Rezensent: Wulfila

Avempartha von Michael J. SullivanDie naive Bauerntochter Thrace bittet Hadrian und Royce um Beistand: Ihr Dorf wird von einem Ungeheuer heimgesucht, dessen nächtliche Angriffe schon zahlreiche Menschenleben gefordert haben. Die einzige Waffe, mit der es besiegt werden kann, soll in der verlassenen Elfenfestung Avempartha verborgen sein – doch dorthin ist seit Jahrhunderten niemand mehr vorgedrungen. Schnell stellt sich heraus, dass hinter dem Hilferuf in Wahrheit der Zauberer Esrahaddon steckt, der eigene Gründe hat, nach Avempartha gelangen zu wollen. Aber auch die Kirchenoberen haben Interesse an den Vorgängen und gedenken, sie im Sinne ihrer Machtambitionen auszuschlachten …

– They stood very near the ridge of the cataract and could see the white mist rising from the abrupt drop like a fog. Out in the middle of the river, at the edge of the falls, a massive shelf of bedrock jutted out like the prow of a mighty ship that ran aground just before toppling over the precipice. On this fearsome pedestal rose the citadel of Avempartha. –
(Chapter 5 – The Citadel)

Michael J. Sullivans Konzept, seine epische Geschichte in mehreren in sich abgeschlossenen Episoden zu erzählen, geht auf: Avempartha hat zwar seine Schwächen, aber es sind nicht die eines klassischen Übergangsbands. Das Abenteuer um den Kampf gegen den drachenähnlichen Gilarabrywn funktioniert durchaus auch als Einzelbuch, obwohl natürlich einige Handlungsstränge aus The Crown Conspiracy ihre Fortsetzung finden. Manch ein Rückbezug bringt einen dabei zum Schmunzeln (so entdecken die Helden etwa ein Theaterplakat, das ein Stück über ihre im Eingangsband der Reihe geschilderten dramatischen Erlebnisse anpreist).

Ein Übermaß an Originalität darf man auf der Plotebene nicht erwarten. Es kommen wieder zahlreiche altbekannte literarische Motive zum Einsatz, allen voran der Herrschaftserwerb im Drachenkampf, wobei dieses Element recht gelungen mit der ebenfalls gängigen Vorstellung verknüpft ist, dass die Überwindung eines Ungeheuers Heiligkeit und Gottesnähe beweist. Auch die klassische Entführung (mehr als) einer damsel in distress durch den Drachen darf natürlich nicht fehlen, nimmt aber immerhin eine ganz erfrischende Wendung. Für den Leser amüsant ist die innerhalb der Geschichte eher beklemmende Tatsache, dass die schurkischen Kirchenleute mit solchen Erzählkonventionen bestens vertraut sind und sie zu ihren Gunsten auszunutzen verstehen.

Die Antagonisten sind jedoch nicht die einzigen, die in Avempartha an Profil gewinnen. Sullivan entwickelt seine Charaktere nach wie vor mit viel Verständnis und gelegentlich auch mit unterschwelligem Humor. Besonders der ambivalent gezeichnete Zauberer Esrahaddon ist mit seinem fortdauernden Kampf gegen die Tücken der modernen Sprache und seiner Selbstironie für einige Lacher gut. Manch eine Entwicklung kommt nicht weiter überraschend (so ahnt man z.B. schon seit dem ersten Band, worin Royces hier enthülltes großes Geheimnis besteht), aber die lockeren Frotzeleien des Heldenduos und die unbedarfte Entschlossenheit, mit der die rebellische Prinzessin Arista wieder einmal durch jedes Klischee stiefelt, sind so unterhaltsam, dass man ein gewisses Maß an Vorhersehbarkeit gern in Kauf nimmt.

Auch der Weltenbau ist vertrauten Mustern verhaftet: Sullivan schildert weiterhin ein typisches Pseudomittelalter. Vor allem die seit Jahrhunderten versiegelte Elfenfestung Avempartha bietet genau das, was man von einem solchen Gebäude erwartet, von wundersamen Artefakten über magische Kraftorte bis hin zu düsteren Spuren älterer und neuerer Tragödien. Was allzu gewohnt und daher langweilig sein könnte, funktioniert erstaunlich gut, denn wie im Falle der Figuren gelingt es dem Autor, einen emotional anzusprechen und eine Art nostalgisches Lesegefühl zu erzeugen, das eher von erfüllten Erwartungen als von ihrer heute schon allgegenwärtigen ironischen Brechung getragen wird.

Störend sind allerdings die zahlreichen Tippfehler, die sich eingeschlichen haben; gerade bei einem für Fantasyverhältnisse recht kurzen Roman in überwiegend schnörkelloser Sprache sollte man eigentlich annehmen dürfen, dass das Korrekturlesen nicht zu viel Mühe bereitet und dementsprechend gründlich erfolgt.

A Conspiracy of Kings von Megan Whalen TurnerSophos, der eher gelehrsame als machtbewusste Neffe und Erbe des Königs von Sounis, wird verschleppt und gerät in die Sklaverei. Kaum ist er dieser misslichen Lage mit knapper Not entronnen, sieht er sich mit Schwierigkeiten eines ganz anderen Kalibers konfrontiert: Sein Onkel ist während seiner Abwesenheit ums Leben gekommen, und die Herrschaftsübernahme in dem von inneren Wirren geplagten Land gestaltet sich äußerst problematisch, zumal die allgegenwärtigen Meder natürlich wie gewohnt die Situation zu ihren Gunsten auszunutzen trachten. Aus eigener Kraft kann Sophos sich schwerlich halten, doch die angebotene Hilfe aus dem Ausland hat ihren Preis…

– The king was visible now, sitting upright in the carriage beside the queen. The carriage drew closer. The young man clinging to the street marker took his aim, waited for the right moment, and with a concentrated puff of air, fired the shot. –
Prologue

Es wird dem vierten Teil der Attolia-Reihe bis zu einem gewissen Grade zum Verhängnis, dass er zu einer Serie gehört: Als Einzelroman würde er einen vorbehaltlos begeistern, doch im direkten Vergleich mit seinem furiosen Vorgängerband fällt er ein wenig ab und weist auch mehr typische Jugendbuchzüge auf. In hohem Maße ist dies sicher der Wahl des zeitweise als Ich-Erzähler fungierenden Helden geschuldet, denn der schon aus dem ersten Band bekannte Sophos ist nicht nur für einen klassischen Entwicklungsroman geradezu prädestiniert, sondern von vornherein weitaus konventioneller angelegt als die in den anderen Büchern zentralen Gestalten.

Dennoch ist er ein sympathischer Protagonist, mit dem sich besonders jüngere Leser sicher identifizieren können, und Turner schildert durchaus überzeugend, wie die freundliche Naivität ihres Helden Stück für Stück der Erkenntnis weicht, dass Rücksichtslosigkeit bis hin zur Missachtung völkerrechtlicher Vorschriften und nicht zuletzt ein furchteinflößender Ruf sich als Schlüssel zum Erfolg erweisen können. Manch eine moralisch fragwürdige Tat ist dabei wirkungsvoll in Szene gesetzt – wahrscheinlich ist man selten in so großer Versuchung wie hier, einem dreisten Ignorieren diplomatischer Immunität Beifall zu zollen.

Turner erliegt allerdings nicht der Faszination der Skrupellosigkeit und Gewalt: Anders als in vielen anderen zeitgenössischen Fantasyromanen werden Werte als Richtschnur menschlichen Handelns nicht lächerlich gemacht oder für unbedeutend erklärt. Das Ringen darum, sich auch unter ungünstigen Bedingungen wenigstens ein Mindestmaß an Anstand zu bewahren, spielt auch hier wieder eine Rolle, wie überhaupt die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren fein ausgelotet werden. Trotz aller ernsten oder gar tragischen Aspekte bringt einen dabei wieder manch ein gelungener Dialog zum Schmunzeln.

Die Welt, in der Sophos seine Abenteuer erlebt, ist liebevoll ausgestaltet und wartet mit ungewohnten Perspektiven auf. Hat man bisher vor allem das Leben der Eliten an den verschiedenen Königshöfen verfolgt, steht hier in der Anfangsphase der Alltag der Sklaven auf dem Lande im Vordergrund, der mit seinen Hierarchien, Nöten und kleinen Freuden differenziert geschildert wird. Vielleicht spiegelt sich hier Turners erklärte Vorliebe für Rosemary Sutcliffs Werke wider, in denen das Heranreifen eines ursprünglich aus besseren Verhältnissen stammenden jungen Mannes in der Sklaverei (oder zumindest in einer untergeordneten Dienerrolle) ein wiederkehrendes Motiv ist.

Neben dieser möglichen äußeren Inspiration ist A Conspiracy of Kings aber vor allem ein Roman, in dem viele Rückbezüge auf die bisherigen Bände der Reihe zu entdecken sind. Turner führt hier ihre Technik der nachträglichen Umdeutung auf eine buchübergreifende Ebene: Viele scheinbar nebensächliche Einzelheiten aus The Thief erscheinen einem in der Rückschau wie gezielte Vorausverweise auf Entwicklungen, die sich erst hier vollziehen. Handlungsmäßige Parallelen ergeben sich dagegen vor allem zum zweiten Band. Wer sich noch an die Vorgehensweise der Königin von Attolia bei ihrer Thronbesteigung oder an die Intrigen des Meders Nahuseresh erinnert, wird hier viele altvertraute Plotelemente vorfinden, die zwar mit Verve zum Einsatz gebracht werden, aber den Reiz des Neuen ein wenig verloren haben.

Auch insgesamt wirkt Turner diesmal bestrebt, eher von langer Hand Vorbereitetes auszuarbeiten, als große Überraschungen zu bieten. Eine politische Entwicklung, die seit dem ersten Band zumindest als Möglichkeit im Raume stand, tritt tatsächlich ein, und auch manche Veränderung im Beziehungsgeflecht der Hauptpersonen kommt nicht unerwartet. So scheint mit dem Ende des Bandes ein vorläufiger Schlusspunkt erreicht zu sein; eine Fortsetzung müsste sich ein wenig von den mittlerweile ausgetretenen Pfaden wegbewegen, um interessant zu bleiben.

Dennoch ist A Conspiracy of Kings ein solider Teil einer alles in allem überdurchschnittlichen Buchreihe und wird Fans durchdachter, ohne Effekthascherei erzählter Geschichten sicher nicht enttäuschen.

The Crown Conspiracy von Martin J. SullivanAls die Meisterdiebe Royce Melborn und Hadrian Blackwater den Auftrag erhalten, ein magisches Schwert aus der Königsburg zu stehlen, ahnen sie nicht, dass sie nur als Sündenböcke für ein weit schlimmeres Verbrechen missbraucht werden sollen. Der König wird erdolcht, und die am Tatort aufgegriffenen Einbrecher finden sich rasch als vermeintliche Mörder im Kerker wieder. Ein qualvolle Hinrichtung scheint unausweichlich, doch da macht Arista, die Tochter des Ermordeten, den beiden ein unerwartetes Angebot: Sie will ihnen zur Flucht verhelfen, wenn sie im Gegenzug ihren Bruder, den auf seine neue Aufgabe nur schlecht vorbereiteten Thronfolger Alric, entführen …

– By architectural standards, or any other measures, Ballentyne Castle was unremarkable and ordinary in every respect. No great king or hero ever called the castle home. Nor was it the site of any legend, ghost story, or battle. Instead, it was the perfect example of mediocrity and the mundane. –
Chapter 1 – Stolen Letters

Es ist beim besten Willen keine hohe Literatur, was Michael J. Sullivan in The Crown Conspiracy bietet, sondern recht simple Abenteuerfantasy, die bewährten Schemata verhaftet ist und in der man gesunden Menschenverstand bei den Figuren, Realismus oder konsequente Logik oft vergeblich sucht. Dementsprechend wenig überraschend entwickelt sich auch der Plot um das nolens volens in die Machtkämpfe eines kleinen Königreichs hineingezogene Gaunerduo, das in seiner Gegensätzlichkeit ebenso dem Klischee entspricht wie die meisten anderen Charaktere. Unreife Kronprinzen, exzentrische Zauberer, weltfremde Mönche, korrupte Priester, opportunistische bis ritterliche Adlige und Huren mit goldenem Herzen gehören nun einmal zum Standardinventar einer bestimmten Form von Fantasy und werden hier nicht etwa ironisiert, sondern mit der fast naiven Ernsthaftigkeit zum Einsatz gebracht, die dem Genre in den letzten Jahren eigentlich verloren gegangen ist. Der Einfachheit des Inhalts entspricht die fast durchgehend schnörkellose Sprache, die auch Lesern, die sich nur selten an englische Originaltexte wagen, keine großen Schwierigkeiten bereiten dürfte.

Auch der Weltenbau enthält viel Althergebrachtes: Die Helden bewegen sich durch eine wenig originelle Topographie aus Städten, Burgen und Landgebieten mit dem ein oder anderen architektonischen Überbleibsel einer glorreicheren Vergangenheit, die zur Handlungszeit natürlich bereits einem klassischen Pseudomittelalter gewichen ist, in dem eine vage an das Christentum angelehnte, gespaltene Kirche und unterschiedliche politische Parteiungen teilweise auch länderübergreifend um Einfluss ringen. Neben Menschen sind Elfen und Zwerge zu finden, und auch die Magie folgt gewohnten Mustern.

Am Rande sind in dieser erst sehr derivativ anmutenden Kulisse allerdings durchaus interessante Ideen versteckt: So gestaltet sich etwa die Kommunikation mit einem seit Jahrhunderten in einem magischen Gefängnis schmachtenden Zauberer schon aus dem Grunde schwierig, dass er selbst nach Lehrstunden in moderner Sprache immer noch ungefähr so klingt, als würde Yoda sich auf Mittelenglisch zu äußern versuchen, und sich nur zähneknirschend bereiterklärt, an seiner Ausdrucksweise zu arbeiten.

Während dies sich noch vor allem amüsant liest, werden unversehens auch ernstere Themen präsentiert: Die Elfen sind nach langer Unterdrückung und Versklavung durch die Menschen zu einer marginalisierten Randgruppe heruntergekommen, deren besondere Fähigkeiten zwischen Armut und Alkoholmissbrauch kaum noch zur Entfaltung gelangen. Wenn Sullivan an ihrem Beispiel alltäglichen Rassismus schildert, beweist er eine Feinfühligkeit, mit der man zwischen all den munteren Abenteuern und flotten Sprüchen nicht rechnet, die aber auch in manchen anderen Szenen plötzlich aufscheint (etwa im schwierigen Abschied eines schon im Kindesalter ins Kloster gesteckten Mannes von dieser einzigen ihm vertrauten Heimat).

Solche Momente und die spürbare Sympathie des Autors für seine in all ihrer Gewöhnlichkeit doch irgendwie ziemlich liebenswerten Helden ziehen einen fast wider Willen in die Geschichte und sorgen dafür, dass nach dem Ende der Lektüre mehr hängen bleibt, als man es diesem Roman eigentlich zutraut. Abseits hoher Ansprüche und neuer Trends im Genre entfaltet The Crown Conspiracy einen gewissen nostalgischen Charme, der einen über die unleugbaren Schwächen hinwegtröstet und den Roman zur guilty pleasure macht, wobei man guilty vielleicht groß schreiben sollte – doch das hätte ein Buch, das so erkennbar gut gemeint ist, nun auch wieder nicht verdient.

