Subgenre: Steampunk

Cover des Buches Aether von Ian R. MacLeodEngland – Die Industrialisierung hat einen Höhepunkt erreicht. Die Fabriken arbeiten auf Hochtouren, vor allen Dingen um ein besonderes Produkt herzustellen: Aether. Ohne Aether würde nichts in England funktionieren. Aether hat England mächtig gemacht – und reich, vor allen Dingen einige Gilden, die eine Art Standesvertretung der verschiedenen Berufszweige sind, und deren führende Mitglieder, die Großmeister. Der junge Robert Borrows soll in einer der Aetherfabriken in der nordenglischen Provinz Werkzeugmacher werden, doch als seine Mutter unter grauenvollen Umständen stirbt, entschließt er sich, nach London zu gehen. Dort schließt er sich einer revolutionären Gruppe an und verliebt sich in ein Mädchen, das zu einer der mächtigsten Familien Englands gehört.

-Ich sehe sie immer noch. Ich sehe sie im ärmsten Teil von London. Jenseits der neuen Eisenbrücken, auf denen die Straßenbahnen über die Fähren hinweggleiten – dort, wo die Themse sich vielarmig im Schlick der Gezeitenzone ausbreitet.-
Teil 1 Großmeister

Aether (The Light Ages) ist ein Entwicklungsroman, der vom gesellschaftlichen Aufstieg eines Opportunisten erzählt, er erzählt aber auch von einer Liebe und von einer großen Lüge. Ian R. MacLeod übt Gesellschaftskritik und er vermittelt dem Leser das Gefühl, eine perfekte Beschreibung der englischen Klassengesellschaft im 19. Jahrhundert zu erhalten. Nur – der Roman spielt nicht im 19. Jahrhundert, sondern am Ende des Dritten Industriellen Zeitalters. Die Arbeiter schuften nicht in Bergwerken und Baumwollwebereien, sondern in Aetherfabriken. Nicht Adlige und Industriebarone haben die Macht, sondern die Großmeister der bedeutendsten Gilden und es gibt Klassenkämpfer, Sozialrevolutionäre, die das System stürzen wollen, auch wenn sie nicht Marx und Engels heißen. Ian R. MacLeod erschafft eine Welt, die dem Leser vertraut ist, weil sie zur europäischen Geschichte gehören zu scheint, andererseits ist sie faszinierend fremdartig. Der Aether hält zwar Maschinen zusammen, die ohne ihn auseinanderfallen würden, aber er birgt auch Gefahren. Mit Aether kann man aus Tieren Monster machen und es gibt Menschen, die nach Unfällen zu furchtbar entstellten Wesen wurden, leidende Kreaturen, die in besonderen Anstalten verwahrt werden müssen. Trotzdem schildert MacLeod keine Horrorszenarien, er legt es nicht darauf an, beim Leser Schockeffekte hervorzurufen, er beschreibt die Wirklichkeit des Dritten Industriellen Zeitalters auf eine selbstverständliche, unspektakuläre Weise und erschafft damit eine ganz besondere Atmosphäre und das obwohl die Menschen in Aether genauso sind, wie sie schon immer waren: Machtgierig, voller Ideale, desillusioniert, verliebt, aufopferungsvoll, egoistisch, widersprüchlich – kurz gesagt: menschlich.

Blameless von Gail CarrigerVon ihrem Ehemann verschmäht, ihres Postens als Mujah enthoben und von Vampirattentätern verfolgt, begibt sich Lady Maccon auf die Suche nach Antworten in Bezug auf ihren seelenlosen und ausgesprochen schwangeren Zustand. Zusammen mit Madame Lefoux und ihrem Diener Floote reist sie nach Italien, wo vermutlich die größten aller Schrecken auf sie warten: Kaffee und Pesto!

– An image of her husband’s face momentarily broke her resolve. That look in his eyes the last time they saw each other – so betrayed. But what he believed of her, the fact that he doubted her in such a way, was inexcusable. How dare he leave her remembering some lost-puppy look simply to toy with her sympathies! –
Kapitel 1, S. 6

In Blameless (Entflammte Nacht) rückt der bisher vorhandene romantische Aspekt der Buchreihe deutlich in den Hintergrund. Wer sich die letzten Ereignisse aus Changeless (Brennende Finsternis) in Erinnerung ruft, wird darüber nicht allzu verwundert sein. Mit gewohnt bissigem Wortwitz und schrulligen wissenschaftlichen Erfindungen wie mechanischen und ausgesprochen mörderischen Marienkäfern, hebt sich Gail Carriger mit Blameless einmal mehr von der Romantasy-Welle ab und präsentiert ihren Lesern eine turbulente Abenteuergeschichte. Die Autorin greift außerdem einen Handlungsstrang auf, der in den ersten Bänden nur angedeutet bzw. als vollendete Tatsache präsentiert wurde.

Sehr sympathisch ist es, wie Gail Carriger ihre alternative Realität mit vertrauten Dingen bestückt und diese gleichzeitig in ein neues Licht setzt. So wird Pesto beispielsweise vollkommen zu Unrecht für eine leckere Speise gehalten, denn eigentlich handelt es sich hierbei, aufgrund der strategisch gut gewählten Zutaten, um eine effektive Waffe, sowohl gegen Werwölfe als auch gegen Vampire. Nicht verwunderlich also, dass Pesto sich trotz seiner zusätzlich schmackhaften Eigenschaften im von Vampiren und Werwölfen bevölkerten England keiner besonders großen Beliebtheit erfreut.
Man merkt Blameless zudem deutlicher an als den Vorgängern, dass die Autorin Archäologin ist und gerne in der Geschichte gräbt. So werden auch verschiedene bekannte Artefakte und geschichtliche Entdeckungen einer neuen Bedeutung zugeführt, die sich wunderbar in das Bild dieser multikulturellen Gesellschaft einfügt.

Wer sich auf Lord Maccon freut, wird in Blameless auf die Folter gespannt. Der grantige Werwolf hat leider nur wenige Auftritte, dafür sind diese aber kaum zu überbieten und sorgen für Lachanfälle vom Feinsten.
Fans der schrägen Hutmode dagegen wird es freuen zu hören, dass Miss Ivy Hisselpenny eine besonders delikate Aufgabe zuteil wird, die einen zunächst die Hände über dem Kopf zusammen schlagen und das Armageddon für die Modewelt befürchten lässt.

Alles in allem verliert der dritte Band aus der Reihe The Parasol Protectorate nichts von seinem Witz oder Charme und ist genauso lesenswert wie seine Vorgänger. Durch die neue Rahmenhandlung, die erst zum Schluss hin deutlich wird, gewinnt der Roman jedoch zusätzlich an Spannung. Während Soulless (Glühende Dunkelheit) in sich abgeschlossen ist und durchaus für sich allein stehen bleiben kann und auch Changeless lediglich ein weiterer Roman innerhalb der selben Welt mit den selben Protagonisten ist, lässt Blameless nun klar werden, dass es um eine größere Hintergrundgeschichte geht, welche den Ursprung aller Außer- und Übernatürlichen aufzudecken beginnt und in Heartless (Feurige Schatten) eine Fortsetzung findet. Der Leser begibt sich also nun auf Spurensuche und fühlt sich dabei ein wenig wie Indiana Jones auf der Jagd. Das Buch schließt diesmal ohne großen Cliffhanger ab, lässt aber viel Raum, um neugierig auf den vierten Band zu machen.

Brennende Finsternis von Gail CarrigerLady Alexia Maccon findet das heimatliche Anwesen unerfreulicherweise ohne Ehemann vor. Während dieser sich ebenso ohne Vorankündigung nach Schottland begeben hat, haust im Vorgarten ein ansehnliches Rudel Werwölfe, das auf Alexias Gartengestaltung wenig Rücksicht nimmt. Als sich eine Art Krankheit, die aus den Übernatürlichen wieder Sterbliche macht,  in Conell Maccons Richtung bewegt, begibt sich Alexia kurzentschlossen selbst auf den Weg nach Schottland. Gewisse Ereignisse verlangen jedoch, dass sie dabei von der Erfinderin Madame Lefou, ihrer Freundin Ivy Hisselpenny und sogar ihrer Schwester begleitet wird – ein chaotisches Gespann mit Lachgarantie.

– Lord Conall Maccon, der Earl of Woolsey, brüllte. Laut. –
Alexia ärgert sich über Zelte und Ivy hat etwas bekannt zu geben, S. 7

Zu Brennende Finsternis liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Carniepunk von Rachel Caine, Delilah S. Dawson, Jennifer Estep, Kelly Gay, Kevin Hearne, Mark Henry, Hillary Jacques, Jackie Kessler, Seanen McGuire, Kelly Meding, Allison Pang, Nicole D. Peeler, Rob Thurman, Jaye WellsVierzehn Kurzgeschichten ziehen in dieser Anthologie LeserInnen in die oft schaurige, pervertierte oder einfach nur surreale Welt des Zirkus.
Vierzehn Geschichten, vierzehn AutorInnen – und alle betreten den Zirkus auf ganz unterschiedliche Weise. Was alle gemein haben, ist die Verbindung zum Grauen oder zu Dämonen, die auf der Jagd nach Seelen sind …
Kommt zahlreich, mutige Abenteurer, die Manege ruft!

– It took me two days to die. On the first night, I met Madame Laida, and on the second night, I met the Cold Girl.
And this is how it happened. –
The Cold Girl, Rachel Caine, S. 153

Kurzgeschichten haben es in der Verlagswelt schwer, wahrgenommen zu werden, dabei bieten sie eine hervorragende Möglichkeit, Leser auf neue Autoren oder Serien aufmerksam zu machen, die ihrem Radar bisher womöglich entgangen sind. In Carniepunk haben sich vierzehn verschiedene Autoren zusammengefunden und unter dem Oberthema “Zirkus” ihre Geschichten beigesteuert. Manche stehen für sich alleine, andere ergänzen bestehende Buchreihen der einzelnen AutorInnen.
Die meisten dieser Geschichten sind nichts für junge Leser. Mal abgesehen von fließendem Blut und dem leise mitschwingenden Horror, der alle Geschichten vereint, finden hier teils sehr deutliche sexuelle Handlungen statt, die von Nekrophilie über die Erinnerungen eines Vergewaltigers bis zu den detaillierten Aktivitäten eines Sukkubus reichen. Meistens schaffen es die AutorInnen dabei, nicht ins Fremdschämen abzudriften – Ausnahmen bestätigen die Regel.

Die Qualität der Geschichten schwankt. Manche AutorInnen beherrschen ihr Handwerk besser als andere oder haben vielleicht auch einfach nur ein mal besseres, mal schlechteres Händchen für die Kunst, eine Kurzgeschichte zu schreiben. Manches lässt einen als LeserIn einfach nur verwirrt zurück, anderes wirkt, als habe der/die AutorIn sich schwer getan, seine Ideen in Zaum zu halten, und macht viele Sprünge, um all die Ansätze irgendwie in Kurzform zu bringen.

Hier eine Übersicht und ggf. Eindrücke der einzelnen Geschichten:

Painted Love – Rob Thurman
Der Weltreisende Doodle schließt sich für eine Weile dem Zirkusangestellten Bartholemew an und beobachtet dessen Alltag. Bartholemew ist ein waschechter Psychopath und hat sich gerade sein nächstes Opfer ausgesucht, was Doodle in eine schwierige Lage bringt. Einerseits sieht er sich selbst als reinen Beobachter, andererseits empfindet er eine gewisse Zuneigung für das nächste Opfer.
Die Geschichte funktioniert nur bedingt, da Doodles Figur wenig Zugangsmöglichkeiten bietet. Die Idee dahinter ist durchaus nicht schlecht, die Ausführung teils aber zu blass.

The Three Lives of Lydia – Delilah S. Dawson
Diese Geschichte gehört zu einer Buchreihe (Blud Series) und greift das Setting eines im viktorianischen Zeitalter angesiedelten Universums auf. Die Atmosphäre ist düster und steampunkig und die Wendungen überraschend. Lydia erwacht nackt auf einem leeren Feld, das von Zirkuswagen umkreist ist, trifft später auf Vampire und Werwölfe, die im Zirkus angestellt sind und nicht alle gute Absichten für sie hegen.
Eine stimmungsvolle Geschichte mit überraschendem Ende, die auch ohne Kenntnis der eigentlichen Buchreihe gut funktioniert.

The Demon Barker of Wheat Street – Kevin Hearne
Teil der Buchreihe The Iron Druid Chronicles. Die Geschichte findet zeitlich nach dem 4. Band statt (und nach der Kurzgeschichte Two Ravens and One Crow), kann aber gut für sich gelesen werden.
Druide Atticus und Lehrling Granuaile besuchen einen Zirkus und geraten dabei in die Fänge eines Dämons, der seine Attraktion zur Ernte ahnungsloser Seelen benutzt und sie geradewegs auf einen Trip in die Hölle schickt.
Witzig und im wahrsten Sinne höllisch gefährlich.

The Sweeter the Juice – Mark Henry
Post-Apokalyptisches Szenario, in dem Zombies allgegenwärtig und ihre Angriffe an der Tagesordnung sind. Die transsexuelle Jade Reynolds geht einen Handel ein, um sich ihre/seine Geschlechtsumwandlung leisten zu können, und soll für die behandelnde Ärztin eine neu zirkulierende Droge finden.
Diese Geschichte ist mehr im Horrorbereich zuhause, stopft aber so viele (teils eklige) Ausführungen in einen Sack, dass es für mich schwierig war, am Ball zu bleiben, und wurde dementsprechend abgebrochen.

Werewife – Jaye Wells
Nach dem Besuch einer Zirkusvorstellung verwandelt sich die Ehefrau in einen Werwolf, was sich als recht unkomfortabel für den Ehemann erweist. Als der selbe Zirkus nach einem Jahr in die Stadt zurückkehrt, überredet der Gatte seine Frau, erneut dorthin zu gehe,n um den Fluch aufzuheben, doch was sie dort erwartet, ist mehr als eine unschöne Erkenntnis.
Diese Geschichte ist aus Sicht des Ehemanns erzählt und bis auf das etwas überstürzte und nicht ganz überzeugende Ende sehr unterhaltsam.

The Cold Girl – Rachel Caine
Die sechzehnjährige Kiley besucht mit ihrem Freund einen Zirkus und vertauscht dabei versehentlich ihre Telefone. Als sie die Inhalte auf dem Telefon ihres Freundes sieht muss sie erkennen, dass der Junge, den sie liebt, eine schockierende Seite verbirgt, für die sie bisher blind war – obwohl andere die Anzeichen längst bemerkt haben.
Spannend, ergreifend und verstörend, ist dies eine der sehr gut gelungenen Geschichten der Anthologie.

A Duet With Darkness – Allison Pang
Teil der Abby Sinclair Series. Mel kann Noten und Melodien farblich wahrnehmen. Sie ist ein musikalisches Ausnahmetalent und hält sich für die beste in ihrer Band. Sie kann offenbar die Wilde Magie anzapfen, was bei einem geplanten Auftritt der Band die Aufmerksamkeit von jemandem erweckt, dem sie nicht gewachsen ist. Ihr Freund, ein gefallener Engel, versucht sie vor den Folgen ihres Stolzes zu bewahren, doch einer muss den Preis bezahlen.
Liest sich etwas wie ein Jugendbuch, ist nur inhaltlich nicht ganz jugendfrei. Die Welt und die Figuren sind aber gut beschrieben und durchaus interessant.

Recession of the Divine – Hillary Jacques
Die Versicherungsermittlerin Olivia untersucht den Brand in einem Zirkus, und es ist schnell klar, dass hier etwas nicht stimmt. Als die Angestellten merken, dass Olivia in die Erinnerungen anderer eintauchen kann, wird sie entführt und mit einem Bann ihrer eigenen Erinnerung beraubt, um sie angekettet als Wahrsagerin arbeiten zu lassen. Der Leser erfährt früh, dass sie eine Göttin in Menschengestalt ist, ihre Entführer lernen es auf die harte Tour.
Diese Geschichte war verwirrend, da die Autorin zahlreiche Zeitsprünge macht und eine eher weitreichende Handlung in einen so kurzen Text zu pressen versucht. Zeitsprünge erschweren das Ganze ebenso wie die Tatsache, dass nicht immer klar ist, was wessen Erinnerung ist oder was gerade doch real.

Parlor Tricks – Jennifer Estep
Teil der Serie Elemental Assassin Series. Detective Bria Coolidge bittet ihre Schwester, die Assassinin Spider, um Hilfe bei der Suche eines verschwundenen Mädchens, das zuletzt gesehen wurde, als es einen Zirkus besuchte. Als die beiden Frauen die Hintergründe ihres Verschwindens aufdecken, braucht es alles an Elementarmagie, was Spider zu bieten hat.
Die Figur der Spider, aus deren Perspektive erzählt wird, ist nur schwer zugänglich und so springt der Funke bei dieser Geschichte nicht recht auf die Leserschaft über. Ist vielleicht anders, wenn man die Buchreihe dazu kennt.

