Pride of Baghdad

Pride of Baghdad von Brian K. Vaughan und Niko HenrichonIm Irakkrieg im Jahr 2003 treffen Bomben auch den Zoo von Bagdad. Die Tiere, von den geflohenen Wärtern zurückgelassen, brechen aus ihren Gehegen aus, unter ihnen auch ein kleines Löwenrudel. Fortan streifen die Löwen durch die vom Krieg zerstörte Stadt, und die Freiheit, von der sie früher manchmal geträumt haben, ist nicht nur ein Segen.

-»Tigris is the name of the river, dummy.«
»Rivers have names?«
»Everything’s got a name. It’s how we make crap belong to us. And this stretch of crap is my fishing hole.«-

Phantastische Tiergeschichten haben, ganz besonders im Comic-Bereich, eine lange Tradition, doch während bepelzte Helden häufig ein Anzeiger für einen Comic sind, den man allen Altersstufen empfehlen kann, gibt das Thema hier eine andere Richtung vor: Pride of Baghdad (Die Löwen von Bagdad) ist eine Tiergeschichte für Erwachsene, und wenn einem zu Ali, dem Junglöwen des Rudels, der König der Löwen einfallen sollte, bereiten die drastischen Bilder, die immer wieder auftauchen, diesem Vergleich recht schnell ein Ende.
Die auf einer wahren Begebenheit beruhende Geschichte des Löwenrudels, das im Krieg durch Zufall in Freiheit gerät und sich durch eine aus den Fugen geratene Welt schlägt, ist auch keine so simple Allegorie, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag: Bei den zentralen Themen Freiheit, Anarchie, Überlebenskampf und der Abwägung zwischen Selbstbestimmung und einem (vermeintlich?) befreienden Eingriff von außen wird durch die Übertragung in die Tierwelt, die aber trotzdem am konkreten Ort des Geschehens stattfindet, nämlich in der kriegsgebeutelten Großstadt, mehrfach um die Ecke gedacht.

Brian K. Vaughan, der schon mit Ex Machina und Y: The Last Man politische und gesellschaftskritische Szenarien verarbeitet hat, bezieht in Pride of Baghdad keine eindeutige Stellung, außer vielleicht der, dass der Krieg Mensch und Kreatur der Fähigkeit beraubt, der Welt einen Sinn abzutrotzen, und alle auf die gleiche würdelose Daseinsstufe wirft.
Ansonsten bewerten seine Löwen ihre neue Situation höchst unterschiedlich und reagieren nicht immer wie erwartet: Angst, Anspannung und Stress brechen sich häufig dort die Bahn, wo zuvor die größte Kühnheit war, und besonnenes Handeln geht mit der Erfahrung einher, dass die Freiheit einen (zu) hohen Preis hat. All diese unterschiedlichen Gemütslagen hat Zeichner Niko Henrichon an den Löwen wunderbar eingefangen, jedem einzelnen Tier einen eigenen Charakter verliehen, ohne sie zu anthropomorphisieren, und die Dynamik, die sich im Rudel abspielt – Solidarität, Grüppchenbildung, Verschwörung – naturgetreu wiedergegeben. Die Savannenfarben, in denen einige Bilder gehalten sind, rufen die wahre Natur der Löwen auch in der fremden städtischen Umgebung in Erinnerung, korrespondierend mit der Symbolkraft dieser Tiere, die im Verlauf der Geschichte in unterschiedlichen Kontexten beschworen wird. Vor allem der männliche Löwe tritt als Symbol in Erscheinung und kann letztlich die an ihn gestellten Erwartungen teilweise erfüllen, wohingegen die verschiedenen (politischen) Positionen immer über die Löwinnen verhandelt werden, die auch so etwas wie die treibenden Kräfte im Rudel sind.

Dabei sind es letztlich nur Getriebene, die sich in der doppelten Fremdheit der zerbombten Stadt behaupten müssen, gegen die Feindseligkeit der Umgebung, in der das Faustrecht herrscht, und die absolute Unwägbarkeit, in der alles möglich ist: Im Kriegszustand unterscheiden sich Löwen nicht sonderlich weit von Menschen, sind immer unmittelbar bedroht und ihrer feindlichem Umgebung völlig ausgeliefert.
Dies zeigen traurige, befremdende Bilder einer Stadt, in der kaum je Menschen auftauchen – höchstens als unverständliche Macht im Hintergrund. Während die dominierenden Farben bald eine düstere Stimmung verbreiten, brechen immer wieder schöne Doppelseiten das klaustrophobische Unbehagen auf, das in diesen leeren, von Schutt und Zerfall bestimmten Räumen herrscht. Dazwischen tauchen aber auch immer wieder Momente des Schönheit auf, und weite Teile der Handlung sind von Staunen und Unverständnis, weniger von Angst und Entsetzen geprägt.

Die Absurdität des Krieges aus Sicht von Tieren darzustellen, ist ein nicht ganz selten gebrauchter Kniff, doch für den Irakkrieg sind die unabsichtlich befreiten Zoolöwen eine besonders gute Metapher, wenn sie – anfangs mitunter begierig – hinaus in die große Unsicherheit treten, die ihr Leben fortan bestimmen wird. Die Geschichte der Löwen ist spannend, rührend, actionreich und traurig und kann gut auf eigenen Füßen stehen. Aber sogar in der Alternativlosigkeit des unvermeidbaren Endes zeigt sich die Stärke der Metapher, die für Mensch und Löwe ein gleichermaßen bitteres Kriegsschicksal bereithält.
Letztlich kommt man nicht umhin, sich die Frage zu stellen, ob draußen, jenseits der Käfigstäbe, nicht immer Krieg herrscht.

Stand: 07. Oktober 2012
Erscheinungsjahr: USA 2006
Verlag: Vertigo
ISBN: 1-4012-0314-0
Titel der Übersetzung: Die Löwen von Bagdad