: Kurzgeschichten/Episoden

Cover von ABC Zhang von Maureen F. McHughTechniker Zhang ist schwul. Das ist im Zweite-Welt-Land Amerika strafbar, in China, der Schirmherrin Amerikas, werden Homosexuelle zum Teil sogar hingerichtet. In Episoden, die aus einem Zeitraum von vier Jahren stammen, wird das Leben Zhangs und einiger weiterer Personen, deren Leben er berührt, in dieser fortschrittlichen Welt erzählt. Es wird geschildert, wie er seine Arbeit verliert, weil er die San-xiang, die Tochter seines Vorgesetzten, nicht heiraten will; wie er einen deprimierenden Job auf Baffin Island, jenseits des Polarkreises gelegen, annehmen muß und schließlich in China landet um Bauingenieur zu werden.

-Der Vorarbeiter schnatterte Meihua, die herrliche Sprache, Singapur-Englisch.-
China Mountain – Zhang

Die Geschichte spielt im 22. Jh. auf einer Parallelwelt, doch die Unterschiede, die zu dieser Annahme führen, sind nur kosmetischer Natur (z.B. findet der Zusammenbruch der Sowjet Union im frühen 21. Jh. statt). Die Schauplätze sind sehr unterschiedlich, New York, Baffin Island, Jerusalem Ridge auf dem Mars, Nanjing und Wuxi in China. New York ist heruntergewirtschaftet, viele Gebäude sind noch aus dem 20. Jh. – und dieses sind zumeist die besseren, denn neuere Gebäude haben zum Teil in den oberen Stockwerken kein fließend Wasser. Nach der “Großen Läuterung” ist Amerika ein sozialistisches Land geworden – die Kapitalisten sind allerdings rehabilitiert – und der Staat organisiert die Grundbedürfnisse und verteilt die Arbeit. Dieses alles aber zumeist auf einem niedrigen Niveau, wer mehr will, muß sich auf dem Freien Markt behaupten. Alleine wohnt fast niemand, da der Wohnraum exorbitant teuer ist – ein Luxus, den sich Zhang gönnt, allerdings ist seine Wohnung eine kleine Bruchbude, in der er sich nur zum Schlafen aufhält. Üblich ist das Leben in Kommunen, sich selbst organisierenden Verwaltungseinheiten auf wirtschaftlicher und politischer Basis. In New York ist Homosexualität strafbar, aber sie wird selten geahndet, auf Coney Island läßt man die Homosexuellen sogar weitgehend gewähren. In China ist das Leben ganz anders; Homosexuelle kommen in ein Umerziehungslager oder werden gleich per Genickschuß hingerichtet. Auch wenn die Bürger nicht scharf überwacht werden, geht man mit diesem “Verbrechen” nicht lax um. Technologisch ist China viel weiter entwickelt; während in New York nur passive Systeme, in die man sich aktiv einklingen muß – wie ein Bibliothekscomputer, der auf Anfragen Daten herausgibt, direkt ins Bewußtsein gespeist – existieren, sind in Wuxi aktive Systeme, die sich selbst einklinken üblich – wie ein Gebäudekomplex, der die Bedürfnisse der Anwesenden überprüft und entsprechend reagiert, z.B. die Temperatur so regelt, daß einem nicht zu warm und nicht zu kalt ist.
Das Leben auf dem Mars ist viel härter, es gibt nur wenig Land, nur wenige, veraltete Geräte, aber es gibt auch weniger Vorschriften – die Kommunen entscheiden selbst wie sie verfahren wollen. Aber auch hier sind nicht alle gleich – die Mächtigsten sind die alteingesessenen Pächter – aus ganz pragmatischen Gründen, wie sie versichern, denn die Pächter müssen sich um ihre Pacht kümmern und können daher wenig anderes machen (als andere an die Polkappen abzukommandieren).
Die insgesamt neun Episoden werden von fünf unterschiedlichen Ich-Erzählern bestritten, Zhang Zhong Shan Rafael erzählt in fünfen von seinem Leben, so daß diese ein wenig Ähnlichkeit mit einem Entwicklungsroman erhalten. Er ist das Kind einer Spanierin und eines Chinesen, seine Eltern haben seine Gene manipulieren lassen, so daß er als ABC – American Born Chinese (oder Another Bastard Chink, wie die Langnasen sagen) – durchgeht, immer am Bangen, daß er keine Genanalyse durchhalten muß und auffliegt. Außerdem ist er schwul. Wie er feststellen wird, ist er ein echter New Yorker, es zieht ihn immer wieder in diese Stadt, auch wenn sie das letzte Loch ist, und er anderswo deutlich bessere Chancen hätte.
Wie Zhang selbst sind auch die anderen Episodenerzähler, von denen jeder nur eine erzählt, liebenswerte, alltägliche Menschen mit Macken und Stärken. Daneben tauchen noch viele weitere Figuren auf, die alle interessant und glaubwürdig sind.
Die Episoden erzählen vom Alltag der Figuren, in dem allerdings nicht immer Alltägliches geschieht. So erfährt der Leser viel über die Möglichkeiten der aktiven Systeme in China, die Krankenhauspatienten in die richtige Stimmung versetzen, Hochgefühle beim illegalen Glücksspiel auslösen und den großen Komplexen, in denen der Mensch quasi als Sinnesorgan des gesamten Körpers fungiert, aber auch davon, wie Zhang in eine Razzia gerät und flüchten muß – die Hinrichtung droht. Wer nach echten Helden oder großen Aufgaben sucht wird hier allerdings enttäuscht.
Sprachlich ist das Werk sehr gut, es gelingt der Autorin die Stimmung der Szenen und Emotionen der Protagonisten eindringlich zu schildern; so ist einem die neue San-xiang auf Anhieb unsympathisch, man sieht jedoch schnell, in welche Falle sie zu laufen droht – und man gönnt es ihr nicht.
Wenn es ein Manko hat, dann ist es das fehlende Etwas, es fehlt einfach der Funke Genialität um das Buch perfekt zu machen.
Wer nach Fantasy im engeren Sinne sucht, sollte dieses Buch meiden; es enthält viele Elemente von guter Science Fiction, mit Zhangs Episoden die eines Entwicklungsromans, ist aber auch gute Social Fantasy – nur eben ohne Magie.

Cover von Barbarendämmerung von Tobias O. MeißnerDer Barbar zieht durch ein nicht näher bestimmtes Land, das sich an seinen Rändern im Krieg mit den sogenannten Waldmenschen befindet. Auf seiner ziellosen Reise sieht sich der Barbar immer wieder mit der Dekadenz der Städte, ihren Regel- und Ordnungssystemen – die er weder teilt, noch nachvollziehen kann -, aber auch mit gefährlichen Monstern und sogar Heiligen und Göttern konfrontiert. Dabei wird er seiner Bezeichnung gerecht und zieht eine Spur der Verwüstung durch das Land.

-Menschen gaben sich diese Gesetze. Sie gaben sie sich selbst. Aber sie brachen sie auch. Nach eigenem Gutdünken.-
S. 258

Im Zentrum des Klappentextes zu Tobias O. Meißners Barbarendämmerung stehen vor allem die Rücksichtslosigkeit und Brutalität des titelgebenden Protagonisten, und tatsächlich nimmt die bildhafte Beschreibung von Gewalt und Grausamkeit recht viel Raum ein, die Stärken des Romans liegen aber vielmehr dort, wo den Abenteuern des Barbaren mehr abgewonnen wird als brutale Action.

Bis ungefähr zur Hälfte oder zwei Dritteln des Buches folgt auf ein in sich geschlossenes Abenteuer das nächste, sodass sich eher der Eindruck einer Sammlung von Erzählungen ergibt, auch wenn die Geschichten chronologisch aufeinander aufbauen und manchen kleinen Querverweis enthalten. Erst gegen Ende des Buches gehen die Episoden flüssiger ineinander über und sind nicht mehr für sich lesbar. Nachdem man sich aber über den Großteil des Romans auf Kapitel mit starker innerer Dramaturgie eingestellt hat, wirkt manches der abschließenden Kapitel mit überleitendem Charakter etwas belanglos, obwohl (oder vielleicht gerade weil) darin weiterhin die Regel von mindestens einem (mal mehr, mal weniger) ausführlichen Kampf pro Kapitel beibehalten wird.

Zwar lassen sich sämtliche Abenteuer flott lesen, vielleicht sollte man aber auch hier – wie bei Anthologien – immer mal wieder Pausen einlegen, um dem Repititionseffekt zu entgehen. Allerdings gibt es auch immer wieder besonders dichte Kapitel, die entweder mit ihrer Atmosphäre, der darin enthaltenen Figurenzeichnung und/oder über das Abenteuer hinausgehenden thematischen Gehalt punkten können. So fesselt etwa das Kapitel „ausSLöSCHeN“ den Leser/die Leserin mit der Verknüpfung vom Marsch durch einen Untoten-Sumpf mit retrospektiven Episoden. Grausiger Höhepunkt ist wohl die Kombination aus den Kapiteln „FReSSeN“ und „SauFeN“, die zeigt, dass nicht nur der Barbar in den Städten Chaos stiften kann, sondern auch die Städte im Barbaren.

Überhaupt gewinnt das Buch dort, wo es seinem Protagonisten etwas mehr Tiefe zugesteht, abseits des hypermaskulinen, naturverbundenen und non-konformen Barbarenklischees, dessen es sich bedient, und dem Verhältnis zwischen Barbar und StädterInnen mehr Ambivalenz verleiht. Denn das Barbarenklischee wird stellenweise ebenso dezent unterlaufen wie der damit verbundene Kulturpessimismus, der einem regellosen, „natürlichen“ Subjekt (dem Barbaren), die dekadenten und verweichlichten Städte gegenüberstellt. So etwa, wenn das Maß an Selbstdisziplinierung und -inszenierung erahnbar wird, das notwendig ist, damit der Barbar seine Wirkung erzielt, oder wenn klassisch kulturpessimistische Tiraden von einem egozentrischen und mehr auf Showeffekt, denn auf Wissenschaft schielenden Akademiker vorgetragen werden. Diesen Aspekten hätten gerne mehr Seiten gewidmet sein können, um den Abenteuern des Barbaren mehr Tiefe zu verleihen, denn das Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Wertesystemen und die Geringschätzung der Städter für alles, was sie als unzivilisiert betrachten, wie die gleichzeitige seltsame Faszination, die dieses auf sie ausübt, wäre ein durchaus spannendes Thema, das hier allerdings zwischen allerhand Blutbädern eher untergeht als ausgearbeitet wird. Wie die Kapitelüberschriften zeigen, hat Tobias O. Meißner seine Freude an Experimenten nicht verloren, und in einem Kapitel kehrt er sogar der Prosa den Rücken.

Cover von Das Buch der Wunder von Miriam Kronstädter/Hans-Joachim Simm (Hgg.)Miriam Kronstädter und Hans-Joachim Simm haben für dieses Buch siebenundvierzig phantastische Geschichten bedeutender Autoren aller Herren Länder zusammengetragen. Wie immer bei Anthologien gibt es mehr Informationen zum Inhalt in der Buchbesprechung.

-In einer norddeutschen Seestadt, in der sogenannten Düsternstraße, steht ein altes verfallenes Haus. Es ist nur schmal, aber drei Stockwerke hoch; in der Mitte desselben, vom Boden bis fast in die Spitze des Giebels, springt die Mauer in einem erkerartigen Ausbau, vor, welcher für jedes Stockwerk nach vorne und an den Seiten mit Fenstern versehen ist, so daß in hellen Nächten der Mond hindurchscheinen kann.-
Theodor Storm: Bulemanns Haus

Diese Anthologie ist eine Fundgrube für Freunde der phantastischen Literatur. Berühmte Autoren wie Nikolaj W. Gogol, Gabriel Garcia Márquez, Jack London, H.P. Lovecraft, August Strindberg, Ludwig Tieck, Joseph Sheridan Le Fanu, E.T.A. Hoffmann, Stanislaw Lem, Tania Blixen, Edgar Allan Poe und Prosper Mérimée teilen sich einträchtig die Seiten mit Schriftstellern, die nicht ganz so bekannte Namen tragen: Fjodor Sologub, Adolfo Bioy Casares, Stefan Grabinski, Mircea Eliade, Boris Vian oder Tommaso Landolfi. Ob weltbekannt oder nicht – erzählen können sie alle.
Die Themen ihrer Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Leser findet hier klassische Geistergeschichten wie Le Fanus Erzählung von der Gespensterhand oder Becqers Geschichte vom Geisterberg, in der eine Frau ihrem Cousin eine unheimliche Mutprobe abverlangt. Was ist Wahn, was ist Wirklichkeit? Diese Frage stellt sich bei der Lektüre von Ludwig Tiecks Märchen Der blonde Eckbert oder von Edith Nesbits Das violette Automobil. Stefan Grabinskis Erzählung Das Abstellgleis hingegen ist so beklemmend, weil sie real wirkt, so real, daß sie jedem heute oder morgen passieren könnte und man dennoch fühlt, daß etwas Unheimliches im Gange ist, das unerbittlich und unaufhaltsam das Ende bringt. Nicht alle Geschichten sind unheimlich oder gruselig, manche sind voller Witz und Ironie wie die vom Werwolf, der sich in ein erotisches Abenteuer stürzt oder die von Wolfgang Hildesheimer, in der der Ich-Erzähler erläutert, warum er sich in eine Nachtigall verwandelt hat. Andere sind der literarische Ausdruck politischen Widerstands wie die Parabel Der Basilisk von Werner Bergengruen. Ein eitler Wichtigtuer tritt in die SA ein und spukt nach seinem Tode im Haus herum, bis das Dritte Reich endgültig zusammenbricht.
Häufig sind Künstler die Protagonisten, die, wenn sie auch nicht unbedingt mit dem Teufel im Bund sind, doch offensichtlich besonders gefährdet sind, in den Bannkreis übernatürlicher Mächte zu geraten und nur selten, wie in Beheim-Schwarzenbachs Geschichte Das Spinett sind die Begegnungen mit dieser anderen Welt hilfreich.
Allen Geschichten ist gemeinsam, daß die Normalität und die Realität durch den Einbruch des Übernatürlichen gestört werden. Das kann auf den Leser beängstigend, verstörend und beklemmend wirken oder auch nur verwunderlich, seltsam oder gar lustig, aber jedesmal ist es im doppelten Sinne des Wortes phantastisch.
Die Übersetzung hakt an manchen Stellen etwas. Das Wort Katalanin liest sich doch viel schöner als Katalanerin, schlurfende Schritte sind den schlürfenden Schritten auf jeden Fall vorzuziehen und das Wort ausgepowert gehört nicht in eine Geschichte, die im Jahre 1840 spielt. Liest man solche sprachlichen Stolpersteine, fühlt man sich als hätte man sich den Ellbogen an einer Kante gestoßen. Es wird zwar kein großer Schaden angerichtet, aber es schmerzt doch.

Carniepunk von Rachel Caine, Delilah S. Dawson, Jennifer Estep, Kelly Gay, Kevin Hearne, Mark Henry, Hillary Jacques, Jackie Kessler, Seanen McGuire, Kelly Meding, Allison Pang, Nicole D. Peeler, Rob Thurman, Jaye WellsVierzehn Kurzgeschichten ziehen in dieser Anthologie LeserInnen in die oft schaurige, pervertierte oder einfach nur surreale Welt des Zirkus.
Vierzehn Geschichten, vierzehn AutorInnen – und alle betreten den Zirkus auf ganz unterschiedliche Weise. Was alle gemein haben, ist die Verbindung zum Grauen oder zu Dämonen, die auf der Jagd nach Seelen sind …
Kommt zahlreich, mutige Abenteurer, die Manege ruft!

– It took me two days to die. On the first night, I met Madame Laida, and on the second night, I met the Cold Girl.
And this is how it happened. –
The Cold Girl, Rachel Caine, S. 153

Kurzgeschichten haben es in der Verlagswelt schwer, wahrgenommen zu werden, dabei bieten sie eine hervorragende Möglichkeit, Leser auf neue Autoren oder Serien aufmerksam zu machen, die ihrem Radar bisher womöglich entgangen sind. In Carniepunk haben sich vierzehn verschiedene Autoren zusammengefunden und unter dem Oberthema “Zirkus” ihre Geschichten beigesteuert. Manche stehen für sich alleine, andere ergänzen bestehende Buchreihen der einzelnen AutorInnen.
Die meisten dieser Geschichten sind nichts für junge Leser. Mal abgesehen von fließendem Blut und dem leise mitschwingenden Horror, der alle Geschichten vereint, finden hier teils sehr deutliche sexuelle Handlungen statt, die von Nekrophilie über die Erinnerungen eines Vergewaltigers bis zu den detaillierten Aktivitäten eines Sukkubus reichen. Meistens schaffen es die AutorInnen dabei, nicht ins Fremdschämen abzudriften – Ausnahmen bestätigen die Regel.

Die Qualität der Geschichten schwankt. Manche AutorInnen beherrschen ihr Handwerk besser als andere oder haben vielleicht auch einfach nur ein mal besseres, mal schlechteres Händchen für die Kunst, eine Kurzgeschichte zu schreiben. Manches lässt einen als LeserIn einfach nur verwirrt zurück, anderes wirkt, als habe der/die AutorIn sich schwer getan, seine Ideen in Zaum zu halten, und macht viele Sprünge, um all die Ansätze irgendwie in Kurzform zu bringen.

Hier eine Übersicht und ggf. Eindrücke der einzelnen Geschichten:

Painted Love – Rob Thurman
Der Weltreisende Doodle schließt sich für eine Weile dem Zirkusangestellten Bartholemew an und beobachtet dessen Alltag. Bartholemew ist ein waschechter Psychopath und hat sich gerade sein nächstes Opfer ausgesucht, was Doodle in eine schwierige Lage bringt. Einerseits sieht er sich selbst als reinen Beobachter, andererseits empfindet er eine gewisse Zuneigung für das nächste Opfer.
Die Geschichte funktioniert nur bedingt, da Doodles Figur wenig Zugangsmöglichkeiten bietet. Die Idee dahinter ist durchaus nicht schlecht, die Ausführung teils aber zu blass.

The Three Lives of Lydia – Delilah S. Dawson
Diese Geschichte gehört zu einer Buchreihe (Blud Series) und greift das Setting eines im viktorianischen Zeitalter angesiedelten Universums auf. Die Atmosphäre ist düster und steampunkig und die Wendungen überraschend. Lydia erwacht nackt auf einem leeren Feld, das von Zirkuswagen umkreist ist, trifft später auf Vampire und Werwölfe, die im Zirkus angestellt sind und nicht alle gute Absichten für sie hegen.
Eine stimmungsvolle Geschichte mit überraschendem Ende, die auch ohne Kenntnis der eigentlichen Buchreihe gut funktioniert.

The Demon Barker of Wheat Street – Kevin Hearne
Teil der Buchreihe The Iron Druid Chronicles. Die Geschichte findet zeitlich nach dem 4. Band statt (und nach der Kurzgeschichte Two Ravens and One Crow), kann aber gut für sich gelesen werden.
Druide Atticus und Lehrling Granuaile besuchen einen Zirkus und geraten dabei in die Fänge eines Dämons, der seine Attraktion zur Ernte ahnungsloser Seelen benutzt und sie geradewegs auf einen Trip in die Hölle schickt.
Witzig und im wahrsten Sinne höllisch gefährlich.

The Sweeter the Juice – Mark Henry
Post-Apokalyptisches Szenario, in dem Zombies allgegenwärtig und ihre Angriffe an der Tagesordnung sind. Die transsexuelle Jade Reynolds geht einen Handel ein, um sich ihre/seine Geschlechtsumwandlung leisten zu können, und soll für die behandelnde Ärztin eine neu zirkulierende Droge finden.
Diese Geschichte ist mehr im Horrorbereich zuhause, stopft aber so viele (teils eklige) Ausführungen in einen Sack, dass es für mich schwierig war, am Ball zu bleiben, und wurde dementsprechend abgebrochen.

Werewife – Jaye Wells
Nach dem Besuch einer Zirkusvorstellung verwandelt sich die Ehefrau in einen Werwolf, was sich als recht unkomfortabel für den Ehemann erweist. Als der selbe Zirkus nach einem Jahr in die Stadt zurückkehrt, überredet der Gatte seine Frau, erneut dorthin zu gehe,n um den Fluch aufzuheben, doch was sie dort erwartet, ist mehr als eine unschöne Erkenntnis.
Diese Geschichte ist aus Sicht des Ehemanns erzählt und bis auf das etwas überstürzte und nicht ganz überzeugende Ende sehr unterhaltsam.

The Cold Girl – Rachel Caine
Die sechzehnjährige Kiley besucht mit ihrem Freund einen Zirkus und vertauscht dabei versehentlich ihre Telefone. Als sie die Inhalte auf dem Telefon ihres Freundes sieht muss sie erkennen, dass der Junge, den sie liebt, eine schockierende Seite verbirgt, für die sie bisher blind war – obwohl andere die Anzeichen längst bemerkt haben.
Spannend, ergreifend und verstörend, ist dies eine der sehr gut gelungenen Geschichten der Anthologie.

A Duet With Darkness – Allison Pang
Teil der Abby Sinclair Series. Mel kann Noten und Melodien farblich wahrnehmen. Sie ist ein musikalisches Ausnahmetalent und hält sich für die beste in ihrer Band. Sie kann offenbar die Wilde Magie anzapfen, was bei einem geplanten Auftritt der Band die Aufmerksamkeit von jemandem erweckt, dem sie nicht gewachsen ist. Ihr Freund, ein gefallener Engel, versucht sie vor den Folgen ihres Stolzes zu bewahren, doch einer muss den Preis bezahlen.
Liest sich etwas wie ein Jugendbuch, ist nur inhaltlich nicht ganz jugendfrei. Die Welt und die Figuren sind aber gut beschrieben und durchaus interessant.

Recession of the Divine – Hillary Jacques
Die Versicherungsermittlerin Olivia untersucht den Brand in einem Zirkus, und es ist schnell klar, dass hier etwas nicht stimmt. Als die Angestellten merken, dass Olivia in die Erinnerungen anderer eintauchen kann, wird sie entführt und mit einem Bann ihrer eigenen Erinnerung beraubt, um sie angekettet als Wahrsagerin arbeiten zu lassen. Der Leser erfährt früh, dass sie eine Göttin in Menschengestalt ist, ihre Entführer lernen es auf die harte Tour.
Diese Geschichte war verwirrend, da die Autorin zahlreiche Zeitsprünge macht und eine eher weitreichende Handlung in einen so kurzen Text zu pressen versucht. Zeitsprünge erschweren das Ganze ebenso wie die Tatsache, dass nicht immer klar ist, was wessen Erinnerung ist oder was gerade doch real.

