Zyklus: Atlantis-Zyklus

Cover des Buches "Der Turm der Göttin" von Jane GaskellCija ist die Tochter der Königin, deren Geschlecht sich von den Göttern ableitet. Um eine Prophezeiung, die Fremdherrschaft für das Land verheißt, zu verhindern, wurde sie siebzehn Jahre lang in einem Turm fernab der Gesellschaft gehalten, doch nun verlangt der mächtige Feldherr Zerd, der mit seinen Truppen das Land besetzt hält, einige Geiseln, so auch Cija. Sie erhält die Aufgabe ihn zu verführen und dann in der Nacht zu ermorden. Zerd aber scheint zunächst an ihr nicht interessiert zu sein, sein Ziel ist es, das ferne und unerreichbare Atlantis zu erobern. Dazu jedoch benötigt er die Flotte des Südreiches. So macht sich Cija, die Tochter der Götter, auf eine lange Reise in den tiefen Süden, auf der sie in der Gesellschaft immer tiefer sinkt…

-Von keinem anderen Fenster aus kann ich die Dinge so gut sehen.-
Der Turm

Das Geschehen findet wohl in einem prähistorischen Mittel- und Südamerika statt, es könnte aber genauso auf einer Sekundärwelt stattfinden, so wenig hat diese Welt mit der unseren gemein. In Cijas Heimat herrscht eine matriarchalische Dynastie, die allerdings von den Priestern stark unter Druck gesetzt wird. Die Nordländer, deren Feldherr Zerd ist, haben einen sehr militaristischen König als Herrscher, die Südländer einen militaristischen Gottkaiser.

Bei der Beschreibung der Techniken der Kulturen bleibt Gaskell einigermaßen vage: Es gibt Bauern, die Pflüge und künstlichen Dünger benutzen, Brennstoffhändler, die mit Torf und Holz handeln, prachtvolle Steinbauten und Springbrunnen. Großer Reichtum Weniger ist mit allgemeiner Armut gepaart. Die Soldaten nutzen Speere und Schwerter, die Nordländer reiten große straußenähnliche Reitvögel, die Südländer Pferde. Die sehr phantasievoll und prachtvoll herausgeputzten Frauen werden z.T. detailliert beschrieben. Gaskell hat eine sehr originelle Welt geschaffen, die bis heute ungewöhnlich geblieben ist.
Die magischen Elemente sind jedoch auf einem sehr niedrigen Niveau angesiedelt, z.T. muss der Leser schon genau hinsehen um eines als solches zu erkennen. Einige sind jedoch für den Verlauf der Geschichte nicht unerheblich.

Die phantastischen Elemente, die sich am Feldherrn Zerd manifestieren, gehören zu den weniger bedeutsamen, aber dafür offensichtlicheren, denn seine Mutter entstammt einer dunkel-schuppigen nicht-menschlichen Rasse, nur sein Vater war ein Mensch. Zerd selbst hat ebenfalls eine Haut wie von einer Schlange – daher rührt auch sein Spitzname: Der Drache.
Zerd ist ein begnadeter Feldherr und gewiefter Politiker, auch physisch ist er herausragend, dennoch ist er kein Übermensch – auch er kann nur das Machbare schaffen. Er kann grausam und hart sein, aber auch mitfühlend und freundlich – generell scheinen andere Menschen aber nur Instrumente für ihn zu sein.

Cija ist die Hauptperson, die ihr Tagebuch schreibt. Da sie Gespräche z.T. wörtlich wiedergibt, gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen, wenn Cija jemand ihr Verhalten vorwirft. Sie ist feinfühlig und naiv, auch wenn sie  sehr schnell und sehr viel hasst, so wird sie doch eher von ihrem Mitgefühl bestimmt. Sie ist nicht dumm, denn sie hat in ihrer Jugend ihre Bibliothek ausgiebig genutzt. Daher kann sie z.B. erkennen, dass die meisten Männer nur den Körper der Frauen gebrauchen und deren Aussehen relativ egal ist – dennoch will sie Zerd, den sie doch hasst, gefallen und schön für ihn aussehen.
Mal reflektiert sie bewusst über derartige Zwiespältigkeiten, mal nicht. Je nachdem, in welcher Lage sie sich gerade befindet, übernimmt sie passende Ansichten, um sich in der Situationen zurecht zufinden – sie ist auf der Suche nach einer Gemeinschaft, der sie sich anschließen kann, dafür gibt sie viele ihrer alten Positionen auf.

