Das Paradies der Schwerter

Cover von Das Paradies der Schwerter von Tobias O. MeißnerEine Flugschrift erreicht die sechzehn Kämpfer und Hauptfiguren in Tobias O. Meißners Paradies der Schwerter und bringt sie alle, nach unterschiedlichen Vorgeschichten und Biographien, in der Hölzernen Arena zusammen, wo sie Mann gegen Mann auf Leben und Tod ein grausames Turnier bestreiten.

– Großes Kampfturnier in der Befestigten Stadt! Sechzehn Teilnehmer streiten auf Leben und Tod um einen goldenen Stirnreif. Wert: Eintausend neue Taler. Kommt, um teilzunehmen! Kommt, um zu schauen! Eintritt nur fünf neue Taler. Das Turnier findet statt am Achten des Achten, ab morgens um acht. –
Flugschrift

Die Tendenz in moderner Fantasy zu düsteren, mittelalterlichen Welten, die von Intrigen, Egoismus, Machtgier und Herrschaftssucht gezeichnet sind, – als Beispiel seien hier George R.R. Martins Lied von Eis und Feuer oder auch Markolf Hoffmans Zeitalter der Wandlung genannt – greift Meißner spielerisch auf und erhebt dieses Prinzip sogar zur Regel.
Wobei “Regel” in diesem Fall mehr als wörtlich zu verstehen ist, immerhin erschuf Meißner alle 16 Kombatanten in einem dem Rollenspiel ähnlichen Verfahren, bestimmte durch das Los die Kampfpaarungen und schlussendlich erwürfelte er ebenso das Schicksal seiner Protagonisten. Eben jene jedoch sind von solch schauerlicher Mensch- und Unmenschlichkeit, Tragik und Traurigkeit, dass der Leser immer zwischen Depression und Delirium gefangen gehalten wird. In der ersten Hälfte des Buches erfahren alle Mitstreiter eine mehr oder weniger ausführliche Vorstellung. Dieser expositorische Teil des Werkes zeigt Meißners schriftstellerische Kreativität.

Die eigentliche Welt, in der Meißners Roman spielt, bleibt eine Skizze und ist auch historisch nur schwer einzuordnen. Krieg herrscht im Land, es gibt nur wenige große Städte und überall verspürt man eine depressive und gewalttätige Stimmung. Dennoch erscheinen die Charaktere gar nicht wie skizzenhafte Stereotype. Die Bandbreite an Waffen und Kampfstilen ist dabei so groß wie die Verschiedenheit ihrer Hintergrundgeschichten, ihrer Motive und Triebfedern. Geltungssucht, Selbstbestätigung, Schicksal, Suche, Armut, Lebensmüdigkeit und Geldgier finden neben Hass, Verehrung und Brüderlichkeit alle durchaus auch mehrfach ihr Pendant in den durchweg interessanten und moralisch oftmals fragwürdigen Figuren.
Dieser Vielfalt an Protagonisten ist es auch zu verdanken, dass das Paradies der Schwerter nicht bloß zur Allegorie über Zufall und Schicksal wird oder lediglich eine harsche Kritik an Voyeurismus und Gladiatorenspielen (respektive wohl auch modernerer Unterhaltung: reality TV) bleibt, sondern auch das tragische Schicksal der Gladiatoren mitfühlen und -fiebern lässt. Ohne diese Beziehung zu den Charakteren, die durch deren Vorgeschichte aufgebaut wurde, wäre man wohl ebenso wie das Publikum in der Hölzernen Arena. Denn Meißners Sprache in den Kämpfen ist eindringlich, der ständige Wechsel der Erzählerperspektive führt zu einem beinahe filmhaften Erlebnis.
Das eigentlich abstoßende und zugleich faszinierende Element ist aber doch die unübertroffene Spannung, die durch die Unvorhersehbarkeit der Kämpfe aufkommt. Man spürt als Leser das Kribbeln eines ungewissen Kampfes, man setzt unwillkürlich auf den eigenen Favoriten und weiß doch immer, dass man keinen haben sollte.

Neben der sprachlichen Eindringlichkeit der Kämpfe verspürt man aber auch im restlichen Geschehen, dass Meißner ein Experiment geglückt ist. Mal sind die Vorgeschichten der Kämpfer anekdotenhaft, dann wieder kommt eine kühle Distanz durch paragraphenhafte Beschreibung auf oder man verfällt in den Rhythmus des jungen Daimiyo Kriegers, wenn Meißner staccatohaft und präzise seine Bewegungen und Kampffiguren beschreibt.
Mal erklärt ein Bewusstseinsstrom die Gedanken eines Kämpfers und dann weisen nur aphoristische Phrasen auf das Schicksal eines Kämpen hin. Diese Vielschichtigkeit bewahrt sich das Buch, ohne unleserlich zu werden; letztlich bleibt die Lesefreude und das Grübeln über das Geschehene die Hauptaufgabe des Lesers. Ebenso wie das Werk sprachlich ansprechend ist, die dramatis personae überzeugend skurril auftritt, beweist das Buch aber auch interpretatorischen Spielraum.
Die existenzialistische Idee, dass man das eigene Sein gerade in Grenzerfahrungen stärker wahrnimmt, wird ebenso beleuchtet, wie die Psychologie der Masse, die Günstlinge erwählt, nach Blut lechzt und irgendwann saturiert oder frustriert von dannen zieht.
Denn Meißners Hölzerne Arena hat ihren Zenit bereits überschritten, sie ist die letzte Bastion einer ausgehenden Ära von ehrenhaftem Kampf, wie der Arenabesitzer Gillet mehrfach betont. Diese paradoxe Perversität, dieses Ehrverständnis von Kampf auf Leben und Tod wird besonders deutlich, wenn man einen kleinen Kommentar mit einbezieht, der besagt, dass das Paradies der Schwerter in Tobias O. Meißners Roman Neverwake unter dem Titel Rakuen ein berühmter Bestseller wird. Neverwake handelt von einer Welt der Computerspiel-Ligen und von virtuellem (deswegen moralisch hochwertigerem?) Kampf.

Die Hölzerne Arena ist ein Auslaufmodell für die Welt von Neverwake, vielleicht eine dystopische Zukunftsvision für unsere Realität, vielleicht auch ein mahnender Zeigefinger oder einfach nur ein verdammt spannendes Buch über “Kampf, Zufall und das Gegenteil von Nichts”.

Stand: 07. Oktober 2012
Erscheinungsjahr: D 2004
Verlag: Eichborn Berlin
ISBN: 3-8218-0723-7
Seitenzahl: 362