A Dance with Dragons von George R. R. MartinWährend in Westeros ein harter Winter anbricht, setzt sich das Ringen um die Macht fort. Jon Snow ist bestrebt, die offiziell neutrale Nachtwache zwischen den verfeindeten Parteiungen hindurchzulavieren und zugleich eine Allianz gegen die immer bedrohlichere Gefahr aus dem Norden zu schmieden. Daenerys Targaryen muss sich unterdessen mit ihren kaum noch zu bändigenden Drachen und den Tücken der Herrschaft über das fremdartige Meereen auseinandersetzen. Sie ahnt nicht, dass neben mehreren Bewerbern um ihre Hand auch Tyrion Lannister auf der Suche nach ihr ist und dabei eine unglaubliche Entdeckung macht, die alles verändern könnte…

– The night was rank with the smell of man. The warg stopped beneath a tree and sniffed, his grey-brown fur dappled by shadow. A sigh of piney wind brought the man-scent to him, over fainter smells that spoke of fox and hare, seal and stag, even wolf. Those were man-smells too, the warg knew; the stink of old skins, dead and sour, near drowned beneath the stronger scents of smoke and blood and rot. Only man stripped the skins from other beasts and wore their hides and hair. –
(Prologue)

Kaum ein Buch im Fantasygenre dürfte in letzter Zeit so ungeduldig erwartet worden sein wie A Dance with Dragons (Der Sohn des Greifen, Ein Tanz mit Drachen). George R.R. Martin musste sich in den immerhin knapp sechs Jahren seit dem Erscheinen des Vorgängerbands A Feast for Crows (Zeit der Krähen, Die dunkle Königin) aufgrund seines Arbeitstempos einiges an Spott und Kritik gefallen lassen, und die Erwartungen der Fans waren hoch. Ganz unbeeinflusst davon kann keine Einschätzung des vorliegenden Romans bleiben, der in der Tat nicht nur Martins unbestreitbare Stärken ausspielt, sondern auch recht deutlich zeigt, mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hat.

Für Leser, die sich vorwiegend danach gesehnt haben, wieder tief in Martins Welt eintauchen zu dürfen, hat sich die Wartezeit gelohnt. Martin erweist sich einmal mehr als unübertroffener Schilderer eines prallen Settings, das vor Sinnenfreuden und Scheußlichkeiten gleichermaßen überquillt. Der in einem furios eingefangenen Wintereinbruch immer weiter erstarrende Norden und der kriegs- und seuchengeplagte Süden, in dem Vorboten der neuen Jahreszeit nur langsam Fuß fassen, bilden die Kulisse für Ansprechendes wie Abschreckendes, aber auf jeden Fall Bewegendes. Martin schwelgt in Intrigen, Magie, ungehemmter Sexualität, Blutvergießen aller Art (von Gladiatorenkämpfen über Morde und Hinrichtungen bis hin zu Menschenopfern) und immer wieder auch in Tafelfreuden verlockender wie zweifelhafter Natur. Gelegentlich erliegt er dabei wohl vor allem der Faszination des Entsetzlichen: Wenn etwa aus Sicht des fast um den Verstand gefolterten Theon Greyjoy der gnadenlose Sadismus eines Ramsay Bolton breit ausgewalzt wird, lässt sich das nicht mehr allein als ungeschminkte Darstellung der Schattenseiten einer pseudomittelalterlichen Welt abtun, sondern bewegt sich irgendwo zwischen Schockeffekt und schlichter Geschmacklosigkeit.

Selbst wenn man sich von diesen Elementen (und auch von der prononcierten Neigung, insbesondere Frauengestalten in erniedrigenden, sexuell konnotierten Situationen zu präsentieren) abgestoßen fühlt, muss man dem Autor lassen, dass er sein erzählerisches Handwerkszeug nach wie vor blendend beherrscht. Obwohl manche Motive, derer er sich bedient, offensichtliche Entlehnungen bilden (so begegnen einem unter anderem Reminiszenzen an die Apokalypse, Macbeth, El Cid und Lady Godiva), sind sie unbestreitbar wirkungsvoll.

Das alles kann über eines nicht hinwegtäuschen: Die Gesamthandlung kommt kaum voran, und das nicht etwa nur, weil ein Großteil des Romans zeitlich parallel zu A Feast for Crows spielt. Trotz der vordergründigen Ereignisfülle wird auf über 950 Textseiten eigentlich nicht viel erreicht. Gerade wenn man die gemächlichen Fortschritte der Haupthandlung mit dem vergleicht, was etwa ein David Anthony Durham oder ein Daniel Abraham in einem wesentlich kürzeren Band kompakt vermitteln kann, wird man den Verdacht nicht los, dass Martin sich mit seiner überaus szenischen Erzählweise und den Heerscharen von Protagonisten mittlerweile selbst im Wege steht.

Erschwerend kommt hinzu, dass ausgerechnet den für die Gesamthandlung bisher recht zentralen Publikumslieblingen Jon, Daenerys und Tyrion nicht unbedingt die interessantesten Passagen zugeordnet sind. Während Tyrion, Reiseabenteuer hin oder her, vorwiegend damit beschäftigt ist, mit seinem Schicksal und besonders mit seinem immer noch nicht überwundenen Übervater zu hadern, läuft sich der Plot um die Targaryen-Prinzessin in einer eigenartigen Mischung aus schwülstiger Altmännerphantasie und Schilderungen herrscherlicher Inkompetenz tot. Jon Snow darf immerhin ein paar neue Entwicklungen anstoßen, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich – deutlich illustriert durch die Hinrichtungsszene relativ zu Anfang seines Handlungsstrangs – zu einem Abklatsch von Eddard Stark entwickelt und letztendlich auch ähnliche Fehler begeht wie sein tatsächlicher oder vermeintlicher Vater.

Ob es Martin dabei jeweils um die bewusste Gestaltung eines Scheiterns geht, bleibt unklar, doch wenn sich überhaupt ein Thema als verbindender roter Faden anbietet, ist es wohl das menschlichen Versagens und enttäuschter Erwartungen. Kaum eine Hauptfigur erreicht langfristig das, was sie sich vorgenommen hat: Suchen verlaufen ergebnislos, Begegnungen, die den Plot voranbringen könnten, kommen nicht zustande, und viele Fragen bleiben unbeantwortet. Der einzige ganz neue Faktor, der die politische Gesamtkonstellation deutlich verändert, wirkt wie aus dem Hut gezaubert: Eine seit Beginn der Serie für tot gehaltene Person ist wundersamerweise doch noch am Leben und bereit, im Kampf um die Königsmacht mitzumischen.

Abgesehen von dieser einen überraschenden Entwicklung scheint es so, als wolle Martin sich für die Folgebände alle Optionen offen halten und manch eine Entscheidung lieber noch aufschieben. Was also bleibt am Ende? Kein schlechtes Buch, aber auch kein rundum gelungenes. A Dance with Dragons ist ein Zwischengang, der durchaus den Appetit auf mehr wachhalten kann, aber nicht der entscheidende Schritt nach vorn, den A Song of Ice and Fire (Das Lied von Eis und Feuer) an dieser Stelle so dringend gebraucht hätte.

The Drawing of the Dark von Tim PowersKurz vor der Belagerung Wiens durch die Türken 1529 begegnet der Söldner Brian Duffy in Venedig dem geheimnisvollen Aurelianus. Scheinbar spontan wirbt der alte Mann ihn als Türsteher für sein Gasthaus mit angeschlossener Brauerei in Wien an. Duffys Erinnerungen an die Stadt sind nicht die glücklichsten, doch schon bald muss er erkennen, dass er größere Sorgen hat, als seiner gescheiterten Liebesbeziehung zu der Malerstochter Epiphany nachzutrauern: Auf seiner Reise über die Alpen häufen sich übernatürliche Vorfälle, und in Wien geht Seltsames vor. Auch mit Duffy selbst hat es mehr auf sich, als er wahrhaben möchte, doch davon, ob und wie er die ihm zugedachte Rolle übernimmt, hängt der Fortbestand des Abendlandes ab …

-With almost ludicrous care the old man carried the pitcher of beer across the sunlit room toward the still older man who reclined propped up in a bed by the window. A smear of dried mud was caked on the foot of the bed. –
Prologue

Es ist ein wenig schade, dass Tim Powers’ Roman nie eine Übersetzung ins Deutsche erfahren hat, zugleich aber auch verständlich: Der Konflikt zwischen Europäern und Osmanischem Reich wird hier nicht in seiner historischen Dimension thematisiert, sondern als mystisch überhöhtes und letztlich unentrinnbares ewiges Ringen zwischen westlicher und östlicher Welt geschildert. Wie problematisch diese Sichtweise in einem Land wirken kann, in dem das Zusammenleben mit türkischen Einwanderern ohnehin Konfliktpotential birgt, muss wohl nicht näher erläutert werden (zumal nach dem Ende des zur Entstehungszeit des Buchs noch andauernden Kalten Kriegs die Ausdeutung auf eine ganz andere Form von Ost-West-Konflikt hin wegfällt).

Ist man allerdings bereit, sich auf die Prämisse einzulassen, wird man mit einem durchaus unterhaltsamen Roman belohnt, der mit leichter Hand eine Fülle von historischem, literarischem und kulturellem Wissen zu einer originellen Aufbereitung der Artussage verknüpft. Die schwungvolle Handlung, die mit nichtendenwollenden Abenteuern und allerlei tragikomischen Begebenheiten aufwartet, und die bunte Renaissancekulisse lassen einen fast vergessen, dass unter dieser Oberfläche durchaus tiefgründige Themen angerissen werden. Dabei hat so manches Detail, dessen Ursprung man zunächst in schierer Fabulierfreude zu suchen geneigt ist – etwa die dem Bier zugeschriebene Zaubermacht –, tatsächlich eine Basis in alteuropäischen Mythen und Vorstellungswelten. Das ein oder andere erscheint einem dabei vielleicht zu gewollt kombiniert, aber dennoch bleibt insgesamt der Eindruck bestehen, dass Powers seine Materie beherrscht und zu vermitteln weiß.

Neben dem Kenntnisreichtum des Autors beeindruckt vor allem sein Talent, selbst scheinbar Abstruses plausibel zu machen. Wenn etwa ein Wikingerschiff im Wien des 16. Jahrhunderts auftaucht, hat einen die Geschichte schon so fest gepackt, dass man sich gern durch alle Unglaublichkeiten weiter mitziehen lässt.
Dabei hilft es sicher, dass der Protagonist – ein alternder, alles andere als heldenhafter Berufssoldat mit recht kleinbürgerlichen Lebensträumen und eher geringer Eignung zur Messiasgestalt – bisweilen genauso fassungslos wie der Leser vor seinen schier unglaublichen Erlebnissen steht und doch immer wieder einen Weg findet, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Heroisches und Allzumenschliches liegen das ganze Buch hindurch ebenso nah beieinander wie Tragik und Humor.

Dank der ironischen Brechung, die manches Motiv erfährt, wirkt der mittlerweile schon über 30 Jahre alte Roman erstaunlich modern. Powers’ flüssige, klare Sprache hat sich ebenfalls gut gehalten und dürfte auch Gelegenheitslesern englischer Texte keine zu großen Schwierigkeiten bereiten. Alles in allem: Ein Roman, der gefällige Lektüre bietet, ohne in Anspruchslosigkeit abzugleiten.

The Elves and the Otterskin von Elizabeth H. BoyerEher aus Unbedarftheit als aus bösem Willen töten einige unfähige Elfenspione im Zwergenreich einen Fischotter, mit dem es mehr auf sich hat als auf den ersten Blick zu erkennen. Wenn sie das Wergeld, das der Zwergenkönig von ihnen fordert, nicht binnen kürzester Frist auftreiben, droht ein Krieg zwischen Zwergen und Elfen, und genau darauf baut der intrigante Nekromant Lorimer, der gern selbst die Macht im Zwergenreich übernehmen würde. Den Elfen bleibt nur die Hoffnung, rasch den Schatz des Drachen Fafnir an sich zu bringen. Doch Fafnir kann nur mit einem magischen Schwert erschlagen werden, und als dessen neuer Träger ist ausgerechnet der wenig heldenhafte Zauberlehrling Ivarr ausersehen …

– Second sons of poor fishermen always got the short shrift, Ivarr reflected darkly as the old cart rattled and jerked along. The horse pulling it was much older than he was, and the cart itself was certainly from the first landing on Skarpsey long ago. Ivarr glanced sideways at the owner of these relics and summed her up as the oldest and most sinister-looking woman he had ever seen – even barring the fact that she was the famous witch of Hvitafell. –
Chapter One

Ein Held wider Willen, der zusammen mit einem Zauberer und einem Trupp nur bedingt abenteuertauglicher Angehöriger eines Fantasyvolks auszieht, um einem Drachen einen Schatz abzujagen, an dem auch Dritte viel Interesse haben? Für passionierte Fantasyleser ist es sicher gar keine Frage, von welchem Buch da die Rede ist, und obwohl man ohne viel Mühe auch noch gewisse Parallelen zu Gollum oder Gandalfs Kampf mit dem Balrog aufspüren kann, greift der Vergleich mit Tolkien zu kurz, um The Elves and the Otterskin zu beschreiben.

Was Boyer bietet, ist vielmehr eine ganz eigene Mischung aus einer augenscheinlich auf fundierten Kenntnissen basierenden Interpretation altnordischer Mythologie und Slapstickhumor, der nicht selten an Klamauk grenzt. Dabei hätten die einzelnen Elemente, die in den Roman Eingang finden, durchaus reichlich Gelegenheit geboten, sich in Dramatik und Düsternis zu ergehen: Der Schurke Lorimer ist wortwörtlich eine wandelnde Moorleiche und hält sich den wiederbelebten Kopf eines toten Gegners als Ratgeber, Mord, Totschlag und Verzauberung sind allgegenwärtig, und der eindrucksvoll geschilderte Handlungsort Skarpsey erinnert mit seinen dünn besiedelten Gebirgen und Lavafeldern an ein phantastisches Island, das auch als Kulisse für eine weniger heitere Geschichte getaugt hätte.

In gewissem Maße ist es erfrischend, solche sonst oft ganz anders verwendeten Zutaten jeglichen Pathos’ entkleidet zu sehen, und besonders, wenn man einige Vorkenntnisse der Sagen, die Boyer verarbeitet hat, mitbringt, kann man sich sehr darüber amüsieren, was hier etwa aus Andvari und seinem Fluch, Ottar, Regin und Fafnir oder sogar dem Konzept der Fylgja wird. Auch die titelgebenden Elfen selbst bieten (mit Ausnahme des enigmatischen Eilifir) nicht gerade das, was man aus Mythologie und Fantasy von ihnen zu erwarten gewohnt ist, sondern glänzen über weite Strecken vor allem durch Inkompetenz und Streitigkeiten untereinander.

Doch dieser Humor ist ein zweischneidiges Schwert, und das nicht nur, weil er manchmal etwas zu bemüht wirkt – er untergräbt auch, und das wohl größtenteils unfreiwillig, die Wirksamkeit derjenigen literarischen Motive, die im Rahmen der Handlung ihren ganz klassischen Zweck erfüllen sollen, wie etwa das des Drachenkampfs. Gerade hier drängt sich der Vergleich zum Hobbit dann doch wieder auf, denn während es Tolkien trotz aller zum Schmunzeln anregenden Momente gelingt, Smaug glaubhaft als bedrohlich zu schildern, kann man Boyers altersschwachen Fafnir beim besten Willen nicht ganz ernstnehmen (und wenn man es doch tut, packt einen vor allem das Mitleid).

Als rite de passage für Ivarr und seine Kumpane taugen die durch den Kakao gezogenen Ereignisse allenfalls bedingt, so dass es einem schwerfällt, die durchaus ein gewisses Heranreifen umfassende Charakterentwicklung der Protagonisten und den bist zuletzt überwiegend farcehaften Plot miteinander in Einklang zu bringen. Doch obwohl die Mischung aus konventioneller Queste und Veralberung somit keine auf allen Ebenen befriedigende Auflösung erfährt, bildet sie streckenweise eine vergnügliche Lektüre, die an ihren besten Stellen beweist, wie frei und fabulierfreudig ein mit seinen Inspirationsquellen gut vertrauter Autor scheinbar Altbekanntes umdeuten kann, in anderen Szenen aber wiederum die möglichen Tücken eines solchen Vorgehens erkennen lässt.