Daneben gibt es noch unzählige weitere Figuren, einige spielen größere Rollen, wie Smahil, der auch eine Geisel ist, die ungewöhnliche Priesterin Ooldra, die kleine Narra, die Cija verehrt oder die Schönste, welche die Konkubine Zerds ist, andere treten nur kurz auf. Alle Figuren wirken glaubwürdig, vielfach streiten kleine Eitelkeiten, das Gewissen und Rationalität der Figuren miteinander. Auch ist es der Autorin gelungen eine ungewöhnliche Bandbreite von Charakteren darzustellen. Die Figuren sind sicherlich eines der Glanzstücke der Geschichte.

Cija beschreibt in ihrem Tagebuch ihren Alltag, der allerdings von Leiden massiv geprägt ist. Auch wenn Cijas Geschichte zunächst einigermaßen geradlinig aussieht, wird sie im Laufe der Zeit doch immer verworrener und zielloser.
Es werden viele unangenehme Themen angeschnitten: Es geht um Gewaltanwendung als Strafmaßnahme und aus Langeweile, es geht um Vergewaltigung und die Stellung der Frau in der Gesellschaft, insbesondere wenn ein feindliches Heer in ein Territorium eindringt, Armut, Sklaverei, Fremdenfeindlichkeit und Genderbending. Vieles davon erfährt Cija am eigenen Leib, so muss sie sich eine Zeit lang als Junge verkleiden und lernt einen Jungen kennen, der lieber eine Frau wäre. In seinem Heimatdorf würden ihn die Mitbewohner töten, würden sie von seiner “Perversion” erfahren.

Auch wenn es sich vielfach ausgedehnte Beschreibungen gibt, besonders am Anfang, ist die Geschichte doch spannend und der Leser will erfahren, wie es mit Cija weitergeht. Als Manko könnte man aber die vielen Zufälle, die sich ereignen, werten. Der Stil ahmt den eines Tagebuchs tadellos nach, selbst die Wandlungen, denen Cija unterliegt, werden leicht angedeutet.
Jane Gaskell hat The Serpent als einen Roman verfasst, erst später wurde dieser zweigeteilt – in den “ersten” Band The Serpend/Der Turm der Göttin und den “zweiten” Band The Dragon/Der Drache, das Ende ist daher nicht besonders befriedigend – man muss dafür schon den “zweiten” Teil lesen.

Cover von Der Drache von Jane GaskellFür Cija haben sich die Dinge drastisch gewandelt: Einst war sie als Tochter der Königin eine Göttin, dann war sie eine ehrenvolle Geisel des Feldherren Zerd mit dem dramatischen und patriotischen Auftrag, diesen zu töten. Doch sie konnte es nicht und danach hat sich die ganze Angelegenheit als Farce herausgestellt. Nach langem Leidensweg ist sie die Geliebte Smahils geworden, der ihren Körper liebt und ihre Seele verachtet. Allerdings kann diese Situation nicht lange gut gehen, zumal die Verbündeten Südländer mit den eigenen Nordländern immer häufiger aneinander geraten. Schließlich muß Cija wieder einmal fort und es scheint sie habe endlich einmal Glück, denn der Hohepriester Kaselm führt sie als Göttin am Hof des Gottkaisers der Südländer ein…

-Smahil hob mich in den Sattel und hülte mich fürsorglich in seinen Umhang.-
Das Bett in der Südmetropole

Die Geschichte schließt nahtlos an den Turm der Göttin, den ‘ersten’ Teil, an – kein Wunder, da die Autorin diese ‘zwei’ Teile als einen Roman schrieb und erst viel später getrennt wurden. Wer den ‘ersten’ Teil nicht gelesen hat, wird sicherlich nicht alles nachvollziehen können.

