Zwölf Wasser – Zu den Anfängen

Zwölf Wasser - Zu den Anfängen von E. L. GreiffBabu, ein Hirte der Merzer, will zunächst nicht mehr vom Leben, als seine Kafur-Herde erfolgreich zu vergrößern. Als er einen Falkner und dessen Szasla genannten Riesenfalken kennenlernt, wird alles anders …
Felt ist Wachhauptmann in Goradt, der letzten Stadt der Welsen, die einst die ganze Welt mit Krieg überzogen haben. Das Volk lebt nun elend in Eis und Schnee, immer am Rande der endgültigen Auslöschung. Doch unter ihrer Stadt beherbergen sie die Undae, heilige Frauen, die sich plötzlich mit einer bedrohlichen Prophezeiung zu Wort melden: Es stimmt etwas nicht mit den Quellwassern der Welt.

-Der Fisch gab auf. Sein Leben lang hatte er das Wasser in sich hineingepumpt und an den Kiemen entlangströmen lassen, jetzt war es vorbei. Erst sank er, dann drehte er sich und trieb langsam trudelnd aufwärts.-
Prolog: Das große Sterben

Deutsche und deutschsprachige AutorInnen, speziell in meinem Leib- und Magengenre, der epischen Fantasy, reißen mich aus nicht ganz geklärten Gründen nur selten zu großen Begeisterungsstürmen hin. Bei der vielen Auswahl, die es in den letzten Jahren gab, habe ich natürlich auch ein paar gefunden, die ich gerne gelesen habe, aber in meine Top 10 hat es keine/r geschafft. In meine Top 25 auch nicht.
Ob E. L. Greiff eine/r dieser LieblingsautorInnen werden könnte, steht nach ihrem Debütroman Zwölf Wasser: Zu den Anfängen noch in den Sternen, aber sie kommt der Kluft, die zwischen den besten deutschen AutorInnen und den besten internationalen immer noch besteht, zumindest sehr nahe, und die Folgebände, für die mit Zu den Anfängen eine Menge Potential geschaffen wurde, werden zeigen, ob sie auch darüberspringen kann.

Zunächst einmal nimmt sich der Auftaktroman jede Menge Zeit, um Figuren und Themen einzuführen, und das auf eine für heutige Maßstäbe ungewohnt sanfte Art und Weise: Weder bekommt man alles bis hin zum letzten Gedankengang haarklein vorgekaut, noch schießt Zu den Anfängen zu Beginn gleich eine ganze Breitseite an Informationen auf Leserinnen und Leser ab: Man hat sowohl beim Plot, aber vor allem auch bei den Figuren Zeit, nach und nach interessante Aspekte zu entdecken. Und das macht sich bezahlt: Beim anfangs (auch durch die Namenswahl) etwas naiv wirkenden Hirten Babu und mehr noch beim unscheinbaren Felt, aber auch der Vielzahl an wichtigen Nebenfiguren erfasst man erst nach etlichen gelesenen Seiten das Heldenformat, das sie mitbringen.
Die wahren Dimensionen des Plots schleichen sich ebenfalls durch die Hintertür herein, und während man sich vom gemächlichen Anfangstempo noch einlullen lässt, findet man sich unversehens in fesselnden Konflikten wieder, die die Welt von Zwölf Wasser radikal zu verändern drohen.

Doch auch bis dahin gibt es viel Interessantes: geradezu nostalgisch mutet die strikte Aufteilung in zwei Handlungsstränge an, die nicht abwechselnd, sondern nacheinander erzählt werden. Der Gegensatz zwischen den beiden Settings und Figurenhintergründen könnte nicht größer sein, wenn man von Babus gerade sesshaft werdender, üppiger Gesellschaft der Steppenhirten, die mit einem guten Blick für Details aus der Sachkultur lebendig dargestellt wird, in die karge Winterwelt des darbenden Volks der Welsen wechselt.
Der Handlungsstrang der Welsen, der sich liest, als würde er Jahre nach dem Punkt einsetzen, an dem Fantasyromane gewöhnlich mit dem Sieg über das Böse ein Happy End finden, ist eines der interessantesten und stärksten Elemente von Zu den Anfängen, in dem unemotional, aber hoch anrührend über ein immer noch gefürchtetes, völlig geschlagenes und verachtetes Volk berichtet wird, das sich an ein elendes Leben klammert.

Das Konzept der Quellen und der Bedeutung des Wassers für das Leben aller stellt sich im Laufe der Handlung nicht nur als erstaunlich innovativ umgesetzt heraus, sondern ist auch sehr offen für Interpretationen und weist von wissenschaftlichen über mythische bis hin zu spirituellen Komponenten eine große thematische Bandbreite auf. Greiff versteht es dabei auch, eine überzeugende Bildsprache zu finden, die im Verlauf des Romans an Intensität zunimmt und zu im besten Wortsinn phantastischen Schauplätzen führt. Hand in Hand damit geht eine sichere, angenehme und experimentierfreudige Sprache, die sich auch in den weltschöpferischen Aspekten bei Orts- und Figurennamen bemerkbar macht und nie die Grenze überschreitet, an der Sprachspielereien nicht mehr im Dienste der Geschichte stehen.

Die Autorenvorstellung des Verlags drückt sich bisher übrigens mehr oder weniger elegant davor, E. L. Greiff ein Geschlecht zuzuordnen – auch auf dem Blog bleibt es unklar. Im Zeitalter des Internets wirkt die Vorgehensweise ein wenig antiquiert und erinnert an Zeiten, als es nicht opportun war, mit einem eindeutig weiblichen Namen epische Fantasy (oder SF) zu veröffentlichen. Denselben Hofknicks vor etablierten Mustern macht Zwölf Wasser im Auftaktband dann auch bei den Geschlechterrollen, denn ein kleiner Schwachpunkt des Romans sind die Frauenfiguren, die zwar nicht nur in Gestalt der Undae mitunter vorhanden sind, aber bei Weitem nicht so viel Wirkmacht haben wie die männlichen Helden, obwohl ihnen vordergründig durchaus starke Rollen auf den Leib geschrieben wurden. Mit den Undae, den Wassermagierinnen und –weisen, ist Greiff allerdings eine faszinierend fremdartige Variante der spirituellen Frauenfigur gelungen, in der für die Folgebände noch einiges an Potential steckt.
Und das lässt sich mit begründeter Hoffnung für den ganzen Roman sagen – die angelegten Grundlagen lassen große Zusammenhänge erahnen, nehmen ein paar Fantasy-Traditionen innovativ auf und machen mit detailfreudiger Weltschöpfung Lust darauf, mehr zu entdecken. Zu den Anfängen ist damit mehr als lediglich ein weiteres solides Fantasy-Abenteuer, denn es schlägt ganz eindeutig in vielerlei Hinsicht eigene Wege ein, statt eine Erfolgsformel abzuarbeiten, und überzeugt als charakterzentrierte Geschichte mit einem starken Plot, die den Figuren ihr Überraschungspotential und ihren Entwicklungsraum lässt und ganz unaufgeregt zu einem beeindruckenden Debut heranwächst.

Stand: 05. November 2012
Erscheinungsjahr: D 2012
Verlag: dtv
ISBN: 978-3-423-24914-0
Seitenzahl: 601