Freak House – Kelly Meding
Teil der noch im Entstehungsprozess befindlichen Buchreihe Strays Series, die recht viel Potential haben dürfte, wenn man diese Kurzgeschichte als Indikator nehmen darf.
Shiloh ist halb Djinn und hat jüngst erfahren, dass ihr Vater von einem Schwarz-Magier gefangen gehalten und als Zirkusattraktion ausgestellt wird. Zusammen mit zwei unerwarteten Verbündeten, von denen einer ein Werwolf ist, der andere ein pensionierter Soldat, und ausgestattet mit ihrem eigenen magischen Erbe, schleicht sie sich in die geschlossene Veranstaltung ein und findet weitere Gefangene vor. Für Shilo und ein paar andere zeichnet sich ein neues Ziel ab.
Interessantes Konzept, das neugierig auf mehr macht.

The Inside Man – Nicole Peeler
Teil der Jane True Series. Die drei Inhaberinnen der Triptych Agentur bekommen Besuch vom größten Gangsterboss der magischen Szene und werden “gebeten” herauszufinden, weshalb seine Schwester und alle anderen Bewohner ihrer Stadt ihre Erinnerungen und ihre Ambitionen verloren haben. Ihre Ermittlungen führen sie in die Fänge eines dämonischen Clowns, der ganze Städte heimsucht und nichts alle leere menschliche Hüllen zurücklässt.
Spannende Charaktere mit interessanten Hintergründen und ordentlich Frauenpower. Hier wird nicht lange gefackelt und gleich kurzer Prozess mit Dämonen wie menschlichen Bestien gemacht … Da lohnt sich wohl ein Blick in die Buchreihe.

A Chance in Hell – Jackie Kessler
Teil der Buchreihe A Hell on Earth. Die frühere Sukkubi Jezebel ist inzwischen menschlich und auf der Flucht vor dem Höllenfürst, um die Apokalypse zu verhindern. Ihre Mitbewohnerin soll Jez beibringen, was Menschlichkeit bedeutet, und nimmt den unmotivierten Ex-Dämon mit zu einem Zirkus. Der Tag verschlechtert sich deutlich, als Jez dort einem hochrangigen Dämon der Gier begegnet, der nichts lieber täte als Jezebels blitzblanke neue Seele in seine Finger zu kriegen.
Teilweise humorvoll, mit viel Erotik garniert.

Hells’s Menagerie – Kelly Gay
Teil der Buchreihe Charlie Madigan. Die zwölfjährige Emma, Tochter von Charlie Madigan, marschiert in Charbydon (Hölle) ein, um die entführten Welpen und das Weibchen ihres Höllenhundes Brim zu retten. Dabei riskiert sie lebenslangen Hausarrest, den Rauswurf aus der Schule und selbstverständlich ihr eigenes Leben, wie auch das ihres Begleiters, dem Djinn, der im Körper ihres dahingeschiedenen Vaters steckt.
Obwohl die Ansätze gut waren, habe ich diese Geschichte letztlich nur quer gelesen. Die Protagonistin war mir zu jung und die Rettung von Hundewelpen hat meinen Toleranzbereich für Niedlichkeiten gesprengt.

Daughter of the Midway, the Mermaid, and the Open, Lonely Sea – Seanan McGuire
Ada ist im Zirkus der Miller Familie geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter ist die Hauptattraktion: eine echte Meerjungfrau, die als junge Frau schwanger Zuflucht im Zirkus gesucht hat. Nach beinahe zwanzig Jahren kommt der Zirkus an den Ort zurück, von dem Adas Mutter einst geflohen ist, und prompt wird das Mädchen von ein paar der Stadtbewohner entführt und gefangen gehalten. Ada entdeckt, dass es ein düsteres Geheimnis im Leben ihrer Mutter gab, die sich freiwillig entschieden hat, alles zu vergessen, indem sie sich dem Wasser hingab und ihre unvermeidliche Verwandlung in eine Meerjungfrau vollzog. Der Zirkus mag die Freakshow haben, doch die Monster leben außerhalb.
Eine Geschichte, die mit etwas mehr Tragik gefüllt ist und leider viele Aspekte der Charaktere nur andeutet, von denen mehr zu wissen spannend gewesen wäre.

Changeless von Gail CarrigerIn Changeless, dem 2. Teil des Parasol Protectorates, findet Lady Alexia Maccon das heimatliche Anwesen unerfreulicherweise ohne Ehemann vor. Während dieser sich ebenso ohne Vorankündigung nach Schottland begeben hat, haust im Vorgarten ein ansehnliches Rudel Werwölfe, das auf Alexias Gartengestaltung wenig Rücksicht nimmt. Als sich eine Art Krankheit, die aus den Übernatürlichen wieder Sterbliche macht,  in Conell Maccons Richtung bewegt, begibt sich Alexia kurzentschlossen selbst auf den Weg nach Schottland. Gewisse Ereignisse verlangen jedoch, dass sie dabei von der Erfinderin Madame Lefou, ihrer Freundin Ivy Hisselpenny und sogar ihrer Schwester begleitet wird – ein chaotisches Gespann mit Lachgarantie.

– Werewolf, was he? Well, Alexia Maccon’s parasol was tipped with silver for a reason. She walloped him again, this time making certain the tip touched his skin. At the same time, she rediscovered her powers of speech.
“How dare you! You impudent” – whack – “arrogant” – whack – “overbearing” – whack – “unobservant dog!” Whack, whack. –
Kapitel 1, S.18

Schon die ersten Seiten von Changeless (Brennende Finsternis) lassen erkennen, hier wird es wieder genauso absurd komisch wie im ersten Teil Soulless (Glühende Dunkelheit). Angereichert mit der gewohnt charmanten Prise Steampunk kommt der spitze Humor in Form britischer Trockenheit wieder frühzeitig in Fahrt und treibt die Mundwinkel in die Höhe. Skandalöse Kleidungsstile sowie der obligatorische  Sonnenschirm, in dem sich ein ganzes Arsenal an tödlichen Waffen verbirgt und der ein bisschen an James Bonds Kollegen Q denken lässt, lassen darüber hinaus keine Wünsche offen.

Während die Handlung dieses Mal etwas löchrig geraten ist, wurden die Figuren deutlich besser ausgearbeitet als im Vorgänger. Sie haben mehr Tiefe, mehr Persönlichkeit und wirken kurzum solide. Diese Nähe zu den Charakteren macht es einem leicht, sich von der Geschichte und ihren urkomischen Wendungen mitreißen zu lassen. Manch nervtötender Persönlichkeit möchte man da trotz ihrer Zierlichkeit gerne auch mal den Damenschuh in das fein zurechtgemachte Hinterteil treten.

Auch sprachlich ist Changeless wieder ein Highlight. Im Gegensatz zur deutschen Ausgabe kommt im Original natürlich auch der schottische Akzent in voller Pracht zum Vorschein und strapaziert gemeinsam mit den hitzigen Wortgefechten die Lachmuskeln zusätzlich. Schon allein deswegen macht das Original noch mal eine ganze Ecke mehr Spaß. Daneben fällt auch immer wieder auf, wie intensiv sich Gail Carriger mit den Details zu ihren Romanen befasst, seien es nun die Verhaltensregeln und Manieren, wissenschaftliche und technische Erfindungen oder die Beschaffenheit viktorianischer Mode. Mit einer sichtbaren Liebe für all diese Details schafft es die Autorin, wieder ein lebendiges Bild ihrer Welt zu zeichnen, ohne sich dabei in ermüdend langen Beschreibungen zu ergehen.

Mit Changeless liefert Gail Carriger erneut eine paranormale romantische Komödie ab, in der Geister, Mumien, zeterndes Weibsvolk und schottische Werwölfe in Kilts ihren großen Auftritt haben.
Besonders fies ist jedoch die letzte Wendung und der damit verbundene Cliffhänger zum Schluss. Da sollte man sich unbedingt den 3. Band, Blameless (Entflammte Nacht), frühzeitig zulegen und bereithalten.

The City of Ember von Jeanne DuPrauDie Stadt Ember existiert im dunklen Innern der Erde, erhellt nur durch das elektrisch erzeugte Licht eines einzigen Generators. Doch ausgerechnet der droht nun zu zerfallen und die marode gewordene Stadt in vollkommene und nie enden wollende Dunkelheit zu tauchen.
In dieser Zeit macht die junge Lina Mayfleet eine Entdeckung unter den Erinnerungsstücken ihrer Großmutter – eine Kiste, in der sich die bruchstückhaft erhaltenen Anweisungen der Erbauer Embers befinden. Anweisungen, die die Bewohner retten und in eine neue Stadt führen könnten.

»They must not leave the city for at least two hundred years«, said the chief builder. »Or perhaps two hundred and twenty.«
»Is that long enough?« asked his assistant.
»It should be. We can’t know for sure.«
»And when the time comes«, said the assistant, »how will they know what to do?«
»We’ll provide them with instructions, of course«, the chief builder replied.
– The Instructions, S. 1

Es wird abenteuerlich und schmutzig! Das wird nicht nur schon beim Betrachten des Buches selber klar, wo eine altmodisch gezeichnete Stadtkarte für den nötigen Überblick sorgt und vergilbtes Papier den Hauch von Alter vermittelt.
The City of Ember (Lauf gegen die Dunkelheit) ist das Debüt der Autorin Jeanne DuPrau, die eine Welt unterhalb der Erdoberfläche erschaffen hat, als letzte Hoffnung für das Überleben der Menschheit. Den Emberanern ist die Bedeutung ihrer Heimat dabei nicht bewusst. Für sie ist die Stadt die einzige Form der Existenz, die sie kennen, sozusagen das ganze Universum. So wie man einst glaubte, das Meer fließe am Ende der Welt über den Rand der Erdscheibe hinaus, so glauben die Bewohner Embers, hinter dem Licht der Stadt läge nur ein weites Nichts.

In gigantischen Lagerräumen haben die Erbauer den Emberanern einst Unmengen von allem hinterlassen, was man zum Überleben braucht: Lebensmittelkonserven, Medizin, Vitamin-Präparate, Kleidung, Glühbirnen … doch nach beinahe 250 Jahren ist von diesen einstigen Reichtümern nicht mehr viel geblieben. Der Leser bewegt sich durch eine rostige Welt des Zerfalls, durch eine reine Nutzgesellschaft, die keine Herstellungsprozesse kennt. Embers Bewohner wissen nicht einmal mehr, wie man Elektrizität oder Feuer erzeugt und somit auch nicht, wie man den Generator reparieren, transportable Lichtquellen oder neue Energiequellen schaffen könnte. Sie sind gerade noch in der Lage, die Dinge am Laufen zu halten. Dabei ist es unheimlich spannend zu erleben, wie der eigene Kosmos und das wenige Wissen um unser Universum in Ember zu einer Art Mikrokosmos wird. Für die Emberaner existieren weder Sonne noch Mond, doch elektrisches Licht und Dunkelheit treten hier als stellvertretende Pendants auf. Die Dunkelheit wird zur Weite des Universums, die Erbauer zur Schöpfungskraft … alles, was man als Leser erkennt, entdeckt man gleichzeitig völlig neu, weil es in Ember eine ganz andere Bedeutungsschwere bekommt. Unweigerlich schleicht sich da der Gedanke ein, ob nicht auch unsere Erde eine Art Ember sein könnte. Doch genug der Meta-Ebene und des Philosophierens!

Man schreibt vermutlich das Jahr 241 – “vermutlich” weil das regelmäßige Aufziehen der großen Uhr oder die Einhaltung der Tages- und Nachtzeiten gelegentlich auch mal vergessen wurde –, als die Schüler Lina und Doon ihren Abschluss machen. Wie alle Emberaner beenden auch sie ihre Schulzeit im Alter von zwölf Jahren und treten sofort in das Berufsleben ein. Wer nun denkt, ein Kinderbuch präsentiert zu bekommen, darf gleich wieder aufatmen. Die beiden Helden dieser Geschichte sind für ihr Alter überraschend erwachsen, verantwortungsbewusst und clever, nur in seltenen Momenten erhält man einen Hinweis darauf, dass es tatsächlich noch Kinder sind. Dadurch fällt es auch erwachsenen Lesern nicht schwer sich mit Lina und Doon, den beiden Hauptfiguren, zu identifizieren und ihrem Abenteuer zu folgen.

Doon, ein rebellischer und hitziger Junge, der manchmal mit unbedachtem Eifer nach der rettenden Lösung für Embers Probleme sucht, und Lina, ein Mädchen voller Energie und Tatendrang, kommen durch den Fund eines alten Dokuments der Erbauer möglicherweise zu genau dieser Lösung. Angespornt von ihrem gemeinsamen Ziel, Embers Bewohner zu retten, entziffern Lina und Doon nach und nach die Überreste der Anweisungen.
Mit diesen beiden lebendig gezeichneten Charakteren bewegt sich der Leser nun durch eine klassische Queste mit Hinweisen und Entdeckungen, zwischen tropfenden Rohren, verborgenen Türen, neu entdeckten und gleichzeitig unbekannten Gebrauchsgegenständen, die Lina und Doon zunächst Rätsel aufgeben. Es beginnt ein Reise, die an Jules Vernes Abenteuer erinnert, mit vielen Fragen im Hinterkopf. Wie lange noch kann Ember überleben? Wird das Licht der Stadt eines Tages für immer erlöschen? Gibt es eine Stadt außerhalb Embers und damit eine Hoffnung für das Überleben der Bewohner?

Die Suche nach Antworten wird von einem stimmigen Weltenbau begleitet und vielen sozialkritischen Aspekten, die man in einem Jugendbuch nicht unbedingt erwarten würde. Vertraute Details sorgen außerdem dafür, dass der Roman ein heimeliges Gefühl vermittelt. Da sind z.B. Konserven mit den Etiketten unserer vergangenen Gesellschaft oder Redewendungen, von Generation zu Generation weitergetragen, die in Ember weiter benutzt werden, deren Worte aber oft sinnlos erscheinen. So wird “im selben Boot sitzen” zwar sinngemäß verstanden als “in der selben Situation sein”, doch was ein “Boot” ist und was es bedeutet, das kann niemand mehr sagen. Dieses Zusammenspiel von Alt und Neu, Wissen und Unwissen, Gewohnt und Ungewohnt, macht The City of Ember zu einem nahezu romantischen Lesegenuss für Jung und Alt. Nichts ist so spannend wie die Suche nach unseren Wurzeln, und das findet man in diesem Roman, während man sich mit Lina und Doon auf die Spuren der Erbauer begibt.

Viele dystopische Romane schildern so ein Szenario auf wenig erfreuliche, schon gar nicht wünschenswerte Weise. Doch Ember ist anders. Trotz ihres inzwischen kläglichen Zustands ist sie voller Leben und erfüllt von dem Geist eines Neuanfangs. Die Stadt wurde erbaut, um die Menschheit zu retten und dieser Plan geht auf. The City of Ember begleitet unsere glückliche Rückkehr in die Welt und bietet ein nostalgisches Leseerlebnis mit einem wehmütigen Blick zurück auf das Verlorene. Die Konstruktion der Stadt wirkt dabei solide durchdacht. Nur selten fragt man sich, ob dieses oder jenes in der Realität wirklich funktionieren kann oder ob es sich die Autorin nicht gerade doch zu einfach macht.

Das halboffene Ende des Romans klärt nicht alle Fragen, es kann aber getrost so stehen gelassen werden und wer auf den Geschmack gekommen ist, darf sich über zwei Fortsetzungen und ein Prequel freuen.
(Sprachlich ist The City of Ember übrigens leicht verständlich gehalten und damit auch für Englisch-Einsteiger im Original zu empfehlen.)

Verfilmung:
Das Buch wurde 2008 stimmungsvoll verfilmt. Neben der aufstrebenden Schauspielerin Saoirse Ronan in der weiblichen Hauptrolle treten u.a. Bill Murray, Tim Robbins, Martin Landau und Marianne Jean-Baptiste auf.
Einen ausführlichen Bericht zum Film gibt es im Blog.

The Daedalus Incident von Michael J. MartinezLieutenant Weatherby dient im Jahr 1779 auf der stolzen Fregatte Daedalus in der Flotte Seiner Majestät, des Königs von England, inmitten eines Konflikts mit den Vereinigten Staaten von Ganymed, die sich soeben von der Krone abgespalten haben. Draußen in der Leere des Weltraums, den die riesigen Segler durchpflügen, nutzen aber noch ganz andere Kräfte diese Auseinandersetzung, um ihre hinterhältigen Pläne zu verdecken …
Im Jahr 2132 dient Lieutenant Jain in der Schutzmannschaft eines Bergbauunternehmens auf dem Mars, und sie erlebt hautnah, wie der Planet plötzlich geologisch verrückt spielt und die Minenkolonie in ernste Gefahr gerät …

-Mars is supposed to be dead, just a big hunk of cold rock hanging in space.-
July 24, 2132

Michael J. Martinez’ The Daedalus Incident ist für den geneigten Weltraum-Romantiker wie Ostern und Weihnachten an einem Tag: Es warten farbenprächtige Segelabenteuer, in denen Gentlemen säbelschwingend für Krone und Vaterland mit den Gewalten des Weltraums ringen, Freibeuter bekämpfen und auf den Sonnenwinden ihre Gegner einholen müssen – ja, wir sprechen hier von klassischen Segelschiffen, die sich in bester Space-1889-Manier aus den Ozeanen erheben und ins All aufsteigen. Und wenn man sich gerade mal in den unerfahrenen, aber dafür umso eifrigeren jungen Offizier Weatherby eingelesen hat, findet man sich gleich wieder in der Zukunft, ohne Äther und Segelschiffe, in einer beengten Minenkolonie auf dem Mars, wo es nicht mit rechten Dingen zugeht – dort ist die Raumfahrt zur Dienerin des Kommerzes geworden, und Lieutenant Shaila Jain hat bereits eine bewegte Karriere hinter sich, als sie auf diesem vermeintlichen Abstellposten landet.
Was haben die beiden völlig voneinander abweichenden Szenarien miteinander zu tun? Nun, diese Frage ist für einen Teil der Spannung verantwortlich, mit der The Daedalus Incident zu fesseln vermag.