Das Geschehen ist im prähistorischen Südamerika angesiedelt, aber dieses ist dem Leser so fremd, das es genauso gut eine Sekundärwelt sein könnte. Die Nordländer und die Südländer hassen sich, da beides stark chauvinistische Reiche sind – zu dumm, daß die Nordländer mit einer schwachen Armee von unerfahrenen Soldaten mitten unter ihren ‘Verbündeten’ im Südreich stehen. Der Leser erhält Einblick in das Leben am Hofe des Gottkaisers, seine prachtvollen Gebräuche, die dekadenten Adligen und den großen Einfluß der Priesterkaste – Cija würde sich wohlfühlen, wären da nicht ihre Alpträume.
Die phantastischen Elemente sind wieder sehr unaufdringlich, aber dennoch handlungsbestimmend; erst am Ende treten sie deutlicher auf. In diesem Zusammenhang finden auch die vielen Zufälle der Geschichte eine Erklärung – ob sie dem Leser zusagt, steht auf einem anderen Blatt.
Figuren treten wieder sehr viele auf. Wie schon im Vorgänger gibt es kaum klare Positionen, beinahe keine Figur ist einfach gut und keine ist einfach böse; alle haben ihre persönlichen Gründe zu handeln, wie sie es tun. Cija ist kein naives Kind mehr und auch wenn sie zuweilen vermeint frei und glücklich zu sein, haben sich die Mißhandlungen tief in sie eingegraben und so kann sie Ruhe nicht lange ertragen. Nachdem der Mord an Zerd unsinnig geworden ist, irrt sie ziellos weiter, meistens ist sie darum bemüht sich zu verstecken, da sie vielen gegenüber zur Verräterin geworden ist; sie scheut nicht mehr den Tod, sondern das zu Tode gefoltert werden. Cija hat gelernt Gewalt und Demütigungen zu ertragen oder davon zu laufen, so reagiert sie denn auch auf Probleme. Smahil, ihr grausamer Liebhaber, Zerd, der sie ebenfalls begehrt, Kaselm, der Hohepriester, vor dem alle Höflinge Cija warnen, aber auch Ooldra, die Cija so sehr haßte, und einige mehr spielen eine Rolle in Cijas leidenreichen Leben.

Cijas Odyssee ist eine Queste ohne Ziel, sie wird einer Vielzahl von Prüfungen unterzogen, bei denen sie von vornherein keine Chance hat, zu bestehen. Zunächst versucht sie einfach nur Frieden und Ruhe zu finden, doch der freundliche, alte Priester geht ihr nicht aus dem Sinn – als sie diesen erneut trifft, nimmt ihr Leben eine weitere Wendung.
Was ist das eigentlich für Fantasy? Cija nimmt an einem großen Feldzug teil, Schlachten werden geschlagen, Beute wird gemacht, es wird gebrandschatzt und vergewaltigt. Dumm nur, daß sich beide Seiten nichts geben – ein Soldat ist ein Soldat ist ein Soldat, egal ob er dieser oder jener Fahne folgt, am Abend will er Saufen und eine Frau. Dümmer noch, daß Cija kein Soldat ist – sondern eine Frau. Der Leser erlebt Cijas Leid, wie sie permanent der einen oder anderen Form von Gewalt ausgesetzt ist, wie sich ihre Seele immer mehr verformt, bis ihr eine weitere Vergewaltigung gar nicht mehr soviel ausmacht. Der Leser erlebt zunächst ihren sozialen, dann ihren seelischen Verfall – ein ‘Happy End’ kann es da nicht geben. Wer eskapistische Literatur sucht, sollte einen großen Bogen um dieses Werk machen, wer dagegen ein Argument gegen den Eskapismus-Vorwurf gegen die Fantasy braucht, der wird hier fündig. Es ist Heroic Fantasy mit einer sehr düsteren Atmosphäre – aus der Opfer-Perspektive.

