Wastelands

Wastelands von John Joseph AdamsKurzgeschichtensammlung über die Welt nach dem großen Knall oder dem schleichenden Niedergang, über kämpferische oder verzweifelnde Überlebende, über eine Gesellschaft am Ende oder einem neuen Anfang.

-I want to tell you about the end of war, the degeneration of mankind, and the death of the Messiah – an epic story, deserving thousands of pages and a whole shelf of volumes, but you (if there are any of “you” later on to read this) will have to settle for the freeze-dried version.-
The End of the Whole Mess

22 mal geht in Wastelands die Welt unter, das Ende ist gekommen und vorüber, die letzten Menschen kämpfen mehr schlecht als recht um die letzten Reste der Zivilisation. Deprimierend? Ja – bei einem Großteil der Geschichten überwiegt die pessimistische Sicht der Dinge: So wie in den meisten Beiträgen der Anthologie menschliche Hybris vor dem Fall stand, sorgen menschliche Schwächen, Vorurteile und fehlgeleitete Ambitionen dafür, daß die Menschheit ihre Fehler wiederholt.
M. Rickert treibt in ihrem Beitrag Bread and Bombs die (in einer zusammengerückten Gesellschaft noch gesteigerte) Furcht vor dem Fremden auf die Spitze, berichtet aus Kindersicht (und mit Blick auf die Grausamkeit von Kindern) von eskalierendem Rassismus mit einem ungewöhnlichen Ende, das viel moralischen Zündstoff bietet, und auch Carol Emshwiller hat sich in Killers einer Weiterführung des Terrorismus-Themas nach einer deutlichen Verschlechterung der Lebensumstände angenommen.
Postapokalyptische Geschichten sind dennoch fast immer Geschichten der Überlebenden, des Neuanfangs, des Aufbäumens der Menschheit nach der Katastrophe, wenn auch häufig von Melancholie druchdrungen – denn was wäre ein Blick auf die Welt nach dem großen Knall, wenn er sich nicht auch mit Grusel auf die verfallenen Ruinen unserer Lebensweise richten würde? Wastelands hat daher auch positive Varianten zu bieten, darunter Tobias S. Buckells Waiting for the Zephyr, das durch seine Aufbruchsstimmung in einer Gesellschaft besticht, die sich verändert, aber gefangen hat, oder etliche Geschichten in einer normalisierten Endzeit-Welt im Mad Max-Stil, in der ein gewisser Alltag eingekehrt ist (das etwas schwächere und von religiösem Hauch durchwehte Salvage von Orson Scott Card, oder das an ein Endzeit-Roadmovie gemahnende And the Deep Blue Sea von Elizabeth Bear).

Kurzgeschichten eignen sich für dieses Subgenre ausgesprochen gut – sie vermögen ein Schlaglicht auf einzelne Fragen und Themen zu werfen (und die Extremsituation des Weltuntergangs ist eine hervorragende Bühne für existentielle Fragen, vor allem danach, was von der Menschlichkeit bleibt, wenn die Zivilisation zerfallen ist), sie erlauben einen Detailblick (bis auf die Spitze getrieben in Richard Kadreys Still Life With Apocalypse, das nur durch eine einzige, handlungslose Ansicht ein Gefühl für den Status einer gefallenen Welt vermittelt), ohne das große Ganze beleuchten zu müssen, was gleichzeitig die Erfahrung von Unsicherheit, Zurückgeworfensein auf den Einzelnen und von Unwissen nach dem Zusammenbruch der Systeme abbildet.

Keine der Geschichten in Wastelands stammt aus der Entstehungszeit des Genres nach dem Zweiten Weltkrieg und im sich aufschaukelnden Kalten Krieg mit seinen Ängsten vor dem atomaren Holocaust, die meisten haben nicht einmal ein nukleares Endzeitszenario zum Thema und sind vielfach in der Zeit nach 2000 entstanden: Durch Krankheiten, Ökokatastrophen, langsame Spiralen der Degeneration und beinahe so viele Szenarien, wie es Geschichten gibt, geht die Zivilisation unter, manchmal auch aus diffusen Gründen, die für die Handlung keine weitere Rolle spielen.
Sehr moderne Szenarien – neben den Terrorismus-Gedankenspielen hauptsächlich Cory Doctorows When Sysadmins Ruled the World, eine (nicht nur humorvolle) Beschreibung der Apokalypse, in der Computersystemexperten überleben, eingeschlossen vor ihren Monitoren in ihren Bunkern, um die Welt anschließend nach ihrem Lebensmodell zu organisieren (der Spaß steigt hierbei proportional zum IT-Wissen des Lesers 😉 ) –, stehen neben Geschichten, die mit der religiösen Aufladung des Endzeitgenres spielen (denn der Prototyp der Apokalypse ist immer noch die Offenbarung des Johannes): Judgement Passed von Jerry Oltion handelt von den Menschen, die bei Gottes letztem Gericht vergessen wurden und mit dieser Tatsache leben (im wahrsten Wortsinn) müssen.

