Zyklus: Im Zeichen des Mammuts

Die dunkle Quelle von Tobias O. MeißnerRodraeg ist ein Stadtschreiber von Kuellen, seine abenteuerlustige Zeit hat er lange hinter sich. Doch dann taucht plötzlich Naenn bei ihm auf, eine Frau aus dem Volk der Schmetterlingsmenschen. Sie macht Rodraeg einen Vorschlag: Er soll Anführer einer Einsatztruppe werden, die für eine mysteriöse Vereinigung arbeitet, der das natürliche Gleichgewicht des Kontinents am Herzen liegt, das durch die zunehmende Industrialisierung und die rigorose Politik der Kaiserin bedroht ist. Rodraeg lässt sich überreden, richtet einen Stützpunkt ein und sucht nach geeigneten Mitstreitern. Und schon flattert der erste Auftrag ins Haus, in dem von einem verseuchten Fluß die Rede ist …

-Die Flaggen vor dem Zelteingang, gold und blau mit einer strahlenden Krone darauf, hingen schlaff im kalten Morgendunst. Der junge Hauptmann zögerte kurz, dann schlug er die Plane zur Seite.-
Prolog

Die dunkle Quelle überrascht von den ersten Seiten an  mit großartigen Ideen und einem formidablen Erzähltalent, und das, obwohl der Roman eine für Meißner-Verhältnisse eher konventionelle Geschichte bietet – die hartgesottene High-Fantasy-Leser dennoch erst einmal stutzig machen dürfte.
Fantasy ist fast immer ein “was wäre wenn”. Hier, in einer in weiten Teilen zivilisierten Welt, die kurz vor der Industrialisierung steht, stellt sich die Frage: Was wäre, wenn in einer vormodernen Epoche die Umweltzerstörung schon weitreichende und spürbare Folgen nach sich gezogen hätte? Wenn bereits dort jemand darauf aufmerksam geworden wäre und Maßnahmen ergriffen hätte? Eine Greenpeace-Einsatz-Truppe in einer Fantasy-Welt: das klingt zunächst nach Öko-Romantik inclusive Biolatschen und erhobenem Zeigefinger.

Tobias O. Meißner hat aus der verwegenen Idee eine mitreißende Geschichte gemacht, die durch unkonventionelle Details und den Öko-Ansatz ein wenig frischen Wind in den Fantasy-Einheitsbrei bringt, dabei aber dennoch stark auf vertraute Elemente setzt, wie man sie aus Rollenspielabenteuern oder Questengeschichten kennt.
Die Zwerge, Elfen und Orks sind zwar zu Hause geblieben und einer bunten Welt mit neuen Spezies gewichen, sowohl auf der Ebene der Handlungsträger als auch der Kulisse: Schmetterlingsmenschen, Bartendrachen, Bienenmagier – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Götterwelt, Geschichte und Flora und Fauna wurde zumindest vordergründig ein eigener Stempel aufgedrückt, häufig passend zu der ungewöhnlichen Grundidee des Romans.
Trotzdem findet man sich leicht in die traditionell erzählte Geschichte ein: Rodraeg, der als Hauptfigur stets der Mittelpunkt des Romans ist, führt souverän durch die Handlung und besticht vor allem als gelehrter Antiheld, der über seine besten Kämpfer-Jahre bereits hinaus ist und trotzdem, als er seine neue Aufgabe einmal angenommen hat, mit aller Kraft in den Kampf eilt – nur dass körperlicher Einsatz für ihn immer ein Notnagel ist – eine Einstellung, die innerhalb der Aktivisten-Szene nicht nur auf Gegenliebe stößt. Zur Sache geht es nach einer langen Einführungsphase aber trotzdem noch, und Die dunkle Quelle bekommt auch ein paar Actionszenen verpasst.
Zusätzlich fesselt Meißners schöne Sprache – sie ist klar und leicht zu lesen, aber dennoch ästhetisch, ohne in der einfachen Geschichte von der Auftragsabwicklung überkandidelt zu wirken.

