Subgenre: Endzeit

Am Ende der Straße von Brian KeeneEines Morgens geht über dem kleinen Städtchen Walden die Sonne nicht mehr auf. Sämtliche Verbindung mit der Außenwelt ist abgebrochen, die Elektrizität versagt, Telefonleitungen und auch der Mobilfunk sind tot. Sonne, Mond und Sterne… das gibt es nicht mehr. Die Stadt ist lückenlos eingehüllt von alles verzehrender Dunkelheit und wer immer Walden verlässt, kommt nicht mehr zurück.
Robbie, seine Freundin Christy und ihr Nachbar Russ finden heraus, dass sich etwas in der Dunkelheit befindet, etwas Tödliches. Doch auch innerhalb der Stadtgrenzen treibt das Übel der Menschen in rasantem Tempo an die Oberfläche.

– Die Dunkelheit ist lebendig, genau wie wir. –

Zu Am Ende der Straße liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Ankunft im Licht von Jeanne DuPrauNachdem die Emberaner dank Lina und Doon den Weg an die Oberfläche gefunden haben, treffen sie nach Tagen des Wanderns auf die ländliche Stadt Sparks, wo sie sich Hilfe in dieser fremden Welt erhoffen. Anfangs sind beide Parteien überrascht und aufgeregt über die gegenseitige Entdeckung, die Bewohner von Sparks nehmen die Emberaner bei sich auf, versorgen sie mit Nahrung und Unterkunft. Doch die Ressourcen sind knapp, die Emberaner unwissend, wie sie sich selbst versorgen können, und so dauert es nicht lange, bis Streit, Neid und Vorurteile entstehen, die dazu führen könnten die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

Zu Ankunft im Licht liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Carniepunk von Rachel Caine, Delilah S. Dawson, Jennifer Estep, Kelly Gay, Kevin Hearne, Mark Henry, Hillary Jacques, Jackie Kessler, Seanen McGuire, Kelly Meding, Allison Pang, Nicole D. Peeler, Rob Thurman, Jaye WellsVierzehn Kurzgeschichten ziehen in dieser Anthologie LeserInnen in die oft schaurige, pervertierte oder einfach nur surreale Welt des Zirkus.
Vierzehn Geschichten, vierzehn AutorInnen – und alle betreten den Zirkus auf ganz unterschiedliche Weise. Was alle gemein haben, ist die Verbindung zum Grauen oder zu Dämonen, die auf der Jagd nach Seelen sind …
Kommt zahlreich, mutige Abenteurer, die Manege ruft!

– It took me two days to die. On the first night, I met Madame Laida, and on the second night, I met the Cold Girl.
And this is how it happened. –
The Cold Girl, Rachel Caine, S. 153

Kurzgeschichten haben es in der Verlagswelt schwer, wahrgenommen zu werden, dabei bieten sie eine hervorragende Möglichkeit, Leser auf neue Autoren oder Serien aufmerksam zu machen, die ihrem Radar bisher womöglich entgangen sind. In Carniepunk haben sich vierzehn verschiedene Autoren zusammengefunden und unter dem Oberthema “Zirkus” ihre Geschichten beigesteuert. Manche stehen für sich alleine, andere ergänzen bestehende Buchreihen der einzelnen AutorInnen.
Die meisten dieser Geschichten sind nichts für junge Leser. Mal abgesehen von fließendem Blut und dem leise mitschwingenden Horror, der alle Geschichten vereint, finden hier teils sehr deutliche sexuelle Handlungen statt, die von Nekrophilie über die Erinnerungen eines Vergewaltigers bis zu den detaillierten Aktivitäten eines Sukkubus reichen. Meistens schaffen es die AutorInnen dabei, nicht ins Fremdschämen abzudriften – Ausnahmen bestätigen die Regel.

Die Qualität der Geschichten schwankt. Manche AutorInnen beherrschen ihr Handwerk besser als andere oder haben vielleicht auch einfach nur ein mal besseres, mal schlechteres Händchen für die Kunst, eine Kurzgeschichte zu schreiben. Manches lässt einen als LeserIn einfach nur verwirrt zurück, anderes wirkt, als habe der/die AutorIn sich schwer getan, seine Ideen in Zaum zu halten, und macht viele Sprünge, um all die Ansätze irgendwie in Kurzform zu bringen.

Hier eine Übersicht und ggf. Eindrücke der einzelnen Geschichten:

Painted Love – Rob Thurman
Der Weltreisende Doodle schließt sich für eine Weile dem Zirkusangestellten Bartholemew an und beobachtet dessen Alltag. Bartholemew ist ein waschechter Psychopath und hat sich gerade sein nächstes Opfer ausgesucht, was Doodle in eine schwierige Lage bringt. Einerseits sieht er sich selbst als reinen Beobachter, andererseits empfindet er eine gewisse Zuneigung für das nächste Opfer.
Die Geschichte funktioniert nur bedingt, da Doodles Figur wenig Zugangsmöglichkeiten bietet. Die Idee dahinter ist durchaus nicht schlecht, die Ausführung teils aber zu blass.

The Three Lives of Lydia – Delilah S. Dawson
Diese Geschichte gehört zu einer Buchreihe (Blud Series) und greift das Setting eines im viktorianischen Zeitalter angesiedelten Universums auf. Die Atmosphäre ist düster und steampunkig und die Wendungen überraschend. Lydia erwacht nackt auf einem leeren Feld, das von Zirkuswagen umkreist ist, trifft später auf Vampire und Werwölfe, die im Zirkus angestellt sind und nicht alle gute Absichten für sie hegen.
Eine stimmungsvolle Geschichte mit überraschendem Ende, die auch ohne Kenntnis der eigentlichen Buchreihe gut funktioniert.

The Demon Barker of Wheat Street – Kevin Hearne
Teil der Buchreihe The Iron Druid Chronicles. Die Geschichte findet zeitlich nach dem 4. Band statt (und nach der Kurzgeschichte Two Ravens and One Crow), kann aber gut für sich gelesen werden.
Druide Atticus und Lehrling Granuaile besuchen einen Zirkus und geraten dabei in die Fänge eines Dämons, der seine Attraktion zur Ernte ahnungsloser Seelen benutzt und sie geradewegs auf einen Trip in die Hölle schickt.
Witzig und im wahrsten Sinne höllisch gefährlich.

The Sweeter the Juice – Mark Henry
Post-Apokalyptisches Szenario, in dem Zombies allgegenwärtig und ihre Angriffe an der Tagesordnung sind. Die transsexuelle Jade Reynolds geht einen Handel ein, um sich ihre/seine Geschlechtsumwandlung leisten zu können, und soll für die behandelnde Ärztin eine neu zirkulierende Droge finden.
Diese Geschichte ist mehr im Horrorbereich zuhause, stopft aber so viele (teils eklige) Ausführungen in einen Sack, dass es für mich schwierig war, am Ball zu bleiben, und wurde dementsprechend abgebrochen.

Werewife – Jaye Wells
Nach dem Besuch einer Zirkusvorstellung verwandelt sich die Ehefrau in einen Werwolf, was sich als recht unkomfortabel für den Ehemann erweist. Als der selbe Zirkus nach einem Jahr in die Stadt zurückkehrt, überredet der Gatte seine Frau, erneut dorthin zu gehe,n um den Fluch aufzuheben, doch was sie dort erwartet, ist mehr als eine unschöne Erkenntnis.
Diese Geschichte ist aus Sicht des Ehemanns erzählt und bis auf das etwas überstürzte und nicht ganz überzeugende Ende sehr unterhaltsam.

The Cold Girl – Rachel Caine
Die sechzehnjährige Kiley besucht mit ihrem Freund einen Zirkus und vertauscht dabei versehentlich ihre Telefone. Als sie die Inhalte auf dem Telefon ihres Freundes sieht muss sie erkennen, dass der Junge, den sie liebt, eine schockierende Seite verbirgt, für die sie bisher blind war – obwohl andere die Anzeichen längst bemerkt haben.
Spannend, ergreifend und verstörend, ist dies eine der sehr gut gelungenen Geschichten der Anthologie.

A Duet With Darkness – Allison Pang
Teil der Abby Sinclair Series. Mel kann Noten und Melodien farblich wahrnehmen. Sie ist ein musikalisches Ausnahmetalent und hält sich für die beste in ihrer Band. Sie kann offenbar die Wilde Magie anzapfen, was bei einem geplanten Auftritt der Band die Aufmerksamkeit von jemandem erweckt, dem sie nicht gewachsen ist. Ihr Freund, ein gefallener Engel, versucht sie vor den Folgen ihres Stolzes zu bewahren, doch einer muss den Preis bezahlen.
Liest sich etwas wie ein Jugendbuch, ist nur inhaltlich nicht ganz jugendfrei. Die Welt und die Figuren sind aber gut beschrieben und durchaus interessant.

Recession of the Divine – Hillary Jacques
Die Versicherungsermittlerin Olivia untersucht den Brand in einem Zirkus, und es ist schnell klar, dass hier etwas nicht stimmt. Als die Angestellten merken, dass Olivia in die Erinnerungen anderer eintauchen kann, wird sie entführt und mit einem Bann ihrer eigenen Erinnerung beraubt, um sie angekettet als Wahrsagerin arbeiten zu lassen. Der Leser erfährt früh, dass sie eine Göttin in Menschengestalt ist, ihre Entführer lernen es auf die harte Tour.
Diese Geschichte war verwirrend, da die Autorin zahlreiche Zeitsprünge macht und eine eher weitreichende Handlung in einen so kurzen Text zu pressen versucht. Zeitsprünge erschweren das Ganze ebenso wie die Tatsache, dass nicht immer klar ist, was wessen Erinnerung ist oder was gerade doch real.

Parlor Tricks – Jennifer Estep
Teil der Serie Elemental Assassin Series. Detective Bria Coolidge bittet ihre Schwester, die Assassinin Spider, um Hilfe bei der Suche eines verschwundenen Mädchens, das zuletzt gesehen wurde, als es einen Zirkus besuchte. Als die beiden Frauen die Hintergründe ihres Verschwindens aufdecken, braucht es alles an Elementarmagie, was Spider zu bieten hat.
Die Figur der Spider, aus deren Perspektive erzählt wird, ist nur schwer zugänglich und so springt der Funke bei dieser Geschichte nicht recht auf die Leserschaft über. Ist vielleicht anders, wenn man die Buchreihe dazu kennt.

Freak House – Kelly Meding
Teil der noch im Entstehungsprozess befindlichen Buchreihe Strays Series, die recht viel Potential haben dürfte, wenn man diese Kurzgeschichte als Indikator nehmen darf.
Shiloh ist halb Djinn und hat jüngst erfahren, dass ihr Vater von einem Schwarz-Magier gefangen gehalten und als Zirkusattraktion ausgestellt wird. Zusammen mit zwei unerwarteten Verbündeten, von denen einer ein Werwolf ist, der andere ein pensionierter Soldat, und ausgestattet mit ihrem eigenen magischen Erbe, schleicht sie sich in die geschlossene Veranstaltung ein und findet weitere Gefangene vor. Für Shilo und ein paar andere zeichnet sich ein neues Ziel ab.
Interessantes Konzept, das neugierig auf mehr macht.

The Inside Man – Nicole Peeler
Teil der Jane True Series. Die drei Inhaberinnen der Triptych Agentur bekommen Besuch vom größten Gangsterboss der magischen Szene und werden “gebeten” herauszufinden, weshalb seine Schwester und alle anderen Bewohner ihrer Stadt ihre Erinnerungen und ihre Ambitionen verloren haben. Ihre Ermittlungen führen sie in die Fänge eines dämonischen Clowns, der ganze Städte heimsucht und nichts alle leere menschliche Hüllen zurücklässt.
Spannende Charaktere mit interessanten Hintergründen und ordentlich Frauenpower. Hier wird nicht lange gefackelt und gleich kurzer Prozess mit Dämonen wie menschlichen Bestien gemacht … Da lohnt sich wohl ein Blick in die Buchreihe.

A Chance in Hell – Jackie Kessler
Teil der Buchreihe A Hell on Earth. Die frühere Sukkubi Jezebel ist inzwischen menschlich und auf der Flucht vor dem Höllenfürst, um die Apokalypse zu verhindern. Ihre Mitbewohnerin soll Jez beibringen, was Menschlichkeit bedeutet, und nimmt den unmotivierten Ex-Dämon mit zu einem Zirkus. Der Tag verschlechtert sich deutlich, als Jez dort einem hochrangigen Dämon der Gier begegnet, der nichts lieber täte als Jezebels blitzblanke neue Seele in seine Finger zu kriegen.
Teilweise humorvoll, mit viel Erotik garniert.

Hells’s Menagerie – Kelly Gay
Teil der Buchreihe Charlie Madigan. Die zwölfjährige Emma, Tochter von Charlie Madigan, marschiert in Charbydon (Hölle) ein, um die entführten Welpen und das Weibchen ihres Höllenhundes Brim zu retten. Dabei riskiert sie lebenslangen Hausarrest, den Rauswurf aus der Schule und selbstverständlich ihr eigenes Leben, wie auch das ihres Begleiters, dem Djinn, der im Körper ihres dahingeschiedenen Vaters steckt.
Obwohl die Ansätze gut waren, habe ich diese Geschichte letztlich nur quer gelesen. Die Protagonistin war mir zu jung und die Rettung von Hundewelpen hat meinen Toleranzbereich für Niedlichkeiten gesprengt.

Daughter of the Midway, the Mermaid, and the Open, Lonely Sea – Seanan McGuire
Ada ist im Zirkus der Miller Familie geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter ist die Hauptattraktion: eine echte Meerjungfrau, die als junge Frau schwanger Zuflucht im Zirkus gesucht hat. Nach beinahe zwanzig Jahren kommt der Zirkus an den Ort zurück, von dem Adas Mutter einst geflohen ist, und prompt wird das Mädchen von ein paar der Stadtbewohner entführt und gefangen gehalten. Ada entdeckt, dass es ein düsteres Geheimnis im Leben ihrer Mutter gab, die sich freiwillig entschieden hat, alles zu vergessen, indem sie sich dem Wasser hingab und ihre unvermeidliche Verwandlung in eine Meerjungfrau vollzog. Der Zirkus mag die Freakshow haben, doch die Monster leben außerhalb.
Eine Geschichte, die mit etwas mehr Tragik gefüllt ist und leider viele Aspekte der Charaktere nur andeutet, von denen mehr zu wissen spannend gewesen wäre.

City of Bones von Martha WellsKhat, ein Mann aus einem katzenhaften Wüstenvolk, lebt in den Elendsvierteln von Charisat, einer Stadt inmitten des Ödlandes, das einst die Heimat der fortgeschrittenen Kultur der Alten war. Seinen Lebensunterhalt verdient er halblegal als Relikthändler und –jäger. Normalerweise sind es harmlose Objekte von höchstens archäologischem Interesse, doch nicht so bei seinem jüngsten Auftrag: Er soll sich auf die Suche nach Gegenständen machen, mit denen sich die Magie der Alten wirken lässt. Dummerweise kann er den Auftrag nicht ablehnen, denn er kommt von ganz oben. Er muss sich also den Intrigen der Mächtigen und dem lebensfeindlichen Ödland stellen.

-Somewhere else, in a room shadowed by age and death, a man readies himself to look into the future for what maybe the last time.-
Chapter One

Wenn man Ideen aus Lobgesang auf Leibowitz, Picknick am Wegesrand und einer Reihe von postapokalyptischen Geschichten nimmt und zusammenwirft, könnte das böse ins Auge gehen. Aber 1995, als Martha Wells’ zweiter Roman City of Bones veröffentlicht wurde, war die Postapokalypse noch bunter und vielfältiger als heute, und die Autorin verfolgt mit den unverständlichen Relikten einer selbstzerstörerisch agierenden, aber auch sehr fremdartigen Zivilisation (die Erde, wie wir sie kennen, war auf jeden Fall nicht das Fundament, auf dem Charisat steht) und den von ihrer Tätigkeit geprägten Reliktjägern (und –anwendern) ganz eigene Ziele.
Die Weltschöpfung erstreckt sich dabei nicht nur auf die Wüste mit ihren giftigen Bewohnern und surrealen Stätten einer vergangenen Kultur, sondern vor allem auf das Leben, das sich danach angesiedelt und angepasst hat. In Charisat, einer Handelsmetropole mit verschiedensten Einflüssen, ist vor allem die soziale Komponente fein beobachtet – meist durch die Augen von Khat, der als Mitglied eines Wüstenvolks, das den Ödlanden besser trotzt als der Mensch, keine Chance hat, auch nur ein bisschen in der streng nach ihren Ebenen gegliederten Stadt (oben gibt es noch frisches Wasser) aufzusteigen. Selbst im Elendsviertel wird er teils nur gerade eben geduldet, ohne die Möglichkeit, einen ehrbaren Beruf auszuüben, und so verwundert es nicht, dass aus ihm ein ganz schön harter Kerl geworden ist. Gerade diese unteren Ebenen erfahren eine sehr differenzierte Darstellung – gnadenlos, aber auch herzlich, ein Ort, an dem man den nötigen Überlebenskampf auf unterschiedliche Weisen führen kann.
Erst nach und nach lernt man das ganze Ausmaß des perfiden Systems kennen, das im sozialen Gefüge Charisats jeglichen Aufstieg und jede Veränderung verhindert. Da ist es auch nur logisch, dass die obere Kaste ihre eigenen Spielchen treibt und vor allem an der Wahrung des Status quo und Machtzuwachs interessiert ist, während man unten nur an guten Tagen seinen Durst löschen kann.

In einen solchen Machtkampf gerät Khat, der mit seinem gebildeten menschlichen Partner sein kleines Relikt-Unternehmen betreibt – und beiden Seiten ist bei diesem Handel von Anfang an klar, welche Rolle den entbehrlichen und machtlosen Auftragnehmern zugedacht ist. Aufgelockert wird dieses (durch Khats Undurchsichtigkeit ohnehin nicht ganz so) schwarz-weiße Gemälde durch Elen, eine Wärterin, die Khat als Kontaktperson zugeteilt wird und die jung genug ist, sich ein Herz bewahrt zu haben, allerdings auch eine nicht immer gesunde Naivität gegenüber den harten Realitäten ihrer Welt.
Die Figurenzeichnung ist eher subtil, es gibt kaum Extreme: Der harte Knochen Khat wird eigentlich niemals ein überzeugender cooler Draufgänger, sondern offenbart recht rasch seinen verletzlichen Kern, so dass er auch Elen als kompetente, aber eher zurückhaltende Frauenfigur nicht in den Schatten stellt. Manchmal wirken die Emotionen der Figuren ein wenig forciert und übermotiviert, vielleicht gerade weil Khat und Elen eher ruhige und besonnene Personen sind.

