Subgenre: Historienfantasy

Bitter Seeds von Ian TregillisIm Jahr 1939 wird der britische Agent Raybould Marsh Zeuge eines mysteriösen Vorgangs: Er verliert einen Informanten in einem Flammeninferno und sieht kurz darauf eine Frau, an deren Kopf Drähte angeschlossen sind. Bald wird klar: Die Deutschen verfügen über eine neue Waffe – Menschen mit übernatürlichen Kräften. Dieser Bedrohung müssen die Briten etwas entgegensetzen, und zum Glück erinnert sich Raybould an einen Freund, der behauptet, zu einer langen Tradition britischer Hexenmeister zu gehören. Doch sowohl die Zauberkunst, bei der man im glücklichsten Fall mit einem Blutopfer davonkommt, als auch die Kräfte der Übermenschen, die unter schrecklichen Schikanen ausgebildet werden, haben einen Preis.

-Murder on the wind; crows and ravens wheeled beneath a heavy sky, like spots of inks splashed across a leaden canvas.-
Prologue, 23 October 1920, 11 kilometeres southwest of Weimar, Germany

Nazi-Superhelden gegen britische Geheimagenten und Okkultisten, die mit cthulhoiden Mächten Verträge aushandeln, das klingt eher nach einem Comic als nach literarischer Phantastik, und das nicht nur, weil die Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht gerade ein Setting ist, das häufig zum Schauplatz von Fantasy-Romanen wird. Sämtliche Trash- und Fun-Assoziationen werden allerdings ausgeräumt, sobald man die Prämisse von Bitter Seeds erkannt hat: Der Roman nimmt diese Rahmenbedingungen bitter ernst und zieht sie konsequent durch.
Ian Tregillis versucht das Ungetüm Krieg zu erfassen, und die Überzeichnung mit den durch Willenskraft, Gehirnverdrahtung und brutales Aussieben und Training herangezüchteten Übermenschen und den in ihrer geheimen, verschleißreichen altehrwürdigen Tradition im Grunde nicht minder schrecklichen Hexenmeistern lässt letztlich nur zu Tage treten, was für kriegerische Zeiten ohnehin symptomatisch ist: Die Entmenschlichung des Gegners, gestützt von Völkerhass und Rachegefühlen, das Aufschaukeln der Kriegshandlungen, die Härte bzw. erzwungene Abhärtung der Entscheider und andere Mechanismen werden akzentuiert herausgearbeitet.

Gerade der letzte Punkt tritt durch die klassische Figurenzeichnung stark hervor, wenn die Protagonisten der jeweiligen Partei bei ihrem Werdegang und im Laufe der Romanhandlung abwechselnd begleitet werden: Will Beauclerk, der adlige Lebemann, der hart mit der Realität des Übernatürlichen kollidiert, als sein Land (und vor allem sein bester Freund) magischer Fähigkeiten bedürfen und ihn zum Organisator des Zusammenschlusses der eigenbrötlerischen britischen Hexer machen. Auf der Gegenseite sind es der ambitionierte Klaus, der substanzlos durch Wände gehen kann, und seine Schwester Gretel, ein undurchschaubares, aber für die Führungsriege unverzichtbares Orakel, deren Schicksal man verfolgt. Und dazwischen schließlich Raybould Marsh, der Agent ohne besondere Kräfte, der ein immer größeres persönliches Interesse an dem Konflikt entwickelt (was bestens mit seiner Aufgabe beim Staat einhergeht) und durch seinen kompromisslosen Einsatz mindestens genauso zeigt, welchen Preis kriegerische Gewalthandlungen vom Einzelnen und der Gesellschaft fordern – diese unschöne Gleichung macht Bitter Seeds auf sehr anschauliche Weise immer wieder sichtbar.
Dabei bleiben auch beide Seiten nachvollziehbar, und man könnte nicht einmal eindeutig sagen, dass die Superhelden als vollkommener Ausdruck der Nazi-Gesinnung eindeutig die schrecklichere Variante sind.

Tregillis hat auch daran gedacht, den titanischen Kräften, die er ins Spiel bringt, Begrenzungen aufzuerlegen. Während die Übermenschen stets nervös ihren Batterie-Ladestatus im Auge behalten müssen, sind die Hexer eher in Sorge um ihre Gliedmaßen und ihren Geisteszustand. Das führt neben der starken historischen Einbettung dazu, dass übernatürliche Kräfte nicht nur kreativ und klug geplant eingesetzt werden, sondern auch zu einer realistischen und glaubhaften Darstellung dieser Fähigkeiten, die man beinahe wie Raybould Marsh und sein Vorgesetzter zunächst wie auf verwackeltes Zelluloid gebannt vor sich sehen kann.
Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass in Bitter Seeds zwar historisches Kriegsgeschehen Eingang gefunden hat, das aber im Verlauf der Geschichte in einen stark veränderten Alternativentwurf mündet. Für den Wiedererkennungswert setzt Ian Tregillis vor allem auf Elemente, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind (etwa die Evakuierung der britischen Kinder aufs Land).

Die Ereignisse des Romans – Entscheidungen, Kämpfe, schicksalshafte Begegnungen – sind beinahe zu perfekt aneinander gereihte Streiflichter, ineinandergreifende Einzelszenen, die sich unweigerlich zur Katastrophe aufschaukeln. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade die Figurenhintergründe noch etwas besser hätten ausgeleuchtet werden können. Besonders Marsh, die “gewöhnliche” Identifikationsfigur, die in ihren ganz eigenen Abgrund taumelt, wirkt seltsam distanziert, und der maßgebliche Einfluss, nämlich sein Familienleben, bleibt letztlich eine Chiffre – aber vielleicht war auch kein Gegenpol zu dem grimmigen Schlagabtausch gewünscht.
Richtig glänzen kann Ian Tregillis vor allem in der Beschreibung des Schrecklich-Erhabenen: Wenn die Eidolons ihre Aufwartung machen, jene Wesenheiten, die seine John-Dee-Nachfolger für die Verteidigung des Königreichs heraufbeschwören, wächst er bei der Beschreibung dieser fremdartigen Präsenzen über sich hinaus.
Nicht nur ihretwegen, sondern auch aufgrund der Handlungen der fast ebenso unheimlichen Gretel, die anhand ihrer Visionen die Zukunft völlig skrupellos, aber dennoch mit dem berühmten Schmetterlings-Flügelschlag formt, lautet die Frage, die Bitter Seeds am Ende stellt, weniger: wer handelt den Preis für den Sieg aus und wer bezahlt ihn?, sondern: wer kontrolliert die entfesselten Mächte eigentlich wirklich?

Der zweite Band der Trilogie widmet sich, wie der Titel The Coldest War bereits ankündigt, einer späteren Epoche des Konflikts, so dass Bitter Seeds auch ein halbwegs abgeschlossenes Leseerlebnis bietet.

Cover des Buches "Der blaue Löwe" von Mary Gentle Im späten Mittelalter kämpft die Söldnerführerin Ash an der Spitze ihrer eigenen Kompanie unter dem Wappen des blauen Löwen. Seit ihrer Jugend hört sie die Stimme eines Heiligen in ihrem Kopf, die in Sachen Strategie und Taktik stets den richtigen Rat gibt. Während das Herzogtum Burgund und das Heilige Römische Reich deutscher Nation ihre Rivalitäten ausfechten und so Söldnern wie Ash goldene Zeiten bereiten, landen in Südeuropa überraschend fremdartige Invasionstruppen, deren Waffentechnologie geradezu magisch anmutet. Ash wird tiefer in diese Auseinandersetzungen hineingezogen, als ihr lieb ist. Und sie entdeckt, dass ihre “Stimme” so heilig gar nicht ist…

Ich entschuldige mich nicht dafür, eine Neuübersetzung dieser Dokumente zu präsentieren, welche unsere einzige Verbindung zum Leben dieser außergewöhnlichen Frau darstellen, Ash (geb. 1457 [?], gest. 1477 [?]), denn eine solche Neuübersetzung war schon lange nötig.-
Einführung

Mary Gentle orientiert sich unübersehbar an neueren Vertretern des Fantasygenres wie China Miéville, George R.R. Martin oder Michael Swanwick. Ihr Vorhaben ist daher durchaus ambitioniert.

Im Gegensatz zur üblichen Vorgehensweise der genannten Autoren lässt Gentle ihre Geschichte allerdings in einer historischen Epoche Europas spielen, dem 15. Jahrhundert. Es ist die Zeit des Niedergangs des Rittertums. Anstelle feudaler Heere stehen sich auf den Schlachtfeldern Söldnerkompanien gegenüber, die von Plünderung und taktischen Seitenwechseln in den zahlreichen Kriegen dieses blutigen Jahrhunderts leben.
Die Heldin Ash ist eine Art Gegenentwurf zu Jeanne d’Arc: im Tross einer Söldnerkompanie geboren, von frühester Kindheit an ans Töten gewöhnt, für das Überleben in einer harten Männerwelt bestens ausgerüstet mit einem großen Repertoire blasphemischer Flüche und zweideutiger Witze.
Mary Gentle würzt ihre Geschichte mit zahlreichen Details über spätmittelalterliche Waffentechnik, womit sicherlich nicht jeder Leser etwas anfangen kann. Die phantastischen Elemente nehmen sich anfangs spärlich aus, treten aber im Verlauf der Handlung immer stärker hervor.
Womit wir beim großen Manko dieses Romanauftakts zu einem neuen Zyklus wären: Die Handlung zieht sich wie ein Kaugummi, schleppt sich durch nichtssagende Dialoge und zerstückelt wirkende Szenen. Man wird das Gefühl nicht los, die Autorin hätte ihr Werk auf Wunsch der Verleger so ausgedehnt, denn in komprimierter Form hätte Gentle ein- und denselben Roman wesentlich spannender und dynamischer gestalten können. Ein weiterer Minuspunkt ist die deutsche Übersetzung, die selbst für Fantasy-Verhältnisse außerordentlich holprig ist, offensichtliche Grammatik- und Ausdrucksfehler sind gar nicht mal so selten.

Typische Fantasymotive und -figuren versucht die Autorin (wie ihre angenommenen Vorbilder auch) zu vermeiden. Stattdessen bedient sie sich der Technik alternativer Geschichtsverläufe. So ist das Christentum in diesem fiktiven 15. Jahrhundert weniger von der jüdischen Tradition als vielmehr vom Mysterienkult des Sonnengottes Mithras geprägt, dem in der Antike zum Beispiel Kaiser Konstantin anhing und der vor allem unter Soldaten Verbreitung fand. Es ist eine interessante Spekulation, wie das mittelalterliche Christentum ausgesehen haben könnte, wenn es sich in eine stärker synkretistische Richtung entwickelt hätte. Konstantin, der das Christentum zur römischen Staatsreligion machte, identifizierte schließlich Christus zeitlebens mit “seinem” Sonnengott. Auf mit der Materie weniger vertraute Leser dürften solche Anspielungen aber eher irritierend wirken. Auch die geheimnisvollen Invasoren im Roman sind ein im Nebel der (bekannten) Geschichte versunkenes Volk. Um wen es sich handelt, sei hier nicht verraten. Die Phantastik beschränkt sich jedoch nicht auf Alternativgeschichte: Priester und Rabbis wirken Wunder, es gibt Heiligenerscheinungen und im Hintergrund tut sich eine Welt geheimnisvoller Wesenheiten auf, die über steinerne Köpfe und Statuen mit den Menschen kommunizieren.

The Charwoman's Shadow von Lord DunsanyDer junge Ramon Alonzo wird von seinem Vater, dem verarmten Lord of the Tower and Rocky Forest, zum Haus eines Magiers tief im Wald geschickt, um dort die Kunst des Goldmachens zu erlernen. Dort als Lehrling aufgenommen, erfährt Ramon Alonzo gleich am ersten Abend die Geschichte der alten Scheuermagd: einst gab sie dem schwarzen Magier ihren Schatten im Tausch für ein ewiges Leben, aber seitdem ist sie an dessen Haus gebunden. Ramon Alonzo schwört sich, ihren Schatten zu retten und sie zu erlösen. Doch der Magier verlangt auch von Ramon Alonzo eine Bezahlung für das erteilte Wissen.

-Picture a summer evening sombre and sweet over Spain, the glittering sheen of leaves fading to soberer colours, the sky in the west all soft, and mysterious as low music, and in the east like a frown. Picture the Golden Age past its wonderful zenith, and westering now towards its setting.-
Chapter 1 – The Lord of the Tower Finds a Career for His Son

The Charwoman’s Shadow (Der Schatten der Scheuermagd) ist eine relativ kurze Geschichte, was nicht heißt, dass man sie schnell gelesen hätte. Man muss sich viel Zeit nehmen, um die Sprache nachzuvollziehen und auf sich wirken zu lassen. Das englische Original ist leider nur etwas für wirklich gute Englisch-Leser. Nicht so sehr wegen schwerer Vokabeln, sondern mehr aufgrund komplexer Satzstrukturen, für deren Erfassung man ein wenig Muße benötigt. Anfangs hatte ich beim Einlesen große Probleme, doch wenn man das Buch ganz in Ruhe (und vielleicht ein zweites Mal) angeht, kann das Geschriebene einem den Atem rauben.

Man verliert sich im Spanien am Ende des Goldenen Zeitalters mit seinem Spiel aus Licht und Schatten – dafür sorgt allein schon der erste Satz. Eine konkrete, besonders schöne Textstelle ist zum Beispiel, wenn der Zauberer seinen Schüler in das größte Mysterium seiner Magie einführt: das Lesen. Darüber hinaus beruht diese Magie sehr auf der mittelalterlichen Alchemie mit Lebenselixieren und der Herstellung von Gold. Und ähnlich wie im Mittelalter wird diese Magie mit dem Teufel in Verbindung gebracht; demgegenüber steht die Kirche, die beim einfachen Volk großen Einfluss besitzt, und deren Vertreter das Gute verkörpert.

Angesichts der Sprache und Atmosphäre spielt es dann keine Rolle mehr, ob uns die Geschichte selbst einfach erscheint: der Held tritt gegen den schwarzen Magier an, um ein unschuldiges Opfer zu retten. Viel spannender ist dabei, dass der Held selbst weniger durch Scharfsinn denn Beharrlichkeit und Großmut auffällt, und dass das unschuldige Opfer eine hässliche, alte Scheuermagd ist. Und die eigentlich interessanteste Figur ist Ramon Alonzos wesentlich intelligentere Schwester Mirandola: obwohl sie den reichen, unsympathischen Nachbarn heiraten soll, verfolgt sie unauffällig ihre ganz eigenen Hochzeitspläne.

Cover von Circes Rückkehr von Libba BrayGemma versucht weiterhin ihr Schicksal zu verfolgen und die Magie des magischen Reichs wieder an den Orden zu binden. Sie und ihre Freundinnen sind plötzlich in der Lage, die Magie dieser anderen Welt mit in ihr viktorianisches London zu holen, wo sie die Weihnachtsferien bei ihren Familien verbringen. So gerne Gemma das Chaos der magischen Welt für eine Weile vergessen würde, so akut ist jedoch die Bedrohung durch Circe, und die Mädchen begeben sich auf die Suche nach dem verlorenen Tempel, dem Schlüssel zur Kontrolle der Magie. Unterdessen ist Gemma hin und her gerissen zwischen dem exotischen Rakshana Kartik und dem attraktiven, aber nicht sehr tiefgründigen Lord Denby, der ihr den Hof macht.

– “Verbirg deine Absicht vor ihr. Gewinne ihr Vertrauen.” Und nach einer Pause: “Wenn nötig, mach ihr den Hof.”
Ich dachte an das selbstbewusste, eigensinnige Mädchen, dem ich auf Schritt und Tritt gefolgt war. “Sie lässt sich nicht so leicht den Hof machen.” “Jede Frau lässt sich gerne den Hof machen. Man muss es nur richtig anstellen.” –
Kapitel 1, S. 18

Zu Circes Rückkehr liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Day of the Minotaur von Thomas Burnett SwannKreta wird von Feinden aus dem Norden überfallen, und die beiden Königskinder Thea und Icarus werden gefangen genommen und, nachdem sie sich tatkräftig gegen die Feinde zur Wehr gesetzt haben, in die Höhle des gefürchteten Minotauren geworfen, auf daß er sie verspeisen möge. Doch alles kommt anders: Eunostos, der letzte Minotaur, hat wenig Interesse an Menschenfleisch, vielmehr dagegen an der Schönheit der Prinzessin Thea – allerdings ist er ein eher schüchterner Zeitgenosse. Kurzerhand nimmt er die beiden jungen Königskinder mit in seine Behausung im Zauberwald und bietet ihnen dort Schutz.
Als die Angreifer das erfahren, ist ihnen der Zauberwald mit seinen Dryaden, Zentauren und vielen anderen Fabelwesen ein Dorn im Auge …

-My history belongs to the princess Thea, niece of the great king Minos, and to her brother Icarus, named for the ill-fated son of Daedalus who drowned in the sea when his glider lost its wings.-
Chapter 1: The Wooden Wings

Wer in seiner Jugend einmal mit Begeisterung die Sagen des klassischen Altertums gelesen hat, wird wohl aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn er sich von Thomas Burnett Swann in dessen Version der antiken, mythischen Welt entführen läßt. Auf eine ganz eigene Art beschwört der Autor den Zauber einer vergangenen Zeit herauf, bringt die Geschehnisse anschaulich vor das innere Auge, ohne aber auf eine Art Schleier zu verzichten, der den Leser niemals die paar tausend Jahre vergessen läßt, die zwischen ihm und der von Swann beschriebenen Zeit liegen. Eine Gratwanderung zwischen Fremdem und Vertrautem, die der Autor hauptsächlich anhand von poetischer Sprache und einem vermittelnden Erzähler – Eunostos, dem Minotauren selbst – meistert.

Ein gelungener Vorspann soll der Erzählung einen historischen Kontext verleihen – ein alter Kniff, der hier aber sehr schön eingepaßt ist und der Geschichte einen Rahmen gibt. Hat man dann erst einmal den erzählenden Minotauren kennengelernt, muß man den bescheidenen, ruhigen Muskelprotz mit der poetischen Ader, der sein Licht gerne unter den Scheffel stellt, von der ersten Seite an ins Herz schließen. Im Verlauf der Geschichte ergeht es ihm ohnehin nicht besonders gut: Mit den beiden flüchtenden Königskindern, die er bei sich aufnimmt, bringt er Ärger in sein Haus und seinen Wald. Anfangs ganz harmlos, fängt die liebreizende Thea an, den ursprünglichen und naturverbundenen Minotauren zu domestizieren: Sie räumt sein Haus auf, schneidet die Blumen aus seinem geliebten Kraut- und Rübengarten ab und steckt sie in Vasen und rümpft die Nase über seine rustikalen Freunde, die Dryade Zoe und den Zentauren Moschus. Als dann auch noch der wilde Ajax mit seinen Kampfgenossen den Wald angreift, weil er der beiden Königskinder habhaft werden will, wird langsam klar, daß die Zeit der Fabelwesen von der Zeit der Menschen abgelöst wird. Auch das ist ein alter Topos der Fantasy – das Schwinden des Zaubers aus der Welt. Das Ende der Erzählung, bei deren letzter Kapitelüberschrift The Passing of the Beasts man schon schlimmstes fürchtet, steht dem Ende eines Herrn der Ringe (The Lord of the Rings) diesbezüglich in nichts nach: meisterhaft werden Melancholie und Trost miteinander verbunden, wobei die versöhnlichen Elemente für die Charaktere überwiegen, die Welt aber “gemindert” zurückbleibt.

In nicht einmal 200 Seiten sollte man sich aber von Day of the Minotaur (Die Stunde des Minotauren) keine komplexe Handlung erwarten; die Gechichte plätschert eher dahin, aber nicht als langweiliger Strom, sondern eher als hübsch anzusehender, munterer Bach. Der poetische, gewitzte und manchmal auch anzügliche Stil allein ist schon ein Vergnügen, und nur in dieser gekonnt umgesetzten archaischen Atmosphäre kann man beispielsweise von den gefürchteten swelling breasts lesen, ohne gleich “Kitsch, lass nach!” zu stöhnen. Auf dem kleinen Raum sind auch die Charaktere liebevoll dargestellt, und die Atmosphäre lebt von den Fabelwesen, die gerade klischeemäßig genug sind, um vertraut zu wirken, aber kein Quentchen mehr. Märchenhaft-poetische Fantasy in einer antiken Umgebung kann man sich nach der Lektüre dieses Romans kaum mehr anders vorstellen.

Ein deutlicher Stilbruch in diesem so gekonnt ausgearbeiteten Rahmen ist das Titelbild – ein muskelbepackter Minotaur mit der falschen Haarfarbe, eine halbnackte Frau, ein Held im Hintergrund, ein reißerischer Schriftzug. Man betrachte einmal das Bild und vergleiche mit folgendem Zitat von Eunostos, als er erstmalig auf die schöne Thea trifft, und urteile selbst:

I stood awkwardly, shifting my weight from hoof to hoof, and wondered what I could say to reassure her. »He’s right,« I blurted. »I want to be your friend, and you won’t have to pleasure m-m-me.«

Cover des Buches "Der letzte Minotaur" von Thomas Burnett SwannDie lebenslustige Dryade Zoe erzählt die Geschichte von Eunostos, dem letzten Minotaur des Zauberwaldes der Tiere auf Kreta.
Der junge Tiermensch ist in die wunderschöne Dryade Kora verliebt, doch diese mag ihn nicht erhören, denn sie träumt einen sonderbaren Traum und will daher warten. Aber warum folgt Saffron, die Königin eines der neu angekommenen Stämme der Thriae, dem Minotaur mit so lüsternem Blick? Als sich schließlich der Paniskus Phlebas, ein Ziegenjunge mit ungewöhnlich kriminellen Charakter, besonders aufdringlich gegenüber Kora verhält, nimmt das Unheil seinen Lauf …

-Ich bin dreihundertsechzig und stolz darauf, daß ich in all dieser Zeit bestimmt gut doppelt so viele Liebhaber erfreuen durfte, wie ich Jahre genoß.-
Erster Teil, Eunostos, 1.

Die Geschehnisse im Zauberwald finden zur Zeit der Minoischen Palastkultur statt, als der legendäre Minos noch König ist und die Archäer zwar schon Überfälle unternehmen, aber noch keine ernste Bedrohung darstellen. Kreta wird von freundlichen, den Augenblick lebenden Menschen bewohnt, auf dem Lande geht es zwar etwas einfacher und zurückhaltender zu, doch in der Stadt Knossos herrscht ein freizügiges und buntes Treiben, welches sich in den farbenfrohen und vielgestaltigen Palästen widerspiegelt; dort hat der weise und gerechte König Minos seinen Herrschersitz.
Doch die Menschen haben einen Pakt geschlossen mit den Tiermenschen Kretas, deren Heimat soll von Menschen nicht betreten werden. Der Zauberwald ist hauptsächlich ein Wald, in dem seine Bewohner sehr angepasst an diesen leben, so sind die Häuser nicht aus dem Wald gebaut, sondern mit dem Wald gebaut. Das Zauberhafte beschränkt sich allerdings auf die Bewohner.

Die Tiermenschen sind der Mythologie Kretas entlehnt, einige, wie der Minotaur, sind sehr bekannt und im stärkeren Maße an die Mythologie angelehnt, andere, wie die Thriae, sind weniger bekannt und mit mehr Phantasie ausgestaltet. Ein Eigenart der meisten Tiermenschenvölker ist es, entweder nur aus Frauen, wie die Dryaden, oder nur aus Männern, wie die Minotauren, zu bestehen. Nur in wenigen finden sich sowohl Frauen als auch Männer, wie bei den Thriae. Die kriegerischen und draufgängerischen Zentauren werden angeführt vom weisen Chiron; die Panisken – vom Äußeren Satyren sehr ähnlich – entwickeln sich nicht weiter als Jugendliche, sie sind stets auf Nonsens aus; die Artemisbärinnen, zur Hälfte Bär, zur Hälfte Frau, sind auf ewig scheue Mädchen; die Telchin sind großartige Handwerker mit der Gestalt einer übergroßen Ameise; die Thriae, die Bienen, sind sehr dünne mit Flügeln versehene menschenartige Wesen, deren Volk aus Königin, Arbeiterinnen und Drohnen besteht; die Dryaden sind schöne Frauen, die sich nicht lange von ihrer Eiche trennen können.

Eunostos, der letzte Minotaur, ist zur Hälfte Bulle, zur Hälfte Mensch, statt Füße hat er Hufe und aus seinem seidigen, roten Haar ragen Hörner heraus. Wenn er erst ausgewachsen ist, wird er eine gewaltige Statur haben. Wie für Minotauren üblich, arbeitet er als Zimmermann. Er ist ein lebhafter und stürmischer junger Bulle, doch kann er auch sehr sanft und poetisch sein. Er ist unsterblich in die Dryade Kora verliebt.
Diese ist eine junge, romantische Dryade, vielleicht die älteste Jungfrau (sie ist schon neunzehn) im ganzen Wald. Sie wirkt durch ihre Zurückhaltung auf viele erhaben, vielleicht ist sie aber einfach nur unsicher.
Saffron ist die Königin eines Thriae-Stammes, sie ist lüstern und arrogant; sie erwartet von anderen, dass diese sich ihr – der schönen Königin! – fügen. Zudem ist sie eitel und gierig.

Zoe, die Dryadin, ist die Erzählerin der Geschichte, sie ist äußerst beliebt und hat sowohl zu Kora und deren Mutter als auch zu Eunostos, mit dessen Mutter sie befreundet war, ein gutes Verhältnis. Eunostos nennt sie Tante Zoe, obgleich sie sich diesen Titel nicht wünscht, da sie heimlich andere Gefühle für ihn hegt. Schließlich ist da noch der menschliche Kreter Aeacus, der Bruder König Minos’. Ihn verschlägt es im zweiten Teil der Geschichte in den Wald – auch er verliebt sich in die schöne Dryade Kora.
Die Charaktere sind einfach, was nicht weiter stört, da die Tiermenschen einfache Geschöpfe sind, doch manchmal agieren sie ein wenig zu typisch. Dieses mag im Konzept so angelegt sein, um die Schlichtheit der Natur besser gegen die komplizierte Zivilisation abheben zu können, nimmt der Geschichte aber ein wenig an Spannung.

Die Geschichte ist in zwei Teile geteilt, die durch die Liebe Eunostos’ zu Kora zusammengehalten werden. Im ersten Teil geht die Bedrohung von der Königin Saffron aus, dieser Teil ist wesentlich humorvoller und handlungsreicher. Während hier Liebe und Lust die Figuren motivieren, sind es im zweiten Teil Liebe und Pflicht. Aeacus ist der Mann in Koras Traum, aber er hätte nicht in das Reich der Tiere kommen dürfen, denn auch wenn er und die Dryade sich lieben, werden seine Kinder doch königlichen Geblütes sein. Hinzu kommt, dass der sanfte Eunostos viel besser mit den Kindern umgehen kann. Wenn Tugend und Laster einander gegenüberstehen, ist ein gutes Ende immer möglich, aber wenn zwei Tugenden sich gegenüberstehen, dann ist eine Tragödie am Ende unausweichlich. So gibt es zwar wiederum komische oder harmonische Episoden, dieser Teil ist aber deutlich melancholischer und dem Leser wird schnell klar, dass am Ende das Leid unvermeidbar sein wird.

Auch wenn die Geschichte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Märchen Die Schöne und die Bestie von Jeanne Marie Leprince de Beaumont hat, ist Eunostos der Einzige, der seine Physis negativ beurteilt. Auch wenn die Thematik Liebe sehr dominant ist, gibt es doch einige gefahrvolle Momente und überraschende Wendungen zu überstehen in dieser ungewöhnlichen Geschichte. Dieses ist zwar der zweite Teil aus der Minotaurus Reihe, aber er kann völlig unproblematisch nur für sich gelesen werden.

Die Erzählung wird zwar von Zoe erzählt, doch diese gibt bisweilen sogar die Gedanken der Figuren wieder, wie ein antiker Historiograph seinen Protagonisten eine Rede in den Mund legen mag. Die Geschichte ist somit aus einer unüblichen Perspektivenmischung von auktorialer Erzählstruktur und Ich-Erzählsituation dargestellt. Die flüssigen Sätze und die treffende Wortwahl passen gut zu dieser schnellen und frivolen Geschichte.

Cover des Buches "Drachenzorn" von Naomi Novik Eigentlich möchten Will Laurence und Temeraire nach ihrem Aufenthalt in China nichts lieber, als schnellstmöglich nach England zurückzukehren.
Doch da überbringt ihnen ein Bote des Königs einen neuen Auftrag: sie sollen sich nach Istanbul begeben, um dort drei Dracheneier in Empfang zu nehmen und sie sicher vor dem Schlüpfen nach England zu bringen.
Von Anfang an steht ihre Mission unter keinem guten Stern, denn Lien, das Albino-Drachenweibchen, gibt Temeraire die Schuld am Tod ihres Herren und hat nur ein Ziel: Rache.

