Usagi Yojimbo (The Special Edition)

Usagi Yojimbo: The Special Edition von Stan SakaiSeitdem Miyamoto Usagi, ein Samurai und Leibwächter, in einer Schlacht seinen Herrn verloren hat, streift er als herrenloser Ronin durch die Lande, seinem Ehrenkodex nach wie vor fest verpflichtet. Er gerät in politische Intrigen, bekommt es mit Banditen, Dämonen und Kopfgeldjägern zu tun und muss sich auch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen.
Ungewollt wird er in Konflikte gezogen und hält das Schwert öfter in der Hand, als ihm lieb ist.

-“The sword is not just a weapon … It’s also a mirror. It reflects the soul of the samurai. It is the soul of the samurai. … Remember, a true samurai does not look for a fight but tries to avoid it. The best souls are those which are kept in their scabbards.”
“Huh?”-
Samurai, Part II

Ein Hase als Held ist vielleicht, nachdem Usagi Yojimbo stramm auf sein dreißigstes Veröffentlichungsjahr zumarschiert (und nicht zu vergessen kurz vor dem vierzigsten Jubiläum von Watership Down), nicht mehr erklärungsbedürftig, aber immer noch erwähnenswert: Der Hasen-Leibwächter, der durch ein von anthropomorphisierten Tieren bevölkertes Japan der Edo-Periode streift und dabei häufig gezwungen ist, Massen von Gegnern niederzumetzeln, verleiht mit seiner Langohrigkeit und seiner hasengemäßen Bescheidenheit den Geschichten den nötigen Charme und die Zurückhaltung, die Usagi Yojimbo von eintönigeren Action- und Abenteuercomics abhebt und zu einer der ganz großen Comic-Geschichten mit einem liebenswerten, unbeugsamen und tragischen Protagonisten macht.
Durch die lange Veröffentlichungsgeschichte steht man als interessierter Leser vor einer großen Anzahl an Bänden, die in unterschiedlichen Verlagen erschienen sind. Die Special Edition vereint die ersten sieben Sammelbände der Serie in einer hübsch verpackten, zweibändigen Hardcover-Ausgabe im Schuber und eignet sich damit als hervorragender Einstieg in Usagis Abenteuer.

In den beiden Bänden finden sich natürlich die Einführungs- und Hintergrundgeschichten und ansonsten eine bunte Mischung aus nachdenklichen, lustigen, actionreichen und manchmal, ganz selten, sogar romantischen Episoden. Kürzere Abenteuer wechseln sich mit groß angelegten, mehrteiligen Epen ab (etwa der komplette Zyklus um die Dragon Bellow Conspiracy), so dass es mitnichten nur um Kämpfe und Kurzweil geht. Zwar weisen die Geschichten häufig ähnliche Elemente auf – Banditenschikane in kleinen Dörfern, Verschwörungen gegen Herrscherhäuser, ungerechte Magistrate, zu unrecht verfolgte und verratene Krieger, Aufarbeitung von ungelösten Problemen aus der Vergangenheit – doch durch die unterschiedliche Ausrichtung der Geschichten gewinnt der Texter und Zeichner Stan Sakai den Konstellationen immer wieder etwas Neues ab: Manchmal liegt der Fokus auf Recherche, wie etwa in der Geschichte über das Drachenfest, manchmal auf slapstickartigem Humor, so dass am Ende ein kleiner Schwank vorliegt, hin und wieder gibt es eine waschechte Räuberpistole oder ein akribisch inszeniertes Drama, bei dem jedes Bild und jede Textzeile zum bitteren Ende vorandrängt.

Die Stoffe von Usagi Yojimbo stammen aus Geschichte und Gegenwart des japanischen Kulturkreises, historische Anspielungen und Verweise und Zitate aus Filmen von Kurosawa bis Godzilla tauchen auf, die Vorbilder für Figuren reichen von Miyamoto Musashi über Toshiro Mifune bis hin zu rein fiktiven Figuren wie dem blinden Masseur Zatoichi (der hier als Zato-Ino, das blinde Schwertschwein, verewigt worden ist und in einigen der besten Usagi-Geschichten auftritt) und Itto Ogami aus dem Manga Lone Wolf & Cub. Auch die Geister- und Dämonenwelt Japans spielt hin und wieder eine Rolle, allerdings sind die Geschichten abgesehen von den tierischen Protagonisten nur marginal phantastisch angehaucht, oft bleibt die Frage, ob das Erlebte Wahrheit oder Traum ist, im Raum stehen.

