Zurückgezogen und fast schon ausgerottet leben Europas letzte Wölfe, ohne Hoffnungen für die Zukunft, da die Menschen sie jagen und ihre Umwelt zerstören. Doch die alten Mythen der Wölfe, die schon fast in Vergessenheit geraten sind, besagen, daß ihnen am Ende eines dunklen Jahrtausends eine Chance bleibt, ihre einstige Stärke wiederherzustellen. Und eines Nachts versucht der junge Wolf Tervicz ein Rudel zusammenzuheulen, aus dem die Wölfe der Zeit werden sollen – ein Rudel bestehend aus Wölfen aus ganz Europa, die die Bruchstücke ihrer Mythen zusammentragen und gemeinsam das sagenumwobene Herzland finden sollen. Aus verschiedenen Ländern machen sich Wölfe auf den beschwerlichen Weg …
-Ein nebliger Morgen dämmert herauf. Es ist der erste Tag des Herbstes, jener Tag, an dem nach altem Brauch die jüngeren, umherschweifenden Wölfe das Rudel verlassen.-
Prolog: Die Reise ins Herzland
Eine Tiergeschichte über Wölfe hat im Rahmen des Jugendbuchs Wolfsaga schon einmal ganz hervorragend geklappt – man möchte also meinen, daß auch in einer erwachseneren Version mit einer komplexeren Handlung gar nichts schief gehen kann, besonders nicht bei einem etablierten Autor von Tierfantasy wie William Horwood, der mit Der Stein von Duncton schon die Mythen der Maulwürfe erfahrbar gemacht hat.
In diesem Auftakt-Band einer ursprünglich als Trilogie geplanten Saga breitet Horwood in mehr als 600 Seiten die Welt der Wölfe aus, und in diesen 600 Seiten verfranst sich die Geschichte – die eigentlich sehr gute Ansätze hat – so sehr, daß man als Leser nur bedingt mitgerissen und unterhalten wird.
Es steht nichts weniger auf dem Spiel als die Rettung der “Wolfheit”, und diese liegt in den Pfoten eines bunt zusammengewürfelten Rudels aus ganz Europa. Leider hat Horwood den unterschiedlichen Wölfen wie dem stolzen Aragon aus Spanien oder dem wortkargen Klimt aus Skandinavien keine besonders ausgeprägten Persönlichkeiten verliehen, sie statt dessen sogar mit (nationalen) Klischees ausstaffiert, ihre Konflikte wirken aufgesetzt und ebenso klischeegetrieben.
Dafür liest man aus dem ganzen Buch heraus Horwoods Anteilnahme an der Vergewaltigung der Natur durch den Menschen, die Schilderungen dazu sind eindringlich, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Zu Beginn des Buches drängt sich daher der Verdacht auf, es spiele zur Zeit, als der Umweltschutz sich durchzusetzen begann, doch wenn es später zu einer großen Seuche und einem Krieg der Menschen in Europa kommt, zeigt sich, daß es sich eher um ein Zukunftsszenario handelt.
Lange Landschafts- und Naturbeschreibungen stehen dem als Gegenentwurf gegenüber – aus Wolfssicht vermutlich hochinteressant, für den Leser trotz einer sehr angenehmen Sprache irgendwann ermüdend: Wenn es mehrere Seiten lang nur um Wolken, Felsen und Wildblumen geht, verliert dieser Kniff, die Welt aus Tiersicht zu zeigen, sehr schnell ihren Charme.
Die Handlung plätschert eher ziellos vor sich hin, und der einzige Dreh- und Angelpunkt sind die alten Geschichten der Wölfe, die von der Wiederkehr ihres Gottes Wulf erzählen. Diese Wolfsmythologie ist Horwood ausgesprochen gut gelungen; er schafft es, vielen Verhaltensweisen von Wölfen einen stimmigen tradierten Kontext zu geben, und diese Darstellungen gehören zu den besten Passagen des Romans. Hätte man die darauf basierende Geschichte gestrafft und mit etwas mehr Leben versehen, wäre vielleicht tatsächlich eine Wolfsaga für erwachsene Leser herausgekommen. Mit den dünnen, seltsam distanziert wirkenden Konflikten unter den Wölfen und dem geringen Tempo der Haupthandlung ist aber nur verständlich, daß der geplante Mittelband der Trilogie (Wanderers of the Wolfways) gestrichen wurde, so daß Horwood seine Geschichte in nur einem weiteren Band zu Ende erzählen mußte.