-Träge blies der Wind über Macao. Er erfrischte nicht, sondern rührte nur den faulig salzigen Geruch des Hafens nach totem Fisch und den großen Haufen schwarzroten Seetangs und den Gestank der Abfälle der Menschen und Drachen ein wenig auf.-
1

Temeraires drittes Abenteuer liest sich ebenso locker wie seine Vorgänger, kommt jedoch schneller in Fahrt und bietet mehr Handlung. Während man in den ersten beiden Bänden die Story leicht zusammenfassen konnte, werden dieses Mal mehr Seiten in den tatsächlichen Handlungsverlauf investiert. So weit, so gut.

Nach drei Büchern sollte man mittlerweile mit den Figuren vertraut sein. Laurence, der als steifer, ehrenhafter Engländer hervorragend getroffen wurde, sowie Temeraire, der mit seinen teilweise naiven Fragen Laurences Weltbild immer wieder ins Wanken bringen kann, bilden ein gutes Gespann für den Roman. Die restlichen Figuren allerdings bleiben blass. Das mag teilweise auch mit der hohen Sterblichkeitsrate von Temeraires Besatzung zu tun haben, über den Rest erfährt man jedenfalls überaus wenig. Und so lässt der Tod der Mannschaftsmitglieder den Leser recht kalt.

Das eigentlich Besondere an den Romanen von Frau Novik ist die Tatsache, wie gut sie Drachen in die Historie eingebaut hat. Drachen wirken nicht wie künstlich eingefügt, sondern als ob sie schon immer da gewesen wären. Geschickt verbindet sie die historischen Fakten mit ihrer Geschichte, und man ist als Leser erstaunt, wie gut beides miteinander zu einem fesselnden Buch verwoben ist.
Sowohl Kenner von historischen Romanen als auch Leser, die eine Geschichtsstunde der etwas anderen Art erleben wollen, werden hier voll auf ihre Kosten kommen.

The Drawing of the Dark von Tim PowersKurz vor der Belagerung Wiens durch die Türken 1529 begegnet der Söldner Brian Duffy in Venedig dem geheimnisvollen Aurelianus. Scheinbar spontan wirbt der alte Mann ihn als Türsteher für sein Gasthaus mit angeschlossener Brauerei in Wien an. Duffys Erinnerungen an die Stadt sind nicht die glücklichsten, doch schon bald muss er erkennen, dass er größere Sorgen hat, als seiner gescheiterten Liebesbeziehung zu der Malerstochter Epiphany nachzutrauern: Auf seiner Reise über die Alpen häufen sich übernatürliche Vorfälle, und in Wien geht Seltsames vor. Auch mit Duffy selbst hat es mehr auf sich, als er wahrhaben möchte, doch davon, ob und wie er die ihm zugedachte Rolle übernimmt, hängt der Fortbestand des Abendlandes ab …

-With almost ludicrous care the old man carried the pitcher of beer across the sunlit room toward the still older man who reclined propped up in a bed by the window. A smear of dried mud was caked on the foot of the bed. –
Prologue

Es ist ein wenig schade, dass Tim Powers’ Roman nie eine Übersetzung ins Deutsche erfahren hat, zugleich aber auch verständlich: Der Konflikt zwischen Europäern und Osmanischem Reich wird hier nicht in seiner historischen Dimension thematisiert, sondern als mystisch überhöhtes und letztlich unentrinnbares ewiges Ringen zwischen westlicher und östlicher Welt geschildert. Wie problematisch diese Sichtweise in einem Land wirken kann, in dem das Zusammenleben mit türkischen Einwanderern ohnehin Konfliktpotential birgt, muss wohl nicht näher erläutert werden (zumal nach dem Ende des zur Entstehungszeit des Buchs noch andauernden Kalten Kriegs die Ausdeutung auf eine ganz andere Form von Ost-West-Konflikt hin wegfällt).

Ist man allerdings bereit, sich auf die Prämisse einzulassen, wird man mit einem durchaus unterhaltsamen Roman belohnt, der mit leichter Hand eine Fülle von historischem, literarischem und kulturellem Wissen zu einer originellen Aufbereitung der Artussage verknüpft. Die schwungvolle Handlung, die mit nichtendenwollenden Abenteuern und allerlei tragikomischen Begebenheiten aufwartet, und die bunte Renaissancekulisse lassen einen fast vergessen, dass unter dieser Oberfläche durchaus tiefgründige Themen angerissen werden. Dabei hat so manches Detail, dessen Ursprung man zunächst in schierer Fabulierfreude zu suchen geneigt ist – etwa die dem Bier zugeschriebene Zaubermacht –, tatsächlich eine Basis in alteuropäischen Mythen und Vorstellungswelten. Das ein oder andere erscheint einem dabei vielleicht zu gewollt kombiniert, aber dennoch bleibt insgesamt der Eindruck bestehen, dass Powers seine Materie beherrscht und zu vermitteln weiß.

Neben dem Kenntnisreichtum des Autors beeindruckt vor allem sein Talent, selbst scheinbar Abstruses plausibel zu machen. Wenn etwa ein Wikingerschiff im Wien des 16. Jahrhunderts auftaucht, hat einen die Geschichte schon so fest gepackt, dass man sich gern durch alle Unglaublichkeiten weiter mitziehen lässt.
Dabei hilft es sicher, dass der Protagonist – ein alternder, alles andere als heldenhafter Berufssoldat mit recht kleinbürgerlichen Lebensträumen und eher geringer Eignung zur Messiasgestalt – bisweilen genauso fassungslos wie der Leser vor seinen schier unglaublichen Erlebnissen steht und doch immer wieder einen Weg findet, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Heroisches und Allzumenschliches liegen das ganze Buch hindurch ebenso nah beieinander wie Tragik und Humor.

Dank der ironischen Brechung, die manches Motiv erfährt, wirkt der mittlerweile schon über 30 Jahre alte Roman erstaunlich modern. Powers’ flüssige, klare Sprache hat sich ebenfalls gut gehalten und dürfte auch Gelegenheitslesern englischer Texte keine zu großen Schwierigkeiten bereiten. Alles in allem: Ein Roman, der gefällige Lektüre bietet, ohne in Anspruchslosigkeit abzugleiten.

Das Einhorn Band 1: Der letzte Tempel des Asklepios von Mathieu Gabella/Anthony JeanAmbrosius Paré ist ein französischer Chirurg, der die Umwälzungen der Renaissance im wissenschaftlichen Bereich lebt: Anstatt aus den Schriften antiker Gelehrter bezieht er sein Wissen über den menschlichen Körper aus dem Sezieren von Leichen, dementsprechend wenig hält er auch von den Behandlungsmethoden der scholastisch gebildeten Mediziner. Bei der Untersuchung eines grausamen Mordfalls in Paris gerät er unversehens in einen Konflikt zwischen zwei mächtigen Organisationen. In Begleitung illustrer Gesellschaft muss er Frankreich verlassen und sieht sein gesamtes Weltbild in Frage gestellt, steht doch nicht weniger als die Natur des Menschen selbst auf dem Spiel.

-“Aber Meister Paré ist immerhin Chirurg des …” -“Chirurg von was? Er trägt keine Robe! Spricht weder Latein noch Griechisch und hat die alten Weisen nicht gelesen!” S. 8

Bei Das Einhorn von Mathieu Gabella (Text) & Anthony Jean (Illustrationen) handelt es sich um waschechte Historienfantasy im Comicformat (vier Bände).
Das Medium ist in diesem Fall ein echter Gewinn, denn Setting, Geschichte, Thema und künstlerische Umsetzung sind sehr gelungen miteinander verschränkt. Darauf lassen bereits die Cover schließen, auf denen anatomische Studien à la Leonardo da Vinci das Hintergrundmotiv bilden. Das historische Setting wird von einem Zeichenstil getragen, der den Panels ihren handwerklichen Aspekt belässt und der mit seinen zumeist warmen Grundtönen den historischen Charakter der Geschichte zusätzlich unterstreicht. Gleichzeitig fließen die Renaissance und deren Wissenschaft noch viel direkter in die Comics ein, indem Kreaturen ein handlungstragendes Element darstellen, die nach dem Vorbild der Körperstudien Leonardo da Vincis entworfen sind und Neuinterpretationen einer Vielzahl von Fabelwesen darstellen – die sogenannten Primordialen.

Das Einhorn Band 2: Ad Naturam von Mathieu Gabella/Anthony JeanMan merkt also schon, Medizin und Wissenschaft spielen eine zentrale Rolle in dieser Comicreihe. Wer noch kein Hintergrundwissen zu Wissenschaft und Medizin hat, braucht sich aber nicht zu fürchten, die wichtigsten Begriffe werden im Text erklärt und alle vier Bände liefern bandspezifische historische Infos am Schluss. Sowohl das antik-scholastische Körper- und Wissenschaftsbild als auch das „modernere“ der Renaissance werden dabei (auf unerwartete Weise) ernst genommen, immer wieder tauchen historische medizinische Theorien und deren Vertreter in der Handlung auf.
Der gute Gesamteindruck der Reihe wird jedoch durch die Bände drei und vier getrübt, die die Handlung vor allem im Hinblick auf Bombast und Rasanz vorantreiben, ohne ihr mehr Tiefe zu verleihen, ohne das Thema weiter auszuloten oder die Beweggründe der beteiligten Fraktionen befriedigend zu erklären. Tatsächlich ist gerade der abschließende zugleich der schwächste Band der Reihe, vor allem, weil er sich, anstatt das eigentliche Ende, das die Verbindung zum aktuellen anatomischen Zustand des Menschen darstellen musste, kreativer auszugestalten, mit einem Twist aufhält, der neu eingeführt und im gleichen Band abgeschlossen wird, aber eher mehr Unklarheiten zurücklässt als beseitigt. Das Streben nach einem fulminanten Finale mit Superlativen zerstört leider auch viel von dem Flair, das die ersten beiden Bände entwickelten.

Eine kleine Warnung noch: Wie das Setting vielleicht erahnen lässt, sind manche Darstellungen doch sehr explizit und gerade im ersten Band gibt es viele brutale Szenen, in den späteren Bänden nimmt dies deutlich ab.
So bleiben die ersten beiden Bände eine Empfehlung an alle Comicfans, die Bände drei und vier können jedoch das Potenzial der Reihe nicht ausschöpfen, sondern verflachen zunehmend. Wer eine Kostprobe von Zeichenstil und Story haben möchte, der besuche die Seite des Verlags oder klicke hier (Leseprobe zum ersten Band).

Eiserne Dämmerung von Matthew Woodring StoverNachdem der piktischen Söldnerin Barra von Piraten übel mitgespielt wurde, zieht sie sich zusammen mit ihren beiden Gefährten, dem Krieger Leucas und dem früheren Priester Kheperu, in die Handelsmetropole Tyrus zurück, in der ihre Zieheltern leben.
Auf der Suche nach neuen Aufträgen geraten sie schnell in eine Intrige, die zwischen all den mächtigen Handelsfamilien, Massen von Söldnern, Kaufleuten aus sämtlichen mediterranen Staaten und Glückssuchern in Tyrus droht: Der verstoßene ägyptische Prinz Meremptah-Sifti kommt zwar mit einem Lächeln, um die Handelsherren der Stadt zu betören, hat aber zwielichtige Pläne, und ist ein Gegner, der für Barra und ihre Männer vielleicht eine Nummer zu groß ist.

-Lieber Chryl, lieber Antiphos,
dies wird wahrscheinlich der letzte Brief in diesem Paket werden; wenn wir Tyros noch erreichen, ehe der Winter dem Handel ein Ende setzt, solltet ihr diese Zeilen vor der Sonnenwende lesen.-
Prolog

Die antike Welt, genauer gesagt die im Titel von Matthew Woodring Stovers Debutroman heraufdämmernde Eisenzeit, dient der Fantasy zwar häufig als Fundgrube für Ideen, als Setting dagegen taucht sie erstaunlich selten auf. Schade eigentlich, denn der erste Band der Reihe um die Söldnerin Barra besticht durch eine sehr anschauliche, unverbrauchte Kulisse, in der die Erinnerung an Troja noch lebendig ist, übrig gebliebene achaische Helden den Preis auf dem Söldnermarkt drücken und Handelszentren im Morgenland Wohlstand versprechen. Historische Akkuratesse sollte man sich von diesem furiosen Abenteuerreigen allerdings nicht unbedingt erwarten – mit der Einordnung der Epoche durch eher mythologisch als historisch konnotierte Ereignisse wie dem Fall von Troja oder Jericho ist die Zielrichtung von Eiserne Dämmerung hin zur Fantasy und weg vom historischen Roman ganz gut wiedergegeben. Mit vielen Details aus der Sachkultur beweist Stover allerdings, dass er weiß, worüber er schreibt, und sich seine Freiheiten wohl relativ bewusst wählt.
Schauplatz beinahe der gesamten Handlung ist die politisch unabhängige Handelsmetropole Tyrus, deren Unabhängigkeit akut von einem ägyptischen Prinzen bedroht wird, dem alle Mittel (auch Nekromantie) zur Erreichung seiner Ziele recht sind.

Die Struktur des Romans ist eindeutig dem Rollenspiel verhaftet (auch ganz konkret: Barra war ein Charakter von Stovers Frau): Man findet eine Gruppe, lernt sich besser kennen, kehrt in Gasthäuser ein und sucht sich Unterkünfte, und nebenher treibt man einen Auftrag voran, den man sich als arbeitslose Söldnertruppe gerade geholt hat und der einem natürlich alsbald über den Kopf zu wachsen droht.
Herzstück von Eiserne Dämmerung sind die liebenswerten Figuren: Der zaubermächtige ägyptische Ex-Priester Kheperu, ein zwielichtiger Feigling mit jeder Menge Dreck am Stecken (und Körper), der mehr in sich hat, als man ihm auf den ersten Blick abnehmen möchte; Leucas, ein Veteran der Belagerung Trojas – der typische Riesenkrieger, der durch Muskeln besticht, sich aber als nachdenklich und traumatisiert erweist; und schließlich die axtschwingende Piktenprinzessin Barra mit ihrem Wolf Graegduz, eine wunderbar gelungene Kriegerinnenfigur, die weder als Mannfrau fungiert noch chicks-in-chainmail-Klischees bedient und als Kopf der Söldnertruppe Führung („Bist du mit mir oder bist du tot?“) und gemeinsame Ziele (Reichtümer!) vorgibt.
Die aus dem Rollenspiel entlehnte Gruppendynamik steht fast durchgehend im Mittelpunkt, bleibt aber weitgehend klischeefrei, wie schon die herrlich widersprüchlichen Briefe Barras in die Heimat zeigen, die den Roman einläuten und ausklingen lassen. Durch den Abenteuercharakter und den lockeren Pragmatismus der Söldnerprotagonisten liest sich Eiserne Dämmerung ein wenig wie eine dreckigere und gewitztere Version von Richard Schwartz’ beliebten Askir-Romanen, vor allem wenn die drei ungleichen Gefährten sich in verbalem Schlagabtausch ergehen und sich langsam, trotz vieler zurückgehaltener Geheimnisse zusammenraufen. Das Tempo der Haupthandlung leidet allerdings zu Beginn unter diesem launigen Gekabbel.

Stovers Stärken, wenn auch noch nicht voll ausgeprägt, zeichnen sich in seinem Erstling bereits ab und man erkennt sowohl am nach dem Warmlaufen schnell die Richtung wechselnden Plot als auch an den explosiven, brutalen Kampf- und Actionszenen, dass ein angehender Meister der Sword & Sorcery am Werk war, auch wenn Eiserne Dämmerung längst nicht so ausgereift wie die späteren Caine-Romane ist.
Die realistischen Kämpfe, ein Markenzeichen des Autors, stehen dabei oft dicht an dicht mit dem (teils derben) Humor, und auch dieser Stover ist kein Sonntagsspaziergang für zartbesaitete Leser. Die Bildsprache, der der Autor sich bedient, stammt in den brutaleren Szenen eher aus dem Horror oder dem Psychothriller als aus der Fantasy – allerdings begehen diese Taten hier keine Perverslinge, von denen man sich nicht großartig abgrenzen muss, sondern einfach … Menschen.
Zum Ausgleich sorgt allerdings auch eine breite Palette des Heldentums für die richtige Prise Pathos, Figuren wissen zu überraschen, ihre Cleverness ist fast genauso wichtig wie ihre Schlagkraft, auch wenn sie nicht selten falsch gewickelt sind und dadurch erst in die unangenehmen Situationen geraten – und vor allem sind immer wieder für einen Lacher gut.

Abzüge in der B-Note gibt es für die Sprache, die auch ein wenig unter der Übersetzung leidet. Auch im Original schlägt Stover nicht den feinsten Ton an, so dass man sich über Arschlöcher und Konsorten nicht zu wundern braucht, doch gerade in den Dialogen fallen die Modernismen im Deutschen wohl eher ins Gewicht, schnurzpiepegal muss es im alten Orient z.B. nicht unbedingt gleich sein.
Ansonsten bekommt man mit Eiserne Dämmerung herrliche Figuren in einem Setting, das mit seinen Details und zahlreichen Referenzen auf aktuelle Geschehnisse im Handlungsraum (etwa die Wüstenwanderungen dieses seltsamen Stammes, der seinen Gott in einer Truhe mit sich herumträgt) viel orientalisches Flair versprüht und saftige Actionszenen (ja, auch mit Streitwagen 😉 ) bietet.

Cover von Endymion Spring von Matthew SkeltonMainz zur Zeit Johannes Gutenbergs: Im Dunkel der Winternacht schleift eine abgerissene Gestalt eine schwere Truhe durch den Schnee. Um den Deckel der Truhe winden sich Schlangen aus schwarzem Metall.
Jahrhunderte später streift Blake gelangweilt durch die Bibliothek des ehrwürdigen St. Jerome’s College in Oxford. Er zieht ein Buch aus dem Regal, und plötzlich ist ihm, als hätte ihn etwas in den Finger gestochen. Auf dem Einband des Buches steht, verblichen und kaum noch lesbar Endymion Spring. Er ist auf ein uraltes Geheimnis gestoßen.

-Jetzt erkannte ich das Verhängnisvolle meiner Handlungsweise. Ich hatte die ganze Welt des Wissens geöffnet – das Buch der Bücher, dessen Ende nicht vorstellbar war. Wie konnte ich es wieder schließen?-
(Mainz, Frühjahr 1453)

Das Buch der Bücher – jeder stellt sich darunter etwas anderes vor und es gibt so manche Bücher, die so genannt werden. In dem Debütroman von Matthew Skelton spielt ebenfalls ein solches Buch eine wichtige Rolle. Skelton hat mit Endymion Spring – Die Macht des geheimen Buches ein durchaus spannendes und anspruchsvolles Jugendbuch vorgelegt, das auch mit einer gehörigen Portion historischem Hintergrund aufwarten kann. Auf zwei Zeitebenen, schön voneinander durch eigene Titelblätter getrennt, in zwei Handlungssträngen, wird einem Krimi gleich erzählt, wie das Buch der Bücher entstand und wie es von Mainz nach Oxford gelangte.

Wie im Allgemeinen bei Jugendbüchern üblich, ist die sprachliche Gestaltung eher einfach und dem jugendlichen Leser angepasst. Die Sätze sind nicht zu lang, Begriffe und Ausdrücke aus der untersten Schublade werden vermieden und auf komplizierte Schachtelkonstruktionen wird ebenfalls verzichtet. Die Charaktere der Figuren sind nicht besonders tief sondern eher stereotyp angelegt, so dass die Figuren genaugenommen bestimmte menschliche Eigenschaften verkörpern. “Gut” und “Böse” werden klar definiert, was vor allem bei den Nebenpersonen deutlich wird, die  sich mehr oder weniger auf eine oder zwei Eigenschaften festnageln lassen.

Aus diesem Grund mag das Buch vor allem für den erwachsenen Leser keine besondere Herausforderung darstellen, und doch wäre es schade, würde man aus dieser oberflächlichen Beurteilung heraus auf die Lektüre verzichten bzw. das Buch ungelesen an seine halbwüchsigen Kinder weitergeben. Endymion Spring – die Macht des geheimen Buches ist ein Jugendroman mit einer schönen Idee, die der Autor wunderbar umgesetzt hat. In dem Katz-und-Maus-Spiel rund um das wertvolle Buch finden sich kleine Ausflüge in die Anfänge der Kunst des Buchdrucks und in die Geschichte der Universität Oxford. Dies und die kleinen geschickt eingestreuten Hinweise aus dem Faust sind wahre intellektuelle Leckerbissen für pfiffige junge Leser, aber auch für den Erwachsenen. Wenn man diese gelegten Spuren aufnimmt, stöbert man vielleicht in der nächstgelegenen Bibliothek nach dem Wappen Johannes Gutenbergs … oder nach Endymion Spring selbst … und man hat dann vielleicht ein bisschen das Gefühl, das Buch aus der Haut des geheimnisvollen Blätterdrachen hätte einen auserwählt und sich ein Stückchen weit für einen geöffnet …

-Jetzt erkannte ich das Verhängnisvolle meiner Handlungsweise. Ich hatte die ganze Welt des Wissens geöffnet – das Buch der Bücher, dessen Ende nicht vorstellbar war. Wie konnte ich es wieder schließen?-
(Mainz, Frühjahr 1453)

L'épée maudite von Olivier MerleDer junge Malven wächst in der Bretagne des 5. Jahrhunderts als Enkel eines mächtigen Burgherrn behütet, aber immer etwas im Schatten seines Großvaters Thorwarzec auf, dessen Ruhm als Krieger alles, was die nachfolgenden Generationen der Familie leisten können, weit überstrahlt. Als eines Tages Thorwarzecs Schwert spurlos verschwindet, wird Malven auf die Suche danach geschickt. Zunächst kommt ihm seine Queste sinnlos  vor, doch verstörende Visionen und eigenartige Begegnungen lassen ihn bald erkennen, dass es um mehr geht als um die Rückgewinnung einer alten Waffe …

La pluie tombait si durement et le vent soufflait si fort, que Malven se courbaeit sur l’encolure de son cheval, dont les sabots commençaient à glisser dans la boue. Le chemin était étroit, bordé par deux haies de genêts qui s’agitaient furieusement, se touchaeient et s’écartaient sous les rafales.
1 – Malven

Man darf nicht mit der Erwartung an Olivier Merles L’épée maudite herangehen, darin einen großen Roman nach dem Vorbild seines Vaters Robert Merle zu finden. Während der jüngere Merle mittlerweile auch Bücher für ein erwachsenes Publikum verfasst hat (und dabei mit  L’Avers et le Revers sogar direkt an das Schaffen seines Vaters anknüpft), handelt es sich bei seinem Erstlingswerk um eine kleine, feine Erzählung für junge Leser, die als reines Kinderbuch unterbewertet wäre, da eine durchaus für jedes Alter interessante Thematik ausgelotet wird.

Die augenfälligste Stärke des Buchs ist aber zunächst einmal sein Setting. Von der recht genauen historischen Verortung darf man sich nicht täuschen lassen, denn obwohl der ereignisgeschichtliche Kontext des 5. Jahrhunderts, in dem Inselkelten auf der Flucht vor den Angelsachsen in die Bretagne übersiedeln, durchaus handlungsrelevant wird, fühlt man sich eigentlich nicht in die reale Epoche der Völkerwanderung versetzt, sondern eher in eine zeitlose keltische Zauberwelt, wie sie sonst z.B. in der Artusepik begegnet. Merle beschwört sie in Bildern voll schlichter Schönheit herauf, die wohl gerade aufgrund ihrer im wahrsten Sinne des Wortes sagenhaften Einfachheit so überzeugend sind, wie etwa, wenn ein Apfel als bedeutsames Geschenk dient oder eine ganz klassische „weiße Frau“ erscheint.

Auch die erzählte Geschichte kommt auf den ersten Blick unkompliziert und unprätentiös daher: Mehr als eine lineare Queste auf der Suche nach dem titelgebenden „verfluchten Schwert“, die den Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenleben markiert, wird vordergründig nicht erzählt. Tiefgreifender sind hingegen die Implikationen dessen, was Malven unterwegs herausfindet, denn es erweist sich als zentrale Frage dieses Reifungsprozesses, wie man mit der Vergangenheit der eigenen Familie umgehen will, wenn lebenslange emotionale Bindungen und moralisch richtiges Handeln einander widersprechen. Vielleicht der jugendlichen Zielgruppe des Romans geschuldet sind die Konsequenzen dieser Entscheidung letzten Endes zumindest in Teilen etwas glimpflicher  als zunächst befürchtet, doch erspart bleiben sie Malven nicht.

Diese spezielle Stoßrichtung der Selbstfindung ist dabei weniger aus sich selbst heraus als im Vergleich mit typischen Mustern der Fantasyliteratur interessant, zeigt sie doch, worin bei diesen vielleicht zuweilen der wahre Eskapismus besteht: Malven verliert weder durch äußere Einwirkung seine Familie, noch findet er in der blinden Identifikation mit seiner Abstammung seinen Weg, sondern er muss sich noch auf dem Höhepunkt seines Abenteuers wohl oder übel mit der alles andere als idealen Verwandtschaft, die er nun einmal hat, auseinandersetzen.

So besteht der Wert der Erzählung letztlich nicht allein darin, dass sie eine recht nette (wenn auch für einen Erwachsenen rasch verschlungene) Lektüre bildet, sondern auch und vor allem in der Tatsache, dass sie nachdenklich macht und einen anregt, altvertraute Erzählkonventionen und ihre womöglich nicht immer unproblematischen Untertöne einmal zu hinterfragen.

Cover von Die Frau im Nebel von Elizabeth Ann ScarboroughUm das Jahr 1800: Der Schriftsteller Walter Scott hat gerade das Amt des Sheriffs von Edinburgh übernommen, da findet man die Überreste einer weiblichen Leiche im See Loch Nor’. Bald darauf verschwinden die jungen Kesselflickerinnen Bella und Leezie. Als auch noch Midge Margret und Geordie, zwei alte Bekannte Scotts, bei einem Überfall schwer verletzt werden, kommt der junge Sheriff einem grausigen Geheimnis auf die Spur.

-Die Mutter der Toten trug Schwarz, als sie zu den klagenden Klängen des Dudelsacks durch das Zimmer tanzte, im Kreise sich drehend.-
Kapitel 1

Die Geschichte beginnt im Jahre 1789, doch um die Atmosphäre dieser Epoche widerzuspiegeln, ist Elizabeth Ann Scarboroughs Sprache eindeutig zu modern. Es ist schwer vorstellbar, daß der achtzehnjährige Walter Scott zu einem Kesselflicker gesagt haben sollte, er möge ihm ein paar Lieder langsam vorsingen “…damit ich die Worte oder etwaige Textabweichungen von anderen Versionen des Lieds niederschreiben kann,…”. Aber auch Scarboroughs Kesselflicker befleißigen sich oft eines erstaunlich gepflegten Sprachstils. Diese anachronistische Sprache und der an vielen Stellen aufblitzende, manchmal auch unfreiwillige Humor, lassen zunächst keine Spannung aufkommen. Das ändert sich ungefähr in der Mitte des Buches. Dann dämmert dem Leser langsam, daß es nicht nur um die Aufklärung mehrerer Morde geht, sondern auch darum, weitere Verbrechen zu verhindern. Gleichzeitig beginnt man zu ahnen, wer der Täter sein könnte. Der Leser möchte erfahren, ob sich seine Vermutungen bestätigen und mit der Neugier steigt auch die Spannung, aber nur dann, wenn man nicht den Fehler begangen hat, die Inhaltsangabe auf der Rückseite und im Inneren des Buches zu lesen. Da findet sich nämlich die Auflösung des Rätsels. Es wird mir ewig verborgen bleiben, warum Verlage in ihren Klappentexten die Pointe einer Geschichte verraten, wenn der Autor sich über mehr als 250 Seiten alle Mühe gibt, das Ende des Romans kunstvoll zu verschleiern.
Über weite Strecken liest sich Die Frau im Nebel (The Lady in the Loch) wie ein historischer Roman. Abgesehen von einer kurzen Episode am Anfang, finden sich die phantastischen Elemente erst im letzten Drittel der Geschichte. Dann aber kann sich der Leser über einen Mangel an übernatürlichen Phänomenen nicht mehr beklagen.
Liest man Die Frau im Nebel in der Erwartung, einen atemberaubenden, gruseligen Thriller vor sich zu haben, wird man enttäuscht sein. Betrachtet man das Buch aber als eine humorvolle Anspielung auf die Schauerromane des neunzehnten Jahrhunderts (auch wenn die Autorin es anders gemeint haben mag), dann bietet die Lektüre des Romans gute Unterhaltung.

Cover von Frostfeuer von Kai MeyerMaus lebt seit ihrer Geburt im Edelhotel Aurora in St. Petersburg, das sie noch nie verlassen hat. Alle anderen Bediensteten nennen sie den “Mädchenjungen”, weil sie sich schon immer als Junge gegeben hat, um im Hotel bleiben zu dürfen. Außer dem Eintänzer Kukuschka gibt es niemanden, an den sich Maus wenden kann. Besondere Angst hat sie vor dem “Rundenmann”, der jeden der Bediensteten kontrolliert. Sie ist als Schuhputzerin angestellt und stößt eines Abends auf ein seltsames Schuhpaar, das zu einer überirdisch schönen Dame gehört. Zur gleichen Zeit findet sich eine weitere ausgefallene Gestalt ein: Tamsin Spellwell, die mit ihrem blauen Haar und ihrem Temperament, das so wild ist wie ihre Kleidung, das Hotel auf den Kopf stellt.

