A Short History of Fantasy

A Short History of Fantasy von Farah Mendlesohn und Edward JamesFarah Mendlesohn und Edward James geben einen Überblick über die Entwicklung der Fantasy, arbeiten sich dabei von den Wurzeln und Anfängen des Genres durch die Jahrzehnte, wobei einige ausgewählte, prägende Autoren besonders herausgestellt werden.
Abgerundet wird das Ganze mit einer ausführlichen Chronologie, die auch Filme und Serien beinhaltet, und nicht nur Autoren, sondern auch Künstler und Herausgeber berücksichtigt.

-Fantasy and not realism has been a normal mode for much of Western fiction (and art).-
Chapter Two: From Myth to Magic

Wer Rezensionen gerne ultrakurz mag, dem kann bei A Short History of Fantasy mit einem Satz geholfen werden: Diese kompakte Abhandlung mit ihrem großartigen Apparat gehört ins Regal eines jeden Lesers, der sich einen Überblick über das Genre und seine Geschichte verschaffen will. Und erst recht auf den Schreibtisch eines jeden Feuilletonisten, der sich befleißigt fühlt, sich zu Tolkien, Potter und weiteren omnipräsenten Phänomenen des sonst eher mißachteten Genres zu äußern.

Der Einstieg in die Materie erfolgt über die Wurzeln der Fantasy bei Gilgamesch und Konsorten, frei nach dem Motto, die Menschheit habe eigentlich schon immer phantastisch erzählt, wobei sehr klar herausgearbeitet wird, daß eine Genredefinition (und damit die Legitimation, von Fantasy zu sprechen) erst sehr viel später erfolgt ist. Ab diesem Zeitpunkt ist jedem Jahrzehnt ein Kapitel gewidmet, wobei in der Mitte des 20. Jahrhunderts Tolkien und Lewis und zu Beginn des neuen Jahrtausends Pratchett, Rowling und Pullman als herausragende Phänomene eine Sonderstellung einnehmen – schon hier wird eine (natürlich nicht ganz ungerechtfertigte) Hervorhebung der britischen Fantasy auffällig.
Innerhalb dieser Kapitel erhält man einen anschaulichen Überblick über die Entstehung, Entwicklung und Diversifizierung des Genres, ausgehend von wichtigen Strömungen, Autoren und Einzelwerken. Die Auswahl ist  nachvollziehbar und zum Großteil ausgewogen und bildet alle wichtigen Einflüsse und Entwicklungen ab, etwa auch die für deutsche Leser vielleicht weniger präsente Wirkung der Pulp-Magazine und ihrer Herausgeber (für den deutschen Fantasy-Markt ließe sich natürlich eine eigene Geschichte schreiben, die naturgemäß im besprochenen Werk nicht abgebildet wird).

Es bleibt nicht aus, daß die Gewichtung einzelner Strömungen teils etwas subjektiv ausfällt. Kinderbücher und ihre Autoren sind zum Beispiel überproportional häufig vertreten, ihre Wirkung aufs Gesamtgenre bleibt indes etwas nebulös. Im Gegenzug kommen andere Bereiche, die Farah Mendlesohn und Edward James weniger liegen, vergleichsweise etwas kürzer – in den gegenwartsnäheren Abschnitten (in denen die Auswahl der genannten Werke womöglich subjektiver wird, weil sich noch keine “Klassiker” herausgebildet haben) wird diese Gewichtung stärker spürbar. So fällt die Ablehnung von ‘generic fiction’ auf, was dazu führt, daß dieser Bereich und seine Entwicklung nur in groben Zügen nachgezeichnet werden (was vor allem die epische Fantasy betrifft, ob sie nun generisch ist oder nicht). Ein weiterer Schwerpunkt liegt dagegen auf Urban Fantasy (alte Definition, nicht die romantik-lastige) und auf den skurrileren Spielarten der Fantasy. Auf Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem englischen Markt wird ausführlich eingegangen, britische Autoren und Werke sind aber eindeutig in der Überzahl.
Meistens gehen die Autoren mit ihren persönlichen Vorlieben allerdings sehr offen um und thematisieren deren Einfluss auf den Text (etwa im Hinblick auf Glaubensfragen und kirchenkritische Fantasy), so daß er zu einer berechenbaren Größe wird.

Begrifflichkeiten, Definitionen und Subgenres – ein immerwährendes Problem der Fantasy – tauchen bunt gemischt gemäß ihrer Entstehungszeit auf, durchsetzt von Mendlesohns eigenen, nicht immer ganz glücklichen Schöpfungen (siehe The Rhethorics of Fantasy, Mendlesohn 2008), aber ein Glossar schafft hier Klarheit.
Die ausführliche Literaturliste und die Chronik mit wichtigen Werken aus Literatur und Film, die insgesamt immerhin 40 Seiten stark ist, ist ohnehin eine gesonderte Erwähnung wert – für einen schnellen Überblick und durchaus auch als Inspiration für die eigene Leseliste ist dieser Teil von A Short History of Fantasy ein unersetzlicher Leitfaden. Zur Gegenwart hin steht die Auswahl natürlich auf einem weniger breiten Fundament.

Für den interessierten Leser, der sich in die Fantasy und ihre Facetten vertiefen möchte und der womöglich vorhat, noch einige bedeutende Werke des Genres zu lesen, ist es vielleicht interessant zu wissen, daß zu fast jedem der im Text angesprochenen Werke eine kompakte Inhaltsangabe gegeben wird – es besteht daher hier und da Spoilergefahr.

Aber auch wenn man über die Gewichtung einzelner Bereiche und das Fehlen des ein oder anderen Autors geteilter Meinung sein kann, tut das dem Wert von A Short History of Fantasy keinen Abbruch. Mission erfüllt – viel besser kann man das, was im Titel versprochen wird, kaum umsetzen, noch dazu liest sich das Buch sehr kurzweilig und schafft es mühelos, Klarheit und Ordnung in ein auf den ersten Blick überbordend und grenzenlos wirkendes Genre zu bringen, in dem es noch Vieles zu entdecken gibt. A Short History of Fantasy ist bei dieser Entdeckungsreise ein hervorragender Kompaß.

Stand: 17. Oktober 2012
Erscheinungsjahr: UK 2009
Verlag: Middlesex University Press
ISBN: 978-1-904-75068-0
Seitenzahl: 285