es fehlt zwar an einer Bedrohung, aber durch die schnellen Verwandlungen und abrupten Wechsel wird das gewohnte Kausalitätsgefüge noch stärker aufgebrochen.

Außerdem werden viele Gedichte und Lieder zum Besten gegeben, die durchaus gelungen und nicht bloßer Selbstzweck sind. Der geneigte Leser sollte einmal das Jabberwocky-Gedicht mit getragener Stimme vortragen; gerade die erste Strophe klingt sehr bedeutsam und bedeutet doch nichts. Das Lied vom Walross und Tischler, welche die Austern zum Picknick überreden und diese dann verspeisen, dient dazu, ein moralisches Dilemma aufzuwerfen: Wer ist schlimmer, das Walross, welches mehr Austern aß, aber den Tod der Austern betrauert, oder der Tischler, der weniger aß, aber soviel, wie er bekam? Das Gedicht regte Terry Gilliam (Monty Python) zum Film Jabberwocky an und auf das Lied bezieht sich Matt Damon als Loki in dem Film Dogma, als er der Nonne erklärt, warum er seinen Glauben verlor. Man sieht, auch der zweite Teil ist nicht ohne Wirkungsgeschichte.

Zum ersten Teil, Alice’s Adventures in Wonderland (Alice im Wunderland), gibt es allerdings nahezu keine Beziehung – Alice ist dieselbe, allerdings etwas selbstsicherer, und es gibt ein paar Andeutungen, so ist wohl Haigha der Hase und Hatta der Hutmacher der verrückten Teeparty.

Die Sprache ist wiederum unglaublich elegant und flüssig, allerdings nicht ganz so kunstvoll wie im Vorgänger. Außerdem wird es etwas schwieriger, da Carroll ungebräuchlichere Worte wählt. Dennoch sollte man sich nicht von der englischen Ausgabe abschrecken lassen.

Cover des Buches "Der Turm der Göttin" von Jane GaskellCija ist die Tochter der Königin, deren Geschlecht sich von den Göttern ableitet. Um eine Prophezeiung, die Fremdherrschaft für das Land verheißt, zu verhindern, wurde sie siebzehn Jahre lang in einem Turm fernab der Gesellschaft gehalten, doch nun verlangt der mächtige Feldherr Zerd, der mit seinen Truppen das Land besetzt hält, einige Geiseln, so auch Cija. Sie erhält die Aufgabe ihn zu verführen und dann in der Nacht zu ermorden. Zerd aber scheint zunächst an ihr nicht interessiert zu sein, sein Ziel ist es, das ferne und unerreichbare Atlantis zu erobern. Dazu jedoch benötigt er die Flotte des Südreiches. So macht sich Cija, die Tochter der Götter, auf eine lange Reise in den tiefen Süden, auf der sie in der Gesellschaft immer tiefer sinkt…

-Von keinem anderen Fenster aus kann ich die Dinge so gut sehen.-
Der Turm

Das Geschehen findet wohl in einem prähistorischen Mittel- und Südamerika statt, es könnte aber genauso auf einer Sekundärwelt stattfinden, so wenig hat diese Welt mit der unseren gemein. In Cijas Heimat herrscht eine matriarchalische Dynastie, die allerdings von den Priestern stark unter Druck gesetzt wird. Die Nordländer, deren Feldherr Zerd ist, haben einen sehr militaristischen König als Herrscher, die Südländer einen militaristischen Gottkaiser.

Bei der Beschreibung der Techniken der Kulturen bleibt Gaskell einigermaßen vage: Es gibt Bauern, die Pflüge und künstlichen Dünger benutzen, Brennstoffhändler, die mit Torf und Holz handeln, prachtvolle Steinbauten und Springbrunnen. Großer Reichtum Weniger ist mit allgemeiner Armut gepaart. Die Soldaten nutzen Speere und Schwerter, die Nordländer reiten große straußenähnliche Reitvögel, die Südländer Pferde. Die sehr phantasievoll und prachtvoll herausgeputzten Frauen werden z.T. detailliert beschrieben. Gaskell hat eine sehr originelle Welt geschaffen, die bis heute ungewöhnlich geblieben ist.
Die magischen Elemente sind jedoch auf einem sehr niedrigen Niveau angesiedelt, z.T. muss der Leser schon genau hinsehen um eines als solches zu erkennen. Einige sind jedoch für den Verlauf der Geschichte nicht unerheblich.

