Nach ihrer Niederlage sind die Agenten des Wespenimperiums nur umso entschlossener, die verstreuten Stadtstaaten zu erobern, die ihnen so dreist Paroli geboten haben. Während eine große Wespenarmee die Ameisenstadt Tark mit neuartigen Waffen angreift, wird der Geheimdienstler Thalric damit beauftragt, gegen die Wissenschaftler von Collegium und Stenwold Maker vorzugehen, der für ihr Scheitern verantwortlich war. Überall stehen die Zeichen auf Krieg, und Stenwolds junge Mitstreiter versuchen verzweifelt, neue Verbündete zu gewinnen oder wenigstens die Städte zu einem gemeinsamen Kampf zu vereinen. Doch das gestaltet sich so schwierig, als würde man verschiedene Insektenstaaten zur Zusammenarbeit bewegen wollen.
-The morning was joyless for him, as mornings always were.-
One
Während im Auftaktband von Shadows of the Apt noch Taktieren und Sondieren die Mittel der Wahl waren, ist man nun bei handfester militärischer Action angelangt – in den Stadtstaaten der Tieflande herrscht Krieg. Dragonfly Falling (Die geflügelte Armee, Schwarzer Glanz) ist damit vor allem ein Buch der Schlachten und Belagerungen, und dabei spielen die Mechanik-Elemente der Reihe – Steampunk möchte man es eigentlich nicht mehr nennen – eine zentrale Rolle. Der thematische Fokus liegt unter anderem auf der Militärtechnik und den moralischen Fragen, die sie für die beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure aufwirft, und so viel kann man schon vorweg verraten: Sie kommen zu unterschiedlichen Antworten.
Nicht nur dadurch, sondern auch durch die nationalistisch auftretende Wespenarmee fühlt man sich noch mehr als in Empire in Black and Gold (Invasion des Feuers, Der gepanzerte Spion) an die Zeit des Ersten Weltkriegs erinnert. Der Ausgang der Auseinandersetzungen wird stark von den Massen, die die jeweilige Partei zu opfern bereit ist, und von neuen (noch zu testenden) Entwicklungen bestimmt.
Doch es wäre nicht Adrian Tchaikovsky mit seinen klassischen Plotstrukturen und Spannungsbögen, wenn nicht auch der Einzelne das Ruder herumreißen könnte: Wieder erinnert der Roman an einen Abenteuerreigen im Stil von Star Wars und Konsorten, denn von der dramatischen Wendung über die Rettung in letzter Sekunde bis hin zum vermeintlichen Todesfall werden sämtliche Register gezogen. Überraschungen und sich lang anbahnende Paukenschläge gibt es auf den prall gefüllten 670 Seiten nicht zu knapp.
Daß man bei den umfangreichen Kriegswirren nicht den Überblick und das Interesse verliert, ist dem Talent des Autors zu verdanken, den einzelnen Kämpfen einen ganz eigenen Charakter zu verleihen, abhängig vom Austragungsort und den Beteiligten. Die disziplinierten Schlachten der Ameisen-Stadtstaaten sind etwas völlig anderes als die chaotischen, verzweifelten und experimentell-tollkühnen Verteidigungsmaßnahmen, die sich die Gelehrten von Collegium einfallen lassen, als die Wespen vor der Tür stehen. Eine lockere Angelegenheit wird der Krieg allerdings zu keinem Zeitpunkt, und hier unterschiedet sich Adrian Tchaikovsky dann doch von seinen unbekümmerteren Vorbildern.
Eine weitere Spezialität des Autors sind ähnlich großartige Einzelszenen, wie sie auch schon im Vorgängerband auftauchten, die ein Gegengewicht zur trostlosen Kriegsrealität schaffen. Manchmal sitzt man mit offenem Mund staunend vor dem Buch, wenn sich die Ausmaße eines Ereignisses in geschickt angelegten Doppelszenen offenbaren oder eine Prise umsichtig aufgebauter Heldenpathos zum Mitfiebern einlädt.
Diese Einzelszenen überzeugen nicht zuletzt dank der großartigen Charakterriege, deren gemächliche Einführung im Vorgängerband hier Früchte trägt, und Tchaikovsky pfeift dabei wieder auf gefestigte Erzählkonventionen, wechselt munter Perspektiven und erzählt, wie die Geschichte es verlangt.
Die große Zahl an Figuren, aus deren Sicht berichtet wird, hilft, die starren Völkerstereotypen aufzubrechen, die natürlich auch die Faszination der Welt ausmachen. Die Unterschiede zwischen den traditionellen und progressiven Völkern (und Figuren) treten in diesem Band besonders hervor, und man lernt die Mantiden und die faszinierenden Ameisen (von denen es sogar mehrere Arten mit unterschiedlicher Denkweise gibt) näher kennen. Doch im Individuum, vor allem auch den gut portraitierten Gegenspielern, sieht es wieder ganz anders aus, und erst dadurch entsteht die plastische Welt, mit der Tchaikovsky glänzt.
Wie im Einzelnen die Motivation für die teils doch recht extremen Handlungen entsteht, wirkt allerdings manchmal schwammig und gewollt – darüber sollte man lieber nicht allzu intensiv nachdenken, wobei die Flut der Ereignisse ungemein hilfreich ist.
Dragonfly Falling ist ein dicker Schmöker, der viele Themen abgrast und dabei durchaus unter die Oberfläche geht – nebst Wissenschaftsethik spielen der Wechsel von Flucht vor und Übernahme von Verantwortung, nationalistische Auswüchse und das automatische Aufkommen von internen Machtquerelen innerhalb von größeren Staatsgebilden eine große Rolle.
Allerdings leidet der Roman auch am The-Empire-Strikes-Back-Syndrom (in jeglicher Hinsicht 😉 ), ist ein eindeutiges Mittelstück ohne Abschluß und ohne richtigen Handlungsbogen, das allerdings schon geschickt die Bühne für größere Ereignisse im weiterhin eher im Hintergrund schwelenden Paradigmenwechsel zwischen Magie und Technik bereitet.