Mit seinen Geistern, den Handels- und sonstigen Aufsehern, die dafür sorgen, dass jeder auf seiner Ebene der Stadt bleibt, und den unteren Bereichen mit ihrer Platznot und Kriminalität ist Charisat ein Ort, der wie geschaffen ist für eine Abenteuerhandlung – und das ist die Reliktjagd von City of Bones letztlich, ob nun in ein Herrenhaus eingebrochen oder ein altes Heiligtum in der Wüste geplündert werden muss.
Trotzdem liegt der Fokus ein wenig anders als erwartet, denn die Intrige (die man vermutlich sehr, sehr früh in der Handlung durchschaut), der soziale Zündstoff und die Abenteuer sind vor allem Kulisse für eine Geschichte, bei der Forschung und die Aufdeckung alter Geheimnisse im Mittelpunkt stehen: Nachdem man einmal (mithilfe einer großartigen Gelehrten-Nebenfigur) erkannt hat, wie sehr die Vergangenheit in die Handlung drängt, wird aus der kleinen Geschichte etwas wirklich großes mit einer beeindruckenden Auflösung, das die detaillierten Ideen der Weltschöpfung am Ende zu einem runden Ganzen zusammenführt.
Auf dem Weg dahin mag es die ein oder andere Länge geben, aber bei dieser innovativen Weiterentwicklung macht sich der feine Aufbau der Geschichte bezahlt, und richtig langweilig wird es mit Khats Gratwanderung in Diensten der Obrigkeit, bei der er vor allem anderen seine eigene Haut retten will, eigentlich nie.

The City of Ember von Jeanne DuPrauDie Stadt Ember existiert im dunklen Innern der Erde, erhellt nur durch das elektrisch erzeugte Licht eines einzigen Generators. Doch ausgerechnet der droht nun zu zerfallen und die marode gewordene Stadt in vollkommene und nie enden wollende Dunkelheit zu tauchen.
In dieser Zeit macht die junge Lina Mayfleet eine Entdeckung unter den Erinnerungsstücken ihrer Großmutter – eine Kiste, in der sich die bruchstückhaft erhaltenen Anweisungen der Erbauer Embers befinden. Anweisungen, die die Bewohner retten und in eine neue Stadt führen könnten.

»They must not leave the city for at least two hundred years«, said the chief builder. »Or perhaps two hundred and twenty.«
»Is that long enough?« asked his assistant.
»It should be. We can’t know for sure.«
»And when the time comes«, said the assistant, »how will they know what to do?«
»We’ll provide them with instructions, of course«, the chief builder replied.
– The Instructions, S. 1

Es wird abenteuerlich und schmutzig! Das wird nicht nur schon beim Betrachten des Buches selber klar, wo eine altmodisch gezeichnete Stadtkarte für den nötigen Überblick sorgt und vergilbtes Papier den Hauch von Alter vermittelt.
The City of Ember (Lauf gegen die Dunkelheit) ist das Debüt der Autorin Jeanne DuPrau, die eine Welt unterhalb der Erdoberfläche erschaffen hat, als letzte Hoffnung für das Überleben der Menschheit. Den Emberanern ist die Bedeutung ihrer Heimat dabei nicht bewusst. Für sie ist die Stadt die einzige Form der Existenz, die sie kennen, sozusagen das ganze Universum. So wie man einst glaubte, das Meer fließe am Ende der Welt über den Rand der Erdscheibe hinaus, so glauben die Bewohner Embers, hinter dem Licht der Stadt läge nur ein weites Nichts.

In gigantischen Lagerräumen haben die Erbauer den Emberanern einst Unmengen von allem hinterlassen, was man zum Überleben braucht: Lebensmittelkonserven, Medizin, Vitamin-Präparate, Kleidung, Glühbirnen … doch nach beinahe 250 Jahren ist von diesen einstigen Reichtümern nicht mehr viel geblieben. Der Leser bewegt sich durch eine rostige Welt des Zerfalls, durch eine reine Nutzgesellschaft, die keine Herstellungsprozesse kennt. Embers Bewohner wissen nicht einmal mehr, wie man Elektrizität oder Feuer erzeugt und somit auch nicht, wie man den Generator reparieren, transportable Lichtquellen oder neue Energiequellen schaffen könnte. Sie sind gerade noch in der Lage, die Dinge am Laufen zu halten. Dabei ist es unheimlich spannend zu erleben, wie der eigene Kosmos und das wenige Wissen um unser Universum in Ember zu einer Art Mikrokosmos wird. Für die Emberaner existieren weder Sonne noch Mond, doch elektrisches Licht und Dunkelheit treten hier als stellvertretende Pendants auf. Die Dunkelheit wird zur Weite des Universums, die Erbauer zur Schöpfungskraft … alles, was man als Leser erkennt, entdeckt man gleichzeitig völlig neu, weil es in Ember eine ganz andere Bedeutungsschwere bekommt. Unweigerlich schleicht sich da der Gedanke ein, ob nicht auch unsere Erde eine Art Ember sein könnte. Doch genug der Meta-Ebene und des Philosophierens!

Man schreibt vermutlich das Jahr 241 – “vermutlich” weil das regelmäßige Aufziehen der großen Uhr oder die Einhaltung der Tages- und Nachtzeiten gelegentlich auch mal vergessen wurde –, als die Schüler Lina und Doon ihren Abschluss machen. Wie alle Emberaner beenden auch sie ihre Schulzeit im Alter von zwölf Jahren und treten sofort in das Berufsleben ein. Wer nun denkt, ein Kinderbuch präsentiert zu bekommen, darf gleich wieder aufatmen. Die beiden Helden dieser Geschichte sind für ihr Alter überraschend erwachsen, verantwortungsbewusst und clever, nur in seltenen Momenten erhält man einen Hinweis darauf, dass es tatsächlich noch Kinder sind. Dadurch fällt es auch erwachsenen Lesern nicht schwer sich mit Lina und Doon, den beiden Hauptfiguren, zu identifizieren und ihrem Abenteuer zu folgen.

Doon, ein rebellischer und hitziger Junge, der manchmal mit unbedachtem Eifer nach der rettenden Lösung für Embers Probleme sucht, und Lina, ein Mädchen voller Energie und Tatendrang, kommen durch den Fund eines alten Dokuments der Erbauer möglicherweise zu genau dieser Lösung. Angespornt von ihrem gemeinsamen Ziel, Embers Bewohner zu retten, entziffern Lina und Doon nach und nach die Überreste der Anweisungen.
Mit diesen beiden lebendig gezeichneten Charakteren bewegt sich der Leser nun durch eine klassische Queste mit Hinweisen und Entdeckungen, zwischen tropfenden Rohren, verborgenen Türen, neu entdeckten und gleichzeitig unbekannten Gebrauchsgegenständen, die Lina und Doon zunächst Rätsel aufgeben. Es beginnt ein Reise, die an Jules Vernes Abenteuer erinnert, mit vielen Fragen im Hinterkopf. Wie lange noch kann Ember überleben? Wird das Licht der Stadt eines Tages für immer erlöschen? Gibt es eine Stadt außerhalb Embers und damit eine Hoffnung für das Überleben der Bewohner?

Die Suche nach Antworten wird von einem stimmigen Weltenbau begleitet und vielen sozialkritischen Aspekten, die man in einem Jugendbuch nicht unbedingt erwarten würde. Vertraute Details sorgen außerdem dafür, dass der Roman ein heimeliges Gefühl vermittelt. Da sind z.B. Konserven mit den Etiketten unserer vergangenen Gesellschaft oder Redewendungen, von Generation zu Generation weitergetragen, die in Ember weiter benutzt werden, deren Worte aber oft sinnlos erscheinen. So wird “im selben Boot sitzen” zwar sinngemäß verstanden als “in der selben Situation sein”, doch was ein “Boot” ist und was es bedeutet, das kann niemand mehr sagen. Dieses Zusammenspiel von Alt und Neu, Wissen und Unwissen, Gewohnt und Ungewohnt, macht The City of Ember zu einem nahezu romantischen Lesegenuss für Jung und Alt. Nichts ist so spannend wie die Suche nach unseren Wurzeln, und das findet man in diesem Roman, während man sich mit Lina und Doon auf die Spuren der Erbauer begibt.

Viele dystopische Romane schildern so ein Szenario auf wenig erfreuliche, schon gar nicht wünschenswerte Weise. Doch Ember ist anders. Trotz ihres inzwischen kläglichen Zustands ist sie voller Leben und erfüllt von dem Geist eines Neuanfangs. Die Stadt wurde erbaut, um die Menschheit zu retten und dieser Plan geht auf. The City of Ember begleitet unsere glückliche Rückkehr in die Welt und bietet ein nostalgisches Leseerlebnis mit einem wehmütigen Blick zurück auf das Verlorene. Die Konstruktion der Stadt wirkt dabei solide durchdacht. Nur selten fragt man sich, ob dieses oder jenes in der Realität wirklich funktionieren kann oder ob es sich die Autorin nicht gerade doch zu einfach macht.

Das halboffene Ende des Romans klärt nicht alle Fragen, es kann aber getrost so stehen gelassen werden und wer auf den Geschmack gekommen ist, darf sich über zwei Fortsetzungen und ein Prequel freuen.
(Sprachlich ist The City of Ember übrigens leicht verständlich gehalten und damit auch für Englisch-Einsteiger im Original zu empfehlen.)

Verfilmung:
Das Buch wurde 2008 stimmungsvoll verfilmt. Neben der aufstrebenden Schauspielerin Saoirse Ronan in der weiblichen Hauptrolle treten u.a. Bill Murray, Tim Robbins, Martin Landau und Marianne Jean-Baptiste auf.
Einen ausführlichen Bericht zum Film gibt es im Blog.

Dämonenjagd von Jack YeovilKlimakatastrophen, wirtschaftlicher Zusammenbruch und einiges mehr haben die Weltordnung kollabieren lassen. Die Wüsten der USA sind so unbewohnbar geworden, dass sogar die Mormonen aus Utah abgezogen sind. Allerdings hat sich eine andere Sekte, die Josephiner, dort niedergelassen, und ihr Anführer plant nichts Gutes: Mit einem Dämon will er die Datennetzwerke der letzten Organisationen lahmlegen, die noch für Ordnung sorgen. Zum Glück hat der Vatikan bereits eine Spezialagentin losgeschickt: Die Nonne Chantal Juillerat.

„Sagen Sie mal, Mister, was für’n Akzent ist das eigentlich, den Sie da sprechen?“ fragte der Tankwart und hängte den Stutzen in Durocs Wagen.
Teil I: Slims Tank & Grillstation

Bereits die Eröffnungssequenz von Dämonenjagd (Demon Download) hat es in sich und umreißt innerhalb weniger Seiten das Setting und den Ton des Romans – den verwüsteten mittleren Westen mit punktuellen Horten der Zivilisation (mehr oder weniger), bevölkert von meist in irgendeiner Form durchgeknallten Gestalten, während düstere, unheilverkündende Andeutungen inmitten von Ausbrüchen wilden Humors den Text durchwabern und ein schneller Abriss über die alternative Welt von Dark Future in Form von Radio-Beiträgen gegeben wird.
Damit steht man auch schon mitten in einem Setting, das weniger von der Realität entkoppelt ist als Mad Max und weniger retro als die ursprünglichen Fallout-Spiele, das aber trotzdem ganz klar in diese Nachbarschaft gehört, und zugleich die zynische Attitüde des inzwischen etwas angestaubten Cyberpunk mit sich bringt, wo Konzerne nur pro forma von staatlichen Organen verdeckt die Macht in Händen halten und die Politik zu einem Possenspielchen der Unterhaltungsikonen verkommen ist.

Bei Jack Yeovil aka Kim Newman wird es dann gerne noch ein Eckchen zynischer, und was er für Dark Future alles an Anspielungen und Ideen angehäuft hat, basierend auf dem Status quo Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, muss man sich einfach selbst erlesen – an dieser Stelle soll nur versprochen werden: Es wird ein wilder Ritt quer durch alle Sparten. Für die US-Neuauflage der Dark-Future-Romane vor wenigen Jahren gab es im Umfeld der politischen und popkulturellen Anspielungen ein paar Updates, deutsche LeserInnen müssen sich mit den alten Vorstellungen begnügen, und am meisten Spaß macht der Roman ohnehin, wenn man mit dem Zeitkolorit, das er unweigerlich aufweist, etwas verbinden kann.
Den teils absurden, teils äußerst bissigen Kommentaren zu Zeitgeschichte, Film oder Musik gegenüber steht ein regelrechtes Abfeiern sämtlicher Western-, Wüsten- und Endzeit-Klischees, die sich in das ursprünglich für ein Tabletop von Games Workshop entworfene Dark-Future-Setting einbringen ließen: Mutanten, Gangs, Highways, Motorräder – Jack Yeovil weiß, wie man diese Träume in ein so grelles Licht taucht, dass sie beinahe, aber nur beinahe zerplatzen. Den Tabletop-Hintergrund erkennt man allenfalls in den vielen verschiedenen Fraktionen, die auf der Bildfläche erscheinen und gegen die beiden Helden, einen Trooper aus der neu auferstandenen U.S. Cavalry und die Kampfnonne Chantal, antreten, sich ihnen anschließen oder beides nacheinander tun.

Die bis in die bizarrsten Nebenrollen authentischen Figuren holen den Spaß dann auch wieder auf solideren Boden zurück – zumindest so solide, wie es eine schöne Kampfnonne mit Hacker-Ausbildung hergibt. Chantal, deren Reize klassischerweise durch ihr Nonnendasein eher erhöht als gemindert werden (und die mindestens seelenverwandt mit Genevieve Dieudonné sein muss, Yeovils Heldin aus seinen Warhammer-Romanen), ist nicht die einzige, bei der der Autor ausführliche Rückblenden zur Charakterisierung einsetzt und damit auch weiteres Weltgeschehen außerhalb der US-Wüstenei sichtbar macht.
Die Dialoge sitzen und lesen sich wie aus einem Filmskript, und auch viele andere Momente verwandeln sich im Kopf wie von selbst in bewegte Bilder. Dass Dämonenjagd von der Verfolgungsjagd über klassische Schießereien bis hin zu Explosionsfeuerwerken über alle Nuancen eines rasanten Actionkrachers verfügt, tut das Seine dazu. Und da der titelgebende Dämon ein höllisches Ungetüm ist, das zurecht den unglaublich modernisierten Vatikan auf den Plan ruft, ist der Bodycount hoch und es wird ziemlich blutig, inclusive einiger Splatterszenen und anderer schriller Action.

Trotzdem erreicht Dämonenjagd eine andere Ebene als lediglich die der augenzwinkernden Popcorn-Unterhaltung, denn sowohl Anspielungen als auch Handlungs- und Figurenhintergründe lassen bitterböse Abgründe aufklaffen. Bei allen aufgemotzten Autos, saufenden, schießwütigen Priestern, harten Männern und noch härteren Frauen geht das deutsche Trash-Cover daher am Wesentlichen weit vorbei, denn all diese Klischees werden mit einem satirischen oder zumindest überdrehten Bruch gewürdigt, und der Wüstenstaub, den sich verselbständigende Motorräder und wildgewordene Kampfroboter aufwirbeln, schmeckt bitter.

Darkness on the Edge of Town von Brian KeeneEines Morgens geht über dem kleinen Städtchen Walden die Sonne nicht mehr auf. Sämtliche Verbindung mit der Außenwelt ist abgebrochen, die Elektrizität versagt, Telefonleitungen und auch der Mobilfunk sind tot. Sonne, Mond und Sterne… das gibt es nicht mehr. Die Stadt ist lückenlos eingehüllt von alles verzehrender Dunkelheit und wer immer Walden verlässt, kommt nicht mehr zurück.
Robbie, seine Freundin Christy und ihr Nachbar Russ finden heraus, dass sich etwas in der Dunkelheit befindet, etwas Tödliches. Doch auch innerhalb der Stadtgrenzen treibt das Übel der Menschen in rasantem Tempo an die Oberfläche.

– According to the Bible, here’s how it all went down. You’ve got the word and the darkness and not much else. The two of them are just sort of hanging out together. The word and the darkness, chilling together in the void. And then the word says, “Let there be Light” and there was. And things continued just fine after that, for the most part.
Then, millennia later, some asshole comes along and fucks it all up.” –
One, S. 7

Darkness on the Edge of Town (Am Ende der Straße) ist das hinterlassene Notizbuch des Protagonisten Robbie Higgins. In Form rückblendender Aufzeichnungen schildert er dem Leser die Ereignisse, die mit der Ankunft der Dunkelheit begonnen haben. Die Art dieser Notizen und die gelegentlich direkte Ansprache des Lesers zielen einerseits auf ein unmittelbares Nacherleben ab, als würden die Aufzeichnungen just in diesem Moment gemacht, und andererseits erwecken sie den Eindruck, man habe als Leser Robbies Tagebuch gefunden.

Es gibt verschiedene kleine und große Ansätze philosophischer, religiöser und heidnischer Erklärungsversuche bis hin zu einem kritischen Blick auf die moderne Gesellschaft, in der keiner mehr seinen Nachbarn kennt und sich jeder nur noch für sich selbst interessiert. Verstärkt und beschleunigt durch den Einfluss der Dunkelheit, die im Weiteren nicht näher beschrieben wird, brechen daher in Walden die letzten verbliebenen moralischen Werte innerhalb von Stunden zusammen, Folter, Mord und Vergewaltigung werden zu einer alltäglichen, kaum beachteten Tagesordnung. Daneben sind die üblichen Ladenplünderungen schon zu vernachlässigen.

Was nun zunächst einmal gar nicht so schlecht beginnt und eine mysteriöse Endzeit-Geschichte mit Gruselfaktor versprechen mag, entpuppt sich als langweiliger Klon hundertfach erzählter Geschichten, ein bisschen Stephen King, ein bisschen Nebel des Grauens etc. – wäre es wenigstens eine gut durchdachte, spannende Erzählung, so könnte man den Roman sicher trotzdem genießen, so jedoch ist Darkness on the Edge of Town eine große Enttäuschung und leider auch eine Beleidigung für das Horror-Genre.
Der sprachliche Stil ist sehr einfach, man könnte auch sagen: zum Erbrechen simpel und stellt eine Ansammlung von Slang, Schimpfworten und gerauchten Joints dar. Die Handlung wirkt stark konstruiert und in sich nicht konsequent, es geschehen immer wieder die gleichen Dinge, dieselben Formulierungen tauchen regelmäßig auf, bestimmte Tatsachen werden zur Genüge wiederholt, auf dass der Leser sie auch wirklich zwischendurch nicht vergesse. Ein Widerspruch jagt den nächsten und weitere zahlreiche Ungereimtheiten tummeln sich unter dem Mantel des Mystery-Horrors.
In jedem Satz spürt man die Bemühung des Autors, etwas von der Furcht und dem Horror zu vermitteln, von dem der Ich-Erzähler in allzu gelangweilter, emotionsloser Manier berichtet, er scheitert dabei entsprechend auf ganzer Linie, trotz der eingangs erwähnten guten Ansätze. Auch der Versuch, einen Running-Gag einzubauen, muss vor der erzwungenen Komik der Sache kapitulieren.

