Perkar, der eigentlich den Haushalt seines Vaters verlassen und eine eigene Familie gründen sollte, lässt sich zu einer kaum zu bewältigenden Mission hinreißen: Er will den Gott des Großen Flusses besiegen. Als er zusammen mit anderen Kriegern seines Stammes auszieht, um mit dem Waldgott um weiteres Weideland zu verhandeln, sieht er seine Gelegenheit gekommen.
Weit unten, schon beinahe im Flussdelta, verfügt der Herrscher der riesigen Stadt Nhol über die Macht des Flusses. Als Hezhi, eine seiner Töchter, langsam erwachsen wird, beginnt sie zu ahnen, dass dafür ein Preis zu zahlen ist. Stur stellt sie eigene Nachforschungen an.
-Hezhi confronted the black depth, felt a wind blow up from it and envelop her like the breath of a vast beast.-
I. The Princess and Perfect Darkness
In seinem Debutroman The Waterborn hat Greg Keyes sich seiner Lieblingsthemen angenommen: Das Wissen eines Ethnologen steckt darin, die Liebe zur Sword & Sorcery, die Vorstellung eines nicht kolonialisierten Amerikas, das er in keinem anderen Setting so weit entwickelt hat wie hier.
Das Amerika unserer Welt ist es allerdings nicht: Die Anklänge sind deutlich, die Verfremdung aber auch, denn es ist eine Welt, in der die Menschen nur eine Art unter vielen sind. Unheimliche, naturnahe Waldbewohner, Riesen und eine Heerschar von Göttern bewohnen die Urwälder, Ebenen und Bergregionen, in denen die spirituelle Welt mit ihren Ahnen und den oft ambivalenten göttlichen Manifestationen immer präsent ist. Es wimmelt vor kleinen und großen Göttern, mit denen die Menschen zwar im Umgang vertraut sind, die ihnen aber nicht nur aufgrund ihrer Launenhaftigkeit und Undurchschaubarkeit sehr fremd bleiben. Die zahllosen Ausprägungen dieser spirituellen Welt ergeben bei Keyes ein ausgesprochen stimmiges Gesamtbild, während ihre Ausgestaltung im Einzelnen über den ganzen Roman hinweg spannend bleibt.
Gut und Böse sind in dieser Konstellation nicht klar erkennbar, weder in den eigentlich gar nicht so sehr lenkenden, als vielmehr nach Gutdünken eingreifenden oder tatenlos zusehenden Mächten, noch in den Helden selbst: Keyes erzählt die erstaunlich menschliche Geschichte von Hezhi und Perkar, die sich von außen betrachtet zu wahren Übermenschen entwickeln, aber einander trotzdem antithetisch gegenüberstehen. Hezhi ist dazu geboren, ohne es zu wissen oder zu wollen, und sie hat keinerlei Methoden für den Umgang mit ihren Fähigkeiten erlernt. Perkar wünscht sich nichts sehnlicher, als zur Erfüllung seiner (zunächst romantisch verklärten) Mission, gegen den mächtigen Flussgott ins Feld zu ziehen, übermenschliche Kräfte zu haben, aber als er sie erwerben kann, muss er auch ihren Preis erkennen.
Dadurch wird The Waterborn einerseits zu einer Geschichte um Identitäten, um das Coming of Age der beiden jungen Helden, doch es ist genauso sehr ein Sword-and-Sorcery-Abenteuer mit einer nachdenklichen Note, in dem der Heldenstatus und die Mystifizierung der Ereignisse, ihre Übertragung ins Reich der Geschichten, ständig hinterfragt werden, ohne die positiven Seiten zu negieren.
Keyes erweist sich dabei als sehr geschickter Erzähler: Durch die gegensätzliche Anlage seiner beiden Protagonisten wechselt der Erzählduktus zwischen der ruhigen, beinahe kriminalistischen Spurensuche von Hezhi im Palast der Großstadt Nhol und der actionreichen Questen-Wanderung von Perkar. Wissen erlangen und Entdecken stehen dem Agieren, Bewegen und schmerzlichem Nicht-Wissen gegenüber. Dabei gehen aber niemals die (häufig wichtigen) Beobachtungen auf der Detailebene unter, es gibt viele kleine, subtile Momente beider Figuren und auch etliche gelungene Überraschungen. Bis zum Ende bleibt offen, wie die beiden trotz örtlicher Trennung geschickt verbundenen Hauptfiguren zueinander stehen – The Waterborn ist eines der Bücher, die eine treibende Spannung besitzen und nicht zulassen, dass man den Ausgang bereits weit im Voraus ahnt.
Bereits der Einstieg ist ungewöhnlich und gewagt, denn er gibt einen szenischen Abriss über wichtige Ereignisse beim Aufwachsen der Helden und enthält mehrere Zeitsprünge, ehe er in die Haupthandlung einsteigt.
Vor allem aber nicht nur an Perkar zeigt Keyes, dass er seinen Helden auch krasses Fehlverhalten zugesteht, und beschreibt Möglichkeiten, mit den unguten Konsequenzen aus Handlungen umzugehen, auch wenn sie nicht wiedergutzumachen sind. Die hochmagische Welt mit ihren beseelten Schwertern, magischen Wassern und mächtigen Weissagungen hält zwar viele Wunder bereit, aber sie verzeiht auch nicht viel – es geht bisweilen also recht heftig zur Sache.
In den Figuren meistert Keyes sowohl einen differenzierten Umgang mit zwischenmenschlichen Beziehungen, vor allem die Darstellung von Perkars und Hezhis Verehrern und Verehrten spielt mit Klischees und steckt voller Wärme und Leidenschaft (nein, nicht in der sülzig-schwülstigen Bedeutung), genauso aber auch die Betrachtung von Freundschaften und Konkurrenzverhalten, die bei den juvenilen Helden oft dicht beieinander liegen. Neben den präzisen psychologischen Beobachtungen stehen philosophische, die auch nicht davor zurückschrecken, den Tod als einen (legitimen) Ausweg aus einem Dilemma heranzuziehen.
Die gut ausgearbeitete Kulisse dazu bietet Keyes’ anthropologischer Hintergrund: Sein alternatives Amerika ist eine bunte Mischung aus Kulturen; an Sprachfetzen kann man ablesen, dass auch linguistisch etwas am Weltenbau dran ist, und die Bandbreite ist groß, von augenzwinkernd als Barbaren titulierten Viehwirten über Steppenhalbnomaden bis hin zu Großimperien. Ob Nhol nun deutlicher von mesopotamischen Städten oder von Cahokia am Mississippi beeinflusst ist, das Setting wirkt bis ins Detail gut recherchiert und kann mit einer Originalität aufwarten, die man in der High Fantasy nicht alle Tage findet.
Der gesamte Spannungsbogen von Chosen of the Changeling ist zwar mit The Waterborn nicht geschlossen, aber es kann durchaus für sich stehen, was vor allem im Hinblick auf die deutsche Ausgabe (Aus Wasser geboren) wichtig ist, die keine Fortsetzung gefunden hat.
Man kann das ein oder andere an Keyes Debutroman bekritteln, den sprunghaften Beginn oder die Momente, in denen man dem Helden “Tu’s nicht!” zubrüllen möchte, aber davon sollte man sich nicht abhalten lassen, The Chosen of the Changeling zu lesen, wenn man die hochoriginelle Welt und den ungewöhnlichen und spannenden Plot nicht versäumen will.