-“Guten Tag, Väterchen Frost.” Der Mann blickte auf. Für einen Augenblick schwand sein Lächeln, weil jemand es wagte, ihn bei der Fütterung der Flocken zu stören. Dann aber erkannte er die Frau, die ihn angesprochen hatte. Sein Lächeln kehrte zurück. “Lady Spellwell?”, fragte er. “Tamsin Spellwell?” Eine Frau war aus dem Schneetreiben getreten wie ein kunterbuntes Gespenst.-
Das Kapitel, in dem die wahre Heldin dieser Erzählung noch gar nicht auftritt

Nach Venedig und der Karibik führt der nächste große Jugendroman von Kai Meyer nun nach St. Petersburg. Aber nicht die Stadt selbst bildet die Kulisse für die phantastische Geschichte, sondern das Hotel Aurora. Und dieses Hotel hat Kai Meyer zu einer eigenen Welt gemacht und bemerkenswerte Figuren darin angesiedelt. Das Russland der Zarenzeit zeigt sich in aller Pracht, die allerdings eine schäbige Rückseite hat: Überall finden sich versteckte Türen in einen toten Flügel des Hotels und in den Kellern gibt es Spalten und Nischen, die Maus ein Zuhause geben. Kukuschka und der Rundenmann sind wie der Gut- und Bösepol in Maus’ Leben – so lebhaft, fröhlich und fürsorglich der eine gestaltet ist, so grobschlächtig, kalt und bedrohlich wirkt der andere. Ihre wahren Identitäten sind von Anfang an fraglich; eine überraschende Klärung wartet am Ende der Geschichte. Die Schneekönigin und Tamsin bleiben in ihrer Persönlichkeit und Herkunft immer etwas unscharf, aber das unterstützt nur ihre wundersamen Erscheinungen. Vor allem Tamsin und ihre zaubertüchtigen Utensilien sind eine skurrile, schillernde Bereicherung der Geschichte. In typischer Meyer-Manier muss natürlich noch eine Passage eingebaut werden, die das Grauen auf die Spitze treibt: Was Maus in Tamsins Zylinder erlebt, ist nur den Hartgesottenen unter den Zwölfjährigen zuzumuten, für die das Buch laut Verlag schon geeignet ist. Im Laufe des Romans wird Maus auch mit ihrer größten Angst konfrontiert: Sie muss sich aus dem Hotel hinaus begeben. Ihre krankhafte Panik vor der Außenwelt wird so eindrucksvoll geschildert, dass man in den entsprechenden Szenen das Buch absolut nicht mehr aus der Hand legt. Und die begründete Angst, in den Himmel zu fallen, sobald man einen sicheren Innenraum verlässt, jagt wohl jedem einen Schauer über den Rücken, der sich das als Kind schon mal ausgemalt hat. Vor solchen Ideen sprudelt der Roman über – und wer immer gelacht hat, wenn Kinder sich unsichtbar zu machen versuchen, indem sie einfach ganz fest die Augen schließen, der sollte ihn dringend lesen!

Die Fuchsfrau von Kij JohnsonUnter einem verlassenen Herrenhaus lebt eine Fuchsfamilie. Aber eines Tages kehren die Besitzer des Hauses aus der Hauptstadt zurück – denn Kaya no Yoshifuji, der Hausherr, ist am Hof in Ungnade gefallen; auf dem Land hofft er, Frieden zu finden. Seine Frau Shikujo aber hasst die wilde Natur und das Leben fern der Stadt.
Eine Füchsin verliebt sich in Yoshifuji, obwohl alle anderen Füchse die Menschen fürchten, und sie setzt alles daran, ihn für sich zu gewinnen. Sie reißt ihre ganze Familie mit in den Strudel, um eine Magie zu üben, mit der ein Fuchs in einen Menschen verwandelt werden kann. Yoshifuji indessen entwickelt eine Art Besessenheit von den Füchsen, die seine Frau mit Sorge betrachtet …

-Tagebücher werden von Männern geführt: kräftige Pinselstriche auf glatten Blättern aus Maulbeerbaumpapier, die von einem Band zusammengehalten und in einem lackierten Kasten aufbewahrt werden.-
Kitsunes Tagebuch

Mit Die Fuchsfrau (The Fox Women) betört Kij Johnson ihre LeserInnen gleich auf mehreren Ebenen: Allein schon die Atmosphäre, die sie in ihrem Roman schafft, kann jeden verzaubern, der auch nur einen Hauch von Interesse an der Kulturgeschichte des historischen Japan hat. Unmittelbar davon inspiriert ist die Welt der Fuchsfrau, und Kij Johnson hat offensichtlich keine Mühen gescheut, um ein authentisches Bild dieser Zeit zu vermitteln – und das nicht nur auf dem handwerklichen Sektor, wofür Die Fuchsfrau im Tagebuchstil der Tradition der Kopfkissenbücher folgt, sondern auch auf der Ebene der Erzählung: Man wird in eine hochartifizielle Welt entführt, in der jede Geste, jeder Gegenstand, jedes Ereignis mit Bedeutung beladen ist. Für jeden der drei Protagonisten, aus deren Sicht abwechselnd erzählt wird, hat Johnson eine eigene Stimme gefunden. In den kurzen Abschnitten lesen sich auch Wiederholungen aus jeweils verschiedenen Sichtweisen mit Vergnügen, denn allein sprachlich ist der Roman schon ein Genuss, allerdings werden die Dinge trotz der lyrischen Qualitäten stets beim Namen genannt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Die simple Handlung besteht eigentlich nur aus einem nicht einmal sehr komplizierten Liebesmärchen, und man fühlt sich letztendlich an die Geschichten erinnert, in der schöne Männer in Elfenreiche entführt werden, denn die Füchse schaffen es mit ihrer Magie, die künstliche Lebenswelt der Menschen noch zu perfektionieren und zu übertreffen, mit Illusionen, die an den glamour der Elfen erinnern. Besonders die Szenen, in der die Realität durch den Schein hindurchschimmert, wissen zu faszinieren. Doch trotz ihrer magischen Begabung fürchten die Füchse, zu scheitern – obwohl Kitsune, wie sich die Füchsin als Mensch nennt, bereit ist, alles für ihre Liebe zu opfern. Das Verständnis von Poesie, den Füchsen fremd, steht dabei im Mittelpunkt und zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch.

Die Fuchsfrau ist der erste Band einer Trilogie, die mit Motiven der japanischen Mythologie spielt, und dabei nacheinander die Themen Liebe, Krieg und Tod verarbeiten soll. Vordergründig wird in diesem Band die Geschichte der Füchsin Kitsune erzählt, doch im Grunde geht es um (zwischen)menschliche Verwirrungen und die ganze Bandbreite von Gefühlen im Dunstkreis der Liebe, und um die Scheinwelten, die die Liebe und die Liebenden aufbauen. Kitschig wird es dabei niemals, wer aber von einem Happy End für zumindest einen der Protagonisten träumt, wird enttäuscht werden: Ganz konsequent mit der Entwicklung der Figurenist das Ende der Geschichte vollkommen offen.
Wer ein anspruchsvolles Märchen voll von Poesie und Exotik lesen will, das sich weitab von den Standardpfaden der Fantasy bewegt und einen tiefen Einblick in Kultur und Seele gibt, ist mit Die Fuchsfrau bestens beraten.

Cover von Der Funke des Chronos von Thomas FinnDer Medizinstudent Tobias bekommt die Möglichkeit, mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit Hamburgs zu reisen und gelangt ins Jahr 1842. Eine unheimliche Mordserie erschüttert gerade die alte Hansestadt, und Tobias stört durch sein plötzliches Auftauchen den Mörder bei der Beseitigung eines Opfers. Die Ereignisse überschlagen sich und Tobias muss die Zeitmaschine zurücklassen. Am nächsten Tag ist sie verschwunden. Auf der Suche danach gerät er ins Visier des Mörders und stößt bei seinen weiteren Nachforschungen auf den Dichter Heinrich Heine. Die beiden werden zu unfreiwilligen Verbündeten und jagen (jeder aus eigenen Motiven) den Mörder.

-Die Knochen splitterten wie brüchiges Glas, als die Droschke über den Katzenkadaver rollte. Soeben läutete das Uhrwerk der Michaeliskirche zur zwölften Nachtstunde. Mit dem zweiten Glockenschlag wurde der ausgedörrte Tierleib emporgewirbelt und landete auf dem schmalen Trottoir der Admiralitätsstraße, die bis hinunter zum Schaarthor mit Abfällen übersät war.-
(Menetekel, Hamburg 1842, Nacht des 2. Mai, 4 Minuten nach Mitternacht)

Thomas Finn arbeitet mit einem Handlungsstrang, der sich mit hohem Tempo vor dem Leser entrollt, und in zwei Zeitebenen unterteilt ist: Die Geschichte beginnt zunächst im Jahr 1842, danach wird Leser in den nächsten drei Kapiteln in die Gegenwart (in das Jahr 2006) versetzt, um dann mit der Feststellung Tempus fugit wieder ins Jahr 1842 zurückzukehren.
Finn ist es – vor allem auf Grund der gründlichen Recherchen in den Archiven und Bibliotheken seiner Wahlheimat Hamburg – sehr gut gelungen, ein stimmiges Bild der Hansestadt zur Biedermeierzeit zu zeichnen. Die Geschichte entführt den Leser in die Tage kurz vor und nach dem Ausbruch des Großen Brandes in der Nacht zum 5. Mai 1842. Dass die Ursache des Brandes bis heute nicht geklärt ist, nutzt der Autor geschickt, um seine Erklärung dafür zu finden und sie hier erzählen …

Das historische Hamburg mit seinen windschiefen Holz- und Fachwerkhäusern, seinen winkligen Gassen und verruchten Ecken ist äußerst lebendig gestaltet und die Menschen, die diese Straßen, Gassen und Marktplätze bevölkern, sind mit wenigen gut gewählten Worten treffend geschildert. Gerade an den Nebenfiguren merkt man, wie viel Liebe in der Gestaltung des Romans steckt: Der Autor gibt seiner Geschichte nämlich noch zusätzlich Authentizität, indem er vor allem in der wörtlichen Rede Dialekte benutzt, und da die Handlung in Hamburg und Umgebung angesiedelt ist, wird häufig das Hamburger Platt verwendet. Dadurch wirken die sozialen Milieus deutlich näher, als durch eine durchgängige Verwendung der hochdeutschen Schriftsprache.

Es kommen noch andere Dialekte vor und Leser, die mit ihnen nicht vertraut sind, könnten mit diesen Textpassagen evtl. Schwierigkeiten haben, aber geschriebenes “Platt” (oder die anderen Dialekte) lassen sich auch ohne “Sprachkenntnis” ganz gut entziffern und wenn Wörter wirklich für Außenstehende nicht mehr zu verstehen sind, werden sie vom Autor in einer kleinen Fußnote erklärt.

Thomas Finn scheint seine Wahlheimat wirklich zu lieben – denn dieses Buch ist eine einzige Liebeserklärung an die alte Kaufmannsstadt, aber auch eine Hommage an den britischen Schriftsteller H. G. Wells: Die Beschreibung der Zeitmaschine zu Beginn der Geschichte kommt jedem sofort bekannt vor, der den Film Die Zeitmaschine aus dem Jahr 1960 gesehen, oder vielleicht sogar Wells 1904 erstmals auf deutsch erschienenes Buch gelesen hat.

Die Fürsten des Nordens von Guy Gavriel KayDer junge Erling Bern Thorkellson gerät unverschuldet in die Leibeigenschaft und will sich in einer unüberlegten Aktion daraus befreien. Eigentlich ist er chancenlos und malt sich schon aus, wie er von seinem blutrünstigen Volk hingerichtet wird, doch er erhält Hilfe von unerwarteter Seite.
Alun ap Owyn, ein Barde der Cyngael, und sein Bruder Dai geraten bei einem Viehdiebstahl ausgerechnet an das Haus und den Besitz des berühmten Brynn, der einen der bekanntesten Erling-Plünderer getötet hat, auch wenn die Erling nach wie vor an den Küsten der Cyngael einfallen. Nur durch eine List können sich die Brüder retten und werden sogar als Gäste in Brynns Haus empfangen, wo sie die Bekanntschaft seiner schönen Tochter machen.

– Allmählich verstand er, worum es ging. Ein Pferd war verschwunden.
Solange es nicht gefunden wurde, stand alles still. Der Marktplatz der Insel war an diesem grauen Frühjahrsmorgen voller Menschen. –
Eins

Zu Die Fürsten des Nordens liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Das Geheimnis des goldenen Reifs von Martin SchemmVor Jahren ist den unter dem norddeutschen Süllberg lebenden Zwergen der zauberkräftige Armreif Wurdbouga gestohlen worden, der es seinem Träger gestattet, Macht über das Schicksal jedes beliebigen Menschen zu erlangen. Nun endlich gibt es eine Spur des Schmuckstücks, das ausgerechnet dem machthungrigen Pfalzgrafen Friedrich von Goseck in die Hände gefallen ist. Der junge Lindfell, Sohn eines menschlichen Wechselbalgs und einer Zwergin, wird ausgesandt, um Wurdbouga zurückzugewinnen. Zwar findet er bei seinem Vorhaben Unterstützung, doch seine Gefährten und er geraten alsbald mitten in den Sachsenkrieg gegen Kaiser Heinrich IV. hinein …

Es war der Tag des heiligen König Oswald im Jahre des Herrn 1073. Die Sommersonne stand hoch am wolkenlos klaren Himmel und brannte auf die Landschaft hernieder. Sie ließ die Welt in leuchtendem Grün erstrahlen, während über allem eine bleierne Stille hing. Von der Hitze wie ermattet, schien die Natur in ihrem lebendigen Treiben innezuhalten. Kein Vogel zog am Himmel seine Bahn oder ließ seinen Gesang ertönen, kein Wild war zu sehen auf der gerodeten Bergkuppe und im angrenzenden Gehölz. Auch kein menschlicher Laut war zu hören. Das einzige Geräusch, das zur Burg herübertönte, war das helle Zirpen der Grillen.
(Prolog – Goldener Adler auf blauem Grund)

History meets Fantasy – so charakterisiert Martin Schemm selbst im Nachwort Das Geheimnis des goldenen Reifs, die in sich abgeschlossene Fortsetzung seines Romans Der Goldschatz der Elbberge, und verspricht damit nicht zu viel. Wie schon im ersten Band bilden die politischen Wirren der Salierzeit den Rahmen für übernatürliche Geschehnisse. Ein eindeutiger Pluspunkt im Vergleich zu manch anderer Historienfantasy ist dabei die Tatsache, dass der Autor sich an die überlieferte Ereignisgeschichte hält und die phantastischen Elemente geschickt so einfügt, dass sie dem, was man über den sächsischen Aufstand weiß, nicht widersprechen. Selbstironisch lässt er sogar bei einem Vorfall, bei dem der Leser “weiß”, dass Zauberei im Spiel war, eine abergläubischen Vorstellungen abholde Romanfigur eine alternative rationale Erklärung anbieten. Fans von Fantasy und historischem Roman gleichermaßen werden zu schätzen wissen, dass die uns in vielem ferne Welt des 11. Jahrhunderts dabei in ihrer Andersartigkeit ernst genommen wird. So lässt etwa die Darstellung der von vielen Charakteren durchaus inbrünstig gelebten christlichen Frömmigkeit (aber auch der parallel dazu wortwörtlich im Untergrund weiterwirkenden heidnischen Praktiken) zu keinem Zeitpunkt den Verdacht aufkommen, es nur mit in eine historisierende Kulisse versetzten modernen Menschen zu tun zu haben.

Auf ein gewisses Maß an Pathos und Dramatik muss man sich bei der Schilderung der geschichtlichen Vorgänge und ihrer Akteure allerdings einlassen: Wenn der schurkische Friedrich von Goseck in finsteren Plänen schwelgt oder Kaiser Heinrich sich über die Opposition gegen seine Herrschaft ereifert, malt Schemm mit recht kräftigen Pinselstrichen. Zwischentöne finden sich eher bei den fiktiven Figuren, wenn beispielsweise ein siegreich überstandener Kampf die überwiegend nicht unbedingt kriegerischen Helden mit gemischten Gefühlen erfüllt oder wenn man sich dabei ertappt, mit Friedrichs Handlanger Gerald mitzufiebern, der, obwohl er in Diensten des Antagonisten steht, selbst beileibe kein Bösewicht ist und großes Talent dafür zu haben scheint, von einer unheimlichen Situation in die nächste zu stolpern. Von Besuchen bei undurchsichtigen Hexen über im Hinterhalt lauernde Fabelwesen bis hin zu einer Begegnung mit der Wilden Jagd bleibt dem armen Mann wahrlich nichts erspart. Für die Leser dagegen ist die Entdeckungsreise durch regionale Sagen und germanische Mythologie höchst unterhaltsam, ganz gleich, ob geheimnisvolle Zwergenreiche erkundet werden oder Wodan persönlich einen starken Auftritt hinlegt.

Die Ausweitung der Schauplätze gegenüber dem ersten Teil der Reihe ist unter diesem Aspekt ein Gewinn. Auch generell ist Das Geheimnis des goldenen Reifs kein schwächerer Nachfolgeband, sondern übertrifft seinen Vorgängerroman womöglich in mancherlei Hinsicht. Wohl unter anderem durch die eindeutige Zielsetzung der Quest bedingt wirken Handlungsführung und Figurenensemble klarer strukturiert und ausgewogener als zuvor, und auch die Landschafts- und Wetterschilderungen haben an Intensität noch gewonnen. Erfreulich ist zudem, dass Schemm diesmal seinen Frauenfiguren nicht nur einen Platz am Rande des Geschehens einräumt, sondern sie vielfach aktiv in die Handlung eingreifen lässt. Neben der tatkräftigen Iva, die sich den Gefährten anschließt und glücklicherweise keine Minute zur damsel in distress verkommt, bleibt einem vor allem die Hexe Watelinde im Gedächtnis, der man zwar lieber nicht im Dunkeln (und vermutlich noch nicht einmal im Hellen) begegnen möchte, die aber eine durchaus eindrucksvolle Gestalt ist.

Darüber hinaus bleibt jedoch erhalten, was schon den ersten Band ausgezeichnet und zu etwas Besonderem gemacht hat: Unabhängig von kurzlebigen Modetrends und Massengeschmack wird hier einfach eine spannende, abenteuerliche Geschichte erzählt, die einen in ein phantastisches Mittelalter entführt und einen insgeheim davon träumen lässt, selbst einmal an passender Stelle herumzustöbern, um vielleicht doch den Einstieg in ein Zwergenreich zu finden oder einen Blick auf ein Ungeheuer am Wegesrand zu erhaschen.

Cover von Der Gejagte von Wolfgang HohlbeinAndrej und Abu Dun haben nach vielen Jahren der Verfolgung und Ruhelosigkeit endlich einen Ort der Zuflucht gefunden. Malta ist für sie eine neue Heimat geworden. Doch der Friede währt nicht lange. Im Jahr 1565 bedroht das Osmanische Reich das christliche Abendland. Die übermächtige türkische Flotte bereitet einen Angriff auf die kleine Insel im Mittelmeer vor, der das endgültige Ende von Ruhe und Frieden für ihre Bewohner, aber auch für die beiden Unsterblichen bedeutet. Denn die Ordensritter kämpfen nicht nur gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner, sondern auch gegen einen ungeheuer mächtigen Vampyr …

-Es war nicht das erste Mal, dass er gegen ein Wesen seiner eigenen Art antrat, auch nicht das erste Mal, dass er es mit einem Gegner zu tun bekam, der ihm überlegen war, und doch hatte er noch niemals eine solche … ja, es hatte keinen Sinn zu leugnen: Angst gehabt.-
20. Mai 1565, Seite 216

Das Zitat oben sagt eigentlich so ziemlich alles aus. Andrej und Abu Dun haben es (man staune!) schon wieder mit einem mächtigen Gegner zu tun, dem sie nicht gewachsen sind. Nebenbei wird noch die Geschichte eines aussichtslosen Krieges des Johanniterordens gegen die Türken beschrieben, der aber im ganzen Buch weder richtig in Fahrt kommt, noch irgendwie Spannung erzeugt. Und da wären wir auch schon beim eigentlichen Manko, denn eines ist der Roman auf keinen Fall: spannend. Die Handlung ist vorhersehbar, die Personen sind nach Schema F konstruiert – es kann einfach keine Spannung aufkommen. Hier und da werden ein paar Antworten auf das Wesen des Vampyrs (wonach Andrej ja seit Anfang des Zyklus sucht) eingestreut, aber natürlich erfährt weder Andrej noch der Leser wirklich etwas über den Vampyr. Und auch der übermächtige Gegner der beiden Gefährten gibt natürlich keine Antworten, sondern wirft weitere Fragen auf, die unbeantwortet bleiben. Am Ende weiß man weder, wer der Vampyr war, noch welche Motive er hat oder was er letztendlich ist. Auch die anderen Personen, die vorkommen, sind sehr streng durchkonstruiert: der alte, aber weise Großmeister, sein ebenso weiser Sekräter, der skeptische (und später böse) Widersacher aus den eignen Reihen und schließlich die armen Opfer des Vampyrs, die Andrej und Abu Dun retten müssen. Und im Hintergrund natürlich die grauenhafte türkische Armee, die aber ohnehin nur wie eine Wolke am Rand des Lesehorizonts auftaucht. Versuche, die menschlichen Schicksale von Belagerung und Krieg zu beleuchten, sind zum Scheitern verurteilt, einfach aus dem Grund, weil Hohlbein es nicht ernsthaft versucht – die Leiden von Andrej (die er seit Jahrhunderten mit sich herumträgt und die mehr als einmal ausführlich erklärt wurden) und später Abu Dun sind ja auch viel interessanter.
Einzig der Schluss rettet das Buch doch noch irgendwie vor dem totalen Absturz, wird doch zumindest die Tragik der Lage deutlich und wie sehr die Unsterblichen eigentlich unter ihrer Unsterblichkeit leiden. Das reicht aber bei weitem nicht aus um das Buch weiterzuempfehlen, einzig eingefleischte Hohlbeinfans, die wissen wollen, wie es weitergeht, könnten es sich überlegen, es zu kaufen. Ein Muss ist es nicht.

Gemmas Visionen von Libba Bray1895 – Gemma Doyle, ein launischer und verwöhnter Teenager, feiert ihren sechzehnten Geburtstag, als sie zum ersten Mal von einer Vision heimgesucht wird, die ihr bisheriges Leben völlig verändert. Gemma sieht, wie ihre Mutter sich selbst tötet, um einem Schattenwesen zu entkommen, das sie zu verschlingen droht. Gemma, die ihr Leben in Indien verbracht hat, wird zu ihrer Familie nach London geschickt, wo sie ein Pensionat für junge Damen besuchen soll. Niemand ahnt etwas von ihren Visionen, die nur der Anfang eines viel größeren Geheimnisses sind.

– Ich starre einer Kobra in die Augen. –
1. Kapitel

Zu Gemmas Visionen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

A Great And Terrible Beauty von Libba Bray1895 – Gemma Doyle, ein launischer und verwöhnter Teenager, feiert ihren sechzehnten Geburtstag, als sie zum ersten Mal von einer Vision heimgesucht wird, die ihr bisheriges Leben völlig verändert. Gemma sieht, wie ihre Mutter sich selbst tötet, um einem Schattenwesen zu entkommen, das sie zu verschlingen droht. Gemma, die ihr Leben in Indien verbracht hat, wird zu ihrer Familie nach London geschickt, wo sie ein Pensionat für junge Damen besuchen soll. Niemand ahnt etwas von ihren Visionen, die nur der Anfang eines viel größeren Geheimnisses sind.

– She walks out towards them, an apparition in white and blue velvet, her head held high as they stare in awe at her, the goddess. I don’t yet know what power feels like. But this is surely what it looks like, and I think I’m beginning to understand why those ancient women had to hide in caves. Why our parents and teachers and suitors want us to behave properly and predictably. It’s not that they want to protect us; it’s that they fear us. –
Kapitel 8, S. 207

A Great And Terrible Beauty (Gemmas Visonen), der erste Roman aus der Trilogie Gemma Doyle (Der geheime Zirkel), entführt in das ausklingende viktorianische Zeitalter und öffnet gleichzeitig die Tür in eine andere Welt, die man vielleicht am ehesten mit einem magischen Garten Eden vergleichen könnte. Der Roman spielt mit historischen Elementen der Hexerei, Mythologie, phantastischen Zwischenwelten, Dämonen und anderen mystischen Einflüssen, bleibt dabei aber bodenständig und relativ realitätsnah. Der Handlungsort wechselt zwischen Indien, England und den magischen Landen, wodurch auch Themen wie Klassengesellschaft und der Umgang mit anderen Völkern angesprochen werden.

Anfangs kommt der Roman nur schwer in Fahrt und konzentriert sich eher auf Ortsbeschreibungen und die Schilderung gesellschaftlicher Zustände als auf die Anstoß gebenden Visionen der Protagonistin. Die magischen Lande werden nur kurz besucht und erkundet, der Aufenthalt dort wiederholt sich ein paar Mal ohne große Änderungen. So wird die eigentliche Handlung erst zur Buchmitte hin wirklich spannend, liefert einem dann aber ein altes Tagebuch mit dunklen Geheimnissen, eine Spur scheuer und verbotener Romantik und heranwachsende Frauen mit einem ausgeprägten Hang zu Abenteuern, Entdeckungstouren und anderen, verbotenen Dingen. Auf folgsame, unterwürfige Frauen, die einen Beschützer suchen, braucht man in diesem Roman nicht zu warten, denn es geht hier recht feministisch zu. Da sich die Autorin insgesamt an die realen Zustände jener Zeit hält und ihre Gesellschaft entsprechend formt, zeichnet A Great And Terrible Beauty ein aus heutiger Sicht bedrückendes Bild viktorianischer Mädchen und Frauen, die zu gerne aus den vorbestimmten Bahnen ausbrechen würden. Dabei wirkt die Handlung nicht überzogen, nicht zu modern feministisch, es bleibt der Zeit angemessen glaubwürdig und verbindet alles mit dieser magischen Welt des Gartens. Die phantastischen Elemente halten sich aber doch stark zurück, so dass der Roman mehr zu einem nostalgischen Mystery-Abenteuer mit viel erzählerischem Ausbau wird.
Tragische Ereignisse und Enttäuschungen bleiben ebenfalls nicht außen vor, denn dieser Roman ist nicht darauf ausgelegt, eine schillernde, softe Heldinnenreise zu beschreiben.

Sich als LeserIn mit den Hauptcharakteren zu identifizieren, gestaltet sich anfangs schwierig. Gemma ist ein launischer, verwöhnter Teenager von sechzehn Jahren. Zickig, ein bisschen hochnäsig und verantwortungslos. Im Laufe des Romans entwickelt sie sich langsam weiter, bleibt aber insgesamt sprunghaft und ignoriert Dinge, die ihr unliebsam sind. Neben ihrem jugendlichen Verhalten denkt sie allerdings recht emanzipiert und ist keine Freundin der herrschenden Geschlechterrollen, was eine erfrischende Abwechslung zu den zahlreichen Jugendbüchern mit sehr klischeehaften Rollenbildern bietet.
Auch Gemmas Freundinnen sind keine großen Symphatiträgerinnen. Die Mädchen begegnen sich mit Hass und intrigantem Verhalten und schließen sich mehr aus der Not heraus zusammen denn aus echter Freundschaft. Keine kann die Andere so richtig leiden und sie trauen einander auch nicht. Nach und nach wird aber deutlich, dass jedes der Mädchen, so unsympathisch sie einem zunächst bleiben, ein ernüchterndes Geheimnis hat, sich alle vor der Zukunft fürchten und sich als Frauen mehr Wertschätzung wünschen. Es sind halbwüchsige Teenager an der Schwelle zum Erwachsensein, mit all den Fehlern, Launen, rebellischen Gedanken und Dummheiten. Sie sind auf der Suche nach sich selbst und einem Sinn für ihr Leben. Erst mit Einbruch einer Katastrophe realisieren sie allmählich, dass ihr oft überstürztes und nicht durchdachtes Handeln sie von ihren Zielen und Wünschen immer weiter entfernt.

Es gibt viele gegensätzliche Impulse in A Great And Terrible Beauty. Neben der vorhandenen emanzipierten Denkweise träumen die Mädchen manchmal auch einfach nur von ihrem Traumprinzen oder vielmehr einem Ideal der wahren Liebe. Sie lernen gerade erst mit der veränderten Wahrnehmung von Männern und Frauen umzugehen und auch mit den damit verbundenen sexuellen Empfindungen – in einer Zeit, in der ein unbedeckter Fußknöchel bereits als skandalös gilt. Verdeutlicht wird dieses Spiel mit den Gegensätzen z.B. anhand einer der wenigen männlichen Figuren des Romans. Kartik, der von seiner Bruderschaft, den Rakshana, damit beauftragt wurde, Gemma zu bewachen und sie von den magischen Landen fern zuhalten, tritt gleichzeitig auch als ihr Beschützer auf. Er ist abwechselnd herrisch und fürsorglich, unsicher, wie er sich richtig verhalten muss. Es führt dazu, dass zwischen Kartik und der selbstbewussten Gemma eine offensichtliche Rivalität und gleichzeitig naive Unsicherheit herrscht. Ähnlich wie es Gemma nicht möglich ist eine klare Entscheidung zu treffen, weiß man als LeserIn ebenfalls lange nicht, ob Kartik Freund oder Feind ist, ob man ihn begehren oder zum Teufel schicken soll. Um die Dinge möglichst kompliziert zu gestalten, ist natürlich auch beides gleichzeitig möglich – es lebe die Pubertät mit ihren verwirrenden Auswirkungen. Libba Bray zeichnet in ihrem Debütroman keine Teenager mit einem unrealistisch erwachsenen Denkmuster oder utopischen Vorstellungen von der ersten und einzig wahren, ewig existierenden Liebe. Sie liefert Jugendliche auf der Suche nach dem eigenen Weg ins Erwachsensein und dem Erkennen des Unterschieds von Wunsch und Realität.