The Emerald Storm von Michael J. SullivanKönig Alric wird ein Brief zugespielt, aus dem hervorgeht, dass für den Kriegserfolg des feindlichen Kaiserreichs die geheime Mission des Schiffs Emerald Storm von entscheidender Bedeutung ist. Obwohl Royce, dessen Hochzeit unmittelbar bevorsteht, und der mit einer privaten Queste beschäftigte Hadrian eigentlich andere Pläne haben, lassen sie sich breitschlagen, die Fahrt als Seeleute getarnt mitzumachen, um mehr herauszufinden. Doch diesmal hat Royces Erzfeind Merrick Marius die Hand im Spiel, und das droht nicht nur den beiden Gaunern zum Verhängnis zu werden, sondern auch Prinzessin Arista zu gefährden, die mittlerweile auf eigene Faust nach dem gefangenen Rebellen Degan Gaunt sucht …

– “Why does this always happen?“ Royce asked. “Why are we always hanging on a wall waiting to die by slow vivisection? I just want to point out that this was your idea – again.“ –
(Chapter 25 – Invasion)

The Emerald Storm ist in mehrerlei Hinsicht der bisher schwächste Roman der Riyria Revelations.  Zum Teil hängt das sicher damit zusammen, dass Michael J. Sullivan an dieser Stelle in der übergreifenden Geschichte schon zu weit vorangekommen ist, um sie noch sinnvoll mit seinem eigentlich angestrebten Konzept der in sich abgeschlossenen Einzelepisode verbinden zu können: Er muss sein Figurenensemble erkennbar für die beiden abschließenden Bände der Serie in Stellung bringen und immerhin einige der bisher aufgeworfenen Sachfragen klären.

Die Konzentration darauf geht zulasten der Handlung. Der Paukenschlag, mit dem sie einsetzt, als gleich im ersten Kapitel eine zentrale Gestalt einem Attentat zum Opfer fällt, täuscht: Was folgt, ist streckenweise nichts als eine mehr oder minder übersteigerte Wiederholung von Elementen der vergangenen Bände. Besonders Aristas Erlebnisse – ein riskanter Alleingang, das Hineinwachsen in die eigenen magischen Fähigkeiten und eine tragisch endende Beziehung zu einem nicht standesgemäßen Mann – wärmen fast exakt das wieder auf, was schon in Nyphron Rising geschildert wurde. Doch auch Hadrian und Royce ergeht es kaum besser. Zwar ist ihr Handlungsstrang auf den ersten Blick komplexer aufgebaut, doch im Grunde wiederholt sich auch hier ein vertrautes Schema.

Wie zum Ausgleich für das, was das Grundgerüst des Plots nicht bieten kann, zwängt Sullivan eine Überfülle von Einzelabenteuern häufig exotischer Prägung in diesen einen Band. Von einem Seegefecht über eine Dschungelexpedition und Begegnungen mit klischeebefrachteten Eingeborenen (die zu allem Elend auch noch mit ausgeschriebenem Akzent sprechen) bis hin zu einem aufgezwungenen Gladiatorenkampf ist wirklich für jeden Geschmack etwas dabei.

In der Summe ist das etwas zu viel des Guten. Gerade die Szenen auf dem titelgebenden Schiff wirken wie ein Fremdkörper in dem vagen Pseudomittelalter, das Royce und Hadrian gewöhnlich durchstreifen. Sullivan schildert Schiffstypen, Kommandostrukturen und Segelmanöver, die eher im 18. bis 19. Jahrhundert zu verorten wären, und wenn auch in einer Fantasywelt per definitionem keine echten Anachronismen möglich sind, werden doch die falschen Assoziationen wachgerufen. Dass Sullivan diesen unvereinbaren Kontrast beabsichtigt hat, ist kaum anzunehmen, und es bleibt ein unfreiwillig merkwürdiges Leseerlebnis, wenn die seekranken Helden sich in eine Mannschaft in bester Age-of-Sail-Tradition einzufügen versuchen, während unter Deck eine Mischung aus Tempelritter und Inquisitor Folter- und Mordgelüste an gefangenen Elfen auslebt.

Das amüsante bis anrührende Zusammenspiel der beiden Protagonisten funktioniert allerdings immer noch, und spätestens, als ein sehr heterogener Trupp von der Emerald Storm in den Dschungel aufbricht, gelingt es Sullivan auch, eine durchaus interessante Gruppendynamik herzustellen. Über einen Mangel an Action kann man sich ebenfalls nicht beklagen, und so ist das Buch insgesamt nicht ohne Unterhaltungswert – nur eben ganz gewiss nicht mehr als die Summe seiner Teile.

L'épée maudite von Olivier MerleDer junge Malven wächst in der Bretagne des 5. Jahrhunderts als Enkel eines mächtigen Burgherrn behütet, aber immer etwas im Schatten seines Großvaters Thorwarzec auf, dessen Ruhm als Krieger alles, was die nachfolgenden Generationen der Familie leisten können, weit überstrahlt. Als eines Tages Thorwarzecs Schwert spurlos verschwindet, wird Malven auf die Suche danach geschickt. Zunächst kommt ihm seine Queste sinnlos  vor, doch verstörende Visionen und eigenartige Begegnungen lassen ihn bald erkennen, dass es um mehr geht als um die Rückgewinnung einer alten Waffe …

La pluie tombait si durement et le vent soufflait si fort, que Malven se courbaeit sur l’encolure de son cheval, dont les sabots commençaient à glisser dans la boue. Le chemin était étroit, bordé par deux haies de genêts qui s’agitaient furieusement, se touchaeient et s’écartaient sous les rafales.
1 – Malven

Man darf nicht mit der Erwartung an Olivier Merles L’épée maudite herangehen, darin einen großen Roman nach dem Vorbild seines Vaters Robert Merle zu finden. Während der jüngere Merle mittlerweile auch Bücher für ein erwachsenes Publikum verfasst hat (und dabei mit  L’Avers et le Revers sogar direkt an das Schaffen seines Vaters anknüpft), handelt es sich bei seinem Erstlingswerk um eine kleine, feine Erzählung für junge Leser, die als reines Kinderbuch unterbewertet wäre, da eine durchaus für jedes Alter interessante Thematik ausgelotet wird.

Die augenfälligste Stärke des Buchs ist aber zunächst einmal sein Setting. Von der recht genauen historischen Verortung darf man sich nicht täuschen lassen, denn obwohl der ereignisgeschichtliche Kontext des 5. Jahrhunderts, in dem Inselkelten auf der Flucht vor den Angelsachsen in die Bretagne übersiedeln, durchaus handlungsrelevant wird, fühlt man sich eigentlich nicht in die reale Epoche der Völkerwanderung versetzt, sondern eher in eine zeitlose keltische Zauberwelt, wie sie sonst z.B. in der Artusepik begegnet. Merle beschwört sie in Bildern voll schlichter Schönheit herauf, die wohl gerade aufgrund ihrer im wahrsten Sinne des Wortes sagenhaften Einfachheit so überzeugend sind, wie etwa, wenn ein Apfel als bedeutsames Geschenk dient oder eine ganz klassische „weiße Frau“ erscheint.

Auch die erzählte Geschichte kommt auf den ersten Blick unkompliziert und unprätentiös daher: Mehr als eine lineare Queste auf der Suche nach dem titelgebenden „verfluchten Schwert“, die den Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenleben markiert, wird vordergründig nicht erzählt. Tiefgreifender sind hingegen die Implikationen dessen, was Malven unterwegs herausfindet, denn es erweist sich als zentrale Frage dieses Reifungsprozesses, wie man mit der Vergangenheit der eigenen Familie umgehen will, wenn lebenslange emotionale Bindungen und moralisch richtiges Handeln einander widersprechen. Vielleicht der jugendlichen Zielgruppe des Romans geschuldet sind die Konsequenzen dieser Entscheidung letzten Endes zumindest in Teilen etwas glimpflicher  als zunächst befürchtet, doch erspart bleiben sie Malven nicht.

Diese spezielle Stoßrichtung der Selbstfindung ist dabei weniger aus sich selbst heraus als im Vergleich mit typischen Mustern der Fantasyliteratur interessant, zeigt sie doch, worin bei diesen vielleicht zuweilen der wahre Eskapismus besteht: Malven verliert weder durch äußere Einwirkung seine Familie, noch findet er in der blinden Identifikation mit seiner Abstammung seinen Weg, sondern er muss sich noch auf dem Höhepunkt seines Abenteuers wohl oder übel mit der alles andere als idealen Verwandtschaft, die er nun einmal hat, auseinandersetzen.

So besteht der Wert der Erzählung letztlich nicht allein darin, dass sie eine recht nette (wenn auch für einen Erwachsenen rasch verschlungene) Lektüre bildet, sondern auch und vor allem in der Tatsache, dass sie nachdenklich macht und einen anregt, altvertraute Erzählkonventionen und ihre womöglich nicht immer unproblematischen Untertöne einmal zu hinterfragen.

The Fall of Arthur von J.R.R. TolkienChristopher Tolkien präsentiert und analysiert ein episches Gedichtfragment seines Vaters und ordnet es nicht nur in dessen Schaffen, sondern auch in die Tradition der Artusepik allgemein ein: Auf einem Feldzug fern der Heimat erfahren König Artus und sein loyaler Ritter Gawain, dass Mordred verräterisch die Macht an sich gerissen und es zudem auf Königin Guinever abgesehen hat. Beim Aufbruch zur Rückeroberung wird deutlich, dass ein wichtiger Gefolgsmann fehlt: Lancelot, der zur Strafe für sein Verhältnis mit der Königin vom Hofe verbannt worden ist und insgeheim auf die Gelegenheit hofft, sich noch einmal zu beweisen  …

Arthur eastward in arms purposed
his war to wage on the wild marches,
over seas sailing to Saxon lands,
from the Roman realm ruin defending.
(The Fall of Arthur, I, 1-4)

Ein episches Gedicht von Tolkien über einen Sagenstoff? Das Konzept kommt einem bekannt vor, und in der Tat handelt es sich bei The Fall of Arthur um ein ganz ähnliches Projekt wie bei The Legend of Sigurd and Gudrún: Wieder stellt Christopher Tolkien ein nach mittelalterlichem Vorbild geschaffenes Werk seines Vaters vor und liefert eine ausführliche Einordnung der Dichtung in Tolkiens Schaffen. Doch gerade im Vergleich zu der älteren Veröffentlichung erweist sich The Fall of Arthur als ein wenig unbefriedigend. Da Tolkiens Fassung der Artussage unvollendet blieb, erlauben Text und Kommentarteil vor allem einen Blick auf das, was hätte sein können, bilden aber kein so rundes und in sich abgeschlossenes Ganzes, wie man sich wünschen könnte.
Der Primärtext selbst wirkt, wenn man eher mit der kontinentaleuropäischen Artustradition vertraut ist, trotz aller unbestreitbaren Qualitäten weniger harmonisch als die altnordisch inspirierten Gedichte, da Form und Inhalt aus zwei verschiedenen Welten zu stammen scheinen. Die archaischen Stabreime bilden einen ungewohnten Rahmen für den Stoff, der letztlich erst im Hochmittelalter seine klassische Prägung erfahren hat, obwohl es, wie Christopher Tolkien in seinen Erläuterungen auszuführen weiß, für die auf den ersten Blick so sonderbare Kombination durchaus englische Vorbilder im 14. Jahrhundert gibt. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, inwieweit Tolkien sprachlich dennoch Anpassungen an die höfische Epoche vornimmt: So verwendet er hier etwa häufiger als sonst in seinen Werken gezielt Begriffe französischen Ursprungs (z.B. Almain für „Deutschland“ oder die Namensform Lancelot du Lake).
Anderes dagegen ist schon aus den Wälsungengedichten vertraut und durchaus tolkientypisch, so etwa der breite Raum, den poetische Landschafts-, Wetter- und Stimmungsbeschreibungen einnehmen, die eine dramatische Handlung untermalen. Auf diesem Gebiet erweist sich Tolkien wieder einmal als Magier der Sprache, dessen Meisterschaft bereits aus den im Analyseteil wiedergegebenen Prosanotizen spricht. Schon bloße Skizzen des Handlungsverlaufs enthalten dort lyrische Passagen wie Wind blew fair from the south and the sea lay green beneath the white cliffs oder The storm fell. The sun shone forth and his heart lifted. Dieser Formulierungskunst, die sich in einzelnen Versen zu einer noch größeren Sprachgewalt verdichtet, kann man sich schwer entziehen, und so lässt man sich gern in die Geschichte voll Krieg und Intrigen mitreißen, die aber leider unmittelbar nach der mit einer ersten Schlacht erkämpften Landung des Königs in Britannien abbricht. Die Figuren sind so zwar alle in Stellung gebracht – Mordred als erfolgreicher Usurpator, aber zugleich als verhinderter Liebhaber der geflohenen Königin, Artus und Gawain auf Rückeroberungszug, Lancelot fern vom Geschehen in der unhaltbaren Position, sowohl seine Geliebte als auch seinen Herrn und seine Ritterehre eingebüßt zu haben –, doch was sich aus dieser packenden Ausgangssituation hätte ergeben können, muss man aus Tolkiens Notizen oder eigener Kenntnis der zugrundeliegenden Sage ergänzen.
Auch das, was Christopher Tolkien interpretatorisch daraus macht, fällt diesmal notwendigerweise etwas mager aus. Die Betrachtungen zu den Quellen von Inhalt und Stil sind zwar kenntnisreich und umfassend, aber wahrscheinlich eher für Experten spannend als für eine breite Leserschaft. Dies gilt auch für den vom älteren Tolkien stammenden Text über altenglische Stabreimdichtung allgemein, der wieder einmal von seiner feinfühligen Auseinandersetzung mit Sprache zeugt: Von seinen Überlegungen dazu, dass bildliche Wendungen immer auch an eine bestimmte Lebenswelt geknüpft sind und in gewandelten Verhältnissen nur noch eine abgeschwächte Wirkung entfalten, könnte manch ein Autor profitieren.
Dagegen ist die minutiöse Analyse der Genese des Gedichts selbst für ein Fachpublikum nicht allzu ergiebig, besonders, da dem eigentlich faszinierendsten Ansatzpunkt – Tolkiens Abweichen von seinen Vorbildern hin zu einer eigenen Interpretation der Sage – weit weniger Raum gewidmet wird als der Auflistung aller möglichen frühen Versionen. Der für Fantasyfans eigentlich nicht unwichtige Vergleich zum Silmarillion schließlich krankt daran, dass Christopher Tolkien die hauptsächlichen Parallelen in den Teilen des Gedichts erblickt, die nie über ein Entwurfsstadium hinausgelangt sind (vor allem in Tolkiens Plan, Lancelot dem entrückten Artus in einen fernen Westen nachsegeln zu lassen), statt mehr Material aus den tatsächlich vollendeten Strophen heranzuziehen. Dabei hätten sich durchaus Verbindungen zum Silmarillion und zum Herrn der Ringe aufzeigen lassen, vor allem, was den fast exzessiven Gebrauch einer (hier stark christlich konnotierten) Lichtmetaphorik betrifft.
Aber vielleicht tut man ohnehin am besten daran, The Fall of Arthur nicht so sehr als Teil von Tolkiens Gesamtwerk wie als originelle und durchaus etwas gegen den Strich gebürstete Gestaltung des Artusstoffs zu lesen, die sogar den ein oder anderen historischen Insiderwitz enthält (so dürfte es z.B. kein Zufall sein, dass ein überzeugt heidnischer Friese, der Mordred eine Botschaft überbringt, ausgerechnet Radbod heißt). Gerade die Figurenzeichnung weicht teilweise von der mittelalterlichen Tradition ab, etwa wenn Gawain (den man gemeinhin als eher weltlich geprägten Ritter vor Augen hat) hier durchaus auch spirituell aufgeladen zur wahren Lichtgestalt gerät: Gold was Gawain, gold as sunlight. Auffällig ist aber vor allem Tolkiens Blick auf Königin Guinever, die er weder als vorbildliche höfische Dame, noch als tragische Liebende, noch als reuige Büßerin zeichnet. Guinever erscheint vielmehr als Frau voll andersweltlicher Schönheit und kalter Berechnung, die alles andere als passiv agiert und aus dem Ringen der verschiedensten Männer um sie und die Herrschaft das Beste zu machen gedenkt. Von ihr hätte man gern mehr gelesen, ebenso von dem gebrochenen Lancelot, der sich durch seine Liebe zu der ihrer im Grunde unwürdigen Königin ins soziale Abseits manövriert hat.
So hat man am Ende viel Verständnis dafür, dass Christopher Tolkien die Tatsache, dass sein Vater The Fall of Arthur nie vollendete, als one of the most grievous of his many abandonments charakterisiert. Was bleibt ist die leicht wehmütige Freude an einem hübschen Fragment.