Die übrigen Figuren sind bestechend sympathisch und menschlich nachvollziehbar und nehmen den Leser mit ihren liebevoll ausgearbeiteten Schrullen für sich ein, so dass es leicht fällt, sich auf ihre anfangs beschaulichen Abenteuer einzulassen. Freilich lässt sich nicht leugnen, dass der Roman nur ein sorgfältig aufgebauter Auftaktband zu einer groß angelegten Reihe ist – es geht vornehmlich um Zusammenstellung und Aufbau der Truppe, die sich Das Mammut nennt, und erst am Ende nach dem ersten Auftrag kann man ein wenig von der größeren Hintergrundgeschichte erahnen. Aber wenn schon der Einstiegsroman so viel Spaß an frischen Ideen und einen so großen Wohlfühlfaktor mit sich bringt, darf man gespannt sein, wie Meißner – dessen Romane niemals Wohlfühlgaranten sind – dieses Setting in weiteren Bänden genüsslich zerlegt und Rodraeg und seine Mannen in die Bredouille bringt.

Die letzten Worte des Wolfs von Tobias O. MeißnerKaum hat sich die Mammut-Gruppe um den ehemaligen Schreiber Rodraeg und die Schmetterlingsfrau Naenn von den Strapazen und Verletzungen des letzten Auftrags mehr oder minder erholt, flattert auch schon die nächste Botschaft von den geheimen Auftraggebern ins Haus – diesmal soll sich Rodraeg mit seinen Gefährten in die Küstenstadt Wandry aufmachen,  um die letzte Buckelwalherde zu schützen – die Tiere werden angeblich durch verbotene Magie zur Stadt (und Schlachtung) gelockt. Bevor an einen Aufbruch zu denken ist, muß aber erst einmal ein Ersatz für den im letzten Abenteuer verlorenen Mann her. Die anschließende Reise nach Wandry verläuft turbulenter als geplant.

-Es war um die Mitte des Wiesenmonds. Ein früher Abend.-
Prolog

Im zweiten Streich der Öko-Guerrillas vom Mammut geht es ans Eingemachte, umweltaktivistisch gesehen: Eine Walherde soll vor dem Abschlachten (durch profitgierige Walfänger) gerettet werden, und es gibt tatsächlich sogar eine Szene, in der die Helden sich todesmutig mit einem kleinen Boot zwischen die Meeresriesen und die Fangflotte stellen – da schlägt doch das Herz eines jeden Greenpeace-Fans höher! Man kann allerdings nicht genug betonen, daß Meißner es schafft, das Thema beinahe ganz ohne erhobenen Zeigefinger zu behandeln und es mit interessanten Kniffen aus dem Öko-Milieu bruchlos ins phantastische zu hieven. Vor allem durch den Charakter Rodraeg, der sich zunehmend an einer intakten Umwelt freuen kann, bleibt das Thema zwar im Vordergrund, doch stets ist es eine Abwandlung zu den uns real bekannten Umweltproblemen, weil ein starker Magiefaktor hineinspielt – und weil die Mammut-Abenteuer letztendlich doch nie so einfach gestrickt sind, wie sie anfangs aussehen.
Hinter der Walfangepisode steckt ein größerer Zusammenhang, und das Zerstören der Natur und das Ausrotten von Tierarten schlägt höhere Wellen als vermutet (eine Systemwirkung, die in einer Fantasy-Umgebung viel deutlicher spürbar zu vermitteln ist, als wir es von unseren vielleicht irgendwann richtig brisant werdenden Umweltproblemen kennen).

