Heldenwinter

Heldenwinter von Jonas WolfDer Halbling Namakan ist das älteste von etlichen Ziehkindern des Menschenpärchens Lodaja und Dalarr, die zurückgezogen in den Immergrünen Almen leben. Als Namakan mit Dalarr, einem Schmiedemeister, von der Suche nach seltenen Erzen zurückkehrt, sind die gefürchteten Skra Gul, Krieger in Weiß aus dem fernen Tristborn, eingefallen und haben ein Gemetzel angerichtet. Dalarr legt einen Racheeid ab, und Namakan folgt seinem Ziehvater und Meister, um einen König zu töten.

-In einer Stimme dunkel und kräftig wie Paukenschläge hob Dalarr zu einer Melodie an, die in Namakans Kopf Bilder von trostlosen Weiten und sich in ferne Meere wälzenden Strömen heraufbeschwor.-
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Heldenwinter – das klingt ein wenig nach wagnerianischem Pathos, nach einem harten Einzelkämpfer, der seine beste Zeit schon hinter sich hat, nach Schneegestöber und grauen Haaren; und so, als hätte der Einworttitel-Generator für Fantasyromane ein besonders wohltönendes Ergebnis ausgegeben, klingt es auch.
An all diesen Assoziationen ist etwas Wahres dran. Der erste Roman von Jonas Wolfs Skaldat-Reihe aus locker verbundenen Einzelabenteuern beginnt klassisch mit einem Racheschwur. Die beiden Helden Dalarr und Namakan, nicht nur in der Statur als Mensch und Halbling höchstverschieden, sondern auch in Gemüt und Lebenserfahrung, ziehen auf diese Queste aus, zwischen ihnen und dem Ziel steht ein langer Reiseweg voller Abenteuer, neuer Gefährten, mächtiger Waffen und unerwarteter Entdeckungen. Damit fällt Heldenwinter in die Sparte epischer Fantasy, die in letzter Zeit ein wenig selten geworden ist. Die im ausführlichen Nachwort genannten Vorbilder Tolkien und Howard (inclusive Film-Conan) finden sich in den Figuren, der Welt und der Handlung vielfach zitiert, von der augenzwinkernden Anspielung bis hin zur unverhohlenen Inspirationsquelle.
Deshalb verwundert es nicht, dass in der Weltschöpfung das ganze Repertoire klassischer Fantasy auftaucht. Elfen, Zwerge, Reiternomaden und Riesenraubvögel, um nur einige zu nennen, bekommen allerdings durch einen kleinen Dreh hier und da einen eigenständigen Anstrich, ohne dass die Wurzeln gekappt würden, und das Ensemble wird durch eigene, durchaus gelungene Ideen ergänzt.
Glanzpunkt der Figurenriege, die im Großen und Ganzen der Regel “mindestens einer aus jedem Volk und Metier” folgt, ist die Hexe Morritbi, die über ihre Nebenrolle als Love interest des Protagonisten schnell hinauswächst und zu einer erfreulich unkonventionellen Frauenfigur wird.

Auch erzählerisch folgt Heldenwinter den klassischen Questenpfaden: einer an sich einfachen, geradlinigen Handlung, die ganz dem einleitenden Eid gewidmet ist. Die Fantasy-Tradition allerdings, von den Figuren selbst immer wieder Geschichten aus der Vergangenheit und dem Hintergrund der Welt erzählen zu lassen, wird bei Jonas Wolf zu einem zentralen Handlungselement. Die Gegenwartshandlung, die voller Rätsel ist, offenbart sich erst, wenn man die einzelnen Mosaiksteinchen der Vergangenheit kennt und zusammensetzt, wenn man in den vielen kleinen Geschichten die eine große sieht. Fast jede Figur trägt Geheimnisse mit sich herum, die mal mehr, mal weniger schnell offenbart werden. Die Fragen der Herkunft, der Zugehörigkeit und der Stimmigkeit des gewählten Lebensentwurfs stehen im Mittelpunkt. Zu diesem Thema setzt vor allem der verschmitzte Epilog einen schönen Kontrapunkt zu den sonst doch recht erwartungsgemäßen Abläufen.
Der dicke rote Faden, der sich eigentlich sehr prägnant durch den Roman zieht, weist durch diese Geschichten in der Geschichte einige Schlingen auf, obwohl er sich nie in mehrere Stränge teilt.
Trotzdem erweist sich Jonas Wolf als erfahrener, solider Erzähler, bei dem auch die verschiedenen Erzählebenen flüssig gewechselt werden. Die einzelnen Kapitel sind relativ in sich geschlossen, sie enthalten häufig ein Sub-Abenteuer oder sind auf eine Hintergrundgeschichte fokussiert, die eine eigene Struktur hat, und wenn allzu lange am Lagerfeuer gesessen und erzählt wird, kann man sich darauf verlassen, dass der nächste Kampf nicht auf sich warten lässt.
Die leisen kritischen Untertöne an der Rachemission gegen König Arvid, die im Laufe der Queste anklingen, fallen allerdings im Zuge der zielstrebigen Auflösung des Konflikts unter den Tisch – eine verschenkte Gelegenheit, der Frage nachzugehen, wie das Wohl des Einzelnen und das Wohl von Vielen gegeneinander abzuwägen sind. Der Fokus von Heldenwinter liegt allerdings auch an keinem anderen Punkt auf den tiefergehenden Themen, sondern bleibt vor allem auf der Abenteuerhandlung.

Die unterschiedlichen Erzählebenen meistert Jonas Wolf stilsicher: eine Geschichte des derben Schmiedes Dalarr klingt anders als eine der ehemaligen Klosterschülerin Ammorna. Alle gemein haben sie allerdings einen nicht zu überlesenden Hang zu blumigen Begriffen für alles, was sich unter der Gürtellinie abspielt.
Aus dem sonst unauffällig-flüssigen Stil stechen die Aphorismen in den Kapiteleinleitungen hervor, aber auch die Lieder, die (mitsamt einer altnordischen Version) im Text wiedergegeben sind, und sorgen für das Ambiente einer lebenden Welt.
Dieser Eindruck verfestigt sich jedoch im eigentlichen Erzähltext nicht, dort wirkt die Welt ein wenig dünn. Nur an wenigen Stellen lässt sich ein größeres Ganzes erahnen oder kommt das Gefühl auf, nur einen Bruchteil der Wunder gesehen zu haben, die die Welt des Skaldat bietet, und auch der Eindruck einer “alten” Welt mit eigener Geschichte will sich nicht recht einstellen. Zu zweckmäßig sind dazu alle erzählten Binnengeschichten in die Haupthandlung eingebunden, und es gibt nicht viel, was über das Erzählte hinausreicht.
Trotz der Anspielungen auf Klassiker und der Betonung des Geschichtenerzählens entsteht dadurch der Eindruck einer kompakten, aber etwas schnörkellosen Geschichte, was auch daran liegen mag, dass Heldenwinter mit einer Tradition der epischen Fantasy bricht: Nach einem Band ist es zu Ende erzählt, und es führen auch keine einzelnen Fäden mehr in eine Fortsetzung hinein.

Stand: 06. Juni 2012
Erscheinungsjahr: D 2012
Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-26719-9
Seitenzahl: 507