Parlor Tricks – Jennifer Estep
Teil der Serie Elemental Assassin Series. Detective Bria Coolidge bittet ihre Schwester, die Assassinin Spider, um Hilfe bei der Suche eines verschwundenen Mädchens, das zuletzt gesehen wurde, als es einen Zirkus besuchte. Als die beiden Frauen die Hintergründe ihres Verschwindens aufdecken, braucht es alles an Elementarmagie, was Spider zu bieten hat.
Die Figur der Spider, aus deren Perspektive erzählt wird, ist nur schwer zugänglich und so springt der Funke bei dieser Geschichte nicht recht auf die Leserschaft über. Ist vielleicht anders, wenn man die Buchreihe dazu kennt.

Freak House – Kelly Meding
Teil der noch im Entstehungsprozess befindlichen Buchreihe Strays Series, die recht viel Potential haben dürfte, wenn man diese Kurzgeschichte als Indikator nehmen darf.
Shiloh ist halb Djinn und hat jüngst erfahren, dass ihr Vater von einem Schwarz-Magier gefangen gehalten und als Zirkusattraktion ausgestellt wird. Zusammen mit zwei unerwarteten Verbündeten, von denen einer ein Werwolf ist, der andere ein pensionierter Soldat, und ausgestattet mit ihrem eigenen magischen Erbe, schleicht sie sich in die geschlossene Veranstaltung ein und findet weitere Gefangene vor. Für Shilo und ein paar andere zeichnet sich ein neues Ziel ab.
Interessantes Konzept, das neugierig auf mehr macht.

The Inside Man – Nicole Peeler
Teil der Jane True Series. Die drei Inhaberinnen der Triptych Agentur bekommen Besuch vom größten Gangsterboss der magischen Szene und werden “gebeten” herauszufinden, weshalb seine Schwester und alle anderen Bewohner ihrer Stadt ihre Erinnerungen und ihre Ambitionen verloren haben. Ihre Ermittlungen führen sie in die Fänge eines dämonischen Clowns, der ganze Städte heimsucht und nichts alle leere menschliche Hüllen zurücklässt.
Spannende Charaktere mit interessanten Hintergründen und ordentlich Frauenpower. Hier wird nicht lange gefackelt und gleich kurzer Prozess mit Dämonen wie menschlichen Bestien gemacht … Da lohnt sich wohl ein Blick in die Buchreihe.

A Chance in Hell – Jackie Kessler
Teil der Buchreihe A Hell on Earth. Die frühere Sukkubi Jezebel ist inzwischen menschlich und auf der Flucht vor dem Höllenfürst, um die Apokalypse zu verhindern. Ihre Mitbewohnerin soll Jez beibringen, was Menschlichkeit bedeutet, und nimmt den unmotivierten Ex-Dämon mit zu einem Zirkus. Der Tag verschlechtert sich deutlich, als Jez dort einem hochrangigen Dämon der Gier begegnet, der nichts lieber täte als Jezebels blitzblanke neue Seele in seine Finger zu kriegen.
Teilweise humorvoll, mit viel Erotik garniert.

Hells’s Menagerie – Kelly Gay
Teil der Buchreihe Charlie Madigan. Die zwölfjährige Emma, Tochter von Charlie Madigan, marschiert in Charbydon (Hölle) ein, um die entführten Welpen und das Weibchen ihres Höllenhundes Brim zu retten. Dabei riskiert sie lebenslangen Hausarrest, den Rauswurf aus der Schule und selbstverständlich ihr eigenes Leben, wie auch das ihres Begleiters, dem Djinn, der im Körper ihres dahingeschiedenen Vaters steckt.
Obwohl die Ansätze gut waren, habe ich diese Geschichte letztlich nur quer gelesen. Die Protagonistin war mir zu jung und die Rettung von Hundewelpen hat meinen Toleranzbereich für Niedlichkeiten gesprengt.

Daughter of the Midway, the Mermaid, and the Open, Lonely Sea – Seanan McGuire
Ada ist im Zirkus der Miller Familie geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter ist die Hauptattraktion: eine echte Meerjungfrau, die als junge Frau schwanger Zuflucht im Zirkus gesucht hat. Nach beinahe zwanzig Jahren kommt der Zirkus an den Ort zurück, von dem Adas Mutter einst geflohen ist, und prompt wird das Mädchen von ein paar der Stadtbewohner entführt und gefangen gehalten. Ada entdeckt, dass es ein düsteres Geheimnis im Leben ihrer Mutter gab, die sich freiwillig entschieden hat, alles zu vergessen, indem sie sich dem Wasser hingab und ihre unvermeidliche Verwandlung in eine Meerjungfrau vollzog. Der Zirkus mag die Freakshow haben, doch die Monster leben außerhalb.
Eine Geschichte, die mit etwas mehr Tragik gefüllt ist und leider viele Aspekte der Charaktere nur andeutet, von denen mehr zu wissen spannend gewesen wäre.

Clan Rathskeller von Kevin HearneOh du fröhliche … Druidenzeit! Während die Bürger von Tempe sich im milden Winter auf das Weihnachtsfest vorbereiten, befinden sich waschechte Geschöpfe der keltischen Mythologie unerkannt unter ihnen. Getarnt als Weihnachtselfen in einer Shopping Mall, trachten die letzten Gnome des Clans Rathskeller einem diebischen Kobold nach dem Leben. Atticus und sein irischer Wolfshund Oberon stolpern unfreiwillig nicht nur in konsumwütige Shopper, sondern auch in eine Verfolgungsjagd, die das Chaos perfekt macht.

Oberon stopped and cocked his head to one side. <You’re telling me those are gnomes pretending to be dwarfs pretending to be elves? Are you trying to play Six Degrees of Bilbo Baggins again?>

Oh, Atticus, es geht doch nichts über eine charmante kleine Geschichte, um daran zu erinnern, warum du so umwerfend (witzig) bist.

Clan Rathskeller ist wie A Test of Mettle eine Kurzgeschichte von Kevin Hearne, die zu der Buchreihe The Iron Druid Chronicles gehört und kostenlos zum Download angeboten wird. Die Geschichte spielt chronologisch betrachtet zehn Monate vor Band 1 (Hounded/Die Hetzjagd) und ist zwar nicht handlungsrelevant für die Reihe, dafür aber ein köstlicher Happen Humor für zwischendurch, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Da die Charaktere hier nicht näher vorgestellt bzw. ausgearbeitet werden, ist es für Neueinsteiger vielleicht trotzdem ganz ratsam, nicht gleich mit Clan Rathskeller in die Iron Druid Chronicles einzusteigen. Es könnten sonst doch einige Dinge Fragen aufwerfen, die erst durch die Bücher erklärt werden und dem Leser das nötige Grundwissen vermitteln.

Wer nun schon die Freude hatte, mindestens Hounded gelesen zu haben, der wird Clan Rathskeller als sehr unterhaltsamen Zusatzstoff empfinden, mit einem typischen Atticus, bei dem es viel zu lachen gibt. Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte könnte man es auch nennen, schließlich wird hier ein böser Kobold von Santas Elfen verfolgt. Allein die Vorstellung lässt einen schon albern kichern.
So richtig witzig wird es aber natürlich erst, wenn man tatsächlich die Geschichte selbst liest und sich die teils urkomisch gezeichneten Bilder vor dem geistigen Auge ausmalt. Oberon kann auch im Angesicht einer ernsten Lage nur an mit Schinken umwickelte Steaks denken, Atticus muss mal wieder blank ziehen (ja hier darf gesabbert werden, liebe LeserInnen), eine Emo-Fee macht außerdem Bekanntschaft mit einem Kühlergrill und wer dachte, Gnome und Stöckelschuhe passen nicht so richtig zusammen … der hatte recht.

Kurz gesagt: Clan Rathskeller, ein Titel, der einen leicht auf eine falsche Spur führen kann, ist eine schrecklich amüsante Ergänzung zu den Büchern, mit liebenswert schrulligen Figuren und mindestens einem Beweis mehr, dass Autor Kevin Hearne für jede Lage passende Querverweise zu Musik, Film und Literatur auf Lager hat. Überhaupt ist es erfrischend, wie dieser Autor es schafft, einen alle zwei Minuten lachen oder grinsen zu lassen, ohne dabei platt oder Slap-Stick-artig zu werden. Bitte mehr davon!

The Coyote Road von Terri Windling und Ellen DatlowThe Coyote Road ist eine Anthologie, in der Genre-Autoren verschiedenen Trickster-Figuren nachspüren, überlieferten rund um die Welt wie Anansi, Coyote oder Kitsune, und neuen, die frische Interpretationen der Erzählmuster von Trickstergeschichten zulassen.

-You’ve probably seen those shoes by the side of the road. Just a shoe, lying in the dust just off the roadway. Not two shoes together. One odd shoe.-
One odd Shoe, Pat Murphy

Trickster treten in fast jeder Kultur in der einen oder anderen Form auf und sind faszinierende Figuren, weder gut noch schlecht, sondern einfach außerhalb der moralischen und gesellschaftlichen Kategorien und schon allein aufgrund dieser Position mächtig, aber meist nicht mit klassischen Formen der Macht ausgestattet – sie müssen sich durchmogeln. Mythen-Expertin Terri Windling erklärt im Vorwort der von ihr gemeinsam mit Ellen Datlow herausgegebenen Anthologie die verschiedenen Gestalten und Traditionen der Trickster-Figur, und damit ist man bestens gerüstet für die 22 Geschichten und 4 Gedichte, die darauf folgen.

Von den verschiedenen Zeiten, Stilen und Settings, in denen die Trickster in The Coyote Road auftreten, funktionieren die Geschichten mit modernem Hintergrund oft am besten – der Trickster ist eine Figur, die sehr stark mit dem Milieu arbeitet, und das kann ein Autor wie Charles de Lint beispielsweise bravourös in The Crow Roads heraufbeschwören, wo ein mysteriöser Fremder die Ödnis eines kleinen kanadischen Städtchens aufbricht, oder Pat Murphy mit der Eröffnungsgeschichte, die im amerikanischen Westen augenzwinkernd eine Frage aufklärt, die beinahe so spannend ist wie die nach den Einzelsocken in der Waschmaschine. Ebenfalls sehr stark in ihrem Milieu verwurzelt ist Delia Shermans The Fiddler of Bayou Teche, das die klassische Geschichte vom Pakt mit dem Teufel mit sumpfigem Südstaatenflair (und -slang) und Werwölfen neu belebt.
Die historisch angehauchten Geschichten sind zwar alle solide, aber ihnen fehlt häufig der Pfiff, der die Trickster in den moderneren Settings richtig schillern lässt – in alten Zeiten treten sie eher als Götter auf, unverständlich in ihren Motiven und den Menschen recht fern.

An sich sind Trickster ein famoser Kurzgeschichtenstoff, weil sie nicht bleiben. Sie ziehen durch, sind Momenterscheinungen – Glück oder Unglück, das je nach Perspektive über die Menschen hereinbricht und ihren Alltag ausschaltet. Dort lösen sie manchmal wie im Mythos Probleme, mit denen die Gesellschaft allein nicht fertig wird: Ein mysteriöser Fuchs hilft in Realer than You von Christopher Barzak einem entfremdeten Jungen beim Einleben in einem neuen Land, die Cat of the World von Michael Cadnum beschäftigt sich schon seit Jahrhunderten damit, das Leben für Katzen (und manchmal auch Menschen) besser zu gestalten.
Andere Trickster sind wie ein Sturm, der über die Menschen herfällt und sie häufig zum Vergnügen, selten mit richtig ernsten Absichten, wie Spielfiguren herumschiebt. Nur ganz selten gibt es eine Geschichte aus der Sicht eines der Trickster: Richard Bowes’ A Tale for the Short Days wirft einen Blick aus den Augen eines vielseitigen Diebesgottes auf die Welt, und im herrlich rätselhaften und bildgewaltigen Black Rock Blues von William Shetterly muss man sich erst einmal erarbeiten, wer warum in so großen Nöten ist und welche Rollen die auftretenden Figuren bekleiden. Häufig begegnen wir auch menschlichen Trickstern, etwa bei Patricia McKillip, oder die Trickster werden ausgetrickst wie bei Holly Blacks groteskem Besuch im Kosmos der Fresswettbewerbe. Ein weiteres prominentes Thema sind Trickster, die sich vergessen haben und sich quälen, bis ihr funkelndes Ich wieder durchbricht.

Neben Shermans, de Lints und Shetterlys Geschichten ist Kelly Links The Constable of Abal ein Highlight der Anthologie, das einen prächtigen Kosmos aus dekadenten, skurrilen Städten ausbreitet, durch den eine mehr als dysfunktionale kleine Familie mit einem nicht ganz fassbaren Geheimnis zieht. Theodora Goss trägt mit How Raven Made His Bride ein fesselndes Erzählgedicht bei, das lose auf nordamerikanischen Mythen aufbaut. Kij Johnson packt das Tricksterthema mit einem beinahe akademischen Ansatz an und seziert mit The Evolution of Trickster Stories Among the Dogs of North Park After the Change nicht nur den Archetypus, dem sich die ganze Anthologie widmet, sondern auch unser Verhältnis zu Tieren. Und auch Jeffrey Ford hat in The Dreaming Wind die Essenz des Tricksters herausgefiltert und lässt ihn völlig körperlos als urtümliche, verändernde Kraft auftreten, als die Kreativität selbst.

Da The Coyote Road eigentlich keine Ausfälle hat und die besten Geschichten die Facetten des Tricksters sehr gründlich einfangen, ohne ihm seine Unerklärlichkeit zu nehmen, kann man die von Charles Vess liebevoll ausgestattete Anthologie uneingeschränkt allen empfehlen, die sich diesen ambivalenten Figurentypus und sein Changieren zwischen erhabenem Mythos und Profanität näher anschauen wollen.

Diving Mimes, Weeping Czars and Other Unusual Suspects von Ken ScholesDie siebzehn Kurzgeschichten führen diesmal auf die Erde nach einem Alien-Angriff, Kolonien auf fernen Planeten, deren Siedler längst die Technik vergessen haben, in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, ins Herz eines Galaktischen Imperiums, in eine Bar irgendwo im Westen und an etliche andere Orte zu anderen Zeiten.

-Frederico leaned close to smell the poison on his thirteenth wife’s cold, dead lips.-
A Weeping Czar Beholds the Fallen Moon

Auch Ken Scholes’ zweite Sammlung von Kurzgeschichten – eine Form, in der der Autor zu Hause ist wie der Fisch im Wasser – bietet wieder einen kreativen Reigen von vor allem thematisch und durch ihre überbordende Phantasie verbundenen Episoden, die völlig verschiedenen Subgenres zuzuordnen sind und die Tür zu ihren jeweiligen Welten einmal weit aufreißen, um sie nach einem kurzen Blick wieder zu schließen.
Das Nachwort verrät – falls man es sich nicht aus den Texten selbst erschließen konnte – die Zugehörigkeit einzelner Geschichten zu größeren (meist noch ungeschriebenen) Zyklen oder einem gemeinsamen Setting.

Zwei der Geschichten gehören zur Psalms of Isaak (Die Legende von Isaak)-Reihe, darunter die lange Eröffnungs-Erzählung, die eine gute Ergänzung zum zweiten Band der Reihe darstellt und in eine frühere Ära der Benannten Lande führt. Of Missing Kings and Backward Dreams and the Honoring of Lies ist dagegen ein früher Entwurf für den ersten Band, als dieser noch als Zyklus aus mehreren Kurzgeschichten konzipiert war, und gibt einen guten Einblick in Scholes’ schöpferischen Prozess.
In beiden Geschichten tritt eines seiner großen Talente zutage: Mit der Weltschöpfung auch auf kleinstem Raum mehr zu vermitteln als andere in ganzen Zyklen und dieses Grundkonzept der Fantasy, das Simulieren von großen Welten mit wenigen Worten, damit auf die Spitze zu treiben.
In beinahe jeder Geschichte in Diving Mimes and Weeping Czars kann man staunend davorsitzen, wenn dieser Trick wieder und wieder gelingt, etwa in der knallig bunten und tieftraurigen postapokalyptischen Erde der Four Clowns of the Apocalypse and the Mecca of Mirth, die sich schnell ein neues Bezugssystem aus Mythen und Geschichten zugelegt haben, oder im pangalaktischen Invisible Empire of Ascending Light, das schon etliche Schismen hinter sich hat und in der tragischen Erzählung nur eine Ahnung der Geschichten vermittelt, die sich innerhalb seiner Grenzen abspielen könnten.
Dieses unerwähnt bleibende Mehr, das in vielen Geschichten der Sammlung mitschwingt, ist mitunter Scholes’ größte Trumpfkarte.

Eine andere sind seine Themen: Fast alle Geschichten haben spirituelle, aber auch religionskritische Untertöne, in einigen rücken sie auch in den Vordergrund, wie etwa bei On the Settling of Ancient Scores, wo es Gott und der Teufel in einer Bar austragen wollen, oder The God-Voices of Settler’s Rest, einer melancholischen Rückschau auf ein Leben, das einer ominösen Religion gewidmet war.
Auf verschiedenen Wegen nähert sich Scholes auch dem Umgang mit dem Tod (absurd und tragikomisch, aber psychologisch unfehlbar in Grief-Stepping to the Widower’s Waltz, mit eindeutig durchschimmernder Eigenerfahrung in The Taking Night). Zwei Liebesgeschichten bereiten auch dieses Thema verspielt und geschickt auf: Love in the Time of Car Alarms ist eine niedliche, aber unkitschige Romanze in Scholes’ Superhelden-Universum, There Once Was a Girl in Nantucket reiht die Liebe als ein weiteres Element in eine Parade von surrealen Ereignissen ein.

Viel Vergnügen machen auch zwei Geschichten, die auf den Artus-Mythenkreis zurückgreifen, diesen aber sehr ungewöhnlich umsetzen: eine entpuppt sich als auf schlichte Weise schön und bleibt dicht an ihrem adoleszenten Helden, der in die Fußstapfen von Tom Sawyer und Huckleberry Finn zu treten scheint, die andere tischt ein kurioses, drastisches Setting auf und wird von Scholes’ Inszenierung der Heldenwerdung seiner Figuren getragen – wie schon in früheren Geschichten versteht er es, völlige Außenseiter in diese Rolle zu drängen und ihnen in den richtigen Momenten Pathos zu verleihen.
Nicht nur in dieser Geschichte ist die Zeit nach der Apokalypse ein Thema, zu dem Scholes immer wieder zurückkehrt – er beschreibt Neuanfänge, oft Rückfälle auf niedrigere Entwicklungsstufen, oder eine völlige Veschiebung des gesellschaftlichen Paradigmas, meist weg von der Rationalität, hin zum Glauben oder zu Welten, in denen Mythen und Geschichten Realität stiften.

Diese Mythen zaubert er aus dem Hut, als wären sie im Dutzend billiger – Ähnlichkeiten und gemeinsame Ursprünge lassen sich feststellen, genauso, wie sich nach und nach ein Mosaik aus Geschichten ergibt, die Teil eines größeren Entwurfs sind. Selbst in den kürzesten Geschichten, dem poetischen SF-Action-Kracher (!) The Night the Stars Sang Out My Name und der düsteren und trotzdem warmherzigen Endzeit-Episode What Child is This I Ask the Midnight Clear, scheut sich Scholes nicht, eine Fülle von Hintergründen durchscheinen zu lassen, die auf mühelose Weise authentisch wirkt.
Eines der Highlights der Sammlung, The Second Gift Given, ist dann auch zugleich Schöpfungs- und Zukunftsmythos und kann außerdem gut als Beispiel dafür dienen, dass die anspruchsvollen Konstruktionen des Weltenbaus niemals die menschliche Basis der Geschichten überragen: Es behandelt ein moralisches Thema, mit dem beinahe jeder Mensch irgendwann einmal konfrontiert wird, auf so einfühlsame Weise und gleichzeitig mit einem solchen Weitblick, dass man schon allein für diese eine Geschichte unter siebzehn diese Sammlung ins Regal stellen sollte.

Cover des Buches "Drachennächte" von Roman Sander (Herausgeber)Diese Anthologie enthält zehn Fantasygeschichten verschiedener Autoren. Mehr zum Inhalt findet Ihr in der Buchbesprechung.

-Mit der Dämmerung kam der Sturm.-
Sturmnacht

Die zehn in diesem Buch versammelten Geschichten decken einen großen Teil des Spektrums ab, das die Fantasy zu bieten hat.

Uschi Zietschs Sturmnacht erzählt als etwas pathetisch geratene Horrorversion der Wilden Jagd von der Geburt einer deutschen Sagengestalt.
In Terry Pratchetts Die Trollbrücke trifft Cohen der Barbar auf einen Troll. Doch anstatt zum geplanten Kampf um den legendären Trollschatz, von dem Cohens sprechendes Pferd dem gealterten Barbaren übrigens dringend abgeraten hat, kommt es zu einem wehmütigen und höchst komischen Abgesang auf alte Zeiten.
Ganz anders wiederum ist der Stil der Erzählung Die Sonnwendherrin der russischen Autorin Anna Kashina. Sie beruht auf einer alten Legende ihrer Heimat und gleicht mehr einem Märchen als einer Fantasygeschichte. Ihre Protagonistin, die Sonnwendherrin, erinnert an die starken, selbstbewussten und magischen Heldinnen Angela Carters.
David Case wirft in Das Ungeheuer in der Kluft die Frage auf, was den Mensch zum Menschen macht und welche Rolle Religion und Kirche dabei spielen.
In David C. Smith Geduld ist eine Tugend rächt sich eine misshandelte Frau nach Jahren an ihrem Peiniger. Es ist eine bösartige kleine Geschichte und genau deshalb ist sie so gut.

Auch alle anderen Erzählungen sind lesenswert: Rot auf Silber von Uwe Luserke, Hans Dieter Römers Am Rande, Lucius Shepards Der Mann, der den Drachen Griaule bemalte, Chris Naylors Die Burg am Ende der Welt und das Gemeinschaftswerk des Autorengespanns Marion Zimmer Bradley & Ted White: Geburt eines Phönix.

