Autor: Wooding@Chris

Das Cover von Alaizabel Cray von Chris WoodingDer junge Thaniel Fox ist Hexenjäger, einer der gefährlichsten und anerkanntesten Berufe in ganz London, das seit einer Bombadierung durch Luftschiffe von sogenannten Hexlingen überannt wird – Kreaturen, die aus Mythen und Märchen zu stammen scheinen. Als Thaniel eines dieser gefährlichen Wesen zur Strecke bringen soll, findet er stattdessen ein junges Mädchen ohne Erinnerung, eine Verrückte vielleicht. Doch als Bruchstücke der Erinnerung von Alaizabel zurückkehren, wird klar, daß sie in eine große Bedrohung für ganz London verwickelt ist. Thaniel versucht dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, während sich Alaizabel in ständiger Gefahr befindet: Hexlinge werden von ihr angezogen wie Motten vom Licht.

-Bedrohlich tief kam das Luftschiff daher. Sein langer Bauch schimmerte, vom Licht der Gaslaternen unter ihm getroffen, silbern durch den Nebel.-
1 Verfolgungsjagd/Thaniel erlebt eine böse Überraschung/Erste Eindrücke

Luftschiffe, Hexenjäger und Serienmörder – Alaizabel Cray (The Haunting of Alaizabel Cray) verspricht einen abenteuerlichen Steampunk-Spaß, der sich aber gleich von der ersten Seite an als sprachlicher Rohrkrepierer erweist. Offenbar stand der Roman unter der Prämisse, sich mit hölzernem und effektheischendem Ausdruck an möglichst junge Leser anzubiedern, obwohl er thematisch am ehesten für ältere Jugendliche gedacht ist, die möglicherweise nicht mehr in jedem dritten Satz ein Ausrufezeichen brauchen, um sich gut und spannend unterhalten zu fühlen. Die Holzhammersprache bleibt leider auf der ganzen Länge des Romans erhalten, wirkt in actionreichen oder auch besonders leisen Szenen eher noch unpassender und verdirbt das ansonsten größtenteils doch sehr gelungene Ambiente.

Würden Sprache und Inhalt ein bißchen besser Hand in Hand gehen, so hätte Alaizabel Cray einiges zu bieten: ein nebliges London bei Gaslicht, in dessen Gassen neben Mördern und Wölfen auch mythische Wesen wie Gnome, Werwölfe und Dämonen ihr Unwesen treiben und in dem sich in den Nächten nur die Furchtlosen auf die Straßen wagen – oder diejenigen, die müssen, weil sie bei der industriellen Revolution auf der Verliererseite standen.
Diese düstere Atmosphäre hat Wooding im Prinzip sehr gut eingefangen und  gekonnt mit den phantastischen Elementen verknüpft – besonders gelungen sind ihm beispielsweise die zur Industrialisierungszeit passenden magischen Prozeduren wie die Arbeit mit diversen Reagenzien und magischen Zeichen, aber auch die Namensgebung der auftretenden Figuren zeugt eigentlich von einem guten Gefühl für das Setting.

Bei der Ausarbeitung der Charaktere hatte diese Sorgfalt allerdings auch schon wieder ein Ende – sie bestechen eher durch Coolness als durch Charme und haben eine starke Tendenz zu comicartigen, aufgeblasenen Superhelden, deren Beweggründe und Persönlichkeiten niemals übers Schablonenartige hinauskommen. Schade drum, denn die Geschichte an sich glänzt mit einer guten Balance zwischen Action und Ruhe und Wooding ist kein schlechter Erzähler. Er verbindet geschickt das kriminalistische Miträtseln an einer Verschwörungsgeschichte und einem Serienmord mit der langsamen Aufdeckung des Hauptplots – auch wenn es keine sensationellen Wendungen und Überraschungen gibt und die Bösewichte letzten Endes ziemlich ausgelutschte Nummern sind. Ein wenig Gruseln und Fingernägelkauen wären aber auf jeden Fall drin gewesen, nur schafft es der Autor nicht, den Leser ganz in die Welt zu ziehen oder mit seinen Charakteren mitfiebern zu lassen.
(rezensiert von: mistkaeferl)

