Yorrick telefoniert gerade mit seiner Freundin, die am andere Ende der Welt ein Praktikum in Australien macht, als eine nie da gewesene Katastrophe die Welt heimsucht. Durch eine Seuche ungeklärter Ursache fallen weltweit in Sekunden alle männlichen Lebewesen, von der Maus bis zum Humanoid, tot um. Nur Yorrick und sein Kapuzineräffchen Ampersand überleben. Doch was macht die beiden so besonders? Und was bedeutet eine Welt ohne Männer?
»It’s too late. It’s like this everywhere. My partner. My husband. All over the city. All over the world, maybe. It’s the men … All of the men are dead.«
Y: The Last Man (Y – The Last Man) ist ein ungewöhnliches und zugleich großartiges Endzeitszenario, wie es seinesgleichen sucht. Brian K. Vaughan, der auch in Pride of Baghdad (Die Löwen von Bagdad) sein Talent gezeigt hat, ernste Themen in Comicform erzählen zu können, ohne dabei Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen, stellt sich hier dem schwierigen Thema Patriarchat vs. Feminismus. Erstaunlicherweise macht er das so mühelos und lässt es so ungeplant erscheinen, dass einem die explosive Thematik angesichts des dramatischen Ereignisses zunächst gar nicht so recht entgegen springt. Denn vorerst ist der Leser geschockt von dieser speziesübergreifenden Seuche, die in Sekunden das Leben jedes männlichen Lebewesens beendet. Einfach so, mitten im Alltag ohne Vorzeichen oder Gründe zur Warnung. Erklärungsversuche reichen von der Entwendung eines magischen Artefakts bis hin zu wissenschaftlich umstrittenen Theorien.
Was wäre das aber nun für eine Welt, die ausschließlich von Frauen bevölkert wird? Ein utopisches Paradies ohne Kriege und Konflikte? Eine Ära des harmonischen Zusammenlebens? Würde die Sprache plötzlich genderneutral oder gar vollkommen feminisiert werden? Gehörten Kriminalität, Prostitution oder Machtspiele nun endlich der Vergangenheit an? Oder wäre all das am Ende nicht viel anders, weil Frauen und Männer sich gar nicht so sehr unterscheiden?
In Brian K. Vaughans Idee einer Welt ohne Männer ist eindeutig letzteres der Fall.
Manche/r LeserIn wird nun vielleicht (gelangweilt) denken »toll, noch ein Beitrag zur Feminismuswelle«. Lasst euch gleich sagen: Nein.
In Y: The Last Man lernen wir viel über die menschliche Existenz, deren Sehnsüchte, dunkelsten Geheimnisse, Stärken und Schwächen, die beide Geschlechter gleichermaßen teilen. Dieser Comic ist kein Gloriengesang an die Frauen und keine Ballade auf gefallene Helden. Es ist ein erschreckend trauriges Szenario für alle Beteiligten, wenn man sich mit Yorick und Agentin 355 auf die Ausmaße einlässt, aber kein hoffnungsloses. Es ist die Geschichte einer Gesellschaft, die von einem tragischen Ereignis unvorhergesehenen Ausmaßes erschüttert wird und sich nur langsam und holprig davon erholt, vor einer völlig neuen Situation zu stehen. Die zurückgebliebenen Frauen gehen ganz unterschiedlich mit dem Tod der Männer um. Viele weinen um den Verlust ihrer Väter, Söhne, Brüder und Partner. Andere fühlen sich von einer Jahrtausende alten Fessel des Patriarchats befreit und trauern trotzdem um ihre Lieben, wieder andere werden zu erbarmungslosen und radikalen Extremistinnen, die jede Erinnerung an die männliche Bevölkerung auslöschen wollen. Samenbanken werden niedergebrannt, Gedenkfeiern rüpelhaft gestört, Frauen, deren Gesinnung nicht purer Hass auf alle Männer ist, werden zum Feindbild solcher Extremistinnen. Andernorts gibt es Machtkämpfe um die Besetzung des Weißen Hauses, und dies sind nur die Anfänge einer Welt, die sich erst noch aus dem Chaos des plötzlich entstandenen Machtvakuums erheben muss, bis sie, Jahre später, zurück zur Normalität findet.