Man liest abwechselnd entweder Weatherbys getreulich verfasstes Tagebuch über die immer haarsträubenderen Ereignisse, in die sich die Mannschaft der Daedalus verstrickt, nachdem sie zunächst als nette Geste einen Mord auf Merkur aufklären hilft, oder von den Fährnissen Jains, die inmitten von Erdbeben, rätselnden Wissenschaftlern und ungehaltenen Kumpeln die Ordnung zu wahren versucht und sich und ihrer Karriere mit ihrem ungezügelten Forscherdrang immer wieder ins Knie schießt. Die beiden Handlungsstränge sind perfekt abgestimmt: Es ergibt sich nicht nur nach und nach ein Bild der Zusammenhänge, sondern auch eine treibende Dynamik. Weatherbys Segelabenteuer sind eine Achterbahnfahrt aus Kämpfen, wilden Verfolgungsjagden, alchemistischen Wundern und Reisen durch den Raum und auf die Planeten des Sonnensystems. Während Weatherby energisch durch venusianische Dschungel stapft, ist Jain dagegen in ihre Mars-Station oder ihren Raumanzug eingepfercht und muss Informationen zusammenbringen und Geheimnisse ergründen, um zu verstehen, was auf dem Planeten vorgeht. Beim Lesen steht man damit vor dem herrlichen Dilemma, bei jedem Wechsel eigentlich am liebsten ein Kapitel überspringen zu wollen, nur um bei der Rückreise in den ersten Handlungsstrang wieder genauso fest am zweiten zu kleben.

Sowohl in den Mysterien auf dem modernen bzw. zukünftigen Mars als auch in den Abenteuern der Vergangenheit bildet Martinez gekonnt die Zwänge der jeweiligen Zeit in seinen gut ausgearbeiteten Hauptfiguren ab. Weatherby hält sich für einen sehr anständigen Menschen, obwohl er gerade erst an der Schwelle ist, vielleicht zu einem solchen heranzureifen, und seine Menschlichkeit unter Pflicht, Ehre und Anstand begräbt. Mit seiner aufrechten Haltung ist er ein Vorzeigeoffizier, gerade jung genug für den Krieg, aber für die Herausforderungen, die vor ihm stehen, muss er noch wachsen. Diesem etwas steifen Protagonisten stellt Martinez die progressive Frauenfigur Jain gegenüber, die immer kurz vor einem Disziplinarverfahren steht und den wirtschaftlichen Zwängen ihrer Zeit trotzdem relativ machtlos ausgeliefert ist, obwohl sie genau weiß, dass es eine schlechte Idee ist, den Rohstoffabbau unter den gegebenen Umständen weiterzutreiben. Auch die Nebenfiguren sind eine Pracht – auf der einen Seite der bescheidene Kapitän Morrow und ein Alchemist, der gerne zu tief in seinen Alembik schaut, auf der anderen Seite ein koketter französischer Geologe und die Stationskommandantin Diaz, die diplomatisch zwischen Bossen und Militär vermitteln muss, obwohl sie genauso gut zupackt und zuhaut wie Lieutenant Jain.

Das doppelte Abenteuergarn gipfelt schließlich in einige geniale Szenen, die die Herzen von SF-Fans höher schlagen lassen – Auftritte für den Mars-Rover, Sonnenstürme, Planetenseelen und Benjamin Franklin (auch ein Beispiel dafür, dass man nach und nach Abweichungen und Übereinstimmungen von Weatherbys Welt mit der realen Geschichte entdecken kann) sind dabei inkludiert.
Am Ende sind der verzauberte Kosmos und die Welt der “realen” Raumfahrt (mitsamt realem Kapitalismus) gleich spannend – vielleicht auch, weil The Daedalus Incident zwei Elemente prominent zur Schau stellt, die sonst in der SF ein wenig zu selten vorkommen: Schiffe, die durch den Äther fliegen, und Astronautinnen, die zum Jupiter fliegen.

The Death of the Necromancer von Martha WellsNicholas Valiarde ist ein Edelmann mit einem Doppelleben als größter Dieb der Stadt Vienne – und seine Verbrechen dienen nur einem Ziel: Er will den Grafen Montesq ausschalten, der einst seinen Mentor wegen Nekromantie zum Tode verurteilen ließ. Nicholas ist näher als je zuvor an seinem Ziel, als ihm ein ungelegener Zwischenfall in die Quere kommt: Ein zwielichtiger Spiritualist, der angeblich mit Verstorbenen kommunizieren kann, geht in den Adelshäusern der Stadt ein und aus und benutzt eine der Erfindungen von Nicholas’ verstorbenem Mentor. Als ob das nicht genug wäre, sieht sich Nicholas bei seinen Nachforschungen plötzlich echter Nekromantie gegenüber. Er geht der Sache nach – weitaus besser als die inkompetente Präfektur der Stadt …

-The most nerve-racking commissions, Madeline thought, where the ones that required going in through the front door.-
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Auf den ersten Blick besticht Martha Wells’ Roman durch das Ambiente: Gaslicht, Magie, rauschende Feste, erbärmliche Elendsviertel, und der letzte Schrei in der opulenten Großstadt ist die neu eröffnete Eisenbahn – Ile-Rien ist ein atmosphärisches Steampunk-Setting, wie es schöner nicht sein könnte, und die Ähnlichkeit zum Frankreich der Vormoderne geht auch ein klein wenig über die frankophilen Namen hinaus. Noch dazu spielt die Geschichte im illustren Halbwelt-Milieu: ein gerissener Gentleman-Dieb samt seiner Bande (einer Schauspielerin, einem abgehalfterten Kavalleristen, einem opiumsüchtigen Zauberer und etlichen ordinären Langfingern) will sich an einem der Mächtigen der Stadt Vienne rächen, der seinen Ziehvater mit einem Komplott der Nekromantie bezichtigt hat und ihn damit einen Kopf kürzer machte. Das ist der Stoff, aus dem Mantel-und-Degen-Abenteuer gestrickt sind, und auch in den Figurenkonstellationen finden sich solche Anklänge.

Damit wären wir beim zweiten großen Pluspunkt von The Death of the Necromancer, den Charakteren. Es ist eine einprägsame Ansammlung von skurrilen, liebenswerten und interessanten Figuren, die hier auf kriminellen Pfaden zu ihrem Recht zu kommen sucht. Abgebrüht genug, um große Nummern in der Verbrecherwelt zu sein, aber mit dem kleinen Rest Gewissen, so daß man sie allesamt noch gern haben kann. Martha Wells versteht es, die Hintergründe ihrer Figuren ganz natürlich nach und nach aufzudecken, so daß sie am Ende alle nachvollziehbar sind und die Charakterentwicklung immer dynamisch bleibt.
Als die gutherzigen Schlitzohren durch ihren geplanten Racheakt in ein viel größeres Geschehen gezogen werden, hängt man schon an ihnen – der lebendige Stil, der nahe an den Personen bleibt, trägt das Seine dazu bei. Einige Charakterentwicklungen zeichnen sich schon im Voraus ab, wie etwa die Beziehung zwischen Nicholas und seinem Feind Inspektor Ronsarde, dem Ermittler, der ihm auf der Spur ist – sie sind aber nicht minder lesenswert.

Die vielen kleinen, spannenden Coups, die sich die Verbrecherbande leistet, sorgen für großartige Dynamik – die Geschichte hat keinerlei Längen und das Tempo ist durchgehend hoch, ohne daß der rote Faden verloren geht. Trotzdem bleibt Zeit für einige bewegende Szenen, und auch Humor ist bei den gerissenen Schurken zu Hauf vorhanden – was die teilweise düstere Stimmung, die sich schon aus dem Grundthema “Nekromantie” ergibt, größtenteils aufhebt.
Der locker-leichte Stil der Geschichte wird auch dadurch unterstrichen, daß der Tod in diesem Roman erstaunlicherweise keine große Ernte einfährt. Da sich zeitgenössische Fantasy oft auch in den Darstellungen von Grausamkeiten überbietet, außergewöhnlich – denn angeboten hätten sich so manche entsetzlichen Szenen, aber diese werden in der Regel elegant umschifft. Um so schöner ist, daß die geringe Sterberate der Spannung gar keinen Abbruch tut und man dennoch gehörig um die Protagonisten zittern kann.

Magie, ihre Verknüpfung mit Technik, aber auch ihre altertümliche Form mit Fabelwesen, Feen und anderen Erscheinungen ist stimmig in die Handlung eingebunden und wird zwar spärlich, aber immer eindrucksvoll eingesetzt.
So läßt allein die Auflösung der Haupthandlung ein klein wenig zu wünschen übrig – auch hier kommen zwar wie im gesamten Roman überraschende und interessante Kniffe zum Tragen, aber ingesamt geht es doch ein wenig schnell über die Bühne. Dafür gibt es aber für alle Beteiligten ein schönes, rundes Ende – ingesamt also eine Lektüre, die sehr viel Vergnügen bereitet und ganz in sich geschlossen ist – obwohl man Ile-Rien in weiteren Romanen von Martha Wells noch ausführlicher erkunden kann.

Dragonfly Falling von Adrian TchaikovskyNach ihrer Niederlage sind die Agenten des Wespenimperiums nur umso entschlossener, die verstreuten Stadtstaaten zu erobern, die ihnen so dreist Paroli geboten haben. Während eine große Wespenarmee die Ameisenstadt Tark mit neuartigen Waffen angreift, wird der Geheimdienstler Thalric damit beauftragt, gegen die Wissenschaftler von Collegium und Stenwold Maker vorzugehen, der für ihr Scheitern verantwortlich war. Überall stehen die Zeichen auf Krieg, und Stenwolds junge Mitstreiter versuchen verzweifelt, neue Verbündete zu gewinnen oder wenigstens die Städte zu einem gemeinsamen Kampf zu vereinen. Doch das gestaltet sich so schwierig, als würde man verschiedene Insektenstaaten zur Zusammenarbeit bewegen wollen.

-The morning was joyless for him, as mornings always were.-
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Während im Auftaktband von Shadows of the Apt noch Taktieren und Sondieren die Mittel der Wahl waren, ist man nun bei handfester militärischer Action angelangt – in den Stadtstaaten der Tieflande herrscht Krieg. Dragonfly Falling (Die geflügelte Armee, Schwarzer Glanz) ist damit vor allem ein Buch der Schlachten und Belagerungen, und dabei spielen die Mechanik-Elemente der Reihe – Steampunk möchte man es eigentlich nicht mehr nennen – eine zentrale Rolle. Der thematische Fokus liegt unter anderem auf der Militärtechnik und den moralischen Fragen, die sie für die beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure aufwirft, und so viel kann man schon vorweg verraten: Sie kommen zu unterschiedlichen Antworten.
Nicht nur dadurch, sondern auch durch die nationalistisch auftretende Wespenarmee fühlt man sich noch mehr als in Empire in Black and Gold (Invasion des Feuers, Der gepanzerte Spion) an die Zeit des Ersten Weltkriegs erinnert. Der Ausgang der Auseinandersetzungen wird stark von den Massen, die die jeweilige Partei zu opfern bereit ist, und von neuen (noch zu testenden) Entwicklungen bestimmt.
Doch es wäre nicht Adrian Tchaikovsky mit seinen klassischen Plotstrukturen und Spannungsbögen, wenn nicht auch der Einzelne das Ruder herumreißen könnte: Wieder erinnert der Roman an einen Abenteuerreigen im Stil von Star Wars und Konsorten, denn von der dramatischen Wendung über die Rettung in letzter Sekunde bis hin zum vermeintlichen Todesfall werden sämtliche Register gezogen. Überraschungen und sich lang anbahnende Paukenschläge gibt es auf den prall gefüllten 670 Seiten nicht zu knapp.

Daß man bei den umfangreichen Kriegswirren nicht den Überblick und das Interesse verliert, ist dem Talent des Autors zu verdanken, den einzelnen Kämpfen einen ganz eigenen Charakter zu verleihen, abhängig vom Austragungsort und den Beteiligten. Die disziplinierten Schlachten der Ameisen-Stadtstaaten sind etwas völlig anderes als die chaotischen, verzweifelten und experimentell-tollkühnen Verteidigungsmaßnahmen, die sich die Gelehrten von Collegium einfallen lassen, als die Wespen vor der Tür stehen. Eine lockere Angelegenheit wird der Krieg allerdings zu keinem Zeitpunkt, und hier unterschiedet sich Adrian Tchaikovsky dann doch von seinen unbekümmerteren Vorbildern.
Eine weitere Spezialität des Autors sind ähnlich großartige Einzelszenen, wie sie auch schon im Vorgängerband auftauchten, die ein Gegengewicht zur trostlosen Kriegsrealität schaffen. Manchmal sitzt man mit offenem Mund staunend vor dem Buch, wenn sich die Ausmaße eines Ereignisses in geschickt angelegten Doppelszenen offenbaren oder eine Prise umsichtig aufgebauter Heldenpathos zum Mitfiebern einlädt.
Diese Einzelszenen überzeugen nicht zuletzt dank der großartigen Charakterriege, deren gemächliche Einführung im Vorgängerband hier Früchte trägt, und Tchaikovsky pfeift dabei wieder auf gefestigte Erzählkonventionen, wechselt munter Perspektiven und erzählt, wie die Geschichte es verlangt.

Die große Zahl an Figuren, aus deren Sicht berichtet wird, hilft, die starren Völkerstereotypen aufzubrechen, die natürlich auch die Faszination der Welt ausmachen. Die Unterschiede zwischen den traditionellen und progressiven Völkern (und Figuren) treten in diesem Band besonders hervor, und man lernt die Mantiden und die faszinierenden Ameisen (von denen es sogar mehrere Arten mit unterschiedlicher Denkweise gibt) näher kennen. Doch im Individuum, vor allem auch den gut portraitierten Gegenspielern, sieht es wieder ganz anders aus, und erst dadurch entsteht die plastische Welt, mit der Tchaikovsky glänzt.
Wie im Einzelnen die Motivation für die teils doch recht extremen Handlungen entsteht, wirkt allerdings manchmal schwammig und gewollt – darüber sollte man lieber nicht allzu intensiv nachdenken, wobei die Flut der Ereignisse ungemein hilfreich ist.

Dragonfly Falling ist ein dicker Schmöker, der viele Themen abgrast und dabei durchaus unter die Oberfläche geht – nebst Wissenschaftsethik spielen der Wechsel von Flucht vor und Übernahme von Verantwortung, nationalistische Auswüchse und das automatische Aufkommen von internen Machtquerelen innerhalb von größeren Staatsgebilden eine große Rolle.
Allerdings leidet der Roman auch am The-Empire-Strikes-Back-Syndrom (in jeglicher Hinsicht 😉 ), ist ein eindeutiges Mittelstück ohne Abschluß und ohne richtigen Handlungsbogen, das allerdings schon geschickt die Bühne für größere Ereignisse im weiterhin eher im Hintergrund schwelenden Paradigmenwechsel zwischen Magie und Technik bereitet.

Empire in Black and Gold von Adrian TchaikovskyCollegium, eine Stadt der Wissenschaft und der Freigeister, ist einer von vielen Stadtstaaten, die mehr oder weniger friedlich unabhängig voneinander existieren. Auf Stenwold Maker, einen Gelehrten, der seit Jahren vor den Eroberungsplänen des sich ausbreitenden Wespenimperiums warnt, hört daher niemand.
Frustriert, aber dennoch unermüdlich hält er sein Netzwerk aus Informanten aufrecht und sucht sich aufgeweckte junge Studenten, die er unter seine Fittiche nimmt und für den Ernstfall ausbildet, unter anderem seine Nichte Che. Als die Wespen tatsächlich ihre Fühler ausstrecken, steht er als einer der ersten auf ihrer Abschußliste.

-After Stenwold picked up the telescope for the ninth time, Marius said, ‘You will know first from the sound.’-
One

Wie schreibt man eine glaubwürdige Empfehlung für etwas, das sich am ehesten mit ‘Insekten-Steampunk’ zusammenfassen ließe? Beim einen oder anderen kann man vielleicht noch Biene-Maja-Erinnerungen aufwärmen, wenn friedlich-fleißige Käfer und Grashüpfer mit Laissez-faire-Attitüde von fiesen Wespen in Bedrängnis gebracht werden, aber die meisten erwachsenen Leser werden wohl müde abwinken. Auch wenn die Käfer mangels eigener Flugfähigkeit tollkühne Flugmaschinen ersinnen und die Wespen ihre finsteren Absichten hinter dem Versprechen eines Wirtschaftsbooms für die allzeit zu Waffenexporten bereiten Käfermagnaten verbergen.
Die Weltschöpfung von Adrian Tchaikovsky ist definitiv einer der gewagteren Entwürfe der letzten Jahre im Bereich der mehrbändigen Fantasy-Sagas (und das ist Shadows of the Apt mit seinen angedachten zehn Bänden in mehreren Handlungsbögen). Seine Welt ist von Insekten bestimmt, die nicht nur als Arbeits- und Reittiere und (ganz im Sinne der Bionik) Ideengeber für die Technik dienen, sondern deren Eigenschaften sich auch auf die Menschenvölker übertragen haben, so daß die sonst durchaus humanoiden Ameisen, Käfer, Mantiden, Spinnen und Wespen über einige interessante spezifische körperliche Merkmale und Fähigkeiten verfügen. Und das funktioniert erstaunlich gut: Tchaikovsky ist es gelungen, das Wesen der Insekten einzufangen, ohne bei ein paar farbenfrohen Oberflächendetails wie Flugfähigkeit oder Panzerung zu bleiben. Nach und nach offenbart sich, daß die Anleihen bei den vielbeinigen Wesen bis tief in die Psyche der Figuren reichen: Von den auch geistig oftmals unbeweglichen Käfern über die eleganten (und natürlich im Matriarchat organisierten) Spinnen bis hin zu den aggressiven, unberechenbaren Wespen. Ja, das sind fraglos Stereotype, aber ausgesprochen clever eingesetzte und frische, die sich nicht ohne weiteres auf klassische Fantasyvölker übertragen lassen.

