Mit Mantel und Degen (Sammelrezension)

Mit Mantel und Degen, Band 7: Der ChimärenjägerAls die beiden Edelleute Don Lope de Villalobos y Sangrin und Don Armand Raynal de Maupertuis edelmütig ihre Hilfe bei einem Entführungsfall in Venedig anbieten, ahnen sie noch nicht, dass sie damit in ein Abenteuer schlittern, das sie auf die Galeere, zu exotischen Inseln und letzten Endes sogar auf die dunkle Seite des Mondes führen wird. Nie sind sie um eine Herausforderung zum Duell oder einen treffenden Spruch verlegen. Sie gehen keinem Kampf aus dem Weg, finden unerwartete Freunde, verlieren ihre Herzen an schöne Damen und machen sich einen Todfeind …

»Das unverschämte Substantiv,
das Ihr mit viel Emphase
zu nennen Euch erkühntet …
nun sagt schon, war es …« »Nase?«
Akt VIII: Der Fechtmeister

Eine comédie heroïque nennt der französische Verlag in einem Teaser-Video zu Band 8 die inzwischen beinahe vollendete Comic-Reihe Mit Mantel und Degen (De cape et de crocs) und trifft damit den Nagel auf den Kopf – in jedem Band öffnet sich der Bühnenvorhang erneut für Abenteuer und Humor, Action, Heldenmut, Charme und Verse voller Witz. Wer beim Titel an Errol Flynn, den roten Korsar oder drei Musketiere denkt, liegt damit goldrichtig, aber: Don Lope ist ein Wolf und Maupertuis ein Fuchs. Vereinzelt treten in der Überzahl menschlicher Figuren auch andere Tiere auf – und das funktioniert nicht nur, es funktioniert sogar hervorragend, da die Tatsache immer wieder in die Handlung eingeflochten und mancher Schabernack mit Fabelmotiven getrieben wird.
Formal steht Mit Mantel und Degen (im Original: De cape et de crocs, mit Mantel und Zähnen 😉 ) in bester frankobelgischer Albentradition: Es gibt einen durchgehenden, abwechslungsreichen Handlungsbogen und viele prominente Nebenfiguren, die den Weg des caniden Heldenduos immer wieder kreuzen, der Zeichenstil ist opulent und detailreich mit teils sehr atmosphärischer Farbpalette und holt auch aus einigen Klassikern des Comics (z.B. Panels ganz in schwarz, bei denen man nur Augen und Sprechblasen sieht) immer wieder etwas Neues heraus. Herrlich spritzige Dialoge stehen neben einem Ideenreichtum, der bei identitätsgestörten Piraten und kleinen, weißen Hasen, auf die der Kapitän eine Golddublone ausgesetzt hat, nur seinen Anfang nimmt.

Während der erste Band, Das Geheimnis des Janitscharen, fast schon betulich in die Geschichte einführt, geht es spätestens ab Unter schwarzer Flagge (Band 2) richtig zur Mit Mantel und Degen, Band 2: Unter schwarzer FlaggeSache: wahnwitzige Verfolgungsjagden, Meuterei auf der Galeere und später anhängliche Kraken und ein verbannter Prinz erwarten die Helden, deren anfängliche Schatzsuche schnell zu einer Sache der Ehre und der Rettung von Idealen wird.
Wer nun glaubt, Mit Mantel und Degen wäre vor allem laut, bunt und actionreich, kann beruhigt werden, denn Szenarist Alain Ayroles beherrscht vor allem die leisen Töne: Famoser Slapstick und subtiler Witz gehen stets Hand in Hand, und es wird niemals plump, auch nicht bei den grandiosen Abenteuern, deren viele Zufälle sich oft als geschickt verzahnte Entwürfe erweisen, die genauso elegant ineinandergreifen wie die geistreichen Dialoge, die mitunter zum Schlagabtausch in Versen ausarten.
Und während Handlung und Schauplätze immer phantastischer werden, atmet Mit Mantel und Degen doch immer den Hauch seiner Epoche und ist fest im 17. Jahrhundert verankert.