Von den Charakteren kann man leider ebensowenig erwarten wie vom Rest dieses schmalen Romans. Sie bleiben bis zum Schluss blass und vermögen es nicht, den Leser in irgendeiner Form zu beeindrucken. Falls sie etwas anderes als uninteressant sind, dann kann man wohl nur sagen dumm und unglaubwürdig, zumindest verhalten sie sich häufig so, wenn sie nicht gerade wieder eine Bong mit Mariuhana rauchen.
Es mag eine Frage des persönlichen Geschmacks sein, doch es gab schon deutlich besser funktionierende Anti-Helden oder auch völlig normale Alltagsmenschen, die sich im Mittelpunkt einer hoffnungslosen Situation wiederfinden.

Was bleibt abschließend über diesen Roman zu sagen? Nachdem man sich schließlich fast 190 Seiten lang durch diese trockene Erzählung gekämpft hat, in der Hoffnung, die letzten Seiten würden einen für das Durchhalten entschädigen, schließt Darkness on the Edge of Town mit einem offenen Ende ab, welches noch einmal einen letzten kläglichen Versuch unternimmt, ein “Ende-der-Welt” Gefühl aufkommen zu lassen.
Eine insgesamt gute Idee, die leider völlig laienhaft umgesetzt wirkt und wohl eher als notdürftiger Lückenfüller taugt. Schade.

The Diamond of Darkhold von Jeanne DuPrauNeun Monate nach ihrer Flucht aus Ember haben sich die ehemaligen Bewohner in der kleinen Stadt Sparks eingerichtet und die Differenzen mit den dortigen Einwohnern überwunden.
Doch das Leben ist nicht unbedingt leicht in Sparks. Der Winter ist angebrochen und die Lebensmittelversorgung der Stadt sieht nicht gut aus. Lina und Doon beschließen, noch ein letztes Mal nach Ember zurückzukehren, um dort nach brauchbaren Dingen zu suchen, die das Überleben in Sparks vereinfachen könnten. Doch was mag in der Dunkelheit ihrer einstigen Heimat inzwischen lauern?

-„When the people emerge from the city,“ he said, „they will find themselves in a devastated world.“
„Unfortunately true,“ said his assistant.-
The Vault, S. 1

The Diamond of Darkhold stellt den Abschluss der Books of Ember dar und man ist beinahe geneigt, sich erlöst zu fühlen von der Qual, zu der die schöne Stadt Ember geworden ist. Obwohl der vierte Teil ein klein wenig unterhaltsamer ist als die beiden Vorgänger, fällt es doch insgesamt schwer zu glauben, dass The City of Ember (Lauf gegen die Dunkelheit) von derselben Autorin geschrieben worden sein soll wie die drei Nachfolger. Die Unterschiede sind leider beträchtlich, daher gleich vorweg der Rat: Spart euch die Bände 2-4 und belasst es bei The City of Ember als Einzelbuch.

The Diamond of Darkhold leidet wie die beiden Vorgänger unter dem Fehlen einer mitreißenden Atmosphäre und Geschichte. Alles wirkt zwanghaft um den Kern – in Form einer moralischen Botschaft – herum konstruiert. Die Charaktere haben viel von ihrer anfänglichen Cleverness eingebüßt, was natürlich vor allem an Lina und Doon deutlich wird, die inzwischen wesentlich jünger und naiver wirken als sie es im ersten Teil waren. Erwachsene Figuren scheinen generell nur pro Forma vorhanden zu sein, wirklichen Nutzen oder gar Führungsqualitäten bieten sie nicht. Genaugenommen befindet sich der Intellekt der Erwachsenen irgendwo im Bereich Sechs- bis Zehnjähriger, was dann doch arg unglaubwürdig wirkt.

Nachdem Lina und Doon nun ein altes, zerfleddertes Buch finden, das eindeutig von den Erbauern stammt, liefert Jeanne DuPrau nach bereits bewährter Taktik ein neues Rätsel um Ember und einen geheimnisvollen Diamanten. Leider gelingt es der Autorin nicht mehr, etwas Neues und Unerwartetes zu präsentieren. Der Roman folgt Punkt für Punkt dem bereits bekannten Schema der Vorgänger, abzüglich nachvollziehbarer Erklärungen. Des Rätsels Lösungen sind plötzlich da und man weiß nicht recht, woher sie kamen und wie sie sich ergeben haben. Keine Spur mehr von Abenteuer und Spurensuche, ja nicht einmal die vermeintlichen Gefahren wecken beim Leser noch Interesse. Geschichte und Figuren treiben so voran, ganz gemächlich, bis man am Ende angelangt ist, wo eine letzte Lektion für den Leser wartet.

Einzig positiv an diesem Abschlussband ist die kurze Rückkehr nach Ember, wo man als Leser gleich wieder in die eigenartige Sogwirkung der unterirdischen Stadt gerät. Man kann die Gerüche beinahe wahrnehmen und den metallischen Geschmack der Stadt kosten. Phantasien erwachen vor dem geistigen Auge zum Leben.
Schade, dass es nur ein kurzer Aufenthalt ist, der in einer Art weichgespültem Hollywood-Ende gipfelt, ohne je die unbeantworteten Fragen zu klären, die einen als Leser wirklich interessiert hätten. So muss man letztlich doch recht enttäuscht Abschied nehmen von dieser vielversprechenden Stadt unter der Erde.

The City of Ember vermochte viele Eindrücke zu vermitteln und Neugierde zu wecken – auch bei einem erwachsenen Publikum. Ab The People of Sparks aber muss man ganz klar sagen, dass es reine Kinder-/Jugendbücher sind, die man besser auch dieser Altersgruppe überlässt, denn es wird, trotz aller Hoffnungen, nicht mehr besser.

Diving Mimes, Weeping Czars and Other Unusual Suspects von Ken ScholesDie siebzehn Kurzgeschichten führen diesmal auf die Erde nach einem Alien-Angriff, Kolonien auf fernen Planeten, deren Siedler längst die Technik vergessen haben, in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, ins Herz eines Galaktischen Imperiums, in eine Bar irgendwo im Westen und an etliche andere Orte zu anderen Zeiten.

-Frederico leaned close to smell the poison on his thirteenth wife’s cold, dead lips.-
A Weeping Czar Beholds the Fallen Moon

Auch Ken Scholes’ zweite Sammlung von Kurzgeschichten – eine Form, in der der Autor zu Hause ist wie der Fisch im Wasser – bietet wieder einen kreativen Reigen von vor allem thematisch und durch ihre überbordende Phantasie verbundenen Episoden, die völlig verschiedenen Subgenres zuzuordnen sind und die Tür zu ihren jeweiligen Welten einmal weit aufreißen, um sie nach einem kurzen Blick wieder zu schließen.
Das Nachwort verrät – falls man es sich nicht aus den Texten selbst erschließen konnte – die Zugehörigkeit einzelner Geschichten zu größeren (meist noch ungeschriebenen) Zyklen oder einem gemeinsamen Setting.

Zwei der Geschichten gehören zur Psalms of Isaak (Die Legende von Isaak)-Reihe, darunter die lange Eröffnungs-Erzählung, die eine gute Ergänzung zum zweiten Band der Reihe darstellt und in eine frühere Ära der Benannten Lande führt. Of Missing Kings and Backward Dreams and the Honoring of Lies ist dagegen ein früher Entwurf für den ersten Band, als dieser noch als Zyklus aus mehreren Kurzgeschichten konzipiert war, und gibt einen guten Einblick in Scholes’ schöpferischen Prozess.
In beiden Geschichten tritt eines seiner großen Talente zutage: Mit der Weltschöpfung auch auf kleinstem Raum mehr zu vermitteln als andere in ganzen Zyklen und dieses Grundkonzept der Fantasy, das Simulieren von großen Welten mit wenigen Worten, damit auf die Spitze zu treiben.
In beinahe jeder Geschichte in Diving Mimes and Weeping Czars kann man staunend davorsitzen, wenn dieser Trick wieder und wieder gelingt, etwa in der knallig bunten und tieftraurigen postapokalyptischen Erde der Four Clowns of the Apocalypse and the Mecca of Mirth, die sich schnell ein neues Bezugssystem aus Mythen und Geschichten zugelegt haben, oder im pangalaktischen Invisible Empire of Ascending Light, das schon etliche Schismen hinter sich hat und in der tragischen Erzählung nur eine Ahnung der Geschichten vermittelt, die sich innerhalb seiner Grenzen abspielen könnten.
Dieses unerwähnt bleibende Mehr, das in vielen Geschichten der Sammlung mitschwingt, ist mitunter Scholes’ größte Trumpfkarte.

Eine andere sind seine Themen: Fast alle Geschichten haben spirituelle, aber auch religionskritische Untertöne, in einigen rücken sie auch in den Vordergrund, wie etwa bei On the Settling of Ancient Scores, wo es Gott und der Teufel in einer Bar austragen wollen, oder The God-Voices of Settler’s Rest, einer melancholischen Rückschau auf ein Leben, das einer ominösen Religion gewidmet war.
Auf verschiedenen Wegen nähert sich Scholes auch dem Umgang mit dem Tod (absurd und tragikomisch, aber psychologisch unfehlbar in Grief-Stepping to the Widower’s Waltz, mit eindeutig durchschimmernder Eigenerfahrung in The Taking Night). Zwei Liebesgeschichten bereiten auch dieses Thema verspielt und geschickt auf: Love in the Time of Car Alarms ist eine niedliche, aber unkitschige Romanze in Scholes’ Superhelden-Universum, There Once Was a Girl in Nantucket reiht die Liebe als ein weiteres Element in eine Parade von surrealen Ereignissen ein.

Viel Vergnügen machen auch zwei Geschichten, die auf den Artus-Mythenkreis zurückgreifen, diesen aber sehr ungewöhnlich umsetzen: eine entpuppt sich als auf schlichte Weise schön und bleibt dicht an ihrem adoleszenten Helden, der in die Fußstapfen von Tom Sawyer und Huckleberry Finn zu treten scheint, die andere tischt ein kurioses, drastisches Setting auf und wird von Scholes’ Inszenierung der Heldenwerdung seiner Figuren getragen – wie schon in früheren Geschichten versteht er es, völlige Außenseiter in diese Rolle zu drängen und ihnen in den richtigen Momenten Pathos zu verleihen.
Nicht nur in dieser Geschichte ist die Zeit nach der Apokalypse ein Thema, zu dem Scholes immer wieder zurückkehrt – er beschreibt Neuanfänge, oft Rückfälle auf niedrigere Entwicklungsstufen, oder eine völlige Veschiebung des gesellschaftlichen Paradigmas, meist weg von der Rationalität, hin zum Glauben oder zu Welten, in denen Mythen und Geschichten Realität stiften.

Diese Mythen zaubert er aus dem Hut, als wären sie im Dutzend billiger – Ähnlichkeiten und gemeinsame Ursprünge lassen sich feststellen, genauso, wie sich nach und nach ein Mosaik aus Geschichten ergibt, die Teil eines größeren Entwurfs sind. Selbst in den kürzesten Geschichten, dem poetischen SF-Action-Kracher (!) The Night the Stars Sang Out My Name und der düsteren und trotzdem warmherzigen Endzeit-Episode What Child is This I Ask the Midnight Clear, scheut sich Scholes nicht, eine Fülle von Hintergründen durchscheinen zu lassen, die auf mühelose Weise authentisch wirkt.
Eines der Highlights der Sammlung, The Second Gift Given, ist dann auch zugleich Schöpfungs- und Zukunftsmythos und kann außerdem gut als Beispiel dafür dienen, dass die anspruchsvollen Konstruktionen des Weltenbaus niemals die menschliche Basis der Geschichten überragen: Es behandelt ein moralisches Thema, mit dem beinahe jeder Mensch irgendwann einmal konfrontiert wird, auf so einfühlsame Weise und gleichzeitig mit einem solchen Weitblick, dass man schon allein für diese eine Geschichte unter siebzehn diese Sammlung ins Regal stellen sollte.

Grau von Jasper Fforde„Ich muss mich in Demut üben“: nach einem kleinen Scherz muss Eddie Russett diesen Anstecker tragen und in einem Dorf nahe der Gesindel-Grenze ebendieses tun, indem er eine Stuhlzählung durchführt – dabei hat er als Mensch mit einer exzellenten Rotwahrnehmung Zuhause beste Aussichten auf eine Prestige- und Farbtonreiche Heirat. Doch als in einer Filiale der NationalColor-Gesellschaft, die für die synthetische Colorierung der wohlhabenden Teile der Welt zuständig ist, ein Bürger unter mysteriösen Umständen stirbt, nehmen Ereignisse ihren Lauf, die Eddie nicht ignorieren kann. Und dann ist da auch noch Jane, die stupsnasige Schönheit, die versucht, ihn umzubringen…

2.4.16.55.021: Männer haben sich auf Interkollektivreisen nach Kleiderordnung Nr. 6 zu richten. Hüte werden ausdrücklich empfohlen, sind aber nicht vorgeschrieben. –
Ein Morgen in Zinnober, S. 5

Eddie Russett sieht rot. Was bei unsereins nur in Ausnahmefällen passiert – vielleicht wenn unser Lieblingsbuch out-of-print geht oder der 42. Band von Die Zwerge zum Bestseller wird –, ist für den jungen Protagonisten des neuen Romans von Japser Fforde ein Urteil von einer Tragweite, die der Leser erst nach und nach begreift. Ist die Bestimmung der Farbwahrnehmung eines Menschen einmal vollzogen, gleicht das Leben einem wohlbekannten Buch: man weiß genau, was passiert. Dieser Initiationsritus, Ishihara genannt, macht aus Kindern Erwachsene, was in Grau jedoch keinen großen Unterschied macht.

Jasper Fforde schafft mit seinem Roman eine Zukunftsvision, die trotz aller Farbenprächtigkeit und der Bemühungen von NationalColor düster erscheint. Ungefähr 500 Jahre in der Zukunft regelt eine Zentrale alle Bereiche des Lebens, immer ausgehend davon, welche Farbe ein Mensch wahrnehmen kann. Die handelnden Figuren bleiben dabei zum größten Teil so monochrom wie ihr Sehvermögen, wobei jeder durch ausgesuchte Boshaftigkeit immer aufs Neue zu überraschen weiß. Diskriminierungsgründe glaubt der Mensch viele zu kennen, und keiner ist so bequem und schnell bei der Hand wie die Farbe. In der Welt des Eddie Russett, wo Vorurteile sich als Regeln tarnen, wird nichts so ausführlich zelebriert wie die Unterwürfigkeit auf der einen und unverrückbare Dominanz auf der anderen Seite. Das daraus resultierende Gefühl der Stagnation zieht sich wie ein Faden durchs Buch, der aufgrund seiner Farbe scheinbar von niemandem außer dem Leser wahrgenommen werden kann. Doch Eddie ist nicht umsonst ein Roter, und so begeht er eine Ungeheuerlichkeit: er beginnt, Fragen zu stellen.

Denn alle Regeln werden grundsätzlich befolgt, ohne hinterfragt zu werden. Soziale Beziehungen werden ausschließlich aufgrund von Kosten-Nutzen-Rechnungen gepflegt; Freundschaften sind limitiert und werden ganz im Stile unserer sozialen Netzwerke angeboten: Die Frage „Freundschaft?“ kann formal abgelehnt oder angenommen werden; dabei spielt weniger Sympathie, sondern Berechnung eine Rolle und treibt die Tendenz zur Sinnentleerung des Begriffes auf die Spitze.
Sinnentleert sind übrigens viele Regeln, die Munsell, eine Art Prophet, einst formulierte und nach deren Wortlaut die Gesellschaft handelt und funktioniert. Zahlreiche Tabus beengen jeglichen Handlungs- und Gefühlsspielraum, und der Leser kann nicht anders, als die mit Postleitzahl und Barcode klassifizierten Bürger als Gefangene ihres eigenen Systems zu begreifen.

Fforde führt den Leser behutsam an seinen Weltentwurf heran und lässt den Einstieg farbenfroh erscheinen. Als Leser erfreut man sich zunächst an den skurrilen Rückbezügen zu unserer heutigen Zeit und an den faszinierenden (Hierarchie-)Strukturen einer chromatischen Diktatur. Gemeinsam mit Eddie Russett begreift man schließlich mehr und mehr Facetten von Grau, bis einem das Lachen ab und an im Halse stecken bleibt. Denn so witzig die Absurditäten einer bis ins kleinste Detail von Regeln durchflochtenen Gesellschaft sind, so weiß man auch: man selbst möchte um keinen Preis in der Haut einer Fford’schen Romanfigur stecken. Die Unbeschwertheit seiner Zukunftsvision verliert sich im Laufe der Kapitel zwangsläufig mit Eddies schrittweiser Erkenntnis – zurück bleibt der gewohnte Fford’sche Humor und eine ordentliche Portion Unbehagen. Während Eddie Farbschicht um Farbschicht abträgt, um der Wahrheit unter all der Fassade näherzukommen, bekommt er es mit Nachtangst, Apokryphen und einer Menge Gesindel innerhalb der eigenen Dorfgrenzen zu tun. Und mit Jane.

Ja, Grau ist auch eine Liebesgeschichte, die zwangsläufig ohne rosaroten Kitschglanz auskommen muss. Denn Jane ist eine Graue, gehört also der niedrigsten gesellschaftlichen Schicht an und ist zudem das, was man als militante Freidenkerin bezeichnen könnte. Ihre Ideale sind losgelöst von jeder Farbwahrnehmung und bar jedes pazifistischen Gedankens. Das “Greater Good” verlangt Opfer, zu denen auch Eddie von Zeit zu Zeit zählt. Wenn dieser nicht gerade umgebracht werden soll, entwickelt er sich vom ahnungslosen, aber ungefährlichen Naivling zum Feind Eurer Farbenprächtigkeit. Dass die farbenprächtigsten Bewohner des Dorfes nicht imstande sind, menschliche Facetten abseits ihres schwarz-weißen Barcodes wahrzunehmen, ist bezeichnend für Ffordes Gespür für Ironie. Und nicht zuletzt beweisen die letzten Kapitel, die einer Erkenntnisexplosion gleichkommen, wie erschreckend gut der Autor seine Welt durchdacht hat. Radikaler als Thursday Next und mit hochaktuellen Themen, ist Grau nicht nur ein witziges Absurditätenkabinett, sondern eine rasante Dystopie, von der man mit Sicherheit eines sagen kann: von Schwarz-Weiß-Malerei ist sie weit entfernt.

Hieros Reise von Sterling E. LanierHiero ist ein Priester, zum Kampf körperlicher und geistiger Art trainiert, der die kaum mehr wiederzuerkennende Welt tausende von Jahren nach dem “Tod”, der atomaren Zerstörung,  bereist. Gefährlich mutierte – intelligent gewordene – Tiere durchstreifen die riesigen Wälder, und die Menschen leben zurückgedrängt in kleine Siedlungen. Die größte Gefahr jedoch geht von der Schwarzen Bruderschaft aus, mutierten Menschen, die sich den Rest der Menschheit untertan machen wollen.
Hiero wurde zusammen mit seinem klugen Reittier, dem Elch Klootz, aus seiner Abtei ausgesandt, um längst vergessene Hilfsmittel der früheren Zivilisation zu suchen, die den Kampf gegen die Schwarze Bruderschaft erleichtern sollen.