Allerdings, was die großen Zusammenhänge angeht, die Ziele der Auftraggeber und Gegner des Mammuts, die die einzelnen Episoden der Serie auch aneinanderketten, guckt man in diesem Band leider in die Röhre. Meißner geizt mit Informationen, die den gesamten Handlungsbogen betreffen – man ist diesbezüglich am Ende kaum schlauer als nach dem ersten Band und hat nach der Lektüre des zweiten vornehmlich ein hübsch ausgeführtes Abenteuer bestanden, ohne aber viel Weiterentwicklung in der Hintergrundgeschichte erfahren zu haben.
Vielleicht ist hier aber auch der Weg das Ziel, denn während man das Mammut auf die Walrettungsaktion begleitet, möchte man sich eigentlich nie über mangelnde Unterhaltung beschweren. Wie schon der erste Band glänzt das Abenteuer mit liebevoll beschriebenen Personen, denen man mit Vergnügen über die Schultern schaut, und einem schönen, leicht zu lesenden Stil, für Meißner-Verhältnisse ohne große Experimente. Von der ungewöhnlichen Thematik abgesehen, sind die Taten des Mammuts im Grunde weder sonderlich sensationell noch actionreich, aber so, wie sie erzählt sind, kann man locker die halbe Episode in einem Haps weglesen.
Am Anfang steht eine vergleichsweise lange Reisezeit zum Zielort – da läßt es Meißner sehr ruhig angehen und schwelgt in Besuchen von Gasthöfen, Beschreibungen, den Beziehungen der Figuren untereinander, was sich aber alles erstaunlich unterhaltsam liest. Durch die zeitlich eingeengte Auftragssituation – die Wale kommen relativ termingerecht nach Wandry – ist für eine gewisse durchgängige Dynamik gesorgt.

Aus vielen Elementen – nicht zuletzt der klaren Verteilung von verschiedenen Fähigkeiten bei den Mitgliedern der Mammut-Gruppe – sprechen deutliche Rollenspieleinflüsse, allerdings in einem erträglichen Ausmaß und auch verstärkt durch die Gliederung der Reihe in Einzelabenteuer. Weil pro Band ein kompletter Auftrag abgehandelt wird, bekommt man am Ende einen schönen Abschluß – die Rahmenhandlung und auch die detailverliebte Charakterentwicklung tragen den Leser weiter in den nächsten Band.
Wer detailfreudige, gemächliche und trotzdem warmherzige Fantasy mag, sollte sich von der ungewöhnlichen Thematik also nicht abschrecken lassen und ein Abenteuer mit Rodraeg und seinen Gefährten wagen – und nächstes Mal gibt es hoffentlich etwas mehr Futter für Spekulationen, was die alle Bände überspannende Gesamthandlung angeht …

Das vergessene Zepter von Tobias O. MeißnerWieder einmal ist der Mammutgruppe nicht viel Erholung vergönnt: Der nächste Auftrag läßt nicht auf sich warten. Diesmal soll das Mammut den bedrängten Riesen zur Seite stehen, die sich in den Gebirgszug Wildbart zurückgezogen haben und trotzdem ihrer Haare wegen gejagt werden. Entsprechend mißtrauisch sind die Riesen gegenüber Rodraeg und seinen Gefährten, aber schließlich werden diese dennoch für einen Auftrag auserwählt: Sie sollen den Fliegenstab, das vergessene Zepter des Riesenköngis, aus einer Höhle bergen. Obwohl Rodraeg noch immer von seiner Krankheit geplagt ist, brechen die Gefährten auf, um sich den tödlichen Gefahren und Rätseln der Höhle zu stellen. Und sie sind nicht die einzigen, die an der legendären magischen Waffe ein Interesse haben…

-Der Mann, der seinen Namen vergessen hatte, saß auf dem Steinboden und ließ aus seinen Handflächen Insekten wachsen.-
Prolog

Inzwischen ist es ja zur entspannenden Gewohnheit geworden: Bekommt das Mammut – wie in jedem vorausgegangenen Band der Reihe – einen neuen Auftrag, stürzen sich die Helden nicht Hals über Kopf ins Abenteuer, sondern nähern sich ihm langsam an, mit ausführlichen Reise- und Vorbereitungs-Szenen. Und auch in Das vergessene Zepter läßt sich Meißner wieder alle Zeit, um die Befindlichkeiten seiner Protagonisten zu erkunden. Die Haupthandlung scheint erst richtig loszugehen, wenn man schon ein Drittel der Seiten hinter sich gebracht hat. Dramatisch ist diese Betulichkeit allerdings nicht, denn Rodraeg und seine Mannen sind nach wie vor ein wahres Lesevergnügen, und der Autor erweist sich auch in Szenen des Kleinen und Alltäglichen als ausgesprochen guter Geschichtenerzähler. Zu Beginn gibt es genug Hinweise auf Vergangenes, so daß man nach einer längeren Lesepause problemlos einsteigen kann.