Dieses Buch wird durchaus nicht jedem gefallen, denn man muss sich auf wirklich launische und nicht immer vernünftig handelnde Heranwachsende einlassen können. Was aber klar für diesen Roman spricht, ist ein komplex verflochtenes Netz verschiedener, schwieriger Themen, seine viktorianisch-elitäre Atmosphäre und seine überzeugende Darstellung, die einen an die eigene, manchmal schwierige Jugendzeit erinnert.

Sprachlich ist A Great An Terrible Beauty keine große Herausforderung. Das Buch sollte für halbwegs geübte Leser auch im englischen Original mühelos verständlich sein.

Cover von Hagen von Tronje von Wolfgang HohlbeinHagen von Tronjes Treue gehört Gunther von Burgund, dessen Waffenmeister, Freund und engster Vertrauter am Hofe zu Worms er ist. Seine Liebe, wenn es je eine gegeben hat in seinem Leben, gehört Kriemhild, Gunthers Schwester. Als Hagen, erschöpft und verwundet, von einem Erkundungsritt zu den Grenzen des Reichs nach Worms zurückkehrt, wird er von bösen Ahnungen geleitet, und diesmal soll er damit recht behalten. Die Ankunft Siegfrieds und seiner Nibelungenreiter birgt bereits den Keim allen künftigen Unheils.

-Die Hufe der Tiere hinterließen eine breit aufgeworfene Spur im feuchten Sand; winzige Mulden, die von geduldig nachsickerndem Wasser zuerst in kleine runde Spiegel verwandelt und dann ausgelöscht wurden, als wolle der Fluß den Menschen zeigen, wie vergänglich all ihr Tun war.-
1. Kapitel

“Der Hagen von Tronje“, so lautete Hohlbeins Antwort auf die Frage, welches seiner vielen Bücher ihm seiner Meinung nach am Besten gelungen wäre. Neugierig geworden, besorgte ich mir also das Buch und erwartete recht viel. Zu viel.
Hagen von Tronje besteht ausnahmsweise mal nicht aus dem bekannten Hohlbein-Strickmuster, da sich der Autor hierbei zwangsläufig an die literarische Vorlage halten mußte. Das hält ihn freilich nicht davon ab, bestimmte Passagen des mittelhochdeutschen Liedes sehr frei zu interpretieren: Um den Hohlbein-typischen Stil kommt denn auch die deutsche Volkssage Nr. 1 nicht herum! Die Grundidee des Buches, das Nibelungenlied einmal aus der Sicht des Schurken Hagen zu betrachten, sorgt jedoch für einige Spannung.

Da der Leser das Ende der Sage in der Regel schon kennt, macht Hohlbein den Hauptdarsteller Siegfried kurzerhand zur Randfigur und rückt dafür Personen wie etwa Giselher in den Vordergrund, der in der eigentlichen Sage kaum zum Tragen kommt. Zudem macht er deutlich, dass das Christentum zu dieser Zeit noch längst nicht vollständig in das Bewusstsein der “Gläubigen” vorgedrungen war und viele Burgunder noch zu Odin (es hätte eigentlich Wodan heißen müssen) beteten, ein interessanter Punkt, auf den in der Sage kaum eingegangen wird. Gute Ansätze also, aber Hohlbein kann nunmal nicht aus seiner Haut, das Sprichwort “weniger ist mehr” ist ihm offenbar fremd. So überspannt er den Bogen auch in seinem “besten” Werk und macht die zum Teil sehr gelungenen Ansätze am Schluss der Erzählung wieder zunichte, indem er kurzerhand den Spieß umdreht: Er macht einfach Siegfried zum Schurken und Hagen zum Helden. Aus dem heimtückischen Mord am Drachentöter wird bei Hohlbein ein Sieg in einem ehrlichen Kampf – völlig unnötig, denn Hagen ist gerade deshalb so interessant, WEIL er sich den gängigen Wertevorstellungen entzieht und die Treue zu seinem König über die Moral stellt! Überdies bricht Hohlbein seine Erzählung mit Siegfrieds Tod ab, obgleich die fehlende, zweite Hälfte der Sage ungleich aufschlußreicher und entlarvender ist, vor allem für die Figur des Hagen.

Cover von Herrin der Wälder von Jennifer RobersonRobert von Locksley kommt von den Kreuzzügen zurück, erklärt Lady Marian, daß ihr Vater tot sei und daß sein letzter Wunsch gewesen sei, sie möge den Sheriff von Nottingham heiraten. Der einzige, der von diesem Wunsch angetan ist, ist der Sheriff, der diese Idee auch schon längere Zeit mit sich herumträgt. Lady Marians Begeisterung hält sich stark in Grenzen, Sir Guy von Gisbourne findet, daß die Lady einen besseren Gatten verdient hätte und Locksley kann sich die beiden auch nicht so recht als Ehepaar vorstellen. Das ist der Kern der Geschichte. Um diesen Kern hat Jennifer Roberson einen Roman gebaut, der die Legende von Robin Hood neu erzählt.

-Dunkelheit. Stille. Die Schwermut der Einsamkeit. Das waren die Waffen, die sie brechen sollten, die sie dazu bringen sollten, ihre trotzige Haltung aufzugeben und sich zu unterwerfen; die sie dazu treiben sollten, sich zu ergeben und um Gnade, Mitgefühl und Verständnis zu flehen.-
Prolog: Nottingham Castle. Spätes Frühjahr 1194

Wenn der Rezensent nicht im letzten Moment unter den Angaben zur Autorin die Bemerkung gefunden hätte, es handle sich bei “Herrin der Wälder” um “female fantasy”, dann hätte er das Buch hier gar nicht besprochen. Das wäre schade gewesen, denn es handelt sich um einen der besseren Romane. Das Gute daran ist nicht etwa, daß die Geschichte aus Sicht der Lady Marian erzählt wird. Die Idee einen alten Mythos aus der Perspektive einer Frau zu erzählen, kennen wir in der Fantasy schließlich spätestens seit Marion Zimmer Bradley und außerdem bedient sich die ganze feministische Literatur dieses Kunstgriffs. Nein, das Positive an dem Buch ist, daß Roberson die Handlungen ihrer Protagonisten schlüssig motiviert. Der Sheriff von Nottingham ist nicht einfach nur ein bösartiger, aber leicht trotteliger Mensch, den man braucht, um Robin Hood im Gegensatz dazu strahlender, edler und heldenhafter erscheinen zu lassen, wie es im Film oft ist. Roberson zeichnet Nottinghams Charakter sehr ausführlich und so ist er unzweifelhaft die interessanteste Figur in dem ganzen Roman. Das ist aber auch die Schwierigkeit. Die Schurken sind meistens einfacher zu gestalten als die Gutmenschen. Damit der gute Robin nicht zu langweilig gerät, stattet Roberson ihn mit einem Kriegstrauma aus und auch für ihre anderen Protagonisten hat die Autorin sich Originelles einfallen lassen. So hat der Sheriff von Nottingham eine Tochter, die eine ganz besondere Form des mittelalterlichen Feminismus’ pflegt. An Sir Guy endeckt man völlig neue Seiten und auch Richard Löwenherz pflegt Vorlieben, von denen man in den Erzählungen, die man als Kind gelesen hat, nichts gehört hat. Leider macht Lady Marian keine richtige Entwicklung durch, sie ist von Anfang an eine couragierte, mutige, liebenswerte Frau, die am Ende vielleicht noch ein bißchen mutiger ist als am Anfang, das war es dann aber auch an Entwicklung.
Wer Zauberer, Magie, Elfen oder Drachen erwartet wird enttäuscht sein, es handelt sich hier um einen pseudohistorischen Roman ohne jede Magie.
Sprachlich ist das Buch in Ordnung, nur manchmal stolpert man über kleinere Unzulänglichkeiten, die erst dann wirklich stören, sobald sie sich häufen. Wenn also irgendwelche Türen ständig über den Boden “schaben”, dann sollte man als Übersetzer vielleicht doch einmal einen Blick in das Wörterbuch für Synonyme wagen.

Cover von Herrin von Sherwood von Jennifer Roberson5 Jahre später: Als Richard Löwenherz stirbt, wird Prinz John König. Dadurch gewinnt auch der Sheriff von Nottingham wieder Oberwasser. Er ignoriert die Begnadigung Robins und seiner Freunde und drangsaliert Marian. Unterdessen versuchen einige Barone, Richards Neffen Arthur als König zu etablieren, der Löwenherz’ Geld geerbt hat.

-Der Teufel lag in Frankreich im Sterben. Aber nein, das war unmöglich. “Mylord”, sagte jemand leise. “Mein König.” Der Teufel war König. Oder war der König ein Teufel?-
Prolog

“Herrin der Wälder” war noch unterhaltsam und originell, der Folgeband “Die Herrin von Sherwood ” ist zum größten Teil nur langweilig. Das liegt zum einen daran, daß in diesem Roman nicht eine neue Idee entwickelt wird. Ging es im ersten Band um die Liebe zwischen Robin und Marian, den Konflikt zwischen Robin und seinem Vater und um die unterschiedlichen Auffassungen der Guten und der Bösen, was nun eigentlich mit den Steuergeldern anzufangen sei, so geht es im zweiten Teil um genau die gleichen Themen. Dazu kommt, daß schon in “Herrin der Wälder” die Passagen am schlechtesten waren, in denen Roberson über Robin und Marian schreibt; das hat sich nicht geändert, aber die beiden nehmen hier einen noch größeren Raum ein und somit wird das ganze Buch schlechter. An anderen Stellen merkt man, daß Roberson besser schreiben kann, geht es aber um Robin und Marian wird die Geschichte entweder langweilig, kitschig, unglaubwürdig oder unfreiwillig komisch. Man ist jedesmal erfreut, wenn der Sheriff von Nottingham auftaucht, der unsentimental, pragmatisch und natürlich fies ist und dessen Charakter Roberson viel glaubwürdiger darstellt. Eleanor, die im ersten Band noch frischen Wind in die Geschichte gebracht hat, hat nur einen Kurzauftritt. Außerdem ist das Buch voller unnötiger Wiederholungen. Ich weiß nicht, wie oft betont wird, daß Robin vor fünf Jahren, die Steuergelder ja nur gestohlen hat, um Löwenherz freizukaufen oder daß Marian entehrt ist, weil Will Scarlet sie verschleppt hatte. Für Leser, die den ersten Band nicht kennen hätte eine einmalige Erwähnung genügt. Auch andere Dinge werden mehrmals erwähnt, sodaß der Leser sich fragt, ob die Autorin ihn für ein begriffstutziges Kleinkind hält, dem alles zehnmal erzählt werden muß, damit er es sich ja merkt. Zudem häufen sich in diesem Buch die Druckfehler.

Cover von Hüterin des Drachen von Carole WilkinsonSeit Generationen halten die Kaiser des Reiches China Drachen. Nach strengen Riten werden die Drachenhüter ausgewählt, die als einzige in Kontakt zu den weisen Tieren treten können und für deren Wohlergehen sorgen dürfen. Doch der Drachenhüter Lan führt stattdessen fernab des kaiserlichen Hofes auf seinem Gut ein dekadentes Leben und wälzt gelangweilt seine heilige Aufgabe auf das Sklavenmädchen Ping ab. Als der Kaiser den erbärmlichen Zustand der Drachen bemerkt, muss Ping – die niemals zuvor das Gut verlassen hat – fliehen. An ihrer Seite ist der entflohene Drache Long Danzi, der den kostbaren Drachenstein ans Meer bringen will. Eine gefahrvolle und abenteuerliche Reise quer durch China beginnt…

-Der Drache betrachtete sie aufmerksam mit schräg geneigtem Kopf. Wie hatte sie je so dumm sein können zu glauben, er sei bloß ein Tier wie andere auch und nicht intelligenter als ein Ochse oder eine Ziege? “Warum habe ich dich vorher nie sprechen hören?” “Ich habe nie etwas gesagt”.-
Flugangst

Die Geschichte eines Kindes, das einen Drachen auf seiner weiten Reise begleitet, mag auf Anhieb an Cornelia Funkes Drachenreiter und das Gespann aus Lung, dem Drachen, und dem Waisenjungen Ben erinnern. Doch die Abenteuer, die hier Ping und Long Danzi erleben, fallen unter völlig andere Kategorien. Im historischen China erlebt Ping das harte Leben einer Sklavin. Ihre Entwicklung vom unmündigen Mädchen, das zunächst nicht einmal einen Namen hat, zur selbstbewussten Drachenhüterin, die den Gefahren, die in ihrer Welt auf sie lauern, zu trotzen vermag, bildet den Leitfaden der Geschichte. Der verläuft übrigens, was sich schnell (angenehm) bemerkbar macht, keineswegs vorhersehbar: Ping trifft Fehlentscheidungen, vertraut den falschen Freunden, sträubt sich oft gegen den richtigen Weg und benötigt viel Zeit, um sich schließlich doch für den richtigen zu entscheiden. Ohne erhobenen Finger wird vermittelt, wie wichtig es ist, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen und den eigenen Horizont überwinden zu lernen. Dass gerade das nicht jedem leicht fällt und einen schweren und steinigen Weg darstellt, wird aber betont. Das macht den Verlauf der Geschichte glaubwürdig und Ping zu einer Persönlichkeit.
Die lebendigen Schilderungen Chinas – der Landschaften, der Riten und Gebräuche, der Handelsstädte, des kargen Lebens der Landbevölkerung, des Prunks und strengen Gehabes am Hofe des Kaisers – verleihen der Atmosphäre die nötige Dichte. Auch die anderen Charaktere, von der alten Magd bis hin zum jugendlichen Kaiser, die mit viel Gespür für menschliche Eigenheiten beschrieben werden, kurbeln die Phantasie ordentlich an. Das Rätsel um den Drachenstein werden wohl die meisten Leser lange vor seiner eigentlichen Auflösung entschlüsseln, doch für die Spannung, die durch die vielen Wendungen der Geschichte immer neuen Auftrieb erhält, bleibt das vollkommen unerheblich. Dabei kommt aber der Humor nicht zu kurz: Pings und Long Danzis Dialoge sorgen regelmäßig für sehr lesenswerte Missverständnisse.

Kartiks Schicksal von Libba BrayDie Lage ist ernst. Der Kampf um das magische Reich und die Magie spitzt sich zu, auch das Verhältnis zwischen Gemma und ihren Freundinnen ist angespannt. Jeder möchte die Magie kontrollieren und Gemma notfalls dazu zwingen, sie abzugeben. Die junge Frau muss sich entscheiden, wem sie die Magie überlässt und welchen Pfad sie in ihrem Leben einschlagen will. Doch wird sie lange genug leben, um diese Wahl zu treffen? Und wird sie mit ihrer Entscheidung das drohende Unheil verhindern oder entfesseln?

– Es gibt einen speziellen Kreis der Hölle, der in Dantes berühmtem Buch nicht erwähnt wird. Er heißt Benehmen und er existiert in allen Schulen für junge Damen landauf und landab im ganzen englischen Königreich. –
Kapitel 1

Zu Kartiks Schicksal liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Der Kuss der Russalka von Nina BlazonRussland, 1706: Johannes ist mit seinem Onkel und seiner Tante ins Reich Zar Peters eingewandert, der europäische Handwerker zu Hunderten an die Newa holt. Als ein geheimnisvolles Mädchen tot aus dem Fluss geborgen wird, bringt man die Leiche in die Werkstatt von Johannes’ Onkel. Johannes bemerkt schnell, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, zumal der geistig behinderte Mitja die Tote als Russalka bezeichnet hat. Als die gut bewachte Mädchenleiche verschwindet, gerät die Familie unter Verdacht. Johannes verfolgt die Spur der Russalka weiter, um den Ruf seiner Familie zu retten. Dabei kommen er und sein neuer Freund Jewgenij einer Verschwörung gegen Zar Peter auf die Spur, die ihre Freundschaft auf eine harte Probe stellen wird …

-Hoch türmten sich die Erdwälle der Peter-Paul-Festung vor dem Boot auf, das nun am Newator anlegte. Die Festung war das eigentliche “Sankt Piter Burch”, ein Bollwerk, das Zar Peter nach seinem Namenspatron benannt hatte, dem heiligen Petrus, und das nun der neuen Stadt ihren Namen gab.-

Zunächst entführt die Autorin den Leser ins historische Russland. Durch die Augen des jungen Johannes berichtet sie von dem gewaltigen Unterfangen, eine Zarenstadt aus sumpfigem Nichts zu errichten. Die Arbeiten an diesem Jahrhundertprojekt werden nicht als munteres Treiben beschrieben, statt dessen treten deutlich die Spannungen zwischen europäischen Handwerkern und Architekten, einheimischen Arbeitern, versklavten Kriegsgefangenen und der Militärmacht zu Tage – historisch glaubhaft und atmosphärisch geschildert. Nicht nur im Aufbau seiner Stadt, sondern auch in der Figur Peters des Großen selbst spiegeln sich Widersprüche: Der mal großherzige und mal barbarisch brutale Zar erfährt einerseits Hochachtung und wird als Weltveränderer verehrt, andererseits aber ist er der orthodoxen Schicht im Lande ein Dorn im Auge.
Dass dann in diesem historischen Roman plötzlich ein wahrhaftiges Fabelwesen – eine Russalka ist ein Meerjungfrauen-ähnliches Wesen, das in Flüssen und Seen lebt und Macht über das Wasser hat – auftritt, wirkt zuerst irritierend. Doch gerade die Mischung der märchenhaften Elemente mit dem realen Hintergrund macht die Geschichte besonders fesselnd. Mit dem wissenschaftlich interessierten und fortschrittlichen Zar Peter und den Hütern der Russalka treffen aufklärerische Züge und Naturglaube aufeinander. Von der “kleinen Meerjungfrau” hebt sich das russische Wasserwesen übrigens wohltuend ab, denn es kombiniert betörende Sinnlichkeit mit erschreckender Tierhaftigkeit. Und auch der “Kuss der Russalka” ist keineswegs das romantische Erlebnis, nach dem es sich anhört …

Die unfreiwilligen Helden der Geschichte, Johannes und Jewgenij, überzeugen vor allem dadurch, dass sich ihre Freundschaft erst einen langen Weg durch Feindseligkeit, Prügel und Nörgeleien hindurch bahnen muss. Ihre unterschiedlichen, manchmal schlicht widersprüchlichen Charaktere ergänzen sich wunderbar. Was den beiden auf ihrer Jagd nach dem Geheimnis der Russalkas widerfährt, hinterlässt seine Spuren in ihren Charakteren, bringt sie mal einander näher und mal beinahe auseinander. Eine schöne Anti-Bilderbuchfreundschaft also, wodurch beide besonders lebendig erscheinen.

Die abwechlungsreiche Geschichte ist historischer Roman, Krimi, Märchen, politischer Thriller und sogar Lovestory in einem, wirkt jedoch nie überladen. Leider muss man gelegentlich etwas angestrengt versuchen dem Verlauf zu folgen, wenn zum Beispiel ein paar kryptische Weissagungen des Gottesnarren Mitja einen komplizierten Zusammenhang erklären. Aber das mindert weder die Spannung noch schadet es der dichten, abenteuerlich-schauerlichen Atmosphäre, die die Geschichte durchzieht. Unbedingt abends bis nachts zu lesen!

Les Lames du Cardinal von Pierre PevelParis 1633. Menschengestaltige Drachen unter Führung der ebenso schönen wie intriganten Vicomtesse de Malicorne streben danach, die Macht in Frankreich an sich zu reißen. Die Lage ist so ernst, dass Kardinal Richelieu sich keinen anderen Rat weiß, als eine vor Jahren aus seinen Diensten entlassene Elitetruppe wieder zusammenzurufen: Die „Klingen des Kardinals“ unter dem erfahrenen Soldaten La Fargue. Doch der Verräter, dessen Untaten einst zur Auflösung der Einheit führten, ist immer noch auf freiem Fuß, und La Fargue ist verwundbarer, als seine Leute ahnen, hat er doch gerade erst erfahren, dass er aus einer lange zurückliegenden Affäre eine Tochter hat, die nun in höchster Gefahr schwebt…

– Haute et longue, la pièce était tapissée de livres dont les élégantes dorures luisaient dans une pénombre roussie à la flamme des bougies. Dehors, derrière les épais rideaux de velours rouge, Paris dormait sous un ciel étoilé et la grande quiétude de ses rues enténébrées parvenait jusqu’ici, où le grattement d’une plume troublait à peine le silence. –
I – L’appel aux armes

Als Fantasysetting tritt das Frankreich des 17. Jahrhunderts gewöhnlich eher selten in Erscheinung, doch als Schauplatz von Mantel-und-Degen-Romanen ist es dafür umso beliebter. An dieses Genre lehnt sich Pierre Pevel mit Les Lames du Cardinal (Drachenklingen) denn auch überdeutlich an, was Atmosphäre, Namensmaterial, Figuren und Handlungsführung betrifft. Wer mit Klassikern dieser Literaturgattung, vor allem mit Alexandre Dumas’ Drei Musketieren, vertraut ist, wird hier bis in den Verlauf einzelner Szenen hinein viel Altbekanntes wiederfinden, zumal in der Charakterisierung Richelieus, die der Schilderung dieser Gestalt bei Dumas weit mehr verpflichtet ist als dem realen historischen Vorbild. Teilweise mag diese Nähe als bewusste Hommage angelegt sein, doch sie bringt zumindest im Kleinen auch eine gewisse Vorhersehbarkeit mit sich.

Die eigentlichen Fantasyelemente treten gegenüber den historischen Details stark in den Hintergrund und bilden eher schmückendes Beiwerk: Zwar kann man in diesem Frankreich auf Lindwürmern reiten und sich Miniaturdrachen als Schoßtier oder Brieftaubenersatz halten, doch das Potential dieser hübschen Ideen wird ebenso wenig ausgeschöpft wie das der aussatzartigen Krankheit, die Menschen bei zu engem Kontakt mit Drachenmagie befallen kann. Die machthungrigen Drachen in Menschengestalt könnten ebenso gut konventionelle Geheimbündler sein, denn dass ihre Intrigen letztendlich auf ein magisches Ritual hinauslaufen, bleibt für den Verlauf der Handlung eher unbedeutend. Auch der Hauch von alternate history, mit dem Pevel arbeitet (so endet z.B. die Belagerung von La Rochelle bei ihm mit einem Sieg der Hugenotten), hat zumindest in diesem ersten Band keine entscheidenden Auswirkungen auf das Gesamtbild.

Wer es als Leser aber vor allem auf Action in einer prallen Kulisse abgesehen hat, wird in diesem Roman durchaus finden, was er sucht. An Cliffhangern, überraschenden Wendungen, Kämpfen, Gefangennahmen und gefahrvollen Missionen herrscht beim besten Willen kein Mangel, und die verschiedenen Milieus, durch die sich die Handlung in rascher Folge bewegt, sind gelungen geschildert, ganz gleich, ob es sich nun um das prunkvolle Leben des Adels, das rauere Dasein der Soldaten und Fechtmeister oder die kriminelle Unterwelt handelt.

Von den Figuren, die auf dieser Bühne eine Fülle von Abenteuern bestehen müssen, sollte man allerdings nicht zu viel erwarten, denn obwohl sie sich überzeugend in ihr Umfeld einfügen, bleiben sie letztlich allesamt recht generische Entlehnungen aus demselben Typenfundus, den schon ein Alexandre Dumas, ein Paul Féval oder ein Théophile Gautier genutzt hat. Wenn man sich an der überwiegend simplen Psychologie der Helden und ihrer Gegner jedoch nicht stört, bieten sie einem durchaus recht ordentliche Unterhaltung.

Das Ende, das den „Klingen“ nicht nur Zuwachs für ihre weiteren Unternehmungen beschert, sondern in den letzten Sätzen auch noch mit einer unglaublichen Enthüllung aufzuwarten weiß, die alle bisherigen Vorgänge in einem anderen Licht erscheinen lässt, macht durchaus Lust auf mehr. Allerdings kann man dabei nur hoffen, dass die Folgebände in sprachlicher Hinsicht etwas liebevoller gestaltet sind, denn Pevels Neigung, in unterschiedlichen Beschreibungen immer wieder auf dieselben Formulierungen zurückzugreifen, trübt das Lesevergnügen nach einer Weile doch beträchtlich.

Die Landkarte der Zeit von Félix J. PalmaSie planen eine Zeitreise? Besser, Sie packen eine passende Landkarte ein! Zeitparadoxa sind in diesem Roman vorprogrammiert und laden den Leser dazu ein, sich irgendwo in der Zeit zu verlieren.
In drei Episoden folgt man einem jungen Mann, der seine Geliebte an Jack the Ripper verloren hat und in die Vergangenheit reist, um das Verbrechen zu verhindern; dann trifft man auf Claire, die sich in ihrer Gegenwart des 19. Jh. fehl am Platz fühlt und sich ins Jahr 2000 flüchtet, wo sie sich unerwartet verliebt; zuletzt begleitet man Inspektor Garrett bei der Jagd nach einem Mörder, dessen Waffe noch gar nicht erfunden wurde – und alles läuft zusammen bei H.G. Wells höchstpersönlich …

– Andrew Harrington wäre gern mehrere Tode gestorben, wenn er sich unter all den Pistolen, die sein Vater in den Vitrinen des Salons aufbewahrte, nicht für eine einzige hätte entscheiden müssen. Entscheidungen waren nicht seine Stärke. Genau besehen erwies sich sein Dasein als eine Kette von Fehlentscheidungen, deren letzte ihren langen Schatten bis in die Zukunft zu werfen drohte. Doch mit diesem wenig beispielhaften Leben voller Fehlgriffe war jetzt Schluss. –
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Die Landkarte der Zeit (El mapa del tiempo) ist kein leicht zu rezensierendes Buch, denn es steckt voller Gegensätze. Autor Félix J. Palma spielt mit den Erwartungen seiner Leser, führt sie bewusst hinters Licht, nur um sie dann mit der nächsten Wendung zu überraschen. Manchmal macht er das sehr geschickt, dann wieder sehr bemüht, manches ist entweder ein schlauer Kniff oder eine bittere Enttäuschung. Das Buch ist außerdem Liebesroman, Science Fiction, Krimi, Historischer Roman und Drama in einem. Der ein oder andere wird jetzt vielleicht schon ahnen, dass Die Landkarte der Zeit die ausgeprägte Fähigkeit besitzt, Meinungen zu spalten.

Der Roman besteht aus drei Teilen. Jeder davon hat andere Hauptfiguren und erzählt eine eigene Geschichte, die in sich abgeschlossen ist. Es gibt dabei aber Charaktere, die in allen Teilen auftauchen und eine interessante Verstrickung der Geschichten offenbaren. Nebenfiguren werden zu Hauptfiguren und umgekehrt, je nachdem, wessen Geschichte man gerade folgt. Dabei ist dieser Roman recht intelligent aufgebaut und ab und an blitzt auch der köstliche Humor des allwissenden Erzählers durch, der an den (Film-)Erzähler von Per Anhalter durch die Galaxis erinnert.

Weltenbau und Charaktere sind ebenfalls allesamt sehr lebendig gezeichnet mit einer deutlichen Liebe fürs Detail. Es ist ein Leichtes, sich das viktorianische Setting der Erzählungen vorzustellen – die schmutzigen Gassen Whitechapels, die prachtvollen Herrenhäuser Londons, die feinen Teesalons, die massiven Heldenstatuen, die Zeitmaschine von H.G. Wells … Gerüche und Figuren werden lebendig, hier erweist sich auch der spielerische Umgang mit der Sprache als großer Vorteil.

Auf der anderen Seite gibt es oft Längen und Monologe, in denen man das Gefühl hat, der Autor hört sich einfach gerne selbst reden. Jene Monologe sind besonders deswegen so störend, weil sie in der Regel nur 1:1 nacherzählen, was kurz vorher erst geschehen ist oder geschichtliche Ereignisse werden unnötig genau zusammengefasst – als rechnete man mit plötzlicher Amnesie oder eklatanten Bildungslücken beim Leser. Manches ist dabei auch zu leicht vorhersehbar, was die Stärken des Romans leider ab und an in den Schatten stellt. Durch diese starken Gegensätze von intelligenter Unterhaltung und langweiligen Seitenfüllern schwankt der Lesegenuss öfter mal vom einen ins andere Extrem und am Ende weiß man nicht, ob man dieses Buch mag oder nicht.