Tchaikovskys Insektenvölker machen viel von der Faszination der launigen Abenteuergeschichte aus, zumal sie sich natürlich in bester Fantasymanier untereinander nicht ganz grün sind: In der jüngeren Geschichte der Welt haben die Völker mit technischer Begabung das Joch der magisch begabten Eliten, die ehemals über sie geherrscht haben, abgeworfen, und im Hintergrund vollzieht sich diese Zeitenwende immer weiter. Vor dieser Kulisse leben die Wespen ihre imperialistischen Gelüste aus, die mit der Industrialisierung und der Bewaffnung der Massen einhergehen. Setting und Technik erinnern stark an die Zeit des Ersten Weltkriegs, doch obwohl es sich angeboten hätte, wurde dem Abenteuerelement der Vorzug vor einer grim & gritty-Ausrichtung gegeben. Statt dessen sind es vor allem positive menschliche Aspekte, die der Geschichte ihre größten Momente bescheren, und der Autor gönnt sich und dem Leser ein paar wunderschöne Szenen, in denen die Figuren über sich hinauswachsen können.
Diese Charaktere sind geradezu klassisch aufgestellt: Ein Trupp vielversprechender junger Leute, aus allen Völkern zusammengewürfelt, die sich erst noch bewähren müssen, mit wenigen älteren Mentoren, die schwer an ihrer Vergangenheit tragen. Es dauert eine Weile, bis die Figuren – genauso wie Handlung und Welt – zu ihrer ganzen Form auflaufen und zeigen, daß man es nur an der Oberfläche mit einer Geschichte zu tun hat, wie man sie schon hundertmal gelesen hat. Ganz besonders ausgeklügelt sind auch die Antagonisten angelegt, allen voran der findige Geheimdienstler Thalric. Sie geben dem imperialistischen Wespenreich ein Gesicht und sorgen dafür, daß es eine sehr eindrucksvolle Bedrohung bleibt, ohne zum reinen “Bösen” zu verkommen.

Der Konflikt zwischen den ungleichen Parteien spielt sich in einem atemlosen Abenteuerreigen ab – es gibt unzählige Cliffhanger, die Flucht von einem Luftschiff, Einbrüche in Regierungsgebäude, Untergrundbewegungen, Verfolgungen mit interessanten Fahrzeugen. Wer nun Indiana Jones oder anderes (gelungenes!) Popcornkino vor Augen hat, liegt für weite Teile der Handlung ganz richtig; überraschend ist da schon vielmehr der Tiefgang, der durch die Weiterentwicklung der Charaktere und den Hauch des geschichtlichen Umbruchs entsteht, der über allem liegt und mit aus der Realität bekannten Entwicklungen spielt. Auch moralisch diffizile Situationen sorgen für nachdenkliche Momente, ebenso eine erstaunlich gelungene Figurenpsychologie.
Das Tempo bleibt trotzdem durchgehend hoch, und so etwas wie die typischen Landschaftsbeschreibungen der epischen Fantasy wird man in Empire in Black and Gold vergeblich suchen – wenn überhaupt, konzentriert Tchaikovsky sich aufs urbane Milieu oder technische Errungenschaften. Manchmal blitzen auch für einen Augenblick die Legenden und Geheimnisse seiner Welt auf, und die machen definitiv Lust auf mehr.
Wer sich auf die lange Chronik des Kampfes gegen das Wespenimperium einlassen möchte (der erste Handlungsbogen ist in vier Bänden erzählt), findet eine charmante Variante des auf Abenteuer und Gruppendynamik fokussierten Fantasy-Epos, in der auch stilistisch oft geradezu ungewöhnlich geradlinig erzählt wird: Wo die Schnörkel fehlen, fehlen auch umständliche Verrenkungen, und es liest sich durchaus erfrischend, wenn Tchaikovsky auf so manche unausgesprochene Regel verzichtet und einfach loslegt, wie es seiner kurzweiligen Handlung am besten dienlich ist.
Freunde rasanter Abenteuer-Action mit Herz und jeder Leser, der gerne  neuen Konzepten und Ideen auf die Spur geht, sollten also ihre Arachnophobie überwinden und keine Angst vor der Insekten-Invasion im Buchregal haben.

Entflammte Nacht von Gail CarrigerVon ihrem Ehemann verschmäht, ihres Postens als Mujah enthoben und von Vampirattentätern verfolgt, begibt sich Lady Maccon auf die Suche nach Antworten in Bezug auf ihren seelenlosen und ausgesprochen schwangeren Zustand. Zusammen mit Madame Lefoux und ihrem Diener Floote reist sie nach Italien, wo vermutlich die größten aller Schrecken auf sie warten: Kaffee und Pesto!

– Als sein Gesicht kurz vor ihrem inneren Auge auftauchte, brachte das ihre Entschlossenheit für einen Moment ins Wanken. Dieser Ausdruck in seinen Augen, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten – so verletzt und betrogen. Doch das, was er von ihr glaubte, und dass er derart an ihr zweifelte, war unentschuldbar. Wie konnte er es wagen, sie nur mit der Erinnerung an seinen verlorenen Hundeblick alleinzulassen und derart mit ihrem Mitgefühl zu spielen! –
Die Misses Loontwill setzen sich mit einem Skandal in ihrer Mitte Auseinander, S. 14

Zu Entflammte Nacht liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Etiquette & Espionage von Gail CarrigerDie 14-jährige Sophronia Angelina Temminnick ist ein Wildfang, der ihrer Mutter mehr Arbeit und Sorge macht als alle (zahlreichen) Geschwister zusammen. Ihr Knicks ist zum Fürchten, ihr ständig zerrauftes Erscheinungsbild sowieso, und von ihrer freien Meinungsäußerung wachsen Mrs. Temminnick noch graue Haare. Höchste Zeit also, das Kind auf eine anständige Benimmschule für Mädchen zu verfrachten, wo man Sophronia die Flausen austreiben und aus ihr eine wohlerzogene junge Dame machen soll. Doch spätestens auf dem Weg dorthin wird schnell klar, dass hier irgendetwas im Busch ist, als die Kutsche von fliegenden Wegelagerern angegriffen wird.

– Mrs. Barnaclegoose had decided opinions on reforming other woman’s daughters. Sophronia did not want to be reformed. So she had pressed the dumbwaiter into the service of espionage. –
Lesson 1: The Start of Being Finished

Mit Etiquette & Espionage startet Autorin Gail Carriger in ihre neue Buchreihe The Finishing School Series. Die sachlichen Infos vorweg: Dieser Roman spielt in der selben Welt wie auch das Parasol Protectorate, ist aber ca. 20 Jahre früher angesiedelt und erschien als Jugendbuch. Auf pikantere Inhalte wird in dieser neuen Reihe entsprechend verzichtet.

Der Roman startet zunächst als klassische Internatsgeschichte im viktorianischen Stil. Das Konzept ist klar: Mädchen werden auf eine Benimmschule geschickt, schließen dort außergewöhnliche Freundschaften und sie bestehen gemeinsam ein Abenteuer.
Bei Gail Carriger allerdings macht die spezielle Würze den Unterschied aus. Etiquette & Espionage präsentiert, ähnlich wie schon das Parasol Protectorate, eine starke Heldin. Sophronias vorlaute Ehrlichkeit und ihr Entdeckergeist sind wie ein strammer Wind im Teenie-Schmonzetten-Regal. Hier geht es einmal nicht darum, sich möglichst schnell und unheilbar in irgendeinen mysteriösen Jungen zu verlieben, sondern darum, einen wichtigen Prototyp zu finden, dabei Luftpiraten abzuwehren, sich von mechanischen Hausdienern nicht erwischen zu lassen, Maschinenräume widerrechtlich zu betreten, in luftigen Höhen zwischen Zeppelin-Plattformen hin und her zu klettern, Ablenkungsmanöver korrekt einzusetzen, einen Verräter zu überlisten, und und und …
Die Devise heißt nicht »Sei brav!« sondern »Lass dich nicht erwischen!«, denn was Miss Geraldine’s Schule hervorbringt, sind zukünftige Spione, getarnt als wohlerzogene junge Damen. Für diese Aufgabe fühlt sich Sophronia, die an ihrer Grazie wohl noch eine Weile länger arbeiten muss, bestens geeignet und sie freut sich diebisch darüber. Erst recht, wenn sie daran denkt, was ihre Mutter wohl dazu sagen würde, hätte die auch nur den Hauch einer Ahnung von den Vorgängen.

Mit gewohnt humorvollem Erzählstil erweckt Gail Carriger ihre Geschichte mit vielen verspielten Details zum Leben. Viel deutlicher als im Parasol Protectorate kommen hier die Kennzeichen des Steampunks zum Vorschein und erschaffen eine lebendige Welt im technischen Wandel. Rauchende Schornsteine, Luftschiffe und mechanische Erfindungen en masse! Es quietscht, es tropft, es qualmt, wohin man auch blickt.
Schön sind außerdem die vielen Nebenfiguren, die aus dem Parasol Protectorate wieder aufgegriffen wurden. So trifft man u.a. auf Genevieve Lefoux und Lady Kingair in ihren jüngeren Jahren. Vorkenntnisse aus den vorherigen Büchern Carrigers braucht man an dieser Stelle nicht, es sorgt lediglich für Amüsement, die bekannten Figuren soviel jünger zu erleben.
Selbstverständlich trifft man in diesem Buch auch auf ganz neue Charaktere, bei denen nicht nur die Namen für heftiges Schmunzeln sorgen. Ebenso begegnen wir wieder Vampiren und Werwölfen im feinen (und weniger feinen) Zwirn.

Ein paar Abzüge gibt es freilich auch zu nennen. Die Idee einer Spionage-Schule ist durchaus mal etwas neues. Es hat jedoch oft den Anschein, dass das Potential dieser Schule und ihrer Charaktere nicht ausgeschöpft wurde. Manches wirkt etwas zu gut konstruiert und die Charaktere agieren gelegentlich zu clever (insbesondere für ihr Alter), auch mangelt es dem Plot an Substanz, vorhersehbar ist er leider auch recht schnell. So ganz warm geworden scheint die Autorin mit ihrer neuen Reihe noch nicht zu sein. Nichtsdestotrotz ist Etiquette & Espionage eine tolle Abwechslung zu sonstigen Jugendbüchern und liefert vor allem Mädchen ein Vorbild, das mehr kann als sich unsterblich zu verlieben und alle Handlungen um diese Liebe herum aufzubauen. Sophronia ist da deutlich vielseitiger und auch vielseitiger interessiert. Mal sehen, ob es Gail Carriger schafft, mit dem Nachfolger auch wieder zu etwas mehr inhaltlicher Überzeugungskraft zurück zu finden.

Feurige Schatten von Gail CarrigerLady Alexia Maccon kann es wieder einmal nicht lassen. Obwohl sie bereits im achten Monat schwanger ist und den gefühlten Umfang eines Walfisches angenommen hat, lässt sie sich von ihren Pflichten als Mujah in eine abenteuerliche, kriminologische Suche verwickeln. Nachdem sie ein reichlich verwirrter Geist gewarnt hat, die Königin solle ermordet werden, macht sich Alexia sofort auf die Suche nach der Bedrohung, wenig beeindruckt von ihrem unerhört großen Bauch oder dem Westminster Hive, welches die werdende Mutter weiterhin nur in einer Form sehen möchte: tot und das möglichst schnell.

– Lady Alexia Maccon gefiel es ganz und gar nicht, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Wütend funkelte sie die Männer vor ihr an. Erwachsene, gestandene Männer, die etliche Jahrhunderte älter waren als sie, und dennoch brachten sie es fertig, wie betretene kleine Jungen auszusehen. –
Lady Alexia Maccon watschelt

Zu Feurige Schatten liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Der gepanzerte Spion von Adrian TchaikovskyCollegium, eine Stadt der Wissenschaft und der Freigeister, ist einer von vielen Stadtstaaten, die mehr oder weniger friedlich unabhängig voneinander existieren. Auf Stenwold Maker, einen Gelehrten, der seit Jahren vor den Eroberungsplänen des sich ausbreitenden Wespenimperiums warnt, hört daher niemand.
Frustriert, aber dennoch unermüdlich hält er sein Netzwerk aus Informanten aufrecht und sucht sich aufgeweckte junge Studenten, die er unter seine Fittiche nimmt und für den Ernstfall ausbildet, unter anderem seine Nichte Che. Als die Wespen tatsächlich ihre Fühler ausstrecken, steht er als einer der ersten auf ihrer Abschußliste.

– Die Stube des Quartiermeisters wurde nur von zwei funzeligen Lampen beleuchtet, doch der Quartiermeister selbst war so vernünftig gewesen, dem Treffen fernzubleiben. –
Eins

Zu Der gepanzerte Spion liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Anmerkung: Das englischsprachige Original wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschsprachigen Bücher
Invasion des Feuers und Der gepanzerte Spion.

Glühende Dunkelheit von Gail CarrigerMiss Alexia Tarabotti hat ein Problem. Sie ist nicht nur eine Außernatürliche, d.h. vollkommen seelenlos, und die Tochter eines (toten) Italieners, nein, sie hat auch gerade einen Vampir mit ihrem Sonnenschirm ermordet. Selbstverständlich blieb ihr nichts anderes übrig, denn der wenig elegante Gentleman war so unhöflich, sie beim Tee zu stören und zu allem Überfluss auch noch beißen zu wollen! Damit tritt sie eine Welle von Ereignissen los, die ihr Leben als alte Jungfer gründlich umkrempelt und ungebremst über den Werwolf-Alpha, Lord Maccon, hinweg rollt.

-Alexias Bücher nannten dieses Ende des Lebenszyklus eines Vampirs Deanimation. Alexia, die der Meinung war, dass der Vorgang erstaunlich dem In-sich-Zusammenfallen eines Soufflés ähnelte, beschloss in diesem Augenblick, es den Großen Kollaps zu nennen.-

Soulless von Gail Carriger
Im Vergleich: Das Cover der Originalausgabe

Vorweg ein Wort zur Optik. Es kommt außerordentlich selten vor, dass man dies über ein bei uns übersetztes Buch sagen kann, doch in diesem Fall fällt es wirklich nicht schwer: Die deutschen Cover lassen das Original weit hinter sich. Das Model der deutschen Ausgabe ist zwar eindeutig zu jung und etwas zu perfekt geraten für eine Protagonistin, die durch ihre Ecken und Kanten trumpft, doch die Gesamtgestaltung transportiert das Steampunk-Setting ausgesprochen gut, wirkt liebevoll gemacht und schafft sofort die richtige Atmosphäre. Eine wirklich gute Arbeit! Endlich mal ein Buch im Vampirregal, um das man weder optisch noch inhaltlich einen Bogen machen muss.

Wer es gerne very british mag, der sollte sich Glühende Dunkelheit (Soulless) von Gail Carriger zu Gemüte führen. Zugegeben, so richtig blutrünstig sind Carrigers Werwölfe und Vampire auch nicht, aber immerhin glitzern sie nicht in der Sonne, gehen nicht seit 400 Jahren auf die High-School und scheuen nicht einmal vor erotischen Gratwanderungen zurück. Angesichts des vielen Tees, bestickter Handschuhe und anderer dekorativer Eigenschaften bleibt das Buch aber wohl dennoch ein Werk, welches hauptsächlich für die Damenwelt interessant sein dürfte.

Wir befinden uns im viktorianischen London. Die Industrie bringt immer mehr erstaunliche Erfindungen hervor, wie etwa die von Miss Tarabotti bewunderten Luftschiffe. Die Gesellschaft hat einige Jahrzehnte zuvor eine weitreichende Veränderung erlebt, als Werwölfe und Vampire zu akzeptierten und anerkannten Bügern und Bürgerinnen wurden. Seitdem bekleiden sie hochrangige Ämter und sind gern gesehene Gäste auf Dinnerpartys der feinen Gesellschaft. Menschen schließen sich ihnen als Drohnen oder Claviger an und gebissen wird nur, wenn alles seine bürokratische Korrektheit hat.
Dass die Gesetze zwischen Übernatürlichen und Normalen auch gewahrt und kontrolliert werden, sichert das BUR (Bureau of Unnatural Registry). Dessen Leiter, Lord Conall Maccon, 4. Earl of Woolsey und Alpha des Londoner Werwolfrudels ist ein großer, grober schottischer Kerl, der für gewöhnlich bestimmt, wo es lang geht, und keine Widerworte hört – bis er auf die überaus schlagfertige Miss Tarabotti trifft.