Alles beim Alten also – zum Glück, möchte man sagen, denn bisher gab es nicht viel zu meckern an den unterhaltsamen Abenteuern des Mammuts. Aber genauso gut leider, denn auch bei der reihenüberspannenden Hintergrundhandlung bleibt alles wie gewohnt vage. Sucht man nach größeren Zusammenhängen, ist die Informationsausbeute auch nach dem dritten Band mehr als dürftig. Womöglich läßt der Autor es im Gesamtkonzept ebenso ruhig angehen wie in jedem einzelnen Band, und immerhin ist die Reihe auf mehr als eine Handvoll Titel ausgelegt, doch im Augenblick liest sie sich eher wie eine Ansammlung durchaus spannender Einzelabenteuer und nicht wie ein großes Ganzes. Das mindert das Vergnügen ein wenig, denn Meißner hat durchaus Köder ausgelegt, auch solche, die man beim augenblicklichen Stand der Dinge noch nicht so recht einordnen kann. Aber es bleibt bei Andeutungen und Winzigkeiten – und das nach einer Seitenzahl, bei der in anderen Fantasy-Zyklen langsam schon das Ende in Sicht ist.

Für das Abenteuer, das im Rahmen von Das vergessene Zepter bewältigt wird, tut all das aber keinen Abbruch. Anders als bei den ersten beiden Bänden der Reihe schwenkt Meißner im Kontext der verworrenen Rätsel und Prüfungen der Höhle, in der die Mammut-Recken das Zepter suchen, auf einen teils sehr interessanten Stil um – da werden Teile als seitenlanger Bandwurmsatz erzählt, andere als in der Gegenwart parallel erlebte Träume. Die Abschnitte mäandern zwischen originell und überkandidelt, werden aber auf Leser, die Brüchen im gewöhnlichen Erzählfluß weniger abgewinnen können, mit Sicherheit etwas lang wirken.

Bei einem der Hauptcharaktere wird niemals lange verweilt, fast wie ein allwissender Erzähler schwenkt der Autor in schneller Folge von einem zum nächsten. Dennoch entwickeln sich die Charaktere und das Mammut als Ganzes im Gegensatz zur Haupthandlung prächtig weiter – daß es ihnen am Ende prächtig geht, wird dem Leser allerdings nicht vergönnt: Das Warten auf den nächsten Band ist mit einem ordentlichen Cliffhanger gewürzt.
Im Epilog erwartet einen dann ein weiterer kleiner Bruch mit dem Standard eigenständiger Fantasy-Welten: Offenbar kennt man in der Welt Rodraeg Delbanes und des Mammuts auch Das Zeitalter der Wandlung, die Roman-Reihe von Meißners Kollegen Markolf Hoffmann, was aber hauptsächlich den Eindruck erhöht, trotz des zumindest aus Lesersicht gelungenen Einzelabenteuers im großen Bogen der Reihe auf der Stelle zu treten und weitere Mysterien aufzuhäufen, statt einige zu lösen.