Die Landkarte der Zeit ist auch ohne die erwähnten Längen kein spannungsgeladenes Buch. Es ist eine ruhige Geschichte mit kniffligen Verknüpfungen und teils abenteuerlichen Entwicklungen. Wer Zeitreisen sucht, muss sich vor allem ihren theoretischen Möglichkeiten stellen und sich darüber im klaren sein, dass es kein Zukunftsroman ist und die Haupthandlung 1896 stattfindet. Vielmehr ist Die Landkarte der Zeit daher ein Buch für Nostalgiker, die gerne durch die Vergangenheit schlendern und hier und da ein paar Schlenker durch die Zeit schlagen wollen.

Wer gefallen an der Erzählung findet, kann sich mit Die Landkarte des Himmels außerdem über eine Fortsetzung freuen. Dieser erste Band ist aber in sich abgeschlossen und besteht auch problemlos als Einzelband.

Cover des Buches "Last Light of the Sun" von Guy Gavriel KayDer junge Erling Bern Thorkellson gerät unverschuldet in die Leibeigenschaft und will sich in einer unüberlegten Aktion daraus befreien. Eigentlich ist er chancenlos und malt sich schon aus, wie er von seinem blutrünstigen Volk hingerichtet wird, doch er erhält Hilfe von unerwarteter Seite.
Alun ap Owyn, ein Barde der Cyngael, und sein Bruder Dai geraten bei einem Viehdiebstahl ausgerechnet an das Haus und den Besitz des berühmten Brynn, der einen der bekanntesten Erling-Plünderer getötet hat, auch wenn die Erling nach wie vor an den Küsten der Cyngael einfallen. Nur durch eine List können sich die Brüder retten und werden sogar als Gäste in Brynns Haus empfangen, wo sie die Bekanntschaft seiner schönen Tochter machen.

-A horse, he came to understand, was missing.
Until it was found nothing could proceed. The island marketplace was crowded on this grey morning in spring.-
One

In The Last Light of the Sun (Die Fürsten des Nordens) lässt Guy Gavriel Kay die hochzivilisierten Kulturen Süd-Europas hinter sich und entführt den Leser in die kalte, karge Welt der Cyngael, Angclyn und Erling, seiner Variante der (walisischen) Kelten, Angeln und Wikinger. Historisch orientiert sich der Roman am Britannien des 9. Jahrhunderts und den Geschehnissen rund um Alfred den Großen.
Auch in diesem Roman beherrscht Kay meisterhaft die Inszenierung ineinander verwobenen Handlungsstränge. Anfangs scheint er einfache, unzusammenhängende und unspektakuläre Geschichten zu erzählen, die sich um drei Hauptpersonen bzw. Personengruppen ranken, doch es ist ein fragiles Gespinst, in dem Kleinigkeiten auf unvorhersehbare Art große Bedeutung erlangen, der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings, der anderswo einen Orkan auslöst. Auf subtile Weise verbindet Kay die Einzelschicksale zu einem großen Ganzen, und es ist eine Freude, aufzudecken, wie sich alles gegenseitig bedingt und worauf es hinausläuft.

Mehr als in den vorausgegangenen Romanen Kays spielt hier das Magische eine Rolle, das immer mehr vom Glauben an Jad (Kays Paralelle zum Christentum) zurückgedrängt wird. In den Wäldern der erst kürzlich jaddisierten Cyngael lebt das Alte, das Magische fort, und selbst Priester tun sich schwer, die Existenz einer Anderswelt und ihrer Geschöpfe – vor allem der Feen – zu leugnen. Während in The Last Light of the Sun einerseits großartige historische Recherchearbeit geleistet wurde und die dargestellten Kulturen und Ereignisse authentisch geschildert werden, beeindrucken vor allem auch die Passagen, die die Anderswelt mit ihren Geisterwäldern und verborgenen Tümpeln darstellen, durch eine archaische, unheimliche Atmosphäre, verstärkt durch einen lyrischen Präsensstil, der diese Abschnitte ganz wortwörtlich in eine vom Geschehen losgelöste Zeit hebt.

Kays brilliante Sprache passt sich Situationen, Kulturen und verschiedenen Figuren an, verliert aber nie den kleinen Hauch Poesie, der sie so lesenswert macht. Einige Erzählkniffe heben das Buch zusätzlich vom gewohnten, linearen Einheitsbrei ab, am prägnantesten wohl jene eingestreuten Passagen, in denen immer wieder die Schicksale von Figuren, die an der Handlung nur marginal beteiligt sind, vor dem Leser ausgebreitet werden und die Geschehnisse des Romans relativieren, ohne ihnen die Intensität zu rauben. Und Kay beherrscht nach wie vor die Kunst, in einem einzigen Satz eine überraschende Wendung so zu verpacken, dass man erst nach einigen Zeilen den Mund wieder zuklappen kann.
Aber auch seinen Hang zur Tragik hat er beibehalten, und man wünscht sich manchmal doch etwas mehr positive Elemente – trotz eines versöhnlichen Endes überwiegt eindeutig das Düstere.
Weniger bombastisch als in Lions of Al-Rassan oder Sarantine Mosaic, was sicher auch an den weniger üppigen Kulturen und damit einhergehend einer geringeren sprachlichen Verspieltheit liegt, aber fast genauso dicht am Geschehen, schafft es Kay auch hier wieder, den Leser in seinem Mahlstrom menschlicher Schicksale mitzureißen, zumindest diejenigen, die sich für Geschichten und Geschichte begeistern und auf massiven Magie-Einsatz auch verzichten können.

Die Mächte des Feuers von Markus HeitzAls Großmeisterin Silena, eine Nachfahrin des Heiligen Georg und Kämpferin beim Officium Draconis – der Drachenjägersparte der Kirche – ihre beiden Brüder durch einen mutmaßlichen Angriff von Drachen verliert, ist das erst der Anfang. Seltsame Dinge gehen vor in München und Berlin, Hellseher und andere Spiritualisten haben schreckliche Visionen. Die Altvorderen Drachen tragen Machtkämpfe aus, und neben Silena werden noch andere Menschen in die Sache gezogen, bei der es bald um die Jagd nach mächtigen Artefakten des Drachenkampfes geht. Zusammen mit dem russischen Fürsten Grigorji und dem Medium Madame Sátra – zwei wenig vertrauenswürdigen Verbündeten – nimmt Silena den Kampf gegen die grausamen Ungeheuer auf.

-„Wann der Herr wohl wieder zurückkehrt?“ Xing streifte die Oberfläche der Daunendecke glatt, die sie aufgeschüttelt hatte, und blickte nachdenklich aus dem Fenster.-
1. Januar 1925, Korumdie Gebiet, Zarenreich Russland,
An der Grenze zu China

2006, als Markus Heitz  nach seiner episch angelegten Ulldart-Saga, den leicht tolkienesk angehauchten Zwergen samt Nachfolgern und den auf den Spuren von Pakt der Wölfe wandelnden Ritus  mit Die Mächte des Feuers an den Start ging, war Steampunk noch nicht in aller Munde. Nur so kann man sich das Nachwort erklären, das man auch als Verteidigungsschrift für das Setting mitten im Glamour und der sich entwickelnden Technik der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts  lesen kann. Nicht, dass es das gebraucht hätte: Der Reiz dieser ungewöhnlichen Drachengeschichte liegt gerade darin, dass hier auch Doppeldecker über den Fantasy-Himmel brummen dürfen und man in ein alternatives Europa eintauchen kann, in dem Drachen ihren Einfluss genommen haben. Oder genommen haben sollen, doch dazu später mehr. Markus Heitz kennt sich gut aus mit der Zeit, die er beschreibt, da ist es fast schade, dass er sich oft auf Name-Dropping beschränkt und den zeitlichen Kolorit auf weiter Strecke auch sprachlich nicht vermitteln kann. Nur selten hebt sich das Ambiente von der modernen oder einer beliebigen anderen Fantasy-Welt ab. Das Potential des Settings ist damit verschenkt, denn die wenigen wirklich atmosphärischen Szenen – wie etwa der Prolog des Romans – machen Lust auf mehr. Ansonsten ist man gut beraten, sich vielleicht doch lieber nochmals Sky Captain anzusehen, wenn man das Flair der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erleben will.

Die Weltgeschichte mit Drachen und einem eigenen Kirchenamt für Drachenfragen (das aus den Drachenheiligen hervorgegangen ist) neu zu schreiben, ist ein schöner Ansatz, allerdings scheint sich trotz der ausdrücklich massiven Einflüsse der Drachen geschichtlich nicht allzu viel geändert zu haben, und die kulturgeschichtlichen Einflüsse sind gering und wirken manchmal sehr bemüht (ein beispielhaftes Detail: ein Flugzeug mit ausfahrbarer Lanze, um Drachen damit aufzuspießen, hat die Typenbezeichnung “Lanzelot”). Obwohl die Kirche eine große Rolle spielt, bleiben religiöse Hintergründe äußerst vage. Auch wenn Die Mächte des Feuers auf unserer Welt spielt, hätte mehr Weltschöpfung dem Roman gutgetan, gerade im Bezug auf das Konzept der Drachen.

Eine große Figurenanzahl bringt dem Leser die Handlung näher, und die meisten davon geben nach außen hin ein buntes und interessantes Bild ab, wirken aber insgesamt hölzern. Charakterliche Kehrtwendungen wie die des russischen Fürsten Zadornov, der sich anfangs in der Tat gibt wie der angebliche Sprößling von Rasputin, der er sein soll, kommen mit der Brechstange. Die Protagonistin Silena dagegen ist als Identifikationsfigur für jedermann konzipiert und bleibt charakterlich farblos, darf aber dafür die Phantasie mit Gedanken über ihre Unterwäsche anregen. Subtiler wird es auch nicht, wenn es um die Überraschungen geht, die die ein oder andere Figur bereithält.
Anfangs fällt das allerdings kaum ins Gewicht – die Geschichte beginnt spannend mit vielen mysteriösen Vorkommnissen und wird auf vielen Ebenen eröffnet, so dass man sich ein vielschichtiges Szenario erhofft. Doch die Fraktionen und Inhalte, die aufgefahren werden, nehmen kein Ende, die Logik verabschiedet sich irgendwann zwischen Schauplatzwechseln und Kämpfen zwischen Mensch und Drache und Mensch und Mensch, und irgendwann löst sich alles in eine etwas wirre Schwarz-Weiß-Malerei auf, was so verheißungsvoll begonnen hat.
Ein unverzichtbares Novum für Drachenliebhaber ist Die Mächte des Feuers also nicht – und auch der alternative Weltentwurf ist kein allzu farbenprächtiges Ideenfeuerwerk.

Meer ohne Ufer von Sean RussellVom Palast auf eine Reise um die halbe Welt geschickt, findet sich Tristam mitten im Ozean auf einer geheimnisvollen Insel wieder. Die Bewohner empfangen die Fremdlinge offenherzig. Doch der Friede wärt nicht lange, denn Tristams Kameraden ist jedes Mittel recht, um ihren Auftrag zu erfüllen – die magische regis-Pflanze zu erlangen und zurück nach Farrland zu segeln, wo der altersschwache König bereits auf sie wartet. Doch auch zu Hause in Farrland geht es nicht gerade ruhig zu: Tristams Cousin Jaimas gerät sieht sich einer ungeheuren Intrige gegenüber, in die sogar der Kronprinz selbst verwickelt zu sein scheint. Doch was wollen die Verschwörer und was hat das Ganze mit Tristams verstorbenem Onkel zu tun, der angeblich der letzte Magierlehrling gewesen sein soll?

Zu Meer ohne Ufer liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover des Buches "Merlin im Elfenwald" von Jean-Louis FetjaineDie Kämpfe in Britannien gehen weiter. Merlin ist auf dem Weg in die Bretagne, um in Brocéliande, dem Wald der Elfen, nach seinem Vater zu suchen, und das Rätsel um seine Herkunft zu lüften. Das Christentum fasst immer mehr Fuß auf der Insel und verdrängt den alten, heidnischen Glauben. Merlin gerät in den Ruf, ein Hexer zu sein und sein Gefährte, Bruder Blaise, wird der Ketzerei angeklagt. Unterdessen bringt Guendoloena, die mit dem König der Skoten verheiratet ist, Merlins Sohn Artus zur Welt.

-Die Schmerzen weckten sie kurz vor Tagesanbruch, und sie waren so heftig, daß sie nach Atem rang, nicht einmal mehr dazu imstande zu schreien, die Hände in ihr linnenes Bettzeug verkrampft, die Beine vor ihrem zum Bersten prallen Bauch angezogen, und es fühlte sich wahrlich an, als ramme man ihr eine brennende Fackel in den Leib.-
1 Die Überfahrt

Man möchte laut seufzen: Fetjaine ist ein wunderbarer Erzähler. An einer Stelle beschreibt er, wie Merlin eins wird mit der Natur, quasi in ihr aufgeht. Er wird zu Wasser, zu Gras, er verwandelt sich in verschiedene Tiere, wird zum Baum. Das ist kein plumper Abrakadabra-Zauber: eben stand hier noch der Zauberer und jetzt kommt die Taube aus dem Zylinder. Das ist wunderschön erzählt und der Leser fühlt beinahe körperlich wie Merlin Teil der Natur wird und die Natur Teil Merlins. Zeit wird unbedeutend. Allein wegen dieser Szene von knapp einer Seite lohnt sich die Lektüre des Romans. Aber es gibt auch viele Kleinigkeiten, die den Genuss trüben. Es ist, als wolle man sich an einem herrlichen Sommerabend erfreuen und würde alle paar Minuten von einer Mücke gestochen.

Merlin hat mittlerweile weißes Haar, er ist seelisch gereift, er ist Vater geworden und am Ende der Geschichte ist er um die Dreißig. Die gleichaltrige Guendoloena beschreibt Fetjaine als eine erwachsene Frau und nicht mehr das junge unbekümmerte Mädchen … Eine erwachsene Frau und Königin … , aber Merlin ist immer noch -na?- richtig, das Kind und zwar bis zu viermal auf einer Seite!
Anscheinend hält entweder der Autor oder die Übersetzerin hartnäckig an der falschen Auffassung fest, daß man einen erwachsenen Mann, der ein Kindergesicht hat und zartgliedrig ist, ständig als Kind titulieren muss. Aber das Wort Kind bezeichnet einen Entwicklungsstand, den Merlin zweifellos schon längst hinter sich gelassen hat und nicht die äußerliche Erscheinung. Wenn der Katholik Günther Jauch einen Konfirmationsanzug besäße, dann würde er darin wahrscheinlich heute noch bei günstigem Licht als 14-jähriger durchgehen. Trotzdem käme niemand auf die Idee zu schreiben: “Das Kind wird im Sommer die XXX-Show moderieren”.

Oft ist nicht nachvollziehbar, warum manche Begriffe in einer Fußnote erklärt werden und andere nicht. Akribisch wird der heutige Name jedes erwähnten Ortes in einer Fußnote festgehalten, Wörter aber wie Guimpe, die nun nicht gerade zum alltäglichen Sprachgebrauch gehören, werden nicht erklärt. In weiteren Fußnoten wird angegeben, wo genau die Bibelzitate zu finden sind, die die geistlichen Herren im Munde führen, und da wirkt es doch eher seltsam oder zumindest anachronistisch, wenn man jedesmal liest: zitiert nach der Luther-Übersetzung. Zwar passt die Sprache Luthers zu der Fetjaines, aber trotzdem mutet es eigenartig an, wenn Geistliche im 6. Jahrhundert die Bibel nach den Worten eines Mannes zitieren, der erst gut tausend Jahre nach ihnen gelebt hat.

Jean-Louis Fetjaine dankt in seinem Buch Johann Goldberg für die lateinischen Übersetzungen und lobt ihn als Koryphäe auf seinem Gebiet. Goldberg hätte sicherlich die benötigten Zitate in angemessener Sprache aus der Vulgata übersetzen können. Fetjaine legt in seinem Roman sichtlich Wert auf historische Authentizität, da hätte diese Vorgehensweise seinen Intentionen besser entsprochen.

Auch eine andere religiöse Frage schadet dem Roman eher als sie ihm nutzt. Im ersten Band konkurrierte das aufkommende Christentum, repräsentiert durch den Klerus mit dem alten, auf dem Rückzug befindlichen, heidnischen Glauben vertreten durch den Barden, bzw. Druiden, Merlin.
In Merlin im Elfenwald (Brocéliande) stilisiert Fetjaine den Magier zum wiedererstandenen Christus, der von den meisten Menschen nicht erkannt und von seinem bisher so treuen “Jünger” verraten wird. Fetjaine genügt es nicht, seinem Roman einen seriösen, fundierten historischen Hintergrund zu geben, er will auch noch philosophische Tiefe hineinbringen und überfrachtet die Geschichte damit, die eigentlich eine schöne runde spannende Fantasygeschichte sein könnte — wenn nur jemand die lästigen Mücken erledigt hätte.

Cover des Buches "Mordred, Sohn des Artus" von Nancy SpringerKauls Fischermutter hat dem Jungen erzählt, der Meergott Llyr hätte ihn zu ihr geschickt, um sie über den Tod ihres Kindes hinwegzutrösten. Der Fischer und seine Frau nahmen sich des Kindes an, zogen es auf und liebten es wie ihr eigenes. Doch eines Tages erfährt der Knabe die Wahrheit über seine Herkunft: Kauls richtiger Name ist Mordred, sein Vater ist König Artus. Merlin hatte einst prophezeit, dass Mordred seinen Vater töten würde und um dem Schicksal zu entgehen, hatte Artus versucht, seinen Sohn zu ermorden. Doch selbst als Mordred davon erfährt, hasst er ihn nicht so sehr, dass er Artus töten wolle. Dann aber wird Mordred zum Spielball der Interessen Nyneves, Morgauses und Merlins und das Schicksal nimmt seinen Lauf.

-Weil er der König war, durfte er in dieser Sache keine Gefühle zeigen. Der Wind blies kalt vom schwertgrauen Meer heran, über dem gekrönten Haupt des Königs kreisten schreiende Möwen und zu seinen gestiefelten Füßen lagen vierzig nackte Säuglinge auf dem dunklen Sand, die noch lauter schrien.-
Prolog

Ein grobschlächtiger, verschwitzter Mann, mit strähnigen Haaren und hasserfülltem Blick jagt König Artus das Schwert mit solcher Wucht in den Körper, dass es auf der anderen Seite wieder heraustritt. So kennt man es aus diversen Artus-Verfilmungen und auch diejenigen, die die Artus-Sage nur gelesen haben, dürften eine ähnliche Vorstellung von Mordred entwickelt haben.

Nancy Springers Mordred ist völlig anders. Springer erzählt von einem sechsjährigen Knaben, der zum Mann heranreift. Dieser Heranwachsende ist kein hasserfüllter Jugendlicher, der auf Rache sinnt, nach Macht strebt und darauf wartet, dass seine Stunde kommt. Mordred ist ein Kind, das leidet. Mordred leidet unter dem Makel seiner Geburt, er leidet darunter, dass die ganze Hofgesellschaft sich entweder vor ihm fürchtet, ihn verspottet oder ihn verabscheut, denn alle wissen, dass er es sein wird, der den guten und gerechten König Artus töten wird.
Aber Mordred will Artus nicht töten. Obwohl es ihn schmerzt, dass sein eigener Vater ihn umbringen wollte, liebt und achtet er ihn, wie es alle anderen auch tun, denn Artus ist in der Tat ein guter und edler Herrscher. Und so stellt sich Mordred die Frage, ob es keinen Ausweg gibt, der Prophezeiung zu entgehen. Ist das Schicksal wirklich unabänderlich oder ist Schicksal nichts anderes als die Art, wie man sein Leben lebt und somit individuell gestaltbar.
Mordred jedenfalls will nicht daran glauben, dass das Schicksal unentrinnbar vorherbestimmt ist, er ist gewillt, es selbst in die Hand zu nehmen. Dieser Wille trägt ihm zu allem Überfluss auch noch den Ruf eines Feiglings ein, denn Mordred verhält sich nicht so, wie es unter Artus’ Rittern üblich ist. Er sucht nicht den Kampf und kämpft nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann aber ficht er tapfer und siegreich, er freut sich nicht an vergossenem Blut und wenn er aus einer Höhle das Fauchen eines Drachen hört, reitet er vorüber. Der Mann ist kein Feigling, der Mann ist vernünftig. Doch diese Art von Vernunft steht bei Rittern wie Gawain nicht hoch im Kurs, der seine Mutter und ihren Liebhaber niedermetzelt um der Ehre genüge zu tun.

Manchmal entsteht beim Lesen der Eindruck, Nancy Springer sei es nicht ganz gelungen, sich in die Psyche eines jungen Mannes einzufühlen und deshalb habe Mordreds Charakter teilweise weibliche Züge. Aber das stört nicht, denn Mordreds Charakter ist absolut schlüssig und es sei hier mit Nachdruck betont, dass Mordred vielleicht einige Verhaltensweisen aufweist, die man eher einer Frau zuordnen würde, dass er aber niemals auch nur im entferntesten den Eindruck macht, weibisch zu sein.
Mordred leidet unter seinem von ihm unverschuldeten Schicksal, und unter den Spielchen die Nynyve, Morgause und Merlin mit ihm treiben, er quält sich, er ist empfindsam und je weiter sich der Roman dem Ende zuneigt, um so mehr fragt sich der Leser, wie dieser seelenvolle Mann, je dazu imstande sein soll, seinen Vater auf dem Schlachtfeld zu töten.

Es ist das letzte Drittel der Geschichte, das Nancy Springers Geschichte zu einem Highlight macht. Dieses letzte Drittel bietet eine großartige, schlüssige und bis dahin nicht vorhersehbare Erklärung für das Ende ihres Romans. Wie dieses Ende aussieht wird natürlich nicht verraten. Vielleicht ist es das Ende, wie man es aus der Artus-Sage kennt, vielleicht hat Nancy Springer Mordreds Geschichte aber auch ganz neu geschrieben. Der Rezensent weiß es, er sagt es aber nicht weiter. Nur so viel: Das Ende ist erschreckend und wunderschön, es ist traurig und glücklich und voller Liebe.
Ein Stapel Taschentücher in Reichweite könnte von Nutzen sein.

Cover des Buches "Nachts unter der steinernen Brücke" von Leo PerutzDer verbummelte Student Jakob Meisl erzählt seinem Nachhilfeschüler Geschichten, die sich im alten Prag zur Zeit Kaiser Rudolfs II. zugetragen haben. Diese Geschichten handeln u.a. von seinem Vorfahren Mordechai Meisl, der in der Prager Judenstadt -im Ghetto- lebte, von Wallenstein und von Kaiser Rudolf II.

-Im Herbst des Jahres 1589, als in der Prager Judenstadt das große Kindersterben wütete, gingen zwei armselige Spaßmacher, ergraute Männer, die davon ihr Leben fristeten, dass sie bei den Hochzeiten die Gäste belustigten, durch die Belelesgasse , die vom Nicolasplatz zum Judenfriedhof führte.-
Die Pest in der Judenstadt

Dieser Novellenroman ist ein Meisterwerk der Erzählkunst und hat seit seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1953 leider nie die Publikumsresonanz gefunden, die er verdient hätte.
Leo Perutz erzählt in Nachts unter der steinernen Brücke die Geschichte einer verbotenen Liebe. Es kann aber durchaus sein, dass der Leser dies nicht gleich bemerkt, denn diese Liebe nimmt nur wenige Seiten des Romans ein und der Aufbau der Geschichte ist ungewöhnlich.

Dieses Buch enthält vierzehn Novellen, die in sich abgeschlossen sind, die aber nicht chronologisch aufeinander folgen. So glaubt der Leser zunächst, er läse einzelne, eigenständige Geschichten. Während des Lesens fällt auf, dass einige Protagonisten immer wieder vorkommen: Der Kaiser Rudolf, Mordechai Meisl, und Rabbi Loew. Und erst wenn man die letzte Novelle gelesen hat, weiß man, welche Geschichte Perutz eigentlich erzählt und wie kunstvoll er diesen Roman zusammengewoben hat. Obwohl die Geschichte nicht chronologisch erzählt wird, besitzt der Leser am Ende ein vollständiges Bild, wie die Schicksale des Kaiser Rudolfs, des Juden Meisl und des Rabbi Loew miteinander verknüpft sind.

Perutz beschreibt seine Protagonisten sehr detailliert und zeichnet auch die Nebenfiguren so liebevoll, dass jede ihren eigenen individuellen Charakter besitzt.
Die Handlung des Romans umfasst den Zeitraum von 1571 bis 1621. Perutz trifft mit seiner altertümlichen, poetischen, zeitweise magisch anmutenden Sprache genau den Ton dieser Epoche. Eigentlich ist Nachts unter der steinernen Brücke ein historischer Roman, die Hauptcharaktere sind alle historisch belegt und trotzdem wird man die Geschichten, die Perutz erzählt, in keinem Geschichtsbuch finden, z.B. wie Wallenstein an seinen Reichtum gekommen ist.

In seinen Novellen vermischt Perutz Geschichte mit jüdischen Legenden und alten Sagen so kunstvoll, dass es dem Leser völlig natürlich vorkommt, wenn ein Mann plötzlich die Sprache der Hunde versteht, dem Kaiser Dämonen erscheinen, Tote befragt werden oder der Leser folgende Information erhält: In der Woche zwischen dem Neujahrs- und dem Versöhnungsfest, die man die Bußwoche nennt, in einer Nacht, in der der bleiche neue Mond am Himmel steht, erheben sich auf dem Prager Judenfriedhof die Toten des vergangenen Jahres aus ihren Gräbern, um Gott zu lobpreisen.

An diesem Buch hat Leo Perutz von 1924 bis 1951 geschrieben und zwar nicht nur, weil er zwischendurch seine anderen großen Romane wie “St. Petri Schnee” oder “Der schwedische Reiter” fertig geschrieben hätte, sondern weil es für jüdische Autoren mit Geschichten, die zum größten Teil in der Prager Judenstadt spielen, unter dem Weltkriegsgefreiten Adolf Hitler keinen Platz mehr gab, zuerst in Deutschland, dann auch in Österreich.
Wie in dem Nachwort zu lesen ist, versicherte der jüdische Verleger Paul Zsolnay Perutz noch 1951 wie sehr er dieses Buch schätze, aber er sähe bei der gegenwärtigen Einstellung der Leser in Deutschland und Österreich keine Erfolgschancen für diesen Roman. Dieser Roman mit seiner wunderbaren Sprache und seinem einzigartigen Erzählstil hat aber jeden Erfolg verdient. Also lesen Sie ihn selbst oder verschenken Sie ihn bei jeder Gelegenheit. Sie werden jedem Literaturliebhaber eine Freude damit machen.

Rebel Angels von Libba BrayGemma versucht weiterhin ihr Schicksal zu verfolgen und die Magie des magischen Reichs wieder an den Orden zu binden. Sie und ihre Freundinnen sind plötzlich in der Lage, die Magie dieser anderen Welt mit in ihr viktorianisches London zu holen, wo sie die Weihnachtsferien bei ihren Familien verbringen. So gerne Gemma das Chaos der magischen Welt für eine Weile vergessen würde, so akut ist jedoch die Bedrohung durch Circe, und die Mädchen begeben sich auf die Suche nach dem verlorenen Tempel, dem Schlüssel zur Kontrolle der Magie. Unterdessen ist Gemma hin und her gerissen zwischen dem exotischen Rakshana Kartik und dem attraktiven, aber nicht sehr tiefgründigen Lord Denby, der ihr den Hof macht.

– »Do not tell her your aim. Gain her trust.« There was a pause . »Woo her, if necessary.«
I thought of the strong, powerful, stubborn girl I’d left behind. »She is not so easily wooed.«
»Any girl can be wooed. It is merely a question of finding the right tool. (…)« –
Kapitel 1, S. 10

Rebel Angels (Circes Rückkehr), der zweite Teil aus der Trilogie Gemma Doyle (Der geheime Zirkel), kommt ähnlich schleppend wie der Auftaktroman in die Gänge. Diesmal verschlägt es den Leser in die High Society Londons, wo so viel Oberflächlichkeit und falsche Loyalität herrschen wie sonst nirgendwo. Freunde viktorianischer Gepflogenheiten werden freilich ihre Freude an dem höflichen Geplänkel bei Tee und Kuchen haben, jedes dezente Kichern hinter vorgehaltener Hand begrüßen und die sauber gepflegten Intrigen der Damen genießen.
Außerhalb der Londoner Gesellschaft trifft der Leser dafür aber auch auf Sagengestalten aus keltischer, griechischer, orientalischer und anderer Mythologie. Rebel Angels, angelehnt an John Miltons Paradise Lost, ist ein wilder Mix durch alle Kulturen, der beinahe beiläufig die Problematik von Rassen- und Geschlechterkonflikten aufgreift. Es ist sehr realistisch geschildert, auf welch subtilen Ebenen diese Dinge existieren und oft ungeplant und unbewusst Einzug in das alltägliche Leben halten. Gorgonen, Nixen, Zentauren … all das und noch viel mehr sind nur schmückende Begleiterscheinung einer allzu vertrauten Welt.