Cover von Elric von Michael MoorcockIn The Dreaming City kehrt Elric als rechtmäßiger Thronanwärter in die letzte verbliebene Stadt des einst mächtigen Reiches von Melniboné zurück. Allerdings nicht um den Thron zu beanspruchen, sondern an der Spitze einer Seeräuberarmada und von Rachedurst getrieben. In While the Gods Laugh begibt sich Elric auf die Suche nach einem Buch der Alten Götter, um mehr über die Götter und sein Schicksal in der Welt zu erfahren. Dabei stellen sich ihm nicht nur allerhand phantastische Ungeheuer in den Weg, sondern er lernt auch seinen künftigen Side-kick Mondmatt (im Original Moonglum) von Elwher kennen. Rachsucht treibt den Prinzen von Melniboné in Stealer of Souls dazu, sich einem Komplott gegen den Händler Nikorn anzuschließen, denn dieser beherbergt einen Zauberer, mit dem Elric noch eine Rechnung zu begleichen hat. In Kings in Darkness begeben sich Elric und Mondmatt ins Reich der körperlich und geistig versehrten Orgians, wo sie sich auch noch mit Untoten herumschlagen müssen, dabei aber eine ganz besondere Bekanntschaft machen. In The Caravan of Forgotten Dreams wird Elrics lang ersehnter Friede durch eine sengende Barbarenhorde gestört, deren Anführer sich für einen mächtigen Zauberer hält. In Stormbringer schließlich entspinnt sich der alles entscheidende Kampf zwischen den Mächten der Ordnung und des Chaos.

-Then he realized that he and the sword were interdependent, for though he needed the blade, Stormbringer, parasitic, required a user – without a man to wield it, the blade was also powerless. ‘We must be bound to one another then,’ Elric murmured despairingly. ‘Bound by hell-forged chains and fate-haunted circumstance. […]’- S. 34

Elric von Melniboné ist wohl eine der bekanntesten Heldengestalten der Fantasy, kein Wunder also, dass ihm auch ein Band der Fantasy Masterworks-Reihe gewidmet ist. Ob dieser jedoch geeignet ist, den in den 1960er Jahren entstandenen Helden auch modernen LeserInnen nahezubringen? Der Sammelband umfasst dabei nicht sämtliche Erzählungen, in denen der Prinz von Melniboné eine Rolle spielt, liefert aber dessen ursprüngliche Geschichte. Elric vereint nämlich fünf Erzählungen, als da wären The Dreaming City, While the Gods Laugh, The Stealer of Souls, Kings in Darkness und The Caravan of Forgotten Dreams, sowie den Roman Stormbringer in sich. Dabei liefern die Erzählungen Vorwissen für Stormbringer, in dem Elrics Geschichte in einem großen Finale mündet, gleichzeitig ist in diesem „Kanon“ genug Spielraum für die später verfassten Abenteuer Elrics. Alle diese Geschichten rund um den schicksalsgeplagten Albino sind Anfang der 1960er Jahre entstanden, und man muss sagen, dass nicht alle gut gealtert sind. Hierbei sollte aber auch erwähnt werden, dass diese Erzählungen ursprünglich als Fortsetzungsgeschichten erschienen sind, woraus sich ihr manchmal etwas zergliederter und auch pulpiger Eindruck erklärt.

Eine Schwierigkeit, die sich bei vielen übermächtigen Helden ergibt und die auch Moorcock nicht immer ganz gelungen meistert, ist, wie man diesen vor erzählerisch spannende Probleme stellt. So schwanken Elrics Fähigkeiten eher dramaturgisch als logisch nachvollziehbar von Erzählung zu Erzählung, dabei sind seine übermächtigen Zauberfähigkeiten fast problematischer als seine Schwächen, denn während für letztere mit seiner körperlichen Abhängigkeit von Sturmbringer (im Original Stormbringer) eine immer wieder einsetzbare Erklärung vorhanden ist, bleibt der einmalige Einsatz mancher Fähigkeiten unerklärt.

Auch das Frauenbild ist eines, das zutiefst den historischen Umständen verpflichtet ist, denn in seinen Frauenbeziehungen erinnert Elric mehr an James T. Kirk als an eine tragische Heldenfigur, liegen ihm doch die wenigen Damen, die in den Geschichten eine Rolle spielen, stets zu Füßen. Ebenso verfällt ihm Zarozinia nach nur acht Seiten so sehr, dass sie Elric ehelichen will – nach einer Dialogszene und einer Liebesnacht …
Aber nicht nur die Frauen, auch die übrigen Figuren werden zumeist eher pragmatisch, das allerdings gekonnt, charakterisiert. Mondmatt etwa bleibt stets das willkommene Gegengewicht zum grüblerischen, selbstmitleidbeladenen Prinzen von Melniboné und bringt etwas Humor in die eher bedrückenden Geschichten.

Was Elric zu einem Klassiker der Fantasyliteratur gemacht hat, funktioniert allerdings auch heute noch, und das ist die Figur des Elric selbst. Denn ihn zeichnen an sich weder seine Kampf- und Zauberfertigkeiten noch seine Frauengeschichten besonders aus, sondern sein Außenseiterdasein und sein Potenzial zum Antipathieträger. Körperlich schwach ist er abhängig von seinem schwarzen Runenschwert Sturmbringer, das ihm jedoch nicht nur Kampf- und Zauberkraft verleiht, sondern auch (bösartig) in seine Geschicke eingreift. Diese ambivalente Beziehung spielt in jeder der enthaltenen Erzählungen eine prominente Rolle und wird gelungen in Stormbringer beendet. Das Hadern mit seinem eigenen Schicksal und der (Un-)Ordnung der Welt, sein Hang zum Rachedurst sowie zur Theatralik (auch in Sachen Selbstmitleid) machen ihn zu einer spannend gebrochenen Heldenfigur. Gleichzeitig weist er auch schon beinahe liebenswert banale Schwächen (Höhenangst) und Schrulligkeiten auf.
Auch der Weltenbau ist voller interessanter Aspekte und atmosphärisch-archaischer Szenen und Schauplätze. Gerade in Stormbringer entfaltet sich das Potential der Figur Elric und seiner Welt, das in den Erzählungen nicht immer ganz zum Vorschein kam, voll. Ein größerer Handlungsrahmen, mehr Figurenzeichnung und ein gelungenes Finale entschädigen für so manche Schwäche auf den vorangegangenen Seiten.

Elrics Abenteuer bieten also keinen gänzlich ungetrübten Genuss, die genrehistorische Bedeutung dieser Heldenfigur wird aber dort, wo ihr etwas mehr Raum neben actionorientierten Abenteuern zugestanden wird, offenbar und kann euch heute noch ihre Wirkung entfalten.

Cover von Die Erzählungen und Märchen von Oscar WildeWie die Titelseite so treffend verrät, sind in diesem Buch Märchen und Erzählungen versammelt, die Oscar Wilde geschrieben hat. Außerdem beinhaltet der Band noch sechs Gedichte in Prosa. Die Titel lauten: Der junge König, Der Geburtstag der Infantin, Der Fischer und seine Seele, Das Sternenkind, Der Glückliche Prinz, Die Nachtigall und die Rose. Der eigensüchtige Riese, Der ergebene Freund, Die bedeutende Rakete, Das Gespenst von Canterville, Die Sphinx ohne Rätsel, Der Modellmillionär, Der Lehrer der Weisheit, Das Haus des Gerichts, Der Künstler, Der Mittler, Der Meister, Der Schüler.

Hoch über der Stadt stand auf einer mächtigen Säule die Statue des Glücklichen Prinzen. Sie war über und über mit dünnen Goldblättchen bedeckt, statt der Augen hatte sie zwei glänzende Saphire, und ein großer roter Rubin leuchtete auf seiner Schwertscheide.
Der glückliche Prinz

Es sind traurige Märchen, die uns Oscar Wilde hier erzählt. Die meisten Menschen, die dem Leser begegnen, sind so hartherzig, daß es einen frösteln läßt. Die Kälte der zwischenmenschlichen Beziehungen in den Geschichten überträgt sich auf den Leser. Natürlich gibt es auch warmherzige Charaktere, die zu Mitgefühl fähig sind, aber diese werden auf Erden nur selten belohnt. Oft gehen sie an ihrer Umwelt zugrunde und erst nach ihrem Tod erfahren sie durch ein göttliches Zeichen Gerechtigkeit.
In Der Glückliche Prinz sind eine Statue und eine Schwalbe mitleidvoller und barmherziger als die Einwohner der Stadt.
In Die Nachtigall und die Rose opfert sich eine Nachtigall für die Liebe.
Der Geburtstag der Infantin erzählt von der Kälte und Gefühllosigkeit am spanischen Hof.
Im Märchen Der junge König hat außer der Titelfigur niemand Mitleid mit den im Elend lebenden Arbeitern, noch nicht einmal der Bischof.
Die Märchen stimmen den Leser melancholisch, jedoch ohne ihn zu deprimieren, denn Oscar Wilde verteilt auch im traurigsten Märchen noch ironische Seitenhiebe auf die gute Gesellschaft, selbstgerechte und von sich eingenommene Menschen, Dünkelhaftigkeit und besserwisserische Kritiker (was den Rezensenten besonders amüsiert hat). Aus manchen Sätzen Oscar Wildes spricht kaum verhüllte Selbstironie, auch diese Stellen gehören zu denen, die man mit Vergnügen liest.
Ist der Tenor der Märchen trotz mancher humorvoller Einschübe überwiegend traurig, so ist es in der berühmten Geschichte Das Gespenst von Canterville umgekehrt. Zwar hat diese Erzählung ein bewegendes Ende, aber bis dahin amüsiert sich der Leser königlich über das englische Gespenst, das unter den nüchternen, pragmatischen und respektlosen Amerikanern so sehr leidet, daß es beschließt, nicht öfter zu spuken als es seine heilige Pflicht ist.
Der Ton der Erzählungen und der Prosa-Gedichte ist naturgemäß nüchterner als der, der in sehr poetischer und ausschmückender Sprache verfaßten Märchen. Trotzdem klingen die Märchen niemals kitschig oder schwülstig. Allerdings scheint die Übersetzung nicht ganz treffsicher zu sein. Über einen jungen Mann schreibt Wilde angeblich: Er war alle Monate an die Börse gegangen; aber was sollte ein Schmetterling unter Stieren und Bären. Das fragt sich der Rezensent auch, verkörpern doch Bulle und Bär das Auf und Ab an der Börse.
Dafür sind die Illustrationen passend, die von dem berühmten Jugendstilmaler Heinrich Vogeler stammen.

Etwas endet, etwas beginnt von Andrzej SapkowskiEtwas endet, etwas beginnt ist der dritte bei dtv erschienene Kurzgeschichtenband von Andrzej Sapkowski, in dem auch zwei Erzählungen mit Bezug zum Hexer Geralt enthalten sind. Die Geschichten sind allesamt phantastisch, spielen aber in sehr unterschiedlichen Welten.

– „Aber dass der Sommer zu Ende geht, macht mich traurig. Ich mag keine Enden. Das Ende ist der Schluss der Geschichte. Mir aber gefallen an der Geschichte die Episoden.“ –
Tandaradei!

Der Kurzgeschichtenband enthält acht Erzählungen, die jeweils von einer Anmerkung des Autors zu Hintergrund und Entstehungsgeschichte eingeleitet werden. Diese einführenden Kommentare sind wirklich erhellend und zum Teil amüsant zu lesen.

Die in diesem Buch gesammelten Geschichten leiden etwas darunter, dass es keine großen Zusammenhänge oder Gemeinsamkeiten gibt, die als Verbindung dienen könnten, so wie das in den Geralt-Kurzgeschichten der Fall ist. Man merkt deutlich, dass die Geschichten unter verschiedenen Voraussetzungen und zu unterschiedlichen Zeiten in Sapkowskis Laufbahn entstanden sind. Die als Auftragsarbeiten entstandenen Erzählungen kommen im Schnitt etwas weniger einfallsreich daher.

Für nahezu alle Erzählungen benötigt man spezielles Hintergrundwissen oder muss das verarbeitete Original kennen, um sich komplett an der Kurzgeschichte erfreuen und die Anspielungen schätzen zu können. Dies ist zum Teil auch in den anderen Werken des Autors der Fall, in dieser Sammlung jedoch besonders auffällig. Sapkowski verarbeitet beispielsweise Alice im Wunderland, Tristan und Isolde und Personen aus dem Geralt-Zyklus … Freunde der Phantastik und der mittelalterlichen Literatur sind hier sehr im Vorteil. Wer die Anspielungen versteht, muss sicher einige Male öfter schmunzeln.

Zum Glück gibt es aber auch sonst genug Anlass zum Schmunzeln. In fast jeder Geschichte herrscht der typische Schreibstil des Autors – intelligent-humorvoll und mit kleinen satirischen Seitenhieben. Auch die handelnden Personen werden wie gewohnt lebendig und glaubwürdig dargestellt.

Meine hohen Erwartungen wurden beim Lesen nur teilweise erfüllt. Ich bin bekennender Sapkowski-Fan, und seine zwei Geralt-Kurzgeschichtenbände hatten mich besonders überzeugt. Die Zusammenstellung in diesem Buch fand ich aufgrund der fehlenden Gemeinsamkeiten jedoch nicht so gelungen, und es waren auch mehrere Geschichten dabei, die mir nicht gefallen haben – Im Bombentrichter war sehr langatmig, Die Musikanten unnötig verwirrend. Auch die beiden Geschichten mit Bezug zu Geralt sind für Fans kein Muss. Insgesamt ist die Sammlung von Kurzgeschichten noch ein gutes Buch, aber der Lesegenuss bei den einzelnen Erzählungen schwankt ziemlich stark.

Das Flüstern zwischen den Zweigen von Markolf HoffmannDie acht Kurzgeschichten dieser Sammlung führen nicht selten in den Wald, immer in eine ferne Welt und Zeit, und ihren Heldinnen und Helden steht eine Begegnung mit dem Fremden und Unbehaglichen bevor: mit Dämonen, Elfen, Druiden und nicht zuletzt menschlichen Abgründen.

-Die Jagd liegt meiner Familie im Blut. Mein Urgroßvater, so steht es in den Chroniken, zog mit dem Speer durch die Wälder und erlegte Bären und Wölfe.-
Meine Jagd

Fantasy-Kurzgeschichten finden in den großen Verlagen so gut wie gar nicht statt und haben außerdem mit einer Menge Vorurteile zu kämpfen, die ihnen jegliche Wirkmacht absprechen, wenn sie sich erzählerisch nicht in epischer Breite entfalten können. Die Kurzgeschichten-Sammlung Das Flüstern zwischen den Zweigen ist dagegen nicht nur ein starkes Argument, sondern fährt auch sämtliche Tricks und Kniffe auf, um die Probleme, die bei klassischer Fantasy in kurzer Form vielleicht entstehen könnten, gar nicht erst aufkommen zu lassen.
An erster Stelle steht dabei ein sein Handwerk spürbar beherrschender Erzähler – Markolf Hoffmann, einer der wenigen deutschen Fantasy-Autoren, die man gut im Auge behalten sollte, präsentiert nicht nur dramaturgisch hervorragend konstruierte Geschichten, in denen kein Wort zu viel steht, sondern findet sich auch mühelos in die formal und stilistisch unterschiedlichen Herangehensweisen ein, am häufigsten in verschiedene Ich-Erzähler. Die Sprache ist dabei insgesamt ein wenig zurückgenommener als in Hoffmanns Zyklus Das Zeitalter der Wandlung, dafür gibt es jedoch großartige Sätze, von denen man bisweilen einen nach dem anderen als funkelnd-schönes Zitat markieren möchte.

Der thematische Schwerpunkt der Sammlung liegt auf dem Wald, und auch wenn sie hin und wieder von dort abschweift wie in den alles andere als romantisierten Räubermemoiren Am Strand, kreisen die Geschichten meistens doch um den Konflikt zwischen Natur und Kultur, die Ablösung von Altem, Lebensrhythmen und das Zurückdrängen des Ursprünglichen (das sich aber häufig ohne moralische Einordnung einfach als fremder erweist, nicht unbedingt als besser).
Damit stellt Hoffmann ein mindestens seit Tolkien bewährtes Fantasy-Narrativ auf den Kopf, das sogenannte “Thinning”, bei dem die Magie und das ursprüngliche Wesen der Welt schwinden und nur eine verminderte, profanere Realität zurückbleibt. Und dabei bleibt es nicht, denn Das Flüstern zwischen den Zweigen bedient sich etlicher vertrauter Motive und Strukturen, die in der düsteren, hoffnungslosen Welt, die das gemeinsame Setting der meisten enthaltenen Geschichten bildet, uminterpretiert werden.
Elfen, Faune, Feen, Dryaden und andere Waldbewohner stehen für die düstere, verrottende Seite des Waldes; harmlose Ausgangslagen, die jedem Rollenspieler wohlbekannt sein dürften, wie etwa die Schatzjagd, die in Die Kerker von Abîme führt, verkehren sich rasch in etwas Zwanghaftes und Ungewolltes. Die unvorhersehbaren Folgen des eigenen Handelns führen immer wieder in die Katastrophe, bei wohlmeinenden Aktionen wie in der hervorragenden titelgebenden Geschichte ebenso wie bei pragmatisch-egoistischen Ansätzen wie in der ebenfalls grandiosen Eröffnungserzählung Meine Jagd, was auch vordergründig moralisch überlegene gute Absichten auf bitterböse Weise entlarvt.

Positive Enden wird man hier eher nicht finden, Schweigen und Weitermachen ist vielleicht das Beste, was man erwarten kann – genauso wenig, wie “echte” Helden auftauchen, denn sogar diejenigen, die es in den Augen der Leser und Leserinnen vielleicht sein könnten, wie der naive, aber gutherzige Ludger, der in Feenholz eine richtige Entscheidung treffen möchte, werden letztlich nicht unbedingt belohnt.
Das finstere, von neu interpretierten alten Bekannten bewohnte Setting, das ein wenig an die Geralt-Geschichten von Andrzej Sapkowski erinnert, verweist auf eine unbekannte Vorzeit, in der der Mensch den Wald schon ein Stück weit verdrängt hat, aber auch auf Ruinen zurückbleibt – Das Flüstern zwischen den Zweigen ist also alles andere als Wohlfühl-Fantasy. Da Schaudern und Spannung stets gut Hand in Hand gehen, sollte das kein Hinderungsgrund sein, in die abwechslungsreichen Waldwelten Markolf Hoffmanns einzutauchen.

In seinem Vorwort zur Sammlung liefert Jakob Schmidt bereits einige analytische Ansätze, um sie dann gleich wieder abzuwehren, deshalb soll es nun auch bei einer letzten Beobachtung bleiben: Mit Fabelwesen, RPG-Zutaten und Motiven aus der Fantasy-Tradition, die aber stets weiterentwickelt und verändert werden, fügt Markolf Hoffmann in Das Flüstern zwischen den Zweigen dem (allzu?) Vertrauten wieder das Unbehagliche hinzu und erzählt Geschichten mit den äußeren Kennzeichen der klassischen Fantasy im Modus der Phantastik, denn der Schwerpunkt liegt auf dem Fremdheitsgefühl und dem Ausgesetztsein. Das ist ein effektiver Kniff, um der Fantasy Kürze angedeihen zu lassen, vor allem bei einem talentierten Erzähler wie Markolf Hoffmann.

Der Geist des Speers von Alan Dean FosterIn der Nähe eines kleinen Küstendorfes werden die Leichen von hellhäutigen Fremden an den Strand gespült. Einer der Männer lebt noch und richtet seinen letzten Wunsch an den Dorfbewohner Etjole Ehomba: Eine Dame muss gerettet werden, eine Seherin, die von einem finsteren Zauberer entführt wurde. Etjole, der mit seiner Frau und seinen Kindern zufrieden als Hirte lebt, hat zwar kein großes Interesse an edlen Damen und abenteuerlichen Questen, doch für ihn ist es Ehrensache, den letzten Wunsch eines Sterbenden zu respektieren, und daher zieht er aus ins Ungewisse.

– Es geschah am Morgen nach dem sinnlichen zweiten Frühlingsmond von Telengarra, dem Vorboten des Frühlingsregens.-
I

Etjole Ehomba, der Hirte vom Volk der Naumkib, der ohne irgendein Eigeninteresse (sei es nun Gier, Abenteuerlust oder eine andere Art von Suche) nur aufgrund der letzten Worte eines Fremden Frau und Kinder zurücklässt und um die halbe Welt reist, um eine Seherin zu befreien, die ihm nichts bedeutet, hat sich einen ganz besonderen Platz in der Riege der unfreiwilligen Helden verdient. Auch im Angesicht der größten Gefahren und bezauberndsten Wunder der überbordend phantastischen Welt, die Alan Dean Foster in seiner Katechisten-Trilogie entwirft, bleibt er stets die Ruhe selbst (was nicht heißt, dass ihn die Umstände unbeeindruckt lassen, aber Etjole ist eher ein Mann stiller Freude) und zieht im richtigen Augenblick den richtigen Gegenstand aus seinem unerschöpflichen Repertoire an eigentlich ganz gewöhnlichen Reiseutensilien. Ist es nicht vernünftig, ein Säckchen Erde aus der Heimat mitzunehmen, um ihren Duft nicht zu vergessen? Oder den primitiven Jagdspeer, dessen Klinge aus dem Zahn eines ausgestorbenen Tieres besteht?
Etjole beharrt darauf, nicht mehr zu sein als ein einfacher Hirte, und schon gar kein Magier, auch wenn es der Leserschaft immer schwerer fällt, das zu glauben, genauso wie seinem späteren Reisegefährten, dem Schwertkämpfer Simna ibn Sind, der in allem Etjoles vollkommener Gegenpart ist – laut, geschwätzig, prahlerisch und immer zuallererst im eigenen Interesse (mehr Frauen, mehr Schätze, mehr Ruhm) unterwegs. Deus ex machina? Etjole hat sie zu Dutzenden in der Tasche.

Damit wird nicht nur klar, dass Leser und Leserinnen, die mit solchen Kniffen ein grundsätzliches Problem haben, mit Der Geist des Speers (Carnivores of Light and Darkness) wohl nicht glücklich werden, sondern vor allem, dass ein verwickelter Plot, bei dem man sich die Nägel abkaut, nicht das ist, was den Roman ausmacht. Er lebt vielmehr von seiner hochmagischen, prallbunten Welt, in der man mit Tieren sprechen kann, Kaninchen mit Riesenwuchs und Mauern mit Beinen auftreten und das Land Naturphänomene mit eigenem Bewusstsein hervorbringt. Das vage an Afrika angelehnte Setting ist erfreulich frei von problematischen Exotismen und bringt vielmehr durch überschäumenden Ideenreichtum das Phantastenherz dazu, schneller zu schlagen. Zwischen den Buchdeckeln von Der Geist des Speers macht man so viele umwerfende Entdeckungen, dass man sich angesichts der aktuellen Zurückgenommenheit (sprich: des Realismus) der epischen Fantasy nach Autoren und Autorinnen wie Alan Dean Foster sehnt, die Bizarres und Wunderbares wagen.
Die einfache Erzählstruktur kommt diesen Stärken entgegen: Der Geist des Speers ist eine episodenhafte Abenteuerreise, die sich über viele Hindernisse hinweg langsam auf ein fernes Ziel zubewegt, und jedes Kapitel enthält ein neues Abenteuer, bei denen nicht selten bekannte Märchen- und Sagenmotive anklingen. Alan Dean Foster scheut dabei auch nicht vor verspielten Experimenten zurück – ein Kapitel wird etwa komplett aus der Sicht eines Baumes erzählt und kann durchaus als skurriler Höhenflug des Genres gewertet werden.