-Computersucher, dachte Hiero. Das klingt interessant und wichtig. Aber, fügte der pessimistische Teil seines Ich sogleich hinzu, auch ziemlich unverständlich, vorläufig wenigstens.-
1 Das Zeichen des Angelhakens

Das Horrorszenario des Atomkriegs liegt in Hieros Reise schon eine ganze Weile zurück, hat aber aufgrund der veränderten, gefährlichen Welt und des sichtbaren Niedergangs der Menschheit seinen Schrecken nicht verloren. Sterling E. Lanier ist es in seiner Endzeit-Heldenreise (wobei der Gleichklang hero-Hiero im Original natürlich naheliegender ist) gelungen, eine faszinierende, wieder-verwilderte Natur darzustellen, gegen die der Mensch kaum bestehen kann. Die Schauplätze sind riesige Wälder, Moore, Uferlandschaften und ab und zu eine versunkene Stadt. Die Wesen, denen Hiero begegnet, sind meistens monströs und darauf aus, den Helden aufzufressen oder ihm sonstwie zu schaden.
Die meisten Bewohner dieser menschenfeindlichen Umwelt sind “Standard-Mutanten”, denen heute eine leichte Staub-Patina anhaftet, allerdings gibt es ein paar originelle und sehr gelungene Ausnahmen, die Laniers Szenario zu etwas Außergewöhnlichem machen.

Besonderen Augenmerk hat der Autor aber auch auf die Weiterentwicklung der menschlichen Kultur gelegt: Relikte aus der Vergangenheit haben eine eigene, verwandelte Bedeutung erlangt, und die weiße Bevölkerung wurde in eine eher untergeordnete Rolle gedrängt, was zu recht interessanten Konstellationen führt (die Hauptpersonen sind übrigens indianischer oder afroamerikanischer Abstammung). Da Hiero ein christlicher Priester ist, erfährt man auch einiges über die Entwicklung des Glaubens und die Wirkung des Atomkriegs darauf. Hier läßt sich der Einfluß der über 10 Jahre seit dem Erscheinen von Walter M. Millers Canticle for Leibowitz nicht leugnen, doch wo Miller den Fokus auf Wissen, Glauben und gesellschaftliche Entwicklung legte, stehen bei Lanier das Abenteuer und die (nicht nur) negativ veränderte Welt im Vordergrund.

Besonders zu Beginn ist die Hauptfigur der einzige Bezugspunkt für den Leser, während Hiero alleine durch die Gegend reitet – seine Kommunikation beschränkt sich auf telepathischen Gedankenaustausch mit seinem Elch. Die intelligenten Tiere sind ein charmanter Aspekt des Romans, der vor allem in Form des später hinzukommenden Bären Gorm auch für eine Portion Humor sorgt. Die tut zu diesem Zeitpunkt allerdings auch Not, denn Hiero ist fast eine Spur zu sicher, zu übermenschlich gut, um als alleiniger Held heutigen Ansprüchen noch zu genügen. Je mehr Begleitung er bekommt, desto interessanter liest sich das Buch.

Der Held hat eine einfache Queste zu bestreiten und wandert auf einem mit Hindernissen gesäten Weg. Einigen Einzelabenteuern, die Hommagen an  Phantastik-Wegbereiter wie William Hope Hodgson vermuten lassen, und auch dem Sprachstil des Autors, der sich selbst recht häufig mit Erklärungen und Hintergrundinformationen einbringt, merkt man das Alter von über dreißig Jahren an. Die Angst vor atomarer Vernichtung, die während des kalten Krieges präsent war, ist Zeugnis dafür, und einige handlungstechnische Ideen, die man in der Zwischenzeit schon des öfteren gelesen oder auch in Filmen gesehen hat – wer erinnert sich nicht an diverse Szenen, wo ein Kreuz-Anhänger eine tödliche Kugel abfängt?
Ein Relikt ist das Buch deswegen aber noch nicht, denn die Ideen rund um die Suche nach Überbleibseln der verlorenen Zivilisation, das düstere, aber äußerst lebendige Zukunftszenario und der vergnügliche Humor lassen sich auch heute noch gut lesen und zeichnen ein bunteres Bild von Fantasy als so mancher Roman aus dem üblichen Einheitsbrei.

I am Legend von Richard MathesonRobert Neville ist der letzte Mensch auf Erden, doch alleine ist er nicht. Nach dem Ausbruch einer ansteckenden Krankheit, deren Ursprung und Verbreitungsart zunächst unklar sind, hat sich der Rest der Menschheit in Vampire verwandelt und dürstet nach Roberts Blut. Bei Tag, wenn die Kreaturen nahezu komatös sind, tötet er so viele Vampire im Schlaf, wie er in ihren Verstecken finden kann, bei Nacht verschanzt er sich hinter Knoblauch und dicken Schlössern in seinem Haus und hofft auf den nächsten Sonnenaufgang. Zwischen Depression und Hoffnungslosigkeit entwickelt Robert schließlich eine Idee, die zum neuen Lebenssinn wird. Er will die Ursache der Krankheit finden und mit diesem Wissen ein Heilmittel entwickeln.

– Then he stood in the dark kitchen, eyes tightly shut, teeth clenched, hands clamped over his ears. Leave me alone, leave me alone, leave me alone! –
Kapitel 1, S. 14

Richard Mathesons Erstlingsroman aus dem Jahr 1954 ist zu recht ein Klassiker der Literatur. Man stelle sich vor, man wacht eines Morgens auf und die Welt hat sich endgültig in eine Art Vorhölle verwandelt, in der nur noch blutdurstige Kreaturen leben. Im ersten Moment denkt man da gar nicht groß darüber nach, was das im Detail eigentlich bedeutet.

Matheson dagegen macht es auf Furcht einflößende Weise.

In seinem Szenario sind es nicht die Angst vor den überall lauernden Kreaturen, die kaum mehr als Tiere sind und rein nach Instinkt handeln, oder die Existenznöte, die Robert zusetzen, sondern die Einsamkeit und das Wissen, dass er der letzte Mensch auf Erden ist und mit ihm die Menschheit aussterben wird. Hilflos musste er zunächst zusehen, wie Freunde, Nachbarn und Familie nacheinander sterben und als Vampire wiederkehren, während Robert alleine und gejagt in dieser Welt zurück bleibt, ohne Halt, Unterstützung oder jemanden, der ihm Nähe in irgendeiner Form entgegenbringen kann. Der Leser erfährt erst im Verlaufe Buches, was zu dieser Tragödie geführt hat und weshalb Neville nicht von der Krankheit betroffen ist, die man ihm beinahe schon als Erlösung von seinem Schicksal wünscht. Denn die Normalität hat sich gegen ihn gewendet, die Vampire sind die beherrschenden Geschöpfe auf diesem Planeten geworden und er, Robert, die wirklich fremde Kreatur. Die ganze Wahrheit dahinter, der Robert bei seiner Suche nach dem Heilmittel bald näher kommt, ist dabei fast noch Grauen erregender als alles bisher überstandene und kommt für den Leser sowohl überraschend als auch bedrückend.

Matheson schafft es mit seinem dichten, atmosphärischen Schreibstil, die Einsamkeit, Angst und wachsende Hoffnungslosigkeit seines Protagonisten auf nur 160 Seiten derart präzise und eindringlich zu schildern, dass einen beim Lesen ein nachhaltiges Gefühl der Beklemmung packt. Man erlebt das Geschehen aus Roberts Perspektive, was es noch einfacher macht, sich in ihn hineinzuversetzen. Dabei kommen manche Ereignisse so schlagartig und endgültig, so vernichtend und gnadenlos, dass es einem die Kehle zuschnürt. Ein einziger schlichter Satz vermag es dadurch, jeden keimenden Funken von Hoffnung so gründlich zu zerschmettern, dass dem ein oder anderen schließlich Tränen in die Augen steigen werden. I am Legend ist also eher aus psychologischer Sicht ein Horror-Buch, welches völlig auf spritzendes Blut und sonstige Splatter-Einlagen verzichtet, nicht einmal die Vampire selbst werden besonders reißerisch oder Angst einflößend beschrieben, und doch traut man sich abends kaum das Licht auszuschalten.
Bücher wie I am Legend gibt es wirklich nur selten, und es verfolgt den Leser noch lange, nachdem das Buch längst seinen Platz im Regal wieder eingenommen hat.

Einen winzigen Abzug könnte man für das etwas überstürzte Ende geben. Es stellt jedoch nur einen kleinen Schönheitsfehler in diesem Werk dar und schmälert das Leseerlebnis nicht.

Für Fans von Endzeit-Szenarien, Science-Fiction und Vampiren im klassischen Stil ist I am Legend unbedingt zu empfehlen.

Verfilmung:
Der recht kurze Roman wurde mehrfach (eher missraten) verfilmt, 1964 unter dem Titel The Last Man on Earth, 1971 mit Charlton Heston in der Hauptrolle von The Omega Man, 2007 mit Marc Dacascos in I am Omega und zuletzt ebenfalls 2007, nur einen Monat später und weitaus populärer, mit Will Smith unter dem Titel I am Legend. Die Filme bieten auf ihre Art und mit ihren verschiedenen Ansätzen vielleicht dem ein oder anderen nette bis trashige Unterhaltung, doch die eindringliche Atmosphäre, das realistische Bild der Vorlage und die tragische Eigenart des Romans vermögen sie nicht zu transportieren. Der filmische Handlungsablauf oder Roberts dargestellte Ängste schaffen es nicht einmal ansatzweise an die Qualität des Buches heranzukommen. Zusätzliches Manko bei dem vermutlich bekanntesten der Filme, I am Legend, ist das typisch hoffnungsvolle bzw. pathetische Hollywood-Ende (es gibt verschiedene Endsequenzen), welches so gar nichts mehr mit der Buchvorlage zu tun hat und damit einen Großteil dieser wirkungsvollen Geschichte zerstört. Wer also bisher nur die Filme kennt, der sollte dringend zum Buch greifen. Ihr werdet euch gruseln, ihr werdet hoffen, bangen und das Buch mehrfach aus der Hand legen müssen, um euch zu erholen. Kurz gesagt: ihr werdet es nicht bereuen!

Ich bin Legende von Richard MathesonRobert Neville ist der letzte Mensch auf Erden, doch alleine ist er nicht. Nach dem Ausbruch einer ansteckenden Krankheit, deren Ursprung und Verbreitungsart zunächst unklar sind, hat sich der Rest der Menschheit in Vampire verwandelt und dürstet nach Roberts Blut. Bei Tag, wenn die Kreaturen nahezu komatös sind, tötet er so viele Vampire im Schlaf, wie er in ihren Verstecken finden kann, bei Nacht verschanzt er sich hinter Knoblauch und dicken Schlössern in seinem Haus und hofft auf den nächsten Sonnenaufgang. Zwischen Depression und Hoffnungslosigkeit entwickelt Robert schließlich eine Idee, die zum neuen Lebenssinn wird. Er will die Ursache der Krankheit finden und mit diesem Wissen ein Heilmittel entwickeln.

– Sechzehn Ur fünfzehn. Sechzehn Uhr dreißig. Sechzehn Uhr fünfundvierzig.
In einer Stunde würden sie wieder am Haus sein, die verdammten Bastarde – sobald das Tageslicht erloschen war. –
Erster Teil, Januar 1976

Zu Ich bin Legende liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover des Buches "Die Kuppel" von Peadar Ó'GuilìnStolperzunge lebt bei einem Stamm unter schrecklichen Bedingungen in einer von Wildnis überwucherten Ruine: Seine Leute sind darauf angewiesen, Jagd auf die anderen Lebewesen ihrer Umgebung zu machen, oder selbst zur Beute der schrecklichen Monstren zu werden. Außerdem werden immer wieder “Freiwillige” ausgewählt, die bei den anderen Bewohnern der Wildnis gegen deren nutzloses Fleisch eingetauscht werden. Die Lage wird brenzlig, als Stolperzunges intelligenter Bruder ihn auf immer gewagtere Jagdzüge mitnimmt. Dabei entdecken sie, daß ihre Freßfeinde einen gemeinsamen Angriff auf die Menschen planen. Zusätzlich zu dieser Bedrohung fällt eines Tages eine seltsame, wunderschöne Frau vom Himmel, deren Sprache keiner der Menschen versteht.

-Weiterlaufen! Nichts anderes zählte. Nicht aufhören, nicht sterben! Der Stamm brauchte seine stärksten Mitglieder, um zu überleben.-
Brüder

Was bleibt von der Zivilisation unter schlimmsten Umständen?
Mit dieser Frage sieht sich der Leser gleich auf den ersten Seiten von Die Kuppel (The Inferior) konfrontiert, wenn er sich in einer Gesellschaft wiederfindet, in der Blut, Häute, Knochen und vor allem Fleisch die Dreh- und Angelpunkte des Daseins sind, und man auch vor einem aus der Not geborenen Kannibalismus nicht zurückschreckt. In einer feindlichen Umwelt versucht eine menschliche Stammesgemeinschaft zu überleben: Die Jagd auf andere, fremdartige und dennoch intelligente Spezies, die ebenfalls als Jäger agieren, bestimmt einerseits den Alltag, andererseits ist das Aufgeben nutzlos gewordener Stammesmitglieder eine ständige Bedrohung für den Einzelnen, der der Gemeinschaft in diesem Fall noch einen letzten Dienst zu erweisen hat. Eßbares Gemüse existiert nicht in dieser lebensfeindlichen Welt, und somit scheint Die Kuppel erst einmal nichts für Leser mit schwachem Magen zu sein.
Ob sich der junge Autor Peadar Ó’Guilín in seinem Debut-Roman mit diesem Thema einen Gefallen getan hat? Die Kuppel wird dadurch zu weit mehr als einer simplen Geschichte ums Erwachsenwerden, doch unsere Gesellschaft ist eine, die mit dem Schlachten und den weiteren Hintergründen des Fleischkonsums nicht konfrontiert werden will, und das Thema Kannibalismus löst wohl bei vielen eine instinktive Abwehrreaktion aus.
Um so erstaunlicher ist die Feinfühligkeit, mit der Ó’Guilín in eine Gesellschaft einführt, deren Vorbilder irgendwo zwischen realen Stammesgemeinschaften unter unwirtlichen Bedingungen (wie etwa Inuit), Goldings Herr der Fliegen und düsteren Zukunftsvisionen von degenerierten Kulturen liegen.
Wer hier Splatterorgien erwartet, wird enttäuscht werden, denn was einen anfangs vor den Kopf stößt, sind keineswegs ausgewalzte, bluttriefende Szenen, sondern die Normalität von Überlebenskonzepten, die uns völlig fremd erscheinen – und Ó’Guilín nutzt diesen Effekt geschickt aus und spielt mit den Empfindungen des Lesers, die sich später, nachdem man sich an die Welt gewöhnt hat, im Ekel der Figur Indrani spiegeln, die aus einer zivilisierteren Umgebung zu den „Wilden“ stößt.

Das Thema Barbarei contra Zivilisation zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung, denn auch für den stotternden Helden Stolperzunge ist eine so harte Umgebung, in der Männer in den Dreißigern schon Greise sind, kein guter Ort.
Wie sich dieser untypische Held trotz der widrigen Umstände durchschlägt, trägt einen Teil zur immensen Spannung bei, mit der der Roman aufwarten kann: Das Tempo ist fast durchgängig hoch, Konflikte – erst mit dem eigenen Stamm, dann mit dem Bruder, später mit der ganzen Welt – schaukeln sich kontinuierlich auf oder lösen einander ab, und diese Welt voller Gefahren und ohne einen Punkt, an dem man in aller Ruhe Atem holen könnte, wird dadurch greifbar. Die Kuppel ist ein Roman, den man nur schwer aus der Hand legen kann.
Weitere Sogwirkung schafft nebst der vordergründigen Spannung und der treibenden Charaktermotivation auch das Rätsel der Kuppel selbst: Nach und nach läßt sich erahnen, was es mit den Sphären, die am Himmel sichtbar sind, den seltsamen Ruinen, in denen die Menschen leben, und den anderen Spezies auf sich hat – der Leser ist dabei Stolperzunge stets einen Schritt voraus und erkennt Dinge, die sich dem Verständnis des „Wilden“ entziehen.

In einem gewöhnlichen Jugendbuch würden Stolperzunges Abenteuer, wenn er den Stamm verläßt und die Wahrheit über die Welt herausfindet, zu seiner Läuterung führen – er würde sich seiner zivilisierten Gefährtin anpassen, ein „besserer“ Mensch werden. Die Kuppel entzieht sich solchen Plattitüden aber immer wieder elegant und stellt ein differenziertes Bild vom Überlebenskampf und zivilisatorischen Praktiken zur Verfügung, ohne der Versuchung zu erliegen, am Ende durch eine weiterentwickelte, die Barbarei überwunden habende Gesellschaft den Konflikt aufzulösen. Einzig die gesellschaftlichen Strukturen, die als Hintergrund der Handlung dienen, scheinen am Ende allzu einfach aufgebaut – allerdings werden sie auch nicht näher ausgeleuchtet und nur aus Stolperzunges eingeschränkter Sicht geschildert, so daß der einzig wahre Anschein eines reinen Jugendbuches vielleicht aufkommt, wenn einmal -auf sehr charmante Weise- aus einer Liebesszene ausgeblendet wird. All Ages-Literatur also hier nur im besten Sinne, wenn eine vordergründig hoch spannende Geschichte mit nicht speziell für junge Leser heruntergebrochenen Themen kombiniert wird, die auch Erwachsene ansprechen und beschäftigen.

Erfahrene Leser werden – allein schon aufgrund des verräterischen deutschen Titels – natürlich frühzeitig merken, wohin der Hase läuft, und die Anklänge an Filme wie die Truman Show, Running Man oder Die Klapperschlange zu deuten wissen, doch die individuelle Charaktergeschichte, die nicht nur die Emanzipation vom eigenen Stamm und der falschen Fremdwahrnehmung von allen Seiten zum Thema hat, und die Dynamik der Handlung, die mit grusligen und manchmal auch überraschenden Monstren aufwartet, sorgen für gute Unterhaltung.
Sogar sprachlich bietet der Roman Interessantes, denn Sprache und letztlich die Frage, inwieweit sie mit Intelligenz und Zivilisation zusammenhängt, wird ebenfalls in vielen Varianten thematisiert: Vom stotternden Hauptcharakter bis hin zu fehlender Verständigung unter den Spezies und der Unmöglichkeit, sich trotz gleicher Sprachkenntnisse zu unterhalten, wenn einem die Konzepte für die Gedankenwelt des Gegenübers fremd sind.