Die Charaktere in Rebel Angels werden weiter ausgebaut, bleiben größtenteils aber so unvorhersehbar, wie sie es schon im ersten Teil waren. Gemma beweist einmal mehr ihre Ignoranz gegenüber Warnungen, vertraut sich leichtsinnig allen möglichen Personen an, geht eindeutigen Hinweisen häufig nicht nach und zu allem Überfluss scheint sie unschöne Wahrheiten auch oft nicht sehen zu wollen. Gemma jagt verschiedenen Ideen hinterher und verfolgt auch mal die ein oder andere Spur, insgesamt sind ihre Entscheidungen aber oft so fahrlässig oder unverständlich, dass man sie für ihre Naivität ohrfeigen möchte. Auf der anderen Seite versucht sie ihre Gabe dann auch mal zu nutzen, um anderen zu helfen, muss allerdings bald lernen, dass gute Absichten nicht immer zu guten, manchmal sogar zu noch schlechteren Ergebnissen führen.
Zwischen Felicity, Ann, Pippa und Gemma herrscht außerdem weiterhin ein eher befremdliches Verhältnis, das wenig mit Freundschaft zu tun hat. Trotz illusorischer Momente echter Freundschaft gibt es auch immer wieder Situationen, in denen man sich als LeserIn fassungslos an die Stirn greifen muss und nicht recht nachvollziehen kann, weshalb die Mädchen einander nicht schon längst den Rücken gekehrt haben. Dem entgegen gesetzt werden Entwicklungen, die das scheinbar inakzeptable Verhalten der Mädchen ein wenig erklären. Manch enthülltes Geheimnis kommt dabei so unerwartet und mit solcher Wucht, dass es einem zunächst die Sprache verschlägt und die beinahe unglaubliche innere Stärke dieser Mädchen erst wirklich zeigt. Einmal mehr verschleiert und verschönert Libba Bray die Härte der Realität nicht und deckt auf, dass hinter noch so edlen Türen schreckliche Dinge geschehen können.

Die Männerwelt muss in diesem Zusammenhang in Rebel Angels einiges an Federn lassen und sich mit ein paar der schlechtesten Aspekte ihres Daseins auseinandersetzen. Etwas relativiert wird dies durch Kartik, der schon im ersten Teil der Trilogie eine zwiespältige Rolle einnahm, hier jedoch zum Lanzenbrecher für seine männlichen Kollegen wird. Als einer der wenigen Charaktere schlüpft er nicht in das sexistische Rollenbild der geschilderten Gesellschaft und erhält den Hauch von Hoffnung auf ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Mann und Frau aufrecht. Auch Gemmas Vater beweist, dass Männer nicht ausschließlich die starken Machthaber sind, sondern ebenfalls unter der Last ihres Schicksals zerbrechen können und verwundbar sind. Es sind realistische Bilder, die Libba Bray von Mann und Frau zeichnet, beide kommen dabei mal besser, mal schlechter weg. Dennoch bleiben Frauen die heimlichen Herrscherinnen von Brays Welt. Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau. Sie fühlen sich freilich zu Männern hingezogen, lassen ihre Gedanken um ihn kreisen und genießen es auch begehrt zu werden, jedoch erlauben sie sich nicht, ihr Leben allein davon bestimmen zu lassen. Wieder sind es die Charaktere und ihr ambivalentes Verhalten, welche Libba Brays Roman so spannend und lesenswert machen. Fernab magischer Welten gibt es viel Menschliches zu entdecken, zu erfahren und zu erkennen.

Der Roman kommt leider nicht ganz so rebellisch daher wie man es dem Titel nach erwarten würde. Die Jagd nach Circe und die Suche nach dem Tempel stellt ein großes Thema dar und führt durch beide Welten, doch die Autorin legt mehrfach falsche Fährten, die leicht und früh durchschaut werden können. Dennoch liefert auch Rebel Angels wieder eine Geschichte, die den Leser auf schwer erklärbare Weise an das Buch fesselt und dabei neugierig auf die weitere Entwicklung macht. Wem also A Great And Terrible Beauty (Gemmas Visionen) stilistisch gefallen hat, der kann mit Rebel Angels nicht viel verkehrt machen.

Cover von Rheingold von Stephan Grundy Rheingold ist eine sehr freie Nacherzählung der Völsunga Saga.

-Der wilde Sturm peitschte die Tannen und heulte wie ein hungriger Wolf. Er jagte die rabenschwarzen Wolken so schnell vor sich her wie ein gallopierendes achtbeiniges Schattenroß.-
(Der Otter)

Wenn man für heldenhafte Taten wirklich nach Wallhall kommt, habe ich mir mit dem kompletten Durchlesen von Rheingold (Rhinegold) wahrlich einen Ehrenplatz an Odins Seite verdient.

Stephan Grundy war sich wohl nicht so ganz sicher, was das Ganze eigentlich werden soll. Eine Saganacherzählung? Ein romantisch-erotisches Fantasyabenteuer? Eine mythische Heldengeschichte? Ein historischer Roman? Eine Werbebroschüre für esoterische Runenmagie? So schlingert die Geschichte zwischen schmierigen Sexszenen, seichtem historischem Roman, albern-romantisiertem Heidengetue und der prosaischen Brutalität des Orginals herum, ohne auf irgendeinem Terrain irgendwie überzeugen zu können.
Im übrigen wird dem erstaunten Leser im Nachwort mitgeteilt, dass die Völsunga Saga ja sehr brutal sei und deshalb zu gewalttätige Stellen weggelassen oder entschärft wurden. Warum sich Grundy dann ausgerechnet die blutrünstigste aller nordischen Sagas zur Nacherzählung ausgesucht hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Umso ärgerlicher, weil sich aus dieser Zensur logische Brüche in der Handlung ergeben. So war das Abfackeln einer Halle inklusive der schlafenden Bewohner wohl zu heftig, stattdessen ergibt sich ein kleines Heer dem Ansturm von zwei Leuten. Allerdings könnte das auch auf das Konto der Übersetzer gehen, da das Nachwort mehrfach von der deutschen Fassung spricht.

Noch dazu ist die Erzählung oft unfreiwillig komisch. So verhütet Siglind mittels Eisrunen, mit denen sie sich den Muttermund zufriert. Die realistische Darstellung einer vergangenen Religion ist immer eine Gratwanderung, aber was Grundy hier abliefert, ist ein ziemlich wirres Gebräu aus heftigstem spätromantisch-teutonischem Kitsch und billiger Fantasymystik. Wenn schließlich eine Seherin in bester van-Helsing-Manier einen Werwolf mittels Exorzismus (sie zertrampelt eine Trommel …) und Pfählung ins Jenseits befördert, wünscht man sich endgültig ein Horn mit starkem Met. Da erstaunt es auch nicht mehr wirklich. wenn zwei (!) Männer ein geopfertes Pferd stemmen, oder Leute, die noch nie das Meer gesehen haben, plötzlich im tobenden Sturm über die Nordsee segeln können.

Ganz nebenbei gelingt es Grundy Figuren, die im Original durchaus interessant sind, zu absoluten Witzfiguren zu degradieren. Loki ist ein schleimiger, nervtötender Kasper und Wotan verkündet ununterbrochen Horoskopweisheiten wie: “Kämpfe nicht gegen die Sonne, sie wird dich blenden” (ne echt …). Da wundert die Ausbreitung des Christentums wirklich niemanden mehr.
Eine echte Zumutung ist auch die Sprache. Der Stil bewegt sich auf Groschenheftniveau und ist der Thematik völlig unangemessen. So teilt uns der Autor in einer der diversen Sexszenen mit: “Ein heftiger Schlag wie von Honig auf einem faulen Zahn ließ Sigmund erbeben, […] als das Vergangene ihn wie ein reißender Strom erfasste und er in einem rotgoldenen Blitz seinen Samen ergoß”.
Auch die Übersetzung ist nicht gelungen, es werden englische Ausdrücke falsch übersetzt, sodass ganze Sätze keinen Sinn mehr ergeben, und nebenbei strotzt das Buch auch noch vor grammatikalischen Fehlern.

Ritus von Markus HeitzFrankreich 1764. Eine rätselhafte Bestie streift durch die Wälder und versetzt die Menschen dort in Angst und Schrecken, denn ihre Kinder sind es, die die Bestie in einem gnadenlosen Ritus hetzt und tötet. Längere Zeit versucht der ansässige Comte de Morangiès, die Bevölkerung zur Ruhe zu bringen. Doch als die Bestie immer mehr Kinderopfer fordert, begeben sich Männer von Nah und Fern auf die Jagd nach der Bestie. Ihnen schließt sich der Wildhüter Jean Chastel mit seinen Söhnen Pierre und Antoine an. In den Herzen der Chastels schlummert ein dunkles Geheimnis, und selbst im Jahre 2004 ist der Fluch der Bestie noch nicht versiegt …

-Mit einer monotonen Melodie gluckerte der Bach über die runden Steine. Die Abendsonne fiel durch die wenigen lichten Stellen des dichten Blätterwerks und erzeugte goldenrote Flecken auf dem schattigen Waldboden. Insekten waren auf der Suche nach Nahrung und summten durch die warme Luft. Der verführerische Duft leitete sie. Es roch nach Frühling, nach neuem Leben. Und nach Verwesung.-
Prolog

Bereits als Markus Heitz‘ Roman Die Rache der Zwerge auf den Markt kam, wurde für sein nächstes Werk Ritus mit den großen Worten Eiskalte Spannung – Dunkle Geheimnisse geworben, und ich griff sofort zu, sobald dieses vielversprechend klingende Buch erhältlich war. Und ich musste feststellen, dass es bei großen Worten geblieben war.
Eines sei erst einmal klargestellt: Heitz’ Ideen sind dennoch sehr interesssant, vor allem die Idee, zwei Handlungsstränge in verschiedenen Epochen zu weben. Der erste Handlungsstrang erzählt von Jean Chastel, der Jagd nach der Bestie in den französischen Wäldern und dem Geheimnis, das Chastel und seine Söhne vor den anderen verbergen. Dieser ist der interessantere der beiden Stränge, und teilweise werden die historischen Informationen gut in die Story intigriert. Der zweite Strang erzählt von dem Werwolfsjäger Eric von Kastell im Jahre 2004, unverkennbar ein Nachfahre des Wildhüters Jean. Vor allem aber die Geschichte um ihn ist es, die vieles an der Innovation von Ritus zerstört. Markus Heitz versucht seinen Eric von Kastell als eine Mischung aus werwolfsjagendem James Bond und den Men in Black rüberzubringen. Eric metztelt und ballert sich fluchend durch Europa, eine Spur der Verwüstung hinterlassend, um nebenbei noch mit allen möglichen Frauen zu schlafen, unter anderem auf einer öffentlichen Toilette und unter einem Brückenpfeiler. Die spröden und übertriebenen Gewalt- und Sexszenen lassen das ganze schmuddelig wirken und rauben Eric von Kastell viel von seiner ohnehin dünn gesäten Glaubwürdigkeit. Somit will der historische Teil nicht mit dem modernen in Einklang stehen, die beiden Erzählstränge werden so oft gewechselt, dass man nach und nach den Überblick (und die Lust am Lesen) verliert. Sobald auch der historische Part mit Jean Chastel nur noch in bluttriefendes Gemetzel übergeht, ist nicht einmal etwas vom barocken Charme des 18. Jahrhunderts zu finden. Letztendlich wird der Leser in Unzufriedenheit über die völlig überzogene und undurchsichtige Handlung zurückgelassen. Von eiskalter Spannung und dunklen Geheimnissen, wie bereits angekündigt, kann keine Rede sein.

Cover von Der rote Tod von P.N. ElrodLong Island, 1773. Der junge Jonathan Barrett wird von seiner chronisch übelgelaunten Mutter nach Cambridge in England geschickt, um Jura zu studieren. Jonathan widmet sich nicht nur seinem Studium, sondern auch der schönen Nora. Als er wieder nach Hause kommt, gerät er zwischen die Fronten des Unabhängigkeitskrieges, was für ihn tödliche Folgen hat.

-“Du bist ein hochmütiger, halsstarriger, undankbarer Schuft!” Solchermaßen sprach -oder besser: schrie- meine Mutter mit mir, ihrem einzigen Sohn. –
Kapitel 1

Der rote Tod (Red Death) ist keineswegs so schlecht, daß er einen Verriß verdient, aber er ist auch nicht so gut, daß er zu Lobeshymnen Anlaß gibt. Besonders am Anfang wirkt die Sprache künstlich und theatralisch, man hat als Leser eher den Eindruck einer nicht besonders guten Theatertruppe zuzuhören, als den Gesprächen realer Menschen zu folgen. Und obwohl die Autorin zu dem Schachzug gegriffen hat, den Ich-Erzähler erklären zu lassen, er benutze bewußt eine moderne Sprache, gibt es einige Ausdrücke, die in einer Geschichte, die während des Unabhängigkeitskrieges spielt, stören. 1773 besucht man Feste oder Bälle und keine Parties, wenn man sich mit seiner Mutter unterhält, dann ist das ein Gespräch und kein Interview. Inhaltlich verbreitet die Geschichte für einen Vampirroman zu wenig Schrecken, es fehlt an (dem Thema angemessener) Grausamkeit. Die Vampire, die in diesem Roman ihr Unwesen treiben, haben die Macht, den Willen von Menschen zu beeinflussen, was zur Folge hat, daß die Menschen, die mit ihnen zu tun haben, sich kaum vor ihnen fürchten. Jonathan, der vor seiner Begegnung mit Nora noch keine Erfahrung mit Frauen hatte, hält es einfach für eine besondere Art des Liebesspiels als sie ihm in den Hals beißt und sein Blut trinkt und ein neugewordener Vampir wird nach einer kurzen Schrecksekunde wieder in den Schoß der Familie aufgenommen und ist nach seiner Verwandlung der gleiche nette Kerl wie vorher. Das ist ein weiteres Manko der Geschichte. Die Vampire sind nicht böse oder wenigstens amoralisch und sie befinden sich auch nicht im Konflikt mit ihrer neuen Natur, auch hier fehlt die Spannung. In diesem Roman gibt es zwar Sexualität, aber keine Erotik. Das Erotische an guten Vampirromanen ist ja gerade, daß Sex nicht beschrieben wird und dafür alles was mit Vampirismus zu tun hat höchst doppeldeutig geschildert wird, so daß die erotischen Bilder im Kopf des Lesers entstehen.
Das letzte Drittel des Romans ist Elrod am besten gelungen. Dieser Teil hat auch komische Züge und man bedauert, daß die Autorin ihre Geschichte nicht mit mehr Humor angereichert hat, denn das scheint eine ihrer Stärken zu sein.
Der Titel Der rote Tod ist für diesen eher gemächlich dahin fließenden Roman zu reißerisch, auch das rotgeflügeltes Ungeheuer, wie es auf dem Titelbild dargestellt wird, erweckt falsche Erwartungen. Dieser Roman ist etwas für Leute, die gerne historische Geschichten lesen, die mit phantastischen Elementen angereichert sind. Wer von einem Vampirroman atemlose Spannung und Gruseleffekte erwartet wird hier nicht auf seine Kosten kommen.

Cover von Der Ruf des reihers von Lian HearnSeit 16 Jahren herrschen Takeo und Kaede gemeinsam über die Drei Länder. Ihre Liebe und Harmonie, aber auch die perfekte Balance zwischen männlicher und weiblicher Kraft haben ihrem Land dauerhaften Frieden und großen Reichtum beschert. Das bleibt auch dem Kaiser im fernen Miyako und seinem obersten General, Saga Hideki, nicht verborgen. Der General fordert Takeo zu einem Wettkampf heraus: Wenn er verliert, muss er nicht nur abdanken und sein Land verlassen, sondern auch in eine Heirat seiner schönen Tochter Shigeko mit Saga einwilligen. Mit seinen treuesten Gefolgsleuten reist Takeo nach Miyako. Und schon bald überschlagen sich die Ereignisse, denn ein schwerer Verrat droht das zu zerstören, wofür Takeo sein Leben lang gekämpft hat …

-“Kommt schnell! Vater und Mutter kämpfen gegeneinander!”-
Kapitel 1

Als ich das Buch Der Ruf des Reihers (The Harsh Cry of the Heron) in den Regalen der Buchhandlungen liegen sah, ignorierte ich es zunächst, weil für mich die Trilogie Der Clan der Otori (Tales of the Otori) abgeschlossen war. Allerdings konnte ich als großer Fan von Lian Hearn doch nicht lange widerstehen und wollte wissen, wie sie die Geschichte von Takeo und Kaede weiterführt. Meiner Meinung nach hätte sie es aber bei drei Büchern belassen sollen.
Das Ende von Der Glanz des Mondes (Brilliance of the Moon) war zwar sehr offen, aber ein passender Abschluss, und hat dem Leser Raum gelassen, sich selbst auszumalen, ob sich nun der letzte Teil der Prophezeiung erfüllt oder nicht. Diese Freiheit wird ihm jetzt genommen, indem Hearn ein Ende kreiert, das zwar durchaus überraschend, aber dennoch im Vergleich mit den vorherigen Bänden enttäuschend ist.
In diesem Band wird übertrieben häufig auf die Harmonie und Liebe hingewiesen, die trotz aller Entbehrungen zwischen Takeo und Kaede herrscht, und darauf, wie wichtig diese für das Land sei.
Die Rolle der Fremden bzw. Barbaren wird dagegen nicht richtig ausgebaut. Sie sind lediglich Händler, die Feuerwaffen auf den Markt bringen und einem ähnlichen Glauben wie die Verborgenen anhängen, also ähnlich dem Christlichem. Und sie wollen diesen möglichst weit verbreiten. Nur diese beiden Eigenschaften werden beschrieben, da diese für die Handlung wichtig sind, aber sonst? Wo bleibt die Beschreibung ihres Lebens, ihrer Gefühle, ihrer Kultur und Herkunft und alles andere, das einen Charakter ausmacht? Genauso verfährt Hearn mit anderen Figuren, die in diesem Buch urplötzlich auftauchen. Was ist mit Takeos kleiner Schwester, die sich den Fremden angeschlossen hat und als Dolmetscherin arbeitet?
Auch der Charakter des Kaisers bleibt völlig offen. Er wird lediglich mit zwei bis drei Sätzen beschrieben und dann links liegen gelassen. Für eine Person, die immer wieder als wichtig und entscheidend bezeichnet wird, ist das dann doch sehr mager.

All das sind Fragen, die mich interessiert hätten, die aber unbeantwortet bleiben.
Lediglich die drei Töchter werden mit einer eingehenden und guten Beschreibung bedacht. Besonders die beiden Zwillinge sind mir sehr ans Herz gewachsen.
Lian Hearns Stil weiß erneut zu überzeugen, lässt trotz der etwas mageren Geschichte noch einiges an Spannung aufkommen und ist schön zu lesen. Schön anzuschauen ist auch das Cover, das ähnlich wie die restlichen Otori-Bücher gestaltet ist.

Sanctum von Markus HeitzNach einer langen Hetzjagd erreicht Eric von Kastell Rom, die Ewige Stadt. In den Straßen dieses geheimnisvollen Ortes fließen alle Fäden zusammen, die zum Vermächtnis einer rätselhaften Frau aus dem 18. Jahrhundert führen: Gregoria, die Äbtissin des entweihten französischen Klosters. Nach und nach stellt Eric fest, dass er und Gregoria untrennbar miteinander verbunden sind. Durch die heiligste Substanz, die sich auf Erden finden lässt: Das Sanctum …

-“Macht Euch nicht lächerlich, Abbé. Die Bestie ist tot.” So, wie Pierre-Charles, Comte de Morangiès, es sagte, klang es nach einem Befehl. Wie immer, wenn die Rede auf das Untier kam, das im Gévaudan mehr als drei Jahre lang gewütet hatte.-
Prolog

Bisher ist Sanctum Markus Heitz’ in jeder Hinsicht schlechtestes Buch, und diesmal wirken sich nicht einmal Heitz’ Ideen positiv auf die Bewertung dieses Romans aus. Wieder bestehen zwei Handlungsstränge – ein historischer und ein moderner – und da beide fast ausnahmslos in Rom spielen, verliert man schon bald wieder den Überblick und die aus Ritus bekannte Langeweile kommt auf. Schnell wird erneut – vor allem in Erics Part – gemetzelt, was das Zeug hält – Splatterszenen sind wohl das, was in diesen Büchern die dunkle Spannung beinhalten soll. Es geschehen abartige und unglaubwürdige Morde, die wohl eine Gänsehaut verursachen sollten, jedoch nur einen angewiderten Blick und Lustlosigkeit hervorrufen. Unter anderem zerstört Eric ein Café, ballert hemmungslos darin herum und liefert sich eine Verfolgungsjagd mit einer Sekte, die Werwölfe anbetet – Dan Brown lässt grüßen – ohne für seine Gewalttaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Da wird in aller Öffentlichkeit gemordet und die Zeugen gucken nur groß – so etwas wie eine Polizei scheint es in und um Rom nicht zu geben.
Wieder sind Heitz’ Inspirationsquellen ersichtlich: Illuminati und Sakrileg liefern nicht nur die Vorlage für den Handlungsort, Rom, sondern wohl auch für die lang bestehende Sekte, die stark an die Illuminati und Opus Dei in Dan Browns historischen Krimis erinnert.
Sanctum beherbergt noch mehr Charaktere als Ritus, und durch sich ähnelnde Namen und die Masse der Personen geschieht es leicht, dass man nicht weiß, welchen Handlungsträger man gerade vor sich hat.
Lange Zeit wird ein Geheimnis darum gemacht, was das Sanctum ist, und als das große Geheimnis gelüftet wird, stellt es sich eher als großes Manko heraus. Unlogik und Unglaubwürdigkeit stehen in Sanctum an der Tagesordnung, und man quält sich regelrecht von Seite zu Seite, immer wieder darauf hoffend, dass Markus Heitz doch noch einen großen Knall am Ende setzt. Leider war dem nicht so. Bloß das übliche Standard-Gemetzel und eine weitere, große Enthüllung – sollte das vielleicht der Knalleffekt sein? -, von der nie die Rede war und die bloß dazu dient, dass der Leser ein weiteres Mal erleben darf, wie Eric von Kastell jemandem das Nasenbein zertrümmert. Mit diesem Schluss ist jegliches Wohlwollen dem Buch gegenüber verspielt, und man stellt es mit dem traurigen Gefühl in der Magengegend ins Regal zurück, als Leser nicht ernstgenommen zu werden.

Der Schatten der Scheuermagd von Lord DunsanyDer junge Ramon Alonzo wird von seinem Vater, dem verarmten Lord of the Tower and Rocky Forest, zum Haus eines Magiers tief im Wald geschickt, um dort die Kunst des Goldmachens zu erlernen. Dort als Lehrling aufgenommen, erfährt Ramon Alonzo gleich am ersten Abend die Geschichte der alten Scheuermagd: einst gab sie dem schwarzen Magier ihren Schatten im Tausch für ein ewiges Leben, aber seitdem ist sie an dessen Haus gebunden. Ramon Alonzo schwört sich, ihren Schatten zu retten und sie zu erlösen. Doch der Magier verlangt auch von Ramon Alonzo eine Bezahlung für das erteilte Wissen.

Zu Der Schatten der Scheuermagd liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Das Schwert in der Stille von Lian HearnAls die Truppen des Lord des Tohan-Clans, Iida Sadamu, Tomasus Dorf verwüsten und alle Bewohner töten, wird der sechzehnjährige Junge von dem Lord des Otori-Clans, Shigeru, gerettet. Da Tomasu Ähnlichkeiten mit dem ermordeten Bruder des Lords aufweist, nimmt Shigeru ihn bei sich auf, nennt ihn fortan Takeo, läßt ihn ausbilden und adoptiert ihn schließlich. Zur gleichen Zeit lebt das ebenfalls sechzehnjährige Mädchen Kaede seit acht Jahren als Geisel auf Schloß Noguchi, bei einem Verbündeten von Iida Sadamu. Aufgrund von politischen Intrigen soll Kaede Lord Shigeru heiraten. Shigeru liebt aber seit langem Lady Maruyama, die Sadamu für sich beansprucht. Als alle diese Personen in Inuyama, der Hauptstadt des Tohan-Reiches zusammentreffen, entscheidet sich ihr Schicksal.

– Meine Mutter drohte oft, mich in acht Stücke zu reißen, wenn ich den Wassereimer umstieß oder vorgab, ihren Ruf nicht zu hören, während die Dämmerung dichter wurde und die Zikaden lauter schrillten.-
Kapitel 1

Wer Liebesgeschichten mag, die in einem exotischen Ambiente angesiedelt und mit politischen Intrigen gewürzt sind, hat mit Das Schwert in der Stille (Across the Nightingale Floor) die richtige Lektüre gefunden. Lian Hearn ist eine sehr gute Erzählerin, die es versteht, eine Handlung zu entwickeln, und die genügend Kenntnisse der japanischen Kultur besitzt, um eine an das mittelalterliche, feudale Japan angelehnte Welt, die von verfeindeten Kriegerkasten beherrscht wird, glaubwürdig darzustellen.
Allerdings hat entweder die Autorin oder die Übersetzerin an einigen Stellen zu moderne Ausdrücke gewählt, die die fast perfekte Illusion zerstören und den Leser aus der Geschichte in die Gegenwart katapultieren. So beschimpft Takeo Wachleute als nutzlose Idioten. In der Stadt wird eine Bar besucht. Die Autorin teilt an einer Stelle mit, das Zimmer sei gut geschnitten, was den Leser eher an seinen letzten Wohnungsbesichtigungstermin mit einem Makler denken läßt, als an ein einfaches mittelalterliches japanisches Haus und als Krönung der Ausrutscher in die Moderne sagt Lord Shigeru: “Kenji leitet selbst ein sehr erfolgreiches Unternehmen für Sojaprodukte…
Dieses Buch ist in erster Linie ein pseudohistorischer Roman, in dem Magie eine untergeordnete Rolle spielt, und von daher für Fantasy-Puristen weniger geeignet. Takeo gehört zum “Stamm” und besitzt besondere Fähigkeiten. So kann er sich unsichtbar machen oder an zwei Orten gleichzeitig sein und er hat ein außerordentlich feines Gehör.
Am deutschen Titel Das Schwert in der Stille ist nichts auszusetzen. Er ist nicht, wie ich zuerst argwöhnte, ein Titel, der einfach nur poetisch ist und mit dem Roman nichts zu tun hat und der wahrscheinlich gewählt wurde, weil der Originaltitel, der in Bezug auf die Geschichte einleuchtender ist, nur holprig klingend ins Deutsche übersetzt werden kann. Allerdings muß man das Buch sehr genau lesen, damit man die Stelle, auf die sich der Titel bezieht, nicht überliest.

Cover des Buches "Sea Without a Shore" von Sean Russell Vom Palast auf eine Reise um die halbe Welt geschickt, findet sich Tristam mitten im Ozean auf einer geheimnisvollen Insel wieder. Die Bewohner empfangen die Fremdlinge offenherzig. Doch der Friede wärt nicht lange, denn Tristams Kameraden ist jedes Mittel recht, um ihren Auftrag zu erfüllen – die magische regis-Pflanze zu erlangen und zurück nach Farrland zu segeln, wo der altersschwache König bereits auf sie wartet. Doch auch zu Hause in Farrland geht es nicht gerade ruhig zu: Tristams Cousin Jaimas gerät sieht sich einer ungeheuren Intrige gegenüber, in die sogar der Kronprinz selbst verwickelt zu sein scheint. Doch was wollen die Verschwörer und was hat das Ganze mit Tristams verstorbenem Onkel zu tun, der angeblich der letzte Magierlehrling gewesen sein soll?

-No one understands, he thought. Has there ever been such an occurrence in known history? The powerful of two nations racing toward a ruined abbey for a purpose that no on can articulate. It is like a madness.-
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Ich gebe zu, dass ich mich mit der Zusammenfassung etwas schwer getan habe. Im Nachhinein sind es doch sehr viele Handlungsstränge, die man schlecht zusammenfassen kann, ohne gleich die halbe Geschichte zu verraten. Noch dazu sind die Handlungen nicht streng voneinander getrennt, sondern haben oft Einfluss aufeinander, obwohl sie eigentlich eine halbe Welt voneinander getrennt spielen. Das macht ja eigentlich gerade eine gute Geschichte aus und ich kann bestätigen: schlecht ist der zweite Teil von Sean Russels Zyklus nicht. Zumindest für diejenigen Leser, die gerne Intrigen- und Machtspiele verfolgen und sich in jedem Adelshaus zu Hause fühlen. Für Leser, die das Schlachtgetümmel oder wilde Magieduelle vorziehen, sicher kein Buch, das ihnen Freude bereiten würde.

Im Prinzip bleibt sich der Autor treu und man kann das kritisieren oder loben, was man auch im ersten Teil kritisiert/gelobt hat. Dass es keine großen Kämpfe oder fiesen Monster gibt, heißt aber nicht gleich, dass der Roman völlig langweilig dahin plätschert und sich an den Intrigen an irgendeinem Königshof aufhält. Der Autor beweist, dass man auch mit subtilen Mitteln durchaus Spannung erzeugen kann. Obwohl sich doch alles um Magie dreht, bleibt sie bis auf den Schluss völlig im Hintergrund. Nicht umsonst steht auf dem Cover, dass die Ära der Magier vorbei ist und nicht bloß in den Untergrund verdrängt wurde.