Die Fernen Lande von David Anthony DurhamAuf den Krieg gegen die Mein sind einige Jahre des friedlichen Wiederaufbaus gefolgt, doch nun brechen für die Geschwister Akaran erneut turbulente Zeiten an: Soziale Unruhen bedrohen den Zusammenhalt des Reichs, das zudem von Dürreperioden und rätselhaften, magisch veränderten Kreaturen heimgesucht wird. Die Fernen Lande, in die seit Jahren Kindersklaven aus Acacia verkauft werden, sind da noch die geringste Sorge der Herrscherfamilie. Doch als sich dem jüngsten Bruder, Dariel, überraschend die Möglichkeit bietet, eine Reise dorthin zu unternehmen, erweist sich, dass die Entwicklungen jenseits des Meeres für Acacia weit bedrohlicher werden könnten als alle inneren Wirren …

– Als der Balbara-Wächter seinen Warnschrei ausstieß, sprang Prinzessin Mena Akaran augenblicklich von ihrem Feldstuhl auf. Eilig verließ sie den Kreis, in dem sie mit ihren Offizieren gesessen hatte, und rannte zum Grat hinauf. Oben angekommen trat sie zu dem scharfäugigen jungen Mann, spähte seinen schlanken, braunen Arm entlang und über seinen deutenden Finger hinaus auf die karge Weite im Zentrum von Talay. Es dauerte einen Moment, bis sie erblickte, was er ausgemacht hatte. –
(Kapitel 1)

Der zweite Roman aus David Anthony Durhams Reihe Acacia ist ein würdiger Nachfolger des ersten Bandes Macht und Verrat (The War With the Mein), lässt sich aber zunächst recht gemächlich an. Die ersten hundert Seiten benötigt der Autor, um seine Figuren in Position zu bringen, doch dann gewinnt der Reigen aus Machtspielen und tödlichen Gefahren deutlich an Schwung. Positiv fällt auf, dass Die Fernen Lande (The Other Lands) kein inhaltsleerer Übergangsband ist, sondern die Geschichte tatsächlich voranbringt. So wird etwa die zu Beginn der Serie aufgeworfene Frage nach dem Schicksal der in die Fremde geschickten Kindersklaven beantwortet, das sich als noch verstörender erweist, als man hätte vermuten können, und es ergeben sich neue politische Konstellationen.

Ein wenig tappt Durham dabei in die Falle, ein bewährtes bedrohliches Element in gesteigerter Form wiederaufzuwärmen. Ohnehin wird die lenkende Hand des Autors an manchen Stellen sichtbarer, als es nötig wäre: Die Abenteuer, denen sich die Akarans stellen müssen, wirken ein bisschen zu sehr auf ihre jeweiligen Begabungen zugeschnitten, und die Häufung günstiger Zufälle, die es dem neu eingeführten Unsympathen Delivegu gestattet, immer genau das herauszufinden, was er erfahren muss, um den Plot voranzubringen, überschreitet irgendwann ein realistisches Maß.

Dafür entschädigen einen jedoch überzeugendere Handlungsstränge (wie etwa die in ihrer Schlichtheit anrührende Queste des Kriegers Kelis) und die weiterhin sehr differenzierte, eindringliche Charakterisierung der einzelnen Personen, allen voran der glaubhaft ambivalenten Corinn.

Wie schon im ersten Band wagt Durham sich an durchaus tiefgründige philosophische Fragestellungen, darunter auch an ein Thema, das sonst in der Fantasy kaum jemals auf so breiter Front erörtert wird: Die Elternschaft. Ob sich eine Herrscherin zur Fruchtbarkeit spendenden Landesmutter stilisiert oder das Verhältnis verschiedenster Figuren zu ihren leiblichen oder angenommenen Kindern beleuchtet wird, ob Nachkommen in ihrer Rolle als Erben und Hoffnungsträger erscheinen, als Geiseln dienen oder gar ihr Verlust zu beklagen ist, ob schließlich Kinderlosigkeit bewusst gewählt oder als Fluch empfunden wird – kaum eine zentrale Gestalt kommt umhin, sich in irgendeiner Form mit ihrer (potentiellen) Elternrolle auseinanderzusetzen.

Subtiler, aber nicht weniger allgegenwärtig, scheint in all den Intrigen, Kämpfen und Sinnsuchen immer wieder der Bereich menschlicher Selbsteinschätzung auf, konfrontiert und bisweilen kontrastiert mit der nach außen hin betriebenen Selbstdarstellung. Von völliger Hybris (mit teilweise dramatischen Konsequenzen) bis hin zur aufrichtigen Bereitschaft, sich vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse selbst infrage zu stellen, sind so gut wie alle Spielarten vertreten. Anders als auf der reinen Handlungsebene macht Durham es sich und seinen Charakteren dabei nicht leicht. So bleibt man als Leser nicht nur aufgrund des ebenso offenen wie überraschenden Endes nachdenklich und mit mehr Fragen als Antworten zurück.

Dem alles in allem überdurchschnittlichen Roman wäre eine adäquate sprachliche Umsetzung zu wünschen gewesen. In die Übersetzung haben sich aber leider zahlreiche Tipp- und Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen, besonders bei Eigennamen (ob eine Figur nun „Paddel“ oder „Baddel“ heißt, ist mir z.B. bis zum Schluss nicht ganz klar geworden – beide Varianten sind vielfach vertreten). Daneben finden sich manche Formulierungen, die in ihrer engen Anlehnung ans Englische im Deutschen umständlich oder ungebräuchlich wirken (so etwa die Aufforderung Lasst eure Schwerter!). Das ist man von dem sonst so versierten Tim Straetmann eigentlich nicht gewohnt, und so kann man nur annehmen, dass es bei Redaktion und Korrektur des Texts zu Pannen gekommen ist. Schade!

Flammenwüste von Akram El-BahayDas Sultanat Nabija macht schwere Zeiten durch: Nicht genug damit, dass der finstere Sarraka die Beduinen zur Rebellion aufstachelt, seit kurzem häufen sich auch noch Berichte über Drachenangriffe. Dem jungen Anûr und seinem Großvater Nûr ist das nur recht, finden sie jetzt doch als Geschichtenerzähler ein dankbares Publikum für die alten Drachensagen. Als sogar der Sultan Nûr zu sich bestellen will, gibt der unternehmungslustige Anûr sich spontan selbst für den berühmten Erzähler aus und ahnt nicht, was er sich damit einhandelt: Bald findet er sich an der Seite des Prinzen Masul auf Drachenjagd wieder und muss erkennen, dass in der Wüste noch ganz andere Gefahren lauern …

“Die Flammen loderten auf, als der Kaffeemeister das langstielige Mokkakännchen von der Feuerstelle nahm. Rasch füllte er die tiefschwarze Flüssigkeit in eine kleine Tasse und bahnte sich mit ihr seinen Weg durch die dichte Menschenmenge, die sich im hinteren Teil des Kaffeehauses versammelt hatte.”
(1. Eine folgenschwere Entscheidung)

Flammenwüste – dem relativ offenen Ende nach zu urteilen wohl als Auftakt zu einer Reihe gedacht – ist ein charmanter All-Age-Roman, der mit sympathischen Helden und einer ansprechenden orientalischen Kulisse angenehme Unterhaltung bietet und der altvertrauten Handlung um den jugendlichen Auserwählten, der in eine gefährliche Queste hineinstolpert, neues Leben einhaucht. Dass es hier und da ein paar kleine sprachliche Unebenheiten gibt (z.B. häufig “scheinbar” statt “anscheinend”), verzeiht man deshalb gern.
Der märchenhafte Orient, in den Akram El-Bahay einen entführt, erinnert an die Welt von Tausendundeiner Nacht und bezaubert einen von der ersten Seite an durch seine liebevolle Ausarbeitung, die den Streifzug durch Souk und Kaffeehaus, Sultanspalast und Oasen auch unabhängig vom Plot sehr vergnüglich macht. Wann immer die Helden sich zum Essen niederlassen, werden die Gaumenfreuden so greifbar heraufbeschworen, dass man als Leser Gefahr läuft, selbst Appetit zu bekommen, und den mehrfach eingeflochtenen Geschichten in der Geschichte würde man selbst gern am Lagerfeuer oder in einem üppigen Garten voller Jasminblüten lauschen.
Klug ausgenutzt ist vor allem der Kontrast zwischen der städtisch geprägten Zivilisation und der wilden Wüste, in der nicht nur bedrohliche Naturphänomene (wie etwa Sandstürme) auf die Reisenden warten, sondern neben Dschinnen, Ifriten und nach dem Prinzip Ameisenlöwe unter dem Treibsand auf menschliche Beute lauernden Ghoulas auch aus Ängsten erschaffene Schattenwesen ihre Heimstatt haben. Auch die entlegenen Wüstenstädte, in die Anûrs Weg führt, warten mit vielen netten Details auf. Besonders die Bibliothek der ungeschriebenen Bücher, in der magisch jedes Buch Gestalt annimmt, das jemand zu schreiben gedenkt, aber noch nicht geschrieben hat, ist eine reizvolle Idee, die zudem das Gewissen jedes Lesers beruhigen dürfte, der selbst literarische Ambitionen hegt, aber nicht allzu diszipliniert bei der Sache ist.
Ohnehin gibt es zwischen allen Abenteuern immer wieder viel Anlass zum Schmunzeln, da Anûr und die Gefährten, die er im Laufe der Zeit gewinnt, ein lustiges Gespann bilden und auch manche Gegenstände, allen voran ein ebenso nützlicher wie unberechenbarer fliegender Teppich, so etwas wie rudimentäre Charakterzüge entwickeln. Auch eine Liebesgeschichte für Anûr darf natürlich nicht fehlen, und wie er sich, ganz schüchterner Teenager, der oft herrlich pragmatisch handelnden und wenig von übertrieben romantischen Vorstellungen belasteten Botin Shalia annähert, ist ebenfalls recht amüsant erzählt.
Ernster ist dagegen der zweite Handlungsstrang um den Thronfolger Masul aufgebaut, der den alten Erzählungen über Drachen und Magie zunächst äußerst skeptisch gegenübersteht, aber bald erkennen muss, dass doch mehr Wahrheit darin steckt, als er sich je hätte träumen lassen. In seinen Interaktionen mit dem Finsterling Sarraka gewinnt dieser erstaunlich viel Kontur für einen Fantasyschurken, so dass man sich bald schon auf seine Auftritte freut.
Differenziert gezeichnet sind auch die Drachen selbst, deren Verhältnis zu Menschen bzw. menschenähnlichen Wesen zahlreiche Facetten aufweist, so dass ihre Rolle sich weder auf die des todbringenden Ungeheuers noch auf die des willfährigen übergroßen Haustiers reduzieren lässt. Fast könnte man übrigens bedauern, dass das Cover nur einen Drachen in gewöhnlicher Haltung zu bieten hat, statt einen zu zeigen, der wie eine Fledermaus von der Decke hängt, denn von solch hübschen Einzelheiten lebt die Darstellung der Fabelwesen bei El-Bahay.
Dementsprechend freut man sich, wenn am Ende des Romans – wie in Eingangsbänden üblich – zwar die Schlacht, aber nicht der Krieg entschieden ist, durchaus auf eine Rückkehr nach Nabija, wenn irgendwann das nächste Buch der Serie erscheint. Wer entspannende und unterhaltsame Lektüre sucht, die sich gut “wegliest”, kann mit der Flammenwüste nicht viel falsch machen.

Das Geheimnis des goldenen Reifs von Martin SchemmVor Jahren ist den unter dem norddeutschen Süllberg lebenden Zwergen der zauberkräftige Armreif Wurdbouga gestohlen worden, der es seinem Träger gestattet, Macht über das Schicksal jedes beliebigen Menschen zu erlangen. Nun endlich gibt es eine Spur des Schmuckstücks, das ausgerechnet dem machthungrigen Pfalzgrafen Friedrich von Goseck in die Hände gefallen ist. Der junge Lindfell, Sohn eines menschlichen Wechselbalgs und einer Zwergin, wird ausgesandt, um Wurdbouga zurückzugewinnen. Zwar findet er bei seinem Vorhaben Unterstützung, doch seine Gefährten und er geraten alsbald mitten in den Sachsenkrieg gegen Kaiser Heinrich IV. hinein …

Es war der Tag des heiligen König Oswald im Jahre des Herrn 1073. Die Sommersonne stand hoch am wolkenlos klaren Himmel und brannte auf die Landschaft hernieder. Sie ließ die Welt in leuchtendem Grün erstrahlen, während über allem eine bleierne Stille hing. Von der Hitze wie ermattet, schien die Natur in ihrem lebendigen Treiben innezuhalten. Kein Vogel zog am Himmel seine Bahn oder ließ seinen Gesang ertönen, kein Wild war zu sehen auf der gerodeten Bergkuppe und im angrenzenden Gehölz. Auch kein menschlicher Laut war zu hören. Das einzige Geräusch, das zur Burg herübertönte, war das helle Zirpen der Grillen.
(Prolog – Goldener Adler auf blauem Grund)

History meets Fantasy – so charakterisiert Martin Schemm selbst im Nachwort Das Geheimnis des goldenen Reifs, die in sich abgeschlossene Fortsetzung seines Romans Der Goldschatz der Elbberge, und verspricht damit nicht zu viel. Wie schon im ersten Band bilden die politischen Wirren der Salierzeit den Rahmen für übernatürliche Geschehnisse. Ein eindeutiger Pluspunkt im Vergleich zu manch anderer Historienfantasy ist dabei die Tatsache, dass der Autor sich an die überlieferte Ereignisgeschichte hält und die phantastischen Elemente geschickt so einfügt, dass sie dem, was man über den sächsischen Aufstand weiß, nicht widersprechen. Selbstironisch lässt er sogar bei einem Vorfall, bei dem der Leser “weiß”, dass Zauberei im Spiel war, eine abergläubischen Vorstellungen abholde Romanfigur eine alternative rationale Erklärung anbieten. Fans von Fantasy und historischem Roman gleichermaßen werden zu schätzen wissen, dass die uns in vielem ferne Welt des 11. Jahrhunderts dabei in ihrer Andersartigkeit ernst genommen wird. So lässt etwa die Darstellung der von vielen Charakteren durchaus inbrünstig gelebten christlichen Frömmigkeit (aber auch der parallel dazu wortwörtlich im Untergrund weiterwirkenden heidnischen Praktiken) zu keinem Zeitpunkt den Verdacht aufkommen, es nur mit in eine historisierende Kulisse versetzten modernen Menschen zu tun zu haben.

Auf ein gewisses Maß an Pathos und Dramatik muss man sich bei der Schilderung der geschichtlichen Vorgänge und ihrer Akteure allerdings einlassen: Wenn der schurkische Friedrich von Goseck in finsteren Plänen schwelgt oder Kaiser Heinrich sich über die Opposition gegen seine Herrschaft ereifert, malt Schemm mit recht kräftigen Pinselstrichen. Zwischentöne finden sich eher bei den fiktiven Figuren, wenn beispielsweise ein siegreich überstandener Kampf die überwiegend nicht unbedingt kriegerischen Helden mit gemischten Gefühlen erfüllt oder wenn man sich dabei ertappt, mit Friedrichs Handlanger Gerald mitzufiebern, der, obwohl er in Diensten des Antagonisten steht, selbst beileibe kein Bösewicht ist und großes Talent dafür zu haben scheint, von einer unheimlichen Situation in die nächste zu stolpern. Von Besuchen bei undurchsichtigen Hexen über im Hinterhalt lauernde Fabelwesen bis hin zu einer Begegnung mit der Wilden Jagd bleibt dem armen Mann wahrlich nichts erspart. Für die Leser dagegen ist die Entdeckungsreise durch regionale Sagen und germanische Mythologie höchst unterhaltsam, ganz gleich, ob geheimnisvolle Zwergenreiche erkundet werden oder Wodan persönlich einen starken Auftritt hinlegt.