Das ist zwar sehr originell, aber leider nicht ohne Fehler. Zum einen erleidet die arme Cija wirklich die Qualen der Welt – mehrfach. Da wäre sicherlich weniger mehr gewesen. Die psychischen Folgen der Mißhandlungen hätten deutlicher herausgestellt werden können, gerade wenn sie in Frieden lebt, sollten diese zum Tragen kommen. Aber statt dessen erleidet sie ein Ungemach nach dem anderen, Zeit zum Reflektieren stellt ihr die Autorin kaum zur Verfügung. Die vielen Zufälle sind ebenfalls störend, auch wenn sie eine Erklärung finden. Diese ist jedoch zu banal und es fehlt ihr ein Clou. Warum muß Cija all das Erleiden? Man weiß es nicht. Ihr Vetter scheint sie einfach nicht zu mögen – wie viel ernüchternder wäre es doch, wenn es keinen besonderen Grund für ihr Leid geben würde? Dann hätte die Geschichte aber auch ohne Zufälle konstruiert werden müssen. Das Ende schließlich wirkt etwas übereilt, so als wenn der Autorin die Puste ausgegangen sei. Was sonst 100 Seiten oder mehr in Anspruch genommen hätte, braucht nur noch einen Bruchteil davon. Neigt die Autorin sonst auch zu langwierigen Beschreibungen, die das Geschehen etwas in die Länge ziehen, so ist es am Ende deutlich zu knapp. Sprachlich ergibt sich kaum überraschend kein Unterschied zum Vorgänger, Gaskell ahmt den Tagebuchstil einer jungen Frau aus gebildeten Verhältnissen, die Erbärmliches durchleiden muß, perfekt nach.

Cover von Im Reich der Atlantiden von Jane Gaskell Cija ist die Gemahlin des Feldherren Zerd, der mit einem Heer unerwünschter Bürger des Nordreichs auf eine Selbstmordmission geschickt wurde. Er ist der Renegat, dem es gelang sich auf den Thron von Atlantis zu setzen. Cija ist nun seine Kaiserin, doch schon zu Friedenszeiten ist deren Beziehung problematisch. Als aber das Heer des Nordreichs mit Sedili, Zerds erster Gemahlin, an der Spitze und dann das Heer der Waldmenschen unter der Führung Laras, Zerds zweiter Gemahlin, in Atlantis landen, gegen die Zerd nur noch die Reste seines alten Heeres setzen kann, muß Cija aus dem Weg – zumal sie einen Bastard gebar, der Zerd so unähnlich sieht…

-Als ich zwanzigtausend einsame Meilen weit gewandert war, hörte ich hinter mir den Reiter.-
Die Straße

Das Geschehen findet auf dem prähistorischen Kontinent Atlantis statt, welches Zerd im Band Der Drache “erobert” hatte. Atlantis selbst hat zwei Gesichter: Zum einen ein Gewöhnliches mit einsamen Herbergen in der Wildnis, die als Bordell fungieren, Bauern, die Rüben anpflanzen, umherstreunenden Wegelagerern und gefährlichen Tieren in den weiten Wäldern – diese Seite unterscheidet sich nicht wesentlich vom Nord- oder Südreich. Der Alltag ist überall vom sozialen Stand abhängig, sonst aber gleich. Die Darstellung Atlantis’ erinnert mich vage an die minoische Palastkultur.
Daneben existiert aber noch ein altes, mystisches Atlantis: Die Tiere in den Wäldern sind nicht bloß tumbe Dinosaurier oder Mastodonten, es gibt auch gewaltige Wölfe, die etwas Geheimnisvolles an sich haben und Teil einer größeren Gemeinschaft sind, es gibt Atlantiden, die besser unterrichtet sind, als es scheinbar möglich ist, einige haben sonderbare Fähigkeiten, so tritt der Flötenspieler wieder auf und eine Hexe weiß über Tränke gut bescheid. Diese magischen Elemente sind nur schwer zu greifen und niemals genau einzuschätzen – eine originelle und durchaus gelungene Darstellung. Von der alten, fortschrittlichen Wissenschaft ist nicht mehr viel geblieben, es tritt aber ein alter Gelehrter auf, der Frankensteins Monster zu schaffen vermag. Diese Passagen sind zwar unangenehm zu lesen, das Vorbild ist aber zu deutlich zu erkennen.