Als Stolperzunge mit seiner zivilisierten Gefährtin auf der Reise zum Rand der Kuppel schon so gut wie gescheitert ist und er mehr über seine Welt erfahren hat als Generationen von Stammesbrüdern vor ihm, wird die zentrale Frage in Die Kuppel weitergeführt und gewinnt einiges an Relevanz und unbehaglichem Gegenwartsbezug, wenn es darum geht, was eine hochzivilisierte Gesellschaft an anderer Stelle an Barbarei in Kauf nimmt, um ihren angenehmen Status Quo zu erhalten.
Was bleibt von der Zivilisation unter besten Umständen?

Lauf gegen die Dunkelheit von Jeanne DuPrauDie Stadt Ember existiert im dunklen Innern der Erde, erhellt nur durch das elektrisch erzeugte Licht eines einzigen Generators. Doch ausgerechnet der droht nun zu zerfallen und die marode gewordene Stadt in vollkommene und nie enden wollende Dunkelheit zu tauchen.
In dieser Zeit macht die junge Lina Mayfleet eine Entdeckung unter den Erinnerungsstücken ihrer Großmutter – eine Kiste, in der sich die bruchstückhaft erhaltenen Anweisungen der Erbauer Embers befinden. Anweisungen, die die Bewohner retten und in eine neue Stadt führen könnten.

– Es gibt keinen Ort außer Ember. Ember ist das einzige Licht in einer finsteren Welt. –

Zu Lauf gegen die Dunkelheit liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Durch einen atomaren Angriff wurde die Menschheit beinahe vollständig vernichtet. Die Überlebenden rotten sich zusammen und veranstalten eine blutige Hetzjagd auf die verbleibenden Wissenschaftler, in denen sie die Schuldigen für die atomare Katastrophe sehen.
Viele Jahrhunderte später findet ein junger Novize des Leibowitz-Ordens – benannt nach Isaac Leibowitz, einem längst verstorbenen Elektroingenieur – in einem ehemaligen Schutzbunker Aufzeichnungen und Blaupausen des verehrten Mannes. Die Entschlüsselung der wissenschaftlichen Schriften beginnt, doch nicht nur die Kirche hat an dem mühselig und langsam wiedererlangten Wissen Interesse.

Wir haben eure verdammten blutigen Beile und eure Hiroshimas.
– Wir marschieren gegen die Hölle, wir –
Atrophie, Entropie und Proteus vulgaris,
erzählen Zoten über ein Bauernmädchen namens Eva
und einen Handlungsreisenden namens Luzifer.
Wir begraben eure Toten und ihre Reputation.
Wir begraben euch. Wir sind die Jahrhunderte. –
Fiat voluntas tua, S. 312

Wir schreiben das 26. Jahrhundert, und der Novize Bruder Francis erkundet mit kindlich-naivem Staunen eine nach dem Atomschlag wüste Welt. Der Akt der Zerstörung selbst liegt im Dunklen und gleicht eher einem vagen Mystizismus mit seinen Teufels- und Spukgestalten. Erlebbar sind nur die Folgen: die Verwüstung der Welt und die systematische Ausradierung des Intellekts. Was übrig blieb – Blaupausen, Schaltpläne, Einkaufszettel –, bewahren die Mönche des Leibowitz-Ordens in stiller Ehrfurcht auf, und der Leser verfolgt mit einem Lächeln die Anbetung dessen, was im 21. Jahrhundert Gegenstand profaner Normalität ist. Doch das 26. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Leere, die auch in der Semantik um sich greift: der Niederschlag wird als Gestalt des Teufels gefürchtet, die in Gruben und dunklen Winkeln lauert, und ein Schaltkreis als geheimnisvoller Schöpfungsplan bewahrt.

Das Staunen Bruder Francis’ wird zum Inbegriff der Unschuld, und löblich-unschuldig scheint auch die Sammlung und Bewahrung der Wissensfragmente. Doch was als Abenteuer, als Renaissance beginnt, was einem Neuanfang gleicht, entpuppt sich bald als zwingende Fortführung des menschlich-zivilisatorischen Kreislaufes, denn das Licht der Aufklärung und der Vernunft scheint nie alle Winkel des menschlichen Hirn- und Seelenkastens zu erhellen – und so muss sich die Heiligkeit des Wissens einmal mehr messen mit der Zerstörungskraft des Menschen.

Wir schreiben das Jahr 3174, die Jahre der Unschuld hat es nie gegeben. In den Mauern des Klosters des Heiligen Leibowitz widmet man sich weiterhin dem Studium des Halbwissens, und Miller jr. feilt weiterhin an seinen Geschichten-in-den-Geschichten, an den Figuren, die wie Wunder erscheinen und deren Entschlüsslung die hohe Kunstfertigkeit des Autors im Andeutungen und Ahnungen Säen betont. Grundwissen in der Bibelkunde und aufgefrischtes Kirchenlatein sind dabei von hohem Nutzen; denn erst mit der Erkenntnis um die dichte Intertextualität des Romans und die mannigfaltigen Deutungsebenen verkehrt sich das Gefühl der Ratlosigkeit in die Erkenntnis, einen Roman von inhaltlichem wie handwerklichem Genie zu lesen.

Die wichtigste Kraft des Romans ist jedoch sein Witz. Situationskomik, altlateinische Kalauer und zutiefst bissige Dialoge: sie treffen zusammen im anzüglich-satirischen Lächeln der St.-Leibowitz-Statue, welche die Zeiten und Äbte im Klosterkeller überdauert und erst von Abt Zerchi, dem letzten in einer langen Reihe, in den Zeiten allgegenwärtiger Angst vor der erneuten Zerstörung wieder an ihrem angestammten Platz als Heiligenstatue aufgestellt wird. Das hölzerne Antlitz lächelt im tiefen Wissen um einen Witz, den nur die Statue selbst zu verstehen scheint. Doch es schadet nie, sich von einem Lachen anstecken zu lassen.

Tatsächlich ist es nur Millers Humor, der die Hoffnung erweckt, dass der durch den Menschen in einen Kreislauf der Zerstörung transformierte Kreislauf des Lebens einer aufwärts gerichteten Spirale gleicht. Seine anderen zentralen Themen lassen wenig Mut zur Hoffnung zu. Im zweiten Teil des Buches – Fiat Lux, „Es werde Licht“ – treibt ein im Kellergewölbe von fünf Novizen angetriebener Dynamo einen tiefen Keil zwischen die weltliche und geistliche Wissenskultur. Das Gerät ist eine außerordentliche technische Errungenschaft, erbaut von einem ahnungslosen, aber experimentierfreudigen Klosterbruder und bringt sprichwörtliches und messbares Licht ins Dunkle. In diesem Licht jedoch nehmen Parteien Gestalt an, die vorher nur als grobe Schemen erahnbar waren: Kirche gegen Staat, Wissenschaft gegen Glaube, … – die Liste der Zerwürfnisse ist, bei Lichte betrachtet, endlos. Mit dieser biblischen Erhellung des klösterlichen Kellergewölbes durch einen Dynamo ahnt der Leser, dass die zivilisatorische Dunkelheit nur kurz erhellt wurde, um sich dann wieder in Grabesschwärze zu wandeln.

Miller jr. portraitiert mit sprachlicher und gedanklicher Präzision das wohl größte Verbrechen der Menschheit: die Erhebung der Amoral zur zivilisatorischen Unabwendbarkeit. In seinem Roman sind es nicht nur die Tyrannen und Diktatoren, die sich der Bürde der Verantwortung entledigen, sondern es sind Menschen, die sich als ‘Simpel’ bezeichnen, bevor sie diejenigen steinigen, die der Menschheit das brachten, was wir Zivilisation nennen. Die Negierung der Verantwortung ist ein zentrales Thema in Lobgesang auf Leibowitz (A Canticle for Leibowitz ): wer keine Fehler sieht, sondern an derer statt das Konzept des Unvermeidbaren erfindet, kann nichts lernen, kann dem endlosen Kreislauf nicht entfliehen.
Doch wird nicht das vermeintlich Unausweichliche, wenn vom Menschen begriffen, zum Abwendbaren? Denn, und auch dies wird in Millers Roman deutlich: es existiert kein naturgegebener Kreislauf der Zerstörung, der eine Wiedergeburt ad absurdum führt, sondern ausschließlich ein vom Menschen erdachter. An des Kreislaufs Anfang steht eine Idee, am Ende die Bombe, und alles, was danach kommt, ist nur ein müdes Spiegelbild dieser einfachen Gleichung: homo homini lupus.

Wir schreiben das Jahr 3781. Noch immer sind es die Mitglieder der Abtei des heiligen Leibowitz’, die sich der Empfindung widmen, die nicht nur im Roman mitleidig belächelt wird: der Hoffnung. Und Zuversicht benötigen sie, denn sie sind es, die mit ihrer Sammlung und Bewahrung des noch verfügbaren Wissens den Weg für den Fortschritt ebnen. Es scheint ihnen unmöglich, dass der Mensch das wiederholt, was ihn einst beinah vom Antlitz seines Planeten tilgte. Doch Miller jr. ist kein Moralapostel; welche Moral sollte es auch geben, nachdem der Mensch sich einmal selbst vernichtete und, kaum, dass die Zivilisation ihr Krankenbett verlässt, zum zweiten Schlag ausholt? Der Autor entwirft vielmehr das Bild einer Zeit, in der „Gerechtigkeit“ eine zutiefst subjektive Größe ist, und stellt eine verstörende und wichtige Frage: was ist wichtiger – Menschheit oder Menschlichkeit?

Lobgesang auf Leibowitz ist ein Rätsel- und Meisterwerk, eine Vertextlichung des ewig Menschlichen, Ausdruck von Angst und Resignation. Der Leser wird keine erbaulichen, hoffnungsvollen Botschaften, eingebettet in tröstlich-antikes Kirchenlatein finden, sondern einen schonungslosen Blick in eine Zukunft, die sich als denk-, und somit zerstörbar erweist. Mit seiner Hellsichtigkeit und seinem scharfsinnigen Humor wäre dieser Roman die schärfste Waffe in einem Kampf, der hoffentlich immer literarische Fiktion bleiben wird. Fiat Voluntas Tua.

The People of Sparks von Jeanne DuPrauNachdem die Emberaner dank Lina und Doon den Weg an die Oberfläche gefunden haben, treffen sie nach Tagen des Wanderns auf die ländliche Stadt Sparks, wo sie sich Hilfe in dieser fremden Welt erhoffen. Anfangs sind beide Parteien überrascht und aufgeregt über die gegenseitige Entdeckung, die Bewohner von Sparks nehmen die Emberaner bei sich auf, versorgen sie mit Nahrung und Unterkunft. Doch die Ressourcen sind knapp, die Emberaner unwissend, wie sie sich selbst versorgen können, und so dauert es nicht lange, bis Streit, Neid und Vorurteile entstehen, die dazu führen könnten die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

– The people were coming down. Over the crest of the hill they came and kept coming, dozens of them, more and more, like a mudslide. –
What Torren saw, Part 1 – The Arrival, S. 7

The People of Sparks (Ankunft im Licht) beginnt dort, wo The City of Ember (Lauf gegen die Dunkelheit) den Leser verließ. Lina und Doon haben es geschafft, die Bewohner ihrer zerfallenden Stadt an die Oberfläche zu lotsen, doch aus der Stadt herauszukommen war nur der Anfang der eigentlichen Herausforderung. In The People of Sparks lernen die Emberaner nun eine völlig fremde Welt kennen, die dem Leser dafür umso bekannter erscheinen wird. Als Nachfahren der Überlebenden einer nicht näher definierten Katastrophe, bei der die Zivilisation, wie wir sie kennen, zerstört wurde, lebt Sparks von der eigenen Landwirtschaft und dem Handel mit den Überresten der alten Zivilisation. Ausgeschlachtete Autos, die als Viehkutschen umfunktioniert werden, sind aber schon beinahe alles, was dazu dienen soll, dieses Endzeitszenario charakterisieren. Etwa 300 Jahre nach der Zerstörung gibt es nur noch Legenden von der einst hoch entwickelten Menschheit, in der man immerhin einmal das überwucherte Gerippe einer längst zerfallenen Großstadt sieht. Wie diese einstige Zerstörung genau aussah, zustande kam oder wie weit sie reicht (vermutlich weltweit), erfährt man als Leser jedoch nicht. Leider ist damit nämlich schon alles gesagt, was das Buch an Informationen mitzuteilen hat, denn eine Ausarbeitung von Hintergründen findet nicht statt, auch die Legenden selber lernt man nur in kurzen Einsprengseln kennen. Greifbares hält der Roman kaum bereit.

Im Zentrum steht nun auch vor allem das Thema des Umgangs mit Hilfsbedürftigen, Flüchtlingen, Menschen, die Asyl brauchen und ohne Unterstützung und Anleitung in einer fremdartigen Welt nicht überleben können. Ein Umkehren ist für die Emberaner nicht möglich, alleine weitermachen ebensowenig, da die Emberaner nicht wissen, wie sie ihre eigene Nahrung gewinnen oder sich gegen Witterungsverhältnisse schützen können. Als reine Nutzgesellschaft haben sie nie gelernt, selbst etwas zu bauen oder herzustellen, und so ist es nun an den Bewohnern Sparks, ihnen alles Nötige beizubringen. Doch die Anzahl der Emberaner übersteigt die Anzahl der Bewohner von Sparks, und so stellt sich bald die Frage: wo sollen die Neuankömmlinge leben? Wie sollen so viele zusätzliche Mäuler gestopft werden, wenn die Ressourcen schon für die eigene Bevölkerung oft kaum reichen?
Jeanne DuPrau verlagert hier ganz alltägliche Konflikte und Problemsteigerungen in eine postapokalyptische Welt irgendwo im Nirgendwo, die nachvollziehbar und mit Wiedererkennungswert daher kommen, allerdings ohne großen Unterhaltungswert oder Überraschungen.

Was die Charaktere angeht, treffen wir einerseits wieder auf die bereits bekannten Figuren Lina und Doon. Hinzu kommt der junge Tick, der mit seinen knapp elf Jahren eine eher unglaubwürdige Rolle als aufrührerischer Anführer der Emberaner übernimmt, massenhaft Ideen für Projekte beginnt und dafür die halbe Stadt begeistern kann. Während Lina und Doon in The City of Ember trotz ihres junges Alters eine passende Rolle ausfüllten und stimmig in das Gesamtbild passten, ist es bei Tick schwer zu glauben, dass ein so typisch junges Kind Erwachsene dazu bringen soll, ausgesprochen naive Dinge zu tun, und diese ihm auch noch eine derart starke Führungsrolle zugestehen.
Im Vergleich zu The City of Ember, das auch für Erwachsene sehr gut funktionierte, kann The People of Sparks in vielen Punkten nicht überzeugen und erweist sich deutlich als Jugendbuch. Sehr schade ist auch der kaum vorhandene Bezug zu den Hintergründen, die Ember entstehen ließen, oder wie Menschen an der Oberfläche überleben konnten. Das verschenkte Potential, was daraus alles hätte werden können, ist nur mit etwas Wehmut zu verdauen.

Schlussendlich ist The People of Sparks eine nette Geschichte für Zwischendurch, der aber trotz Andeutungen von übernatürlichen Visionen und Postapokalypse das Phantastische und Steampunkige fehlt und die daher nicht an die lebendige Atmosphäre von The City of Ember anknüpfen kann. Zu offensichtlich ist der Versuch, hier eine Unterrichtslektion an den Leser weiterzugeben, die nur zu Unterhaltungszwecken eines junges Publikums in eine Geschichte verpackt wurde. Kann man lesen, muss man aber nicht, jedenfalls nicht, wenn man eine Fortsetzung zu The City of Ember möchte, denn im Grunde erhält man hier nur fertige Tatsachen ohne Herleitung, einen Baum ohne Wurzeln.

Die Reise ins Herzland von William HorwoodZurückgezogen und fast schon ausgerottet leben Europas letzte Wölfe, ohne Hoffnungen für die Zukunft, da die Menschen sie jagen und ihre Umwelt zerstören. Doch die alten Mythen der Wölfe, die schon fast in Vergessenheit geraten sind, besagen, daß ihnen am Ende eines dunklen Jahrtausends eine Chance bleibt, ihre einstige Stärke wiederherzustellen. Und eines Nachts versucht der junge Wolf Tervicz ein Rudel zusammenzuheulen, aus dem die Wölfe der Zeit werden sollen – ein Rudel bestehend aus Wölfen aus ganz Europa, die die Bruchstücke ihrer Mythen zusammentragen und gemeinsam das sagenumwobene Herzland finden sollen. Aus verschiedenen Ländern machen sich Wölfe auf den beschwerlichen Weg …

-Ein nebliger Morgen dämmert herauf. Es ist der erste Tag des Herbstes, jener Tag, an dem nach altem Brauch die jüngeren, umherschweifenden Wölfe das Rudel verlassen.-
Prolog: Die Reise ins Herzland

Eine Tiergeschichte über Wölfe hat im Rahmen des Jugendbuchs Wolfsaga schon einmal ganz hervorragend geklappt – man möchte also meinen, daß auch in einer erwachseneren Version mit einer komplexeren Handlung gar nichts schief gehen kann, besonders nicht bei einem etablierten Autor von Tierfantasy wie William Horwood, der mit Der Stein von Duncton schon die Mythen der Maulwürfe erfahrbar gemacht hat.
In diesem Auftakt-Band einer ursprünglich als Trilogie geplanten Saga breitet Horwood in mehr als 600 Seiten die Welt der Wölfe aus, und in diesen 600 Seiten verfranst sich die Geschichte – die eigentlich sehr gute Ansätze hat – so sehr, daß man als Leser nur bedingt mitgerissen und unterhalten wird.

Es steht nichts weniger auf dem Spiel als die Rettung der “Wolfheit”, und diese liegt in den Pfoten eines bunt zusammengewürfelten Rudels aus ganz Europa. Leider hat Horwood den unterschiedlichen Wölfen wie dem stolzen Aragon aus Spanien oder dem wortkargen Klimt aus Skandinavien keine besonders ausgeprägten Persönlichkeiten verliehen, sie statt dessen sogar mit (nationalen) Klischees ausstaffiert, ihre Konflikte wirken aufgesetzt und ebenso klischeegetrieben.
Dafür liest man aus dem ganzen Buch heraus Horwoods Anteilnahme an der Vergewaltigung der Natur durch den Menschen, die Schilderungen dazu sind eindringlich, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Zu Beginn des Buches drängt sich daher der Verdacht auf, es spiele zur Zeit, als der Umweltschutz sich durchzusetzen begann, doch wenn es später zu einer großen Seuche und einem Krieg der Menschen in Europa kommt, zeigt sich, daß es sich eher um ein Zukunftsszenario handelt.

