The Last Light of the Sun

Cover des Buches "Last Light of the Sun" von Guy Gavriel KayDer junge Erling Bern Thorkellson gerät unverschuldet in die Leibeigenschaft und will sich in einer unüberlegten Aktion daraus befreien. Eigentlich ist er chancenlos und malt sich schon aus, wie er von seinem blutrünstigen Volk hingerichtet wird, doch er erhält Hilfe von unerwarteter Seite.
Alun ap Owyn, ein Barde der Cyngael, und sein Bruder Dai geraten bei einem Viehdiebstahl ausgerechnet an das Haus und den Besitz des berühmten Brynn, der einen der bekanntesten Erling-Plünderer getötet hat, auch wenn die Erling nach wie vor an den Küsten der Cyngael einfallen. Nur durch eine List können sich die Brüder retten und werden sogar als Gäste in Brynns Haus empfangen, wo sie die Bekanntschaft seiner schönen Tochter machen.

-A horse, he came to understand, was missing.
Until it was found nothing could proceed. The island marketplace was crowded on this grey morning in spring.-
One

In The Last Light of the Sun (Die Fürsten des Nordens) lässt Guy Gavriel Kay die hochzivilisierten Kulturen Süd-Europas hinter sich und entführt den Leser in die kalte, karge Welt der Cyngael, Angclyn und Erling, seiner Variante der (walisischen) Kelten, Angeln und Wikinger. Historisch orientiert sich der Roman am Britannien des 9. Jahrhunderts und den Geschehnissen rund um Alfred den Großen.
Auch in diesem Roman beherrscht Kay meisterhaft die Inszenierung ineinander verwobenen Handlungsstränge. Anfangs scheint er einfache, unzusammenhängende und unspektakuläre Geschichten zu erzählen, die sich um drei Hauptpersonen bzw. Personengruppen ranken, doch es ist ein fragiles Gespinst, in dem Kleinigkeiten auf unvorhersehbare Art große Bedeutung erlangen, der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings, der anderswo einen Orkan auslöst. Auf subtile Weise verbindet Kay die Einzelschicksale zu einem großen Ganzen, und es ist eine Freude, aufzudecken, wie sich alles gegenseitig bedingt und worauf es hinausläuft.

Mehr als in den vorausgegangenen Romanen Kays spielt hier das Magische eine Rolle, das immer mehr vom Glauben an Jad (Kays Paralelle zum Christentum) zurückgedrängt wird. In den Wäldern der erst kürzlich jaddisierten Cyngael lebt das Alte, das Magische fort, und selbst Priester tun sich schwer, die Existenz einer Anderswelt und ihrer Geschöpfe – vor allem der Feen – zu leugnen. Während in The Last Light of the Sun einerseits großartige historische Recherchearbeit geleistet wurde und die dargestellten Kulturen und Ereignisse authentisch geschildert werden, beeindrucken vor allem auch die Passagen, die die Anderswelt mit ihren Geisterwäldern und verborgenen Tümpeln darstellen, durch eine archaische, unheimliche Atmosphäre, verstärkt durch einen lyrischen Präsensstil, der diese Abschnitte ganz wortwörtlich in eine vom Geschehen losgelöste Zeit hebt.

Kays brilliante Sprache passt sich Situationen, Kulturen und verschiedenen Figuren an, verliert aber nie den kleinen Hauch Poesie, der sie so lesenswert macht. Einige Erzählkniffe heben das Buch zusätzlich vom gewohnten, linearen Einheitsbrei ab, am prägnantesten wohl jene eingestreuten Passagen, in denen immer wieder die Schicksale von Figuren, die an der Handlung nur marginal beteiligt sind, vor dem Leser ausgebreitet werden und die Geschehnisse des Romans relativieren, ohne ihnen die Intensität zu rauben. Und Kay beherrscht nach wie vor die Kunst, in einem einzigen Satz eine überraschende Wendung so zu verpacken, dass man erst nach einigen Zeilen den Mund wieder zuklappen kann.
Aber auch seinen Hang zur Tragik hat er beibehalten, und man wünscht sich manchmal doch etwas mehr positive Elemente – trotz eines versöhnlichen Endes überwiegt eindeutig das Düstere.
Weniger bombastisch als in Lions of Al-Rassan oder Sarantine Mosaic, was sicher auch an den weniger üppigen Kulturen und damit einhergehend einer geringeren sprachlichen Verspieltheit liegt, aber fast genauso dicht am Geschehen, schafft es Kay auch hier wieder, den Leser in seinem Mahlstrom menschlicher Schicksale mitzureißen, zumindest diejenigen, die sich für Geschichten und Geschichte begeistern und auf massiven Magie-Einsatz auch verzichten können.

Stand: 15. September 2012
Erscheinungsjahr: USA 2004
Verlag: Roc
ISBN: 0-451-45985-7
Seitenzahl: 498
Titel der Übersetzung: Die Fürsten des Nordens