Als Autorin des Tagebuchs, in dessen Form die Geschichte verfaßt ist, steht Cjia erwartungsgemäß im Mittelpunkt. Sie ist keine aktive Figur; zumeist reagiert sie nur auf veränderte Umstände, selten zeigt sie echte Initiative – die dann für gewöhnlich schnell scheitert. Ihr Verhalten paßt dazu: Entweder versucht sie zu flüchten oder sie bemüht sich anzupassen, die Lage zu ihren Gunsten zu verändern versucht sie nie. Viel Raum wird dem Gefühlsleben Cijas gewährt, welches bisweilen recht verwirrend ist. Zu Beginn taucht ihr Halbbruder Smahil kurz auf. Ihre Gefühle ihm gegenüber sind zwiespältig – sie erinnert sich an die inzestuöse Geborgenheit, welche die Beiden teilten und liebt ihn dafür, gleichzeitig verabscheut sie ihn, sich und das Kind, das aus dieser Beziehung hervorgeht, dafür. Auf die vielen Grausamkeiten, die er ihr antat, wird kaum Bezug genommen. Eigenartig ist auch, wie sie ihr feindlich gesonnenen Leuten noch in den absurdesten Situationen  gefällig sein will – Cija, so scheint es, hegt niemals Rachegedanken. Nun gibt es derartige Personen wohl, aber es gelingt der Autorin nur begrenzt, dieses nahezubringen. Ihr Gemahl Zerd, der Kaiser von Atlantis in prekärer Situation, den sie zugleich liebt und verabscheut; ihre zwei Kinder Nal, der Sohn Smahils, und Seka, die Tochter Zerds, die sie beide auf distanzierte Weise liebt; Wahnsinnsfaust, ein atlantischer Räuber, den sie irgendwie anziehend findet, Narbe, ein Strolch aus ihrem Gefolge, den sie verabscheut und Sedili, Zerds erste Gemahlin, die sie zugleich verehrt und haßt, neben weiteren. Die Figuren sind alle ambivalent, keiner ist bloß gut oder böse – dieses läßt sie aber nicht immer plausibel handeln. Hier sei ein Wort der Warnung gesagt: Cija ist eine unzuverlässige Erzählerin, je nach Stimmung bewertet sie die Dinge unterschiedlich. Manchesmal mag das unplausible Verhalten auch dem Unvermögen Cijas die Personen richtig einzuschätzen geschuldet sein.

Von einem Plot läßt sich in dieser Geschichte nur begrenzt sprechen, da Cija eine ungewöhnlich passive Figur ist, die für gewöhnlich bloß auf veränderte Umstände reagiert. So wird sie schließlich von den Handlungen Anderer und zufälligen Ereignissen umhergetrieben. Es ist eine Odyssee durch die Schattenseiten von Atlantis aus der Opferperspektive. Nur wer die Darstellung des massiven Leidens von Hauptfiguren schätzen kann, sollte sich hier herantrauen – wem Frodos Qualen zu penetrant waren, der sollte einen großen Bogen um Cija machen – sie wird verprügelt, vergewaltigt und immer wieder gedemütigt. Die Zufälle nehmen einen ähnlich großen Raum wie in der ersten Geschichte ein, nur wird dieses Mal Cijas Göttlichkeit nicht bemüht – eine bessere Aufklärung gibt es aber auch nicht. Es mangelt deutlich an plausiblen Verknüpfungen der Ereignisse. Das offene und unbefriedigende Ende paßt zur Geschichte. Der Leser bleibt oftmals im Unklaren, manches Mal ist das vorteilhaft – wie bei den magischen Elementen, vielfach jedoch eher lästig. So fragt sich der Leser, warum das erste Kapitel von Narbe erzählt wird oder was aus Juzd geworden ist. Es bleibt im Dunkeln. Ärgerlich ist auch, das der dritte Teil nicht sauber an den zweiten anknüpft. An dessen Ende hatten Zerds Soldaten der mächtigen Reiche im Norden und Süden bezwungen, am Anfang dieses Teils aber ist das Südreich plötzlich bedeutungslos geworden, dafür droht die Armee der Waldstämme, die vormals sehr unorganisiert waren, und die des Nordreiches Zerd zu besiegen.

