The Coyote Road ist eine Anthologie, in der Genre-Autoren verschiedenen Trickster-Figuren nachspüren, überlieferten rund um die Welt wie Anansi, Coyote oder Kitsune, und neuen, die frische Interpretationen der Erzählmuster von Trickstergeschichten zulassen.
-You’ve probably seen those shoes by the side of the road. Just a shoe, lying in the dust just off the roadway. Not two shoes together. One odd shoe.-
One odd Shoe, Pat Murphy
Trickster treten in fast jeder Kultur in der einen oder anderen Form auf und sind faszinierende Figuren, weder gut noch schlecht, sondern einfach außerhalb der moralischen und gesellschaftlichen Kategorien und schon allein aufgrund dieser Position mächtig, aber meist nicht mit klassischen Formen der Macht ausgestattet – sie müssen sich durchmogeln. Mythen-Expertin Terri Windling erklärt im Vorwort der von ihr gemeinsam mit Ellen Datlow herausgegebenen Anthologie die verschiedenen Gestalten und Traditionen der Trickster-Figur, und damit ist man bestens gerüstet für die 22 Geschichten und 4 Gedichte, die darauf folgen.
Von den verschiedenen Zeiten, Stilen und Settings, in denen die Trickster in The Coyote Road auftreten, funktionieren die Geschichten mit modernem Hintergrund oft am besten – der Trickster ist eine Figur, die sehr stark mit dem Milieu arbeitet, und das kann ein Autor wie Charles de Lint beispielsweise bravourös in The Crow Roads heraufbeschwören, wo ein mysteriöser Fremder die Ödnis eines kleinen kanadischen Städtchens aufbricht, oder Pat Murphy mit der Eröffnungsgeschichte, die im amerikanischen Westen augenzwinkernd eine Frage aufklärt, die beinahe so spannend ist wie die nach den Einzelsocken in der Waschmaschine. Ebenfalls sehr stark in ihrem Milieu verwurzelt ist Delia Shermans The Fiddler of Bayou Teche, das die klassische Geschichte vom Pakt mit dem Teufel mit sumpfigem Südstaatenflair (und -slang) und Werwölfen neu belebt.
Die historisch angehauchten Geschichten sind zwar alle solide, aber ihnen fehlt häufig der Pfiff, der die Trickster in den moderneren Settings richtig schillern lässt – in alten Zeiten treten sie eher als Götter auf, unverständlich in ihren Motiven und den Menschen recht fern.
An sich sind Trickster ein famoser Kurzgeschichtenstoff, weil sie nicht bleiben. Sie ziehen durch, sind Momenterscheinungen – Glück oder Unglück, das je nach Perspektive über die Menschen hereinbricht und ihren Alltag ausschaltet. Dort lösen sie manchmal wie im Mythos Probleme, mit denen die Gesellschaft allein nicht fertig wird: Ein mysteriöser Fuchs hilft in Realer than You von Christopher Barzak einem entfremdeten Jungen beim Einleben in einem neuen Land, die Cat of the World von Michael Cadnum beschäftigt sich schon seit Jahrhunderten damit, das Leben für Katzen (und manchmal auch Menschen) besser zu gestalten.
Andere Trickster sind wie ein Sturm, der über die Menschen herfällt und sie häufig zum Vergnügen, selten mit richtig ernsten Absichten, wie Spielfiguren herumschiebt. Nur ganz selten gibt es eine Geschichte aus der Sicht eines der Trickster: Richard Bowes’ A Tale for the Short Days wirft einen Blick aus den Augen eines vielseitigen Diebesgottes auf die Welt, und im herrlich rätselhaften und bildgewaltigen Black Rock Blues von William Shetterly muss man sich erst einmal erarbeiten, wer warum in so großen Nöten ist und welche Rollen die auftretenden Figuren bekleiden. Häufig begegnen wir auch menschlichen Trickstern, etwa bei Patricia McKillip, oder die Trickster werden ausgetrickst wie bei Holly Blacks groteskem Besuch im Kosmos der Fresswettbewerbe. Ein weiteres prominentes Thema sind Trickster, die sich vergessen haben und sich quälen, bis ihr funkelndes Ich wieder durchbricht.
Neben Shermans, de Lints und Shetterlys Geschichten ist Kelly Links The Constable of Abal ein Highlight der Anthologie, das einen prächtigen Kosmos aus dekadenten, skurrilen Städten ausbreitet, durch den eine mehr als dysfunktionale kleine Familie mit einem nicht ganz fassbaren Geheimnis zieht. Theodora Goss trägt mit How Raven Made His Bride ein fesselndes Erzählgedicht bei, das lose auf nordamerikanischen Mythen aufbaut. Kij Johnson packt das Tricksterthema mit einem beinahe akademischen Ansatz an und seziert mit The Evolution of Trickster Stories Among the Dogs of North Park After the Change nicht nur den Archetypus, dem sich die ganze Anthologie widmet, sondern auch unser Verhältnis zu Tieren. Und auch Jeffrey Ford hat in The Dreaming Wind die Essenz des Tricksters herausgefiltert und lässt ihn völlig körperlos als urtümliche, verändernde Kraft auftreten, als die Kreativität selbst.
Da The Coyote Road eigentlich keine Ausfälle hat und die besten Geschichten die Facetten des Tricksters sehr gründlich einfangen, ohne ihm seine Unerklärlichkeit zu nehmen, kann man die von Charles Vess liebevoll ausgestattete Anthologie uneingeschränkt allen empfehlen, die sich diesen ambivalenten Figurentypus und sein Changieren zwischen erhabenem Mythos und Profanität näher anschauen wollen.