Doch bei aller Schrulligkeit kippt der Roman eigentlich nie ins Alberne. Wie bei jedem guten Märchen steht hinter jedem Abenteuer auch eine Erkenntnis, und wenn Etjole vielleicht auch kein Magier ist, so ist er doch wenigstens ein Philosoph, denn obwohl er dem Muster des simplen Helden folgt, der durch sein unschuldiges, reines und einfaches Denken alle Ziele erreicht, stellt er immer die richtigen Fragen und versucht auch die absurdesten Probleme erst einmal auszudiskutieren.
Damit man bei so viel Gelassenheit und Einsicht nicht einschläft, müssen aber natürlich dennoch immer wieder die Schwerter gezogen werden, und Etjole kann sich in herrlichen Gesprächen an den Gefährten reiben, die er unterwegs aufsammelt – neben dem egoistischen Simna rettet er auch die große Katze Einlöward (im Original Ahlitah – und das ist nicht der einzige Eigenname, der sich beim Übersetzen ein wenig sperrt), die fortan etwas widerwillig, aber doch aus freien Stücken eine Lebensschuld bei Etjole abträgt.

Von Der Geist des Speers muss man sich in erster Linie überraschen lassen und sich darauf einlassen, dass der Roman von der ungewöhnlichen Hauptfigur und den Reiseabenteuern getragen wird – hier ist eindeutig der Weg das Ziel, und etwas anderes sollte man auch nicht erwarten, wenn man mit Genuss von Ameisen, die Geschenke bringen, engagierten Affenanführern und aufgeblasenen Winden lesen will – und einer Fantasy-Welt, in der man es mit Freundlichkeit und Beharrlichkeit weit bringen kann.

The Grimoire of the Lamb von Kevin HearneAls ein ägyptischer Hobbykoch den weiten Weg nach Arizona unternimmt, nur um ein uraltes Rezeptbuch aus Atticus Sammlung zu erwerben, ahnt der Druide bereits, dass hier etwas im Argen liegt, und lehnt den Verkauf ab. Sein Besucher erweist sich prompt auch als Hobbydieb und klaut Atticus das Buch vor der Nase weg. Grund genug, die Verfolgung aufzunehmen und eine Reise ins Land der Pharaonen zu anzutreten.

– People today think ancient Egypt was ineffably cool. I blame this misconception on hieroglyphics and (to a lesser extent) on the Bangles. –

Grimoire of the Lamb (IDC #0.4) ist ein Buch über ein Buch! Jawohl, liebe Leseratten, eine doppelte Versuchung! Einziger Wermutstropfen ist, dass diese neuerliche Kurzgeschichte nur als eBook erhältlich ist und nicht auf raschelndem Papier erscheint. Das tut dem genussvollen Inhalt aber keinen Abbruch, also auf in das nächste Abenteuer von Druide Atticus!

Wir sind zurück in Tempe, Arizona (pre-Hounded, dem ersten Band der Iron Druid Chronicles) und gleich vorweg: es ist nicht empfehlenswert, schon hier mit der Buchreihe einzusteigen, auch wenn es die chronologisch korrekte Abfolge wäre. Wie schon bei Hearnes anderen Kurzgeschichten fehlt es, ohne die Buchreihe nicht wenigstens teilweise schon zu kennen, an Hintergrundwissen beim Leser. Der Autor schreibt hier ganz klar für die Kenner seiner Bücher, nicht für Neueinsteiger.
Kenner der Iron Druid Chronicles werden schnell wieder in die neue Handlung hineingezogen. Das »Grimoire of the Lamb« enthält angeblich bloß ein paar harmlose Rezepte zur Zubereitung von Lamm, und als Atticus es seinerzeit selbst aus der Bibliothek in Alexandria stahl, geschah das doch nur aus Versehen. Komisch bloß, dass ca. zweitausend Jahre nach Atticus’ unrechtmäßigem Erwerb plötzlich ein wenig freundlicher Anhänger des ägyptischen Krokodilgottes derart großes Interesse dafür zeigt und sich das Buch zurück klaut. Schnell ist daher klar, dass es sich bei dem angeblichen Kochbuch in Wahrheit um eine der gefährlichsten Sammlungen blutiger Rituale handelt und Atticus die Verfolgung nach Ägypten aufnehmen muss.
Wie gewohnt geizt Autor Kevin Hearne nicht mit humorvollen Ideen, popkulturellen Zitaten, Anspielungen auf Film und Fernsehen und taucht in den Mythos der Pharaonen und alten ägyptischen Götter ein. Man fühlt sich ein wenig wie im Jäger des verlorenen Schatzes zu Gast, kreuzt die Klingen mit der Mumie, entdeckt Sarkophage, schleicht durch unterirdische Opferkammern und findet blutige Wahrheiten. Außerdem erfahren wir, wie sich eine Horde stalkender Katzen auf lautlosen Pfoten auf die Gesundheit auswirkt. Bücher stehlen zahlt sich ganz offensichtlich nicht aus, vor allem nicht, wenn die einstige Besitzerin Katzengöttin Bast ist und nur zu froh darüber scheint, den diebischen Druiden wieder auf ihrem Jagdgrund zu wissen.
In Grimoire of the Lamb sind eine Menge hin und her gestohlener Bücher im Umlauf, und das sorgt für die ein oder andere zusätzliche Ironie.

Fans der Buchreihe um Atticus O´Sullivan werden Grimoire of the Lamb wieder in vollen Zügen genießen können, obwohl einem die später eingeführten Figuren doch deutlich fehlen. Außerdem scheint Hearne in seinen Kurzgeschichten etwas mehr Freiheiten zu haben als bei den Romanen, vielleicht ist es aber auch nur Zufall, dass Grimoire of the Lamb blutiger, böser und insgesamt weniger »entschärft« wirkt. Wartet man gerade ungeduldig auf die Veröffentlichung des nächsten Bandes, so kommt einem die Kurzgeschichte mehr als recht und sollte nicht auf dem Leseplan ausgespart bleiben.

The Guild of Xenolinguists von Sheila FinchAls die Menschheit entdeckt, dass es Aliens gibt, ist eine der ersten Prioritäten, die Sprachbarriere zu überwinden. Dazu wird die Gilde der Xenolinguisten ins Leben gerufen – und im Laufe der Zeit gewinnt sie an Bedeutung für die Zivilisationen des Universums, denn es stellt sich heraus, dass der menschliche Stimmapparat besser als alle anderen dafür ausgestattet ist, die Lautäußerungen unterschiedlicher Spezies zu erlernen. Als ›Lingsters‹ sind die Gildenmitglieder begehrte und teure Experten, die nicht selten an vorderster Front eingesetzt werden und mit dem Verständnis der Sprache auch zwischen den Kulturen vermitteln sollen. Doch all das hat einen Preis …

-He was drowning in sound, so many years of alien tongues – nasal, guttural, sibilant. The cacophony of language washed over him till he slid beneath its surface. He pressed tired fingers to his skull.
»Tomas. More sojyk?«-
Babel Interface

Sprachwissenschaftler und Dolmetscher als Helden des Tages! Endlich ein Zukunftsentwurf, in dem Philologen und Übersetzer nicht kurzerhand durch einen Translator in der Hand oder einen Fisch im Ohr ersetzt werden!
Das, so lernen wir von der Autorin Sheila Finch, natürlich selbst eine Linguistin, ist ohnehin die unwahrscheinlichste aller Wendungen. Die Idee hinter den Xenolinguisten fußt auf der Sapir-Whorf-Hypothese, also verkürzt gesagt der Annahme, dass unterschiedliche Sprachen zu unterschiedlichen Denkstrukturen führen, dass die Sprache das Denken bestimmt. Für die Gilde, die es mit den absurdesten Aliens zu tun hat, bedeutet das, dass das Verständnis der Sprache nur möglich wird, wenn auch ein Verständnis für ein fremdes Sein in der Welt vorhanden ist, und diese Bewusstseinsveränderung erreichen die Lingster über Drogen.
Haben sie sich dann aber einmal auf die fremde Denke und Sprache eingelassen, greifen die strikten Gildenregeln, die diesem empathischen Ansatz geradezu entgegenstehen und die Integrität der Gilde wahren sollen: Nicht von Emotionen leiten lassen! Weder den Sender noch die Botschaft moralisch beurteilen! Der Linguist ist lediglich der Kanal, durch den die Botschaft fließt!

Solche Regeln funktionieren in der Theorie hervorragend – in der Praxis allerdings … werden die besten Geschichten aus den Fällen, in denen diese Vorgaben an ihre Grenzen stoßen.
Und genau dort setzen auch die elf Geschichten an, die in The Guild of Xenolinguists versammelt sind. Der größte Teil davon ist zwischen 1988 und 2007 bereits in anderer Form erschienen – die Lingsters begleiten Sheila Finch schon eine ganze Weile. Für diese Sammlung wurden die Geschichten aus dem stetig wachsenden Lingster-Universum chronologisch angeordnet, nicht nach ihrem Erscheinungsdatum, so dass sich vor allem aus den ersten Kurzgeschichten eine grobe Gilden-Chronologie ergibt, ähnlich wie z.B. bei Clifford D. Simaks City.

Die Geschichten sind häufig Varianten des Human-Alien-Encounter-Themas, die moralischen Implikationen sorgen aber dafür, dass diesem alten Hut nichts Unschuldiges mehr innewohnt, auch wenn viele bewährte Rezepte anklingen. Trotz der Abgeklärtheit der meisten Protagonisten schimmert hin und wieder Entdeckerfreude durch, allerdings wird ein Lingster nur selten aus reinem Forscherdrang gerufen: In Communion of Minds ist es etwa eine wohlbekannte Notsituation (Gemetzel auf einer Forschungsstation mit einem Überlebenden), deren grusliger Ansatz überraschend aufgelöst wird. In No Brighter Glory, einer der besten Geschichten der Sammlung, ein kleines Problem, das einem wissenschaftlichen Experiment im Wege steht. Wie etliche andere spielt sie auf einer Wasserwelt, wodurch ein weiteres wohlbekanntes SF-Element ins Spiel kommt: Delfine und Wale als Sprachvermittler und in diesem Fall auch Lehrer für die Linguisten.

Sheila Finch benutzt in The Guild of Xenolinguists verschiedene Erzählformen und Perspektiven – nicht immer ist es ein Lingster, der das Geschehen vermittelt, es gibt auch eine biographisch anmutende Erzählung und eine Mission auf einem fremden Planeten, die an Shakespeares Der Sturm angelehnt ist und einen bezaubernden Protagonisten bietet, der einen neuen Blick auf die Gilde ermöglichst. So stehen auch längst nicht in allen Geschichten linguistische Theorie und Praxis im Mittelpunkt, manchmal ist die Gilde nur der Rahmen, in dem die Handlung stattfinden kann. Doch mit ihren spezifischen Talenten, ihrer exponierten Rolle und der Tatsache, dass Sprache und Kommunikation bei Konflikten jeder Art eine zentrale Rolle spielen, finden sich die Lingsters häufig an Orten wieder, wo die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit besteht, etwas Großes zu vollbringen.
Nur selten sind es junge, enthusiastische Gildenmitglieder, die vor dieser Entscheidung stehen, sondern eher müde, enttäuschte, desillusionierte Veteranen, für die sich die Verheißungen, die sie einst mit ihrer Berufung und der Gilde verbanden, nicht erfüllt haben. Sie möchten aufhören, hadern mit den Gildenregeln, bezahlen für ihr Talent häufig mit Drogenabhängigkeit, weil die Gilde die Last, die ihr heilige Neutralität zu vertreten, dem Einzelnen aufbürdet. Und von so manch einem fordert ihre Arbeit am Ende wirklich alles.

Auch wenn man fast schon geneigt ist, den Translator dann doch für die humanere Variante zu halten, lassen der Variantenreichtum, mit dem Finch das Thema darstellt, und die vielen Aspekte der Gilde das Gefühl eines wimmelnden, merkwürdigen und grenzenlosen Universums zurück, in dem die Lingster die Chance haben, einen Blick auf Wunderbares zu erhaschen.
Angst haben, dass ein von einer Linguistin geschriebenes Buch mit Linguistenhelden zu verkopft oder gar von Fachtermini oder komplizierten Zusammenhängen überflutet wird, braucht man übrigens nicht: Sprachlich ist es eher einfach gehalten, und sprachwissenschaftliche Theorien stehen abgesehen vielleicht von der Eröffnungsgeschichte First Was the Word eher als Prämisse im Raum, als thematisiert zu werden.
Nicht nur für Spezialisten also, auch wenn es vermutlich ein gewisses Interesse an Geschichten abseits des Mainstreams braucht, um diese feine Sammlung ins Regal aufzunehmen.

Cover von Hokus Pokus Hexenschuss von Mike AshleyDiese Anthologie beinhaltet 32 humorvolle Geschichten verschiedener Autoren, die auf völlig unterschiedliche Weise an das Thema Fantasy herangehen.
In den Geschichten tauchen Hänsel und Gretel ebenso auf wie Helden, die diverse Schwierigkeiten mit ihren Schwertern haben oder Außerirdische, die der Erde einen Besuch abstatten.

-Voller Stolz präsentiere ich hiermit einen weiteren Band mit humorvollen Fantasy-Geschichten. Oh, Mist, nicht noch so eine blöde Einleitung! Wie bitte? Wer zum Teufel liest schon Einleitungen? Was soll das heißen? Die Leute sind an deinem Geschwafel gar nicht interessiert. Sie wollen gleich mit dem Buch anfangen!
Noch so eine blöde Einleitung

Mike Ashley hat in dieser Sammlung 32 Geschichten von hohem Niveau zusammengetragen, die von erstklassigen Autoren verfaßt wurden. Die Autorenangabe auf dem Cover ist willkürlich, wahrscheinlich hat der Verlag die beiden Autoren ausgewählt (John Cleese und Tom Holt), von denen man annahm, daß sie den meisten deutschen Lesern bekannt sind. Aber auch die Geschichten aller anderen Verfasser lohnen sich zu lesen. Ashleys Verdienst ist es, daß er auch zu Unrecht vergessenen Schriftstellern und ihren Geschichten einen Platz in dieser Anthologie einräumt. Die älteste Story ist 1907 zum ersten Mal erschienen, die meisten sind aber neueren Datums und dreizehn Geschichten wurden extra für dieses Buch verfaßt.
Da in der englischsprachigen Welt der Fantasy-Begriff nicht so eng ausgelegt wird, gibt es hier viele Geschichten aus den Bereichen Märchen, Science Fiction, Phantastik und auch abgedrehte Krimi-Parodien. Diese Bandbreite macht es so schwierig, etwas über das Buch als Ganzes zu sagen. Eigentlich müßte man jede Geschichte einzeln besprechen. Allen gemeinsam ist außer der hohen Qualität, die sich im Stil, in der Sprache, und dem Einfallsreichtum der Autoren äußert, nur die Skurrilität.
Hier ein paar Häppchen, um Appetit auf mehr zu machen: In “Der Auftritt der Charlie Chaplins” löscht ein Außerirdischer auf ebenso heimtückische wie originelle Weise halb Nebraska aus. Todesfälle häufen sich auch in “Der bleiche Assassine”. Wer diese Story liest, wird nur noch zu Hause essen. “Ferdie” erzählt die anrührende und traurige (hähä) Geschichte eines kleinen Alraunen, der die Gesellschaft von Menschen sucht. In “Der Besuch des Handlungsreisenden” erfährt der Leser, daß Engel auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren. “Ein Barbar auf dem Broadway” wirft sich die Frau, die er liebt einfach wie ein Sack Mehl über die Schulter, was diese nicht so recht goutiert. Und “Einer geht noch” beschreibt, welch schreckliche Folgen es haben kann, beliebt zu sein.

Zur Übersetzung: Da mir die englische Fassung nicht vorliegt, kann ich nichts darüber sagen wie originalgetreu die Übersetzungen sind. Man merkt vielen Geschichten aber an, daß die Übersetzer Spaß an ihrer Arbeit hatten. Eine besondere Erwähnung verdient Barbara Röhl, die es doch tatsächlich geschafft hat, in einer der von ihr übersetzten Geschichten eine Hommage an Herbert Görgens (Ingolf Lücks alter ego in der Wochenshow) unterzubringen und die damit für einen Extra-Lacher gesorgt hat.

The Hounds of Ash von Greg KeyesFool Wolf, ein von seinem Stamm ausgestoßener verhinderter Schamane, der sich nun als Krieger, aber vor allem als Betrüger durchschlägt, hat ein Problem mit seiner Totemgöttin: Wann immer er die unberechenbare Chugaachik anruft, übernimmt die wilde Göttin seinen Körper und richtet gegen seinen Willen verheerende Blutbäder und Übleres an. Obwohl Chugaachik ihn unüberwindbar macht, ist Fool Wolf darauf aus, sie loszuwerden, doch das gestaltet sich schwierig und führt ihn von einem Abenteuer ins nächste, zu wunderschönen Frauen, bösen Zauberern, zu Riesen und Dämonen, wobei er nicht immer vermeiden kann, in brenzligen Situationen auf Chugaachiks Hilfe zurückzugreifen.

-Fool Wolf glared angrily at the ghost of his father.
“Quit telling Yellowhammer what to do”, he snapped, trying in vain to turn his horse’s head back the way it had pointed.-
Wakes the Narrow Forest

Einen Schamanen-Versager namens Fool Wolf, der sich, verfolgt vom Geist seines ehrgeizigen Vaters, mehr schlecht als recht durch die Welt schlägt, muß man sich natürlich unbedingt näher ansehen, sobald er am Lese-Horizont auftaucht. Doch es kommt ganz anders und nicht halb so vordergründig komisch, wie vielleicht erwartet: Fool Wolf ist eigentlich ein schlaues Kerlchen und könnte direkt einer Geschichte von Fritz Leiber entsprungen sein – der Möchtegern-Schamane von den Mang, einem halbnomadischen Reitervolk der Prärie, ist unterm Strich eher Dieb, Betrüger und charmanter Frauenheld, dem das Schicksal in Form seiner abgrundtief bösen Totemgöttin übel mitgespielt hat. Sie weiß sein Glück so effektiv zu verhindern, daß ihm nichts anderes übrig bleibt, als auszuziehen und zu versuchen, die unerwünschte Verbindung zu lösen, und dieser Zweck heiligt fast alle Mittel, denn Fool Wolf ist sich immer selbst der Nächste. Daß dieser Antiheld das Herz trotzdem am rechten Fleck hat, zeigt die Tatsache, daß er die beeindruckende Macht der Gottheit niemals wollte – er kennt ihren Preis zu gut.

Über diese und noch einige Hintergründe mehr wird man in der ersten Geschichte Wakes the Narrow Forest aufgeklärt, die gleichsam eine Einführung in Figuren und Situation ist und vor allem mit leisen Zwischentönen glänzt.
Außerdem lernt man hier auch die Prinzipien des ausgesprochen phantasievollen Settings kennen, eine Art alternatives präkolumbisches Amerika, in dem die Götterwelt mit ihren großen und kleinen Gottheiten und Dämonen gleich unter der Oberfläche lauert, und der Held durch seinen Sonderstatus eigentlich stets schon mit einem Fuß mitten in diesem (Alp-)Traum-Reich steht. Greg Keyes, um den es in letzter Zeit sehr still geworden ist (er ist momentan wohl ausschließlich im Bereich der Game-tie-ins tätig), hat sich mit diesem phantastischen Amerika ohne koloniale Einflüsse einem Lieblingsthema zugewandt, das er schon in seinem ersten Roman The Waterborn (dt. Aus Wasser geboren) behandelt hat, und man merkt dem prächtigen Entwurf an, daß der Autor mit Herz und Seele bei der Sache ist (und als Anthropologe auch weiß, was er tut).

Diese Kurzgeschichten-Sammlung entführt in weite, unbekannte Teile der Waterborn-Welt: Das Prärieland von Fool Wolfs Stamm lernt man dabei nur noch als ferne Erinnerung kennen, denn die Abenteuer führen ihn erst in den düsteren Norden, dann in den farbenprächtigen Süden seines Kontinents. Von einer Karl-May-Idylle könnten Fool Wolfs Jagdgründe nicht weiter entfernt sein – hin und wieder kommen Anklänge an meso-amerikanische Kulturen auf, aber Vieles ist auch völlig eigenständig, oder hat man schon einmal von indigenen Völkern gehört, die Wolkenkratzer bauen? Menschenleere Wälder stehen neben lebendigen Metropolen, deren Existenz sich in dieser magiedurchwirkten Welt nicht selten auf einem Handel mit einem der vielen Götter gründet, und damit auf tönernen Füßen steht, sobald Fool Wolf mit seiner nicht ganz unbedeutenden Göttin seine Aufwartung macht.

Die Geschichten selbst sind abenteuerliche, kleine Juwelen, vom Geist der Sword & Sorcery durchweht, in denen sich Fool Wolfs ganze trickreiche Brillanz offenbart, aber auch die Abgründe seines Totems deutlich werden, bis es in der dreiteiligen, fast schon als Novelle durchgehenden Finalgeschichte The Hounds of Ash dann richtig zur Sache geht, indem alle vorherigen Figuren und Ereignisse zu einem großen, beeindruckenden Mosaik zusammengebracht werden.
Neben vielen Überraschungen und Wendungen in jeder Geschichte sorgt vor allem der launige Humor für Abwechslung – auch in übelsten Lagen ist Fool Wolf nie um einen trockenen Spruch verlegen, und trotz seines bedrückenden Totems verliert er kaum je die Zuversicht und ist allzeit bereit für aberwitzige Rettungsversuche und unkonventionelle Lösungen. Ein Glanzstück, das den schmalen Grat zwischen Düsternis und Heiterkeit hervorragend meistert, ist The Fallen God, in dem Fool Wolf in einer Stadt mit einem grausamen Blutkult den edlen Helden Uzhdon trifft, den “Opal von Nah”, der mit seiner unumstößlichen Rechtschaffenheit zur Heldenkarikatur und zum leichten Opfer für den Trickster-Helden wird.

The Hounds of Ash und die restlichen Geschichten von Fool Wolf sind eine vergnügliche, kurzweilige Lektüre, nach deren Beendigung man sich eigentlich nur wünschen kann, Greg Keyes würde noch viele Male zu seinem unbekümmerten Antihelden zurückkehren, denn er weiß offenbar sehr wohl, wie man die Totemgötter der Pulp- und Abenteuer-Literatur beschwört.