Lange Landschafts- und Naturbeschreibungen stehen dem als Gegenentwurf gegenüber – aus Wolfssicht vermutlich hochinteressant, für den Leser trotz einer sehr angenehmen Sprache irgendwann ermüdend: Wenn es mehrere Seiten lang nur um Wolken, Felsen und Wildblumen geht, verliert dieser Kniff, die Welt aus Tiersicht zu zeigen, sehr schnell ihren Charme.
Die Handlung plätschert eher ziellos vor sich hin, und der einzige Dreh- und Angelpunkt sind die alten Geschichten der Wölfe, die von der Wiederkehr ihres Gottes Wulf erzählen. Diese Wolfsmythologie ist Horwood ausgesprochen gut gelungen; er schafft es, vielen Verhaltensweisen von Wölfen einen stimmigen tradierten Kontext zu geben, und diese Darstellungen gehören zu den besten Passagen des Romans. Hätte man die darauf basierende Geschichte gestrafft und mit etwas mehr Leben versehen, wäre vielleicht tatsächlich eine Wolfsaga für erwachsene Leser herausgekommen. Mit den dünnen, seltsam distanziert wirkenden Konflikten unter den Wölfen und dem geringen Tempo der Haupthandlung ist aber nur verständlich, daß der geplante Mittelband der Trilogie (Wanderers of the Wolfways) gestrichen wurde, so daß Horwood seine Geschichte in nur einem weiteren Band zu Ende erzählen mußte.

Schiffsdiebe von Paolo BacigalupiNailer verdingt sich an einem der neu entstandenen Strände als Schiffsbrecher, das heißt, er schlachtet Öltanker nach wiederverwertbaren Materialien aus. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind hart, Freunde hat er wenige, sein brutaler, drogensüchtiger Vater macht Nailers Leben zusätzlich zur Hölle. Hoffnung auf Besserung hat er keine, bis er nach einem schweren Sturm auf einen gestrandeten Klipper stößt – ein Schiff, das ebenso zu einer anderen (reicheren) Welt gehört wie das Mädchen, das er darin findet. Doch der Luxus, den sich Nailer nun erhofft, hat einen Preis, denn das reiche Mädchen hat nicht weniger mächtige Feinde …

-Es herrschte ein Treiben wie auf einem Ameisenhaufen, mit einem einzigen Ziel: die Knochen dieses gestrandeten Riesen aller wiederverwertbaren Teile zu entkleiden und damit eine neue Welt aufzubauen.- S. 11

Schöne, neue Welt! Schiffe fahren mit Segeln über die See, die hoch in die Atmosphäre geschossen werden, Motoren laufen mit Biodiesel – der Klimawandel scheint der Vergangenheit anzugehören. Wäre Paolo Bacigalupis Schiffsdiebe aus einer anderen Perspektive erzählt, könnte man es für eine Utopie halten. Doch durch die Augen Nailers, der an einem Strand mit Blick auf die Spitzen vom Meer verschluckter Hochhäuser lebt, erhält man einen Eindruck nicht nur von den ökologischen Schattenseiten der neuen Welt, sondern gerade auch von den sozialen. Hierin liegt auch das wirklich Bemerkenswerte des Romans, denn für Nailers Welt müsste man nicht in eine (nicht allzu ferne) Zukunft blicken – seine Lebensumstände ließen sich auch an heutigen Küsten der Dritten Welt finden – Bacigalupi fügt dem Setting nur noch einige Science-Fiction-Facetten hinzu, etwa die als Leibwächter herangezüchteten Tiermenschen.

Auch ansonsten bleibt Schiffsdiebe ein gelungenes Jugendbuch. Nailer ist keineswegs ein strahlender Held, äußerst belastende Familienverhältnisse plagen ihn, sein Umfeld hat ihn geprägt und zu den „richtigen“ Entscheidungen muss er sich erst mühsam durchringen. Leider ist er damit auch die einzige Figur mit etwas Tiefe, die übrigen Pro- wie Antagonisten bleiben großteils Vehikel für die Handlung. Immerhin wirbelt Bacigalupi auch ein paar Geschlechterrollen durcheinander und verpasst Nailer mit Pima ein Mädchen als knallharten Kumpel.
Von derselben Zweckmäßigkeit wie bei den Figuren kann man auch bei der Handlung sprechen, die einen mit Leichtigkeit durch das Buch trägt. Leider fehlen ihr echte Höhepunkte und auch die weiteren Schauplätze, an die sie führt, bleiben etwas farblos. Im letzten Drittel entfaltet der Roman aber nochmals eine Portion Abenteurerflair. Dank dem etwas rasch abgehandelten, aber runden Ende kann man Schiffsdiebe getrost als Einzelroman lesen, es gibt aber einige Anknüpfungspunkte für den bereits erschienenen Folgeband.

Als Jugendbuch ist Schiffsdiebe sehr gelungen und bietet jugendlichem Publikum eine spannende Geschichte mit teilweise drastischen Szenen sowie interessanten Parallelen zu aktuellen Verhältnissen in der Dritten Welt. Erfahrenere LeserInnen könnten von Figuren und Handlungsverlauf allerdings enttäuscht werden, die sollten es vielleicht eher mit The Windup Girl (auf Deutsch als Biokrieg erschienen) versuchen.

Als der Seelenmeister starb von Octavia ButlerTeray, frisch aus der Schule entlassen und mit überdurchschnittlichem telepathischen Talent gesegnet, macht sich mit seiner Frau Iray und seinem zukünftigen Ausbilder Joachim auf den Weg zu dessen Haus, wo Teray die nächsten Jahre verbringen soll, um zu einem vollwertigen Musternisten ausgebildet zu werden. Auf ihrem Weg werden sie von Coransee eingeladen, einem mächtigen Hausbesitzer und Musternisten. Die Einladung entpuppt sich schnell als Falle für Teray, denn Coransee wittert in dem jungen Mann eine zu große Konkurrenz auf seinem Weg zum mächtigsten Telepathen und Herrscher über das alle verbindende Muster.

– »Nun habe ich mehrere tausend Musternisten aufgeweckt, und ich habe dafür nicht mehr Anstrengung aufgebracht, als wenn jemand mit den Fingern schnippt. Schwester – Frau, das ist die Macht, wofür es sich lohnt zu töten.« –
Prolog, S. 9

Als der Seelenmeister starb (Patternmaster) ist das erste Buch der 2006 verstorbenen Autorin Octavia E. Butler. Sie begann mit dem Schreiben dieses Romans im Alter von zehn Jahren, und auch wenn sie im Laufe der Jahre einiges daran überarbeitet haben dürfte, ehe er veröffentlicht wurde, merkt man dem Buch deutliche Schwächen eines Erstlingswerks an.

Die Autorin hat sich in ihrem Roman einer Menge schwieriger Themen und moralischer Fragen genähert. Darunter die Privatsphäre des Menschen, die Frage des freien Willens, Menschenrechte, Inzest, Sklaverei, Rassenkonflikte, Feminismus und der Umgang mit (Homo-)Sexualität. Viele große Themen, zu groß, um in einem derart knappen Büchlein, von gerade einmal um die 200 Seiten, wirkliche Beachtung finden zu können. Das Resultat ist eine Geschichte, die viel Unterdrückung, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung und Machtgier beschreibt, in der auch unterschwellig Kritik an einzelnen Dingen auftaucht oder eben auch eine (leider noch) utopische Akzeptanz der Homosexualität; letztendlich bleibt es aber nicht mehr als eine Zustandsbeschreibung ohne Herleitung oder Entwicklung. Mit der richtigen Handlung hätte sich sicherlich trotzdem eine spannende Darstellung einer futuristischen Welt darum herum aufbauen lassen können, in diesem Fall ist das wenig geglückt. Denn die Protagonisten ergeben sich wehrlos ihrem Schicksal, emanzipierte Frauen fügen sich ganz natürlich und selbstverständlich in die klassische Rolle der Maitresse, der vermeintliche Herausforderer gibt sich allzu kämpferisch, nur um im nächsten Moment die am wenigsten konsequente, unterwürfigste Handlung zu begehen usw. Unter diesen Unstimmigkeiten von Wille und Handlung leidet die Glaubhaftigkeit der Protagonisten enorm und untergräbt die ansatzweise vorhandene Kritik an den herrschenden Zuständen.

Von den Verlagen als Science Fiction angepriesen, weckt auch der Klappentext entsprechende Erwartungen und dürfte die Leser damit zusätzlich enttäuschen, denn in der Praxis ist es schwer, die typischen Merkmale der Science Fiction in diesem Roman zu finden. Es wird zwar ab und an von einer Reise ins Weltall berichtet, die lange zurück liegt und nur noch in der Erinnerung weniger Menschen präsent ist, man erhält Informationen darüber, dass wir uns in einer entfernten Zukunft befinden und unsere alte Zivilisation zugrunde gegangen ist, doch der Rest, und damit ist im Prinzip das gesamte Buch gemeint, erweckt den Eindruck einer eher primitiven, rückständigen Klassengesellschaft mit einer telephatisch begabten, dominanten Menschenrasse ohne technologische Errungenschaften, die sich im Krieg mit einer der Sphinx-ähnlichen Rasse, den Clayarks, befindet. Warum, weshalb, wie lange schon … man weiß es nicht.

Neben den ideologisch sehr guten Ansätzen, denen es deutlich an Ausarbeitung mangelt, werden auch die Hintergründe zur Entstehung dieser streng hierarchischen Gesellschaftsform nur am Rande angekratzt. Die durchaus interessanten Informationsschnipsel, die im Laufe der Handlung nebenher immer mal wieder eingestreut werden, werfen viele spannende Fragen auf, bleiben jedoch bis zum Schluss gänzlich unbehandelt und unbeantwortet. Als der Seelenmeister starb konzentriert sich alleine auf die Haupthandlung, den Kampf zwischen Coransee und dem jüngeren Bruder Teray, und vergisst darüber hinaus ein stimmiges Gesamtbild der sie umgebenden Welt zu erzeugen. Neben alldem mag man sich über die Übersetzungsfehler der deutschen Ausgabe schon gar nicht mehr ärgern und ignoriert die zahlreichen Rechtschreibfehler, sperrigen Formulierungen und die Buchstabendreher bei den Namen.

Die Kürze dieses Romans wird schlussendlich sowohl zum Segen als auch zum Fluch für das Buch. Zum Fluch, weil hier ein großes Potential verschenkt wird, zum Segen, weil man ein Buch in diesem Stil nicht zuende lesen würde, wenn es mehr Seiten hätte. Man kann nicht sagen, dass Als der Seelenmeister starb wirklich schlecht wäre oder gar keinen Unterhaltungswert besäße, das Buch lässt einen eher aufgrund inkonsequenter Verhaltensmuster der Protagonisten und zu vieler nicht behandelter Fragen frustriert und gelangweilt zurück. Als Einstieg zu dieser Autorin eignet sich ihr Erstlingswerk daher weniger.
(rezensiert von: moyashi)

Cover des Buches "Die sterbende Erde" von Jack Vance Die Erde stirbt: Die Sonne ist klein und rot geworden, jedem Wesen auf der Erde ist klar, dass sie früher oder später ganz verlöschen wird. Dann wird die Erde in ewige Dunkelheit gehüllt sein. Doch bis es so weit ist, lebt die degenerierte Gesellschaft den Exzess – jede Nacht wird mit fiebriger Heiterkeit gefeiert und an hohen Festen werden sogar Götter der eigenen Lust geopfert. Inmitten dieser zivilisierten Brutalität und künstlichen Wildnis versuchen einige Menschen ihrem Glück etwas näher zu kommen und begeben sich auf die Suche nach uraltem, verloren geglaubtem Wissen.

Turjan saß mit ausgestreckten Beinen auf einem Hocker in seinem Werkraum, den Rücken gegen den Tisch gelehnt, die Ellbogen darauf gestützt.-
Turjan von Miir

Die von Vance beschriebene Welt ist ungewöhnlich und spannend. Es ist die Erde in einer fernen Zukunft, physisch ausgelaugt, die einst spitzen Berge sind durch den Wind zu sanften Hügeln geschliffen worden, die Natur hat viele Gebiete zurückerobert und es ist nicht immer ratsam, die Wildnis zu bereisen. Denn in den überwucherten Ruinen der Zivilisation treiben sich vielfach groteske Geschöpfe herum und nicht wenige davon sind gefährlich.

“Ich begehre jene, die zu Euch gekommen ist. Ich hungre nach ihrem Fleisch”, erklärte der Deodant mit seiner sanften Stimme. (S. 75)

Wie alle Kreaturen sind auch diese dämonischen Kannibalen immer höflich.
Mit Hilfe der Magie lassen sich seltsamste Kreaturen formen: Mazirian schafft sich wunderschöne Tier-Pflanzen Hybriden; wenn ein Maulwurf sich in seinem Garten zu schaffen macht, schreien sie gequält auf, können sie den Übeltäter verdauen, stöhnen sie befriedigt.
Magie nimmt eine zentrale Stellung ein, sowohl was die Bedeutung als auch was die Häufigkeit angeht; sie ist eine sonderbare Mischung von Technik und traditioneller Magie: Mittels komplizierter mathematischer Formeln kann ein Magier Raum und Zeit falten und die Grundlagen der Materie manipulieren. So lassen sich Menschen mit beliebigem Aussehen und Charakter erschaffen oder mit der “Exzellenten Prismatischen Berieselung” die Feinde mit magischen Pfeilen beschießen. Hört sich wie D&D/AD&D an? Das Magie-System dieses Rollenspiels beruht in weiten Teilen auf Vances Ideen.

Zusammen mit der Sonne schwindet auch die Zivilisation; die Gesellschaft degeneriert. Man ist kaum mehr an der Person seiner Mitmenschen interessiert – dagegen sehr an ihren Fertigkeiten, Besitztümern – oder Äußeren – je nach dem, was gerade benötigt wird.
Die Protagonisten spiegeln dieses mal mehr, mal weniger wieder, aber negative Charaktereigenschaften haben alle; sie sind Individualisten, die ihre persönlichen Ziele anstreben, keiner von ihnen hat das Wohl der Gesellschaft im Sinn, bestenfalls ist ihnen ihr Partner nicht egal.
Hervorstechend ist hier Lian der Troubadourbandit. Leichtfüßig und mit viel Charme tänzelt er von Eskapade zu Eskapade, so daß man dem fröhlichen und farbenfrohen Schelm seine grausamen Folterungen und Morde fast nicht übel nimmt.

Das Buch besteht aus einer Reihe von sehr lose miteinander verknüpften Questen. Da ist Turjan, der von Pandelume die Urmatrix erbittet, um in seinen Trögen Menschen züchten zu können; Mazirian, der die schöne T`sain fangen und Turjan sein Wissen abpressen will; T`sais, die nur Haß und Häßlichkeit kennt, sucht Liebe und Schönheit; Lian will ein Artefakt erlangen, um sich die sanfte Hexe Lith gefügig zu machen; Ulan Dhor sucht nach den Tafeln des Rogol Domedonfor, die das Wissen der Menschheit tragen, um seine persönliche Stellung am Hofe zu verbessern und schließlich will Guyal von Sfere den Kurator des Museums der Menschheit finden, damit er die Leere in seinem Gehirn füllen kann.
Mögen die Plots eintönig scheinen, gewinnt die Geschichte durch die ungewöhnlichen Charaktere; im Vordergrund steht immer die Schilderung der bizarren, sterbenden Erde.

Sprachlich ist das Werk durchaus gelungen. Die Sätze sind meistens einfach, aber dafür mit Eleganz zusammengestellt. Das Vokabular ist üblicherweise unkompliziert, an passender Stelle aber durchaus malerisch bis überbordend.

Ob die Geschichte überhaupt zur Fantasy gehört oder doch zur Science Fiction, hängt sicherlich vom Standpunkt des Lesers ab. Einerseits könnte man in der Magie nur eine besondere Wissenschaft, eine Unterart der Mathematik sehen und die sonderbaren Kreaturen für Auswüchse der Kreativität von Menschen mit der Fähigkeit, Materie zu formen, halten, andererseits funktioniert die Geschichte aber genau wie ein Fantasy-Abenteuer und die Artefakte der untergegangenen Zivilisation mögen zwar technischer Art sein, erscheinen den Protoganisten aber wie Produkte des Übernatürlichen. Meiner Meinung nach ist die Geschichte wie die Magie ein Hybrid der Fantasy und SciFi.

Die Triffids von John WyndhamNach einem weltweit kosmischen Ereignis, bei dem sich der Himmel vorübergehend grün färbte, ist die Zivilisation zusammengebrochen. Jeder, der das grüne Licht beobachtet hat, ist wenige Stunden später erblindet. Glück im Unglück für Bill Masen, der durch einen Arbeitsunfall zum fraglichen Zeitpunkt eine Augenbinde tragen musste und der Erblindung dadurch unfreiwillig entgehen konnte. Als er nach Tagen im Krankenhaus aufwacht und weder Schwestern noch Ärzte auf seine Rufe reagieren, entblättert sich vor ihm eine Welt im Chaos. Doch damit noch nicht genug, die Triffids – fleischfressende, intelligente und lauffähige Pflanzen, die in riesigen Farmen als Nutzvieh gehalten und gezüchtet wurden – sind ausgebrochen und machen Jagd auf die Menschen.

– »Da haben Sie’s. Da haben Sie den Beweis. Sie haben nicht zugeschaut: Sie sind nicht blind. Alle anderen haben zugeschaut« – er schwenkte vielsagend den Arm – »alle stockblind. Hat alles der verdammte Komet angerichtet, sag’ ich.«
»Alle blind?« wiederholte ich.
»Alle. Ohne Ausnahme. Wahrscheinlich auf der ganzen Welt.« Dann besann er sich. »Nur Sie nicht. Sonst alle.« –
Kapitel 1, Das Ende beginnt

Die Triffids (The Day of the Triffids) ist ein kleines Buch mit großem Inhalt. Auf nicht einmal 200 Seiten schafft es der Autor, ein hervorragendes Buch abzuliefern, ohne unnötige Längen oder störende Nebenhandlungen. John Wyndham serviert seinen Lesern hier ein Szenario zum Nachdenken. In flüssiger und betont sachlicher Herangehensweise beschreibt Die Triffids eine Invasion der etwas anderen Art. Nicht Aliens, Zombies oder Vampire fallen hier über die Welt her, sondern semi-intelligente Pflanzen. Dieser postapokalyptische Science-Fiction Klassiker, geschrieben im Jahre 1951, kommt anfangs etwas schwer in Fahrt und wirkt eher zäh und trocken. Hat man diese Hinführung jedoch gemeistert, baut die Handlung stetig Spannung auf und bedient sich dabei bewährter Elemente: eine Katastrophe, welche die Menschheit praktisch über Nacht unfähig macht, für sich selbst zu sorgen, eine Bedrohung, die der Mensch selbst herangezüchtet hat und nun nicht mehr kontrollieren kann, ein Kampf ums Überleben weniger verschont gebliebener Personen und der Einblick in die Charakterstärke und -schwäche des Menschen. Im Zentrum stehen dabei die Menschen selbst, ihre unterschiedlichen Reaktionen auf diese gravierende Umstellung: von Überlebenskampf, Tragik und Hoffnung bis hin zum religiösen Fanatismus. Soll man den Schwachen helfen und vielleicht mit ihnen zu Grunde gehen? Oder kümmert man sich nur um sich selbst, damit wenigstens die Starken eine Chance haben zu überleben? In diesem Szenario sind die Schutzbedürftigen auch einmal nicht per se gut und rechtschaffen dargestellt, sondern haben ebenso niedere Absichten wie unversehrte Menschen.
Der weitgehende Verzicht auf spezifische Angaben zu Architektur oder Technik lässt Die Triffids dabei auch 60 Jahre nach der Entstehung noch zeitlos wirken.

