Nach den Ereignissen um das Amulett von Samarkand sind zwei Jahre vergangen, zwei Jahre, in denen aus Nathaniel immer mehr John Mandrake, ein ehrgeiziger, gewissenloser Zauberer wurde. Er ist nun mit der Aufgabe betraut worden, die Resistance zu zerschlagen, aber Anhaltspunkte hat er wenige: Er war vor zwei Jahren Kitty, Stan und Fred begegnet. Dann aber richtet etwas Mächtiges großen Schaden in London an – die Verantwortlichen entscheiden, daß es in Mandrakes Ressort fällt, dieses aufzuklären. Aber auch die Resistance um Kitty steht vor einem großen Problem, denn die gegenwärtige Strategie ist ausgereizt. Da teilt ihr Anführer mit, er habe einen Plan, nach dessen Erfolg London in den Grundfesten erschüttert werden könnte…
-At dusk, the enemy lit their campfires one by one, in greater profusion than on any night before.-
Prologue. Prague, 1868
Das Geschehen in the Golem’s Eye (Das Auge des Golem) findet hauptsächlich in London statt, aber es gibt auch kurze Ausflüge nach Prag. Die Herrschaft des von einer Clique machtgieriger, arroganter und hartgesottener Zauberer kontrollierten Britischen Empire zeigt erste Risse: Die Yankees der nordamerikanischen Küste streben nach Unabhängigkeit, das vor 150 Jahren zerschmettere Tschechische Kaiserreich beginnt sich wieder zu rühren und daheim in London agiert die Resistance gegen das Diktat der Zauberer.
In vielen Punkten scheint es die Moderne zu sein: Die Zauberer fahren in dunklen Limousinen, lassen Fotokopien machen und fliegen mit Flugzeugen. Doch dann gibt es eigenartige Rückständigkeiten: Die Schiffahrt wird mit Windkraft betrieben, Soldaten tragen bunte, klimpernde Uniformen und benutzen keine vollautomatischen Waffen. Die Geschichte spielt zwar ausschließlich in Städten, aber ein Gefühl der Urbanität wird nicht vermittelt. Die magischen Elemente dominieren die Geschichte. Da sind die Zauberer, die von ihnen kontrollierten Dämonen, beide sprechen Zaubersprüche und die Mitglieder der Resistance, die alle eine gewisse Resistenz gegenüber Magie besitzen, haben häufig noch eine weitere magische Fähigkeit. Echte nicht-magische Leute und Gegenstände treten nur sehr am Rande auf und haben fast keine Bedeutung. Insgesamt bleibt unklar, welche Zaubersprüche nur Dämonen sprechen können und welche auch von Zauberern genutzt werden können. Dann ist nicht klar, was sich mit Zaubersprüchen alles anfangen läßt oder welche Dämonen über welche Fähigkeiten verfügen: Irgendein kleiner Foliot kann sich unsichtbar machen und Bartimaeus nicht – warum? An diesem Kritikpunkt hat sich also seit dem ersten Band nichts verändert.
Figuren treten zwar nur drei zentrale auf, doch daneben gibt es eine ganze Anzahl weiterer: Kittys Eltern, die anderen Mitglieder der Resistance, ein alter Freund, dann zahllose Zauberer aus den unterschiedlichen Ministerien und “Dämonen”. Einige haben allerdings so kurze Auftritte, daß man sich fragt, warum die überhaupt einen Namen erhalten haben. Vielfach neigen die Figuren leider dazu, sehr ähnliche Charaktere zu haben: Alle Zauberer sind machtgierig und gewissenlos, die meisten “Dämonen” neigen zu einer fatalistischen Sklavenhaltung. Interessant und gelungen dagegen sind die Gewöhnlichen (inklusive der Resistance), hier finden sich Kollaborateure, zögerliche Regimegegner und aktive Widerständische mit vielen unterschiedlichen Motivationen. Die drei zentralen Figuren sind Kitty, Nathaniel und Bartimaeus. Kitty ist seit drei Jahren ein Mitglied der Resistance. Zunächst will das Mädchen einfach nur Rache, aber langsam entsteht ein Einsehen, daß diese Haltung zu nicht viel führen wird. Nathaniel, der sich John Mandrake nennt um seinen wahren Namen zu schützen, ist der Assistent von Mr. Tallow, dem Vorsitzenden der Internen Angelegenheiten. Nathaniel will einerseits Rache für die Demütigung, die er vor zwei Jahren von der Resistance erlitten hatte, und andererseits mehr Macht. Auch wenn er mehr und mehr John Mandrake wird, ist da noch ein Rest vom idealistischen Nathaniel. Bartimaeus schließlich ist ein uralter Djinn, der mehr oder minder widerwillig die Befehle seines Meisters – Nathaniel – ausführt. Mit einem sarkastischen Kommentar ist er allerdings schnell bei der Hand.
Die Geschichte besteht aus zwei Plotsträngen, die nach und nach zusammengeführt werden – allerdings nicht so, wie man meinen könnte. In einem Strang geht Nathaniel den sonderbaren Geschehen in London nach und muß sich immer wieder Gedanken über die Resistance machen. Dieser Strang erinnert an eine hardboiled Detektiv-Geschichte – nur nicht so “hard”. Nathaniel und Bartimaeus ziehen umher, sammeln Hinweise und geraten in gefährliche Situationen. Hinzu kommt noch ein bißchen Intrigengerangel und viel Korruption. Der andere Strang ist auf Kittys Entwicklung fokussiert – quasi eine Entwicklungsgeschichte. Hier werden ihre wichtigsten Erfahrungen geschildert – warum sie schlecht auf Zauberer zu sprechen ist, wie sie zur Resistance kam und wie sie bemerkte, daß es so nicht weitergeht, bis hin zum großen Coup – und was daraus wird. Hätte es nicht eine so starke Anbindung an die Politik und die Moderne, dann wäre diese Abenteuerhandlung klassischer Sword & Sorcery mit dem vielen Verstecken, Schleichen, Stehlen, Kämpfen und Flüchten sehr ähnlich.
Die Geschichte hat Schwächen am Anfang: Einiges wirkt zu gewollt; Bartimaeus kann man bei seinem schnellen Einknicken seine Wut kaum abnehmen, ausgerechnet Nathaniel soll die Resistance zur Strecke bringen, etc. Auch kommt die Geschichte nur langsam in Fahrt, erst nach knapp hundert Seiten geht es im Hauptplot voran, Kittys Vorgeschichte zieht sich sogar noch etwas länger hin. Dann aber wird es spannend und spannender, es gibt einige echte Überraschungen und ein Ende, das auf die Fortsetzung gespannt macht.
Die Geschichte ist der zweite Teil der Bartimaeus-Trilogie. Zwar ist sie im Großen und Ganzen abgeschlossen, doch es gibt auch einige Fäden, die aus dem ersten Teil stammen und einige Fäden, die noch am Ende offen bleiben.
Es werden drei Erzählperspektiven genutzt. Kittys und Nathaniels Kapitel werden jeweils aus der personalen Perspektive erzählt, Bartimaeus tritt dagegen als Ich-Erzähler auf. In Bartimaeus’ Kapiteln wird häufig von Fußnoten Gebrauch gemacht, um die unterschiedlichen Ebenen seines Denkens zu symbolisieren. Leider tendiert der Autor dazu Action-Szenen durch Fußnoten massiv an Geschwindigkeit – und damit an Spannung zu nehmen. Während seine Kapitel vor Ironie und Sarkasmus sprühen, sind die der beiden Anderen deutlich ernster. Die Sätze sind einigermaßen unauffällig und die Wortwahl ist immer treffend.