Cover des Buches "Huguenins Frau" von Matthew Phipps ShielDas Buch enthält sechs phantastische Erzählungen von Matthew Phipps Shiel: Vaila; Huguenins Frau; Elendes Los eines gewissen Saul; Die Braut, Der bleiche Affe, Der Primas der Rose. Außerdem gibt es eine vom Autor geschriebene Einleitung und im Anhang eine von ihm verfaßte, kurze, Selbstbiographie mit dem Titel Was mich betrifft. Javier Marías, der diese Kurzgeschichtensammlung herausgibt, hat ein Vorwort geschrieben und im Anhang findet man die von ihm verliehenen Titel und Ämter des (halb) fiktiven Königreiches Redonda. Näheres zum Inhalt erfahrt ihr in der Buchbesprechung.

-Vor vielen Jahren stand ich als junger Student in Paris dem großen Corat nahe und wurde an seiner Seite Augenzeuge mehrerer jener Fälle von Geisteskrankheit, die er mit unvergleichlicher Meisterschaft analysierte .-
Vaila

Wahnsinn, Tod, Rache und die Unerbittlichkeit des Schicksals sind die beherrschenden Themen in Shiels Kurzgeschichten.
Vaila ist eine von hohen Felsen umgebene, nördlich von Großbritannien, inmitten gefährlicher Strudel gelegene, sturmumtoste Insel, und der Stammsitz derer von Harfager. Als seine Mutter im Sterben liegt, bitte Haco von Harfager seinen alten Studienfreund, den Ich-Erzähler der Geschichte, ihn zu besuchen.
Schon die Überfahrt erweckt in dem Freund den Eindruck, als führte unsere Fahrt ins Jenseits dieser Welt und was ihn auf Vaila erwartet, könnte schlimmer nicht sein. Harfagers Mutter ist tot und wartet im offenen Sarg auf ihre Beerdigung. Haco selbst ist vorzeitig gealtert und wirkt verwahrlost. Er leidet unter Halluzinationen und der fixen Idee, dass ein alter Fluch das Haus und das Leben der letzten Harfangers -seines und das seiner Schwester- bedroht. Ein grauenhaft entstelltes Faktotum kümmert sich um das Haus, und die Insel scheint sich auf unerklärliche Weise zu drehen.
Jede Zeile dieser Geschichte atmet Verfall und Bedrohung und die Szenerie ist unheimlich.  Dennoch geht Vaila dem Leser nicht wirklich unter die Haut. Allzu deutlich erinnert die Erzählung an Poes Untergang des Hauses Usher, allzu genau erfüllt sich die Erwartung des Lesers, die durch die Erwähnung von Wahnsinn, Tod und einem alten Fluch geschürt worden ist, und zu artifiziell ist das Gebilde, von dem die Bedrohung ausgeht – ein riesiges Stundenglas. Ein Stundenglas, auch wenn es in absehbarer Zeit seinen Dienst einzustellen droht, wirkt nicht so angsteinflößend, wie z.B. ein beständig unaufhaltsam näherrückendes Pendel wie in Poes Geschichte Die Grube und das Pendel, und schließlich darf der Leser eines von einem Ich-Erzähler verfaßten Berichtes immer darauf hoffen, daß die Geschichte wenigstens für einen der Protagonisten gut ausgeht. Dies alles trägt dazu bei, dass der Leser trotz der unheimlichen Atmosphäre eher in die Rolle eines stillen Beobachters gedrängt wird, als in die, eines unsichtbaren, mitleidenden und sich ängstigenden Beteiligten. Dennoch ist Vaila zweifellos die beste der hier versammelten Geschichten.
Die zweite Erzählung, Huguenins Frau, beginnt ähnlich wie die erste. Der Ich-Erzähler erhält den verzweifelten Brief eines alten Freundes, der allein mit zwei Dienern, die ihn beharrlich zu meiden scheinen, in einem riesigen Haus auf der griechischen Insel Delos lebt und sich nach menschlicher Nähe sehnt. Diesmal geht die Gefahr von einem schrecklichen Ungeheuer aus, das auf geheimnisvolle Weise mit Huguenins verstorbener Frau in Verbindung zu stehen scheint. Auch hier wieder findet man viel Poe, vermischt mit ein wenig griechischer Sagenwelt.
In Elendes Los eines gewissen Saul gibt es sogar zwei Ich-Erzähler. Der erste, in der Rahmenerzählung, gibt den Bericht des mittlerweile lang verstorbenen James Dowdy Saul wieder, den er in einer Manuskript-Truhe der Cowling-Bibliothek gefunden hat.
Der zweite Erzähler, Saul, erzählt um 1601 im Alter von 60 Jahren kurz, aber eindrucksvoll, von seinen Abenteuern auf See und zu Land. Er berichtet, wie er 1571 auf Hispaniola in die Hände der Spanischen Inquisition fällt, auf ein Schiff verfrachtet und während eines Sturms in einem Faß über Bord geworfen wird. Das Faß sinkt rasch mit seiner lebendigen Fracht. Saul macht alle Qualen eines Ertrinkenden durch und gelangt schließlich in eine mit Luft gefüllte Höhle, in der sich auch ein Süßwassersee befindet. Nahrung bieten ihm die Tiere und Früchte des Meeres.
Dies ist keine Horror-Geschichte im Stile Poes. Elendes Los eines gewissen Saul ist eine Abenteuergeschichte und wäre der Autor unbekannt, könnte man die Theorie verfechten, dies sei eine von Jules Verne verfaßte Version von Robinson Crusoe.
“Die Braut heißt Rachel Evans.”, teilt Walter Teeger dem Standesbeamten mit, als er sein Aufgebot bestellt. Dies ist die reine Wahrheit, der Beamte weiß allerdings nicht, daß es zwei Schwestern gibt, die beide nach ihrer Großmutter “Rachel” heißen.
Die eine, “Annie Rachel” wird “Annie” gerufen, die andere, “Mary Rachel”, “Rachel”. Walter liebt Annie, aber Rachel liebt Walter und zeigt ihm dies überdeutlich, obwohl zu dieser Zeit von Frauen Zurückhaltung im Ausdruck ihrer Gefühle erwartet wurde. Walter ist von Rachels so offensiv zur Schau getragener Leidenschaft berückt und gebannt und kann sich nicht entscheiden, welche von beiden er nun heiraten soll. Da entscheidet das Schicksal für ihn, – um dann seinen unvermeidlichen Lauf zu nehmen. Wieder finden sich eindeutige Anklänge an Poe.

Der bleiche Affe spukt angeblich im Hause Sir Philip Listers, in das eine Gouvernante kommt, um die zwölfjährige Esmé, Vollwaise und Nichte Sir Philips, zu unterrichten. Das Mädchen behauptet steif und fest, es habe den Geist eines riesigen Affen gesehen, der früher zusammen mit den anderen, noch lebenden Affen in einem Käfig nahe eines Wasserfalls lebte. Um die Spannung nicht zu verderben, soll hier nur so viel gesagt werden, daß Shiel sich ganz offensichtlich an einen berühmten Roman der Weltliteratur anlehnt.
In Der Primas der Rose hat der verheiratete E.P.Crooks ein Verhältnis mit der 25 Jahre alten Minna Smyth, deren Bruder Crichton er kennt. Crichton erzählt Crooks von einem exklusiven Geheimbund, der eine geheimnisvolle Wohnung in London unterhält, von der nur das Oberhaupt, der sogenannte Primas der Rose weiß, wo sie sich befindet. Crooks beschwatzt Crichton, ihm den geheimnisvollen Raum zu zeigen. Der stimmt nach langem Zögern zu, besteht aber darauf, Crooks die Augen zu verbinden, damit er den Weg nicht wiederfinden kann. Schließlich steht Crooks allein in dem ominösen Raum und nimmt die Binde von den Augen…
Was mich betrifft ist Shiels kurze, mit Selbstironie gespickte Lebensbeschreibung, in der er auch sehr warmherzig über seinen Vater spricht.
Die Auflistung der von Javier Marías verliehenen Titel und Ämter des Königreiches Redonda ist eher ein Insidergag zwischen Marías und den Genannten, von denen nur wenige so bekannt sind wie Pedro Almodovar, Antonia Susan Byatt, John Michael Coetzee und Francis Ford Coppola.
Redonda ist ein fiktives Königreich auf der gleichnamigen unbewohnten Antilleninsel. Shiel wurde im Jahr 1880 von seinem Vater zum ersten König dieser Insel gekrönt. Der vierte König ist nun Javier Marías, der dafür die Erinnerung an das Königreich, die Legende und die früheren Könige wachhalten muß und dafür die Rechte an Shiels Werk geerbt hat und so viele Ämter und Titel verleihen darf, wie er möchte. Sehr viel mehr sagt er über Redonda nicht, denn wie Javier Marías in seinem Vorwort Nur Luft und Rauch und Staub mitteilt, hat er das schon in seinen Romanen Alle Seelen und Schwarzer Rücken der Zeit getan und gedenkt nicht, sich zu wiederholen. Dieses “Fischen nach Lesern” für seine eigenen Werke hat Marías eigentlich nicht nötig und es ist für den Leser nur ärgerlich.
Fazit: Auch wenn die Erzählungen häufig an Poe und andere berühmte Schriftsteller erinnern, und das schreckliche Ende oft vorhersehbar ist, so sind die Geschichten doch höchst unterhaltsam und decken ein breites Spektrum der Phantastik, von der Horrorgeschichte (Vaila), über den Schauer”roman” bzw. die Prosaversion einer Ballade (Die Braut) bis hin zur Entdeckung fremder, außergewöhnlicher Welten (Elendes Los eines gewissen Saul), ab. Außerdem hat Shiel sich nicht nur von berühmten Autoren inspirieren lassen, sondern hat unzweifelhaft auch anderen als Vorbild gedient. Für Freunde der Phantastik sind Shiels Erzählungen ein Muss – lesenswert sind sie allemal.

The Legend of Sleepy Hollow von Washington Irving und Gris GrimlyIchabod Crane ist ein armer Schlucker von Dorflehrer, der sich ausgerechnet in die hübsche Tochter eines reichen Mannes verliebt. Während er mit seiner stillen und etwas unbedarften Art versucht, seiner Angebeteten höflich den Hof zu machen, hat er gegen die auftauchende Konkurrenz, einen grobschlächtigen Muskelprotz, keine Chance. Als er eines Nachts später als geplant von einem Kaffekränzchen mit älteren Damen aufbricht, wird er schließlich auch noch von der alten Legende des kopflosen Reiters heimgesucht.

– In the bosom of one of those spacious coves which indent the eastern shore of the Hudson lies a small market town, or rural port, which is known by the name of Tarry Town. –

The Legend of Sleepy Hollow gehört im englischsprachigen Raum wohl zu einer der Geschichten, die alle Kinder irgendwann als Gruselmärchen erzählt bekommen. Hierzulande dürfte den meisten wohl eher die Verfilmung von Tim Burton mit Johnny Depp als etwas schrulligem Ermittler bekannt sein.

Wenn man sich nun die Vorlage von Washington Irving ansieht, dann wird schnell klar, dass es sich hier um eine völlig andere Geschichte handelt und die Enttäuschung folgt bei manch einem Leser auf dem Fuße. Es gibt einen kopflosen Reiter und auch einige Namen stimmen überein, aber das war es dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Keine Hexen, keine böse Stiefmutter, keine Albträume von verstorbenen Eltern, keine okkulten oder magischen Symbole unter dem Bett, keine Autopsien und keine Liebesgeschichte.
The Legend of Sleepy Hollow ist leider alles andere als spannend oder gar unheimlich. Es ist die Erzählung über einen schlecht verdienenden Lehrer von schmächtiger Statur und unattraktivem Äußeren, der sich in eine schöne reiche Tochter verguckt und mit einem ebenso reichen starken Kerl  konkurrieren muss. Unnötig zu erwähnen, wer da wohl das Rennen macht, zumal die Rollenbilder der damaligen Zeit natürlich heute deutlich antiquiert wirken und andere Botschaften transportierten, als man es als moderner Leser gewohnt sein sollte. Der kopflose Reiter? Nur eine Geschichte in einer Geschichte, die Schreckphantasie eines ohnehin schon wunderlichen Mannes.

The Legend of Sleepy Hollow illustriert von Gris GrimlyAuch die herrliche Illustrationskunst von Gris Grimley, der sich gerne an solch alten Texten austobt, vermag die Wirkung der Geschichte daher leider nicht zu heben. Möglich ist natürlich, dass The Legend of Sleepy Hollow, wie viele Klasiker der Literatur, einfach nicht mit dem modernen Verständnis von Grusel und Horror mithalten kann. Im 19. Jhrd. sah das vielleicht völlig anders aus – schließlich galt da auch Dracula als höchst unheimliche Lektüre – während sie heute mehr aus rumsitzen und Tee trinken zu bestehen scheint und man von dem “Bösen” nicht wirklich viel bemerkt. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob Washington Irving überhaupt so stark auf handfesten Grusel aus war oder ob er nicht eher darauf abzielte, die schaurigen Geschichten, die im Zuge der Gothic Novel und der Romantik populär waren, zu ironisieren. Dies würde auch die irdisch-profane Deutung des “Spuks” in der Geschichte erklären. So oder so, Kinder, die noch nicht so abgeklärt sind wie Erwachsene, dürften die Geschichte um den kopflosen Reiter sicher anders wahrnehmen als ein Erwachsener mit größerer Leseerfahrung.

Diese kleine Lektüre ist letztlich durchaus gut geschrieben und die altmodische Sprache bleibt dabei nicht nur recht gut verständlich, sie besitzt auch einen gewissen Charme. Bloß vermag sie es nicht, eine Atmosphäre jedweder Form aufzubauen. Allein wegen der Illustrationen lohnt es sich für Freunde der Optik aber dennoch, dieses Büchlein zur Hand zu nehmen und die vielen kleinen Details und die ganz eigene Art des Künstlers zu erkunden. Die tollen Ergebnisse, die Gris Grimly mit einer begrenzten Farbpalette, klassischer Tusche- und Aquarelltechnik erzielt und wie er die stark überzeichneten Charaktere mit Sympathie und Leben füllt, sind für sich betrachtet unterhaltsam genug.

Long Walks, Last Flights von Ken ScholesIn 17 Kurzgeschichten nimmt Ken Scholes seine Leser mit auf Reisen durch die Zeit, in qualmende Ruinen, auf abgelegene Planeten, nach Paris, in eine amerikanische Kleinstadt, in die japanische Mythologie, kreuz und quer durch Fantasy-Welten und sogar in die Hölle …

-Meriwether Lewis stared down at the time-worn scrap of paper, holding it in his hands as if it were a rare butterfly too easily crushed.-
The Man With The Great Despair Behind His Eyes

Ken Scholes, inzwischen mit dem Roman Lamentation als Autor von epischer, post-apokalyptischer Fantasy zu Ehren gekommen, hat seine Karriere mit dem Schreiben von Kurzgeschichten begonnen. Diese erste Sammlung bietet einen guten Überblick über die thematische Bandbreite und das weite Feld von Stilrichtungen dieses ausgesprochen ideenreichen Schriftstellers.
Dabei ziehen sich die Themen Religiosität, Schuld und Mythos quer durch alle Geschichten und werden mehrfach beleuchtet, und Leser, die gerne tüfteln, finden reichlich Anspielungen auf historische Persönlichkeiten, im kulturellen Gedächtnis verankerte Ereignisse und Musik, Literatur und Film.
Psychologisch fein herausgearbeitete Figuren verankern die Geschichten, die verschiedenste Spielarten der Phantastik abdecken, in der Realität. Da lernt man zum Beispiel den Obdachlosen Fearsome Jones kennen, der mit seiner obsessiven Sammelleidenschaft versucht, über sein eigenes Versagen hinwegzukommen und dabei etwas aus dem Müll fischt, das ihn und seine Kumpels in höchste Schwierigkeiten bringt (Fearsome Jones’ Discarded Love Collection).
Oder den einfach gestrickten Trucker Jeb, der mit Hilfe eines geheimnisvollen Mädchens in der Hölle Erlösung findet, als er erkennt, daß ein Großteil der Hölle im eigenen Kopf entsteht (So Sang the Girl Who Had No Name).
Und einen Hibakusha – einen traumatisierten Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Japan – dessen Weg zurück zu sich selbst mit Gruppensitzungen in psychologischer Betreuung einerseits in die Realität Japans nach dem Zweiten Weltkrieg eintaucht, andererseits in die Welt der japanischen Mythologie und sogar der modernen Mythen über Japan in der westlichen Welt führt (Hibakusha Dreaming in the Shadowy Land of Death).

Ein zweiter Besuch in der Hölle aus So Sang the Girl Who Had No Name präsentiert mit Houdini und William Hope Hodgson zwei prominente Protagonisten, die eine Queste durch das symbolisch stark aufgeladene Leben nach dem Tod führt – mit den Mitteln und dem Selbstverständnis zweier Abenteurer des frühen 20. Jahrhunderts (Into the Blank Where Life is Hurled). Scholes’ Hölle mit ihren Monstern, surrealen Landschaften und einem dennoch routinehaften Alltag kann beispielhaft dafür stehen, wie geschickt der Autor mit seinen Settings und Ideen die Aufmerksamkeit des Lesers bindet und seine Neugier immer weiter füttert.
Der Zauberer und der Schriftsteller sind längst nicht die einzigen historischen Persönlichkeiten, die in den Kurzgeschichten auftreten: In The Man With The Great Despair Behind His Eyes begegnet man nicht nur der Expedition zur Pazifik-Küste von Lewis und Clark – die Erzählung ist gespickt mit Anspielungen quer durch die US-Geschichte, so daß man als Europäer mitunter Wikipedia bemühen muß.
Wiederum mit Gestalten des 20. Jahrhunderts spielt Summer in Paris, Light from the Sky, die problematischste Geschichte der Sammlung, in der man das Schicksal von Hemingway, Chaplin und Hitler in einer alternativen Realität verfolgt, in der alle drei aufgrund veränderter äußerer Umstände teils völlig anders verlaufende Lebenswege einschlagen. Scholes arbeitet hier mit dem stärksten vorstellbaren Kontrast zur Realität, um zu vermitteln, daß Monster und Heilige durch Einwirkungen von Außen geschaffen werden – das garantiert der Geschichte eine große Wirkung, verstärkt durch eine Rahmenhandlung, die aus fiktiven Zitaten besteht, wird aber nicht jedermanns Geschmack treffen.

Ein, wenn nicht sogar der Höhepunkt der Sammlung ist Edward Bear and the Very Long Walk, eine Art inverses Winnie-Pu-Abenteuer, in dem es den Spielzeugbären auf einen fremden Planeten verschlägt und der Leser Heldentum durch Stoffbären-Augen erfährt. Eine behutsame Überführung des Kinderbuch-Helden in die Science Fiction, die klassische Themen des Genres aufgreift und eine anrührende, epische Queste erzählt, dabei aber dem Stil der originalen Pu-Geschichten sehr treu bleibt und sie gleichzeitig auf den Kopf stellt. Eine Pflichtlektüre für alle, die noch ein Kuscheltier besitzen – aber Vorsicht: die Geschichte geht ans Herz.
Ebenfalls in ganz klassischen SF-Gefilden bewegt sich A Good Hair Day in Anarchy, das Western und Science Fiction auf eine Weise verbindet, die auch Fans der Serie Firefly zu schätzen wissen dürften. Lässiger Humor, ein schräges Setting in den gesetzlosen Außenbezirken des bewohnten Universums und eine clevere Geschichte machen das Ganovenstückchen um einen Frisör mit Vergangenheit zu einer runden und sehr vergnüglichen Lektüre.

Schon in Edward Bear and the Very Long Walk hat Scholes angedeutet, wie Mythen geboren werden, in The Santaman Cycle treibt er das Konzept auf die Spitze und beschreibt mit eleganter Hand eine nur lose im Bestehenden verankerte Schöpfungsgeschichte einer Welt nach der Apokalypse. Der epische Ton und die verwendeten Bilder funktionieren erstaunlich gut – nach den lediglich drei Seiten ist man fasziniert von den angerissenen Geschichten und der Welt, deren verschwommenes Bild sich vor dem inneren Auge zeigt.
In The Doom of Love in Small Spaces greift Scholes die Mythen aus dem Santaman Cycle noch einmal auf, erzählt aber eine relativ hermetische Geschichte, die kaum Episches anklingen läßt, sondern aufzeigt, daß die Bürokratie mit ziemlicher Sicherheit auch nach der Apokalypse erhalten bleibt.
In ähnlicher Weise funktioniert Of Metal Men and Scarlet Thread and Dancing with the Sunrise. Die Geschichte skizziert auf wenig Raum und mit großartigen Bildern eine Welt, die Scholes inzwischen mit dem auf diesem Ausschnitt basierenden Zyklus The Psalms of Isaak weiter erkundet hat. Das Potential der Figuren und der Welt ist auch in diesem kurzen Streiflicht nicht zu übersehen.

Einen nur leichten bzw. erst im Laufe der Geschichte anwachsenden phantastischen Einschlag hat sowohl das kurze, eindringliche Soon We Shall All Be Saunders, eine Parabel über die Entfremdung vom eigenen Selbst unter den Anforderungen der (Arbeits-)Welt, und That Old-Time Religion, das konsequent das Bild des zürnenden Gottes aus dem Alten Testament in eine amerikanische Kleinstadt transportiert.
Richtige Enttäuschungen wird man in Long Walks, Last Flights and Other Strange Journeys kaum finden, lediglich eine Handvoll Geschichten sind nicht ganz überzeugend durchkomponiert: So ist zwar Ken Scholes’ Ausflug ins Superhelden-Genre für einige Lacher gut und liefert zumindest eine überzeugende Grundidee, der Plot jedoch läßt zu wünschen übrig (Action Team-Ups Number Thirty-Seven), und auch One Small Step und East of Eden and Just a Bit South, beide mit Untertönen aus der Schöpfungsgeschichte, wirken nicht ganz überzeugend.
Abgeschlossen wird die Sammlung mit der Erzählung Last Flight of the Goddess, die vorab auch schon als Kurzroman erschienen war – einer Hommage an das Rollenspiel Dungeons & Dragons und die unsterbliche Liebe. In Rückblenden verfolgt man den Werdegang eines Abenteurer-Pärchens und gleichzeitig den Umgang mit dem Verlust eines Partners. Rollenspieler finden darin einiges zum Schmunzeln, und auch Fans klassischer Abenteuer-Fantasy dürften durch den warmen Erzählton, den augenzwinkernden Humor und die schrägen Ideen auf ihre Kosten kommen, allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Plot nicht über die ganze Länge trägt und eine Straffung hier und da nicht geschadet hätte.