Erzählt wird dieser Roman aus der Sicht von Bill Masen. In seinen persönlichen Aufzeichnungen schildert er die Vorgeschichte der Triffids und seine Erlebnisse in einer plötzlich von Anarchie beherrschten Welt. So wie er selbst bleibt auch der Leser im Unklaren darüber, was wirklich zu der Katastrophe geführt hat, und so teilt man die Ungewissheit, Gedanken und Sorgen dieses lebendig gezeichneten Protagonisten. Die Triffids selbst spielen dabei gar keine so große Rolle, wie es der Titel vermuten lässt. Vielmehr vertiefen und beschleunigen sie nur die Konflikte und Ängste, in denen sich die Überlebenden befinden. Sie zeigen auch, wie schnell der Mensch durch eine solche Katastrophe als Anführer der Nahrungskette abgelöst werden und durch eine dominantere Spezies ersetzt werden kann. Im Roman tauchen die Pflanzen selbst jedoch nur sporadisch auf.

Sprachlich ist dieser Roman vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig. Den insgesamt sehr sachlichen Ton verliert das Buch bis zum Schluss nicht, das ist der Geschichte jedoch eher zuträglich und macht die Ereignisse umso wirkungsvoller. Einstellen muss man sich dagegen auf die Sprachverhältnisse der 50er Jahre, in denen doch deutlich mehr (aus heutiger Sicht) Fremdworte ihren Platz im täglichen Sprachgebrauch hatten und auch Formulierungen so heute nicht mehr gebräuchlich sind und etwas geschwollen oder seltsam wirken. Dessen ungeachtet verdient Die Triffids aber eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle Endzeit-Interessierten.

Verfilmung:
Das Buch wurde bisher dreimal verfilmt. Erstmals 1962 unter dem Titel The Day of the Triffids (Blumen des Schreckens) mit Howard Keel in der Hauptrolle. Unter gleichem Titel erschien 1981 eine sechsteilige Mini-TV-Serie, die in Deutschland jedoch nie ausgestrahlt wurde.
Die jüngste Verfilmung stammt aus dem Jahr 2009, Die Triffids – Pflanzen des Schreckens, und wurde von BBC als Zweiteiler produziert. Die Hauptrolle übernahm diesmal Dougray Scott.

Undersea von Geoffrey MorrisonNach einer Katastrophe, die das Leben auf der verstrahlten Erdoberfläche unmöglich macht, befinden sich die letzten Überlebenden der Menschheit auf zwei großen Unterseeschiffen. Generationen sind vergangen, als die Stadträtin Ralla eine Entdeckung macht, die das Überleben auf ihrem Schiff, der »Universalis«, gefährdet. Doch ihre Kollegen schenken ihr kein Gehör. Unterdessen schafft es der Fischer und gelangweilte Trunkenbold Thom Vargas, einen Schritt auf der Karriereleiter nach oben zu tun und einen Posten als Shuttle-Pilot zu ergattern. Noch bevor er sich darüber freuen kann, bringt ihn sein erster Passagier, Ralla Gattley, in Schwierigkeiten, denen er sich in keiner Form gewachsen fühlt.

– In the darkness of the deep, Thom Vargas slept. The damp, cramped, cold cockpit pressed in around him, a dormant barrier to the sea beyond. At their dimmest, the backlit buttons on the console before him normally wouldn’t have looked lit at all. But at this depth, they pierced the darkness like suns. – Part I

Postapokalyptische Szenarien haben eine lange Tradition in Horror und Science Fiction. Mit Undersea kämpfen wir jedoch nicht in verfallen(d)en Städten gegen Zombies, Banden oder kanibalistische Stämme, sondern tauchen ab in die Tiefsee, wo riesige Unterwasserschiffe die Reste der Menschheit und eine funktionierende, moderne Gesellschaft beherbergen. Lange bleibt dabei unklar, was der Grund für den Rückzug ins Meer war. Ein Krieg? Eine Naturkatastrophe? In der nunmehr dritten Generation interessieren sich nur noch die wenigsten Nachkommen für die Gründe und gehen ihrem täglichen Leben nach. Undersea ist das ideale Buch für LeserInnen, die auf der Suche nach waschechter Unterwasser-Action und Tauchgängen in futuristischen Anzügen sind. Der einfache, aber wirkungsvolle Plot wird ausgeschmückt von zahlreichen U-Boot-Schlachten, politischen und militärischen Intrigen, einer stattlichen Anzahl von technischen Gadgets und einem manipulativen Gegenspieler, dessen blinde Machtgier die endgültige Auslöschung der verbliebenen Menschheit bedeuten könnte. Die technischen und wissenschaftlichen Details sind aus ästhetischer Sicht spannend und geben ein sehr interessantes Bild für Unterwasserfans ab. Ob sie dabei immer realistisch sind, allen voran die doch etwas wilde Konstruktion der beiden Stadt-Schiffe »Universalis« und »Population«, bleibt manchmal etwas fraglich. Wer von seiner Science Fiction absolut realistische Technik erwartet, wird hier vielleicht an die Grenzen seiner Toleranz geführt, wer sich dagegen mehr auf die Atmosphäre und den Unterhaltungswert der vorhandenen Technik konzentriert, statt sie zu intensiv zu hinterfragen, bekommt ein fulminantes Spektakel, das sich als Pageturner erweist. Kleine Details wie z.B. der Filmtitel »It came from the Surface II« sorgen außerdem für eine Prise Humor. Neben dem stimmungsvollen Weltenbau vermögen auch die Charaktere zu unterhalten. Frei nach dem Motto: ab ins kalte Wasser mit ihnen! – schickt Autor Morrison seine beiden Hauptfiguren in ansehnlichem Tempo von einem Problem ins nächste. Ralla Gattley hat ein gemütliches Leben, einen Partner, der ihre Zukunft schon geplant hat, und sie könnte sich eigentlich entspannt zurücklehnen, hätte sie da nicht diesen eigenwilligen Kopf und eine selbst auferlegte Mission vor Augen. Mit Fakten und starkem Willen kämpft sie gegen die Ignoranz der älteren Ratsmitglieder an und versucht schließlich auf eigene Faust das Überleben der Bewohner ihres Schiffes zu sichern. Dazu bereist sie die Unterwasserproduktionsstätten, die sich am Grund der Meere in gigantischen Domkuppeln befinden, legt sich mit mächtigen Widersachern an und lässt sich auch in brenzligen Situationen nicht von Furcht oder Hoffnungslosigkeit übermannen. Gerade als man denkt, sie verfalle doch dem Klischee der Jungfrau in Nöten, packt sie die Ellbogen aus und nimmt das Problem einmal mehr selbst in die Hand. Es macht Spaß, ihre Bemühungen und Entscheidungen zu beobachten und sie als eine Frauenfigur zu erleben die intelligent, zielstrebig und gleichzeitig emotional glaubwürdig bleibt. Thom Vargas dagegen ist ein junger Mann, der sich bereits dem Schicksal ergeben hat, zur untersten Schicht der Gesellschaft zu gehören, und sein Glück allabendlich darin sucht, sich zu betrinken, um die Ödnis für eine Weile vergessen zu können. Er ist das ganze Gegenteil eines weißen Ritters und von willentlichem Engagement kann schon gar nicht die Rede sein. Seine Versuche, seiner Herzdame zur Rettung zu eilen, enden meist auch noch darin, dass er zu spät kommt und nur noch zusehen kann, wie sie Chaos schaffend voran eilt. Im Laufe des Romans macht er eine rasante Entwicklung durch, die ab und an etwas zu übereifrig und einfach wirkt. Andererseits ist der Roman auch in drei Abschnitte unterteilt, die längere Zeiträume überbrücken, um direkt weiter zum interessanten Part zu springen. Im Krieg herrschen zudem sicher Zustände, die eine lange Akzeptanz- und Entwicklungsphase nicht ermöglichen. Alles in allem ergeben Ralla und Thom letztlich ein ungleiches Gespann mit Unterhaltungswert, das seine Leser zu interessieren versteht. Es gibt bei Undersea sicher auch einiges, dass man als Manko nennen muss. Der Roman ist in Eigenregie von Autor Geoffrey Morrison herausgegeben worden, und man merkt es dem Text gelegentlich an. Ein professioneller Lektor hätte hier sicher noch ein paar Details perfektionieren können, doch das sind letztlich Kleinigkeiten. Mit den vorhanden Rechtschreibfehlern verhält es sich ähnlich. Obwohl ein Korrektor bemüht wurde, der im Anhang genannt wird, finden sich gelegentlich fehlende Buchstaben, Satzzeichen oder Buchstabendreher, jedoch nicht mehr, als es nicht auch schon bei bekannten Verlagen vorgekommen wäre. Den Lesefluss stören diese Fehler nur selten. Daneben ist der Buchsatz lesefreundlich gestaltet und auch beim Buchcover hat man sich offenkundig Mühe gegeben, das sind zusätzliche Pluspunkte. Zusammenfassend kann man sagen, dass Undersea trotz einiger Anfängerschwächen ein gelungenes Beispiel für einen selbstpublizierten Roman darstellt. Gerade wenn man auf der Suche nach Unterwasser-Science-Fiction ist, wo die Auswahl aktuellerer Bücher bisher doch stark begrenzt ist, sollte man dem Roman eine Chance geben und den abenteuerlichen Ausflug in das Reich der Tiefsee genießen.

Wastelands von John Joseph AdamsKurzgeschichtensammlung über die Welt nach dem großen Knall oder dem schleichenden Niedergang, über kämpferische oder verzweifelnde Überlebende, über eine Gesellschaft am Ende oder einem neuen Anfang.

-I want to tell you about the end of war, the degeneration of mankind, and the death of the Messiah – an epic story, deserving thousands of pages and a whole shelf of volumes, but you (if there are any of “you” later on to read this) will have to settle for the freeze-dried version.-
The End of the Whole Mess

22 mal geht in Wastelands die Welt unter, das Ende ist gekommen und vorüber, die letzten Menschen kämpfen mehr schlecht als recht um die letzten Reste der Zivilisation. Deprimierend? Ja – bei einem Großteil der Geschichten überwiegt die pessimistische Sicht der Dinge: So wie in den meisten Beiträgen der Anthologie menschliche Hybris vor dem Fall stand, sorgen menschliche Schwächen, Vorurteile und fehlgeleitete Ambitionen dafür, daß die Menschheit ihre Fehler wiederholt.
M. Rickert treibt in ihrem Beitrag Bread and Bombs die (in einer zusammengerückten Gesellschaft noch gesteigerte) Furcht vor dem Fremden auf die Spitze, berichtet aus Kindersicht (und mit Blick auf die Grausamkeit von Kindern) von eskalierendem Rassismus mit einem ungewöhnlichen Ende, das viel moralischen Zündstoff bietet, und auch Carol Emshwiller hat sich in Killers einer Weiterführung des Terrorismus-Themas nach einer deutlichen Verschlechterung der Lebensumstände angenommen.
Postapokalyptische Geschichten sind dennoch fast immer Geschichten der Überlebenden, des Neuanfangs, des Aufbäumens der Menschheit nach der Katastrophe, wenn auch häufig von Melancholie druchdrungen – denn was wäre ein Blick auf die Welt nach dem großen Knall, wenn er sich nicht auch mit Grusel auf die verfallenen Ruinen unserer Lebensweise richten würde? Wastelands hat daher auch positive Varianten zu bieten, darunter Tobias S. Buckells Waiting for the Zephyr, das durch seine Aufbruchsstimmung in einer Gesellschaft besticht, die sich verändert, aber gefangen hat, oder etliche Geschichten in einer normalisierten Endzeit-Welt im Mad Max-Stil, in der ein gewisser Alltag eingekehrt ist (das etwas schwächere und von religiösem Hauch durchwehte Salvage von Orson Scott Card, oder das an ein Endzeit-Roadmovie gemahnende And the Deep Blue Sea von Elizabeth Bear).

Kurzgeschichten eignen sich für dieses Subgenre ausgesprochen gut – sie vermögen ein Schlaglicht auf einzelne Fragen und Themen zu werfen (und die Extremsituation des Weltuntergangs ist eine hervorragende Bühne für existentielle Fragen, vor allem danach, was von der Menschlichkeit bleibt, wenn die Zivilisation zerfallen ist), sie erlauben einen Detailblick (bis auf die Spitze getrieben in Richard Kadreys Still Life With Apocalypse, das nur durch eine einzige, handlungslose Ansicht ein Gefühl für den Status einer gefallenen Welt vermittelt), ohne das große Ganze beleuchten zu müssen, was gleichzeitig die Erfahrung von Unsicherheit, Zurückgeworfensein auf den Einzelnen und von Unwissen nach dem Zusammenbruch der Systeme abbildet.

Keine der Geschichten in Wastelands stammt aus der Entstehungszeit des Genres nach dem Zweiten Weltkrieg und im sich aufschaukelnden Kalten Krieg mit seinen Ängsten vor dem atomaren Holocaust, die meisten haben nicht einmal ein nukleares Endzeitszenario zum Thema und sind vielfach in der Zeit nach 2000 entstanden: Durch Krankheiten, Ökokatastrophen, langsame Spiralen der Degeneration und beinahe so viele Szenarien, wie es Geschichten gibt, geht die Zivilisation unter, manchmal auch aus diffusen Gründen, die für die Handlung keine weitere Rolle spielen.
Sehr moderne Szenarien – neben den Terrorismus-Gedankenspielen hauptsächlich Cory Doctorows When Sysadmins Ruled the World, eine (nicht nur humorvolle) Beschreibung der Apokalypse, in der Computersystemexperten überleben, eingeschlossen vor ihren Monitoren in ihren Bunkern, um die Welt anschließend nach ihrem Lebensmodell zu organisieren (der Spaß steigt hierbei proportional zum IT-Wissen des Lesers 😉 ) –, stehen neben Geschichten, die mit der religiösen Aufladung des Endzeitgenres spielen (denn der Prototyp der Apokalypse ist immer noch die Offenbarung des Johannes): Judgement Passed von Jerry Oltion handelt von den Menschen, die bei Gottes letztem Gericht vergessen wurden und mit dieser Tatsache leben (im wahrsten Wortsinn) müssen.

Wastelands ist eine außergewöhnlich gute Anthologie, von den 22 Geschichten sind fast alle überdurchschnittlich, und die AutorInnenauswahl kann sich sehen lassen: Stephen King macht in der Eröffnungsgeschichte The End of the Whole Mess das, was er am besten kann: Den Zauber einer zurückliegenden Jugend beschwören und in Kontrast zu einem bedrückenden Heute zu setzen, in dem man das Ende schon mit großen Schritten und Anklängen an Flowers for Algernon herannahen hört, auch wenn es einer der unwahrscheinlichsten Weltuntergänge der Anthologie ist. George R.R. Martin projiziert in Dark, Dark were the Tunnels auch 1973 schon mit gewohnt ausgeklügelten und spannenden POV-Tricksereien in eine ferne Zukunft mit einer unbewohnbaren Erdoberfläche, um zu erforschen, was aus den Menschen geworden ist.
Ähnlichem geht der inzwischen vielfach mit Lorbeer gekrönte Paolo Bacigalupi in The People of Sand und Slag nach, einer der intensivsten Geschichten der Anthologie, in der die Menschheit sich psychisch und physisch soweit angepaßt hat, daß kaum mehr Bezug zum Leben vorhanden ist und sie von außen an Menschlichkeit erinnert werden muß – ein Exkurs, in dem das Überleben zwar eindeutig gesichert ist, aber zu einem verstörend hohen Preis.
Octavia E. Butlers Klassiker Speech Sounds geht in seiner Betrachtung des Zusammenwirkens von Sprache, Identität und Integrität einem ganz anders gearteten Verfall der Gesellschaft nach, Gene Wolfe ist in Mute gewohnt rätselhaft und liefert kaum Anhaltspunkte für die Deutung seiner Geschichte, die zwar anfangs einen beinahe hypnotischen Zwang ausübt, aber irgendwann in ihrer überladenen Symbolhaftigkeit stecken bleibt.

Aber auch von AutorInnen, deren Namen nicht als Aushängeschild auf dem Cover prangen, stammen spannende Entwürfe und Highlights: James van Pelt stellt in The Last of the O-Forms mit exzellenter Charakterisierung und großem Ideenreichtum einen Profiteur der Apokalypse vor, Nancy Kress liefert mit Inertia gewissermaßen einen weiteren Entwurf zu dem Thema, das King bereits bearbeitet hat, geht dabei aber eher auf die menschliche Reaktion auf Krankheit und die Stellschrauben der Identität ein.
A Song Before Sunset von David Grigg geht voller Melancholie der Frage nach, was mit Talent passiert in einer Welt, die für Kultur keine Verwendung mehr hat, und John Langams Episode Seven: Last Stand Against the Pack in the Kingdom of the Purple Flowers, ist ähnlich gewunden erzählt, wie der Titel andeutet, mit seitenlangen, fließenden Sätzen, die in kurzen Ausbrüchen von Action kulminieren und in einem verstörenden Szenario den Kampf von Überlebenden gegen ein Rudel wilder Hunde beschreiben. Der Faszination und dem Grusel dieser Geschichte kann man sich schwer entziehen, und sie bildet einen würdigen Abschluß der facettenreichen Anthologie.

Meine Empfehlung wäre allerdings trotz der Qualitäten der einzelnen Beiträge, nicht die ganze Anthologie an einem Stück zu lesen – das könnte aufs Gemüt schlagen, denn neben den selten eingestreuten locker-leichten Geschichten bieten die meisten schweren Stoff, den man auch wegen seiner nachdenklich stimmenden Blicke auf das Menschsein erst einmal verdauen muß. Wer trotzdem nicht genug von der Apokalypse bekommen kann, findet im Anhang von Wastelands eine Leseliste mit den wichtigsten Werken – Romanen und Kurzgeschichten – des Subgenres.