Man ahnt es schon auf den ersten Seiten, dass das nur in einer schockierenden Liaison enden kann. Da sprühen die Funken zwischen dem ruppigen Werwolf und der widerspenstigen Jungfer, es wird sich gezankt, was die Regeln der Höflichkeit zulassen, und beim Leser bleibt angesichts witziger Wortgefechte kein Auge trocken. Es ist erstaunlich, wie Frau Carriger es schafft, in einem Atemzug eine pedantisch affektierte “Britishness” mit so viel Humor zwischen Tee und Hühnchengerippen zu füllen, während im Hintergrund Entführungen stattfinden und geheime Organisationen wissenschaftliche und höchst illegale Experimente durchführen. Sprachlich muss man das Buch wirklich noch einmal extra loben, das wirkt bis ins kleinste Detail viktorianisch altmodisch und entsprechend blumig, mit einer sehr schönen und stark am Original gehaltenen Übersetzung. Einzig der herrliche schottische Akzent von Lord Conall Maccon, der umso stärker durchbricht, je mehr sich der Alpha aufregt, geht aufgrund des Sprachwechsels zwangsweise verloren.

Ebenso gelungen wie die Sprache selbst sind auch die verschiedenen Charaktere, die allesamt ihre verrückten kleinen Eigenarten haben und gerade durch ihre Fehler zu Sympathieträgern werden. Etwa Miss Ivy Hisselpenny und ihr Hang zu absolut grauenhaften Hüten oder Lord Akeldama, dessen modische Verirrungen ihn derart in Streit mit seinem Vampir-Stock brachten, dass er selbigen kurzerhand verließ.

Wer angesichts des eher Liebes-fixierten Klappentextes eine weitere Teenie-Schmonzette à la Bis(s) und Konsorten erwartet, wird hier nur bedingt fündig. Die Liebelei zwischen Miss Tarabotti und Lord Maccon spielt durchaus keine unwichtige Rolle in dem Roman, kitschig oder gar prüde geht es hier aber nicht zu. Ausnahmsweise finden sich in Glühende Dunkelheit erwachsene Liebende und ebenso erwachsene Liebesszenen, bei denen man nicht peinlich berührt die Hand vor die Augen schlagen muss oder da sitzt und sich fragt, weshalb man sich bei einem simplen Kuss derart panisch anstellt. Natürlich hat unsere Protagonistin auch einige Probleme damit, sich den für sie völlig neuen erotischen Gepflogenheiten anzupassen, angesichts des Zeitalters ist das aber weder verwunderlich, noch nervtötend, wie es in anderen Büchern der Fall ist. Die Autorin hat sich hier gut an den gesellschaftlichen Regeln orientiert und dem, was einem in dieser Zeit an Informationen zur Verfügung gestanden hat.
Man darf also mit ein wenig Romantik rechnen, allerdings auch mit einer Prise Erotik, verpackt in ein äußerst ulkiges Gefüge, welches zum pausenlosen Grinsen und albernen Kichern einlädt.

Das einzige, was an diesem Buch zu bemängeln bleibt, ist die Titelgebung. Schwer zu sagen, woher dieser deutsche Drang stammt, Titel möglichst absurd und beschämend zu übersetzen. Wie man bei Soulless = Seelenlos auf Glühende Dunkelheit kommt, sollte dringend mal untersucht werden und bleibt für die Leser wohl doch ein Rätsel.

Heartless von Gail CarrigerLady Alexia Maccon kann es wieder einmal nicht lassen. Obwohl sie bereits im achten Monat schwanger ist und den gefühlten Umfang eines Walfisches angenommen hat, lässt sie sich von ihren Pflichten als Mujah in eine abenteuerliche, kriminologische Suche verwickeln. Nachdem sie ein reichlich verwirrter Geist gewarnt hat, die Königin solle ermordet werden, macht sich Alexia sofort auf die Suche nach der Bedrohung, wenig beeindruckt von ihrem unerhört großen Bauch oder dem Westminster Hive, welches die werdende Mutter weiterhin nur in einer Form sehen möchte: tot und das möglichst schnell.

– “Oh, blast it, I’m positively starving.”
Instantly, all three men proffered up comestibles extracted from inner waistcoat pockets. (…) Months of training had seen the entire werewolf household running attendance on an increasingly grumpy Alexia and learning, to a man, that if food was not provided promptly, fur might fly, or worse, Lady Maccon would start to weep. As a result, several of the pack now crinkled as they moved, having desperately stashed snacks all about their personage. –
Kapitel 1, S. 12

Erheben wir die Teetassen für ein weiteres Abenteuer des Parasol Protectorate! Man darf sich wieder auf viel Witz und unvorhersehbare Wendungen freuen, Verbindungen die man so sicher nicht erwartet hat, und die ein oder andere äußerst pikante Erfindung. In Heartless (Feurige Schatten) werden bekannte Probleme zum Teil neu aufgegriffen und andere weiter verfolgt. Nur eines bleibt ungeklärt: die Vorgeschichte der Preter- und Supernaturals, welche nach Blameless (Entflammte Nacht) auf eine Ausarbeitung hoffen ließ. Wer sich also nach dem Ende von Blameless auf Heartless gefreut hat, weil er erfahren wollte, wie es mit diesem Faden der Geschichte weitergeht, der wird sich leider vorerst mit Warten begnügen und auf Timeless hoffen müssen. Die Handlung im vorliegenden Band ist nämlich wieder eine gänzlich andere, diesmal in Manier eines klassischen Detektivromans nach dem Vorbild eines Sherlock Holmes etwa. Gegner der Romantik dagegen dürfen sich freuen, denn es geht in Heartless recht nüchtern zur Sache.

Ganz ohne Kritik kommt der aktuelle Band diesmal jedoch nicht davon, auch wenn die Kritikpunkte in ihrer Gewichtung eher als kleine Flecken auf einer ansonsten schneeweißen Weste betrachtet werden sollten. Im Ganzen gesehen, ist Heartless einfach nur ein wenig anders als seine Vorgänger. Es sind die bekannten Personen, die gewohnten wunderbaren Wortgefechte, selten komische Modeaccessoires, zweckentfremdete Wandschränke und eine außerordentlich auffällige Erfindung.
Technisch betrachtet wirkt die Story diesmal allerdings ein wenig zu konstruiert mit zu vielen scheinbar zufälligen Vernetzungen, die nicht  ganz so überraschend einschlagen, wie es wohl der Plan war. Das Geschehen kann so auch nicht wirklich überzeugen. Heartless ist durchaus noch witzig und erfinderisch, individuell betrachtet aber der bisher schwächste und weniger amüsanteste Teil dieser Reihe. Es scheint, als bereite Heartless ein alles verbindendes Finale für Timeless vor und wirkt dadurch weniger in sich geschlossen. Man darf gespannt sein, ob es dann letztlich auch so kommen wird oder ob Teile der bisherigen Ereignisse im Sande verlaufen werden.

Anders sind vor allem auch die Protagonisten. Eine hochschwangere Heldin, die noch dazu keine Sentimentalitäten für ihr “infant inconvenient” aufkommen lässt, ist sicherlich eine Besonderheit und sorgt nicht selten für eine ganz spezielle Komik. Alexia dürfte in diesem Roman eine ihrer besten Shows abgeliefert haben, so überzeugend und plastisch wie sie sind die übrigen Charaktere in Heartless aber nicht. Man gewinnt den Eindruck, jede bis hierher erwähnte Figur sollte noch einmal zum Zuge kommen und die Rolle eines wichtigen Puzzleteils im Gesamtbild übernehmen. Das hat unweigerlich zur Folge, dass man das Gefühl hat, keinen so richtig anzutreffen. Es ist wie ein flüchtiges Zusammenstoßen zwischen Tür und Angel. Das mag natürlich ein persönlicher Eindruck sein, doch vor allem Professor Lyall wirkt in diesem Teil des Parasol Protectorates wie eine völlig neue Person: weniger gewitzt, weniger organisiert, mehr wie ein unbesungener und vor allem tragischer und verzweifelter Held eines ebenso tragischen Bühnenstücks. Man erfährt zwar deutlich mehr über seine Vergangenheit, im Gegenzug verliert er aber leider viel von seiner bisherigen Ausstrahlung. Was ein beklagenswerter Verlust für diesen sonst so souveränen Charakter ist.

Sprachlich ist an dem Roman dafür weiterhin nichts zu kritisieren. Im Gegenteil. Schon Kapitelüberschriften wie The Octopus Stalks at Midnight oder Death by Teapot zeigen einmal mehr die humorvollen Qualitäten der Autorin. Manche Szene wirkt dank der sprachlichen Finesse derart real, dass einem unweigerlich die absurdesten Bilder lebhaft vor dem Auge herumtanzen und herzhaftes Gelächter auslösen. Freunde der bekannten Erzählstruktur, sprachlichen Eleganz und der vielfältigen Ideen werden also auch in Heartless wieder voll auf ihre Kosten kommen.

Der trügerische Frieden in den Benannten Landen ist nur von kurzer Dauer; zu hoch war der Preis, der dafür gezahlt wurde. Als ein Anschlag auf Jin Li Tam und ihren Sohn verübt wird, erkennt Rudolfo, dass er es mit noch mehr Feinden zu tun hat, als er geahnt und gefürchtet hat. Doch auch in den Ödlanden werden Steine ins Rollen gebracht, die scheinbar nicht aufzuhalten sind. Und so verstricken sich uralte Pläne mit jetztzeitigen Ängsten, und die Kriege an unzähligen Fronten drohen, jederzeit zu eskalieren…

Der aufgehende Vollmond tauchte das ruhige Meer in blasse Blau- und Grüntöne, übergoss das Ufer und auch die Gestalten in Talaren, die dort im aquamarinfarbenen Licht warteten. Über ihnen tanzten und funkelten die Sterne am warmen Nachthimmel.
– Vorspiel, S. 7

Musik zwischen Bücherdeckeln gehört sicher nicht zu den alltäglichen Leseerfahrungen, doch mit Hohelied erschien nunmehr die dritte Strophe der Legende von Isaak von Ken Scholes. Anders, als es der Titel suggeriert, handelt es sich jedoch weniger um ein Liebeslied, sondern um einen wechselvollen Gegengesang von Hoffnung und Verzweiflung, von tiefem Glauben und dem noch tieferen Fall beim Verlust desselben. Denn in den Benannten Landen ist ein jeder gezwungen, sich der Gretchenfrage zu stellen: Rudolfo, Winters, Isaak: Wie habt ihr’s mit der Religion?

Die Beantwortung dieser Frage ist ein zentraler Handlungsmotor des Werkes und seiner Figuren. Während die Benannten Lande in Intrigen und Scharmützeln versinken, tobt auch im Inneren der Gesinnungskrieg. Religion vermischt sich mit Mystizismus, Metaphysik wird zur Wissenschaft und Träume wiegen plötzlich schwerer als die Realität. Inmitten dieser fundementalen Ungewissheiten findet sich der Leser wieder; und wer genau liest, erahnt auch in Hohelied die zahlreichen Verfremdungen der christlich-abendländischen Kulturgeschichte. Ohne diese Deutungsebene ist es ein lediglich spannungsvoller Roman; berücksichtigt man sie jedoch, bekommt er aktuelles Gewicht. Wenn Jin Li Tam mit ihrem Sohn durch ein Spalier von Tannenzweigen schwenkenden Gläubigern reitet, um sich in die sprichwörtliche Höhle des Löwen zu begeben, dann ist dies keine so hoffnungstiftende Szene, wie das palmenblättrige Original.

Die Vaterrolle, die im zweiten Band, Lobgesang, eine zentrale Thematik war, verlagert sich in Hohelied auf eine abstraktere, weniger greifbare, aber nicht weniger spannende Ebene: Charles, der Androfranziner-Mönch und Gelehrte, der die Mechoservitoren schuf, sieht sich mit der “Mensch-Werdung” seiner Maschine konfrontiert. Denn während der Feind im Namen seines Glaubens zum Unmensch wird, beginnt Isaak, der Mechoservitor aus Metall und Zahnrädern, zu träumen. Die Sorge, das eigenen Kind nicht schützen zu können, eint bald den Zigeunerkönig und den Gelehrten und bestimmt ihr Handeln. Scholes nähert sich diesem Konflikt feinfühlig und scheut sich nicht, den strahlenden Gecken des ersten Bandes, Rudolfo, den Zigeunerkönig, zu demontieren. Was tut ein Mann, der sich seines Glaubens, seiner Lieben und der Einigkeit seines Volkes beraubt sieht? Rudolfos Antwort auf seine Verzweifelung mag nicht königlich erscheinen, ist jedoch zutiefst menschlich und beweist die Sensibilität des Autors bei der Charakterzeichnung.

Doch nicht nur Rudolfo wird auf das Härteste geprüft; als Meister der Charakterentwicklung schreibt Scholes den Figuren einen Weg, der qualvoll authentisch ist und keine Zugeständnisse an Klischees zulässt. Seine Konsequenz macht aus dem Roman eine Lektüre, die bedrückend und virtuos zugleich ist. Die Komplexität seines Weltentwurfs spiegelt sich vor allem und in den verschiedenen Lehren wider, die nicht nur die Protagonisten, sondern auch den Leser herausfordern. Nicht selten fühlt man sich an die eigene Lebenswirklichkeit erinnert; besonders Titel wie “Zar” oder “Papst” sowie seltsam vertraut-entrückte Visionen erwecken zunehmend den Anschein, dass die Benannten Lande mit der Welt, die wir kennen, einst verwandt waren.
Freunde der Rätselei werden also auch in Hohelied viel Stoff für angestrengte Überlegungen finden; jedoch wird auch der klügste Kopf überrascht werden von dem Muster, welches Scholes bereits vom ersten Band an geknüpft und sorgsam sowie wohltönend komponiert hat.

Staatsgrenzen, Grenzen zwischen Religionen, die Unterscheidung in Freund und Feind: In den Benannten Landen verlieren klare Definitionen ihren Sinn und ihre Gültigkeit. Wenn sich uralte Mächte einmischen, so weiß der Fantasy-Kenner, müssen sich diejenigen, die sich derzeit für mächtig halten, auf einen Rückschlag gefasst machen. Und an Rückschlägen mangelt es in Hohelied wahrhaftig nicht. Umso herber trifft den Leser der Schluß des Romans, der das Warten bis zum Erscheinen des nächsten Bandes eindeutig zur Geduldsprobe werden lässt. Denn die wunderschöne Sprache, die feinstens ausgefeilte Handlung sowie die Hintergründigkeit des Romans erzwingen eindeutig eine Erwiderung.

Invasion des Feuers von Adrian TchaikovskyCollegium, eine Stadt der Wissenschaft und der Freigeister, ist einer von vielen Stadtstaaten, die mehr oder weniger friedlich unabhängig voneinander existieren. Auf Stenwold Maker, einen Gelehrten, der seit Jahren vor den Eroberungsplänen des sich ausbreitenden Wespenimperiums warnt, hört daher niemand.
Frustriert, aber dennoch unermüdlich hält er sein Netzwerk aus Informanten aufrecht und sucht sich aufgeweckte junge Studenten, die er unter seine Fittiche nimmt und für den Ernstfall ausbildet, unter anderem seine Nichte Che. Als die Wespen tatsächlich ihre Fühler ausstrecken, steht er als einer der ersten auf ihrer Abschußliste.

– Nachdem Stenwold zum neunten Mal das Fernrohr ergriffen hatte, sagte Marius: »Du wirst am Klang erkennen, was sie machen.« –
Eins

Zu Invasion des Feuers liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Anmerkung: Das englischsprachige Original wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschsprachigen Bücher Invasion des Feuers und Der gepanzerte Spion.

Lauf gegen die Dunkelheit von Jeanne DuPrauDie Stadt Ember existiert im dunklen Innern der Erde, erhellt nur durch das elektrisch erzeugte Licht eines einzigen Generators. Doch ausgerechnet der droht nun zu zerfallen und die marode gewordene Stadt in vollkommene und nie enden wollende Dunkelheit zu tauchen.
In dieser Zeit macht die junge Lina Mayfleet eine Entdeckung unter den Erinnerungsstücken ihrer Großmutter – eine Kiste, in der sich die bruchstückhaft erhaltenen Anweisungen der Erbauer Embers befinden. Anweisungen, die die Bewohner retten und in eine neue Stadt führen könnten.

– Es gibt keinen Ort außer Ember. Ember ist das einzige Licht in einer finsteren Welt. –

Zu Lauf gegen die Dunkelheit liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Nach Windwirs Fall herrscht Misstrauen unter den Völkern der Benannten Lande, und Rudolfo, der Zigeunerkönig, hat sich in seine Waldresidenz zurückgezogen und leitet den Neuaufbau der Bibliothek. Als unerkannte Attentäter zur Feier seines neugeborenen Sohnes ein Blutbad unter den Gästen anrichten, kommt er unbeschadet davon, und der Samen der Zwietracht ist gesät: hat der Zigeunerkönig etwas mit den Anschlägen zu tun? Doch während sich Rudolfo auf die Suche nach Wahrheit begibt, antwortet eine unbekannte Macht auf die Zerstrittenheit der Völker, und ihre Antwort ist: Krieg.