Die Vielfalt der Geschichten, die Long Walks, Last Flights zu bieten hat, läßt letzten Endes keine Wünsche offen und zeigt eindrucksvoll, wie versiert Scholes in seinen Themen ist – sowohl als Chronist epischer, gewaltiger Ereignisse als auch als Beobachter des Zwischenmenschlichen und der seelischen Vorgänge. Besonders empfehlenswert ist darüber hinaus das Nachwort zur Entstehungsgeschichte der einzelnen Werke, das die Geschichten gut ergänzt und eine sprühende Kreativität durchblicken läßt, die ansteckend wirkt. Idee und Umsetzung sind fast durchgängig gleichermaßen gelungen, so daß man sich auf weitere Geschichten aus Scholes’ Feder nur freuen kann – er ist ein Meister dieses Fachs.

Die Märchen von Beedle dem Barden von Jonne K. RowlingMärchen gibt es schon seit Urzeiten in jeder Kultur. Auch die Zauberer und Hexen aus dem Harry-Potter-Universum haben ihre eigenen Märchen, die uns Muggles nun ebenfalls vorgestellt werden. Von springenden Zauberkesseln, über spitzfindige Hexen bis hin zum Zauberbrunnen begegnet der Leser allem, was das junge Herz begehrt.

Zu Die Märchen von Beedle dem Barden liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Das Paradies der Schwerter von Tobias O. MeißnerEine Flugschrift erreicht die sechzehn Kämpfer und Hauptfiguren in Tobias O. Meißners Paradies der Schwerter und bringt sie alle, nach unterschiedlichen Vorgeschichten und Biographien, in der Hölzernen Arena zusammen, wo sie Mann gegen Mann auf Leben und Tod ein grausames Turnier bestreiten.

– Großes Kampfturnier in der Befestigten Stadt! Sechzehn Teilnehmer streiten auf Leben und Tod um einen goldenen Stirnreif. Wert: Eintausend neue Taler. Kommt, um teilzunehmen! Kommt, um zu schauen! Eintritt nur fünf neue Taler. Das Turnier findet statt am Achten des Achten, ab morgens um acht. –
Flugschrift

Die Tendenz in moderner Fantasy zu düsteren, mittelalterlichen Welten, die von Intrigen, Egoismus, Machtgier und Herrschaftssucht gezeichnet sind, – als Beispiel seien hier George R.R. Martins Lied von Eis und Feuer oder auch Markolf Hoffmans Zeitalter der Wandlung genannt – greift Meißner spielerisch auf und erhebt dieses Prinzip sogar zur Regel.
Wobei “Regel” in diesem Fall mehr als wörtlich zu verstehen ist, immerhin erschuf Meißner alle 16 Kombatanten in einem dem Rollenspiel ähnlichen Verfahren, bestimmte durch das Los die Kampfpaarungen und schlussendlich erwürfelte er ebenso das Schicksal seiner Protagonisten. Eben jene jedoch sind von solch schauerlicher Mensch- und Unmenschlichkeit, Tragik und Traurigkeit, dass der Leser immer zwischen Depression und Delirium gefangen gehalten wird. In der ersten Hälfte des Buches erfahren alle Mitstreiter eine mehr oder weniger ausführliche Vorstellung. Dieser expositorische Teil des Werkes zeigt Meißners schriftstellerische Kreativität.

Die eigentliche Welt, in der Meißners Roman spielt, bleibt eine Skizze und ist auch historisch nur schwer einzuordnen. Krieg herrscht im Land, es gibt nur wenige große Städte und überall verspürt man eine depressive und gewalttätige Stimmung. Dennoch erscheinen die Charaktere gar nicht wie skizzenhafte Stereotype. Die Bandbreite an Waffen und Kampfstilen ist dabei so groß wie die Verschiedenheit ihrer Hintergrundgeschichten, ihrer Motive und Triebfedern. Geltungssucht, Selbstbestätigung, Schicksal, Suche, Armut, Lebensmüdigkeit und Geldgier finden neben Hass, Verehrung und Brüderlichkeit alle durchaus auch mehrfach ihr Pendant in den durchweg interessanten und moralisch oftmals fragwürdigen Figuren.
Dieser Vielfalt an Protagonisten ist es auch zu verdanken, dass das Paradies der Schwerter nicht bloß zur Allegorie über Zufall und Schicksal wird oder lediglich eine harsche Kritik an Voyeurismus und Gladiatorenspielen (respektive wohl auch modernerer Unterhaltung: reality TV) bleibt, sondern auch das tragische Schicksal der Gladiatoren mitfühlen und -fiebern lässt. Ohne diese Beziehung zu den Charakteren, die durch deren Vorgeschichte aufgebaut wurde, wäre man wohl ebenso wie das Publikum in der Hölzernen Arena. Denn Meißners Sprache in den Kämpfen ist eindringlich, der ständige Wechsel der Erzählerperspektive führt zu einem beinahe filmhaften Erlebnis.
Das eigentlich abstoßende und zugleich faszinierende Element ist aber doch die unübertroffene Spannung, die durch die Unvorhersehbarkeit der Kämpfe aufkommt. Man spürt als Leser das Kribbeln eines ungewissen Kampfes, man setzt unwillkürlich auf den eigenen Favoriten und weiß doch immer, dass man keinen haben sollte.

Neben der sprachlichen Eindringlichkeit der Kämpfe verspürt man aber auch im restlichen Geschehen, dass Meißner ein Experiment geglückt ist. Mal sind die Vorgeschichten der Kämpfer anekdotenhaft, dann wieder kommt eine kühle Distanz durch paragraphenhafte Beschreibung auf oder man verfällt in den Rhythmus des jungen Daimiyo Kriegers, wenn Meißner staccatohaft und präzise seine Bewegungen und Kampffiguren beschreibt.
Mal erklärt ein Bewusstseinsstrom die Gedanken eines Kämpfers und dann weisen nur aphoristische Phrasen auf das Schicksal eines Kämpen hin. Diese Vielschichtigkeit bewahrt sich das Buch, ohne unleserlich zu werden; letztlich bleibt die Lesefreude und das Grübeln über das Geschehene die Hauptaufgabe des Lesers. Ebenso wie das Werk sprachlich ansprechend ist, die dramatis personae überzeugend skurril auftritt, beweist das Buch aber auch interpretatorischen Spielraum.
Die existenzialistische Idee, dass man das eigene Sein gerade in Grenzerfahrungen stärker wahrnimmt, wird ebenso beleuchtet, wie die Psychologie der Masse, die Günstlinge erwählt, nach Blut lechzt und irgendwann saturiert oder frustriert von dannen zieht.
Denn Meißners Hölzerne Arena hat ihren Zenit bereits überschritten, sie ist die letzte Bastion einer ausgehenden Ära von ehrenhaftem Kampf, wie der Arenabesitzer Gillet mehrfach betont. Diese paradoxe Perversität, dieses Ehrverständnis von Kampf auf Leben und Tod wird besonders deutlich, wenn man einen kleinen Kommentar mit einbezieht, der besagt, dass das Paradies der Schwerter in Tobias O. Meißners Roman Neverwake unter dem Titel Rakuen ein berühmter Bestseller wird. Neverwake handelt von einer Welt der Computerspiel-Ligen und von virtuellem (deswegen moralisch hochwertigerem?) Kampf.

Die Hölzerne Arena ist ein Auslaufmodell für die Welt von Neverwake, vielleicht eine dystopische Zukunftsvision für unsere Realität, vielleicht auch ein mahnender Zeigefinger oder einfach nur ein verdammt spannendes Buch über “Kampf, Zufall und das Gegenteil von Nichts”.

The Runes of Elfland von Ari Berk und Brian FroudThe Runes of Elfland ist eine Entdeckungsreise in die Welt keltischer/nordischer Runen, ihre Bedeutung und ihren Ursprung. Das Buch bietet einen erzählerischen und künstlerischen Einblick in die alte Welt, mit Texten von Autor Ari Berk und Illustrationen des bekannten Künstlers Brian Froud.

– How to begin? Not hard to answer. Choose a rune, chant the charm, tell the tale, and step across. –
How to begin, Seite 15

Heutzutage bestimmen Klatschnachrichten den Großteil unserer Unterhaltungen. In einer Zeit, in der es weder Boulevardpresse noch Fernsehen gab, erzählten sich die Menschen Geschichten. Geschichten, die sie über Generationen hinweg von den Alten an die Kleinsten weiter gaben. Mit der Zeit gerieten diese Erzählungen immer mehr in Vergessenheit, bis sie schließlich nur noch in vereinzelten Büchern auftauchten und aus dem Alttag der Menschen verschwanden. Vorbei sind die Zeiten von Gedichten, Fabeln und Limericks.
The Runes of Elfland greift einen Bereich dieser alten Erzählkunst auf und befasst sich mit einem Aspekt von vielen, dem Hintergrund von Runen. Das Buch startet mit verschiedenen kurzen Texten über Runen im Allgemeinen, verfasst vom englischen Literaturwissenschaftler Ari Berk.

Anders, als man es sonst gewohnt ist, sind die Runen nicht alphabetisch nach ihrem Namen sortiert, sondern nach ihrer Bedeutung. So beginnt der eigentliche Inhalt mit Berkanaz – der Rune, die stellvertretend für den Neubeginn steht. Wenn man die Runen jedoch nicht nur als Buchstaben betrachtet, stört dieser Umstand nur wenig.
Jedes der 24 Symbole wird auf den folgenden Seiten in The Runes of Elfland mit einer ganzseitigen farbigen Illustration einzeln vorgestellt, begleitet von einem einleitenden Text zur Charakterisierung der Rune und einem kleinen Zauberspruch zu Beginn, gefolgt von einer Erzählung, die auf alten Sagen und Überlieferungen fußt. Einige der erzählten Geschichten werden vielen Lesern zumindest entfernt bekannt vorkommen, andere dagegen sind bis heute so selten von modernen Medien aufgegriffen worden, dass sie beinahe völlig unbekannt geblieben sind.
Insgesamt widmet das Buch jeder Rune vier Seiten. Brian Froud streut dabei auf allen Seiten charmante Hintergrundillustrationen von Elfen oder Goblins ein, die den Text optisch noch ein wenig aufwerten.

Frouds Pinselduktus ist in diesem Buchband weniger fein, als man es vielleicht aus anderen Büchern von ihm kennt. Die Figuren sind etwas schrulliger, die Farben etwas intensiver und alles wirkt insgesamt kantiger und grober. Angesichts der Thematik passt das jedoch auf harmonische Weise sehr gut zusammen.

Wer des Runenalphabets nicht mächtig ist und noch Hilfe bei der Entzifferung benötigt, dem wird auf den letzten Seiten geholfen. Dort findet sich das Runenalphabet samt seiner lateinischen Entsprechung. Da verschiedene Überschriften und Beschriftungen in den Bildern in Runen gehalten sind, empfiehlt es sich daher auch, dem Runenalphabet gleich zu Beginn ein wenig Aufmerksamkeit zu widmen.

Kleiner Abzug: Wer gerne die Namen der einzelnen Runen erfahren hätte, wird in diesem Buch leider nicht fündig. Angesichts der sonst großen Fülle an Informationen, wäre es schön gewesen, auch für dieses nicht unwichtige Detail, einen kleinen Platz zu finden.

Seaserpents! von Jack Dann und Gardner DozoisSeaserpents! gehört zu einer von Jack Dann und Gardner Dozois herausgegebenen Reihe von Anthologien, die jeweils ein bestimmtes phantastisches Thema oder Motiv behandeln. Sie enthält zehn Geschichten über Seeungeheuer. Alle Geschichten sind vorab schon an anderer Stelle erschienen und werden von einem kurzen Text über den Autor bzw. die Autorin eingeleitet. Eine Liste mit weiterführender Literatur zum Thema schließt die Anthologie ab.

-The moonlight was muted and scattered by the mist above the loch. A chill breeze stirred the white tendrils to a sliding, skating motion upon the water’s surface.-
The Horses of Lir

Wäre ich ein Seeungeheuer, ich würde mich beschweren, dass Nessie mir so schamlos die Show stiehlt. In Seaserpents! ist Loch Ness viel präsenter als das Meer und liefert – direkt oder indirekt – u.a. das Material für die ersten beiden Geschichten, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Auf den plumpen Machismo von L. Sprague de Camp in Algy, der Geschichte über ein mutmaßliches Ungeheuer im Lake Algonquin, dem eine (natürlich) schottische Gruppe von Abenteurer nachspürt, die sich dabei überaus männlich gibt und der ortsansässigen Damenwelt nachstellt, folgt mit Lillian Stewart Carls Out of the Darkness eine gefühlsbetonte Geschichte, bei der die Monsterjagd (diesmal direkt am Loch Ness) nur eine Nebenhandlung zu einer Beziehungskrise ist, in der wissenschaftliche und künstlerische Weltsicht aufeinanderprallen. Bei beiden Geschichten ist das Unvermögen zentral, die Existenz des Monsters zu beweisen, aber richtig in Fahrt kommt Seaserpents! mit keiner davon. Das gelingt erst ganz zaghaft mit Leviathan von Larry Niven, der seinen (auch in anderen Geschichten von ähnlichen Aufträgen geplagten) Helden Svetz aus einer fernen Zukunft in die Vergangenheit schickt, um dort Exemplare inzwischen ausgestorbener Spezies einzufangen, in diesem Fall einen Wal. Leider hat die zuständige Behörde eine fatale Tendenz zur Fehlinterpretation der überlieferten Daten – oder läuft etwas ganz anderes schief?

Ein erstes Highlight ist The Horses of Lir von Roger Zelazny, das zeigt, wie Wunderbares (und Schreckliches) im Verborgenen bis in die Gegenwart überdauert haben könnte und was es bedeutet, damit in Berührung zu kommen. Der Schauplatz der Geschichte ist abermals ein schottischer Loch, doch diesmal ist die Atmosphäre einmalig und Zelaznys eleganter Stil macht The Horses of Lir sehr lesenswert.
Mit Gordon R. Dicksons The Mortal and the Monster geht es grandios weiter, auch wenn der Titel, unter dem der Kurzroman ursprünglich veröffentlicht wurde, nämlich The Monster and the Maiden, treffender gewesen wäre – wozu man wissen muss, dass besagte Maid gerne Lachs frisst und ziemlich groß ist. Wir befinden uns wieder einmal am Loch Ness, immerhin sorgt in dieser Geschichte ganz Dickson-typisch ein Perspektivwechsel für Spannung: Man erfährt die Geschichte aus der Sicht des Seeungeheuers. Es ist ein trauriges, aus der Zeit gefallenes Monster, das gleichzeitig jugendlich sprühend wirkt, während sich beim Leser oder der Leserin Melancholie breitmacht, da man die Welt zu gut kennt, durch die die Protagonistin schwimmt. Die Geschichte enthält auch eine bezaubernde Darstellung eines Kommunikationsversuchs zwischen zwei intelligenten Spezies, die in völlig unterschiedlichen Bedingungen leben, und ist rundum gelungen.

In John Colliers Club Story Man Overboard darf man dann endlich Seeluft schnuppern und den gewitzten Ich-Erzähler auf eine Luxus-Yacht begleiten, die nur einem Zweck dient – dem Aufspüren eines Seeungeheuers. Die Geschichte ist klassisches Kurzgeschichten-Material, was man auch von Manly Wade Wellmans The Dakwa behaupten könnte, das allerdings wegen der Nutzung von amerikanischem Sagenstoff und einem schönen Ambiente die Nase weit vorn hat. Hier gelingt auch mühelos, was in der Eröffnungsgeschichte von de Camp gescheitert ist: Männliche Helden tun männliche Dinge … wenn sie nicht gerade im Bademantel herumlaufen, weil sie ein unfreiwilliges Bad mit dem Dakwa, einem ziemlich unheimlichen und bizarren Wassermonster, genommen haben. Wellman beschwört dabei ein phantastisches Nordamerika herauf, in dem man abends in einer einsamen Hütte das Banjo auspackt und hofft, dass die Wesen der Nacht draußen bleiben.
Eine weitere solide Club Story ist The Kings of the Sea von Sterling E. Lanier, in der Brigadier Ffellowes von einem Abenteuer während eines Urlaubs in Skandinavien berichtet. Sie kann mit einem starken Ende und einer bedrohlichen Atmosphäre punkten, während an der Oberfläche eigentlich nur sehr wenig passiert.

Grumblefritz von Marvin Kaye bringt mit nur vier Seiten in Form einer Zeitungsannonce das Format der Kurzgeschichte an seine Grenzen. Das Plädoyer für ein bedrängtes Seeungeheuer von New York ist eine spielerische Satire mit einem wunderbaren Konzept.
Die abschließende Geschichte, The Devil of Malkirk, ist die beste von Charles Sheffields Doctor-Darwin-Geschichten und wirft einige schottische Mythen in den Topf. Die Verortung am Loch Ness und in der Zeit von Erasmus Darwin wirkt aufgrund der sorgfältigen Recherche sehr lebendig. Außerdem gebührt der Geschichte, die zu den besseren dieser etwas durchwachsenen, aber mit sehr starken Höhepunkten ausgestatteten Anthologie gehört, immerhin der Ruhm, den Schlachtruf aller Kryptozoologen einzuführen: »What in the name of Linnaeus is this?«

Cover von Stadt der Heiligen & Verrückten von Jeff VanderMeerDie Stadt der Heiligen & Verrückten ist ein Kompendium der Stadt Ambra. Die Geschichte der Eroberung Ambras wird genauso geschildert wie der Aufstieg der Hoegbottons zur einflußreichsten Familie der Stadt oder die Schicksale einzelner ihrer mehr oder weniger berühmten Bewohner. Außerdem enthält das Buch eine Abhandlung über den Königskalmar, der eine besondere Rolle in Ambra spielt, samt einer ausführlichen Bibliographie zu diesem Thema.

– Dradin, verliebt, unterm Fenster seiner Liebsten, wie er zu ihr hochstarrt, indes die Menge rings um ihn brandet und braust, ihn anrempelt, ihm blaue Flecke verpaßt, allesamt unabsichtlich, die derbgekleideten, leuchtend rot geschminkten Tausende.-
Dradin verliebt

Allein die akribisch zusammengestellte Bibliographie mit ihren 264 (!) Titeln ist schon fünf Sternchen wert. (Die Redaktion von bp interessiert sich brennend für die nur schwer erhältlichen Bücher “Die Folterkalmare mischen ein paar Priester auf”, und “Die Folterkalmare schmoren im Knast”, beide geschrieben von Vivian Price Rogers und erschienen in der Kleine Bücher/Große Träume Verlagsgesellschaft. Rezensionsexemplare bitte an die bekannte Adresse. Danke!) Allerdings werden Leser, die keine besondere Affinität zu Königskalmaren haben, die anderen Kapitel des Buches für spannender halten, z.B. die Geschichte der Eroberung Ambras, dargestellt in “Hoegbottons Führer zur Frühgeschichte der Stadt Ambra”. Dort wird erzählt, wie der Walfänger und Pirat Katten John Manzikert die Siedlung am Mott-Fluß eroberte und was danach geschah. Manzikerts Vorgehensweise ist der der spanischen Eroberer Südamerikas nicht unähnlich, doch muß er einen furchtbaren Preis dafür zahlen, denn wie sich bald herausstellt, wissen die Ureinwohner, die Grauhüte, sich zu wehren und auch wenn sie die Übernahme ihrer Heimat letztlich nicht verhindern konnten, so ist ihr Widerstand auch in der ambraischen Gegenwart nicht gebrochen – ganz im Gegenteil.

Die Geschichte von der Verwandlung des Martin See ist ebenfalls hochspannend und gleichzeitig eine herrliche Satire auf den Kulturbetrieb. Der Maler Martin See erhält die Einladung eines Unbekannten zu einer Enthauptung, mit der Aufforderung kostümiert zu erscheinen. Bis der Künstler zur verabredeten Zeit im Hause seines mysteriösen Gastgebers erscheint, hat er dem Leser die Gelegenheit gegeben, sich über einen arroganten Kunstkäufer und eine blasierte, ignorante und geschäftstüchtige Galeristin lustig zu machen oder sich über den Kampf der Roten und Grünen zu amüsieren. Die Roten betrachten den Tod des kürzlich verstorbenen großen Komponisten Voss Bender als Segen, die Grünen jedoch als Katastrophe. Beide Parteien vertreten ihre Ansichten fanatisch und vehement. Doch als See über die Schwelle des Hauses tritt ist Schluß mit lustig – das “Kostümfest” endet grausam.

Auch Der Käfig enthält Grausamkeiten, die sensible Gemüter dazu verleiten mögen, zeitweise mit vor die Augen geschlagenen Händen weiterzulesen und vorsichtig zwischen den Fingern hervorzuspähen, nur um festzustellen, daß es in dieser Geschichte nicht nur gewalttätig, sondern auch unheimlich zugeht. Hoegbotton kauft das Inventar einer Anwaltsfamilie auf. Der Vater hat sich umgebracht, infolgedessen sind Mutter und Sohn gezwungen ihr Eigentum zu Geld zu machen. Unter anderem erwirbt Hoegbotton einen leeren Käfig und nimmt ihn mit nach Hause. Doch seine blinde Frau ist fest davon überzeugt, daß ihr Mann ihr ein Haustier mitgebracht hat, schließlich kann sie es in dem Käfig ganz deutlich hören…

Dradin verliebt ist eine weniger grausame und unheimliche Geschichte, doch Freunde von Hoffmanns Erzählungen werden ihre Freude daran haben. Sehr religiöse Menschen könnten sich allerdings von dem dort auftretenden lebenden Heiligen vom Orden der Ejakulation unangenehm berührt fühlen.

Falls sich der geneigte Leser jetzt fragt, ob Ambra denn wirklich existiert und ob die in diesem Buch gesammelten Geschichten alle wahr sind, dann möge er Der seltsame Fall von X lesen, danach wird er es auch nicht wissen, denn Jeff Vandermeer spielt virtuos mit Realität, Fiktion und Wahnsinn und zwar nicht nur in dieser Erzählung.

The Tales of Beedle the Bard von J.K. RowlingMärchen gibt es schon seit Urzeiten in jeder Kultur. Auch die Zauberer und Hexen aus dem Harry-Potter-Universum haben ihre eigenen Märchen, die uns Muggles nun ebenfalls vorgestellt werden. Von springenden Zauberkesseln, über spitzfindige Hexen bis hin zum Zauberbrunnen begegnet der Leser allem, was das junge Herz begehrt.