Who Fears Death von Nnedi OkoraforOnyesonwu ist die Außenseitern ihres Dorfes, denn sie ist ein Mischlingskind der beiden verfeindeten Volksgruppen ihrer Heimat, das durch Vergewaltigung entstanden ist und dem Volksglauben nach selbst zur Gewalt neigt. Sie versucht sich mit allen Mitteln in die Dorfgemeinschaft einzufügen, doch ihre Bemühungen sind zum Scheitern verurteilt, weil in ihr obendrein magische Kräfte schlummern: Was damit beginnt, daß sie mit ihrem Gesang Tiere anlocken kann, gipfelt schließlich in der Fähigkeit zum Gestaltwandel und weiterreichenden Kräften. Der Dorfmagier Aro will Onyesonwu trotzdem nicht ausbilden, denn sie ist eine Frau.
Derweil tobt nicht allzu weit entfernt der Krieg weiter, und Onyesonwus brutaler Vater steht im Mittelpunkt …

-My life fell apart when I was sixteen. Papa died. He had such a strong heart, yet he died.-
Chapter 1: My Father’s Face

Who Fears Death, dessen Titel (übrigens die Übersetzung des Namens der Heldin) schon andeutet, daß es sich womöglich um nicht ganz leichte Kost handelt, stellt einen von den ersten Seiten an vor die Herausforderung, daß hier Dinge zusammenkommen, die man in der Regel nicht in einem Roman vereint vorfindet: Erzählt wird eine ganz und gar typische Jugendbuchgeschichte – das Coming of Age, die Initiation in die Welt der Magie, das Finden von Freunden und Feinden und das Kennenlernen der Welt, und schließlich die Queste, bei der mehr als die Ausbildung zum Einsatz kommt und viel auf dem Spiel steht. Das post-apokalyptische und phantastisch-verfremdete Afrika, in dem Who Fears Death angesiedelt ist, wartet allerdings ungeschönt mit ziemlich allen heiklen Themen auf, die im Kontext mit Afrika häufig zur Sprache kommen. Schon die Abstammung der Protagonistin spricht Bände – wer etwas über systematische Vergewaltigungen zur Demoralisierung von ethnischen Gruppen gehört hat, kann sich ungefähr vorstellen, was bei der Lektüre auf ihn oder sie zukommt.
Dieses Thema und viele weitere – Beschneidung von Mädchen, Steinigung, Kindersoldaten und eine Gesellschaft, die vom Mystizismus, aber auch von starken Vorurteilen durchdrungen ist – werden einfühlsam beschrieben, aber weder pathetisch noch reißerisch; sie sind einfach, gehören zur Realität der Protagonistin. Vor allem werden sie, etwa im Falle der Beschneidung, nicht einseitig mahnend und verdammend dargestellt, sondern aus einer Perspektive, die verständlich macht, welche Gründe es für die Beteiligten geben könnte (aber auch diskriminierende und misogyne Aspekte werden keineswegs ausgespart). Je mehr man von Nnedi Okorafors Welt kennenlernt, desto deutlicher wird, daß man nicht nur über “Afrika-Probleme” liest, sondern über die universelle Erfahrung von Diskriminierung und gesellschaftliche Mißstände, über (pseudo-)moralisch legitimierte Gewalt.

Who Fears Death ist ein feministischer Roman, mit einer Heldin, die ganz angry young woman ist, andere ständig vor den Kopf stößt, impulsiv und unerschrocken handelt und gegen einengende Umstände aufbegehrt. Auch dieses Thema wird aus verschiedenen Perspektiven ausgeleuchtet, sei es durch Onyes Freundinnen, die ihre Emanzipation individuell anders (oder gar nicht) vollziehen, sei es durch die feinsinnige Schilderung ihrer großen Liebe, die trotz aller Voraussetzungen, über Diskriminierung und Ungleichheit hinwegzugehen, im Beziehungsalltag (sofern ihnen überhaupt einer gegönnt ist) auf Schwierigkeiten mit der Gleichstellung stößt. An dieser Stelle sollte auch erwähnt werden, daß Körperlichkeit trotz der geschilderten Brutalitäten nicht nur negative Komponenten aufweist, sondern als wichtiger Bestandteil des Soziallebens viel Raum einnimmt.

Als Onyes Sturheit dafür sorgt, daß sie auch als Frau ihre Ausbildung zur Magierin erhält, tritt eine der großen Stärken des Romans hervor: Mythen mischen sich nahtlos mit der harten Realität, die Geisterwelt fließt in den Alltag, ohne grundsätzlich für hochgezogene Augenbrauen zu sorgen – etwa in Form des von allen akzeptierten Versammlungshauses der Ältesten, des Osugbo, das einen starken Eigenwillen besitzt und Besucher mitunter stundenlang herumirren läßt oder gleich wieder ausspuckt.
Gestaltwandel, Geister, die alten Mythen der Wüste und sogar ein afrikanischer Drache tauchen auf, als die Heldenreise Onyesonwus ihren Lauf nimmt, immer mit dem Gefühl, von einer lebenden, vielschichtigen Welt zu lesen und nicht nur puren Exotismus zu bestaunen.
Die Magie deckt dabei die spirituelle und körperliche Ebene ab und arbeitet mit Übertragungen, um beide zu verbinden, wobei sehr erfrischende Effekte zum Einsatz kommen. Spirituelle und kulturelle Begriffe sind größtenteils der Kultur der Igbo entnommen, in der auch die Wurzeln der Autorin liegen.

Achronologische Einschübe stecken Rahmen innerhalb der Erzählung ab, die die Dynamik einer sich immer schneller drehenden Spirale besitzt – Kindheit und Jugend, die die Heldin prägen, werden mit langen ruhigen Passagen erzählt, die trotzdem von Beginn an etwas Zwingendes haben, ihre Ausbildung beschleunigt sich zusehends, und die Queste nimmt als actionreiches, intensives Finale das letzte Stück des Romans ein.
Mit seiner Rahmengeschichte, dem Werdegang der Heldin und der Mythenbildung um die starke und bewußte Ich-Erzählerin, der schillernden Welt mit den realen Problemen und nicht zuletzt Okorafors wunderschönen, teils angemessen knappen und teils lyrischen Sprache ist Who Fears Death tatsächlich so etwas wie ein “afrikanischer” Name des Windes – und eine lohnende, verzaubernde Lektüre, die beim Lesen immer wieder an die Nieren geht.

Y: The Last Man, 1: Unmanned von Brian K. VaughanYorrick telefoniert gerade mit seiner Freundin, die am andere Ende der Welt ein Praktikum in Australien macht, als eine nie da gewesene Katastrophe die Welt heimsucht. Durch eine Seuche ungeklärter Ursache fallen weltweit in Sekunden alle männlichen Lebewesen, von der Maus bis zum Humanoid, tot um. Nur Yorrick und sein Kapuzineräffchen Ampersand überleben. Doch was macht die beiden so besonders? Und was bedeutet eine Welt ohne Männer?

»It’s too late. It’s like this everywhere. My partner. My husband. All over the city. All over the world, maybe. It’s the men … All of the men are dead.«

Y: The Last Man (Y – The Last Man) ist ein ungewöhnliches und zugleich großartiges Endzeitszenario, wie es seinesgleichen sucht. Brian K. Vaughan, der auch in Pride of Baghdad (Die Löwen von Bagdad) sein Talent gezeigt hat, ernste Themen in Comicform erzählen zu können, ohne dabei Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen, stellt sich hier dem schwierigen Thema Patriarchat vs. Feminismus. Erstaunlicherweise macht er das so mühelos und lässt es so ungeplant erscheinen, dass einem die explosive Thematik angesichts des dramatischen Ereignisses zunächst gar nicht so recht entgegen springt. Denn vorerst ist der Leser geschockt von dieser speziesübergreifenden Seuche, die in Sekunden das Leben jedes männlichen Lebewesens beendet. Einfach so, mitten im Alltag ohne Vorzeichen oder Gründe zur Warnung. Erklärungsversuche reichen von der Entwendung eines magischen Artefakts bis hin zu wissenschaftlich umstrittenen Theorien.
Was wäre das aber nun für eine Welt, die ausschließlich von Frauen bevölkert wird? Ein utopisches Paradies ohne Kriege und Konflikte? Eine Ära des harmonischen Zusammenlebens? Würde die Sprache plötzlich genderneutral oder gar vollkommen feminisiert werden? Gehörten Kriminalität, Prostitution oder Machtspiele nun endlich der Vergangenheit an? Oder wäre all das am Ende nicht viel anders, weil Frauen und Männer sich gar nicht so sehr unterscheiden?
In Brian K. Vaughans Idee einer Welt ohne Männer ist eindeutig letzteres der Fall.

Manche/r LeserIn wird nun vielleicht (gelangweilt) denken »toll, noch ein Beitrag zur Feminismuswelle«. Lasst euch gleich sagen: Nein.
In Y: The Last Man lernen wir viel über die menschliche Existenz, deren Sehnsüchte, dunkelsten Geheimnisse, Stärken und Schwächen, die beide Geschlechter gleichermaßen teilen. Dieser Comic ist kein Gloriengesang an die Frauen und keine Ballade auf gefallene Helden. Es ist ein erschreckend trauriges Szenario für alle Beteiligten, wenn man sich mit Yorick und Agentin 355 auf die Ausmaße einlässt, aber kein hoffnungsloses. Es ist die Geschichte einer Gesellschaft, die von einem tragischen Ereignis unvorhergesehenen Ausmaßes erschüttert wird und sich nur langsam und holprig davon erholt, vor einer völlig neuen Situation zu stehen. Die zurückgebliebenen Frauen gehen ganz unterschiedlich mit dem Tod der Männer um. Viele weinen um den Verlust ihrer Väter, Söhne, Brüder und Partner. Andere fühlen sich von einer Jahrtausende alten Fessel des Patriarchats befreit und trauern trotzdem um ihre Lieben, wieder andere werden zu erbarmungslosen und radikalen Extremistinnen, die jede Erinnerung an die männliche Bevölkerung auslöschen wollen. Samenbanken werden niedergebrannt, Gedenkfeiern rüpelhaft gestört, Frauen, deren Gesinnung nicht purer Hass auf alle Männer ist, werden zum Feindbild solcher Extremistinnen. Andernorts gibt es Machtkämpfe um die Besetzung des Weißen Hauses, und dies sind nur die Anfänge einer Welt, die sich erst noch aus dem Chaos des plötzlich entstandenen Machtvakuums erheben muss, bis sie, Jahre später, zurück zur Normalität findet.

Mitten drin stecken nun der junge Yorick und sein Kapuzineräffchen Ampersand – die beiden letzten männlichen Geschöpfe auf Erden. Eingehüllt in weite Umhänge und eine Gasmaske, um zu verbergen, was er ist, ist Yorick wahrhaft allein, bis ihm die Agentin 355 zur Seite gestellt wird, um ihn sicher auf die andere Seite des Landes zu der Genetikerin Dr. Mann zu bringen. Yorick, der passenderweise nach Shakespeares Hofnarr in Hamlet benannt wurde, ist eine sehr ambivalente Figur. Er freundet sich nur langsam mit seiner Beschützerin an und mag die ganze Lage zunächst nicht recht akzeptieren. Mit seinen knapp zwanzig Jahren ist er oft noch unreif, impulsiv, doch ein liebenswerter Chaot, der manchmal völlig überfordert damit ist, der letzte Mann auf Erden zu sein, und oft wie ein verlorenes Kind wirkt. Manch einer wird sich im Scherz denken »der letzte Mann unter Milliarden von einsamen Frauen? Ja, super!« Doch so spaßig sieht Yorick die Lage höchstens ein paar Minuten lang, obwohl sein schlagfertiger Witz in der Regel für gute Unterhaltung sorgt und diese dystopische Erzählung auflockert. Doch der letzte seiner Art zu sein, seien wir ehrlich, das ist ein starker Tobak, den wohl niemand so leicht schluckt. Was Yorick in seiner mal stärker mal schwächer ausgeprägten Verzweiflung antreibt, ist seine Freundin Beth, die seit dem Ausbruch der Plage irgendwo im australischen Outback verschwunden ist und die er um jeden Preis finden will. Da mit dem Aussterben der Männer aber auch die Telekommunikation und die Infrastruktur weitestgehend zusammengebrochen sind, gestaltet sich sein Vorhaben als mühselig und schwierig. Im Laufe der Jahre wächst Yorick so vom Jungspund zum Erwachsenen heran, tauscht seine jugendliche Leichtigkeit gegen ein wenig Zynismus ein und entdeckt mit seinen Begleiterinnen Stück für Stück diese neue Welt, die ihm nicht immer freundlich gesonnen ist. Piratinnen, Drogenhändlerinnen, Geheimdienste, die ihre eigenen Ziele verfolgen, Sträflinge, Ex-Top-Models und etliche andere Frauen kreuzen ihren Weg. Die Frauen beginnen ihre Welt auch ohne Männer neu zu ordnen, eine Welt, in der Yorick immer mehr zu einem nicht benötigten, aber geduldeten Relikt wird. Es ist eine Verlagerung der Machtverhältnisse und eine spannende und abenteuerliche Jagd nach Antworten und Lösungen quer über den Globus, die von einer komplexen Story, starken Charakteren und Freundschaften, sprühendem Sarkasmus und popkulturellen wie literarischen Zitaten getragen wird. Lediglich an den häufig wechselnden Zeichenstil muss man sich gewöhnen, doch der Erzählung tut dies keinen Abbruch.

Y: The Last Man (Folge 1: Unmanned/ Entmannt) ist eine Comicreihe mit überraschendem Tiefgang und realistischen Überlegungen, die in nicht immer linearen Rückblicken erzählt wird. Ob alles wirklich genauso liefe, wenn die Männer plötzlich vollständig verschwinden würden? Man weiß es nicht, doch das Szenario ist nachhaltig, wirkt glaubhaft, menschlich und hält beiden Geschlechtern auf bewegende Weise und ohne Schuldzuweisungen vor Augen, wie ähnlich wir einander letztlich alle sind. Für dieses grandiose Gesamtgefüge gibt es eine unbedingte Leseempfehlung!

Zeit und Welt genug von James KahnAls der junge Mensch Josh eines Tages seine Familie grausam von einem Vampir und seinen Spießgesellen ermordet vorfindet – die jüngeren Verwandten sind entführt – schwört er, die unglückseligen Wesen zur Strecke zu bringen. Sein bester Freund Beauty, ein Zentaur, dessen Frau ebenfalls entführt wurde, begleitet ihn auf die Jagd. Unterwegs treffen sie in einer Welt, die der unseren nur noch entfernt ähnelt und von Fabeltieren bewohnt ist, auf seltsame Weggefährten und geraten an skurrile Orte. Schließlich stoßen sie auf ein Gerücht von einem “neuen Tier”, das die Entführung ihrer Liebsten angezettelt haben soll. Verzweifelt versuchen sie, in den Süden zu gelangen, und haben Unterstützung durch die Neuromenschenfrau Jasmine und den Vampir Lon…

-Ein voller, tiefer Schrei des Wahnsinns zerriß die Nacht. Es war ein blinder, nicht menschlicher Laut, grauenhaft und abgerissen.-
Prolog

Das Einbringen des Öko-Gedankens in die Fantasy ist ein wiederkehrendes Motiv; unter den deutschen Autoren hat jüngst Tobias O. Meißner mit seiner Mammut-Reihe Lob für seine originelle Verbindung des phantastischen Genres mit der Thematik Umweltschutz eingeheimst. Dabei ist er längst nicht der erste, der diese Idee verfolgt, denn in der ersten Hochphase eines sich neu entwickelnden Umweltbewußtseins in den 80ern haben schon allerlei Autoren beide Themen verknüpft, und einer von ihnen ist James Kahn, dessen Roman Zeit und Welt genug (World Enough and Time) man seine Entstehungszeit in einer Epoche von Atom-Ängsten und langsam aufkommenden Fragen rund um das Thema Bioethik mehr als deutlich anmerkt.
Die Neue Welt ist eine post-apokalyptische Version Kaliforniens, in der die Menschheit seit den 1960er Jahren degenerierte und sich nun mit Fabelwesen und intelligenten Tieren in einem trügerischen Frieden befindet – eher auf dem Rückzug als auf dem Vormarsch.

Die Handlung an sich ist schnell erklärt und macht nicht viel her: Ihre Queste – die Befreiung der von Vampiren verschleppten Angehörigen – führt den Zentauren Beauty und den Menschen Josh durch das ganze Land, immer auf der Spur der Entführer, und unterwegs reihen sich die Abenteuer in der teils ursprünglich-natürlichen, teils technisch geprägten Welt aneinander.
Diese Welt hat in der Tat einige interessante Aspekte zu bieten: Nach und nach kommt heraus, daß die Menscheit ihren Fall höchstselbst verursacht hat, und die ganzen skurillen Geschöpfe und Fabeltiere Resultate einer bedenkenlos angewandten Gentechnik sind – nur ist dieses Wissen fast verloren gegangen, als das Schreiben und Lesen verboten wurde – und all die neuen Lebewesen haben eigene Schöpfungsmythen erfunden und reagieren höchst ungehalten auf diese Erkenntnisse.
Das sind durchaus interessante Ansätze, die hin und wieder auch sehr charmant fortgeführt werden, aber in weiten Teilen schafft Kahn es nicht, wirklich aus diesem Potential zu schöpfen – zu viele verschiedene und zu schnell aufeinanderfolgende Aspekte spielen in die stark dem Reisemotiv verpflichtete Handlung hinein, als daß auf Einzelheiten eingegangen werden könnte. Wenn man aber grundsätzlich an post-apokalyptischen Weltentwürfen interessiert ist, lohnt sich ein Blick in das Buch (und auch in die darin enthaltene Zeitleiste – will man sich nicht zu viel der Handlung vorweg nehmen, allerdings am besten erst nach der Lektüre des Romans).

Daß Kahn so viel Stoff in nicht einmal 300 Seiten gepackt hat, hindert ihn auch daran, dicht an die Figuren zu kommen; überhaupt wirkt die ganze Geschichte wie eine etwas unausgegorene und zerfahrene Aneinanderreihung von Ereignissen, mehr der Idee als der Handlung verpflichtet. Man könnte meinen, der Hauptprotagonist des Romans sei das neue Kalifornien selbst, denn das Vorstellen von Schauplätzen nimmt mehr Raum ein als der schwache Handlungskern, aus dem nie ein richtiger Lesefluß erwächst.
Trotzdem hat der Autor sowohl der Welt als auch den Figuren auch noch einen psychologischen Überbau verpaßt, so daß alle Charaktere im Laufe der Abenteuer auch eine Reise zur Selbsterkenntnis unternehmen – aufgrund der Fülle der Ereignisse eben auch ein eher dünnes Konstrukt, das vielleicht der Entstehungszeit geschuldet ist: Der erhobene Zeigefinger im Hintergrund läßt sich auf jeden Fall nicht leugnen.

Bis auf ein paar charmante Ideen und einen streckenweise interessanten, aber in der Ausführung nicht so recht überzeugenden Weltentwurf bleibt also nicht viel übrig, das richtig Freude beim Lesen macht. Und wer sich ob des lyrischen Titels (aus der ersten Zeile eines Gedichts von Andrew Marvell) eine sprachlich lohnende Lektüre erwartet, muß sich auf eine Enttäuschung gefaßt machen: Zumindest in der deutschen Übersetzung holpern die Sätze meistens eher vor sich hin und lassen an Rotstifte statt an Poesie denken…
Der Zahn der Zeit hat rundum ordentlich an diesem Roman genagt, daher dürfte er in erster Linie für Nostalgiker und unerschrockene Weltentdecker von Interesse sein.