Die Ausweitung der Schauplätze gegenüber dem ersten Teil der Reihe ist unter diesem Aspekt ein Gewinn. Auch generell ist Das Geheimnis des goldenen Reifs kein schwächerer Nachfolgeband, sondern übertrifft seinen Vorgängerroman womöglich in mancherlei Hinsicht. Wohl unter anderem durch die eindeutige Zielsetzung der Quest bedingt wirken Handlungsführung und Figurenensemble klarer strukturiert und ausgewogener als zuvor, und auch die Landschafts- und Wetterschilderungen haben an Intensität noch gewonnen. Erfreulich ist zudem, dass Schemm diesmal seinen Frauenfiguren nicht nur einen Platz am Rande des Geschehens einräumt, sondern sie vielfach aktiv in die Handlung eingreifen lässt. Neben der tatkräftigen Iva, die sich den Gefährten anschließt und glücklicherweise keine Minute zur damsel in distress verkommt, bleibt einem vor allem die Hexe Watelinde im Gedächtnis, der man zwar lieber nicht im Dunkeln (und vermutlich noch nicht einmal im Hellen) begegnen möchte, die aber eine durchaus eindrucksvolle Gestalt ist.

Darüber hinaus bleibt jedoch erhalten, was schon den ersten Band ausgezeichnet und zu etwas Besonderem gemacht hat: Unabhängig von kurzlebigen Modetrends und Massengeschmack wird hier einfach eine spannende, abenteuerliche Geschichte erzählt, die einen in ein phantastisches Mittelalter entführt und einen insgeheim davon träumen lässt, selbst einmal an passender Stelle herumzustöbern, um vielleicht doch den Einstieg in ein Zwergenreich zu finden oder einen Blick auf ein Ungeheuer am Wegesrand zu erhaschen.

The King of Attolia von Megan Whalen TurnerKönigin Irene von Attolia hat durch ihre Heirat mit einem Cousin der Königin von Eddis außenpolitisch eine Atempause gewonnen. Aber der neue König ist unbeliebt und wird immer wieder zur Zielscheibe von demütigenden Streichen. Niemand geht jedoch so weit wie der Gardist Costis, der dem König einen Fausthieb ins Gesicht versetzt. Sein Schicksal scheint besiegelt, doch er  hat eher die Neugier als den Rachedurst des Herrschers geweckt. Nach und nach bildet sich ein Vertrauensverhältnis zwischen den ungleichen Männern heraus. Costis erkennt, dass er den König unterschätzt hat, dessen wahre Fähigkeiten bald gefordert sind. Denn der machthungrige attolische Adel und die düpierten Meder ruhen nicht …

– Costis took a ragged breath. He wanted to kill the king. He wanted to cry. He dropped to his knees before his queen and lowered his head almost to the floor, covering his face with his hands, still balled into fists, tightening knots of rage and bitter, bitter shame. –
Chapter One

Mit The King of Attolia läuft Megan Whalen Turner zu Höchstform auf und legt ihren bislang vielleicht gelungensten Roman vor, der die Stärken der ersten beiden Teile der Attolia-Reihe kombiniert. Das Spannungsfeld zwischen persönlicher Integrität und politischer Notwendigkeit ist wie im zweiten Band eines der zentralen Themen, doch wie in The Thief herrscht trotz aller Ernsthaftigkeit der Handlung wieder ein von unaufdringlichem Humor gefärbter Erzählton vor. Gerade die Dialoge sind oft spritzig und pointiert, aber auch insgesamt ist die Lektüre ausgesprochen locker und unterhaltsam, ohne in Oberflächlichkeit abzugleiten. Manch subtiler Scherz ist schon in der Namensgebung verborgen. So wird es etwa historisch interessierte Leser nicht wundern, dass ein (ehemaliger) Gardist namens Sejanus für den geplagten Herrscher eher mit Vorsicht zu genießen ist.

Ohnehin erinnern die Gardesoldaten als potentielle Königsmacher ein wenig an die Prätorianer der römischen Kaiserzeit, wie auch überhaupt wieder einzelne Versatzstücke aus mediterranen Kulturen zu einer überzeugenden Welt kombiniert sind, die niemals bloße Kulisse bleibt, sondern mit ihren regionalen und sozialen Gegensätzen die Psyche der liebevoll ausgearbeiteten Charaktere bis ins Detail prägt.

Wie gewohnt dominiert der facettenreiche Gen über weite Strecken unangefochten die Bühne, wobei sein weiterhin sehr direktes Verhältnis zu den Göttern (die auch schon einmal verhindern, dass er angetrunken von der Palastmauer stürzt) für einige Lacher gut ist. Mit dem durchaus sympathisch gezeichneten, aber oft heillos überforderten Costis schenkt Turner dem Leser zum ersten Mal eine klassische Identifikationsfigur, an deren Seite er sich durch das Intrigengewirr am Hof von Attolia tasten kann. Wer allerdings die Reihe in chronologischer Reihenfolge gelesen hat, ist Costis oft um ein paar Schritte voraus, denn die Vorliebe der Autorin dafür, bestimmte Einzelheiten zu verschweigen und manches erst nachträglich in ganz anderem Licht erscheinen zu lassen, ist einem mittlerweile vertraut.

Dass man sich trotzdem nicht langweilt, liegt unter anderem auch daran, dass die bisher eher in außenpolitischem Kontext zum Einsatz gebrachten Winkelzüge hier dazu dienen, die inneren Machtverhältnisse eines Königshofs umzuformen. Was auf den ersten Blick wie eine Beschränkung wirken könnte, erhöht in Wahrheit die unterschwellige Bedrohlichkeit der Atmosphäre, denn die Illusion einer schützenden Trennung von gefahrvollem Aktionsraum und relativ sicherer Heimat entfällt. In dieser Hinsicht geht The King of Attolia thematisch noch über den Vorgängerband hinaus: Die dort begonnene Geschichte des (oft schmerzlichen) Heranreifens von Einzelpersonen wird um den Aspekt der Einfügung des Individuums in die Gesellschaft erweitert und bietet einen ehrlicheren Blick auf das Erwachsenendasein als manch ein anderes Jugendbuch.

Turner verzichtet dabei weiterhin darauf, Szenen auszuschlachten, die sich durchaus auch reißerisch hätten gestalten lassen. Die unaufgeregte Erzählweise vermeidet jeden Voyeurismus, obwohl gefoltert und gemordet wird und sehr schnell feststeht, dass in einer von Machtkalkül geprägten Umgebung auch Friedenszeiten nicht gar so friedlich sein müssen. Trotz dieser durchaus realistischen Sichtweise dürfen die Figuren jedoch ihre Menschlichkeit bewahren. Die Hoffnung, dass zumindest im Kleinen stets auch die Möglichkeit einer Wendung zum Guten besteht, scheint immer wieder auf, so dass man das Buch am Ende nicht angewidert von allen Ränken, sondern in durchaus positiver Grundstimmung aus der Hand legt.

Eine Besonderheit stellt die scheinbar unverbunden zum Rest des Textes eingefügte abschließende Kurzgeschichte dar, die eine Episode aus der Jugend der Königin von Eddis schildert. Es lohnt sich aber, sie aufmerksam zu lesen, und das nicht nur, weil in ihr auf ansprechende Weise Göttersagen und fiktive Realität ineinandergreifen: Manche hier vermittelte Informationen werden im vierten Band der Reihe noch wichtig. Ob man findet, dass eine Integration der Begebenheit in den Roman selbst die elegantere Lösung gewesen wäre, ist wohl Geschmackssache. Man kann es auch als kleinen Leckerbissen betrachten, entdecken zu dürfen, dass Megan Whalen Turner die kurze Form ebenso gekonnt beherrscht wie längere Erzählungen.

Das Kristallhaus von Ralf LehmannFernd, den der Alte Niemand zu seinem Erben bestimmt hat, ist eigentlich alles andere als ein Abenteurer und schon gar kein Einzelkämpfer. Von den Ereignissen dennoch zu einem Alleingang gezwungen zieht er eher widerstrebend aus, um das legendäre Kristallhaus zu suchen, in dem der entscheidende Hinweis zur Überwindung des Schwarzen Prinzen verborgen sein mag. Obwohl er unterwegs immer wieder Helfer und neue Freunde findet, verlangt die Reise ins Ungewisse ihm alles ab, denn schon bald erweist sich, dass von äußeren Bedrohungen wie den dämonischen Gifalken, die ihm im Auftrag des Schwarzen Prinzen auf der Spur sind, gar nicht die größte Gefahr ausgeht, der er sich stellen muss …

“Das Holzland ist ein Teil Araukariens und dem Alten Reich als einzige Provinz bis zum Untergang treu geblieben. Die Holzländer, wie sie sich selber nennen, haben dem Born gern Tribut gezahlt – in der Gewisstheit, dass er sie dann meist in Ruhe lässt. Deswegen hat diese Gegend immer eine ziemliche Eigenständigkeit bewahrt.”
(1. Im Holzland)

Mit Das Kristallhaus legt Ralf Lehmann einen stimmigen Abschluss seiner Trilogie um den Kampf gegen den Schwarzen Prinzen vor. Wie schon in den ersten beiden Bänden erschüttern Ausgangsidee und Plot das Genre nicht gerade in seinen Grundfesten, aber die liebevoll ausgearbeitete, in oftmals poetischen Wendungen heraufbeschworene Welt überzeugt mit ihrer Fülle ansprechender Handlungsorte weiterhin, unter denen das titelgebende Kristallhaus, eine Bibliothek aus Eis, sicher einer der originellsten und eindrucksvollsten ist.
Ohnehin ist es wieder einmal das Setting mit seiner Verknüpfung von Naturgewalten und Sagen, das die Geschichte trägt, wenn etwa der winterliche Frost personifiziert über eine abgelegene Siedlung hereinbricht oder die aus dem Eingangsband bekannten Tanzenden Berge noch einen unerwarteten Auftritt bekommen. Auch die übrigen Landschaften, die Fernd durchwandert, sind mit ihren naturräumlichen Gegebenheiten und den Eigenarten ihrer Bewohner so detailverliebt geschildert, dass man den Verdacht nicht abschütteln kann, dass Lehmann immer wieder Kenntnisse aus seinem Beruf als Erdkundelehrer in den Weltenbau einfließen lässt. Dieses spürbare Wissen um geographische Zusammenhänge hebt Araukarien und die umliegenden Gebiete über die oft abziehbildartigen Kulissen manch anderer Fantasyromane hinaus.
Zudem steht mit dem verträumten Fernd in diesem Buch ein ganz anderer Figurentypus im Mittelpunkt als der praktisch veranlagte Bolgan oder der abenteuerlustige Hatib, so dass die Wendung ins Innerliche, die seine Queste trotz aller äußeren Fährnisse und Kämpfe nimmt, folgerichtig und glaubhaft wirkt. Entsprechend anders sind auch die Freundschaften, die er schließt, etwa mit dem ähnlich phantasiebegabten Gaetan, der ein weit traurigeres (und realistischeres) Schicksal erleidet, als es bei Hals über Kopf ins Abenteuer ausziehenden Jugendlichen in der Fantasy sonst der Fall ist. Trotz aller amüsanten bis tragischen Begegnungen mit solch gelungenen Nebenfiguren ist Fernd jedoch letzten Endes auf sich selbst zurückgeworfen, was nicht nur darin sinnfällig zum Ausdruck kommt, dass die beiden anderen Helden Bolgan und Hatib zum entscheidenden Zeitpunkt nicht mehr in Lage sind, aktiv auf den Fortgang der Ereignisse einzuwirken. Die durchaus nicht uninteressante Schwerpunktsetzung, die sich daraus ergibt, lässt einen die ansonsten klassische Handlung um den militärischen wie magischen Widerstand gegen einen übermächtigen Gegner gespannt bis zum Ende verfolgen.
Trotz aller positiven Aspekte muss man freilich auch weiterhin mit einigen Schwächen leben, die schon in den ersten beiden Bänden deutlich waren. So bleibt etwa Fernds Beziehung zu seiner großen Liebe Reika weiterhin sehr blass und wenig fassbar, mag sie auch noch so oft als Motivation des jungen Mannes beschworen werden, und manch einem Nebenhandlungsstrang hätte man vielleicht eine ausführlichere Auflösung anstelle knapper Andeutungen gewünscht.
Doch das sind im Grunde Kleinigkeiten. Alles in allem bleibt ein positiver Leseeindruck, gepaart mit leisem Bedauern darüber, dass Das Buch des Schwarzen Prinzen anscheinend bisher Ralf Lehmanns einziges (veröffentlichtes) Werk geblieben ist.

Les Lames du Cardinal von Pierre PevelParis 1633. Menschengestaltige Drachen unter Führung der ebenso schönen wie intriganten Vicomtesse de Malicorne streben danach, die Macht in Frankreich an sich zu reißen. Die Lage ist so ernst, dass Kardinal Richelieu sich keinen anderen Rat weiß, als eine vor Jahren aus seinen Diensten entlassene Elitetruppe wieder zusammenzurufen: Die „Klingen des Kardinals“ unter dem erfahrenen Soldaten La Fargue. Doch der Verräter, dessen Untaten einst zur Auflösung der Einheit führten, ist immer noch auf freiem Fuß, und La Fargue ist verwundbarer, als seine Leute ahnen, hat er doch gerade erst erfahren, dass er aus einer lange zurückliegenden Affäre eine Tochter hat, die nun in höchster Gefahr schwebt…

– Haute et longue, la pièce était tapissée de livres dont les élégantes dorures luisaient dans une pénombre roussie à la flamme des bougies. Dehors, derrière les épais rideaux de velours rouge, Paris dormait sous un ciel étoilé et la grande quiétude de ses rues enténébrées parvenait jusqu’ici, où le grattement d’une plume troublait à peine le silence. –
I – L’appel aux armes

Als Fantasysetting tritt das Frankreich des 17. Jahrhunderts gewöhnlich eher selten in Erscheinung, doch als Schauplatz von Mantel-und-Degen-Romanen ist es dafür umso beliebter. An dieses Genre lehnt sich Pierre Pevel mit Les Lames du Cardinal (Drachenklingen) denn auch überdeutlich an, was Atmosphäre, Namensmaterial, Figuren und Handlungsführung betrifft. Wer mit Klassikern dieser Literaturgattung, vor allem mit Alexandre Dumas’ Drei Musketieren, vertraut ist, wird hier bis in den Verlauf einzelner Szenen hinein viel Altbekanntes wiederfinden, zumal in der Charakterisierung Richelieus, die der Schilderung dieser Gestalt bei Dumas weit mehr verpflichtet ist als dem realen historischen Vorbild. Teilweise mag diese Nähe als bewusste Hommage angelegt sein, doch sie bringt zumindest im Kleinen auch eine gewisse Vorhersehbarkeit mit sich.

Die eigentlichen Fantasyelemente treten gegenüber den historischen Details stark in den Hintergrund und bilden eher schmückendes Beiwerk: Zwar kann man in diesem Frankreich auf Lindwürmern reiten und sich Miniaturdrachen als Schoßtier oder Brieftaubenersatz halten, doch das Potential dieser hübschen Ideen wird ebenso wenig ausgeschöpft wie das der aussatzartigen Krankheit, die Menschen bei zu engem Kontakt mit Drachenmagie befallen kann. Die machthungrigen Drachen in Menschengestalt könnten ebenso gut konventionelle Geheimbündler sein, denn dass ihre Intrigen letztendlich auf ein magisches Ritual hinauslaufen, bleibt für den Verlauf der Handlung eher unbedeutend. Auch der Hauch von alternate history, mit dem Pevel arbeitet (so endet z.B. die Belagerung von La Rochelle bei ihm mit einem Sieg der Hugenotten), hat zumindest in diesem ersten Band keine entscheidenden Auswirkungen auf das Gesamtbild.

Wer es als Leser aber vor allem auf Action in einer prallen Kulisse abgesehen hat, wird in diesem Roman durchaus finden, was er sucht. An Cliffhangern, überraschenden Wendungen, Kämpfen, Gefangennahmen und gefahrvollen Missionen herrscht beim besten Willen kein Mangel, und die verschiedenen Milieus, durch die sich die Handlung in rascher Folge bewegt, sind gelungen geschildert, ganz gleich, ob es sich nun um das prunkvolle Leben des Adels, das rauere Dasein der Soldaten und Fechtmeister oder die kriminelle Unterwelt handelt.