– There was once a kindly old wizard who used his magic generously and wisely for the benefit of his neighbours. Rather than reveal the true source of his power, he pretended that his potions, charms and antidotes sprang ready-made from the little cauldron he called his lucky cooking pot. From miles around people came to him with their troubles, and the wizard was pleased to give his pot a stir and put things right. –
The Wizard and the Hopping Pot

LeserInnen der Harry Potter-Buchreihe wird The Tales of Beedle the Bard (Die Märchen von Beedle dem Barden) ein Begriff sein. Im siebten und letzten Band von Harry Potter, The Deathly Hallows (Die Heiligtümer des Todes), spielt eines der Märchen von Beedle dem Barden eine wichtige Rolle bei der Lüftung eines Geheimnisses rund um Schuldirektor Albus Dumbledore und ein paar sehr mächtiger, verschollener Gegenstände. Für sich betrachtet ist diese kleine Märchensammlung für heranwachsende Zauberer und Hexen aber gänzlich unabhängig von Harry Potter und seinen Abenteuern.

Man könnte The Tales of Beedle the Bard als magische Übersetzung der Märchen der Gebrüder Grimm und anderer betrachten. Was für uns das Rotkäppchen ist, ist für einen Ron Weasley vielleicht Babbity Rabbity.
Zwar werden hier insgesamt keine uns bekannten Märchen neu erzählt, doch sie erinnern gelegentlich daran und sorgen dadurch für ein vertrautes Leseempfinden. Da gibt es kurze Momente, in denen schießen einem bei Märchen wie The Hairy Heart Namen wie Dorian Gray (zugegeben, das ist kein klassisches Märchen) durch den Kopf, woanders fühlt man sich subtil an den Struwwelpeter oder Der süße Brei erinnert. Obwohl es oft nur wenige Kleinigkeiten sind, die diese Assoziationen auslösen, vermittelt das einen Bezug zu unserer vertrauten Welt und lässt die Märchen von Beedle greifbarer werden.

Wie es für Märchen üblich ist, sind The Tales of Beedle the Bard sprachlich sehr schlicht gehalten, auch für Leser mit wenig englischsprachiger Leseerfahrung kein Problem.  Es handelt sich natürlich auch um kurze Geschichten, die mit einer moralischen Botschaft aufwarten, ganz so, wie wir es von Märchen kennen. Autorin J.K. Rowling kopiert dabei das Wesen traditioneller Märchen sehr gut und baut auch solche Szenen ein, die man heute oft als nicht kindgerecht, brutal und gewaltverherrlichend bezeichnet. Sicherlich ist dies auch als Seitenhieb auf Kritiker alter Märchen gedacht, die der Meinung sind, abgeschnittene Daumen hätten in solchen Geschichten, seien sie auch Teil unseres literarischen Erbes, nichts zu suchen. Deutlich belegt wird dieser Standpunkt in einem Auszug über eine fiktive Autorin, welche die Märchen von Beedle neu erzählt hat – harmlos, zuckersüß, flauschig, kitschig rosa bis babyblau … und unerträglich zu lesen.

Da wir Muggles als nicht-Zauberer und nicht-Hexen aber auch viele erwähnte Namen und Hintergründe nicht ohne weiteres verstehen und die Moral der Geschichte dadurch verloren zu gehen droht, liefert diese Märchensammlung im Anschluss an die jeweilige Geschichte auch gleich eine Interpretation mit, die in Form von Albus Dumbledores persönlichen Notizen dazu daherkommt.
Die Autorin J.K. Rowling tritt in diesem Buch als eine Art Herausgeberin oder Muggle-Korrespondentin auf, die sich nur in Fußnoten zur weiteren Erläuterung einzelner Begriffe zu Wort meldet. So erzeugt sie den Eindruck, diese Sammlung sei von drei Personen zusammengetragen worden. Beedle der Barde, als eigentlicher Erzähler, Albus Dumbledore, als Analyst der Märchen und Rowling selbst, als Vermittlerin zwischen Zauberern & Hexen und uns den Muggle-Lesern.

Wer sich also gerne noch einmal als Kind fühlen und in die Welt der Märchen eintauchen möchte, dem bietet The Tales of Beedle the Bard die Gelegenheit dazu. Ob man solche Märchen nun seinen Kindern ebenfalls vorlesen möchte oder nicht, sei dabei jedem selbst überlassen, genug Anreiz bietet diese Märchensammlung für beide Gruppen, und Alpträume dürften sie keinem bescheren.

Ein Wort zur Aufmachung:
Bei der hier besprochenen Ausgabe handelt es sich um eine limitierte Sonderausgabe, die sehr aufwendig mit Ledereinband, Leseband, Samtbeschichtung und Buchschatulle in Goldschnitt-Manier erstellt wurde. Innenliegend findet sich nicht nur das eigentliche Märchenbuch, mit aus Metall gefertigten Fresken, die Elemente aus den Märchen zeigen, sondern auch eine Sammlung von ca. DIN A4 großen Skizzen der Illustrationen zum Buch. Der Text selbst spielt, dunkelblau auf weiß, mit verschiedenen Typografien, je nachdem, welcher der “drei” Autoren gerade das Wort hat. Die einfachen von Hand gezeichneten Illustrationen von J.K. Rowling zieren zusätzlich die Geschichten und runden das Gesamtbild eines Märchenbuches ab.
Die unten stehenden Angaben und das eingangs abgebildete Cover dagegen beziehen sich auf die handelsübliche Ausgabe, denn die limitierte Edition ist nur noch schwer und teuer zu bekommen. Da es sich aber eindeutig lohnt, die Sonderedition wenigstens einmal gesehen zu haben, hier ein paar bildhafte Eindrücke dazu:
The Tales of Beedle the Bard: Collector's Edition (1)

The Tales of Beedle the Bard: Collector's Edition (2)

A Test of Mettle von Kevin HearneWährend Atticus in Asgard das Gefüge der nordischen Götter ins Wanken bringt, bleibt sein Lehrling Granuaile in Arizona zurück, wo sie der Erdelementaren Sonora helfen will, ein ökologisches Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen. Unvorhergesehen tauchen jedoch die Tuatha Dé Danann auf und unterziehen Granuaile einem Test, der leicht tödlich ausgehen könnte.

– Already I am made wholly new. Though I probably do not look any different, I feel as if the world must see me in a new way now that I can see the world as it truly is. –

A Test of Mettle ist eine Kurzgeschichte aus dem Zyklus The Iron Druid Chronicles (Die Chroniken des eisernen Druiden). Den Text kann man sich kostenlos auf der Website des Autors herunterladen. Zu beachten wäre hierbei lediglich, dass die Ereignisse zeitgleich zu Hammered (dem dritten Band der Buchreihe) stattfinden, auch wenn sich die enthaltenen Spoiler in Grenzen halten. Um die kleinen Details von A Test of Mettle wirklich genießen zu können, sollte man die Reihenfolge aber beibehalten und dies als Band 3.1 betrachten.

Die Kurzgeschichte kommt anders daher als die Romane. Nicht nur erleben wir diesmal die Ereignisse aus Sicht der Lehrlings-Druidin Granuaile, Kevin Hearne schafft es auch, dieser bisher sporadisch auftauchenden Figur einen eigenen Charakter einzuhauchen. Auf den Humor muss der Leser dabei leider erst einmal verzichten, denn obwohl Oberon mit von der Partie ist, erlebt man von seinen sonst so unterhaltsamen Gedanken nichts. Es gibt hier auch keine flotten Actionszenen oder schlagfertigen Sprüche. Die Geschichte ist anders als Atticus’ Abenteuer, aber nicht schlechter.
A Test of Mettle punktet mit Einsichten in Granuailes Vergangenheit, ihre Reaktionen auf ihre neuen Aufgaben als angehende Druidin und auch einen möglichen Grund für ihren Entschluss, dem Weg des Druiden zu folgen. Was dem Leser hier präsentiert wird, ist eine zunächst unscheinbare Erzählung, die eine tiefgreifende Facette von Granuaile offenbart, die sonst neben Atticus bisher immer eher ein blasser Sidekick war. Was der Autor ihr in diesen wenigen Seiten an Persönlichkeit verleiht, könnte den Grundstein für eine spannende Nebenhandlung kommender Bücher der Reihe darstellen, und man darf gespannt sein, welche Konsequenzen dieser Einblick in Granuailes Leben haben wird.

Toad Words von T. KingfisherIn sieben Kurzgeschichten, einer Novella und drei Gedichten begleitet man junge Mädchen in finstere Wälder und bezeugt die Auswirkungen schrecklicher Flüche, kurzum, man befindet sich auf dem vertrauten Gebiet der Märchennacherzählungen. Doch wer mit Altbekanntem rechnet, wird feststellen, dass man den Worten der Kröte vielleicht nicht ganz so viel Vertrauen schenken sollte wie denen eines Frosches.

-It has come to my attention
that people like me
are generally not welcome in fairy tales.-

Es gibt viele Gründe für die Wahl eines klangvollen Pseudonyms – bei T. Kingfisher, keiner anderen als der famosen Ursula Vernon, war es die Notwendigkeit, sich mit ihren Geschichten für Erwachsene von ihren weitaus erfolgreicheren Kinderbüchern abzugrenzen. Das kann man durchaus als Warnung verstehen: Kingfishers Geschichten sprühen zwar vor dem zu erwartenden Humor, scheuen aber nicht davor zurück, einen Blick auf die Düsternis hinter den Kulissen bekannter Märchen zu werfen.
Das erste Gedicht der Sammlung, It Has Come To My Attention, dient als Quasi-Einleitung: fehlender “Märchenglauben” führt Kingfisher dazu, an Märchen ganz andere Fragen zu stellen als die üblichen, und diese Fragen sind es, die ihr einen neuen Blickwinkel verschaffen und es ihr gestatten, im Subgenre der Märchen-Neuinterpretation knapp 35 Jahre nach Angela Carters The Bloody Chamber noch frische Akzente zu setzen.
Dabei kommt ihr zugute, dass sie häufig popkulturelle Ausprägungen der Märchen mit einbezieht – also Arielle statt Andersen, wie etwa im herrlich bildreichen The Sea Witch Sets The Record Straight. Meerhexe Ursula klärt nicht nur darüber auf, wie es wirklich war mit der kleinen Meerjungfrau, sondern liefert auch ein komplettes Unterwasser-Worldbuilding in weniger Text als ein Disney-Song.

Viele der Erzählungen sind derartige Rückblicke oder Bestandsaufnahmen, aus denen sich auf kleinstem Raum eine Geschichte entfaltet. Einzigartig ist dabei immer die Perspektive: Es sind ausschließlich Frauen, die mit ihren Flüchen, Schicksalsschlägen und der falschen Fremdwahrnehmung auf bodenständige, realistische Weise umgehen, so gut sie es vermögen. Sie sind stark, obwohl sie häufig keine klassischen Heldenrollen einnehmen, sondern eher häuslich veranlagt sind – und vor allem ihre Ruhe wollen.
Die Geschichten sind witzig und herzerwärmend – voller eloquenter Hexen, Amphibienretterinnen und ungeliebten Töchtern, die ihr eigenes Glück suchen – und manchmal brechen sie einem das Herz: das robuste Rotkäppchen erfährt etwas über Stalker, die sich als nette Kerle präsentieren (und nicht als Wölfe, wie in der Urform des Märchens), Peter Pan und die Schneekönigin wetteifern in glitzernd kalter Grausamkeit, und das Biest aus die, pardon, der Schöne und das Ungeheuer entdeckt eine schlimmere Komponente seines Fluches als das Monsterdasein.

Bluebeards Wife lässt Leser und Leserinnen mit seiner Erkundung des Monströsen und schwieriger Familienverhältnisse moralisch etwas durchgerüttelt zurück, und Boar & Apples, der längste Text der Sammlung, ist eine Schneewittchen-Interpretation, die mit Neil Gaimans brillantem Snow Glass Apples mithalten kann, auch wenn sie einen völlig anderen Weg beschreitet und den Zwergen deutlich mehr Haare verpasst als das Original.
Die einzige Geschichte, die ein wenig abfällt, ist Night, vor allem, weil sie nicht ganz zum ansonsten überall präsenten Märchenmotiv passt – mit zwei Seiten ist sie aber auch nur ein kurzes Intermezzo.

Alle Texte aus Toad Words sind, mit Ausnahme von Boar & Apples, auch auf dem Blog der Autorin erschienen und können dort nach wie vor gelesen werden. Man kann allerdings nicht viel falsch machen, wenn man sich die komplette Sammlung dieser geerdeten und trotzdem zauberhaften Märchen zulegt, die auf gewisse Weise mit ihrem unmittelbaren und pragmatischen Magieverständnis nicht ganz weit entfernt von den ursprünglichen Volksmärchen wurzeln.

Two Ravens and One Crow von Kevin HearneWenn die Morrigan an die Tür klopft und einem sagt »wir verreisen«, dann ist das keine Bitte, sondern eine Aufforderung zu packen. Als sich Atticus mit genau dieser Situation konfrontiert sieht, ahnt er, dass ihm kein Wellness-Ausflug angeboten wird und die Wiederherstellung seiner Tattoos nur eine Ausrede für größere Pläne darstellt, die einmal mehr mit unliebsamen Gefahren einhergehen.

– What would it be like, I wonder, if humans could slobber as freely as dogs? There’s no social stigma for dogs when they slobber and it looks like a lot of fun, so envy them that freedom. –

Wichtige Info vorweg: Diese Kurzgeschichte (IDC #4.5) spielt zwischen den Romanen Tricked und Trapped und enthält eindeutige Spoiler zu ersterem. Außerdem überbrückt sie den recht großen Zeitraum von zwölf Jahren zwischen den beiden Romanen und sollte daher in jedem Fall innerhalb der chronologischen Reihenfolge gelesen werden.

Two Ravens and One Crow setzt sechs Jahre nach den Ereignissen von Tricked an. Atticus steckt mitten in der Ausbildung von Granuaile und hat mit ihr die letzten Jahre unauffällig auf seiner neuen Farm im Navajo-Reservat verbracht. Als die Morrigan ihm einen Besuch abstattet, ändert sich das freilich unverzüglich, denn die hat ein Treffen mit den überlebenden nordischen Göttern vereinbart. Wie man anhand des Titels vielleicht schon erraten kann, trifft man u.a. auf Hugin und Munin, die Raben von Allvater Odin. Ärger vorprogrammiert? – Aber Hallo!
Das ist deswegen spannend, weil einen das Ende von Hammered doch etwas in der Luft hat hängen lassen und die Ereignisse nicht den Eindruck machten schon gänzlich abgeschlossen zu sein. Die vorliegende Kurzgeschichte sorgt nun dafür, dass der Handlungsstrang wieder aufgegriffen wird, und schafft zugleich eine Basis für zukünftiger Bücher.

Die Geschichte liefert wieder sehr viel Humor zum lauthals Auflachen. Die Dialoge zwischen Oberon und Atticus sind zwar in ihrer Anzahl begrenzt, dafür aber von meisterlicher Qualität. In Kombination mit Granuailes wohl platzierten Versuchen ihrem Sensei die Sinne zu rauben wird das Ganze zu einer der bisher herrlichsten Episoden. Insgesamt schwirren in Two Ravens and One Crow eine ganze Menge Hormone durch die Luft, allerdings auf eine unterhaltsame, nicht fingiert wirkende Art und Weise, die man gerne verfolgt.

Während die üblichen Erwartungen an eine Geschichte aus den Iron Druid Chronicles bestens erfüllt werden, gibt es aber auch überraschende Extras. Eines davon ist der tiefere Einblick in den Charakter der Morrigan, die diesmal eine tragende Rolle erfüllen darf und dadurch deutlich an Substanz gewinnt. Sie wirkt gleich menschlicher, etwas weniger berechnend und eiskalt, ja sie weckt glatt Sympathien und man versteht ihre Art zu handeln und zu denken ein gutes Stück besser.
Was Atticus angeht, so wird seine nebulöse Vergangenheit auch in Two Ravens and One Crow weiter aufgedeckt. Man erfährt etwas über die Hintergründe dessen, wie er an das Rezept für seinen Immortalitea gekommen ist, und erlebt ihn zu einer Zeit, da er noch am Anfang seiner Karriere als Druide stand. Wer sich schon die ganze Zeit gewünscht hat, endlich mal ein wenig uralte Luft zu schnuppern, der wird in dieser Kurzgeschichte ein wenig belohnt.

Two Ravens and One Crow ist eine wunderbare Mischung aus Humor und Tiefe, die man als Fan der Buchreihe nicht verpassen sollte. Wer keinen eReader besitzt muss leider dennoch erst einmal auf dieses reine eBook verzichten, wobei »leider« hier sehr groß geschrieben werden sollte. Wer schon immer mit dem Gedanken spielte sich ein solches Gerät zuzulegen, dies wäre die passende Gelegenheit sich einen finalen Ruck zu geben. 😉

Phantastische Reisen: Vom Land der Amazonen zu den Indigo-Inseln von Francois PlaceDie Insel Orbæ ist längst untergegangen, alles, was geblieben ist, ist der Atlas ihrer weltberühmten Kartographen. Er führt ins schneebedeckte Frostland, wo die Waljagd von Walrossreitern unterstützt wird, in die von Riesenkakteen bestandene Donnerwüste, deren felsiges Inneres ein dunkles Geheimnis birgt, auf die menschenleere Insel der Giganten, zu den Gewürzhändlern aus dem Golf Candaa und in viele andere unentdeckte Länder.

-Euphonos überquerte den Fluss am Fuße der Pappeln. Der Zufall wollte es, dass er nach einer langen, ziellosen Reise schließlich in dieser staubtrockenen Landschaft landete. Langsam wankte er voran, sein Reiseumhang drückte ihn wie eine schwere Last nieder.-
Im Land der Amazonen

Schade, daß der Originaltitel der Reihe, Atlas der Geographen von Orbæ, nicht auch in der deutschen Version zum Zuge gekommen ist, denn treffender könnte es kaum sein: Phantastische Reisen ist ein dreibändiger, alphabetisch geordneter Atlas imaginärer Landstriche. Im ersten Teil werden neun Länder vorgestellt, beginnend mit kleinen Karten, die in ihrer Symbolhaftigkeit am ehesten mittelalterlichen Weltkarten nachempfunden sind, dekoriert mit kleinen Menschen, Tieren, Landschaftsformationen und, wenn man genau hinsieht, bereits geschichtenerzählend.
Auf die Karten folgt jeweils eine mit großformatigen Aquarellen und kleinen Vignetten illustrierte Geschichte aus dem vorgestellten Weltteil, und jeder Abschnitt wird von einer Doppelseite in der Manier eines Forschungsberichts abgeschlossen, auf der Tiere, Bräuche, Kleider oder Naturphänomene der Region dargestellt werden (wie das z.B. bei den Amazonen aussieht, kann man hier betrachten).

François Place, der mehrfach ausgezeichnete französische Kinderbuchautor und Illustrator, hat sich für seine Phantastischen Reisen zweifellos vom Zeitalter der Entdeckungsfahrten inspirieren lassen, ist dem Lockruf der Ferne gefolgt und hat mit Stift und Pinsel weiße Flecken auf der Karte erschlossen, die es niemals gegeben hat.
Die Geschichten, die den Hauptteil des Buches ausmachen, changieren zwischen poetischen Märchen, wie man sie vielleicht bei einem Erzähler auf einem orientalischen Basar hören könnte, und Entdeckertagebüchern, zwischen traumartigen Volkssagen und bunten Lebenserinnerungen. Die Qualität ist unterschiedlich: Die bezaubernde Poesie der Eröffnungsgeschichte, in der vom Kampf der wilden Amazonen gegen einfallende Hexenmeister die Rede ist, wird im Nachfolgenden nicht mehr erreicht, dafür gibt es eine charmante Räuberpistole mit einer entführten, widerspenstigen Prinzessin, oder Mythen wie die aus dem Frostland, dessen Inuit-ähnliche Bewohner jedes Jahr in eine Art Winterschlaf fallen.
Bezüge zu irdischen Völkern und manchmal sogar konkreten Ländern sind immer wieder vorhanden, so trifft man auf ein Bergvolk, das von den Inka inspiriert ist, oder einen abenteuerlustigen Schotten, der in ferne Gefilde aufbricht, doch die Beschreibungen haben stets interessante Kniffe und einen eindeutig phantastischen Einschlag. Dabei geht Place auch sehr sensibel mit Exotismen und kolonialer Haltung um: Eindeutig weiße Völker sind hier in der Unterzahl, treten als Exoten auf und sind oftmals auch unterlegen: so vertreiben etwa die “Inka” die Invasoren mit ihren schamanistischen Zaubern zurück übers Meer.

Geschichten, Bilder und die Doppelseiten im Dokumentationsstil ergänzen sich und klären manche Einzelheit erst in ihrem Zusammenwirken auf. Place weiß allerdings auch genau, mit welchen Sehnsüchten er spielt, und läßt der Imagination genug Räume offen, indem er bewußt immer nur einen kleinen Ausschnitt der neu erschlossenen Länder und Völker zeigt und den Leser in Wort und Bild vehement einlädt, die eigene Phantasie auf weitere Forschungsreisen zu schicken.
Seine Aquarellzeichnungen, auf denen man viele Details entdecken kann, eröffnen einen Blick auf die neuen Landstriche, indem jede Region eine eigene Farbkomposition bekommt, jede Geschichte einen eigenen Bildcharakter.
Während diese sich oft erst auf den zweiten Blick erschließende Bilderpracht wohl eher erwachsene LeserInnen anspricht, sind die Geschichten einfach gestrickt und durchaus kindgerecht – es gibt keine großen Überraschungen, keine allzu komplexen Entwicklungen. Das Gesamtwerk besticht auch weniger durch die einzelnen Geschichten als durch seinen gigantischen Ideenreichtum und das Zusammenwirken zu einem riesigen Bilderteppich, aus dem sich eine Welt zusammensetzt, die vielfältiger, magischer, bunter ist als unsere. Jede Seite sprüht vor Kreativität, und nach Erfindungen wie dem Dreihäutemantel dürfte sich mancher Fantasy-Autor die Finger ablecken.

Konsequenterweise endet Vom Land der Amazonen zu den Indigo-Inseln mit einer Geschichte, in der das Fernweh selbst thematisiert wird, die Sehnsucht nach dem “Blau der Ferne”, repräsentiert durch eine unerreichbare Insel, der man niemals näherkommen kann und die doch das Ziel vieler unterschiedlicher Lebensreisen ist.
Allen, die gerne vom Lesesessel aus auf Entdeckungsfahrt gehen oder Sachbücher über imaginäre Welten lesen, kann man den Band nur ans Herz legen – der Atlas der Geographen von Orbæ ist das ulitmative Werk für Romantiker, die sich nach weißen Flecken auf der Karte sehnen.