Die phantastischen Elemente, die sich am Feldherrn Zerd manifestieren, gehören zu den weniger bedeutsamen, aber dafür offensichtlicheren, denn seine Mutter entstammt einer dunkel-schuppigen nicht-menschlichen Rasse, nur sein Vater war ein Mensch. Zerd selbst hat ebenfalls eine Haut wie von einer Schlange – daher rührt auch sein Spitzname: Der Drache.
Zerd ist ein begnadeter Feldherr und gewiefter Politiker, auch physisch ist er herausragend, dennoch ist er kein Übermensch – auch er kann nur das Machbare schaffen. Er kann grausam und hart sein, aber auch mitfühlend und freundlich – generell scheinen andere Menschen aber nur Instrumente für ihn zu sein.

Cija ist die Hauptperson, die ihr Tagebuch schreibt. Da sie Gespräche z.T. wörtlich wiedergibt, gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen, wenn Cija jemand ihr Verhalten vorwirft. Sie ist feinfühlig und naiv, auch wenn sie  sehr schnell und sehr viel hasst, so wird sie doch eher von ihrem Mitgefühl bestimmt. Sie ist nicht dumm, denn sie hat in ihrer Jugend ihre Bibliothek ausgiebig genutzt. Daher kann sie z.B. erkennen, dass die meisten Männer nur den Körper der Frauen gebrauchen und deren Aussehen relativ egal ist – dennoch will sie Zerd, den sie doch hasst, gefallen und schön für ihn aussehen.
Mal reflektiert sie bewusst über derartige Zwiespältigkeiten, mal nicht. Je nachdem, in welcher Lage sie sich gerade befindet, übernimmt sie passende Ansichten, um sich in der Situationen zurecht zufinden – sie ist auf der Suche nach einer Gemeinschaft, der sie sich anschließen kann, dafür gibt sie viele ihrer alten Positionen auf.

Daneben gibt es noch unzählige weitere Figuren, einige spielen größere Rollen, wie Smahil, der auch eine Geisel ist, die ungewöhnliche Priesterin Ooldra, die kleine Narra, die Cija verehrt oder die Schönste, welche die Konkubine Zerds ist, andere treten nur kurz auf. Alle Figuren wirken glaubwürdig, vielfach streiten kleine Eitelkeiten, das Gewissen und Rationalität der Figuren miteinander. Auch ist es der Autorin gelungen eine ungewöhnliche Bandbreite von Charakteren darzustellen. Die Figuren sind sicherlich eines der Glanzstücke der Geschichte.

Cija beschreibt in ihrem Tagebuch ihren Alltag, der allerdings von Leiden massiv geprägt ist. Auch wenn Cijas Geschichte zunächst einigermaßen geradlinig aussieht, wird sie im Laufe der Zeit doch immer verworrener und zielloser.
Es werden viele unangenehme Themen angeschnitten: Es geht um Gewaltanwendung als Strafmaßnahme und aus Langeweile, es geht um Vergewaltigung und die Stellung der Frau in der Gesellschaft, insbesondere wenn ein feindliches Heer in ein Territorium eindringt, Armut, Sklaverei, Fremdenfeindlichkeit und Genderbending. Vieles davon erfährt Cija am eigenen Leib, so muss sie sich eine Zeit lang als Junge verkleiden und lernt einen Jungen kennen, der lieber eine Frau wäre. In seinem Heimatdorf würden ihn die Mitbewohner töten, würden sie von seiner “Perversion” erfahren.

Auch wenn es sich vielfach ausgedehnte Beschreibungen gibt, besonders am Anfang, ist die Geschichte doch spannend und der Leser will erfahren, wie es mit Cija weitergeht. Als Manko könnte man aber die vielen Zufälle, die sich ereignen, werten. Der Stil ahmt den eines Tagebuchs tadellos nach, selbst die Wandlungen, denen Cija unterliegt, werden leicht angedeutet.
Jane Gaskell hat The Serpent als einen Roman verfasst, erst später wurde dieser zweigeteilt – in den “ersten” Band The Serpend/Der Turm der Göttin und den “zweiten” Band The Dragon/Der Drache, das Ende ist daher nicht besonders befriedigend – man muss dafür schon den “zweiten” Teil lesen.