Von den Figuren, die auf dieser Bühne eine Fülle von Abenteuern bestehen müssen, sollte man allerdings nicht zu viel erwarten, denn obwohl sie sich überzeugend in ihr Umfeld einfügen, bleiben sie letztlich allesamt recht generische Entlehnungen aus demselben Typenfundus, den schon ein Alexandre Dumas, ein Paul Féval oder ein Théophile Gautier genutzt hat. Wenn man sich an der überwiegend simplen Psychologie der Helden und ihrer Gegner jedoch nicht stört, bieten sie einem durchaus recht ordentliche Unterhaltung.

Das Ende, das den „Klingen“ nicht nur Zuwachs für ihre weiteren Unternehmungen beschert, sondern in den letzten Sätzen auch noch mit einer unglaublichen Enthüllung aufzuwarten weiß, die alle bisherigen Vorgänge in einem anderen Licht erscheinen lässt, macht durchaus Lust auf mehr. Allerdings kann man dabei nur hoffen, dass die Folgebände in sprachlicher Hinsicht etwas liebevoller gestaltet sind, denn Pevels Neigung, in unterschiedlichen Beschreibungen immer wieder auf dieselben Formulierungen zurückzugreifen, trübt das Lesevergnügen nach einer Weile doch beträchtlich.

Le peuple turquoise von Ange GuéroDer ehemalige Spion und Meuchelmörder Arekh fristet ein erbärmliches Dasein als Galeerensträfling und hat mit dem Leben eigentlich schon abgeschlossen. Doch als sein Schiff in einem Gefecht versenkt wird, rettet Marikani, die Thronerbin des Königreichs Harabec, Arekh unversehens das Leben, so dass er sich im Gegenzug widerwillig bereitfindet, ihr und ihrer Hofdame Liénor bei der gefahrvollen Rückkehr in ihre Heimat zu helfen. Schon bald müssen sie jedoch erkennen, dass nicht nur äußere Feinde ihnen Steine in den Weg legen: Aus dem Königshaus von Harabec droht Verrat, die mächtige Priesterschaft spinnt ihre eigenen Intrigen, und in den Reihen des versklavten Türkisvolks gärt es…

Le niveau de l’eau montait, atteignant maintenant la poitrine des prisonniers des derniers rangs. Les rayons du soleil chauffaient les visages, murmurant des promesses de printemps.
Puis la galère se renversa et Arekh se retrouva sous l’eau.
Chapitre 1

Französische Fantasy steht in dem Ruf, zwar gelungene Comics hervorzubringen, im Romanbereich aber bestenfalls Durchschnittliches zu bieten. Gelegentlich stößt man jedoch auf ein Buch, das einen eines Besseren belehrt –  und das trifft auf Ange Guéros Le peuple turquoise (in deutscher Übersetzung als Rune der Knechtschaft erschienen) voll und ganz zu. Unter dem sonst gemeinsam mit ihrem Mann Gérard genutzten Pseudonym Ange entwirft Anne Guéro das düstere Bild einer von Religiosität und Rassismus ebenso wie von Lebensfreude und Dekadenz geprägten Gesellschaft, die lange die Gefahr verkennt, in der sie schwebt. Das orientalisch inspirierte Tanjor mit seinen Palästen, Städten, grandiosen Landschaften und unterirdischen Gangsystemen ist dabei bis ins Detail liebevoll und plastisch ausgestaltet und von einer Vielzahl glaubhaft geschilderter Ethnien bevölkert, so dass sich wirklich das Gefühl einstellt, Einblicke in eine fremde Welt zu erhaschen, statt es nur mit der Kulisse einer Romanhandlung zu tun zu haben.  Auf allzu viele Fantasyelemente sollte man allerdings nicht hoffen, denn wann immer Übernatürliches ins Spiel zu kommen scheint, sind dem religionskritischen Unterton des Romans gemäß auch ganz profane Erklärungen für die Vorgänge denkbar.

Diese Abwesenheit von Magie mindert jedoch keinesfalls die Faszination des Settings, dessen ausführliche Hervorhebung in dieser Rezension nicht überraschen sollte: Da die ersten zwei Drittel des Buchs ausschließlich aus einer Reiseschilderung bestehen, sind die Handlungsorte, mit denen sich die Protagonisten teilweise durchaus intensiv auseinandersetzen, statt sich nur hindurchzubewegen, für die Atmosphäre weit bestimmender als der eigentliche Plot, der zwar erwartungsgemäß nicht mit Verfolgungsjagden, Kämpfen, Intrigen, Mord und Totschlag geizt, aber nicht den hauptsächlichen Reiz der Geschichte ausmacht.

Denn vor allem lebt dieser erste Band der Trilogie Les Trois Lunes de Tanjor (deutsch: Die Legende von Ayesha) von dem sperrigen Antihelden Arekh, dessen Verurteilung zur Galeerenstrafe durchaus nicht unverdient ist und der auch nach seiner Befreiung immer wieder moralisch ambivalent agiert. Obwohl er also nicht als klassischer Sympathieträger angelegt ist, gelingt Guéro mit ihm die fein beobachtete Charakterstudie eines Menschen, der sich zwar zynisch gibt, unbewusst aber zutiefst von den Moral- und Glaubensvorstellungen der Gesellschaft, in der er lebt, beeinflusst wird. Die philosophischen Rededuelle, die er sich immer wieder mit der idealistischen Marikani liefert, führen in die zunächst recht generisch wirkende Flucht- und Abenteuerhandlung früh die Themen ein, die im weiteren Verlauf der Trilogie an Bedeutung gewinnen: Besonders am Beispiel von Sklaverei und Götterglauben geht es um äußerliche wie innere Abhängigkeit und nicht zuletzt auch um die Frage, inwieweit das persönliche Schicksal von übernatürlichen sowie irdischen Faktoren vorherbestimmt oder aber vom Einzelnen frei zu gestalten ist.

Dementsprechend ist es auch kein Wunder, dass die zahlreichen äußerlichen Bewährungsproben eigentlich fast sekundär sind und vor allem die Folie für die Entwicklung eines nicht unkomplizierten Beziehungsgefüges bilden, in dem Misstrauen, Sympathie und wechselseitige Verpflichtungen sich die Waage halten. Die pessimistische Erkenntnis, dass gemeinsam durchgestandene Widrigkeiten beileibe nicht immer Anlass genug sind, über den eigenen Schatten zu springen, zieht sich dabei fast leitmotivisch durch den Roman und führt als zentrales Element des nachdenklich stimmenden Endes zu den noch weit stärker von einer sehr abgeklärten Weltsicht geprägten Folgebänden hin.

The Legend of Sigurd and Gudrún von J.R.R. TolkienChristopher Tolkien präsentiert die wissenschaftliche und literarische Auseinandersetzung seines Vaters mit der Wälsungensage (der altnordischen Fassung der Nibelungensage), die J.R.R. Tolkien unter anderem zu zwei im Rahmen dieses Buches veröffentlichten epischen Gedichten nach mittelalterlichem Vorbild inspirierte: Dem von Ódin auserwählten Helden Sigurd ist ein ruhmreiches, aber tragisches Schicksal bestimmt, das auch das bis dahin behütete Leben der Königstochter Gudrún für immer verändert und ein ganzes Herrschergeschlecht mit in den Untergang reißt …

– If in day of Doom
one deathless stands,
who death hath tasted
and dies no more,
the serpent-slayer,
seed of Ódin,
then all shall not end,
nor Earth perish. –
(Völsungakviða en nýja I, 14)

The Legend of Sigurd and Gudrún (Die Legende von Sigurd und Gudrún)bildet die jüngste Veröffentlichung in der langen Reihe postum erschienener Werke J.R.R. Tolkiens. Ganz gleich, ob man hierin nun ein kommerziellen Rücksichten geschuldetes Ausschlachten auch noch der letzten Notizen oder das Streben nach einer möglichst lückenlosen Dokumentation und Veröffentlichung eines wertvollen literarischen Nachlasses erblicken will, die Erwartungen an jeden bisher noch unbekannten Text aus der Feder eines der Begründer des Fantasygenres sind selbstverständlich hoch.

Doch wer auf einen „neuen“ Tolkienroman etwa nach dem Muster von The Children of Húrin (Die Kinder Húrins) hofft, wird sich wohl wundern: Fantasy im klassischen Sinne findet man trotz Drachenkampf und Zaubertrank in The Legend of Sigurd and Gudrún nicht. Stattdessen bietet der Band zwei vollständige, altnordisch betitelte epische Gedichte über die Wälsungensage, die Völsungakviða en nýja (Das neue Wälsungenlied) und die Guðrúnarkviða en nýja (Das neue Gudrúnlied), im Anhang zudem noch ein Gedicht Tolkiens nach dem Vorbild der Völuspá und Fragmente seines Versuchs, das Atlilied auf Altenglisch nachzudichten.

Umrahmt werden die Gedichte von umfangreichen Sachtexten, die teilweise von J.R.R. Tolkien, teilweise von seinem hier als „Herausgeber“ fast schon unterbewerteten Sohn Christopher stammen und nicht nur eine kommentierende Deutungshilfe bieten, sondern auch einen Blick auf den Wissenschaftler Tolkien erlauben, der zwar in mancherlei Hinsicht dem Forschungsstand seiner Zeit verhaftet war, andererseits aber über ein so sensibles Gespür für Sprache und ihre Eigenarten und Einsatzmöglichkeiten verfügte, dass ihn noch manch heutiger Philologe darum beneiden dürfte. Jeder Leser, der sich fachlich oder privat mit der Mediävistik beschäftigt, wird die hier dargebotenen Erkenntnisse sicher mit Interesse in sich aufnehmen und bisweilen auch kritisch hinterfragen. Ob allerdings der durchschnittliche Fantasyfan die oft akribischen Ausführungen über die Feinheiten mittelalterlicher Metrik oder atmosphärische Unterschiede zwischen angelsächsischer und altnordischer Dichtung als spannend empfindet, sei dahingestellt.

Und dennoch: Die Hintergrundinformationen, die in den Sachabschnitten vermittelt werden, sind alles andere als überflüssig, denn erst sie erlauben eine Würdigung der Leistung, die Tolkien mit seiner nahezu perfekten Nachahmung frühmittelalterlicher Stabreime und seinem gekonnten Einsatz formelhafter, mündliche Überlieferung evozierender Wendungen vollbringt. The Legend of Sigurd and Gudrún erlaubt weit besser als mancher moderne Fantasyroman ein Versinken in Sprache und der atmosphärischen Dichte, die sie erzeugen kann. Ganz gleich, ob in poetischen Wendungen eine Reise durch urwüchsige Landschaften geschildert, ein dramatischer Kampf heraufbeschworen oder eine Strophe mit emotionsgeladener Figurenrede aufgelockert wird, Tolkien erweist sich als Meister seines Fachs, dem es gelingt, einen die altvertraute Handlung um Sigurd (der dem Siegfried des Nibelungenlieds entspricht), Gudrún (Kriemhild), ihre Brüder und den Hunnenkönig Atli (Etzel/Attila) in mitreißender Form noch einmal ganz neu erleben zu lassen.

Auf bewusst gebrauchte Archaismen muss man sich allerdings einlassen, ebenso auf reichlich Pathos (das in der Entstehungszeit der beiden Gedichte, die wohl etwa in die 1930er Jahre zu datieren sind, allerdings noch weniger befremdlich gewirkt haben dürfte als in der heutigen Zeit). Ganz wie die mittelalterlichen Dichtungen, an denen Tolkien sich orientiert, setzen seine „Lieder“ zudem beim Leser zumindest Grundkenntnisse des darin verarbeiteten Stoffs voraus, ohne die sich manche verkürzt dargestellte, übersprungene oder nur angedeutete Einzelheit wohl nicht auf den ersten Blick erschließt.

Inhaltliche Überraschungen finden sich somit für jemanden, der mit der Handlung der Nibelungensage und ihrer skandinavischen Variante vertraut ist, vor allem im Detail. Bemerkenswert ist insbesondere, dass Tolkien den altnordischen Mythen eine sehr christlich geprägte Interpretation angedeihen lässt: Sigurd erscheint als prophezeite Erlösergestalt mit deutlichen Anklängen an Christus. So ist er nicht nur von göttlicher Abstammung, sondern wird auch als Überwinder der Schlange bzw. des Drachen apostrophiert (beide können in der christlichen Ikonographie für den Teufel stehen) und schafft durch seinen irdischen Tod die Voraussetzung zur Überwindung des Todes im Jenseits. Eine noch stärkere Verquickung von heidnischer Sagenwelt und christlicher Heilsgeschichte ist eigentlich kaum vorstellbar. Umso auffälliger ist es, dass Christopher Tolkien diese Ebene in seinem Kommentar ausblendet und sich in seiner Deutung lieber auf Parallelen zur fiktiven Mythologie seines Vaters beschränkt, in der teilweise ähnliche Motive aufscheinen.

In der Tat trägt der Umstand, dass J.R.R. Tolkiens Begeisterung für altnordische Sagen in hohem Maße in seine Fantasywerke eingeflossen ist, einen Gutteil zur Faszination von The Legend of Sigurd and Gudrún bei, erlaubt doch das Wissen um sein übriges Schaffen, die Gedichte nicht nur als – wenn auch gelungene – gelehrte Spielerei abzutun. Für Tolkienfans ist das vorliegende Buch daher auf jeden Fall eine Bereicherung, ebenso für sprachbegeisterte Leser (sofern sie zugleich ein Faible für Sagen und Mythen haben). Wer hingegen Fantasy ausschließlich in Form unterhaltsamer Romane genießen möchte, wird hier eine Enttäuschung erleben.

Die Legende von Araukarien von Ralf LehmannIm Hochhügelland häufen sich bedrohliche Geschehnisse, und so wird der junge Bolgan ausgesandt, um den Alten Niemand, einen jahrhundertealten Einsiedler, aufzusuchen und seinen Rat einzuholen. Was er erfährt, übertrifft seine schlimmsten Befürchtungen: Alles deutet darauf hin, dass der Schwarze Prinz, der schon in ferner Vergangenheit sein Unwesen trieb, zurückgekehrt ist und sich anschickt, die Lande zu verwüsten und ihre Bewohner zu versklaven. Die Reise in die Hauptstadt, um den Herrscher über das Reich Araukarien vor der drohenden Gefahr zu warnen, gerät zum Wettlauf gegen die Zeit, und bei ihrem Eintreffen müssen Bolgan und der Alte Niemand erkennen, dass ihre Nachricht allein nicht ausreicht, um die Katastrophe aufzuhalten …

Das Land der Tanzenden Berge! Es ist eine merkwürdige Gegend, in der diese Geschichte ihren Anfang nimmt, eine weit von Araukaria, der Hauptstadt des Alten Reiches, entfernte Provinz. Die Landschaft ist schön und anmutig, mit grünen, baumbestandenen Kuppen und tief eingeschnittenen Tälern, in deren Niederungen knorrige alte Trauerweiden in einem niemals endenden Zwiegespräch mit kristallklaren Bächen stehen.
(1. Die Erzählung des Alten Niemand)