Die Charaktere sind meiner Meinung nach wunderbar gelungen. Nicht nur die Hauptpersonen Tristam und Jaimy, sondern besonders die Fülle an Nebenpersonen, die jede ihre eigene Geschichte zu erzählen hat. Namentlich Alissa, die Duchess of Morland, die Countess Chilton, der Maler Kent und Captain Stern sind großartige Charaktere, die sehr detailgetreu ausgearbeitet sind und lebendig wirken. Das müssen sie allerdings auch, da sich der Roman über weite Teile eher auf die Personen als auf die Handlung verlässt (wie gesagt, Magieduelle Fehlanzeige).

Erst am Ende kommt dann auch mal richtige Magie zum Zug. Das Ende führt alle Handlungsstränge zu einem interessanten Finale, das gleichzeitig in Ozeana und in Farrland spielt und hier anscheinend die vorher vermisste Magie auf 50 Seiten komprimiert aufholen will. Trotzdem passt das Ende hervorragend in die Geschichte und führt sie zu einem würdigen Abschluss, der einem dann auch am meisten in Erinnerung bleibt.

Auch für den zweiten Teil sollte der Leser solide Englischkenntnisse haben. Die Figuren gehören allesamt zu “höheren Schichten” und die Ausdrucksweise ist etwas schwieriger, als man heute im normalen Schulenglisch gelehrt bekommt.

Insgesamt also eine ruhige, aber nicht allzu leichte Geschichte über Intrigen, Macht und schließlich doch über Magie. 😉

Soldat des Nebels von Gene WolfeLatro hat in der Schlacht des Großen Königs eine Kopfwunde erhalten und sein Gedächtnis verloren, und damit seine Identität, seine Freunde und sein bisheriges Leben. Als ob das nicht schon genug wäre, vergißt er auch jeden Tag aufs Neue und muß von vorne beginnen. Aus diesem Grund führt er dauernd eine Schriftrolle mit sich, in die er bei jeder Gelegenheit seine Erlebnisse notiert, um sie wieder nachlesen zu können. Bald stellt er fest, daß er als einziger die Götter sehen und mit ihnen sprechen kann – und er findet heraus, daß ihm vielleicht die Erdgöttin helfen kann, seinen Fluch loszuwerden. Er macht sich auf die Reise, erschwert von seinem ständigen Vergessen, findet einige Freunde – und kann sich dennoch nie sicher sein, ob ihn die Götter nicht doch nur benutzen.

-Ich schreibe auf, was gerade geschehen ist. Der Heiler kam in der Morgendämmerung in mein Zelt und fragte mich, ob ich mich an ihn erinnere.-
Kapitel 1: Lies dies jeden Tag

Für seinen Zyklus um den Soldaten Latro hat Gene Wolfe ein wirklich faszinierendes Konzept verwirklicht: Latro hat sein Gedächtnis verloren und vergißt auch das gerade Erlebte täglich wieder. Da man, wie in der Rahmenerzählung eröffnet, die das Folgende als Inhalt uralter antiker Papyrus-Rollen vorstellt, innerhalb des Romans nichts anderes als Latros sporadische Niederschriften seiner Tage liest, die er anfertigt, um seine Erlebnisse nachlesen zu können, wenn er sie wegen seiner Kopfverletzung vergessen hat, taumelt man beinahe genauso nichtsahnend, verwirrt und zusammenhanglos durch die Handlung wie der Protagonist selbst.
Wie Latro muß man sich beim Lesen darauf verlassen, daß die Niederschriften möglichst vollständig sind, daß Latro keinen allzu großen Fehleinschätzungen aufgesessen ist und daß er alles korrekt notiert hat. Kurzum, Latro ist der unzuverlässigste Erzähler, den man sich vorstellen kann – manchmal hat er vor einem neuen Eintrag das bisher Aufgeschriebene nicht lesen können und interpretiert alles falsch oder neu, manchmal gibt es lange Lücken in der Handlung, wenn Latro keine Zeit zum Schreiben hatte.

Wie die Hauptfigur weiß man nicht, welche Persönlichkeit Latro vor dem Gedächtnisverlust war, aber zumindest der “neue” Latro macht einen liebenswerten Eindruck, und durch Wolfes Stil  – ein vermeintlich ganz einfach gehaltenes Erzählen, das die komplexen Hintergründe recht gekonnt verbirgt – werden die einzelnen Einblicke, die in Latros Suche nach sich selbst gewährt werden, zu einem Lesevergnügen: Da gibt es eher komische Einlagen, mit einem tanzenden Gott oder einem turbulenten Hurenhaus, Verstörendes mit düsteren Göttern, durchaus auch actiongeladenere Kampfszenen und vieles mehr. Latros mit dem Gedächtnisverlust einhergehende Fähigkeit, die Götter zu sehen, beschert ihm immer wieder Begegnungen der besonderen Art, und bald interessieren sich auch mächtige Anführer für den einfachen Soldaten.

So geht es auf einer turbulenten Reise mit wenigen konstanten Freunden – die sich Latro tagtäglich neu erklären müssen – und etlichen Brückenfiguren, die immer wieder einmal auftauchen, durch das antike Griechenland. Wenn man aber Latros Odyssee durchschauen möchte, wird es mit einer rudimentären Kenntnis geschichtlicher und mythologischer Hintergründe schwierig, denn die Bezüge zur antiken Mythologie und Geschichte, die in Massen eingestreut sind, sind nicht nur durch Latros Unwissenheit verschleiert, sondern auch, weil  für Orte und Götter übersetzte Namen verwendet werden, wie Latro sie versteht: So wird aus Sparta Seil, aus Athen Gedanken, und auch die Götter tragen bezeichnende Namen. Dieses gar nicht unisono handelnde Pantheon sorgt für zusätzliche Verwirrung.
Man hangelt sich also an Latros unzuverlässigen Tagebucheinträgen entlang durch unbekanntes Terrain – für ein Gefühl der Fremdheit und Andersartigkeit ist somit durchaus gesorgt.

An Auflösungen, Zusammenhängen und fortlaufenden Handlungssträngen fehlt es allerdings gewaltig, Latros Odyssee scheint vielmehr ein Experiment mit der besonderen Ausgangslage und der resultierenden Erzählform zu sein als eine strukturierte Einheit. Jede Szene ist ein Neubeginn, daran ändert sich bis zum Ende des Buches nichts, und auch, wenn man als Leser dem Text einige Zusammenhänge abringen kann, schwimmt man doch mit Latro im Nebel und kann sich zumindest in diesem Band nur auf die wenigsten Geschehnisse einen Reim machen (da die deutsche Ausgabe nicht mehr fortgesetzt wurde, ist das besonders unbefriedigend). Hinter den meisten Fakten stehen noch große Fragezeichen: Hat Latro einen Göttin verletzt und erleidet nun die Strafe? Spielen die Götter nur mit ihm? Ist er ihr Instrument? Wem kann er trauen? Dieser authentisch  vermittelte Gedächtnisverlust ist faszinierend, kostet die Geschichte aber Schwung und läßt sie etwas richtungslos in Mehrdeutigkeiten schwimmen.
Dennoch hat man aber am Ende  das Gefühl, gleich nochmal von vorne beginnen zu wollen, um weitere Schlüsse zu ziehen – durch  die faszinierenden Konzepte und den raffinierten Stil ist das ein durchaus erstrebenswertes Ansinnen.

Sparta von Steven PressfieldBei den Thermopylen findet sich eine Tafel mit folgender Inschrift: Wanderer, kommst du nach Sparta, so verkünde dort, du habest uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl.
Über 200.000 persische Krieger überschreiten 480 v.Chr. auf einer Schiffsbrücke(!) den Hellespont und marschieren gegen Athen. Doch als Xerxis’ Heer den Engpass der Thermopylen passieren will, erhält er von seinen Spähern eine seltsame Nachricht: ein kleines, griechisches Heer von höchstens 4000 Mann hat sich in den “heißen Toren” verbarrikadiert, entschlossen, dem riesigen Heer des persischen Königs eine Schlacht zu liefern.

– Mit verbundenen Augen neigte der Gefangene leicht den Kopf und sprach ein Dankgebet zu einem seiner Götter. Die Geschichte, die Seine Majestät zu hören wünsche, so antwortete er schließlich, könne er aus ehrlichem Herzen erzählen, denn sie sei sein größtes Anliegen. –
Kapitel 1

Vor mehr als 2000 Jahren haben Herodot und Plutarch in ihren Berichten Sparta ein unsterbliches Denkmal gesetzt. Steven Pressfield war wohl entschlossen, die Lobeshymnen der beiden noch zu übertreffen, denn sein Werk trieft nur so von schwülstigem Pathos. So fühlt sich der Leser nicht von ungefähr an das amerikanische Marinekorps erinnert, wenn er die harte Ausbildung der spartanischen Krieger beschreibt, oder die brutalen Strafen der Ausbilder zu rechtfertigen versucht. Pressfield bedient jede Menge Klischees, um die heldenhaften Tugenden der Spartaner darzustellen, und unterlässt tunlichst jeden Hauch von Kritik an der Militärdiktatur Sparta, die auf Sklaverei (Heloten) aufgebaut war. Auch die weitverbreitete Homosexualität unter den spartanischen Kriegern, die ihre Frauen kaum zu sehen bekamen, passt offenbar nicht in Pressfields Vorstellung eines antiken Helden.
“Saving Private Leonidas”, Pressfields Version der Thermophylenschlacht, ist nur so gespickt mit fragwürdigem Pathos – die Handlung scheint er darüber vergessen zu haben. Neben zahlreichen historischen Fehlern, auf die ich nicht weiter eingehen will, verwendet Pressfield nämlich auch gerne Begriffe, die es damals überhaupt noch nicht gab, wie z.B. Tomate, Chirurg oder Kaserne. Wenn er dann noch schreibt, jemand antworte “wie aus der Pistole geschossen”, ist das Maß für mich voll: Solche Formulierungen haben in einer Geschichte, die vor 2500 Jahren spielt, nichts verloren! Da ich das Original nicht kenne, könnte hierfür aber auch Pressfields deutsche Übersetzerin Frauendorf-Mössel verantwortlich sein – ärgerlich ist es trotzdem. Positiv anzumerken ist lediglich die Beschreibung der eigentlichen Schlacht, die aber nur einen kleinen Teil der Erzählung ausmacht. Hier kommt tatsächlich ein wenig der Spannung auf, die man den Rest des Buches über vermisst hat. Retten kann das die lahme Handlung allerdings auch nicht mehr. Schade, denn aus der historische Vorlage der persischen Kriege hätte man ganz bestimmt mehr machen können.

Cover des Buches "Die Stunde des Minotauren" von Thomas Burnett SwannThea und Ikaros sind die Kinder des Königs von Kreta, welches von einer Invasion der kriegsliebenden Archäer erschüttert wird. Nachdem sich Thea aber nicht von deren Anführer Ajax vergewaltigen lässt, wirft man sie in die Höhle des Minotauren. Doch dieser entpuppt sich aber als ihr Pate und nimmt die beiden bei sich auf. Nach einigen anfänglichen Problemen können die beiden königlichen Flüchtlinge auch den Wald und das Erbe der Tiermenschen akzeptieren, denn ihre Mutter war eine Dryade. Doch werden die gewalttätigen Archäer mit ihren Totengöttern das Tabu einhalten, welches die Große Mutter auf den Wald der Tiermenschen legte, wie die Kretaer es tun?

Diese wahre Geschichte, die ich hier niederschreibe, berichtet hauptsächlich von Prinzessin Thea, der Nichte des großen Königs Minos, und von ihrem Bruder Ikaros, benannt nach dem bedauernswerten Sohn Dädalus’, der im Meer ertrank, als das Wachs seiner Schwingen schmolz.-
1. Die Hölzernen Schwingen

Das Geschehen in Die Stunde des Minotauren (Day of the Minotaur) findet zum Großteil im Wald der Tiere statt, nur die ersten zwei Kapitel spielen im antiken Kreta der minoischen Palastkultur und diese sind sehr handlungsreich, daher spielt die Kultur Kretas nur eine sehr untergeordnete Rolle.
Der Zauberwald ist in erster Linie nur ein Wald mit ungewöhnlichen Bewohnern. Im Gegensatz zum zweiten Teil (der allerdings später geschrieben wurde) könnte hier die Fremdartigkeit stärker hervorgehoben werden, zumal die Kinder zunächst Fremde aus dem zivilisierten Teil Kretas sind.

Die Bewohner des Waldes sind eng an die antike griechisch-minoische Mythologie angelehnt, wenngleich zuweilen mit einem Kniff versehen.
Es gibt die weisen und kriegserfahrenen Zentauren, angeführt vom mächtigen Chiron; die schönen und frivolen Dryaden, die eng mit ihrer Eiche verbunden sind; die ewig unreifen und frechen Panisken, Wesen zur Hälfte Mensch, zur Hälfte Ziege; die scheuen und ängstlichen Artemisbärinnen und die heimtückischen und kriminellen Thriae, Wesen die viel Ähnlichkeit mit Bienen aufweisen.
Schließlich ist da der letzte Minotaur, der gewaltige Eunostos. Er ist ein sieben Fuß großes Muskelpaket, anstelle von Füßen hat er Hufe und Hörner ragen aus seinen roten Haaren hervor – eine einschüchternde Gestalt, besonders dann, wenn er mit dröhnender Stimme brüllt. Dennoch ist er ein sanftes Wesen, ein Handwerker, der seinen Garten, die Poesie – und Thea liebt.
Sie ist die Tochter von Aeacus, des Königs von Minos, und einer Dryade, daher ist die 16jährige Frau bezaubernd schön, mit leicht grün schimmernden Haaren und spitzen Ohren. Sie fürchtet den Wald und die Tiere, auch wenn sie sich zum Minotauren hingezogen fühlt, will die zurückhaltende Kreterin ihn eher kultivieren als akzeptieren. Ihrem Bruder Ikaros fällt es viel leichter das Erbe ihrer Mutter anzunehmen und schnell wird aus dem Jungen ein junger Mann.
Daneben gibt es noch einige weitere, wie Zoe, die Dryade, eine gute Freundin von Eunostos; Moschus, ein alternder Zentaur und der Liebhaber von Zoe und Pandia, die Artemisbärin, die sich stets in der Nähe des jungen Ikaros aufhält; sie kommt allerdings nicht über den Status des comic-relief hinaus. Auch wenn diesen Figuren nicht viel Raum zugestanden wird, sind es keine bloßen Abziehbilder, denn ihr Verhalten lässt Stärken und Schwächen vermuten – selbst Ajax, der Anführer der Archäer, ist kein Monster.

Auch wenn der Plot mittlerweile nichts ungewöhnliches mehr darstellt – es geht um die unterschiedlichen Möglichkeiten der Menschen mit der Natur umzugehen – so ist die Geschichte doch schwer einzuordnen. Zu Beginn und am Ende gibt es einiges an physischer Action, der Mittelteil ist eher ruhig und gibt Dialogen, inneren Monologen und Beschreibungen viel Raum. Der Spannungsbogen verläuft somit parabelförmig, wobei der Scheitelpunkt zugleich der Tiefpunkt ist.
Im Zentrum des Geschehens steht die Liebe zwischen Eunostos und Thea, doch diese müsste eindringlicher geschildert werden, damit sie ganz wirken kann. Ein anderer Strang ist das Erwachsenwerden von Thea und Ikaros, dieses verläuft aber leider zu sprunghaft – einzelne Augenblicke markieren deutlichen Wandel. Auf der anderen Seite stehen die plündernden Archäer, die möglichst viel Reichtum aus der Beutefahrt schlagen wollen und in ihrer Gier vor alten Tabus nicht halt machen.

Die Geschichte wird von Eunostos aus der Ich-Perspektive erzählt, wenn er anwesend ist, sonst aus der Personalen-Perspektive einer der zentralen Figuren. Die Sätze sind flüssig und die Wortwahl ist treffend, passt aber nicht immer gut zu dieser vielfach langsamen und leicht melancholischen Geschichte.

Die Aufmachung ist – wie für die Terra Fantasy Reihe üblich – sehr spartanisch, es gibt keine Extras außer einem Vorwort von Hugh Walker und auch das ist dieses Mal nicht besonders interessant – Walker fasst kurz die Ereignisse des zweiten Teils der Reihe zusammen (was Swann auch in der Geschichte macht, nur dieser ist etwas ausführlicher) und gibt eine Kurzbiographie hinzu. Das Titelbild ist wieder einmal nicht besonders gelungen – welcher streitlustige Zentaur schleppt wann welche nackte Frau umher? Eine solche Szene gibt es nicht, tatsächlich dreht sie den Impetus der Geschichte sogar um!

The Sweet Far Thing von Libba BrayDie Lage ist ernst. Der Kampf um das magische Reich und die Magie spitzt sich zu, auch das Verhältnis zwischen Gemma und ihren Freundinnen ist angespannt. Jeder möchte die Magie kontrollieren und Gemma notfalls dazu zwingen, sie abzugeben. Die junge Frau muss sich entscheiden, wem sie die Magie überlässt und welchen Pfad sie in ihrem Leben einschlagen will. Doch wird sie lange genug leben, um diese Wahl zu treffen? Und wird sie mit ihrer Entscheidung das drohende Unheil verhindern oder entfesseln?

– There is a particular circle of hell not mentioned in Dante’s famous book. (…) But I can say with all certainty that walking the length of a ballroom with a book upon one’s head and a backboard strapped to one’s back while imprisoned in a tight corset, layers of petticoats, and shoes that pinch is a form of torture even Mr Alighieri would find too hideous to document in his Inferno. –
Kapitel 1, S. 7

Willkommen zum Finale von Gemma Doyle!
Entschuldigung, sagte ich Finale? Willkommen am nervtötenden Ende einer Trilogie, die gut begann, trifft es wohl leider besser. Doch fangen wir vorne an.

Das dritte Abenteuer  der Gemma Doyle-Trilogie The Sweet Far Thing (Kartiks Schicksal) beginnt einmal mehr schleppend langsam, und auch nach 350 Seiten ist noch nichts Nennenswertes passiert, was die Handlung irgendwie vorantreiben würde. Gemma glänzt deutlicher denn je durch blindes Vertrauen, dumme Entscheidungen, nahezu hirnloses Verhalten, ist planlos, sprunghaft und hat sich seit Band 1 kein bisschen weiter entwickelt. Mit beharrlicher Konsequenz ignoriert sie weiterhin sämtliche Warnsignale und vergangenen Ereignisse. Auch die immer wieder betonte drängende Zeit bewegt unsere Heldin nicht dazu, notwendige Entscheidungen zu treffen. Stattdessen ergeht sie sich in sinnlosen Abenteuern und Streifzügen durch die Londoner Society oder das inzwischen stark gefährdete magische Reich, mit einer Gruppe von Freundinnen, bei der noch immer keine der anderen traut (man bedenke noch einmal: wir sind schon im finalen Band drei …) und auch alle sich benehmen wie verzogene, egoistische Gören. Jawohl, Gören. Man möchte sie regelmäßig ohrfeigen und schütteln und einfach nur hassen.

Nach rund 350 Seiten ist dann ein Hauch von Freude beim Leser angesagt. Es tauchen tatsächlich ein paar bekannte Puzzleteile auf, die sich plötzlich zusammenfügen. Spurensuche, Abenteuer und gelüftete Geheimnisse machen einem Hoffnung auf ein ansteigendes Lesevergnügen, doch man muss weiterhin Geduld beweisen und darf nicht zuviel verlangen.
Hat man es dann mit Mühe und Not bis auf Seite 429 geschafft, gut die Hälfte dieses Wälzers, trifft man auf eine Stelle, an der man sich tatsächlich fragt, ob einen die Autorin verhöhnen möchte. Gemma, die gerade selbst ein eher langweiliges Buch konsumieren muss, kommentiert ihr Leseerlebnis folgendermaßen (und drückt damit wunderbar aus, wie es einem bei der Lektüre gerade selbst ergeht):

With a sigh, I resign myself to combing through it page by page, though 502 pages is so many to wade through, and I curse authors who write such lengthy books when a few neat pages of prose would do.

Für diesen tiefschwarzen Sinn für Humor muss man die Autorin fast schon wieder loben.

The Sweet Far Thing spielt sich innerhalb weniger Monate ab, doch durch die extrem langatmige Erzählweise gewinnt man den Eindruck, es zögen Jahre ins Land, in denen wirklich nichts Interessantes passiert. Als Ausgleich ist dafür alles recht vorhersehbar.

Die letzten Kapitel ziehen dann aber doch ordentlich mit der Action an und alles, was man schon die ganze Zeit erwartet oder erhofft hat, kommt endlich in Gang. Wenig überraschend kommt dann aber auch das Ende daher, das einen vor allem frustriert zurück lässt. Nichts von diesem Buch bleibt so deutlich hängen wie das Gefühl, allein zu sein und nirgendwo hinein zu passen, begleitet von dem Schmerz des Verlustes, der Hoffnungslosigkeit, und irgendwie klingt die Botschaft stark nach: “du kannst dich noch so abrackern, am Ende bringt es dir ja doch nichts als Enttäuschung”.
Auch wenn die Mädchen es immerhin schaffen, letztlich ihren eigenen Weg einzuschlagen, und die Möglichkeiten der anbrechenden Zukunft erst einmal positiv klingen, wird das alles von der trägen Erzählweise und dem wenig motivierenden Ausgang dieser Trilogie überschattet.

Um ein ganz eindeutiges Fazit zu ziehen: lasst die Finger davon. Diese Buchreihe, die im ersten Band mit recht vielversprechenden Ideen begann, ist letztlich eine große, Zeit verschwendende Enttäuschung und wird mit jedem Band schlechter. Zu empfehlen sind die Fortsetzungen vermutlich nur jenen, die nach A Great and Terrible Beauty (Gemmas Visionen) schon völlig begeistert von Schreibstil, Charakteren oder was auch immer waren, alle anderen investieren ihre Zeit lieber in Bücher mit der Aussicht auf Unterhaltungswert.

Der Thron des Drachen von John M. FordDer junge Hywel Peredur trifft einen Zauberer, der vom Byzantinischen Reich gefangen gehalten wird. Für seine Hilfe will er selbst in der Magie ausgebildet werden. Der junge Dimitrios ist Erbe einer byzantinischen Thronlinie und wurde vom Herrscher in die abgelegene Provinz Gallien geschickt. Cynthia ist eine Ärtztin aus Florenz, die den schwerkranken Lorenzo di Medici betreut.
In einem Europa, in dem Byzanz die Vorherrschaft hat und nur noch die britischen Inseln gegen das übermächtige Reich rebellieren, versuchen diese Menschen einige Jahre später, unterstützt von Gregor von Bayern, einem Fachman für Munition und Vampir, König Richard III. auf dem Thron zu halten und so die englische Unabhängigkeit zu garantieren.

-Die von den Römern gebaute Straße durchzog Nordwales ein wenig landeinwärts. Sie verlief zwischen der Irischen See und den Bergen von Gwynedd und Powys, an dem Kupfer und Blei vorbei, nach dem das Imperium lechzte.-
Gwynedd

John M. Ford taucht tief in die mittelalterliche Geschichte Europas ein, und erzählt mit einigen entscheidenden Veränderungen an verschiedenen Punkten unter anderem die Geschichte der englischen Rosenkriege neu. In seinem Europa ist Byzanz nach wie vor die mächtigste Kraft, und ein byzantinischer Herrscher war es, der einst nicht das Christentum als alleinige Religion in den Vordergrund rückte, sondern diesem riesigen Reich absolute Religionsfreiheit verordnete, so daß die Christen in der Minderheit sind und zahlreiche heidnische Kulte, wie etwa ein verbreiteter Mithras-Kult, vorherrschen. Hinzu kommen eine bunte Mischung mythischer und magischer Elemente, in der alte und neuere Sagen – von altägyptischen Mythen über den britischen Sagenkreis bis zum Vampirismus – mit geschichtlichen Elementen zusammenfließen. Unter diesen Vorzeichen läuft einiges ganz anders, als es die Geschichtsbücher berichten, und für den vollen Genuß des Romans ist es nicht unerheblich, zumindest ein paar geschichtliche Eckdaten zu kennen, um in der Mixtur aus alternativer und althergebrachter Geschichte nicht völlig verloren zu sein.
Selbst dann aber ist Fords Geschichte noch reichlich verworren: Die Struktur des Romans ist schwer überschaubar, er besteht nur aus einzelnen Fragmenten aus verschiedenen Zeiten, die zwar chronologisch, aber mit vielen großen Lücken erzählt werden. Charaktere treffen aufeinander und stellen Unternehmungen an, ohne daß dem Leser ihre Motivation ganz klar wird – die steckt wohl irgendwo in den Teilen, die Ford nicht erzählt hat. Immer wieder bleiben zentrale Fragen offen, und wer gerne Erklärungen für das Geschehen möchte, statt einfach nur zu akzeptieren, ist mit diesem Roman denkbar schlecht beraten. Vieles muß man sich aus kleinen Andeutungen selbst erarbeiten, anderes hingegen passiert – mit völlig neuen Hintergründen – genauso, wie man es auch in einem Geschichtsbuch lesen könnte. Doch der fragmentarische Charakter bleibt bis zum Schluß erhalten, und im Finale steigert sich all das zu noch größerer Unverständlichkeit – hier hätte man gerne eine ausführlichere Variante gelesen.

Dennoch ist Ford ein exzellenter Schriftsteller, das zeigt sich in jedem einzelnen der Versatzstücke, aus denen Der Thron des Drachen aufgebaut ist, und das rettet den Roman auch vor dem völligen Versinken im Chaos. Seine Figuren sind von menschlichen Leidenschaften getrieben, oder von unmenschlichen, wie der Vampir Gregor, der trotz seiner “Krankheit” auf das Blut von Menschen verzichten will – aber manchmal keine andere Wahl hat. Jede der Episoden ist an sich mit Genuß und auch Spannung zu lesen, man hört einem sehr guten Erzähler zu, dessen Sprache immer punktgenau trifft und der Emotionen wie Action zu beschreiben weiß. Aber wenn man sich dann im nächsten Kapitel erst wieder mühsam den Anschluß erarbeiten muß, bleibt letztendlich trotzdem die Frage, ob sich der Aufwand lohnt – zumal am Ende nicht das Gefühl vorherrscht, einen runden und gänzlich durchdachten Roman gelesen zu haben. Einen interessanten schon, denn Fords verändertes Europa ist eine Entdeckung, die sich lohnt.

Cover von Timeline von Michael CrichtonITC, eine Firma, die Anwendungen der Quantentechnologie entwickelt, sponsort archäologische Ausgrabungen an der Dordogne in Frankreich. Geleitet werden diese von einem amerikanischen Historikerteam, das die mittelalterlichen Gebäude rekronstruieren soll. Doch ITC weiß bereits bestens Bescheid, wie die Anlagen auszusehen haben, denn die Firma verfügt über Zeitmaschinen. Und bald findet sich eine Gruppe Geschichtsstudenten mit einem gefährlichen Auftrag mitten im Frankreich des Jahres 1357 wieder.

-Er hätte diese Abkürzung nie nehmen dürfen.-

Ich verstehe nicht viel von Quantenphysik oder mittelalterlicher Geschichte, aber dieser Roman macht einen gut recherchierten Eindruck auf mich (könnte an den sieben Seiten Bibliographie liegen). Gefallen hat mir die Darstellung des Lebens im Mittelalter – nicht als “statisch, grausam und rückständig”, sondern als “dynamisch” und “Zeit rasanter Entwicklungen”, wie Historiker inzwischen auch der Meinung sind (so der Autor).

Ansonsten hat mich Timeline aber eher zum Erbrechen gebracht (Entschuldigung). Als Fantasy-Leser ist man ja völlig unrealistischen Ausgangssituationen durchaus gewogen (also keine Kritik an Zeitreisen etc.), aber ich erwarte dann doch eine nachvollziehbare Entwicklung von Charakteren und Story. Beides ist hier leider nur unglaublich platt und klischeehaft dargestellt.
An Personen wäre da der gutaussehende Möchtegern-Frauenheld Chris, dessen Eltern zu Beginn seines Studiums tragischerweise starben, und dessen Professor (der, der aus der Vergangenheit gerettet werden muss) sich dann väterlich seiner annahm (nicht dass diese Infos, die bei Chris’ Einführung runtergerattert werden, später jemals auch nur irgendeine Rolle spielten!). Dann ist da der noch besser aussehende Dozent André, der am liebsten im Mittelalter leben würde und total gut mit Pfeil, Bogen und Breitschwert (das Wort “Breitschwert” kommt mir im ganzen Buch etwas zu oft vor. Es scheint im 14. Jh. keine anderen Schwerter zu geben) umgehen kann. Und was für ein glücklicher Zufall, dass die hübsche Kate passionierte Freeclimberin ist! Denn irgendwie muss sie enorm viel herumklettern.