Welt aus Stein von Chris WoodingOrna, Elitekämpferin und Attentäterin des Magnaten Ledo, wird in einer tragisch gescheiterten Schlacht von den verfeindeten Eskaranern gefangengenommen und in das berüchtigte, ausbruchsichere Gefängnis Farakza gebracht. Ihre trostlose Situation wird nicht nur von ihren Mitgefangenen durchbrochen, zu denen sie langsam Beziehungen aufbaut, sondern vor allem dadurch, daß sie an Informationen über den fortwährenden Krieg gelangt, die nicht nur ihre Sichtweise umwerfen, sondern ihr offenbaren, in welcher Gefahr ihr ebenfalls als junger Soldat kämpfender Sohn schwebt. Sie entschließt sich zu einem riskanten Gefängnisausbruch …

-Unter meinem Fuß bricht sein Knie zur Seite weg, aber ehe er den Schmerz spürt, habe ich ihn beim Kopf gepackt und ihm das Genick gebrochen.-
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Es gibt Geschichten, die glänzen vor allem an der Oberfläche, wo sie Spannung und Schauwerte bieten, und solche, die eher subtil durch ihre Themen und Strukturen überzeugen. Am besten wird es immer dann, wenn beides zusammenkommt, und das passiert in Welt aus Stein (The Fade).
Wobei Schauwerte an der Oberfläche hier nicht ganz zutreffend sind, denn in Chris Woodings kompaktem Fantasy-Drama steigt man in die Tiefe eines gewaltigen Höhlensytems hinab, eine bunte und imaginative unterirdische Welt, die mit den üblichen Zwergentunneln und Drachenhöhlen der Fantasy nicht viel gemein hat und ökologisch und kulturell weit ausgearbeitet ist: Während die Sonnen der Welt Callespa ein Leben an der Oberfläche unmöglich machen, haben sich unter der Erde Flora und Fauna, eigene Jahreszeiten und vor allem verschiedene Zivilisationen entwickelt – zu modernen Nationen, die sozial und kulturell etwa im Zeitalter des Imperialismus angelangt sind: Drogenhöhlen und Tanzclubs für die Adligen stehen neben Schlachten, die mit Schwert und Dolch ausgetragen werden, Intrigen schmiedet man in seltsamen Höhlengärten oder Palästen, die in die Stämme gigantischer Pilze geschnitzt wurden. Zwei Nationen – eine mit einem rigiden Kastensystem und viel Platz für Laster und Korruption, die andere mit Sklavenhaltung und einem gelehrten, religiös-künstlerischen Ideal – halten sich für die jeweils überlegene Kultur und sind in einen ewigen Krieg verstrickt.

Mitten darin – im Krieg und der Kastengesellschaft – befindet sich die Heldin, eine drahtige kleine Elitekämpferin, die sich das Prädikat ‘tough’ ausnahmsweise wirklich verdient hat. Diese derbe Ich-Erzählerin steckt jede aktuelle Kick-ass-Lady in die Tasche, denn sie bringt zusätzlich zur kämpferischen Qualifikation auch noch die richtige Geisteshaltung für ihren Job mit. Als Killermaschine, Mutter und Liebhaberin läßt sie sich von ihrem miesen Temperament und ihren Vorurteilen in so manche verfahrene Situation treiben.
Während Orna in der Erzählgegenwart im Gefängnis sitzt und aufgrund ihrer Situation gewollt verzweifelt, wird gleichzeitig ihre Vergangenheit aufgerollt. Chris Wooding hat damit eine psychologisch fein ausgearbeitete Heldin geschaffen, deren Verletzungen und Brüche sich nach und nach offenbaren – auch in ihrer fatalen Wirkung auf die Gegenwartshandlung. Konflikte zwischen Mutter und Sohn, Mann und Frau, und in Zweckgemeinschaften, aus denen sich Freundschaft entwickelt, zeichnen Orna in ihrer ganzen, aufrichtigen Widersprüchlichkeit und Selbstbezogenheit, die sie ihre eigene Situation im perfiden Verpflichtungssystem ihrer Gesellschaft nicht zur Gänze erkennen läßt, so daß sie ihren Haß nach außen projiziert und zum Instrument des ewigen Krieges wird.

