L’épée maudite

L'épée maudite von Olivier MerleDer junge Malven wächst in der Bretagne des 5. Jahrhunderts als Enkel eines mächtigen Burgherrn behütet, aber immer etwas im Schatten seines Großvaters Thorwarzec auf, dessen Ruhm als Krieger alles, was die nachfolgenden Generationen der Familie leisten können, weit überstrahlt. Als eines Tages Thorwarzecs Schwert spurlos verschwindet, wird Malven auf die Suche danach geschickt. Zunächst kommt ihm seine Queste sinnlos  vor, doch verstörende Visionen und eigenartige Begegnungen lassen ihn bald erkennen, dass es um mehr geht als um die Rückgewinnung einer alten Waffe …

La pluie tombait si durement et le vent soufflait si fort, que Malven se courbaeit sur l’encolure de son cheval, dont les sabots commençaient à glisser dans la boue. Le chemin était étroit, bordé par deux haies de genêts qui s’agitaient furieusement, se touchaeient et s’écartaient sous les rafales.
1 – Malven

Man darf nicht mit der Erwartung an Olivier Merles L’épée maudite herangehen, darin einen großen Roman nach dem Vorbild seines Vaters Robert Merle zu finden. Während der jüngere Merle mittlerweile auch Bücher für ein erwachsenes Publikum verfasst hat (und dabei mit  L’Avers et le Revers sogar direkt an das Schaffen seines Vaters anknüpft), handelt es sich bei seinem Erstlingswerk um eine kleine, feine Erzählung für junge Leser, die als reines Kinderbuch unterbewertet wäre, da eine durchaus für jedes Alter interessante Thematik ausgelotet wird.

Die augenfälligste Stärke des Buchs ist aber zunächst einmal sein Setting. Von der recht genauen historischen Verortung darf man sich nicht täuschen lassen, denn obwohl der ereignisgeschichtliche Kontext des 5. Jahrhunderts, in dem Inselkelten auf der Flucht vor den Angelsachsen in die Bretagne übersiedeln, durchaus handlungsrelevant wird, fühlt man sich eigentlich nicht in die reale Epoche der Völkerwanderung versetzt, sondern eher in eine zeitlose keltische Zauberwelt, wie sie sonst z.B. in der Artusepik begegnet. Merle beschwört sie in Bildern voll schlichter Schönheit herauf, die wohl gerade aufgrund ihrer im wahrsten Sinne des Wortes sagenhaften Einfachheit so überzeugend sind, wie etwa, wenn ein Apfel als bedeutsames Geschenk dient oder eine ganz klassische „weiße Frau“ erscheint.

Auch die erzählte Geschichte kommt auf den ersten Blick unkompliziert und unprätentiös daher: Mehr als eine lineare Queste auf der Suche nach dem titelgebenden „verfluchten Schwert“, die den Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenleben markiert, wird vordergründig nicht erzählt. Tiefgreifender sind hingegen die Implikationen dessen, was Malven unterwegs herausfindet, denn es erweist sich als zentrale Frage dieses Reifungsprozesses, wie man mit der Vergangenheit der eigenen Familie umgehen will, wenn lebenslange emotionale Bindungen und moralisch richtiges Handeln einander widersprechen. Vielleicht der jugendlichen Zielgruppe des Romans geschuldet sind die Konsequenzen dieser Entscheidung letzten Endes zumindest in Teilen etwas glimpflicher  als zunächst befürchtet, doch erspart bleiben sie Malven nicht.

Diese spezielle Stoßrichtung der Selbstfindung ist dabei weniger aus sich selbst heraus als im Vergleich mit typischen Mustern der Fantasyliteratur interessant, zeigt sie doch, worin bei diesen vielleicht zuweilen der wahre Eskapismus besteht: Malven verliert weder durch äußere Einwirkung seine Familie, noch findet er in der blinden Identifikation mit seiner Abstammung seinen Weg, sondern er muss sich noch auf dem Höhepunkt seines Abenteuers wohl oder übel mit der alles andere als idealen Verwandtschaft, die er nun einmal hat, auseinandersetzen.

So besteht der Wert der Erzählung letztlich nicht allein darin, dass sie eine recht nette (wenn auch für einen Erwachsenen rasch verschlungene) Lektüre bildet, sondern auch und vor allem in der Tatsache, dass sie nachdenklich macht und einen anregt, altvertraute Erzählkonventionen und ihre womöglich nicht immer unproblematischen Untertöne einmal zu hinterfragen.

Stand: 15. September 2013
Erscheinungsjahr: 2003
Verlag: Éditions J'ai lu
ISBN: 2-290-06503-X
Seitenzahl: 151