– Der Sonnenaufgang über den Mahlenden Ödlanden war von schrecklicher Herrlichkeit. –
Vorspiel

Es ist kein Zeichen überbordender Kreativität, einer Rezension den Titel des zu rezensierenden Romans zu verleihen. Doch da „Lobgesang auf Lobgesang“ noch unbeholfener tönt, möchte ich es bei der Einfachnennung belassen. Was also ist so gut am zweiten Band des Zyklus Die Legende von Isaak von Ken Scholes, dass ich hier einen weiteren Lobgesang anstimmen möchte?

Die Geschichte beginnt einige Monate nach der Verheerung Windwirs. Die Protagonisten sind über die Benannten Lande verstreut und versuchen noch immer, die Rätsel um die Zerstörung der einst so prächtigen Stadt zu lösen und die daraus resultierenden diplomatischen Verwicklungen zu entwirren. Besonders durch die Augen von Neb, Rudolfo und Vlad Li Tam entdeckt der Leser immer mehr von der Welt; die Mahlenden Ödlande werden durchlaufen und das Smaragdmeer durchschifft. Für jedes vermeintlich gelöste Rätsel werden jedoch zehn neue Frage aufgeworfen, und bald erschüttert Verrat und Krieg die Bewohner der Benannten Lande und die Leser des Romans.

Tatsächlich kann Lobgesang (Canticle) als ein Roman über Verrat, über Krieg, und über Verantwortung gelesen werden – und als Roman über Familie. Die zwischenmenschliche, familiäre Beziehung ist ein zentraler Handlungsmotor: während Winters jegliche Bezugsperson zu verlieren scheint, muss Vlad Li Tam erkennen, dass Blut zwar dicker als Wasser ist, aber dennoch vergossen werden kann.
Unkonventionell finde ich die Entscheidung, einen Protagonisten im inneren Konflikt zwischen Vaterschaft und Pflichtbewusstsein zu skizzieren. Äußerst feinfühlig schildert Scholes die wachsende emotionale Bindung eines Vaters an sein Neugeborenes, ohne in blinden Kitsch abzudriften. Die Sorge um das „Greater Good“ wird mit einem Male zum Kampf um ein einzelnes Leben. Doch bevor der actiongewohnte Fantasyfan aufstöhnt, sei ihm versichert: noch immer ist Rudolfo Staatsmann, und wer glaubte, die Intrigen der Familie Li Tam mit dem Ende des ersten Bandes durchschaut zu haben, wird enttäuscht werden. Noch feiner wird das Netz aus Täuschung, noch tiefgreifender der Verrat und deutlich blutiger die Auseinandersetzungen. Lobgesang ist kein schmachtendes Familiendrama, sondern ein spannender Fantasyroman und Scholes ein Autor, der sich der Herausforderung einer komplexen Charakterentwicklung annimmt.
Das Motiv des innerlichen Zwiespalts, des inneren Kampfes, zieht sich wie ein roter Faden durch die Charakterzeichnung. Winters ist nicht nur ein verliebtes junges Mädchen auf der Suche nach menschlicher Geborgenheit, sondern auch Kriegerin und Herrscherin eines Volkes, welches ungeahnt eine ganz andere Rolle spielt, als sie es sich hatte vorstellen können. Jin Li Tam hingegen hat genug von der häuslichen Wärme und stürzt sich, den eigenen Sohn im Arm haltend, in die Schlacht. Nur Petronus steuert ohne Zaudern auf ein Ziel zu; doch die gefürchtete und gleichzeitig herbeigesehnte Abrechnung ereilt ihn anders, als geplant.

Besonders diese Ambivalenz der Figuren und die sorgfältig und glaubhaft gezeichneten inneren Konflikte der Charaktere fesseln den Leser an die Seiten; ihre Schicksale vermögen zu Tränen der Freude oder der Trauer zu rühren. Jahrelanger Fantasygenuss härtet zwar ab, die Geschichte um die Familie Li Tam jedoch schockiert und führt den Leser die Abgründe menschlichen Handelns vor Augen.
Doch nicht nur menschliches Handeln bestimmt den Fortgang der Geschichte: immer mehr wird deutlich, dass die dampfbetriebenen Mechoservitoren nicht die passiven, programmausführenden Wissenscontainer sind, für die man sie gern halten würde. Und während alle dem Wissen der verlorenen Stadt Windwir auf der Spur sind, erwächst im karmesinroten Schatten des Sumpfvolkes eine uralte Bedrohung zu grausamer Stärke, und die Bundraben rufen es von den Dächern: Blutmagie …

Gewohnt sprachlich brillant und äußerst stimmig übersetzt erzählt Scholes seine facettenreiche Geschichte, die man als Leser atemlos, Seite um Seite verschlingt. Handlungsfäden treiben auseinander, überkreuzen sich und finden in grausamer Vorahnung wieder zusammen. Nie verliert der Autor einen Faden, und am Ende erkennt der Leser ein Muster, welches auf das Äußerste gespannt auf den dritten Band warten lässt. Und so langsam dämmert es dem Leser, dass Scholes etwas ganz und gar außergewöhnliches geschrieben hat: einen Lobgesang in Moll.

Mainspring von Jay LakeDem jungen Uhrmacherlehrling Hethor erscheint ein Engel mit der Aufgabe, den drohenden Weltuntergang abzuhalten: Die Uhrfeder der Welt muß wieder aufgezogen werden, sonst läuft der Mechanismus aus, der die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne hält. Beherzt zieht Hethor los, als erstes zum Hof von Boston, um den englischen Vizekönig von seiner Mission zu überzeugen und um Hilfe zu bitten. Dort ist er aber leider an der falschen Adresse, wird verlacht und schließlich ins Gefängnis geworfen, denn manche erkennen in seiner Mission auch eine Gefahr. Doch so schnell gibt Hethor nicht auf, und er kann auch auf einige geheime Unterstützer zählen …

-The angel gleamed in the light of Hethor’s reading candle bright as any brasswork automaton.-
One

Luftschiffe? Oh ja, ganz genau so, wie es wunderbar von Stephan Martiniere auf dem Cover in Szene gesetzt wurde. Zahnräder? Die größten und wichtigsten, die man sich vorstellen kann, denn sie halten die Welt in Bewegung und sorgen dafür, daß das Universum als göttliches Uhrwerk funktioniert. Entdeckungsfahrten? Hinter den himmelhohen Wällen des Äquators wartet die unerforschte Südhalbkugel, eine Welt, in der die Zivilisation noch nicht angekommen und Magie die treibende Kraft ist.
Mit kleinen Einsprengseln aus der (Kultur-)Geschichte unserer Welt und viel, viel Erfindungsreichtum hat Jay Lake das Konzept “Steampunk” komplett auf die Spitze getrieben: In einer Welt, in der das britische Empire – dessen Klassengesellschaft von Charles Dickens importiert sein könnte – noch über Nordamerika als Kolonie verfügt, kreist die Erde auf einer metallenen Umlaufbahn um die Sonne, und wenn unser verwaister Held Hethor ganz genau hinhorcht, kann er um Mitternacht die Zahnräder einrasten hören.
Dieses mechanistische Weltbild, dessen Beweis göttlicher Schaffenskraft nachts jedem vor Augen steht, hat theologische Konsequenzen, von denen die Kreationisten unserer Welt nur träumen können. Umso fataler ist Hethors Beharren darauf, daß der göttliche Mechanismus fehlgeht – das sorgt für Aufruhr in theologischen und wissenschaftlichen Kreisen, die bei diesem Weltbild ohnehin relativ deckungsgleich sind.

Dieses weltanschauliche Gerüst liefert den Hintergrund für Mainspring (Die Räder der Welt), im Vordergrund steht aber eine klassische Abenteuerhandlung, wie sie phantastischer kaum sein könnte: Nachdem die Aufgabe der Weltrettung ohne Umschweife auf der ersten Seite vom Erzengel Gabriel höchstpersönlich überbracht wurde, natürlich einem (zumindest in Geschichten) vollkommen naheliegenden Helden, dem unbedarften, jungen und machtlosen Lehrling Hethor, verschlägt es diesen alsbald auf ein Luftschiff der Royal Navy und von dort über die Grenzen der bekannten Welt hinaus. Bald wechseln sich gigantische Schauplätze in rascher Folge ab, wobei vor allem die Dimensionen und die Exotik der riesigen äquatorumspannenden Wälle beeindrucken, aber auch die völlig fremdartige Welt auf der anderen Seite. Hinzu kommen apokalyptische Ereignisse, wenn der auslaufende Antriebsmechanismus der Welt ins Holpern gerät – in der Welt von Mainspring ist alles eine Nummer größer, steht der Mensch ganz wie in der Zeit der Entdeckung der Erdgeschichte auf unserer Welt staunend und klein vor dem Erhabenen. Nur daß Mainspring von einem mechanischen Universum mit mechanischen Problemen handelt, in dem sich ein Uhrmacher als Messias-Figur zur Verfügung stellen muß.

Der Plot fügt sich nahtlos in dieses Konzept ein und läuft mechanisch ab, die Handlung wird von unsichtbaren Zahnrädern am Laufen gehalten, und Hethor agiert meistens nicht, sondern wird durch die Ereignisse und Kulissen geschoben. Undurchsichtige und meistens im Hintergrund agierende Helfer und Feinde sind es, die seine Abenteuer in Bewegung setzen und in Gang halten. Er selbst ist ein argloser, aber treu gläubiger Held, der zur rechten Zeit an Ort und Stelle ist, um bestimmte Hebel in die ihnen vorbestimmte Bewegung zu setzen. Daß daraus eine regelrechte Erlösungs-Maschinerie wird, bei der Hethor eigentlich nichts bleibt, als mitzumachen, setzt der leisen, leisen Kritik nur die Krone auf, die einen immer wieder fragen läßt, wie groß die Unterschiede zwischen diesem mechanischen Weltbild und unserer lang gehegten Vorstellung vom Schöpfergott letzten Endes sind, und das, obwohl wir am Nachthimmel keine Schienen glitzern sehen.
Trotzdem können weder die phantastischen Settings noch die zunehmend phantastische Handlung darüber hinwegtäuschen, daß diese sichtlich gelenkte Plotführung der Erzählung nicht sonderlich dienlich ist: Sie kommt beim Leser als reine Willkür an, Hethors treuliches Beharren auf seiner Queste und die verworrenen Loyalitäten und Motivationen von Freund und Feind entziehen sich jeglichem Verständnis. Das Experiment, auch die Handlung wie ein Uhrwerk ablaufen zu lassen, ist allenfalls interessant, scheitert aber daran, eine dynamische Struktur zu schaffen.

Spaß kann man mit Mainspring trotzdem haben, wenn man die Komponente der irrwitzigen Abenteuer und des Staunens über immer neue Wunder mehr schätzt als die Spannung und Logik der Handlung. Liebenswerte Figuren und Völkchen schlagen sich auf Booten, Luftschiffen und riesigen Leitern und Treppen durch die Welt, und Hethor muß zumindest einige gesellschaftliche Dogmen über Bord werfen, um zu überleben. Die übertriebene Konzepttreue, der Jay Lake mechanisch folgt, läßt die Queste dabei allerdings zur unzureichenden Nebensache verkommen.

Necromancer von Martha WellsNicholas Valiarde ist ein Edelmann mit einem Doppelleben als größter Dieb der Stadt Vienne – und seine Verbrechen dienen nur einem Ziel: Er will den Grafen Montesq ausschalten, der einst seinen Mentor wegen Nekromantie zum Tode verurteilen ließ. Nicholas ist näher als je zuvor an seinem Ziel, als ihm ein ungelegener Zwischenfall in die Quere kommt: Ein zwielichtiger Spiritualist, der angeblich mit Verstorbenen kommunizieren kann, geht in den Adelshäusern der Stadt ein und aus und benutzt eine der Erfindungen von Nicholas’ verstorbenem Mentor. Als ob das nicht genug wäre, sieht sich Nicholas bei seinen Nachforschungen plötzlich echter Nekromantie gegenüber. Er geht der Sache nach – weitaus besser als die inkompetente Präfektur der Stadt …

– Die nervenaufreibendsten Unternehmungen waren immer die, bei denen man den Vordereingang benutzen musste. –
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Cover von Planet der Sonnen von Karl SchroederNachdem Haydens Eltern bei dem gescheiterten Versuch umgebracht werden, ihrem Clan, den Aerie, mit einer Eigenbau-Sonne die Unabhängigkeit von der mächtigen Slipstream-Nation zu verschaffen, wächst der Junge zu einem rachsüchtigen Erwachsenen heran. Angetrieben von dem Wunsch Admiral Chaison Fanning umzubringen, den er für den Tod seiner Eltern verantwortlich macht, lässt er sich für dessen waghalsige Schifffahrtsmission anheuern. An Bord des Flaggschiffs befindet sich jedoch nicht nur Fanning selbst, sondern auch dessen Frau, die ebenfalls auf Rache sinnt, sowie die geheimnisvolle Waffenmeisterin Aubri Mahallan.

-Hayden Griffin rupfte gerade einen Fisch, als der Schwerkraftalarm ertönte.-
1

Der kanadische Science-Fiction-Autor Karl Schroeder wendet sich mit seinem neuesten Zyklus Virga dem Steampunk zu – zumindest teilweise. Denn bereits im Auftaktband der Pentalogie Planet der Sonnen kündigen sich einige vielversprechende SF-Elemente an.

Die mit Abstand größte Stärke des Romans ist das wahrhaft faszinierende Setting, in dem sich alles um eines dreht: Sonnen. Denn diese versprechen in dem großen, gravitationslosen Raum Virgas vor allem zwei Dinge: Licht und Schwerkraft. Schwerkraft bedeutet politische Macht und Anziehungskraft im wahrsten Sinne des Wortes. Hat man die richtige Ausrüstung, kann man sich in Virga seine eigene Sonne machen, allerdings wird das von den bestehenden politischen Entitäten, die auf Aetherwinden quasi nomadisch auf ihren großteils selbstgebauten Lebensräumen durch den Raum „reiten“, alles andere als gut geheißen, geht damit doch politische Unabhängigkeit einher.

Wer glaubt, damit wäre schon das ganze Pulver des Romans verschossen, der irrt gewaltig, offenbart sich doch im Verlauf der Handlung eine vielversprechende Ebene des an sich schon beeindruckenden Weltenbaus, das für politisches Intrigenspiel ebenso Platz bietet wie für Seefahrerflair versprühende Reisen auf steampunkigen Aetherschiffen durch die schwerelose Weite Virgas.

Leider wird das Lesevergnügen durch den Protagonisten geschmälert, der relativ bald den Eindruck eines Handlungsvehikels erweckt. Seine tragische Vergangenheit und das daraus resultierende rebellisch-rachsüchtige Gemüt scheinen zu verpuffen, sobald sie der Handlung im Wege stehen, sodass das Potential zu einer ambivalenten Hauptfigur ungenützt bleibt. Die weitere Entwicklung Haydens lässt sich eher als eine seltsame Mischung aus Inkonsequenz und Vorhersehbarkeit beschreiben. Die zweite, weibliche Hauptfigur, Venera Fanning, könnte zwar als interessantere Alternative dienen, sie bleibt aber noch zu eindimensional. Hier besteht für die Folgebände noch genug Verbesserungspotential. Die Handlung entwickelt dennoch einen gewissen Sogfaktor, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie auch neue Facetten der Welt beleuchtet und das Ensemble an Haupt- und Nebenfiguren im Verlauf des Romans doch eine unterhaltsame Dynamik entwickelt, Sympathie weckt sowie Potential für die Folgebände erhoffen lässt.

Wer sich also in eine faszinierende Welt entführen lassen will, ohne sich von einer (bisher) deutlich weniger innovativen Charakterzeichnung und Handlungsentwicklung im Lesevergnügen beeinträchtigt zu fühlen, dem sei Planet der Sonnen (Sun of Suns) wärmstens empfohlen – inzwischen sind auch schon zwei Folgeromane auf Deutsch erschienen. Im Original ist die Reihe bereits abgeschlossen.

Die Räder der Welt von Jay LakeDem jungen Uhrmacherlehrling Hethor erscheint ein Engel mit der Aufgabe, den drohenden Weltuntergang abzuhalten: Die Uhrfeder der Welt muß wieder aufgezogen werden, sonst läuft der Mechanismus aus, der die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne hält. Beherzt zieht Hethor los, als erstes zum Hof von Boston, um den englischen Vizekönig von seiner Mission zu überzeugen und um Hilfe zu bitten. Dort ist er aber leider an der falschen Adresse, wird verlacht und schließlich ins Gefängnis geworfen, denn manche erkennen in seiner Mission auch eine Gefahr. Doch so schnell gibt Hethor nicht auf, und er kann auch auf einige geheime Unterstützer zählen …

– Der Engel erstrahlte im Schein von Hethors Lesekerze so hell wie eine Messing-Maschine. –
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Zu Die Räder der Welt liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Die geflügelte Armee von Adrian TchaikovskyDas Wespenimperium wächst Jahr für Jahr und führt Krieg gegen seine Nachbarn, zwingt sie in die Sklaverei. Nach dem Krieg gegen den Bund der Libellen fassen die Wespen nun die zerstrittenen Tieflande ins Auge. Als sie die ferne Stadt Myna einnehmen, wird auch Stenwold Werker die wahre Macht des Pwespenstaats bewusst und sendet seine Agenten um mehr über den Feind zu lernen und das Volk der Tieflande zu warnen bevor es zu spät dafür ist.