Wastelands ist eine außergewöhnlich gute Anthologie, von den 22 Geschichten sind fast alle überdurchschnittlich, und die AutorInnenauswahl kann sich sehen lassen: Stephen King macht in der Eröffnungsgeschichte The End of the Whole Mess das, was er am besten kann: Den Zauber einer zurückliegenden Jugend beschwören und in Kontrast zu einem bedrückenden Heute zu setzen, in dem man das Ende schon mit großen Schritten und Anklängen an Flowers for Algernon herannahen hört, auch wenn es einer der unwahrscheinlichsten Weltuntergänge der Anthologie ist. George R.R. Martin projiziert in Dark, Dark were the Tunnels auch 1973 schon mit gewohnt ausgeklügelten und spannenden POV-Tricksereien in eine ferne Zukunft mit einer unbewohnbaren Erdoberfläche, um zu erforschen, was aus den Menschen geworden ist.
Ähnlichem geht der inzwischen vielfach mit Lorbeer gekrönte Paolo Bacigalupi in The People of Sand und Slag nach, einer der intensivsten Geschichten der Anthologie, in der die Menschheit sich psychisch und physisch soweit angepaßt hat, daß kaum mehr Bezug zum Leben vorhanden ist und sie von außen an Menschlichkeit erinnert werden muß – ein Exkurs, in dem das Überleben zwar eindeutig gesichert ist, aber zu einem verstörend hohen Preis.
Octavia E. Butlers Klassiker Speech Sounds geht in seiner Betrachtung des Zusammenwirkens von Sprache, Identität und Integrität einem ganz anders gearteten Verfall der Gesellschaft nach, Gene Wolfe ist in Mute gewohnt rätselhaft und liefert kaum Anhaltspunkte für die Deutung seiner Geschichte, die zwar anfangs einen beinahe hypnotischen Zwang ausübt, aber irgendwann in ihrer überladenen Symbolhaftigkeit stecken bleibt.

Aber auch von AutorInnen, deren Namen nicht als Aushängeschild auf dem Cover prangen, stammen spannende Entwürfe und Highlights: James van Pelt stellt in The Last of the O-Forms mit exzellenter Charakterisierung und großem Ideenreichtum einen Profiteur der Apokalypse vor, Nancy Kress liefert mit Inertia gewissermaßen einen weiteren Entwurf zu dem Thema, das King bereits bearbeitet hat, geht dabei aber eher auf die menschliche Reaktion auf Krankheit und die Stellschrauben der Identität ein.
A Song Before Sunset von David Grigg geht voller Melancholie der Frage nach, was mit Talent passiert in einer Welt, die für Kultur keine Verwendung mehr hat, und John Langams Episode Seven: Last Stand Against the Pack in the Kingdom of the Purple Flowers, ist ähnlich gewunden erzählt, wie der Titel andeutet, mit seitenlangen, fließenden Sätzen, die in kurzen Ausbrüchen von Action kulminieren und in einem verstörenden Szenario den Kampf von Überlebenden gegen ein Rudel wilder Hunde beschreiben. Der Faszination und dem Grusel dieser Geschichte kann man sich schwer entziehen, und sie bildet einen würdigen Abschluß der facettenreichen Anthologie.

Meine Empfehlung wäre allerdings trotz der Qualitäten der einzelnen Beiträge, nicht die ganze Anthologie an einem Stück zu lesen – das könnte aufs Gemüt schlagen, denn neben den selten eingestreuten locker-leichten Geschichten bieten die meisten schweren Stoff, den man auch wegen seiner nachdenklich stimmenden Blicke auf das Menschsein erst einmal verdauen muß. Wer trotzdem nicht genug von der Apokalypse bekommen kann, findet im Anhang von Wastelands eine Leseliste mit den wichtigsten Werken – Romanen und Kurzgeschichten – des Subgenres.

Stand: 27. Oktober 2012
Erscheinungsjahr: USA 2008
Verlag: Nightshade Books
ISBN: 978-1-59780-105-8
Seitenzahl: 333