Mitten drin stecken nun der junge Yorick und sein Kapuzineräffchen Ampersand – die beiden letzten männlichen Geschöpfe auf Erden. Eingehüllt in weite Umhänge und eine Gasmaske, um zu verbergen, was er ist, ist Yorick wahrhaft allein, bis ihm die Agentin 355 zur Seite gestellt wird, um ihn sicher auf die andere Seite des Landes zu der Genetikerin Dr. Mann zu bringen. Yorick, der passenderweise nach Shakespeares Hofnarr in Hamlet benannt wurde, ist eine sehr ambivalente Figur. Er freundet sich nur langsam mit seiner Beschützerin an und mag die ganze Lage zunächst nicht recht akzeptieren. Mit seinen knapp zwanzig Jahren ist er oft noch unreif, impulsiv, doch ein liebenswerter Chaot, der manchmal völlig überfordert damit ist, der letzte Mann auf Erden zu sein, und oft wie ein verlorenes Kind wirkt. Manch einer wird sich im Scherz denken »der letzte Mann unter Milliarden von einsamen Frauen? Ja, super!« Doch so spaßig sieht Yorick die Lage höchstens ein paar Minuten lang, obwohl sein schlagfertiger Witz in der Regel für gute Unterhaltung sorgt und diese dystopische Erzählung auflockert. Doch der letzte seiner Art zu sein, seien wir ehrlich, das ist ein starker Tobak, den wohl niemand so leicht schluckt. Was Yorick in seiner mal stärker mal schwächer ausgeprägten Verzweiflung antreibt, ist seine Freundin Beth, die seit dem Ausbruch der Plage irgendwo im australischen Outback verschwunden ist und die er um jeden Preis finden will. Da mit dem Aussterben der Männer aber auch die Telekommunikation und die Infrastruktur weitestgehend zusammengebrochen sind, gestaltet sich sein Vorhaben als mühselig und schwierig. Im Laufe der Jahre wächst Yorick so vom Jungspund zum Erwachsenen heran, tauscht seine jugendliche Leichtigkeit gegen ein wenig Zynismus ein und entdeckt mit seinen Begleiterinnen Stück für Stück diese neue Welt, die ihm nicht immer freundlich gesonnen ist. Piratinnen, Drogenhändlerinnen, Geheimdienste, die ihre eigenen Ziele verfolgen, Sträflinge, Ex-Top-Models und etliche andere Frauen kreuzen ihren Weg. Die Frauen beginnen ihre Welt auch ohne Männer neu zu ordnen, eine Welt, in der Yorick immer mehr zu einem nicht benötigten, aber geduldeten Relikt wird. Es ist eine Verlagerung der Machtverhältnisse und eine spannende und abenteuerliche Jagd nach Antworten und Lösungen quer über den Globus, die von einer komplexen Story, starken Charakteren und Freundschaften, sprühendem Sarkasmus und popkulturellen wie literarischen Zitaten getragen wird. Lediglich an den häufig wechselnden Zeichenstil muss man sich gewöhnen, doch der Erzählung tut dies keinen Abbruch.
Y: The Last Man (Folge 1: Unmanned/ Entmannt) ist eine Comicreihe mit überraschendem Tiefgang und realistischen Überlegungen, die in nicht immer linearen Rückblicken erzählt wird. Ob alles wirklich genauso liefe, wenn die Männer plötzlich vollständig verschwinden würden? Man weiß es nicht, doch das Szenario ist nachhaltig, wirkt glaubhaft, menschlich und hält beiden Geschlechtern auf bewegende Weise und ohne Schuldzuweisungen vor Augen, wie ähnlich wir einander letztlich alle sind. Für dieses grandiose Gesamtgefüge gibt es eine unbedingte Leseempfehlung!