Mit der Legende von Araukarien, dem ersten Band der Trilogie um den Kampf gegen den Schwarzen Prinzen (anscheinend nicht verwandt oder verschwägert mit diesem Herrn), bietet Ralf Lehmann inhaltlich sehr klassische Fantasy: Eine dunkle Bedrohung aus grauer Vorzeit sucht jäh die Welt heim und die traditionellen Eliten versagen, so dass eine kleine Runde von Gefährten aus dem Volk unter Führung eines alten Mentors für kurze Zeit zusammenfinden muss, nur um sich bald wieder zu trennen und auf unterschiedliche Questen auszuziehen. Nichts weiter Bemerkenswertes, so möchte man meinen, zumal die jugendlichen Helden Bolgan, Hatib und Fernd gerade im Vergleich zu den oft liebevoller gezeichneten Nebenfiguren ein wenig blass bleiben. Dass Lehmann es eigentlich besser kann, beweisen die Passagen, in denen er sich daran wagt, menschliche Beziehungen in ihrer ganzen Kompliziertheit auszuloten: So nähern sich etwa einige Sklavenjäger und ihre Opfer einander ungewollt an, als ein schneller Weiterverkauf scheitert, und der mühsame Versuch, den auch langfristig günstigsten sozialen Umgang miteinander auszuhandeln, lässt viele Zwischentöne zu. Solch feine Beobachtungen würde man sich häufiger wünschen, zumal auch noch andere Schwächen auffallen: Manch innerer Widerspruch wird nicht aufgelöst, und die Dichte an Frauengestalten ist wesentlich geringer als in jedem durchschnittlichen Karl-May-Roman. Apropos Karl May: Dessen Bücher dürften Lehmann tatsächlich in gewissem Maße als Inspirationsquelle gedient haben, denn genau dort ist man einem dicken Boschak oder einer Beschreibung, die der des Schurken Morgreal verdächtig ähnelt, schon einmal begegnet.
Die Tatsache, dass Handlung und Charaktere Die Legende von Araukarien nicht unbedingt über den Durchschnitt hinausheben, sollte einen jedoch nicht von der Lektüre abschrecken, denn auf zwei anderen für die Fantasy ungemein wichtigen Gebieten stellt der Roman unbestreitbar seine Qualität unter Beweis: Weltenbau und Erzählweise überzeugen. Wie schon das oben gewählte Zitat verrät, kommt Araukarien hinsichtlich der phantastischen Elemente, die das Land selbst durchdringen, um einiges magischer und verspielter daher, als man es im Zeitalter “realistischer” Fantasyromane gewohnt ist: Berge, die über Nacht den Standort wechseln, ein verwunschener Hügel, den der finstere Feind nicht betreten kann, eine Ruinenstadt, in der Geisterspuk eine ferne Vergangenheit wiederauferstehen lässt, und eine geheimnisvolle Orakelhöhle wollen erkundet werden und erinnern einen daran, dass der größte Reiz von Questenfantasy oft nicht im Ziel der Reise, sondern in einem abwechslungsreichen Weg besteht. Auch die Wesen, von denen diese bunte Welt bevölkert ist, sind originell und von einer märchenhaften Unheimlichkeit, die sich nicht zuletzt aus der schieren Selbstverständlichkeit speist, mit der sie etwa auf Gedanken und Träume der Menschen zugreifen können. Wenn beispielsweise ein dämonischer Gifalk – eine Kreatur, die sich von Träumen nährt – den jungen Sohn eines Wirts zu sich aufs Zimmer bestellt und nur in Andeutungen eine geistige Vergewaltigung impliziert wird, erzeugt der Text mit subtilen Mitteln ein unterschwelliges Grauen, das weit länger nachhallt als jedes Entsetzen über eine plakative Gewaltdarstellung.
Ohnehin kann man sich nach einer Weile des Gedankens nicht mehr erwehren, dass es eigentlich gar keine so große Rolle spielt, was Ralf Lehmann erzählt, da einen vor allem gefangen nimmt, wie er es tut. Das liegt nicht allein an der teilweise poetischen Sprache (obwohl natürlich ein Waldbühl oder ein Silbergreis gekonnt bildreiche Assoziationen heraufbeschwören), sondern ist auch dem Eindruck geschuldet, es hier mit einer ganz anderen Erzählweise zu tun zu haben als der, die vor allem in der angloamerikanischen Fantasy mittlerweile fast alternativlos vorherrscht. Lehmann verlässt sich nicht allein auf ein szenisches Vermitteln seiner Geschichte, sondern beherrscht auch das raffende Schildern größerer Zeitabschnitte und vor allem das Beschreiben topographischer Besonderheiten virtuos. Die Erzähltradition, in der sein Buch steht, ist nicht die der Fantasy allein; Abenteuerromane des 19. und frühen 20. Jahrhunderts spielen ebenso mit hinein wie einige Aspekte klassischer Kinder- und Jugendliteratur zu phantastischen Themen. Beim Lesen stellt sich daher rasch das sympathische Gefühl ein, dass nicht auf vordergründige Effekte hingearbeitet, sondern vor allem eine Geschichte erzählt werden soll. Die mag nicht perfekt sein, gewiss – aber nach diesem Auftaktband ist man doch sehr gespannt auf den Fortgang, und sei es nur, weil es einfach so großen Spaß macht, sie sich erzählen zu lassen.

Die Melodie der Masken von Ralf LehmannNach dem Tod des Alten Niemand haben sich die drei Gefährten Bolgan, Hatib und Fernd getrennt, um ihren Kampf gegen den Schwarzen Prinzen fortzusetzen und den Erft zu finden, einen sagenumwobenen, in mehrere Stücke zerteilten magischen Stein, der ihnen gegen den übermächtigen Feind helfen soll. Während Bolgan als Sklave des Schwarzen Prinzen auf eine Gelegenheit lauert, ihm seinen Teil des Edelsteins zu stehlen, und dabei in eine Gefahr gerät, die er niemals hätte voraussehen können, organisiert Hatib den militärischen Widerstand. Er findet neue Freunde und Verbündete, muss aber bald erkennen, dass kämpferische Tugenden allein nicht zum Sieg führen werden …

In den Nördlichen Königreichen regieren Nebel und Wolken. Grüne, sanfte Hügel prägen das Land, so dass die Gegend auf den ersten Blick einen fruchtbaren Eindruck macht, aber das täuscht. Weiß gewaschene Kalksteinblöcke durchbrechen die dünne Bodendecke und machen größeren Ackerbau unmöglich. Wenn Nebel über die Hügel zieht, sehen die Blöcke wie stumme Pilger aus, die sich auf eine unbekannte Suche gemacht haben.
(3. In den Ruinen von Thingal)

Auch im zweiten Teil seiner Trilogie Das Buch des Schwarzen Prinzen wartet Ralf Lehmann inhaltlich auf den ersten Blick mit klassischer Questenfantasy auf, die jedoch bei näherer Betrachtung sehr individuelle und originelle Züge entwickelt. Zwar sind einige Schwachpunkte des ersten Bandes auch im zweiten vorhanden (so scheinen bis auf Fernds Freundin Reika, die keine sehr aktive Rolle spielt, in Araukarien weiterhin kaum Frauen unterwegs zu sein), aber wenn man darüber hinwegsieht, lässt sich der erneute Ausflug in die detailliert und liebevoll ausgearbeitete Welt wieder sehr genießen.
Zum besonderen Charme des Romans trägt in hohem Maße bei, dass der Weltenbau nicht nur für eine ansprechende Kulisse sorgt, sondern untrennbar mit der Handlung verwoben ist: Zum Beispiel gestatten es die spezifischen Eigenschaften der Lande dem Kundigen, Menschen, die durch ihre Naturverbundenheit dafür empfänglich sind, auch aus weiter Entfernung zusammenzurufen. Ohnehin besteht zwischen Übernatürlichem und Naturgewalten ein enges Verhältnis, wie sich etwa an der Gestalt des Tanzenden Todes zeigt, der als mörderisch tobender Sturmwind in Erscheinung tritt, aber in Wirklichkeit ein verfluchter Riese ist. Seine Ursprungsgeschichte, in der auch eine diabolische Hexe und in Berge verwandelte Riesen erscheinen, verrät vielleicht noch stärker als andere Einzelheiten, wie sehr Lehmann sich von kontinentaleuropäischen (Orts-)Sagen inspirieren lässt und damit auf einen Bereich setzt, der, abgesehen von manchen Anklängen in Kinder- und Jugendbüchern, in der Fantasy eigentlich viel zu wenig genutzt wird. Gerade aus dieser unmittelbaren Anbindung an eine gewachsene Tradition außerhalb des Genres gewinnt der Roman jedoch einen Anschein von Authentizität.
Auch erzähltechnisch weicht Lehmann wieder vom Gewohnten ab: Statt sich der heute in der epischen Fantasy so weitverbreiteten Montagetechnik zu bedienen, in der mehrere Handlungsstränge parallel erzählt werden, führt er erst die Geschichte um Bolgan zu einem durchaus packenden vorläufigen Ende, bevor er sich Hatibs Abenteuern widmet, deren Endergebnis man zumindest in Ansätzen schon aus der Schilderung von Bolgans Erlebnissen kennt. Der Reiz besteht also nicht so sehr in der Frage, was aus Hatib wird, sondern darin, zu verfolgen, wie er dort ankommt, wo man ihn auf den letzten Seiten der Geschichte um Bolgan findet.
Hatibs Weg ist dabei recht unterhaltsam geschildert, ganz gleich, ob es ihn nun in ein wahres Spitzwegidyll von Kleinkönigreich verschlägt, das er zum Kampf gegen das bisher unbesiegte Heer des Schwarzen Prinzen motivieren muss, oder seine Reise durch unwirtliches Gebiet führt und zahlreiche Unbilden zu überstehen sind. Mit dem Waldläufer Imril ist ihm eine der lebensvollen Nebenfiguren an die Seite gestellt, die Lehmann fast mehr zu liegen scheinen als seine eigentlichen Helden.
Wie schon Die Legende von Araukarien zeichnet sich Die Melodie der Masken zudem durch wohltuende Unaufdringlichkeit aus; Tod und Verderben werden keineswegs ausgeblendet, doch setzt Lehmann eher darauf, stillere Aspekte auszuloten und sich vor allem auch mit psychischem Leid auseinanderzusetzen, statt vordergründiges Blutvergießen breit auszuwalzen. Gerade aus den Episoden um die Zwangsarbeiter zu Anfang der Bolgan-Handlung bleibt einem in dieser Hinsicht einiges im Gedächtnis, und man hofft, manch eine Gestalt im Folgeband noch einmal wiederzutreffen.
Trotz aller wohlbekannten Elemente sieht man daher am Ende des zweiten Buchs dem dritten mit Spannung entgegen und bedauert, dass Fantasy dieser Prägung es anscheinend in der Lesergunst schwerer hat als formelhaftere und nicht selten auch effekthascherische Werke.

Midwinter von Matthew SturgesDie Intrige eines Rivalen hat Mauritane, den Hauptmann der Leibgarde der Fae-Königin Titania, unschuldig ins Gefängnis gebracht. Nach Jahren erhält er ein überraschendes Angebot: Ihm winkt Straferlass, wenn er sich auf ein Himmelfahrtskommando einlässt, über das er erst unterwegs Einzelheiten erfahren soll. Mit einigen Mithäftlingen (darunter ein amerikanischer Wissenschaftler, den es ins Feenreich verschlagen hat) stürzt Mauritane sich ins Abenteuer. Doch schon bald muss er erkennen, dass er nicht nur die Schergen von Titanias Feindin Mab zu fürchten hat, sondern auch Verrat aus den eigenen Reihen und die Anschläge seines alten Erzfeinds …

– Der Winter kommt nur einmal alle hundert Jahre über das Land. Und wenn er kommt, schließen die immerblühenden Kirschbäume ihre Blüten und wenden sich ab von dem frostigen Wind. Die Tiere des Waldes kommen von ihren Bäumen und Felsen herab und graben sich, auf der Suche nach Wärme, tief in die Erde. Die Kanalsee wird stürmisch und grau. Die Sonne scheint weniger hell und verbirgt ihr Antlitz hinter Wolken, rau wie Granit. Wenn der Fluss Ebe überfriert und ein Mensch über das Eis von Jochdorn nach Midai laufen kann, dann hat der Midwinter offiziell begonnen. –
Erster Teil

Wenn es etwas Ärgerlicheres gibt als ein durch und durch schlechtes Buch, dann wohl eines, in dem eigentlich gute Ideen durch die mangelhafte Umsetzung verdorben werden. Letzteres trifft leider auf Matthew Sturges’ Midwinter zu. Die relativ atmosphärisch geschilderte Ausgangssituation ist zwar nicht rasend originell, hätte aber durchaus eine solide Basis für einen Abenteuerplot bilden können, zumal die Vorstellung einer Parallelexistenz mehrerer verschiedener Feenwelten mit der Erde ein interessantes Setting verspricht, das Sturges denn auch mit netten Details wie winzigen Botenfeen und sprechenden Pferden würzt.

Doch nur an ganz wenigen Stellen blitzt auf, was sich aus dieser Konstellation hätte herausholen lassen, etwa wenn einer der Fae den Amerikaner unbefangen auffordert, doch mal ein bisschen Naturwissenschaft vorzuführen. Der hier so reizvoll angedeutete Kontrast der Kulturen und Denkweisen verschwimmt im Verlaufe der Queste, die sich eher wie eine mit altbekannten Abenteuerelementen gespickte Rollenspielkampagne liest.

Ein solches Konzept kann zwar aufgehen (wie etwa Richard Schwartz mit seiner erfolgreichen Askir-Reihe beweist), aber nur dann, wenn man nicht zusätzlich den Eindruck erhält, dass der Spielleiter etwas konfus ist und die Spieler es versäumt haben, ihre Charaktere überzeugend auszuarbeiten. Sturges’ Figuren wirken zumeist flach und typenhaft. Am Vielschichtigsten dürfte noch der zwischen List, Adelsstolz, Sinnenfreuden und religiöser Erweckung hin- und hergerissene Lord Silberdun angelegt sein. So gut wie jede andere Gestalt entspricht irgendeinem Klischee aus dem Rolleninventar klassischer Fantasy und entwickelt nur wenig Individualität.

Selbst der Held Mauritane bleibt erschreckend blass, und von dem ihm zugeschriebenen militärischen Genie ist, große abschließende Schlacht hin oder her, wenig zu spüren (so darf man z.B. getrost spekulieren, wie der angeblich so gerissene Stratege darauf kommt, sich und seine Gefährten mehrfach ausgerechnet als Fischhändler ausgeben zu wollen, was – wen wundert es – wenig Erfolg hat).

Wohl auch bedingt dadurch, dass einen Großteil des Romans über weder Leser noch Protagonisten erfahren, worum es bei der so hochgefährlichen Mission eigentlich geht, läuft sich die Handlung in zahlreichen Abenteuern am Wegesrand tot, die sich in recht abgehackt wirkenden Abschnitten aneinanderreihen. Eigenartige Doppeltitel für manche Kapitel (z.B. Grübeleien über Freiheit/ Ein Schemel und ein stabiler Dachbalken oder Naturwissenschaft/ Spinnen) lassen fast vermuten, dass ursprünglich eine Untergliederung in noch kürzere Szenen geplant war. Diese Knappheit kommt dem ehrgeizigen Weltenbau nicht entgegen, dessen Einzelheiten oft nur lose in den Plot eingebunden sind und bisweilen fast ungenutzt verhallen (so z.B. der Wechselbälgerschmuggel zwischen Fae- und Menschenwelt). Vielleicht will Sturges hier schon Anknüpfungspunkte für die Folgebände anlegen, aber sehr neugierig auf den Fortgang der Reihe ist man nach diesem wenig überzeugenden Auftakt eigentlich nicht.

Der letzte Rest Unterhaltungswert geht dem Roman durch die sprachliche Gestaltung der Übersetzung verloren. Der Satzbau klammert sich stellenweise wortwörtlich ans Englische, bis hin zu umständlichen Partizipialkonstruktionen wie Königin Mab in ihrer silbernen und goldenen Sänfte in Sicherheit bringend. Daneben tauchen immer wieder Grammatikfehler (v.a. bei Verbformen) auf, aber es fehlt auch jedes Gespür für sprachliche Feinheiten: Der Unterschied zwischen der Verdienst und das Verdienst scheint ebenso unbekannt zu sein wie der zwischen den Anreden Sir und Sire, die fröhlich abwechselnd und anscheinend synonym für dieselben Personen gebraucht werden.

So legt man Midwinter am Ende unbefriedigt aus der Hand und stellt sich allenfalls die Frage, was für ein Buch wohl entstanden wäre, wenn jemand denselben Grundgedanken wie Sturges gehabt und mehr daraus gemacht hätte.