Usagi Yojimbo ist trotz seiner vielen Kämpfe ein Comic, das man jungen und älteren Lesern ans Herz legen kann. Die Kämpfe sind nur sehr selten blutig und werden meist geschickt durch die Gegenüberstellung des Vorher und Nachher dargestellt, ohne die eigentliche Kampfbewegung zu zeigen. Dennoch sollte man beim Lesen kein grundsätzliches Problem mit Gewaltdarstellung haben, immerhin geht es um einen Krieger, der durch das feudale Japan zieht und seiner Profession gemäß handelt. Auch wenn Usagi immer seinem Samurai-Kodex verpflichtet und damit ein perfekter Vertreter des Systems ist, stellen die einzelnen Geschichten die kriegerische Tradition und die Bindung durch Ehre immer wieder in Frage. Den nachdenklicheren und tragischeren Geschichten liegt häufig ein ethisches Dilemma zugrunde, das sie auch für erwachsene Leser interessant macht, und als herrenloser Samurai kann sich Usagi meist frei entscheiden, wie er eine Situation löst, was gerade in Fällen, in denen es keine gute Lösung gibt, für Spannung sorgt.
Dazwischen finden sich genauso häufig unbeschwerte Geschichten, etwa Usagis Eskapaden mit dem schlitzohrigen Kopfgeldjäger Gen (einem Nashorn) oder reinrassige Abenteuer mit vielen Verwicklungen.

Nebenfiguren wie Gen oder Zato-Ino trifft man im Laufe der Geschichten immer wieder an, so dass sich auch ihre Entwicklungen verfolgen lassen und sich nach den 1200 Seiten der Special Edition auch schon eine Art Mosaik aus den Einzelabenteuern bildet, das die Veränderungen durch Usagis Taten nachvollziehbar macht, einige länger laufende Handlungsstränge abschließt und politische Entwicklungen verfolgt.
Usagi wandert im Lauf seiner Abenteuer durch eine lebendige Welt, in der sich politische Allianzen verschieben und Figuren weiterentwickeln. Herrschaftsverhältnisse und Gesellschaft im feudalen Japan sind korrekt und differenziert wiedergegeben, man bekommt nach und nach auch ein Bild davon, was die Konsequenzen einer Kultur mit so ausgeprägter Kriegskunst sind.
Die schwarzweißen Zeichnungen von Usagi Yojimbo wirken vielleicht auf den ersten Blick simpel, stellen sich allerdings als sehr detailreich und gut recherchiert heraus, besonders in der Darstellung von Sachkultur wie Nahrung, Kleidung oder Gebäuden. Auch stilistisch bedient sich Stan Sakai häufig interessanter Elemente, etwa der Einbindung von Geräuschen über mehrere Panels, einer grandiosen Nutzung des Wetters zum Schaffen von Atmosphäre oder Spielen mit Licht und Schatten.
Die Special Edition bietet außerdem eine Menge Extras wie eine Cover-Galerie, einige zusätzliche Episoden, die außerhalb der normalen Veröffentlichung stehen, ein Making-of und ein (leider nicht ganz aktuelles) Interview.

Der Hasen-Samurai füllt das universelle Thema des einsamen Kriegers, der nur selten seinen Frieden findet, perfekt aus, und wer nicht ohnehin schon vom Hintergrund und der vielfältigen Einbindung der japanischen Kultur fasziniert ist, sollte sich Usagi Yojimbo vielleicht ansehen, weil es nur sehr wenige Comics gibt, die häufig heiteren und vordergründig sogar einfachen Geschichten eine so nachdenkliche Note verleihen können, ohne mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln oder zu sehr ins Tragisch-Überzogene abzukippen. Mit Usagi wird man immer öfter lachen als weinen, aber auch immer verstehen, weshalb der langohrige Krieger dem Leser meistens ernst entgegenblickt.

Stand: 06. Juni 2012
Erscheinungsjahr: USA 2010
Verlag: Fantagraphics
ISBN: 978-1-60699-154-1
Seitenzahl: 1200