Zur Story: natürlich geht alles schief, was schief gehen kann. Ereignisse und Personen (z.B. der “Grüne Ritter”) werden so konstruiert eingebaut, dass die Figuren ständig aufgehalten werden und die knapp bemessene Zeit (warum ausgerechnet exakt 37 Stunden?!) immer noch knapper wird. Außerdem finden auftretende Fragen oft genug keine Antwort, angefangene Handlungsstränge kein Ende, und scheinbar wichtige Details spielen später keine Rolle mehr. Und, achja, wir sind im Mittelalter! Also kann das größte Klischee gar nicht ausgelassen werden, so dass die Herren, kaum angekommen, auch schon an einem Ritterturnier teilnehmen müssen!
Na, so ist es auch kein Wunder, dass Hollywood das Ganze verfilmt hat. Platte Geschichte, gutaussehende Menschen ohne tieferen Charakter, Happyend – alles was ein guter Blockbuster braucht!

Der Schwertkämpfer Andrej ist auf der Suche nach der Puuri Dan, einer weisen Zigeunerin. Sie, so hofft Andrej, kann ihm womöglich das Geheimnis seiner Herkunft enthüllen.
Die Reise führt ihn und den ehemaligen Piratenkapitän Abu Dun bis nach Bayern. In dem kleinen Ort Trentklamm stoßen sie auf schreckliche, menschenähnliche Geschöpfe. Andrej wird von einer dieser Bestien angegriffen, verletzt und verliert seine übermenschlichen Kräfte.
Fast zu spät muss er entdecken, dass das Geheimnis der Ungeheuer enger mit seiner eigenen Existenz verbunden ist, als ihm lieb sein kann …

-»Sie sind dort unten auf der anderen Seite des Hügels. Vielleicht zwanzig, möglicherweise auch mehr«.-
Seite 5

Dass Wolfgang Hohlbein gute Bücher schreiben kann, hat er mehrmals bewiesen. Doch anstatt sich auf ein Buch zu konzentrieren und daran gründlicher zu arbeiten, veröffentlicht er mehrere Bücher im Jahr, deren Niveau immer weiter fällt. Leider ist dies auch im dritten Teil der Chronik der Unsterblichen zu sehen. Hohlbein schafft es, durch seinen Erzählstil zweifellos Spannung zu erzeugen, doch dies allein reicht einfach nicht aus. Und so schlittert Andrej von einem Ereignis zum nächsten, ohne dass er Einfluss darauf nehmen kann. Während der aufmerksame Leser bereits Seiten vorher ahnt, dass wieder mal nichts ist, wie es scheint, bleibt Andrej bis zum Schluss blind für die offensichtlichen Fakten. Auch Abu Dun bringt wenig Neues in die Geschichte mit ein und zeigt trotz einiger Ansätze kaum Tiefe oder Lebendigkeit.
Auch die Geschichte selbst birgt wenig Neues. Bereits zum dritten Mal benutzt Hohlbein dasselbe Prinzip wie in den Büchern davor (und danach), aber diesmal kommt noch weniger dazu und das Ende ist wie immer anders, als zunächst erwartet. Das Buch beweist wieder einmal, dass es kein Konzept für gute Bücher gibt. Wollen wir hoffen, dass Hohlbein das auch bemerken wird.

Cover von Der Vampir von Tom HollandDie Literaturwissenschaftlerin Rebecca Carville ist auf der Suche nach dem einzig verbliebenen Exemplar der Memoiren Lord Byrons. Sie vermutet das Manuskript in der Krypta von St.Jude’s. Der Anwalt, der den Schlüssel zu der Krypta besitzt, gibt ihn nur widerstrebend an Rebecca heraus und warnt sie eindringlich davor, diesen Ort der Totenruhe zu betreten. Natürlich hält sich die junge Frau nicht an den gutgemeinten Rat. Das Manuskript findet sie trotzdem nicht, statt dessen macht sie die Bekanntschaft des berühmten Dichters, der doch eigentlich seit 1824 tot sein sollte. Lord Byron ist so freundlich, der Literaturwissenschaftlerin von seiner Existenz als Vampir zu erzählen.

– Mr. Nicholas Melrose, Vorstand seiner eigenen Anwaltskanzlei und ein angesehener Mann, ließ sich nicht gern aus der Fassung bringen.-
1. Kapitel

Je mehr der Leser über das Leben und Werk Lord Byrons weiß und je mehr Freude er an der englischsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts hat, um so mehr Spaß wird er an der Lektüre des Vampirs finden. Holland verbindet geschickt Episoden aus Byrons realer Lebensgeschichte mit dem fiktiven Vampirmythos. Ein besonderes Zuckerstückchen ist der “Gastauftritt” von Mary und Percy Shelley. Der Roman wäre ein sicherer Vier-Sternchen-Kandidat, wäre der Anfang von Byrons Erzählung nicht so langweilig. Sobald der Dichter die Szenerie betritt ist klar, daß er zum Vampir geworden ist. Da der Leser dies weiß, ist er nicht überrascht, wenn Byron Rebecca schildert, wie er in Griechenland auf höchst merkwürdige Wesen traf, die zwar wie Menschen aussahen, sich aber absonderlich benahmen. Während also der noch lebende und normalsterbliche Byron die Vampirgeschichten, die er hört, als Aberglauben abtut, wartet der Leser mit zunehmender Langeweile auf das, was mit Sicherheit kommen muß und selbstverständlich auch eintrifft: Lord Byron wird zum Vampir. Von nun an wird der Roman mit jeder Seite besser. Leider zieht sich der “Anfang” von Byrons Erzählung über knapp 200 Seiten und das ist für einen spannungsarmen, vorhersehbaren Auftakt ohne Überraschungen zu lang.
Tom Hollands Idee die gothic romance wiederzubeleben, indem er die berühmtesten Verfasser der englischen (Schauer-)Romantik zu den Helden seines Romans macht, ist originell, aber leider fehlt ihm die schriftstellerische Klasse seiner Protagonisten.

Cover von Der Weg des Magiers von Jean-Louis Fetjaine6. Jahrhundert nach Christus: Der junge Merlin reitet zusammen mit Guendoleu, dem König von Kumbrien, und dessen Truppe nach Schottland. König Ryderch hat alle britannischen Fürsten zusammengerufen, damit sie sich unter seiner Führung vereinigen. Doch Aldan, Königin von Dyfed, die Mutter Merlins und Witwe des ranghöchsten Königs der Britannier, macht dem ehrgeizigen Ryderch einen Strich durch die Rechnung. Sie überreicht den goldenen Torques, einen Halsreif als Zeichen der obersten Königswürde, Guendoleu von Kumbrien. Kurze Zeit später geraten Guendoleu und seine Männer in einen Hinterhalt. Alle außer Merlin werden niedergemetzelt. Merlin nimmt den Torques an sich, um ihn nach Dyfed zurückzubringen. Wird er sein Ziel je erreichen?

-Der Winter hatte bereits Einzug gehalten. An jenem Morgen war die Luft anders als sonst, kälter und klarer.-
1 Die Prophezeiung

Der Weg des Magiers (Le Pas de Merlin) ist der klassische Auftakt einer Trilogie. Jean-Louis Fetjaine stellt dem Leser ausführlich die handelnden Charaktere vor und bringt die gegnerischen Parteien in Stellung. Die Hauptperson ist Merlin – hier kein alter, weiser Magier mit langem Bart, sondern ein Jüngling, klein gewachsen und für einen jungen Mann von auffallend zierlicher, schmächtiger Gestalt. Wohl deshalb nennt Fetjaine ihn häufig, oft mehrfach auf einer Seite, das Kind. Diese penetrant wiederholte Bezeichnung für den jungen Barden ist das einzige an diesem Roman, was erst irritierend, im weiteren Verlauf der Geschichte nur noch störend wirkt. Da der Autor von Merlin ständig als dem Kind spricht, glaubt man zunächst, König Guendoleu hätte einen Elf- oder Zwölfjährigen in seinem Gefolge, vielleicht als Knappen oder Pagen. Nachdem man einiges über Merlins frühe Kindheit und seinen Werdegang erfahren hat, setzt man sein Alter auf 14 oder 15 herauf, um endlich zu dem Schluß zu kommen, daß Merlin mindestens 16 Jahre alt sein muß, da sich König Ryderchs siebzehnjährige Schwester Guendoloena wohl kaum von einem Kind entjungfern lassen würde, das für sein Alter auch noch klein und schmächtig ist.

Nicht nur in Liebesdingen benimmt sich Merlin alles andere als kindlich. Den Hinterhalt überlebt er nur, weil er beherzt und skrupellos kämpft. In solchen Situationen wirkt die Bezeichnung das Kind auch noch unfreiwillig komisch: Merlins Antwort war, aus Leibeskräften auf die Lanze des Mannes einzudreschen … Das Kind machte erneut einen Ausfall, doch diesmal war der Mann aus den Bergen darauf gefaßt … Er hatte sich umgedreht, und das Kind nutzte die Chance, um sich nach vorne zu werfen und zuzustoßen, doch der Krieger wich mühelos aus, und wieder traf der Schwertstumpf nur ins Leere. Mit einem Rippenstoß brachte er das Kind aus dem Gleichgewicht … Merlin stürzte sich auf ihn, und das zerbrochene Schwert bohrte sich tief in die Leiste des Reiters …, worauf Merlin zum Angriff überging und, sein Schwert wie ein Messer in der Hand, auf ihn einstach, bis er endlich zu schreien aufhörte. Zwar ist auch im Nibelungenlied der jüngste der königlichen Brüder, Giselher, auch dann noch das Kind, als er aufgrund der Geschichte schon weit in den Vierzigern sein müßte, aber Giselher hat sich inmitten seiner intriganten und rachsüchtigen Verwandtschaft noch Reste eines kindlichen Gemüts bewahrt. Merlin wirkt jedoch aufgrund seines Handelns weitaus älter als sein Aussehen und seine Jugend vermuten lassen.

Die große Stärke des Romans ist, daß Fetjaine, der mittelalterliche Geschichte studiert hat, sich um größtmögliche historische Authentizität bemüht. Im Nachwort beschreibt der Autor den historischen Hintergrund seiner Geschichte und wie sich daraus die Artuslegende entwickelt hat. Außerdem gibt es eine ausführliche zeitliche Übersicht. Über weite Strecken ist Der Weg des Magiers eher ein historischer Roman, Fantasyelemente kommen kaum vor, abgesehen davon, daß sich die Hinweise häufen, daß Merlins Herkunft außergewöhnlich ist. Auch die Konkurrenz zwischen der neuen christlichen Religion, repräsentiert durch die Mönche und den Klerus, der munter in der Politik mitmischt, und dem alten Glauben der Britannier, vertreten durch Merlin und andere Barden, spielt eine Rolle. Erst gegen Ende des Romans bricht das Übernatürliche deutlich in die Handlung ein. Merlin wird im wörtlichen Sinne über Nacht erwachsen. Die Beschreibung dieser besonderen Nacht ist so spannend, mitreißend und emotional, daß man Fetjaine auch verzeiht, daß er Merlin wahrscheinlich zum tausendsten Mal das Kind nennt. Dies ist die gelungenste Szene des Romans, doch sie ist keine Ausnahmeerscheinung. Fetjaine versteht es, eine packende Atmosphäre zu erschaffen, seinen Protagonisten Leben einzuhauchen und eine lang vergangene Zeit wieder auferstehen zu lassen.

Cover von Die Wellenläufer von Kai MeyerAls ein magisches Beben die Küsten der Karibik erschüttert, werden in den Piratenhäfen Kinder geboren, die ungewöhnliches Talent besitzen. Sie können über das Wasser gehen.
Nach vierzehn Jahren, glaubt Jolly, dass sie die einzige Wellenläuferin ist.
Doch als sie Munk begegnet – der ebenfalls auf dem Wasser geht und aus Muscheln einen alten Zauber erwecken kann – belehrt das Schicksal sie eines besseren. Den beiden Wellenläufern steht ein schweres Schicksal bevor: Im Atlantik dreht sich ein riesiger Mahlstrom, den nur die beiden Freunde wieder verschließen können.

– Mit weiten Schritten lief Jolly über den Ozean.-
Die Quappe

Nach knapp zweitausend Jahren schreibt ein Autor zum erstenmal wieder eine Geschichte über jemanden, der auf dem Wasser gehen kann. Und das Warten hat sich gelohnt, auch wenn Ähnlichkeiten mit lebenden, verstorbenen oder fiktiven Personen nicht rein zufällig sein dürften. Als Quellen, aus denen Kai Meyer seine Inspiration geschöpft haben könnte, bieten sich an: Das Neue Testament, Das Alte Testament, wahlweise Hauffs Geschichte vom Gespensterschiff oder Der fliegende Holländer, und Poe’s A Descent into the Maelstrom. Die mythologische Unterwelt Acheron stand als Namensgeber Pate für das furchterregende Ungeheuer Acherus, dem Jolly und Munk mit knapper Not entrinnen und wie man bei Seneca nachlesen kann, bezeichneten schon die alten Römer den Atlantik als das mare tenebrosum und Festus Avienus behauptete, dies sei der Ozean, auf dem noch nie ein Schiff gefahren sei. Der Name des Schiffes Natividad stammt aus C.S. Foresters Hornblower-Romanen. Und natürlich kennt man die Welt, die Meyer zeichnet, aus sämtlichen Hollywood-Piratenfilmen seit Captain Blood. Die Piratenprinzessin Soledad gleicht bis aufs Haar der Korsarin Feuerkopf Stevens, die Maureen O’Hara in dem Film Gegen alle Flaggen so hervorragend gespielt hat.
Aber alle diese Déjà vus mindern die Qualität des Romans kein bißchen. Erstens werden die jungen Leser, für die der Roman eigentlich gedacht ist, all diese Parallelen nicht wahrnehmen und zweitens hat Meyer keineswegs von diesen Werken und Mythen einfach abgekupfert und Versatzstücke in seinen Roman eingebaut, wie das schlechte Autoren so gerne tun. Meyer ist es gelungen mit Die Wellenläufer einen ganz eigenen Roman zu schaffen, der immer wieder mit neuen Überraschungen aufwartet und dessen Ende nicht vorhersehbar ist. Aufregende und komische Passagen wechseln sich ab. Man darf gespannt sein auf die Entwicklung einer der Hauptpersonen, von der man am Schluß des Buches nicht weiß, ob sie den Weg des Guten oder des Bösen einschlagen wird. Mit dem eigenwilligen Orakel, das abwechselnd dichtet oder rülpst (wobei beide Äußerungen ungefähr die gleiche künstlerische Qualität haben) ist Meyer eine besonders originelle Figur gelungen, die dafür sorgt, daß der Schrecken in dieser Geschichte nicht die Überhand gewinnt. Denn es steht zu befürchten, daß der Tod und Verwüstung bringende Acherus nicht das letzte Ungeheuer ist, das dem unheimlichen Mahlstrom entsteigt.

Welt ohne Ende von Sean RussellDie Zeit der Magier ist vorbei und all ihre Geheimnisse sind mit ihnen verloren gegangen. Es ist der Beginn einer neuen Ära, ein Zeitalter der Wissenschaft und der Entdeckungen, und Tristam Flattery ist einer der vielversprechendsten jungen Wissenschaftler. Er wird an den königlichen Hof von Farrland gerufen, um eine geheimnisvolle Pflanze wieder zum Blühen zu bringen, die das Leben des Königs retten soll. Dort erkennt Tristam schnell, dass er direkt zwischen die Fronten eines langjährigen politischen Konfliktes geraten ist. Er muss sich zum Ende der bekannten Welt aufmachen – eine Reise, die mehr mit Magie zu tun hat als mit Wissenschaft …

Zu Welt ohne Ende liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von World Without End von Sean RussellDie Zeit der Magier ist vorbei und all ihre Geheimnisse sind mit ihnen verloren gegangen. Es ist der Beginn einer neuen Ära, ein Zeitalter der Wissenschaft und der Entdeckungen, und Tristam Flattery ist einer der vielversprechendsten jungen Wissenschaftler. Er wird an den königlichen Hof von Farrland gerufen, um eine geheimnisvolle Pflanze wieder zum Blühen zu bringen, die das Leben des Königs retten soll. Dort erkennt Tristam schnell, dass er direkt zwischen die Fronten eines langjährigen politischen Konfliktes geraten ist. Er muss sich zum Ende der bekannten Welt aufmachen – eine Reise, die mehr mit Magie zu tun hat als mit Wissenschaft …

-The drama unfolding in the field below seemed so improbable that it could have been nothing more than two groups of players preparing a performance – the duel that would bring down the curtain on the first act.-
One

Wer aufgrund der Inhaltsangabe ein Übermaß an Magie oder magischen Elementen erwartet, wird wohl bitterlich enttäuscht werden. Die Welt, von der Sean Russell hier schreibt, hat wenig mit den allgemein bekannten “magischen” Ländern anderer Bücher gemein: Die Vernunft und die Wissenschaft gelten als höchste Instanz, Wissenschaftler haben die Magier ersetzt und es werden Entdeckungsfahrten rund um den Globus gemacht, um neue Länder und Spezies zu entdecken. Ganz offensichtlich bedient sich Russell dabei an unserer eigenen Geschichte: Farr gleicht in fast allen Einzelheiten Großbritannien im 18. Jahrhundert, angefangen von der sozialen Struktur bis hin zu den großen Entdeckungen dieser Tage, so z.B. taucht der automatische Webstuhl ganz nebenbei mit auf. Und selbst der Dauerkonflikt mit anderen Ländern wie z.B. Frankreich wird adoptiert, hier heißt das Land dann “Entonne” und man spricht zufällig eine Sprache, die für unsereins unter den Begriff “französisch” fallen dürfte. Daher hatte ich zwischendurch oft das Gefühl, einen historischen Roman und kein Fantasy-Buch zu lesen. Man kann Russell jedenfalls nicht vorwerfen, dass seine Welt daher “platt” sei. Nach und nach wird ein sehr differenziertes Bild der Welt gezeigt, das nicht nur die Vorteile der großen Entdeckungen, sondern auch die Nachteile – Arbeitslosigkeit und Umweltverschmutzung – zeigt. Und auch Russells Schreibstil passt sich dem “alten England” an, er kopiert perfekt den Stil des 18. Jahrhunderts. Man hat also wirklich das Gefühl, man stehe am Beginn der Industrialisierung, zwar nicht in England, sondern in Farr, das aber bis auf die Ortsnamen keine großen Unterschiede aufweist.

Auch die Handlung präsentiert sich weniger fantastisch, als zunächst erwartet. Die erste Hälfte spielt noch am Hofe des Königs bzw. in Farr selbst. Die Hofintrigen und der Kampf um gesellschaftliche Akzeptanz der Hauptperson stehen noch im Vordergrund, Magie wird wenn überhaupt nur sehr am Rande angesprochen. Der zweite Teil – die Reise ans Ende der bekannten Welt – präsentiert sich auch nicht sonderlich anders. Zwar verstärken sich jetzt die merkwürdigen Ereignisse und der Autor lässt mehr oder weniger Andeutungen fallen, was aber bei weitem nicht ausreicht, ein klares Bild zu erzeugen, wo das ganze denn nun hinführen soll. Genauso wie Tristam wird auch der Leser das ganze Buch über im Unklaren gelassen, worauf alles nun hinausläuft. Auf Seite 600 ist man in Bezug auf Magie nicht sehr viel weiter als auf Seite 1, kein sonderlich guter Schnitt.
Ich kann zwar nicht gerade behaupten, dass mich die Handlung gefesselt hat, aber immerhin passiert immer genug, um weiterzulesen. Das aber auch nur, weil man bis zum Ende nicht eindeutig weiß, wer denn nun auf wessen Seite steht und ob derjenige zu den Guten oder den Böse gehört. Zwar erkennt man die konkurrierenden Parteien untereinander, aber weder Tristam noch der Leser erfährt mehr als nötig über deren Absichten. Und da darf man sich nicht zu sicher sein, ob es auch wirklich stimmt, was einem da erzählt wird.
Bleibt einem nur zu hoffen, dass der zweite Teil die Andeutungen des ersten umsetzt und uns ein bißchen mehr Magie präsentiert.

Der wundersame Dr. Darwin von Charles SheffieldDr. Erasmus Darwin, der Großvater des Evolutions-Theoretikers, ist ein englischer Landarzt, überall gerühmt für seinen scharfen Verstand. Das ist der Grund, weshalb Leute aus allen Regionen Englands ihn zu besonders kuriosen Fällen hinzuziehen, die Darwin dann auch mit höchstem Vergnügen löst.
Darwins oberstes Credo ist dabei die Wissenschaftsgläubigkeit – von übernatürlichen Schnickschnack, Dämonen und Teufeln will Darwin nämlich nichts hören.
Auf seinen Reisen wird der Doktor von seinem Freund Jacob Pole begleitet, der stets auf der Suche nach einem der Schätze dieser Welt ist …

-Der Frühlingsabend war mild und ruhig, und was an Gesprächen aus dem Fenster des Hauses drang, war auf dem Weg noch in einiger Entfernung zu hören.-
Der Dämon von Malkirk

Wie sein berühmter Enkel ist Dr. Darwin den Naturwissenschaften zugetan, er betätigt sich in der Lunar Society, praktiziert aber vor allem als Landarzt und klärt für sein Leben gerne rätselhafte Phänomene auf, die ihm immer wieder zugetragen werden. Die sechs Einzelabenteuer, die in dieser Sammlung vorliegen, sind in keinster Weise aufeinander aufbauend oder miteinander verbunden  – nur die Hauptpersonen Darwin und Colonel Pole sind jedes Mal mit von der Partie, und ab und an begegnet man auch Darwins geschätzten Freunden von der Lunar Society wieder. Die vorherige Veröffentlichung der Erzählungen als Kurzgeschichten führt dazu, daß die Protagonisten in jedem Abenteuer aufs Neue eingeführt und mit fast identischen Worten beschrieben werden – die Geschichten können gut für sich stehen, ergeben aber am Stück kein größeres zusammenhängendes Bild als vielleicht ein Portrait der Zeit vor dem berühmteren Darwin.

Charles Sheffield hat stimmig die Atmosphäre einer Zeit eingefangen, in der Aberglaube und Wissenschaft konkurrieren und die Menschen noch leichter von übernatürlichen als von natürlichen Erklärungen für schwer fassbare Dinge zu überzeugen sind. In diesem Umfeld ermittelt Darwin in Fällen, die von den Betroffenen meist in peinlich berührter Manier als wissenschaftlich unmöglich eingestuft werden. Er entlarvt falsche Dämonen, Scharlatane, angebliche Vampire und vieles mehr, und entdeckt dabei nicht selten zwar logisch erklärbare, aber dennoch kuriose Begebenheiten, die so außergewöhnlich sind, daß sie fast magisch anmuten. Seine Arbeitsweise – erst analysieren, dann alles in die Wege leiten und schließlich den verblüfften Beteiligten die Lösung und seinen Weg dorthin präsentieren – erinnert an etliche klassische Ermittler-Helden, und beim Gespann Darwin-Pole kommen einem unweigerlich Sherlock Holmes und Watson in den Sinn.

Die Struktur der Geschichten, immer einen einzelnen Fall mit der präzisen, aber erst im Nachhinein logischen Vorgehensweise des Doktors zu schildern, baut dieses Ambiente durchaus mit auf.Etliche historische Persönlichkeiten sind in die Handlung eingeflochten, und alle Geschichten sind von Tatsachen inspiriert. Über die genauen Zusammenhänge wird man in einem lesenswerten Nachwort aufgeklärt, in dem Sheffield – selbst Naturwissenschaftler – das Zeitalter der Aufklärung resümiert.
Aber auch die gut recherchierten Geschichten verraten viel über den Stand der Wissenschaften und der Medizin im 18. Jahrhundert.
Sheffields nüchterner Stil läßt Darwin und Pole erst recht als kauzig-liebenswerte Helden hervorstechen. Nach ihrer Analyse bleibt meist nicht mehr viel Magisches an den rätselhaften Begebenheiten, so daß man es vielmehr mit einer Kuriositätensammlung als Phantatik zu tun hat. Ein wenig schade ist auch, daß die Geschichten im Großen und Ganzen immer ähnlich konstruiert sind und man die Richtung der Lösungen, wenn auch nicht ihr ganzes Ausmaß, oft schon voraussehen kann. Für eine unterhaltsame (und durchaus auch lehrreiche) Lektüre empfiehlt es sich also, das Buch auf mehrere Einzelhäppchen zu verteilen.
Einen Rest von Magie gibt es übrigens auch in der streng wissenschaftlichen Welt des Dr. Darwin: Das Ungeheuer im schottischen Loch pflügt auch nach seinem Besuch ungetrübt weiter durch die Wellen…

Yamada Monogatari von Richard ParksLord Yamada, ein gefallener Adliger, hat sich auf die Lösung von übernatürlichen Problemen spezialisiert – er steht mit Schwert, Witz und buddhistischen Sutras bereit, um sich um Oger, Geister und Dämonen zu kümmern, die die Mitglieder des Hofes von Kyoto belästigen, ihre Ehre beflecken oder ihre Bauern fressen. Zwischen den Missionen braucht er allerdings immer mehr Sake, denn mit einem simplen Töten der übernatürlichen Erscheinungen ist es meist nicht getan.

-I was just outside of Kyoto, close on the trail of a fox spirit, when the ghost appeared.-
Fox Tails

Wenn Japan überhaupt Setting für Fantasy-Geschichten ist, dann sind sie meistens in der Edo-Zeit angesiedelt, um vor dem Hintergrund der großen Samurai-Schicht und der Kämpfe zwischen den Provinzherrschern zu spielen. Dass die friedlichere Heian-Zeit erzählerisch weniger hergibt, könnte man aber nach der Lektüre von Yamada Monogatari nicht mehr behaupten: Hinter der Fassade des hochregulierten höfischen Lebens brodelt es, und für jene Fälle, die ein etwas peinliches übernatürliches Problem beinhalten, lässt sich zum Glück Lord Yamada anheuern, der als ehemaliger Adliger einerseits Umgang mit der feinen Gesellschaft pflegen kann, sich andererseits aus akutem Geldmangel aber auch nicht zu schade ist, sich die Finger schmutzig zu machen.
Er ist ein bisschen wie ein fernöstlicher Hexer Geralt, dieser Yamada no Goji: Ein armer Schlucker, den die Gesellschaft braucht, um die Probleme zu beseitigen, derer sie nicht Herr wird, der sich in dieser prekären Lage jedoch eine edle Gesinnung bewahrt hat und viele brenzlige Situationen mit einem guten Schuss Pragmatismus meistert.

Richard Parks hatte aber vermutlich keinen europäische Märchenstereotype verkloppenden Hexer im Sinn, als er Yamada Monogatari konzipiert hat, sondern eher einen japanischen Hardboiled Detective, komplett mit bittersüßer Liebesgeschichte, zu viel Sake und einem enttäuschten Blick auf die Gesellschaft. Die zehn Fälle, die in diesem Sammelband aufgeklärt werden, geben diesem Blick auch recht und verweisen auf einen zweiten Eckpunkt von Parks’ Geschichten: die Gothic Novel. Auch im mittelalterlichen Japan sind die Fälle nur selten so leicht gelöst, wie sich die Auftraggeber das ausmalen (Kopf ab!); meist liegen gute Gründe für die Heimsuchung vor, und es sind schmutzige, ungute Geheimnisse, die durch die Präsenz von Fuchsgeistern, Oni oder Geistererscheinungen an die Oberfläche gespült werden und für die Lord Yamada eine Lösung finden muss.
Damit erklärt sich auch die meist ruhige Erzählweise der Geschichten trotz des martialischen Themas. Nur kurz blitzt hin und wieder eine Actionszene auf, ansonsten liegen die Stärken von Yamada Monogatari in den Dialogen, dem feinen Humor und den gut recherchierten Beschreibungen. Die Lösung wird selten mit dem Schwert erreicht, es kommt auf Witz, das Nutzen der starren gesellschaftlichen Regeln (und ihr Umgehen an geeigneter Stelle) und Menschenkenntnis an.

Die Geschichten sind mosaikartig angeordnet und ergeben nach und nach ein Muster, als Nebenfiguren immer wieder auftauchen und die politische Gesamtsituation sich im Hintergrund weiterentwickelt. Hängt Lord Yamada zwischen den Missionen zu versoffen durch, kann man sich darauf verlassen, dass der Priester Kenji erscheint und ihn aus dem tiefen Tal führt (indem er ihm den letzten Sake wegtrinkt). Am Ende ist sogar eine Art Hintergrundgeschichte abgeschlossen, und wenn man Gefallen an Yamada und seinen Mitstreitern gefunden hat, kann man sich darauf freuen, dass Richard Parks sie damit für eine geplante Romanreihe in Position gebracht hat.

Das Setting profitiert stark von der Präsenz der übernatürlichen Welt, die sich nicht nur in Form von Problemen manifestiert, sondern auch in Alltagserscheinungen wie Mottengeistern, verwunschenen Wäldern gleich um die Ecke der belebten Hauptstadtstraßen und Ahnengeistern. Die – für die Fantasy – ungewöhnlichen Monster und Gesellschaftsregeln werden durch die Tatsache lebendig, dass in Lord Yamadas Zeit das Göttliche und das Dämonische im Grunde akzeptiert werden, aber auch für eine Welt stehen, die im Schwinden begriffen ist, da der Aufstieg der Samurai kurz bevorsteht, der nicht nur das höfische Leben am kaiserlichen Hof bedroht, sondern auch die übernatürliche Welt verdrängt, ganz als würde damit endgültig bewiesen, was Lord Yamada ohnehin längst begreift: Die allerbesten Monster geben immer noch Menschen ab.