In Welt aus Stein steckt daher eine Menge Gesellschaftskritik, die auch in der Weltschöpfung immer wieder aufblitzt: die High Society der mondänen, etwas heruntergekommenen Höhlenwelt ergeht sich in Mode-Sperenzchen und ist von gewöhnlichen Lebensproblemen völlig unbeleckt, aber Orna begegnet auch Freiheitskämpfern mit erschreckend wenig Ahnung vom echten Leben, und am anderen Ende der Skala einem schäbigen Giftmischer, der Frau und Kind ernähren muß, und noch größeren Verlierern einer Gesellschaft, die fast nur Verlierer produziert. Wem nicht bereits das an New Weird gemahnende Edward-Miller-Cover aufgefallen ist, der fühlt sich wahrscheinlich spätestens jetzt an China Miéville erinnert, und in diesem Kontext kann man Welt aus Stein durchaus einordnen. Das trifft auch auf die Sprache zu, denn da eignet sich der Roman eher für die Furchtlosen: Es wird ganz angepaßt an die Hauptfigur und ihre Gesellschaft ‘gefickt’ und geflucht, bis die Balken krachen, und wer davor noch nicht zurückschreckt, sollte sich darauf einstellen, daß weite Teile der Handlung im eher ungewöhnlichen Präsens erzählt werden. Im besten Fall verleiht das dem Text eine gewisse (der Action oft angemessene) Atemlosigkeit, aber leider wirkt es auch schnell künstlich und überkandidelt, was dem Autor, der hier Form über Gefälligkeit stellt, des öfteren passiert.
Denn die Präsens-Erzählung und die gleichzeitig eigenwillige Kapitelanordnung (los geht es mit Kapitel 30, Erzählgegenwart im Präsens und abwechselnde Aufarbeitung der Vorgeschichte im Präteritum werden dann jeweils abwärts und aufwärts gezählt) ist nicht nur eine innovative Spielerei, sondern klärt durch die Aufdeckung der Vergangenheit der Heldin über ihr Handeln in der Gegenwart und die tieferen Zusammenhänge auf und wirft immer wieder neues Licht auf ihre Entscheidungen, wie bei einem Mosaik, dessen Bild immer klarer wird, bis man nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte.

Bis man von diesen feineren Themen und der geschickten Konstruktion, die eine große Sogwirkung entfaltet, ganz eingefangen ist, serviert Chris Wooding mit seiner im Gefängnis schmachtenden Heldin aber auch astreine Action und Spannung – ein turbulenter Gefängnisausbruch sorgt für Herzklopfen, und dann ist man auch schon mittendrin in dieser Geschichte von Rache und Mißverständnis, in einem tradierten Krieg, bei dem sich immer mehr die Frage stellt, wer eigentlich davon profitiert, und in der von diesem Strudel gefangenen, zerrissenen Heldin, die ihren eigenen Feldzug führt und dabei so viel zertrampelt, daß man der Geschichte eine gewisse Düsternis nicht absprechen kann, hin und wieder durchbrochen vom sardonischen Humor Ornas.
Ihre faszinierende Anti-Heldenreise durch verschiedene Milieus und Kulturen, ihre in mehrfacher Hinsicht finstere Höhlenwelt, in der sich doch hin und wieder ein glitzerndes Geheimnis findet, und ihre innere Werdung und Wandlung sind definitiv einen Blick wert, vor allem für entdeckungs- und experimentierfreudige Leser.