Wer nun die geteilte erste Geschichte kennt, wird sich fragen, warum er diese Fortsetzung lesen sollte; auch wenn die Handlung schneller voranschreitet, ist die Geschichte nicht spannender, während es in den Vorgängern auch lange Erläuterungen gab, hielten diese den Verlauf nicht auf – hier schildert die Erzählerin sich in einer lebensgefährlichen Situation befindend schon einmal über eine Seite das gepflegte Äußere der Feindin. Auch endet die erste Geschichte deutlich runder. Nur wer ein Interesse an Cija entwickelt hat oder eine werdende bzw. junge Mutter durch ihre Leiden begleiten mag, braucht die Fortsetzung zur Hand nehmen.
Der Stil ist immer noch gut und angemessen, aber viel zu poliert – er klingt weniger nach Tagebuch als nach Roman.

Cover von Im Land der Affenmenschen von Jane GaskellNachdem Cija durch eine lange Seereise aus Atlantis flüchtete, kommt sie in einer unbekannten Stadt an. Der Kapitän des Schiffes beschließt, die Bordkasse etwas aufzubessern und Cija in ein Bordell zu verkaufen, aber der Schiffsjunge Aal hilft ihr zu entkommen und bringt sie im Bordell seiner Mutter unter. Cija erkennt schnell, daß Prostitution sie endgültig zerstören würde. Doch sie hat Glück im Unglück, denn ihr erster Freier ist ein romantischer Junge, der ihr zusammen mit seinen Kumpels eine weitere Flucht ermöglicht und seine Mutter davon überzeugt, sie und ihre Tochter im Haushalt aufzunehmen. Dort lebt sie für eine Zeit zufrieden, bis sie feststellt, daß sie in ihrer Geburtsstadt angekommen ist und ihr Vater, der Hohepriester, verzweifelt nach ihr sucht – um sie zu töten…

-Ein hochgewachsener Seemann trug mich auf die Uferstraße.-
Das kalte kleine Freudenhaus

Das Geschehen trägt sich ausschließlich in der namenlosen Stadt von Cijas Geburt und dem umliegenden Dschungel zu. Im Gegensatz zu den Vorgängerbänden wird die Umgebung kaum geschildert. Die Stadt ist heruntergekommen, denn in den letzten Jahrzehnten wurde sie wiederholt geplündert und seitdem der König des Nordreiches Zerd ausschickte, wurde es besonders schlimm. Die Stadt hatte niemals viele Steinbauten, aber nach den letzten Besetzungen besteht sie fast nur noch aus Holz- und Strohhütten. Dominiert wird die Stadt im doppelten Sinne vom Tempel – zum einen ist da das monumentale Bauwerk und dann die omnipräsente Priesterschaft. Sie ist verhaßt – aber auch so sehr gefürchtet, daß die meisten Opfer ohne Gegenwehr mitkommen. Und Opfer gibt es viele, denn die Götter verlangen danach. Ganze Plätze sind mit den Überresten von unliebsamen Bewohnern, die den Opfertod starben, übersät. Aber nicht nur die Gewalt der Priester verunsichert die Stadt – Adlige feiern Orgien, bei denen die auf der Straße gefangenen Frauen schlimmstes zu erwarten haben; Kriminelle, Bordellwirte und Sklavenhändler sind keineswegs zimperlicher. Die Gesellschaft erinnert entfernt an die der Azteken. Die Schilderungen lassen bisweilen ein leichtes Gefühl von Urbanität aufkommen.