Cover des Buches "Brücke der brennenden Blumen" von Tobias O. MeißnerEin neuer Auftrag führt das Mammut in den bizarren Thost-Wald. Die heimische Kaninchenpopulation hat sich dramatisch reduziert und das ganze Ökosystem ist bedroht. Da Rodraeg noch immer mit dem Tod ringt, brechen Bestar und Eljazokad auf, um sich mit dem Verbindungsmann im Thost zu treffen. Dort angekommen müssen sie feststellen, dass eben jener Selbstmord begangen hat. Völlig auf sich allein gestellt betreten sie den Thost, um herauszufinden, was dort vor sich geht. Doch niemand hätte sie auf den Schrecken vorbereiten können …

-Rot barg der Schnee den schwarzen Wald.-
Prolog

Nach drei Teilen durchbricht der Meißner nun erstmals das gewohnte Schema des Questelösens und widmet sich mehr der vielfach angedeuteten Hintergrundhandlung. Anstatt diese jedoch langsam nach und nach aufzudecken, werden sowohl die Protagonisten als auch der Leser ins kalte Wasser geschubst.

Teil 4 beginnt wie gewohnt mit einem Auftrag, jedoch reisen nur zwei der vier Personen dieses Mal los. Die übliche Handlung, also das Reisen, Erkunden und Nachfragen, endet abrupt nach etwa einem Drittel des Buches und macht einer ziemlichen wirren “zweiten Reise” (ohne jetzt zu viel verraten zu wollen) Platz. Die erinnert am Anfang ziemlich arg an einen Drogentrip, zu fantastisch und effektheischend werden Schlag auf Schlag neue Orte aus dem Boden gestampft, ohne dass man diese in einen Kontext bringen könnte. Im Laufe der Zeit werden aber viele Andeutungen und Gegebenheiten aus den vorherigen Büchern wieder aufgenommen und mit neuen Aspekten versehen. Ein richtiges Gesamtbild erhält man freilich noch nicht, aber das Flickenmuster nimmt langsam Gestalt an.
Zwar erhält man einige Antworten und endlich mehr als eine Ahnung, wie die so lange nur angedeutete Hintergrundhandlung aussehen könnte, letztendlich werden jedoch mehr neue Fragen aufgeworfen als alte beantwortet. Das Ziel der nächsten Bücher bleibt also weiterhin, Licht ins Dunkel zu bringen, aber man hat jetzt wenigstens das sichere Gefühl, dass wirklich mehr in den Büchern steckt als ein reines Questelösen. Ein entsprechender Epilog, der wie jedes Mal scheinbar keinerlei Bezug zur bisherigen Handlung hat, macht das Warten auf den nächsten Teil auch nicht leichter.

Die Vergangenheit des Regens von Tobias O. MeissnerDas Mammut wurde stark dezimiert und steht eigentlich vor dem Aus, doch die Probleme auf dem Kontinent werden nicht kleiner. Deshalb macht sich die Gruppe um den ehemaligen Stadtschreiber Rodraeg Delbane nach Süden auf, um im Regenwald nach dem Rechten zu sehen. Dort fällt seit geraumer Zeit kein Regen mehr. Auf der Suche nach der Ursache stoßen Rodraeg und seine Gefährten auf andere Fraktionen, die ebenfalls an einer Aufklärung interessiert sind – u.a. die Einheimischen –, und auf eine Vielzahl an Gefahren. Mit einer großen Gruppe an teils fragwürdigen Verbündeten machen sie sich auf ins Innere des ausgetrockneten Waldes.

-Von Anfang an hatte Ogan »Schartbart« Broog kein gutes Gefühl bei der Sache gehabt. Aber es ist immer leichter, hinterher zu sagen: »Ich habe es doch geahnt«, als im Voraus, während die Dinge sich entfalten, im entscheidenden Augenblick eine andere Richtung einzuschlagen.-
Prolog

Das Mammut hat bereits Walfängern das Handwerk gelegt, Tierversuche verhindert und Haarhändler gestoppt – dass nun der Regenwald gerettet werden soll, ist eigentlich ein ganz logischer Schritt. Doch genauso, wie auch die bisherigen Ereignisse immer weiter von den Abenteuern einer Rollenspielgruppe auf dem Ökotrip weggeführt haben, bis nur noch das Gerüst dieser Ausgangssituation stehenblieb, während im Inneren eigentlich längst eine andere Geschichte erzählt wurde, spielt Logik gerade in diesem Band eine immer kleiner werdende Rolle.
Die Vergangenheit des Regens ist der (vorerst) letzte Band der ursprünglich doppelt so lang geplanten Reihe, und eine der spannenden Fragen im Vorfeld war, ob es auch ein Abschluss sein würde. Die kurze Antwort lautet: nein. Tobias O. Meißner hat die bisher im glazialen Tempo voranschreitende Hintergrundgeschichte nicht in einem großen Streich beendet und schon gar nicht dafür auf das Einzelabenteuer des sechsten Bandes verzichtet, wenngleich beides diesmal stärker verwoben ist als in den meisten anderen Bänden.