– Alle Morgen waren freudlos für ihn, und so auch dieser. –
Eins

Zu Die geflügelte Armee liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Anmerkung: Das englischsprachige Original wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschsprachigen Bücher Die geflügelte Armee und Schwarzer Glanz.

Schwarzer Glanz von Adrian TchaikovskyDas Wespenimperium wächst Jahr für Jahr und führt Krieg gegen seine Nachbarn, zwingt sie in die Sklaverei. Nach dem Krieg gegen den Bund der Libellen fassen die Wespen nun die zerstrittenen Tieflande ins Auge. Als sie die ferne Stadt Myna einnehmen, wird auch Stenwold Werker die wahre Macht des Pwespenstaats bewusst und sendet seine Agenten um mehr über den Feind zu lernen und das Volk der Tieflande zu warnen bevor es zu spät dafür ist.

– Er verlor sich in dunklen Gefilden, in unermesslichen Abgründen, in die noch nie ein Lichtstrahl gedrungen war. Hier schienen keine Sterne, und es gab keine Laternen. Nur Leere und das Rauschen des Windes oder das Reißen des Stroms, der ihn nach unten zerren wollte. –

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Anmerkung: Das englischsprachige Original wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschsprachigen Bücher Die geflügelte Armee und Schwarzer Glanz.

Sengendes Zwielicht von Gail CarrigerZwei Jahre nach der Geburt des gemeinsamen Töchterchens Prudence leben Alexia und Conall Maccon weiterhin im Ex-Kleiderzimmer des exzentrischen Vampirs Akeldama, als eine Einladung der Vampirkönigin Alexandrias die gefürchtete Badenacht unterbricht und die Familie zu einer Reise nach Ägypten nötigt. Da bei den Maccons nichts ohne fliegende Fetzen von Statten geht, wird die Reise selbst zum Auftakt abenteuerlichen Chaos, bei dem die anwesende Theatergruppe der Familie Tunstell selbstverständlich nicht zu einer Verbesserung der Ordnung beiträgt.

»Ich glaube, heute ist Badetag, Madam.«
Lady Maccon erbleichte vor Entsetzen. »O du liebe Güte! Dann ergreifen wir am besten schnell die Flucht, Conall, sonst werde ich es nie schaffen, rechtzeitig zu …«
Als hätte ihre Angst vor genau solch einer Verzögerung es heraufbeschworen, erklang ein Klopfen an der Tür von Lord Akeldamas drittbestem Schrankzimmer. –
1, Beinahe findet ein Bad und definitiv ein Besuch im Theater statt

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The Six Gun Tarot von R. S. BelcherMehr tot als lebendig kommt der junge Jim mit seinem treuen Pferd nach der Durchquerung der 40-Meilen-Wüste in Golgotha an, einem Western-Kaff, wie es im Buche steht. Oder vielleicht doch nicht ganz? Es ist auf jeden Fall einiges faul in dem Örtchen, in dem sich zwischen mormonischen Stadtvätern, einem offenbar unsterblichen Sheriff, einem Gemischtwarenhändler mit frankenstein’schen Ambitionen und einer Bankiersgemahlin mit eindeutig zu vielen Messer in der Tasche etwas Böses herumtreibt. Aber auch Jim schleppt ein magisches Artefakt (und ein hohes Kopfgeld, das auf ihn ausgesetzt ist) mit sich herum, und versucht kurzerhand Fuß zu fassen.

-The Nevada sun bit into Jim Negrey like a rattlesnake. It was noon. He shuffled forward, fighting gravity and exhaustion, his will keeping him upright and moving.-
The Page of Wands

Wenn die Fantasy den wilden Westen erobert und damit zwei bildgewaltige, abenteuerliche und kontrastreiche Genres aufeinandertreffen und in einer konzertierten Aktion Zombies, Viehbarone oder Aliens niedermachen, geht es meist ziemlich hoch her. Und wenn man schon mal dabei ist, den Western phantastisch aufzuladen, kann man ja auch gleich noch etwas mehr hinein packen. Und dann nochmal ein Schippchen obendrauf legen.
Das war wohl R.S. Belchers Devise für sein Romandebüt The Six-Gun Tarot, dem man locker eine ausufernde Genrebezeichnung überstülpen könnte, bei der EU-Gesetzgebungs-Bandwurmwörter im Längenvergleich beschämt von dannen ziehen müssten.
Der Roman empfängt Leser und Leserinnen zunächst mit charmant und stilvoll umgesetzten Western-Klischees und einem bunten Figuren-Ensemble, das trotz des rauen Tons, der in Golgotha mitunter angeschlagen wird, eine gewisse Wärme ausstrahlt. Es ist zwar nicht gerade ein idyllisches Western-Städtchen-Leben, aber ein mehr oder weniger respektvoller Umgang, was sich zwischen den Einwohnern abspielt … als da wären: Der junge Neuankömmling (mit finsterer Vergangenheit), der strahlend gute Sheriff (mfV), der zwielichtige Saloon-Betreiber (mfV), die Bankiersgattin (mfV), die Minenarbeiter (mfV), der Bürgermeister (mit Leiche im Keller), der Gemischtwarenhändler (mit Leiche im Speicher), der indianische Hilfsheriff (mit fragwürdiger, vierbeiniger Abstammung), die freundliche Witwe (völlig geheimnis- und leichenfrei). Und das, liebe Leserinnen und Leser, waren noch lange nicht alle Figuren, aus der Perspektive The Six-Gun Tarot erzählt wird.

Eine Weile funktioniert das sehr gut, die Spannung des Romans bezieht sich aus dem Setting und den Figuren. Doch die Masse an Personal und sonstigen Versatzstücken – denn jede Figur bringt eine eigene interessante Geschichte mit neuen Elementen mit – geht schnell auf Kosten der Tiefe und des Tempos.
Dabei machen viele der einzelnen Ideen großen Spaß: Mutt, der Hilfsheriff mit Coyotenverwandtschaft, ist eine gelungene (als Indianer doppelte) Außenseiterfigur, die mehr schlecht als recht in einer kleinen Nische der Gesellschaft zurechtkommt. Der Auftritt einer feministischen Super-Oma bringt die Lage von Frauen im 19. Jahrhundert (und weit darüber hinaus) perfekt auf den Punkt. Die mormonischen Stadtväter von Golgotha (durch deren Ränge sich einige hochinteressante Brüche ziehen) passen nicht nur zur religiös aufgeladenen Haupthandlung, sondern tragen mit dazu bei, aus Golgotha ein hyperamerikanisches Kaff zu machen, das nur von Leuten bewohnt wird, die sich schlicht weigern, aufzugeben.
Bisweilen stellt Belcher einen liebevollen Blick für Details und Charakterentwicklung zur Schau, aber eben nur punktuell. Er schafft es nicht ganz, alles zu einer Einheit zusammenzufügen. Im Gegenteil laufen viele Figurengeschichten ein bisschen ins Leere, während sie gleichzeitig aber auch die Haupthandlung sabotieren, die in ihrer schöpfungsgeschichtlichen Grundannahme eigentlich gewaltig genug ist, allein mehr als einen knapp 400seitigen Roman zu tragen. Der mythische Hintergrund der Geschehnisse in Golgotha ist eine spannende Sache, verliert sich aber im Kuddelmuddel aus Einzelideen.

Hinzu kommen ein paar kleinere Probleme technischer Natur – ob es nun die sich in mehreren Handlungssträngen schnell abnutzende Motivation durch die Kinder der Hauptfiguren ist, oder Dialoge, in denen Belcher seine Helden allzu sehr den Erklärbär geben lässt und dazu auch mal unschön aus der Perspektive fällt.
Inmitten der Infodumps und während das Ganze mit immer neuen Figuren in die Breite geht, flaut die Spannung schnell ab, und man braucht schon eine ausdauernde Freude an neuen Ideen, um am Ball zu bleiben.
The Six-Gun Tarot ist trotz allem ein Roman, den man nur ungern in die Pfanne haut, denn er krankt an einem Autor, der sich redlich bemüht und dabei vieles gut gemacht hat. Aber es sind genau jene vielen zu komplexen und differenzierten Geschichten, die fast alle lobenswert anders sein und ihre Klischees auf den Kopf stellen wollten, die das Debüt letztlich im Graben enden lassen.
R.S. Belcher ist aber trotzdem ein Autor, den man sich merken sollte – vielleicht, wenn er aus seinen hervorragenden Zutaten erst mal Bohnen mit Speck statt ein Zehn-Gänge-Menü kocht.

Windwir liegt in Trümmern. Die Stadt, die einst die Geheimnisse einer hochtechnologisierten Gesellschaft hütete, ist dem Erdboden gleichgemacht. Im Zentrum der Zerstörung steht, als Überbleibsel einer nunmehr verlorenen Wissenskultur,  der Metallmann Isaak, in endloser Trauer gefangen. Doch schon bald nach dieser Katastrophe werden die Karten allerorts neu gemischt. Wer wird die Macht über die Benannten Lande an sich reißen? Doch je mehr Parteien das Spielfeld betreten, desto drängender wird die Frage, die sich jeder stellt, und deren Antwort alles verändern wird: wer zerstörte diese einst so stolze Stadt? Und – warum?

-Windwir ist eine Stadt aus Papier und Talaren und Stein.-
Vorspiel

Ken Scholes Roman begeistert sie alle: die Rätselwütigen, die Bibelfesten, die Freunde des Steampunks und die Liebhaber unvorhergesehener Wendungen. Tatsächlich ist die Geschichte vom Metallmann Isaak auf mehren Ebenen ein Fest, und es fordert den Leser zu etwas auf, wofür in vielen Fantasyromanen leider die Notwendigkeit verloren gegangen ist: interpretieren! Deuten! Denken! Wenn Isaak seinen Motor anwirft, um zu wandern, sollte man schnellstens sein Hirn anwerfen, damit man Schritt halten kann.
Dabei scheint am Anfang alles so einfach zu sein. Ein wahnsinniger Verbrecher stellt sich gegen den geckenhaften Guten, der – James Bond wäre neidisch – flugs Hilfe von der mysteriösen Schönen erhält. Doch die Figuren bleiben nicht lange in dieser Ausgangskonstellation verhaftet, denn im Laufe jeder Seite offenbaren sich neue Verschwörungen, neue Charakter(un)tiefen und neue Facetten eines Handlungsmosaiks, welches sowohl Leser als auch handelnde Figuren ungläubig staunen lässt. Die Nachvollziehbarkeit und Glaubwürdigkeit leidet glücklicherweise jedoch nicht darunter, im Gegenteil: die Zeiten, in denen Gut und Böse eindeutig in zwei Schubladen aufteilbar war, gab es ohnehin nie, auch wenn so mancher Autor das behauptet. Doch was die vermeintlich hehre Sorge um das ‘Greater Good’ so alles anrichten kann, wandelt sich von anfänglicher Euphorie – es wird ja nicht alle Tage ein wahnsinniger Verbrecher überführt – in blankes Grausen. Denn das Böse in Sündenfall (Lamentation) ist alles andere als plump und laut und eindeutig. Und wenn es einmal die Bühne betreten hat, dann kann man es nicht einmal so recht verteufeln, denn ohne Beweggründe ist in dem ganzen verzwickten Handlungsreigen wahrlich niemand.

Die Charaktere sind allenfalls graumeliert und bis zum Ende weder auf der lichten, noch auf der dunklen Seite zu verorten. Denn obwohl die mysteriöse Schöne – zugegebenermaßen – ziemlich mysteriös und wohl auch schön anzuschauen ist, ist sie noch viel mehr: eine unwissende Marionette, die irgendwann laufen lernt. Und damit ist sie dem Metallmann Isaak nicht so unähnlich. Doch auch der eitle Geck ist nicht ohne Grund der selbstsichere, geliebte Anführer geworden, und Herr Li Tam – aber nein, das würde zu weit führen.
Mit Isaak behauptet der Roboter seine Stellung als vielseitiges, literarisches Faszinosum; von der Gratwanderung zwischen Menschlichkeit und Maschinerie zu lesen, werde ich wirklich nie müde. Und mit der Feststellung, dass Isaak durch seine neu erworbene Fähigkeit zu lügen auch immer menschlicher wird, ist ziemlich viel über die Handlung und die Figuren von Sündenfall gesagt.

Doch, wie schon erwähnt, existiert neben dieser Handlungsebene noch eine zweite, wie es schon der Titel des Romans andeutet. Noch nicht oft habe ich als Fantasy-Leserin von meiner Bibelfestigkeit profitieren können, doch Scholes’ Roman lädt geradezu überschwänglich dazu ein.

Der Autor verflicht kunstvoll sein Religionskonzept mit den Geschichten, Organisationen und Traditionen des Christentums. Berücksichtigt man diese Parallelen, punktet Sündenfall mit einer erstaunlichen Realitätsnähe; und ist es nicht ein geradezu herrlicher Kunstgriff, die jahrhundertalte Tradition der intertextuellen Bezugnahme auf Bibeltexte in einem Fantasyroman weiterzuspinnen?

Ins Auge fällt dabei zuerst die Namensgebung: Isaak (dessen Doppelbelegung die Opferrolle des biblischen Namensvetters auf leicht abgewandelte, traurige Art aufgreift) und Petronus-Petros (in jeder Hinsicht der große Verleugner). Außerdem finden sich immer wieder wörtliche Bibelzitate, die erneut eine zweite Deutung zulassen. Wenn beispielsweise auf S. 340 “Neb barg all ihre Worte in seinem Herzen” steht, dann ist das schon eine erstaunliche Umkehr der Weihnachtsgeschichte, und ich bin wirklich gespannt, wie es mit Neb und seiner braunäugigen Schönheit weitergehen mag (Vielleicht gebiert ebendiese ja einen Sohn?). Doch auch die erwähnten Zahlenverhältnisse lassen tief blicken, die 2000-Jahre-Spanne ist da noch das eindeutigste.
Bei der ganzen Spielerei mit Zitaten, Motiven und Zahlen gelingt es Scholes dennoch, ein kritisches und differenziertes Bild seiner Religion zu zeichnen, ohne die christlichen Traditionen zu verteufeln oder zu verherrlichen. Den Bewohnern der Benannten Lande geht es ja nicht anders als uns: Religion ist Teil des Alltags, und wir müssen uns darum herum arrangieren, ob es uns passt, oder nicht.

Doch eine Rezension ohne Kritik ist wie ein Abendmahl ohne Wein, und deshalb möchte ich eine Frage in den Raum stellen: was denkt sich ein Autor, wenn er eine Figur „Xhum Y’Zir“ nennt? Es kann nur eine Verzweiflungstat aus Mitleid mit den letzten Buchstaben des Alphabets gewesen sein, doch dies würde leider nicht den Apostroph erklären. Tatsächlich hatte ich meine Probleme mit der Namensgebung: „Jin Li Tam“ neben „Rudolfo“ und „Isaak“ – allein diese drei Namen scheinen aus völlig unterschiedlichen Kultur- und Sprachkreisen zu stammen. Doch damit ist meine Kritik leider schon erschöpft.

Leser der Romane von Daniel Abraham werden übrigens ihre wahre Freude haben an der neuen Art des Sub-Textes, die Scholes in seinem Roman einbindet: die nonverbalen Sprachen durch schriftliche Kodierung und ‘Fingerdruck’, Pfeiftöne und Lieder. Sehr spannend, sehr fremdartig und ein guter Kunstgriff, um jeder Botschaft mehrere Meta-Botschaften beizufügen. Anfangs mag das System mangels einer Erläuterung noch sehr gewöhnungsbedürftig erscheinen, doch der Leser gewöhnt sich ja an alles, sodass es im Laufe des Romans zu einem weiteren Rätsel wird, welches geknackt werden kann. Und durch die rundum stimmige Übersetzung wird man derart an den Roman gefesselt, dass man das Buch nicht mehr zur Seite legen möchte, hat der goldene Vogel erst seine Schwingen ausgebreitet …

Übrigens gibt es hier ein spannendes Interview mit dem Autor.

Timeless von Gail CarrigerZwei Jahre nach der Geburt des gemeinsamen Töchterchens Prudence leben Alexia und Conall Maccon weiterhin im Ex-Kleiderzimmer des exzentrischen Vampirs Akeldama, als eine Einladung der Vampirkönigin Alexandrias die gefürchtete Badenacht unterbricht und die Familie zu einer Reise nach Ägypten nötigt. Da bei den Maccons nichts ohne fliegende Fetzen von Statten geht, wird die Reise selbst zum Auftakt abenteuerlichen Chaos, bei dem die anwesende Theatergruppe der Familie Tunstell selbstverständlich nicht zu einer Verbesserung der Ordnung beiträgt.