Dazu trägt zu einem nicht unerheblichen Teil die Fülle an Anspielungen bei, die sich in dieser Comic-Reihe verbergen: Neben den naheliegenden Klassikern von La Fontaine bis Dumas wird die französische Literatur in einem Maße abgegrast, dass der nicht-frankophile Leser das Nachsehen hat und gerade noch seinen Molière und Cyrano de Bergerac zusammenkratzt. Des weiteren blitzt immer wieder die Commedia dell’arte auf, zeitgemäße Staatsutopien werden aufgegriffen, die Geschichte der Dichtung, Philosophie und Wissenschaften bemüht, und sogar Gemälde finden sich in Bildanspielungen, von Théodore Géricault über Munch bis Warhol. Man sieht also, auch die Moderne kommt zum Zug, auch in Verweisen auf Lemmings, Der weiße Hai oder Alien. Es geht aber mitnichten nur um ein Abspulen möglichst vieler Referenzen, besonders die Metaebene der Dichtkunst wirkt immer wieder auf die Handlung zurück, und dabei drängt sich durchaus auch einmal ein Kommentar zum aktuellen Literaturschaffen auf, etwa wenn die Gedichtproduktion auf dem Mond angekurbelt wird, wo Verse als Zahlungsmittel dienen.

Mit Mantel und Degen, Band 8: Der FechtmeisterEine weitere Ebene von Mit Mantel und Degen sind die vielen Details – Nebensächlichkeiten, aber auch Genaueres zur Haupthandlung findet man immer wieder im Hintergrund der Bilder, zwischen den Zeilen, subtil verschleiert. Es lohnt sich, ganz genau hinzuschauen – oder genauso, einfach zu lesen und großen Spaß zu haben, und dann, bei einem zweiten Durchgang, noch viel größeren. Denn Mit Mantel und Degen funktioniert auf jeder Ebene und ist auf der vordergründigen bei aller Feinheit eine gute Geschichte für Freunde von Seeabenteuern (die nicht immer mit Schiffen bestritten werden), phantastisch-verrückten Maschinen und der Erkundung weißer Flecken der Landkarte.

In einer Welt, in der das Wort Waffe oder Währung sein kann, auch wenn genauso oft der Degen zum Zug kommt, spielen auch rhetorische Figuren und Sprache eine große Rolle. Übersetzer Harald Sachse hat hier hervorragende Arbeit geleistet, die Gedichte übertragen, auch wenn der vom Dichterhelden Maupertuis vielgepriesene und -verwendete Alexandriner im Deutschen problematisch ist. Die ein oder andere Anspielung geht verloren (woher die Mitglieder des lunaren Kadettenkorps ihre Namen haben, wird z.B. einem französischen Leser eher aufgehen, wenn ihm Colin, Aldrin und Fort-à-Bras (=Armstrong), der im Deutschen “Ursus” genannt wird, zum ersten Mal begegnen), doch im Bereich des Möglichen ist die deutsche Ausgabe eindeutig gelungen.

Wer das charmante, kluge Ensemble rund um Fuchs und Wolf kennenlernen will, darf sich auf 10 randvolle Bände freuen, in denen sich keine überflüssige Szene findet. Nach dem noch nicht erschienenen letzten Band (im Original für Ende des Jahres angekündigt) soll es evtl. mit einem Spin-off weitergehen.
Auch wenn das grand finale noch aussteht: Mit Mantel und Degen hat alles, was man von bester franko-belgischer Comic-Fabulierkunst erwartet – und legt immer noch eine Schippe obendrauf.

Als Bildbeispiel soll das oben erwähnte Teaser-Video dienen, das aus den Bänden 1-7 zusammengestellt ist:
http://www.youtube.com/watch?v=JK20JfbAB9Y

Stand: 05. Oktober 2012
Originaltitel: De cape et de crocs
Erscheinungsjahr: F 1995-2011, D ab 1997
Verlag: Carlsen
Übersetzung: Harald Sachse
ISBN: Band 1: 978-3-551-72971-2