Gemma versucht weiterhin ihr Schicksal zu verfolgen und die Magie des magischen Reichs wieder an den Orden zu binden. Sie und ihre Freundinnen sind plötzlich in der Lage, die Magie dieser anderen Welt mit in ihr viktorianisches London zu holen, wo sie die Weihnachtsferien bei ihren Familien verbringen. So gerne Gemma das Chaos der magischen Welt für eine Weile vergessen würde, so akut ist jedoch die Bedrohung durch Circe, und die Mädchen begeben sich auf die Suche nach dem verlorenen Tempel, dem Schlüssel zur Kontrolle der Magie. Unterdessen ist Gemma hin und her gerissen zwischen dem exotischen Rakshana Kartik und dem attraktiven, aber nicht sehr tiefgründigen Lord Denby, der ihr den Hof macht.
– »Do not tell her your aim. Gain her trust.« There was a pause . »Woo her, if necessary.«
I thought of the strong, powerful, stubborn girl I’d left behind. »She is not so easily wooed.«
»Any girl can be wooed. It is merely a question of finding the right tool. (…)« –
Kapitel 1, S. 10
Rebel Angels (Circes Rückkehr), der zweite Teil aus der Trilogie Gemma Doyle (Der geheime Zirkel), kommt ähnlich schleppend wie der Auftaktroman in die Gänge. Diesmal verschlägt es den Leser in die High Society Londons, wo so viel Oberflächlichkeit und falsche Loyalität herrschen wie sonst nirgendwo. Freunde viktorianischer Gepflogenheiten werden freilich ihre Freude an dem höflichen Geplänkel bei Tee und Kuchen haben, jedes dezente Kichern hinter vorgehaltener Hand begrüßen und die sauber gepflegten Intrigen der Damen genießen.
Außerhalb der Londoner Gesellschaft trifft der Leser dafür aber auch auf Sagengestalten aus keltischer, griechischer, orientalischer und anderer Mythologie. Rebel Angels, angelehnt an John Miltons Paradise Lost, ist ein wilder Mix durch alle Kulturen, der beinahe beiläufig die Problematik von Rassen- und Geschlechterkonflikten aufgreift. Es ist sehr realistisch geschildert, auf welch subtilen Ebenen diese Dinge existieren und oft ungeplant und unbewusst Einzug in das alltägliche Leben halten. Gorgonen, Nixen, Zentauren … all das und noch viel mehr sind nur schmückende Begleiterscheinung einer allzu vertrauten Welt.
Die Charaktere in Rebel Angels werden weiter ausgebaut, bleiben größtenteils aber so unvorhersehbar, wie sie es schon im ersten Teil waren. Gemma beweist einmal mehr ihre Ignoranz gegenüber Warnungen, vertraut sich leichtsinnig allen möglichen Personen an, geht eindeutigen Hinweisen häufig nicht nach und zu allem Überfluss scheint sie unschöne Wahrheiten auch oft nicht sehen zu wollen. Gemma jagt verschiedenen Ideen hinterher und verfolgt auch mal die ein oder andere Spur, insgesamt sind ihre Entscheidungen aber oft so fahrlässig oder unverständlich, dass man sie für ihre Naivität ohrfeigen möchte. Auf der anderen Seite versucht sie ihre Gabe dann auch mal zu nutzen, um anderen zu helfen, muss allerdings bald lernen, dass gute Absichten nicht immer zu guten, manchmal sogar zu noch schlechteren Ergebnissen führen.
Zwischen Felicity, Ann, Pippa und Gemma herrscht außerdem weiterhin ein eher befremdliches Verhältnis, das wenig mit Freundschaft zu tun hat. Trotz illusorischer Momente echter Freundschaft gibt es auch immer wieder Situationen, in denen man sich als LeserIn fassungslos an die Stirn greifen muss und nicht recht nachvollziehen kann, weshalb die Mädchen einander nicht schon längst den Rücken gekehrt haben. Dem entgegen gesetzt werden Entwicklungen, die das scheinbar inakzeptable Verhalten der Mädchen ein wenig erklären. Manch enthülltes Geheimnis kommt dabei so unerwartet und mit solcher Wucht, dass es einem zunächst die Sprache verschlägt und die beinahe unglaubliche innere Stärke dieser Mädchen erst wirklich zeigt. Einmal mehr verschleiert und verschönert Libba Bray die Härte der Realität nicht und deckt auf, dass hinter noch so edlen Türen schreckliche Dinge geschehen können.
Die Männerwelt muss in diesem Zusammenhang in Rebel Angels einiges an Federn lassen und sich mit ein paar der schlechtesten Aspekte ihres Daseins auseinandersetzen. Etwas relativiert wird dies durch Kartik, der schon im ersten Teil der Trilogie eine zwiespältige Rolle einnahm, hier jedoch zum Lanzenbrecher für seine männlichen Kollegen wird. Als einer der wenigen Charaktere schlüpft er nicht in das sexistische Rollenbild der geschilderten Gesellschaft und erhält den Hauch von Hoffnung auf ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Mann und Frau aufrecht. Auch Gemmas Vater beweist, dass Männer nicht ausschließlich die starken Machthaber sind, sondern ebenfalls unter der Last ihres Schicksals zerbrechen können und verwundbar sind. Es sind realistische Bilder, die Libba Bray von Mann und Frau zeichnet, beide kommen dabei mal besser, mal schlechter weg. Dennoch bleiben Frauen die heimlichen Herrscherinnen von Brays Welt. Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau. Sie fühlen sich freilich zu Männern hingezogen, lassen ihre Gedanken um ihn kreisen und genießen es auch begehrt zu werden, jedoch erlauben sie sich nicht, ihr Leben allein davon bestimmen zu lassen. Wieder sind es die Charaktere und ihr ambivalentes Verhalten, welche Libba Brays Roman so spannend und lesenswert machen. Fernab magischer Welten gibt es viel Menschliches zu entdecken, zu erfahren und zu erkennen.
Der Roman kommt leider nicht ganz so rebellisch daher wie man es dem Titel nach erwarten würde. Die Jagd nach Circe und die Suche nach dem Tempel stellt ein großes Thema dar und führt durch beide Welten, doch die Autorin legt mehrfach falsche Fährten, die leicht und früh durchschaut werden können. Dennoch liefert auch Rebel Angels wieder eine Geschichte, die den Leser auf schwer erklärbare Weise an das Buch fesselt und dabei neugierig auf die weitere Entwicklung macht. Wem also A Great And Terrible Beauty (Gemmas Visionen) stilistisch gefallen hat, der kann mit Rebel Angels nicht viel verkehrt machen.