Mit Die Vergangenheit des Regens thematisiert Im Zeichen des Mammuts zunehmend die problematischen Aspekte einer auf dem ganzen Kontinent operierenden Gruppe von Aktivisten, vor allem der Umgang mit Einheimischen (die eine eigene Interpretation der Geschehnisse vertreten, aber häufig gar nicht über ein “wo geht’s lang” hinaus um ihre Meinung gebeten werden) und die Gewaltbereitschaft werden immer wieder hinterfragt. Meißner gelingt es damit, durchaus moderne Themen in seinen Roman einfließen zu lassen, auch wenn der Abenteueraspekt trotzdem im Vordergrund bleibt.
Das Dschungelabenteuer bietet auch alles, was man sich von einem solchen Setting erwartet – Riesenameisen, Spinnenmenschen, verborgene Ruinen –, und noch einiges mehr, denn Meißners Talent für atmosphärische Schauplätze und die Bedrohung durch ein verstörendes Übel, das ganz klassisch an der Welt nagt, aber alles andere als ein dunkler Herrscher ist, kann sich hier voll entfalten, genauso sein Händchen für gelungene Eigennamen.

Durch den hohen Verschleiß innerhalb der Mammuttruppe kommt immer wieder Bewegung in die Beziehungen der Mitglieder, allerdings gibt es nur wenig Kontinuität. In Die Vergangenheit des Regens trifft man jedoch viele alte Bekannte wieder, und die Figuren, die man schon lange begleitet, sind stark gereift und gealtert. Vor allem Rodraeg als moderner (Vor-)Denker sticht heraus, der mit all seinen Bedenken, seinem Abwägen und Zögern häufig die Handlungsfreiheit verliert. Er markiert einen Übergang, einen Aufbruch ins Denken, er wagt die Formulierung großer Theorien und Zusammenhänge und wendet sich ab von der reinen Hinnahme (von menschlicher und göttlicher Herrschaft) hin zu einer differenzierteren Sicht, auch wenn sich diese nicht unbedingt als praktikabel erweist. Diese tiefere Thematik von Glauben contra Vernunft ist von Ironie geprägt, wenn sich der ewige Zweifler Rodraeg schließlich sogar anhören muss, er würde einen guten Priester abgeben.
Mit diesen Erkenntnissen und einer neuen Sicht auf das Göttliche macht Die Vergangenheit des Regens einen großen Entwicklungssprung und liefert etwas Hintergrund für die Hauptgeschichte, womit sich sogar eine Meta-Ebene auftut, die AutorInnen (oder LeserInnen) anspricht, die jederzeit zu anderen, interessanteren Welten weiterwandern können.

Letztlich bleibt aber alles offen, was die Zukunft für Rodraegs Heimatwelt und jene andere, die man im Verlauf der sechs Bände kennenlernen durfte, bereithält. Die Vergangenheit des Regens ist in erster Linie einfach ein neuerliches Mammutabenteuer, und als solches geht es den Weg weiter, der weg vom rollenspielartigen Plot zunehmend ins Unkonventionelle führt und die Erwartungen umkehrt – nicht nur die der Figuren, die verzweifelt versuchen, den Sinn der Ereignisse zu ergründen, auch wenn sie dazu bizarre mentale Purzelbäume schlagen müssen. Da dieser Weg aber zumindest von Verlagsseite hier ein Ende hat, steht zu befürchten, dass es bei einem Versuch bleibt.