Waechter der Nacht von Sergej LukianenkoNeben den Menschen gibt es die Anderen – Magier, Vampire, Hexen, Werwölfe – und diese fechten einen ewigen Kampf um die Menschen, auf der guten und der bösen Seite.
Im modernen Moskau hat dieser Kampf mittlerweile etwas Bürokratisches, und Anton, ein kürzlich von der IT zum Außendienst abkommandierter Anderer, geht auf Streife. Er trifft auf eine Frau, die mit einem Fluch belegt worden ist, der ganz Moskau ins Verderben reißen könnte. Als ob das nicht genug wäre, rettet er noch einen Jungen, der ein hohes Potential als Anderer besitzt. Ein Potential, nach dem beide Seiten gieren, sowohl die Wächter der Nacht, Antons Organisation des Guten, als auch die verfeindeten Wächter des Tages …

-Langsam und ächzend kroch die Rolltreppe nach oben. Kein Wunder, so alt wie die Station war. Dafür fegte der Wind durch die ganze Betonröhre, zerzauste ihm das Haar, zerrte an der Kapuze, schlängelte sich unter den Schal und drückte Jegor nach unten.-
Prolog

Fantasy und SF sind in Rußland hochbeliebte Genres – nebst diversen Übersetzungen wird auch einiges an eigener Literatur produziert, und mittlerweile verirrt sich ein Teil davon auf den deutschen Markt. Maßgeblicher Grund dafür ist der Erfolg von Sergej Lukianenkos Wächter der Nacht (Nočnoj dozor), das zum Start des gleichnamigen Films  in Deutschland debütierte.
Lukianenko erzählt in diesem Roman drei locker zusammenhängende Geschichten aus der Perspektive des Nachtwächters Anton Gorodezki, der eher zur heruntergekommeneren Sorte der Streiter für das Licht gehört und auch ein entsprechend flapsiger, aber durchaus interessanter Erzähler ist. Der Kampf zwischen Gut und Böse im modernen Moskau besticht durch allerlei interessante Ideen, die sich wie ein nach Rußland verpflanztes Inventar der üblichen Urban-Fantasy-Welt lesen: Vampire, die das Blutspendewesen vorantreiben, um auf der legalen Seite bleiben zu können; der insgesamt sehr bürokratische Ablauf des ewigen Hin und Hers zwischen Licht und Dunkel, der vor allem auf einem zugunsten der normalen Menschen geschlossenem Pakt beruht. Hier ist Ausgleich angesagt – wenn die eine Seite eine Seele rettet, darf sich die andere eine holen. Die ethischen Bedenken, die ein solcher Pakt in einer dermaßen schwarz-weißen Welt mit sich bringt, sind dann auch Thema der Handlung; allerdings wird die Problematik eher als Motor für die Spannung benutzt, als daß man sich in der Tiefe damit auseinandersetzen würde.

Die strukturierte Welt aus Gut und Böse mit ihren festen Regeln bietet einen wunderbaren Hintergrund für Intrigenspiel, und genau darauf basiert auch die Handlung der drei Geschichten. Die Schachzüge der Beteiligten sind recht elegant und kaum von Anfang an zu durchschauen – manchmal sind diese kryptischen Hintergrundgeschichten auch ein Manko, wenn man erst auf der letzten Seite einer Erzählung erfährt, was wirklich geschehen ist.
Wer sich von Wächter der Nacht – auch aufgrund des vollmundigen Herr-der-Ringe-Vergleichs von der Verlagsseite – eine große epische Handlung erwartet, die den Kampf zwischen Gut und Böse thematisiert, wird allerdings enttäuscht sein. Die drei Geschichten erzählen jeweils von einer Krisensituation, die gelöst werden muß, aber das Chaos bricht niemals aus und der Pakt zwischen Licht und Dunkel wird gehalten. Zusammengehalten wird das Ganze von der jeweils im Mittelpunkt stehenden Hauptfigur Anton und einer Liebesgeschichte. Letztere findet allerdings innerhalb des Romans nicht statt, und wirkt als Triebfeder der Handlung daher nicht immer glaubwürdig.
Mit der ersten der drei Geschichten liest man gleich die Beste, was auch daran liegen könnte, daß man anschließend weiß, wie der Hase läuft, und nicht mehr dermaßen überrascht sein wird. Das Ende des Bandes bietet dann aber statt des üblichen Musters durchaus eine interessante Wendung.

Sehr charmant bindet der Autor auch andere Werke der Phantastik mit ein, und steht damit augenzwinkernd zu seinen vielfältigen Inspirationsquellen von Alice im Wunderland bis Star Wars.
Vor allem aber die Erzählerfigur sorgt dafür, daß man gerne am Ball bleibt – zusammen mit Anton wachsen einem langsam Zweifel, ob “gut” und “böse” nicht einfach nur nichtssagenden Bezeichnungen in einem schmutzigen Kampf sind. Dieser ganz eigene, russische Charme hebt die Wächter der Nacht vom Standard der Urban Fantasy ab und macht sie auch aufgrund ihrer Episodenstruktur zu einer interessanten Ergänzung in der düsteren Phantastik.

Wastelands von John Joseph AdamsKurzgeschichtensammlung über die Welt nach dem großen Knall oder dem schleichenden Niedergang, über kämpferische oder verzweifelnde Überlebende, über eine Gesellschaft am Ende oder einem neuen Anfang.

-I want to tell you about the end of war, the degeneration of mankind, and the death of the Messiah – an epic story, deserving thousands of pages and a whole shelf of volumes, but you (if there are any of “you” later on to read this) will have to settle for the freeze-dried version.-
The End of the Whole Mess

22 mal geht in Wastelands die Welt unter, das Ende ist gekommen und vorüber, die letzten Menschen kämpfen mehr schlecht als recht um die letzten Reste der Zivilisation. Deprimierend? Ja – bei einem Großteil der Geschichten überwiegt die pessimistische Sicht der Dinge: So wie in den meisten Beiträgen der Anthologie menschliche Hybris vor dem Fall stand, sorgen menschliche Schwächen, Vorurteile und fehlgeleitete Ambitionen dafür, daß die Menschheit ihre Fehler wiederholt.
M. Rickert treibt in ihrem Beitrag Bread and Bombs die (in einer zusammengerückten Gesellschaft noch gesteigerte) Furcht vor dem Fremden auf die Spitze, berichtet aus Kindersicht (und mit Blick auf die Grausamkeit von Kindern) von eskalierendem Rassismus mit einem ungewöhnlichen Ende, das viel moralischen Zündstoff bietet, und auch Carol Emshwiller hat sich in Killers einer Weiterführung des Terrorismus-Themas nach einer deutlichen Verschlechterung der Lebensumstände angenommen.
Postapokalyptische Geschichten sind dennoch fast immer Geschichten der Überlebenden, des Neuanfangs, des Aufbäumens der Menschheit nach der Katastrophe, wenn auch häufig von Melancholie druchdrungen – denn was wäre ein Blick auf die Welt nach dem großen Knall, wenn er sich nicht auch mit Grusel auf die verfallenen Ruinen unserer Lebensweise richten würde? Wastelands hat daher auch positive Varianten zu bieten, darunter Tobias S. Buckells Waiting for the Zephyr, das durch seine Aufbruchsstimmung in einer Gesellschaft besticht, die sich verändert, aber gefangen hat, oder etliche Geschichten in einer normalisierten Endzeit-Welt im Mad Max-Stil, in der ein gewisser Alltag eingekehrt ist (das etwas schwächere und von religiösem Hauch durchwehte Salvage von Orson Scott Card, oder das an ein Endzeit-Roadmovie gemahnende And the Deep Blue Sea von Elizabeth Bear).

Kurzgeschichten eignen sich für dieses Subgenre ausgesprochen gut – sie vermögen ein Schlaglicht auf einzelne Fragen und Themen zu werfen (und die Extremsituation des Weltuntergangs ist eine hervorragende Bühne für existentielle Fragen, vor allem danach, was von der Menschlichkeit bleibt, wenn die Zivilisation zerfallen ist), sie erlauben einen Detailblick (bis auf die Spitze getrieben in Richard Kadreys Still Life With Apocalypse, das nur durch eine einzige, handlungslose Ansicht ein Gefühl für den Status einer gefallenen Welt vermittelt), ohne das große Ganze beleuchten zu müssen, was gleichzeitig die Erfahrung von Unsicherheit, Zurückgeworfensein auf den Einzelnen und von Unwissen nach dem Zusammenbruch der Systeme abbildet.

Keine der Geschichten in Wastelands stammt aus der Entstehungszeit des Genres nach dem Zweiten Weltkrieg und im sich aufschaukelnden Kalten Krieg mit seinen Ängsten vor dem atomaren Holocaust, die meisten haben nicht einmal ein nukleares Endzeitszenario zum Thema und sind vielfach in der Zeit nach 2000 entstanden: Durch Krankheiten, Ökokatastrophen, langsame Spiralen der Degeneration und beinahe so viele Szenarien, wie es Geschichten gibt, geht die Zivilisation unter, manchmal auch aus diffusen Gründen, die für die Handlung keine weitere Rolle spielen.
Sehr moderne Szenarien – neben den Terrorismus-Gedankenspielen hauptsächlich Cory Doctorows When Sysadmins Ruled the World, eine (nicht nur humorvolle) Beschreibung der Apokalypse, in der Computersystemexperten überleben, eingeschlossen vor ihren Monitoren in ihren Bunkern, um die Welt anschließend nach ihrem Lebensmodell zu organisieren (der Spaß steigt hierbei proportional zum IT-Wissen des Lesers 😉 ) –, stehen neben Geschichten, die mit der religiösen Aufladung des Endzeitgenres spielen (denn der Prototyp der Apokalypse ist immer noch die Offenbarung des Johannes): Judgement Passed von Jerry Oltion handelt von den Menschen, die bei Gottes letztem Gericht vergessen wurden und mit dieser Tatsache leben (im wahrsten Wortsinn) müssen.

Wastelands ist eine außergewöhnlich gute Anthologie, von den 22 Geschichten sind fast alle überdurchschnittlich, und die AutorInnenauswahl kann sich sehen lassen: Stephen King macht in der Eröffnungsgeschichte The End of the Whole Mess das, was er am besten kann: Den Zauber einer zurückliegenden Jugend beschwören und in Kontrast zu einem bedrückenden Heute zu setzen, in dem man das Ende schon mit großen Schritten und Anklängen an Flowers for Algernon herannahen hört, auch wenn es einer der unwahrscheinlichsten Weltuntergänge der Anthologie ist. George R.R. Martin projiziert in Dark, Dark were the Tunnels auch 1973 schon mit gewohnt ausgeklügelten und spannenden POV-Tricksereien in eine ferne Zukunft mit einer unbewohnbaren Erdoberfläche, um zu erforschen, was aus den Menschen geworden ist.
Ähnlichem geht der inzwischen vielfach mit Lorbeer gekrönte Paolo Bacigalupi in The People of Sand und Slag nach, einer der intensivsten Geschichten der Anthologie, in der die Menschheit sich psychisch und physisch soweit angepaßt hat, daß kaum mehr Bezug zum Leben vorhanden ist und sie von außen an Menschlichkeit erinnert werden muß – ein Exkurs, in dem das Überleben zwar eindeutig gesichert ist, aber zu einem verstörend hohen Preis.
Octavia E. Butlers Klassiker Speech Sounds geht in seiner Betrachtung des Zusammenwirkens von Sprache, Identität und Integrität einem ganz anders gearteten Verfall der Gesellschaft nach, Gene Wolfe ist in Mute gewohnt rätselhaft und liefert kaum Anhaltspunkte für die Deutung seiner Geschichte, die zwar anfangs einen beinahe hypnotischen Zwang ausübt, aber irgendwann in ihrer überladenen Symbolhaftigkeit stecken bleibt.

Aber auch von AutorInnen, deren Namen nicht als Aushängeschild auf dem Cover prangen, stammen spannende Entwürfe und Highlights: James van Pelt stellt in The Last of the O-Forms mit exzellenter Charakterisierung und großem Ideenreichtum einen Profiteur der Apokalypse vor, Nancy Kress liefert mit Inertia gewissermaßen einen weiteren Entwurf zu dem Thema, das King bereits bearbeitet hat, geht dabei aber eher auf die menschliche Reaktion auf Krankheit und die Stellschrauben der Identität ein.
A Song Before Sunset von David Grigg geht voller Melancholie der Frage nach, was mit Talent passiert in einer Welt, die für Kultur keine Verwendung mehr hat, und John Langams Episode Seven: Last Stand Against the Pack in the Kingdom of the Purple Flowers, ist ähnlich gewunden erzählt, wie der Titel andeutet, mit seitenlangen, fließenden Sätzen, die in kurzen Ausbrüchen von Action kulminieren und in einem verstörenden Szenario den Kampf von Überlebenden gegen ein Rudel wilder Hunde beschreiben. Der Faszination und dem Grusel dieser Geschichte kann man sich schwer entziehen, und sie bildet einen würdigen Abschluß der facettenreichen Anthologie.

Meine Empfehlung wäre allerdings trotz der Qualitäten der einzelnen Beiträge, nicht die ganze Anthologie an einem Stück zu lesen – das könnte aufs Gemüt schlagen, denn neben den selten eingestreuten locker-leichten Geschichten bieten die meisten schweren Stoff, den man auch wegen seiner nachdenklich stimmenden Blicke auf das Menschsein erst einmal verdauen muß. Wer trotzdem nicht genug von der Apokalypse bekommen kann, findet im Anhang von Wastelands eine Leseliste mit den wichtigsten Werken – Romanen und Kurzgeschichten – des Subgenres.

Der wundersame Dr. Darwin von Charles SheffieldDr. Erasmus Darwin, der Großvater des Evolutions-Theoretikers, ist ein englischer Landarzt, überall gerühmt für seinen scharfen Verstand. Das ist der Grund, weshalb Leute aus allen Regionen Englands ihn zu besonders kuriosen Fällen hinzuziehen, die Darwin dann auch mit höchstem Vergnügen löst.
Darwins oberstes Credo ist dabei die Wissenschaftsgläubigkeit – von übernatürlichen Schnickschnack, Dämonen und Teufeln will Darwin nämlich nichts hören.
Auf seinen Reisen wird der Doktor von seinem Freund Jacob Pole begleitet, der stets auf der Suche nach einem der Schätze dieser Welt ist …

-Der Frühlingsabend war mild und ruhig, und was an Gesprächen aus dem Fenster des Hauses drang, war auf dem Weg noch in einiger Entfernung zu hören.-
Der Dämon von Malkirk

Wie sein berühmter Enkel ist Dr. Darwin den Naturwissenschaften zugetan, er betätigt sich in der Lunar Society, praktiziert aber vor allem als Landarzt und klärt für sein Leben gerne rätselhafte Phänomene auf, die ihm immer wieder zugetragen werden. Die sechs Einzelabenteuer, die in dieser Sammlung vorliegen, sind in keinster Weise aufeinander aufbauend oder miteinander verbunden  – nur die Hauptpersonen Darwin und Colonel Pole sind jedes Mal mit von der Partie, und ab und an begegnet man auch Darwins geschätzten Freunden von der Lunar Society wieder. Die vorherige Veröffentlichung der Erzählungen als Kurzgeschichten führt dazu, daß die Protagonisten in jedem Abenteuer aufs Neue eingeführt und mit fast identischen Worten beschrieben werden – die Geschichten können gut für sich stehen, ergeben aber am Stück kein größeres zusammenhängendes Bild als vielleicht ein Portrait der Zeit vor dem berühmteren Darwin.

Charles Sheffield hat stimmig die Atmosphäre einer Zeit eingefangen, in der Aberglaube und Wissenschaft konkurrieren und die Menschen noch leichter von übernatürlichen als von natürlichen Erklärungen für schwer fassbare Dinge zu überzeugen sind. In diesem Umfeld ermittelt Darwin in Fällen, die von den Betroffenen meist in peinlich berührter Manier als wissenschaftlich unmöglich eingestuft werden. Er entlarvt falsche Dämonen, Scharlatane, angebliche Vampire und vieles mehr, und entdeckt dabei nicht selten zwar logisch erklärbare, aber dennoch kuriose Begebenheiten, die so außergewöhnlich sind, daß sie fast magisch anmuten. Seine Arbeitsweise – erst analysieren, dann alles in die Wege leiten und schließlich den verblüfften Beteiligten die Lösung und seinen Weg dorthin präsentieren – erinnert an etliche klassische Ermittler-Helden, und beim Gespann Darwin-Pole kommen einem unweigerlich Sherlock Holmes und Watson in den Sinn.

Die Struktur der Geschichten, immer einen einzelnen Fall mit der präzisen, aber erst im Nachhinein logischen Vorgehensweise des Doktors zu schildern, baut dieses Ambiente durchaus mit auf.Etliche historische Persönlichkeiten sind in die Handlung eingeflochten, und alle Geschichten sind von Tatsachen inspiriert. Über die genauen Zusammenhänge wird man in einem lesenswerten Nachwort aufgeklärt, in dem Sheffield – selbst Naturwissenschaftler – das Zeitalter der Aufklärung resümiert.
Aber auch die gut recherchierten Geschichten verraten viel über den Stand der Wissenschaften und der Medizin im 18. Jahrhundert.
Sheffields nüchterner Stil läßt Darwin und Pole erst recht als kauzig-liebenswerte Helden hervorstechen. Nach ihrer Analyse bleibt meist nicht mehr viel Magisches an den rätselhaften Begebenheiten, so daß man es vielmehr mit einer Kuriositätensammlung als Phantatik zu tun hat. Ein wenig schade ist auch, daß die Geschichten im Großen und Ganzen immer ähnlich konstruiert sind und man die Richtung der Lösungen, wenn auch nicht ihr ganzes Ausmaß, oft schon voraussehen kann. Für eine unterhaltsame (und durchaus auch lehrreiche) Lektüre empfiehlt es sich also, das Buch auf mehrere Einzelhäppchen zu verteilen.
Einen Rest von Magie gibt es übrigens auch in der streng wissenschaftlichen Welt des Dr. Darwin: Das Ungeheuer im schottischen Loch pflügt auch nach seinem Besuch ungetrübt weiter durch die Wellen…

Yamada Monogatari von Richard ParksLord Yamada, ein gefallener Adliger, hat sich auf die Lösung von übernatürlichen Problemen spezialisiert – er steht mit Schwert, Witz und buddhistischen Sutras bereit, um sich um Oger, Geister und Dämonen zu kümmern, die die Mitglieder des Hofes von Kyoto belästigen, ihre Ehre beflecken oder ihre Bauern fressen. Zwischen den Missionen braucht er allerdings immer mehr Sake, denn mit einem simplen Töten der übernatürlichen Erscheinungen ist es meist nicht getan.

-I was just outside of Kyoto, close on the trail of a fox spirit, when the ghost appeared.-
Fox Tails

Wenn Japan überhaupt Setting für Fantasy-Geschichten ist, dann sind sie meistens in der Edo-Zeit angesiedelt, um vor dem Hintergrund der großen Samurai-Schicht und der Kämpfe zwischen den Provinzherrschern zu spielen. Dass die friedlichere Heian-Zeit erzählerisch weniger hergibt, könnte man aber nach der Lektüre von Yamada Monogatari nicht mehr behaupten: Hinter der Fassade des hochregulierten höfischen Lebens brodelt es, und für jene Fälle, die ein etwas peinliches übernatürliches Problem beinhalten, lässt sich zum Glück Lord Yamada anheuern, der als ehemaliger Adliger einerseits Umgang mit der feinen Gesellschaft pflegen kann, sich andererseits aus akutem Geldmangel aber auch nicht zu schade ist, sich die Finger schmutzig zu machen.
Er ist ein bisschen wie ein fernöstlicher Hexer Geralt, dieser Yamada no Goji: Ein armer Schlucker, den die Gesellschaft braucht, um die Probleme zu beseitigen, derer sie nicht Herr wird, der sich in dieser prekären Lage jedoch eine edle Gesinnung bewahrt hat und viele brenzlige Situationen mit einem guten Schuss Pragmatismus meistert.

Richard Parks hatte aber vermutlich keinen europäische Märchenstereotype verkloppenden Hexer im Sinn, als er Yamada Monogatari konzipiert hat, sondern eher einen japanischen Hardboiled Detective, komplett mit bittersüßer Liebesgeschichte, zu viel Sake und einem enttäuschten Blick auf die Gesellschaft. Die zehn Fälle, die in diesem Sammelband aufgeklärt werden, geben diesem Blick auch recht und verweisen auf einen zweiten Eckpunkt von Parks’ Geschichten: die Gothic Novel. Auch im mittelalterlichen Japan sind die Fälle nur selten so leicht gelöst, wie sich die Auftraggeber das ausmalen (Kopf ab!); meist liegen gute Gründe für die Heimsuchung vor, und es sind schmutzige, ungute Geheimnisse, die durch die Präsenz von Fuchsgeistern, Oni oder Geistererscheinungen an die Oberfläche gespült werden und für die Lord Yamada eine Lösung finden muss.
Damit erklärt sich auch die meist ruhige Erzählweise der Geschichten trotz des martialischen Themas. Nur kurz blitzt hin und wieder eine Actionszene auf, ansonsten liegen die Stärken von Yamada Monogatari in den Dialogen, dem feinen Humor und den gut recherchierten Beschreibungen. Die Lösung wird selten mit dem Schwert erreicht, es kommt auf Witz, das Nutzen der starren gesellschaftlichen Regeln (und ihr Umgehen an geeigneter Stelle) und Menschenkenntnis an.

Die Geschichten sind mosaikartig angeordnet und ergeben nach und nach ein Muster, als Nebenfiguren immer wieder auftauchen und die politische Gesamtsituation sich im Hintergrund weiterentwickelt. Hängt Lord Yamada zwischen den Missionen zu versoffen durch, kann man sich darauf verlassen, dass der Priester Kenji erscheint und ihn aus dem tiefen Tal führt (indem er ihm den letzten Sake wegtrinkt). Am Ende ist sogar eine Art Hintergrundgeschichte abgeschlossen, und wenn man Gefallen an Yamada und seinen Mitstreitern gefunden hat, kann man sich darauf freuen, dass Richard Parks sie damit für eine geplante Romanreihe in Position gebracht hat.

Das Setting profitiert stark von der Präsenz der übernatürlichen Welt, die sich nicht nur in Form von Problemen manifestiert, sondern auch in Alltagserscheinungen wie Mottengeistern, verwunschenen Wäldern gleich um die Ecke der belebten Hauptstadtstraßen und Ahnengeistern. Die – für die Fantasy – ungewöhnlichen Monster und Gesellschaftsregeln werden durch die Tatsache lebendig, dass in Lord Yamadas Zeit das Göttliche und das Dämonische im Grunde akzeptiert werden, aber auch für eine Welt stehen, die im Schwinden begriffen ist, da der Aufstieg der Samurai kurz bevorsteht, der nicht nur das höfische Leben am kaiserlichen Hof bedroht, sondern auch die übernatürliche Welt verdrängt, ganz als würde damit endgültig bewiesen, was Lord Yamada ohnehin längst begreift: Die allerbesten Monster geben immer noch Menschen ab.