– »I believe that it is bath night, madam.«
Lady Maccon paled in horror. »Oh, goodness. We had best escape quickly, then, Conall, or I’ll never be able to get away in time for–«
Clearly summoned by her fear of just such a delay, a knock sounded at Lord Akeldama’s third closet door. –
Kapitel 1, S. 3

Willkommen zum Finale des Parasol Protectorates!
Um es gleich vorweg zu nehmen: Timeless (Sengendes Zwielicht) ist ein solider Abschluss, durchaus, jedoch kommt das Buch nicht mehr an die Genialität des Auftaktromans Soulless (Glühende Dunkelheit) heran und verliert, wie schon bei Heartless geschehen, noch einmal etwas von dem ursprünglichen Charme und Witz dieser Reihe, da es zu viele Baustellen bei gleichbleibender Seitenzahl gibt.
Doch sie tauchen zwischendurch immer mal wieder auf, die urkomischen Momente, in denen sich der geneigten Leserschaft herrliche Bilder absurdester Komik präsentieren. Das zeigt sich besonders in Tochter Prudence’ kindlichen Aktionen, sowie in ihren Auftritten als Mini-Vampir oder Mini-Werwolf, in Ivy Tunstell, die nicht nur eine Vorliebe für peinlich geschmückte Hüte hat, sondern auch für peinliche Namen, in miteinander flirtenden Werwölfen, luftkranken Alphas und lispelnden Jung-Vampiren.
Da hier aber sehr viele Charaktere ihr ganz persönliches (Happy-)End bekommen, treffen in Timeless viele, wenn auch zusammenhängende, Handlungsstränge aufeinander, bei denen die weitere Entwicklung der einzelnen Figuren zwangsläufig etwas auf der Strecke bleibt und so an Tiefe vermissen lässt. Deutlich wird dies insbesondere bei Conall Maccon und Alexia selbst, deren Entwicklung zum Stillstand gekommen ist, vielleicht auch, weil sie, zumindest in emotionaler Hinsicht, keine neuen Wege beschreiten können. Die Ereignisse zwischen ihnen sind so oder so ähnlich schon da gewesen und man ahnt als LeserIn sofort, dass da schon eine Lösung für das gerade entstanden Problem hinter der nächsten Ecke wartet. Ein Mitfiebern mit den Charakteren gestaltet sich daher eher schwierig.

Während sich jeder Charakter auf seinen persönlichen Abschluss zubewegt, bleiben viele Fragen der übergeordneten Handlung und Vergangenheit um Alexias Vater und der gemeinsamen Vergangenheit von Werwölfen, Vampiren und Seelenlosen ungeklärt. Somit liefert auch Timeless keine wirkliche Auflösung zu dem Gesamtthema, was sehr schade und leider auch enttäuschend ist, da man sich als LeserIn von dem Aufbruch nach Ägypten doch ein bisschen mehr Hintergrundgeschichte dieser Parteien und ein wenig archäologische Graberei verspricht.
Natürlich hält diese Auslassung für die Autorin aber auch die Option offen, beizeiten noch einmal zu dieser Serie zurückzukehren oder das Thema vielleicht in dem geplanten Sequel um Tochter Prudence fortzusetzen.

Ein großes Plus gewinnt Timeless dafür durch seinen ästhetischen und liebevollen Umgang mit der Homosexualität zwischen zwei männlichen Hauptfiguren des Parasol-Protectorate-Universums. Selten so selbstverständlich und alltäglich in das Gesellschaftsbild eingearbeitet, schafft Timeless es ganz problemlos, die gedankliche Hürde zu nehmen, die einen solche Entwicklungen häufig als ungewohnt und persönlich unzugänglich empfinden lassen. Die nunmehr deutlich vorhandenen Andeutungen homosexueller Interaktionen wirken jedoch zu keiner Zeit befremdlich. Im Gegenteil, man freut sich für das frische Paar und lächelt mit ihm.
Auch die Idee eines Nomadenvolks der Lüfte, mechanische Reitkäfer, die optische Rettung eines scheinbar hoffnungslos verunstalteten Sonnenschirms sowie die lebenserhaltende Apparatur einer Vampirkönigin mit Todeswunsch sorgen für Steampunk-Atmosphäre und wecken Erfinderlaune.

Am Ende von Timeless und damit auch am Ende des Parasol Protectorate angelangt, hat man gelacht, geweint, sich manchmal etwas mehr Spannung und mehr Antworten gewünscht, doch man wird die Serie vermissen und sich auf jeden Fall fragen, ob es in Prudence und Imprudence, welches im selben Universum spielen wird, ein Wiedersehen mit alten Bekannten in neuen Positionen geben wird. Verstärkt wird diese Frage durch verschiedene überraschende Entwicklungen, die die Londoner Gesellschaftsverhältnisse ordentlich aufmischen und sowohl große Veränderungen für das Werwolfsrudel, als auch für die örtliche Vampir- und Modeszene bedeuten. Mit möglicherweise fatalen Folgen für letztgenannte …
Im Zuge dieser Entwicklungen jedenfalls fällt die Angabe eines Zeitraums “in 15-20 Jahren vielleicht”, was sich mit dem Alter der Protagonistin deckt, das sie, ersten Angaben der Autorin zufolge, in Prudence und Imprudence haben wird.

Timeless ist vielleicht nicht das beste Buch in dieser Reihe und bietet auch keinen Abschied mit fulminantem Abgang, doch es schließt die Reihe würdig und rechtzeitig ab und lässt darüber hinaus Raum für Spekulationen.

Praise the ruffled parasol!

Cover des Buches "Zeppelins West" von Joe R. LandsdaleBullen, Pferde, Planwagen und hunderte von Statisten verschiedener Nationen befinden sich an Bord einer Staffel von Zeppelinen, mit denen Buffalo Bills Wild West Show gen Japan schwebt, um dort vor dem Shogun aufzutreten. Buffalo Bill Cody selbst war allerdings schon einmal besser in Schuss: Nach einem fatalen Zwischenfall ist von ihm nur noch ein Kopf in einem Einweckglas voller Schweine-Urin geblieben, an dem gelegentlich eine Kurbel bedient werden muss, um Cody wach zu halten. Davon lässt er sich jedoch nicht abhalten, nebst der Show noch einen Geheimauftrag bei den Japanern auszuführen.

-If viewed from below, the twelve of them appeared to be brightly colored cigars. It seemed God had clumsily dropped them from his humidor. But fall they didn’t. They hung in the sky, floated on, and from time to time, as if smoked by invisible lips, they puffed steam.-

Zeppelins West stammt aus der Zeit vor der Steampunk-Schwemme, als noch nicht auf jedem dritten Cover ein Luftschiff prangte, und es zelebriert das Genre auf eine Weise, wie es kaum ein aktuelles Werk wagt: Joe Lansdale stürzt sich auf alles, was die Ära hergibt, schert sich nicht um Konventionen oder gutes Aussehen und nimmt seine LeserInnen mit auf eine Achterbahnfahrt, bei der die ganze Maschinerie ein dampfgetriebenes Ungetüm ist, und nicht nur ein paar steampunkige Kulissen herumstehen.
Lansdale beginnt – für die Begriffe dieses Romans noch völlig harmlos –, indem er die ganze Kuriosität der ohnehin schon überkandidelten Wild West Show auf Zeppeline packt und damit auf die Spitze treibt (aber gar nicht mal so sehr, wenn man sich die Dimensionen dieses Spektakels im historischen Kontext zu Gemüte führt). Stück um Stück eröffnet sich alsbald, wie sehr das Szenario von der realen Geschichte abweicht, und über die immer kühneren Entwürfe und Verflechtungen historischer, literarischer und neu erfundener Figuren und Ereignisse wird man Seite um Seite mehr ins Staunen geraten. Bis in kleinste Nebenrollen hinein begegnet man mehr oder weniger bekannten Gestalten, und keine Ikone der Ära ist davor sicher, von Lansdale mitgerissen und auf eine Art präsentiert zu werden, wie man sie bestimmt noch nie erlebt hat: Stoker, Wells, Verne, Shelley und Baum sind die bekanntesten Beiträger für die Episoden von Zeppelins West.

Nur ein famoser Erzähler wie Lansdale kann ein solches Konglomerat sämtlicher Steam-Fantasien durchziehen, ohne den Faden der Erzählung, die in schneller Folge von einem Abenteuer ins nächstgrößere stolpert, gänzlich zu verlieren. Die Wild West Show wird schnell zum Nebenereignis, und nur bei den perfekt sitzenden Dialogen zwischen der Action am laufenden Band und den stetigen Schauplatz- und Perspektivwechseln kehrt manchmal ein Hauch von Ruhe ein.
Mit den Helden der Erzählung – vor allem den Stars der Wild West Show – pflegt Lansdale einen erdig-dreckigen Umgang – Buffalo Bill Codys in Schweinepisse und Whisky eingelegter Kopf ist bei weitem nicht die größte Absurdität des Romans. Nicht nur diesbezüglich, sondern auch in der Bandbreite der Anspielungen und der (wenn auch nicht geographischen) Verortung der Handlung im wilden Westen könnte Zeppelins West ein Seelenverwandter von Jack Yeovils Dark-Future-Romanen sein.

Star des Romans ist neben dem herrlich wortkargen und nur manchmal fragwürdige indianische Weisheiten von sich gebenden, aber stets pragmatischen Sitting Bull vor allem Ned der Seelöwe, ein tierischer Gefährte von Kapitän Bemo (mit solcherlei gutgelaunt-saloppen Verfremdungen ist jederzeit zu rechnen), ein eigenwilliger Charakter, der nicht zuletzt dank der wunderbaren Illustrationen von Mark A. Nelson (die dem Band überhaupt ein sehr gediegenes Äußeres geben) Lesern und Leserinnen schnell ans Herz wachsen wird.
Mit einem guten Schuss Horror sollte man leben können, wenn man Zeppelins West genießen will – es werden mitunter Leute verspeist, zerlegt oder anderweitig unschön aus dem Dasein befördert, aber stets mit einem Hang zum Bizarren statt zum Bösartigen. Der Body-count ist allerdings von Anfang an hoch, und auch sonst geht es immer wird derb zur Sache – im Bett, bei Tisch und an ungewöhnlicheren Orten. Dem gegenüber steht eine der sicher ungewöhnlichsten Romanzen der phantastischen Literatur, die nicht weiter von heteronormativen Zuschreibungen entfernt sein könnte.

Nach x Abenteuern wird es jedoch sichtlich schwer, Zeppelins West mit einem adäquaten Ende auszustatten – irgendwann lassen sich die sich überschlagenden Ereignisse nicht mehr toppen, noch können sie auf simple Weise zum Abschluss gebracht werden; das relativ desolate Finale erscheint jedoch (auch wenn es in Teilen für die Fortsetzung Flaming London revidiert wurde) nach den rauen, aber beinahe naiv übersteigerten Ereignissen zuvor ein wenig hart.
Insgesamt kann aber auch diese Einschränkung nur ein klein wenig an den herrlich bizarren Abenteuern kratzen, die die ohnehin übertrieben-heroischen Lebensläufe der Wild-West-Stars krönen – Freunde des Steampunk und der viktorianischen Abenteuerliteratur sollten also zusehen, ob sie eine Ausgabe auftreiben können (wenn nicht die illustrierte limitierte, dann vielleicht die Gesamtausgabe beider Bände der Reihe, die unter dem Titel Flaming Zeppelins erschienen ist).

Die Zwerge von Amboss von Thomas PlischkeDer Zwergen-Ermittler Garep Schmied muß zusammen mit seinem Assistenten einen Mordfall aufklären: Ein Komponist wurde ermordet, und alle Indizien deuten darauf hin, daß sein menschlicher Diener den Mord begangen hat. Garep hat jedoch seine Zweifel.
Als allerdings ein weiterer Übergriff von Menschen auf Zwerge stattfindet, kocht die ohnehin geladene Stimmung über: Im Wahljahr der Zwerge haben diese Fälle, die augenscheinlich von den als Flüchtlingen im Zwergenreich lebenden Menschen begangen wurden, auch politische Bedeutung. Nachdem Garep endlich eine Verdächtige an der Hand hat, wird ihm der Fall entzogen.
Derweil laufen im Hintergrund schon längst die Vorbereitungen für einen Krieg…

-Garep Schmied hätte nie erwartet, im Zuge seiner Arbeit einmal eine Silberflöte aus dem Rücken eines Zwergs ragen zu sehen.-
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Sollte einmal eine Wahl zum unoriginellsten aller Fantasy-Völker stattfinden, so hätten die Zwerge wohl nicht die schlechtesten Chancen darauf, den Titel zu ergattern. Seit einst der erste Zwerg tolkienesker Ausprägung seinen Kopf aus einem Felsenschacht strecken durfte, bevölkern sie als wandelndes Klischee mit Bart, Spitzhacke und einem Hang zur Derbheit diverse Fantasywelten. Individuelle Charakterzüge sind meist eine Fehlanzeige, man begegnet stets Abgüssen des „Urzwergs“.
Auch in Thomas Plischkes Zerrissenen Reichen schimmert dieser klassische Fantasy-Zwerg hin und wieder durch – immer dann, wenn seine umtriebigen Nachfahren auf ihre ferne Vergangenheit blicken. Für Die Zwerge von Amboss wurde der Klassiker aber konsequent und auf sehr authentische Art und Weise weiterentwickelt, in eine industrialisierte, säkularisierte und zutiefst bürgerliche Zwergengesellschaft, so daß man sich als Leser in einer phantastischen Version des wilhelminischen Zeitalters wähnt, in dem Zwerge plötzlich einen Alltag und Familien haben (aber auch Feuerwaffen und Eisenbahn) und beinahe ein wenig beschämt auf ihre vergangenen Tage als Buddler und Krieger zurückblicken.

Schon diese augenzwinkernde Betrachtung liebgewonnener Klischees spricht für eine originelle Bearbeitung des Zwergenstoffs (oder auch Rollenspielstoffs, denn man begegnet noch Halblingen und Elfen, Diebesgilden, höhlenbewohnenden Ungeheuern und weiteren Ingredenzien, die an rollende Würfel denken lassen), doch trotz der Anlehnung ans wilhelminische Kaiserreich stechen vor allem brandaktuelle Themen aus der Romanhandlung hervor: So sind in diesem Szenario etwa die Menschen aufgrund einer Art verschärfter Variante der Reformationskriege Flüchtlinge, und die Zwerge sind wenig angetan von den vielen schmarotzenden Ausländern, die in ihre Städte strömen. Daß einem bei den Debatten, ob und wie diese Menschen besser zu integrieren seien, deutsche Politiker diverser Couleur in den Sinn kommen, ist vielleicht ein nicht ungewollter Nebeneffekt, und dem Roman tun die unverbrauchten Themen und der Gegenwartsbezug gut. Daß solcherlei Konflikte meistens durch die Sichtweise der Zwerge vermittelt werden, macht sie um so interessanter.
Zudem erinnern stets viele liebevoll gestaltete Details daran, es nicht nur mit kleingeratenen Menschen, sondern einer eigenen, wie gewachsen wirkenden Kultur zu tun zu haben: Zwergische Bräuche, Sprachbilder und Eigentümlichkeiten gibt es zu Hauf zu entdecken, alle ideenreich vom Urzwerg abgeleitet und durch den Fleischwolf einer geschichtlichen Entwicklung gedreht. Sprachlich sind diese Dinge gekonnt eingebunden, etwa wenn Körperteile zwergisch benannt werden.
Nebst verschiedenen (tatsächlich sehr individuellen) Zwergen, die Teestuben besuchen, Moden nacheifern oder sich alldem traditionalistisch verweigern und politische Debatten führen, darf man allerdings auch noch Halblingen, die hier eine Art bürokratische Aufseherkaste stellen und sich als ein fremdartiges, eigentümliches Volk entpuppen, und den auf die ein oder andere Weise von ihrer Religion bestimmten Menschen über die Schultern schauen. Sowohl die Charaktere als auch das politische Szenario, das im Laufe der Handlung bedenklich ins Wanken gerät, werden kontinuierlich entwickelt und sorgen dafür, daß es kaum Leerlauf gibt und Spannung groß geschrieben wird.

Einen Großteil der Faszination dieses Auftaktbandes macht dennoch das Entdecken der gut ausgearbeiteten Welt aus, hinzu kommt die spannende Mischung aus Krimi-Elementen, politischer Verschwörung und eines sich anbahnenden Konflikts zwischen Glauben und Vernunft. Nachdem die Handlung mit Garep Schmied anfangs vor allem auf eine Figur setzt, die sich nahe am Hardboiled detective bewegt – ein desillusionierter Ermittler mitsamt verlorener Liebe, halb geheimen Süchten und Schnüfflermentalität – dreht der Plot später eher in die Abenteuer- und Thrillerecke ab, in der die Charaktere nicht ganz so gut auftrumpfen können. Zusammen mit dem Nachlassen der entdeckerischen Aha-Effekte ergibt sich ein für das interessante Szenario doch etwas konventionelles Ende, das leider auch mehr als offen bleibt. Ähnliches geschieht in einem zweiten Handlungsstrang rund um medizinische Experimente an den Insassen einer Heilanstalt, der beeindruckend beginnt und mit einem Traum aufwarten kann, der zu den stärksten Szenen des Romans zählt, dessen Ende aber vorhersehbar ist und den Erwartungen nicht ganz gerecht wird.
Doch selbst wenn die Spannungskurve zum Ende hin etwas abflacht, liegt doch ein Roman vor, der gleichzeitig ein hohes Tempo und einen bisher in Zwergenreichen ungekannten Tiefgang an Themen und Charakteren – und durchaus auch Humor – zu bieten hat. Da sich der Wirkungsradius der Handlung in den finalen Szenen erhöht, darf man gespannt erwarten, was es im nächsten Band zu entdecken geben wird und wie die vielen, teilweise erst ansatzweise eingebrachten Themen fortgeführt werden.
Die Zwerge sind also rehabilitiert!