Als Großmeisterin Silena, eine Nachfahrin des Heiligen Georg und Kämpferin beim Officium Draconis – der Drachenjägersparte der Kirche – ihre beiden Brüder durch einen mutmaßlichen Angriff von Drachen verliert, ist das erst der Anfang. Seltsame Dinge gehen vor in München und Berlin, Hellseher und andere Spiritualisten haben schreckliche Visionen. Die Altvorderen Drachen tragen Machtkämpfe aus, und neben Silena werden noch andere Menschen in die Sache gezogen, bei der es bald um die Jagd nach mächtigen Artefakten des Drachenkampfes geht. Zusammen mit dem russischen Fürsten Grigorji und dem Medium Madame Sátra – zwei wenig vertrauenswürdigen Verbündeten – nimmt Silena den Kampf gegen die grausamen Ungeheuer auf.
-„Wann der Herr wohl wieder zurückkehrt?“ Xing streifte die Oberfläche der Daunendecke glatt, die sie aufgeschüttelt hatte, und blickte nachdenklich aus dem Fenster.-
1. Januar 1925, Korumdie Gebiet, Zarenreich Russland,
An der Grenze zu China
2006, als Markus Heitz nach seiner episch angelegten Ulldart-Saga, den leicht tolkienesk angehauchten Zwergen samt Nachfolgern und den auf den Spuren von Pakt der Wölfe wandelnden Ritus mit Die Mächte des Feuers an den Start ging, war Steampunk noch nicht in aller Munde. Nur so kann man sich das Nachwort erklären, das man auch als Verteidigungsschrift für das Setting mitten im Glamour und der sich entwickelnden Technik der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts lesen kann. Nicht, dass es das gebraucht hätte: Der Reiz dieser ungewöhnlichen Drachengeschichte liegt gerade darin, dass hier auch Doppeldecker über den Fantasy-Himmel brummen dürfen und man in ein alternatives Europa eintauchen kann, in dem Drachen ihren Einfluss genommen haben. Oder genommen haben sollen, doch dazu später mehr. Markus Heitz kennt sich gut aus mit der Zeit, die er beschreibt, da ist es fast schade, dass er sich oft auf Name-Dropping beschränkt und den zeitlichen Kolorit auf weiter Strecke auch sprachlich nicht vermitteln kann. Nur selten hebt sich das Ambiente von der modernen oder einer beliebigen anderen Fantasy-Welt ab. Das Potential des Settings ist damit verschenkt, denn die wenigen wirklich atmosphärischen Szenen – wie etwa der Prolog des Romans – machen Lust auf mehr. Ansonsten ist man gut beraten, sich vielleicht doch lieber nochmals Sky Captain anzusehen, wenn man das Flair der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erleben will.
Die Weltgeschichte mit Drachen und einem eigenen Kirchenamt für Drachenfragen (das aus den Drachenheiligen hervorgegangen ist) neu zu schreiben, ist ein schöner Ansatz, allerdings scheint sich trotz der ausdrücklich massiven Einflüsse der Drachen geschichtlich nicht allzu viel geändert zu haben, und die kulturgeschichtlichen Einflüsse sind gering und wirken manchmal sehr bemüht (ein beispielhaftes Detail: ein Flugzeug mit ausfahrbarer Lanze, um Drachen damit aufzuspießen, hat die Typenbezeichnung “Lanzelot”). Obwohl die Kirche eine große Rolle spielt, bleiben religiöse Hintergründe äußerst vage. Auch wenn Die Mächte des Feuers auf unserer Welt spielt, hätte mehr Weltschöpfung dem Roman gutgetan, gerade im Bezug auf das Konzept der Drachen.
Eine große Figurenanzahl bringt dem Leser die Handlung näher, und die meisten davon geben nach außen hin ein buntes und interessantes Bild ab, wirken aber insgesamt hölzern. Charakterliche Kehrtwendungen wie die des russischen Fürsten Zadornov, der sich anfangs in der Tat gibt wie der angebliche Sprößling von Rasputin, der er sein soll, kommen mit der Brechstange. Die Protagonistin Silena dagegen ist als Identifikationsfigur für jedermann konzipiert und bleibt charakterlich farblos, darf aber dafür die Phantasie mit Gedanken über ihre Unterwäsche anregen. Subtiler wird es auch nicht, wenn es um die Überraschungen geht, die die ein oder andere Figur bereithält.
Anfangs fällt das allerdings kaum ins Gewicht – die Geschichte beginnt spannend mit vielen mysteriösen Vorkommnissen und wird auf vielen Ebenen eröffnet, so dass man sich ein vielschichtiges Szenario erhofft. Doch die Fraktionen und Inhalte, die aufgefahren werden, nehmen kein Ende, die Logik verabschiedet sich irgendwann zwischen Schauplatzwechseln und Kämpfen zwischen Mensch und Drache und Mensch und Mensch, und irgendwann löst sich alles in eine etwas wirre Schwarz-Weiß-Malerei auf, was so verheißungsvoll begonnen hat.
Ein unverzichtbares Novum für Drachenliebhaber ist Die Mächte des Feuers also nicht – und auch der alternative Weltentwurf ist kein allzu farbenprächtiges Ideenfeuerwerk.