Die magischen Elemente sind offensichtlicher und gewöhnlicher als früher. Cija hat einen Schutzzauber gelernt, die Priester nutzen zuweilen welche, eine Unsterbliche demonstriert ihre Macht, es gibt Affenmenschen, Geister und Dinosaurier. Gaskell bietet eine bunte Palette; es paßt zwar alles zum Setting, wirkt z.T. unausgereift und aus bloßem Selbstzweck eingeworfen – etwas uninspiriert, wenn auch mit einigem Geschick umgesetzt.
Cija ist wieder die zentrale Figur; die ehemalige Göttin ist weit herum gekommen und heruntergekommen. Sie will keinen Mann mehr, sie will keine Intrigen in feinen Palästen mehr, sie will nur noch in Frieden ein einfaches Leben führen und sich um ihre Tochter Seka kümmern (wenngleich es Cija nicht besonders stört, als sie diese bei ihrer Pflegefamilie zurücklassen muß). Das ist alles ohne weiteres nachvollziehbar – wenn man ihre Vorgeschichte kennt. Ein paar mehr Erläuterungen wären hier hilfreich gewesen. Cija ist ein wenig aktiver als in den Vorromanen, aber immer noch eine ungewöhnlich passive Figur – da aber die Handlung rascher voranschreitet, bemerkt man dieses nicht so sehr. Es treten ein paar bekannte Figuren – wie Zerds stumme Tochter Seka, Cijas inzestuöser Halbbruder und Liebhaber Smahil und Cijas göttliche Mutter – und einige neue Gesichter – wie Bronza und Urga, die kecken Schwestern des romantischen Jungen, der Cija aus dem Bordell rettet, und der Rest ihrer bodenständigen Familie, der einfache Affenmensch Ung-g, bei dessen Stamm Cija eine Zeit lang lebt, und der mächtige und korrupte Hohepriester, Cijas Vater, der sie dringend töten will – neben etlichen anderen auf. Insgesamt sind die Figuren einfacher, aber kräftiger charakterisiert – Cijas Verhältnis zu Smahil wird z.B. auf deren Liebesbeziehung reduziert.

Cija führt ihr Tagebuch weiter, aber die alltäglichen Einträge sind mittlerweile fast komplett verschwunden. Rasant gerät die junge alleinerziehende Mutter von einem Abenteuer ins andere. Auch wenn sie immer das potentielle Opfer ist, kann sie häufig vor dem Schlimmsten durch eigenes Handeln oder fremde Hilfe fliehen.
Die thematisierte Sexualität ist allerdings etwas befremdlich; im Bordell wird darüber diskutiert, ob es das kalte Bett unter dem Fenster oder ob es “[…] der Fick mit dem Esel [war], der [die Prostituierte] so fertiggemacht hat.” (S. 346) Später hat Cija Sex mit einem der Affenmenschen. Auch Zwangsprostitution wird angerissen. Doch die Themen werden nicht tiefer behandelt und scheinen eher grelle Aufhänger als ernsthaft behandelte Phänomene zu sein. Es fehlt ihnen sehr stark an eindringlicher Schilderung, um so verstörend wie die Vorgänger zu sein.
Im Land der Affenmenschen ist der 4. Band des Zyklus’ um Cija, und man merkt es sehr deutlich. Die Erzählstränge, die aus den ersten drei Bänden in diesen hineinreichen, werden kaum erläutert, vielfach fehlt es so an Tiefe: Es sollte ein Schock sein, wenn sich herausstellt, daß die namenlose Stadt Cijas Heimatstadt ist – wie soll sich dieser aber ohne das Vorwissen einstellen? Es lohnt sich nur diesen Band zu lesen, wenn man wissen will, wie es mit der kleinen Göttin weitergeht, denn einige Stränge werden hier zuende gebracht, andere bleiben allerdings noch offen. Sonst wird man von einer halbtrivialen, halbverstörenden Abenteuergeschichte aus der Opferperspektive “unterhalten.”
Gaskells Stil ist rund und poliert, die Geschichte läßt sich flüssig lesen und die Wortwahl ist zumeist treffsicher, wenngleich sie bisweilen zum Vulgären neigt. Aber der Stil unterstützt die Tagebuch-Fiktion überhaupt nicht mehr.