Mittelerde von Rudolf SimekRudolf Simek, einer der Experten für germanische und altnordische Mythologie und Literatur, spürt  durchaus mit wissenschaftlichem Anspruch in zehn Kapiteln dem Einfluss seiner Fachgebiete auf Tolkiens Werk nach. Dabei befasst er sich mit den unterschiedlichsten Aspekten: Von geographischen Konzepten über Personennamen und Fabelwesen bis hin zu Runenschriften und literarischen Motiven wird so gut wie alles angerissen, was in die Gestaltung von Mittelerde eingeflossen ist oder sein könnte. Vielfältiges Bildmaterial (das unter anderem eine mittelalterliche Weltkarte und Zeichnungen archäologischer Funde umfasst) rundet das Bändchen ab.

– Wenn vieles aus Tolkiens Werk in diesem Büchlein keine Erwähnung findet, dann einerseits wegen der Beschränkung des Umfangs, andererseits, weil eben nur deutliche Anklänge germanischer Stoffe, Motive oder Namen aufgenommen wurden – natürlich gibt es noch eine Menge zu entdecken. –
Einleitung

Simeks kompakte Untersuchung über den Einfluss der altnordischen und allgemein germanischen Literatur und Mythologie auf Tolkiens Werk basiert unter anderem auf einer Vorlesung zum selben Thema. Dies mag ein Grund dafür sein, dass die einzelnen Kapitel ein wenig unverbunden wirken: Bis auf die knappe Einleitung fehlt ein Rahmen, der eine Einordnung der Einzelergebnisse in einen Gesamtkontext oder auch nur etwas wie ein Fazit bieten würde.

Ist man aber bereit, sich auf dieses Fehlen einer übergreifenden Deutung einzulassen, sind die einzelnen Abschnitte recht lesenswert. Simek ist die Begeisterung für sein Thema deutlich anzumerken, und er geht liebevoll ins Detail, wenn er etwa den Einfluss der mittelalterlichen Kosmographie auf den Weltenbau Mittelerdes zu ergründen versucht oder aber die von Tolkien vorgenommene Umwandlung historischer Runenschriften in eigene Systeme analysiert (hierbei erlaubt gut gewähltes Bildmaterial dem Leser eigene Vergleiche von Tolkiens Runen mit den historischen Vorbildern). Auch die Überlegungen zu den Inspirationen, die in die verschiedenen Völker und Wesen von Tolkiens Welt eingeflossen sind, nehmen breiten Raum ein. Gelegentlich treten dabei Perspektiven in den Vordergrund, die auch sonst zu Simeks erklärten Forschungsinteressen gehören, so etwa, wenn er sich sehr ausführlich Odin widmet, dessen ambivalente Natur er in mehreren Bewohnern Mittelerdes widergespiegelt sieht. Etwas zu knapp und eklektisch fallen dagegen die Hinweise auf für Tolkien zentrale literarische Motive aus; hier hätte man sich eine tiefergehende Interpretation gewünscht. Simek ist dabei bemüht, nie den Forschungsstand der für Tolkien wohl prägenden Jahre aus den Augen zu verlieren, und projiziert nicht voreilig modernes Wissen in die damalige Zeit zurück. So führt er z.B. akribisch auf, welche Ausgaben altnordischer Texte Tolkien zur Verfügung gestanden haben könnten, und äußerst sich auch zu dessen eigenen akademischen Arbeiten auf dem Gebiet der älteren Literatur.

Leider hält er diese wissenschaftliche Exaktheit in manch anderer Hinsicht nicht durch. Schon auf den ersten Blick fällt eine gewisse Inkonsequenz bei der Zitierweise auf: Während die Zitate aus Tolkiens Romanen regelmäßig zweisprachig (Englisch-Deutsch) wiedergegeben werden, sind seine Briefe nur auf Deutsch zitiert, ebenso die zum Vergleich herangezogenen Abschnitte aus altnordischen Texten. Dies mag Platzgründen geschuldet sein, verwirrt aber dennoch in seiner Uneinheitlichkeit ein wenig. Auch Simeks Genauigkeit lässt an einigen Stellen zu wünschen übrig. Man mag noch mit leisem Kopfschütteln darüber hinwegsehen, dass Schreibfehler wie Rivendale statt Rivendell und Celbrimbor statt Celebrimbor sowohl im Fließtext als auch im Register auftauchen, aber nachdenklich wird man, wenn man erkennt, dass Simek offenbar auch fachlich nicht immer ganz sauber recherchiert hat. Wenn er etwa das Wort Elben als deutsche Mischprägung (…) aus „Alben“ und „Elfen“ erklärt, suggeriert das einen Neologismus, der so nicht gegeben ist: Der Begriff ist immerhin schon bei Heinrich von Morungen um 1200 belegt, und das Grimm’sche Wörterbuch nennt weitere Verwendungen bis ins 18. Jahrhundert, in dem sich dann ans Englische angelehnt Elfen durchsetzte. Eine ähnliche Vergröberung liegt vor, wenn Simek bei seinen Überlegungen zur Herkunft der Hobbitnamen Drogo als rein normannischen Namen klassifiziert und damit die zahlreichen und zeitlich früher einzuordnenden Belege für diesen Namen im fränkischen Adel des Frühmittelalters unterschlägt. Gerade bei einem verdienten und anerkannten Wissenschaftler wie Simek enttäuscht einen diese Flüchtigkeit natürlich.

So bleibt man am Ende mit einem etwas zwiespältigen Eindruck zurück. Der interessierte Tolkienleser, der sich noch nicht tiefergehend mit altnordischer Mythologie und Literatur beschäftigt hat, wird hier durchaus Wissenswertes finden, und Simeks Ansatz,  Fantasyliteratur zum Gegenstand rezeptionsgeschichtlicher Forschungen zu machen, ist gewiss nicht verkehrt. Man wünscht sich nur, es wäre ihm gelungen, aus Mittelerde – Tolkien und die germanische Mythologie auch tatsächlich ein richtungsweisendes Buch zu machen, das die im deutschen Sprachraum immer noch unterentwickelte wissenschaftliche Beschäftigung mit der Fantasy hätte voranbringen können.

Nuramon von James A. SullivanNuramon ist als einziger Elf in der Menschenwelt zurückgeblieben, als sie auf ewig von der Heimat der Elfen getrennt wurde. Obwohl er zunächst wenig erpicht darauf ist, Kontakte zu Menschen zu knüpfen, entschließt er sich, seine Magie bei der Verteidigung der Stadt Teredyr zum Einsatz zu bringen, in deren Nähe er lebt, und gerät infolgedessen immer tiefer in menschliche Angelegenheiten hinein. Wider Erwarten scheint er sein Glück zu finden, als er sich in die Grafentochter Daoramu verliebt. Doch nicht jeder steht der Verbindung aufgeschlossen gegenüber, und die bedrohliche Magie, die sich immer weiter in der Welt ausbreitet, ruht ebenso wenig wie alte und neue Feinde …

Die Zukunft eilt uns stets voraus und hinterlässt Spuren, die ich zu lesen vermag. Und so entdeckte ich euch in all den Jahren, was vor euch liegen könnte, und mein Blick erwies sich oft als wahr. Gelegentlich aber traten Dinge nicht ein, die ich sah. Manchmal blieb die prophezeite Zukunft aus, gerade weil ich sie euch entdeckte. Etwas zu betrachten heißt oft, es zunichtezumachen. Denn dem Wissen um das Schicksal mögen Taten folgen, welche die gesehene Zukunft verändern. Zum Besseren, wie ich stets hoffe, zum Schlechteren, wie ich fürchte.
(Die Stimme des Orakels)

Obwohl James Sullivan mit Nuramon an Die Elfen (gemeinsam mit Bernhard Hennen verfasst) anknüpft, kann das vorliegende Werk sehr gut als Einzelband bestehen und ist auch ohne Kenntnis des Vorgängerromans problemlos lesbar. Eine einfache Einordnung in eine Schublade ist dagegen kaum möglich: Nuramon ist Weltrettungsepos, Familiensaga, Kriegs- und Intrigenpanorama und fish out of water-Geschichte in einem, wobei der Fisch allerdings mindestens als moralbewusster Tigerhai zu denken ist, denn was den Titelhelden Nuramon vor allem auszeichnet, ist seine Mischung aus für menschliche Begriffe unüberwindlichen Fähigkeiten und erstaunlich idealistischer Grundeinstellung. Als schon mehrfach Wiedergeborener, Krieger und zunächst einziger Nutzer der sehr mächtigen Magie, die von Reisen auf geheimen Wegen über Heilzauber bis hin zum vernichtenden Gebrauch im Kampf zahlreiche Einsatzmöglichkeiten bietet, verfügt er über ein Können, das Begehrlichkeiten weckt und zugleich moralische Probleme aufwirft. Wie er sich damit auseinandersetzt und sich gesellschaftlichen Erwartungen, nicht aber der gesellschaftlichen Verantwortung, zu entziehen weiß, ist sensibel und nuancenreich geschildert. Dass man dieser bisweilen überlebensgroßen Gestalt dabei nicht überdrüssig wird, hängt damit zusammen, dass Sullivan das Kunststück gelingt, Nuramon mit glaubwürdigen Gefühlen, Ängsten und Sehnsüchten auszustatten und ihm so die Sympathie des Lesers zu erhalten.

Neben solch einer vielseitigen Hauptfigur wirken einige der anderen Charaktere notwendigerweise skizzenhafter, doch auch wenn man von manchem gern noch mehr erfahren hätte, überzeugt das Gesamtensemble durchaus, vor allem in der über dreißig Jahre umspannenden Herausbildung und Weiterentwicklung seines Beziehungsgefüges: Wie Rivalen zu Verbündeten oder Freunde zu Feinden werden und solch eine schlichte Geste wie ein individueller Racheverzicht im Laufe der Zeit Auswirkungen auf ganze Staaten entfalten kann, wird gekonnt ausgemalt. Ermöglicht wird diese Schilderung mehrerer Jahrzehnte auf gut 800 Seiten vor allem dadurch, dass Sullivan sich häufig von dem im Genre mittlerweile zum Standard gewordenen szenischen Erzählen löst und neue Ansätze wagt. So erlaubt etwa der im Buch so betitelte Orakelblick, der auf engem Raum eine Vielzahl verschiedener Perspektiven zusammenstellt, die schlaglichtartige Beleuchtung aller möglichen Aspekte, doch es gibt auch im eigentlichen Haupttext geschickt genutzte raffende Passagen, die es gestatten, auch langfristige politische, militärische und wirtschaftliche Entwicklungen in den Blick zu nehmen, allen voran die Folgen, die der im Laufe der Geschichte ständig anwachsende Magiegebrauch nach sich zieht. Von dieser flexiblen Nutzung verschiedenster Erzähltechniken könnte manch ein anderer Fantasyautor viel lernen.

Eine beeindruckende Ausdehnung weist übrigens nicht nur die dargestellte Zeitspanne auf, sondern auch die Welt, in der sich Nuramons Abenteuer abspielen. Obwohl die Handlung sich auf zahlreiche unterschiedliche Orte verteilt, behält man immer den Eindruck, dass man hier noch viel mehr entdecken könnte, wenn der Autor einen nur lassen wollte. Dazu trägt sicher bei, dass die Beschreibungen der Schauplätze zwar oft knapp, aber sehr atmosphärisch sind und genau die richtigen Details aufrufen, um in wenigen Worten das Bild einer ganzen Landschaft heraufzubeschwören. Wer hätte nicht sofort eine Assoziation zu einer Weide, auf der die graufelligen Steinschafe ihr Auskommen finden, oder zu Bezeichnungen wie Schlangenforst und Elfengrat? Für eine im weitesten Sinne pseudomittelalterliche (auf alle Fälle noch vorindustrielle) Welt geht es dort übrigens bemerkenswert liberal und progressiv zu: So existieren in einigen der geschilderten Gesellschaften Kriegerinnen und politisch einflussreiche Frauen, und von den Konventionen der Mehrheit abweichende sexuelle Vorlieben (z.B. eine innige Dreierbeziehung) werden nicht nur mit viel Verständnis geschildert, sondern erfahren auch romanintern Akzeptanz. Dementsprechend ist es wohl auch keine gezielte Vermittlung eines gegenläufigen Bilds, wenn Sullivan in der Handlungsstruktur bisweilen eher traditionelle Wege einschlägt und immer dann, wenn der Roman nach einer damsel in distress verlangt, die mit großem Aufwand gerettet werden muss, auch tatsächlich eine Frau die Rolle ausfüllen lässt. Hier dürfte eher die oft unbewusste Wirkmacht bestimmter klassischer Erzählmuster deutlich werden.

Dem positiven Gesamteindruck tut das jedoch keinen Abbruch, denn alles in allem ist Nuramon vor allem eines: Ein Roman, in dem man wunderbar versinken kann und mit dessen Helden man gern durch alle Höhen und Tiefen mitfiebert, und dabei dank seiner originellen Ansätze eine Bereicherung für die deutschsprachige Fantasy.

Nyphron Rising von Michael J. SullivanObwohl die Gauner Royce und Hadrian seit einiger Zeit als Spione für König Alric ein gesichertes Auskommen haben, ist Hadrian nicht zufrieden: Es belastet ihn, dass seine Taten immer wieder auch Unschuldige in Mitleidenschaft ziehen, und er ahnt, dass Royce ihm wichtige Dinge verschweigt. Eigentlich möchte er die langjährige Partnerschaft so bald wie möglich beenden, lässt  sich dann aber doch überreden, einen letzten Auftrag anzunehmen. Gemeinsam mit Royce soll er Prinzessin Arista helfen, sich heimlich mit dem Rebellenführer Degan Gaunt zu treffen, der ihrem Bruder im Krieg gegen das aufstrebende Kaiserreich ein wichtiger Verbündeter sein könnte…

– He always feared he would die this way, alone on a remote stretch of road far from home. The forest pressed close from both sides, and his trained eyes recognized that the debris barring his path was not the innocent result of a weakened tree. He pulled on the reins, forcing his horse’s head down. She snorted in frustration, fighting the bit – like him, she sensed danger. –
(Chapter 2 – The Messenger)

Auch im dritten Band seiner Riyria Revelations bietet Michael J. Sullivan Fantasy klassischer Prägung: Ein kleines Land muss sich der Bedrohung durch ein expandierendes Reich erwehren, und von finsteren Kirchenmännern über geheimnisvolle Magier bis hin zu den Mitgliedern einer wohlorganisierten Diebesgilde mischt so gut wie jeder Figurentypus mit, der einem in einem abenteuerlichen Roman schon einmal begegnet ist. Mancher Handlungsstrang weist denn auch dementsprechend viele vorhersehbare Wendungen auf. Wenn etwa Arista aus ihrem behüteten höfischen Leben auf eine strapaziöse Queste und unter das einfache Volk gerät, kann man beinahe eine Strichliste der klischeehaften Erlebnisse führen. Ebenso wenig wird es einen erfahrenen Fantasyleser überraschen, dass der mit seinem Ganovendasein hadernde Hadrian vom Schicksal zu Höherem bestimmt ist.

Ohnehin gewinnen in Nyphron Rising bandübergreifende Entwicklungen an Bedeutung, obwohl auch hier eine handlungsmäßig mehr oder minder in sich abgeschlossene Episode erzählt wird. Neben der schon seit The Crown Conspiracy im Hintergrund präsenten Geschichte um den verschollenen wahren Erben des Kaiserreichs nimmt diesmal vor allem die Vergangenheit der beiden Helden breiten Raum ein. Beide müssen sich unwillkommenen Erinnerungen stellen und erkennen, dass eigentlich schon vergessen Geglaubtes auch ihre Zukunft prägen wird: So erfährt Royce, dass ein alter Erzfeind es abermals auf ihn abgesehen hat, während Hadrian sich mit einer ererbten Verantwortung konfrontiert sieht, der er sich nicht entziehen kann und will.

Dem Weltenbau tut diese Erweiterung des Blickwinkels gut. Man lernt nicht nur eine ganze Anzahl neuer Schauplätze kennen (darunter Hadrians Heimatdorf, das mit seinen freien und unfreien Bewohnern und dem Kompetenzgerangel verschiedener Instanzen der Obrigkeit erstaunlich überzeugende pseudomittelalterliche Verhältnisse bietet), sondern erfährt auch mehr als bisher über die Funktionsweise der Magie und die politische Großwetterlage.

Sympathisch ist einem auch in diesem Band, dass Sullivan aufrichtig bestrebt zu sein scheint, seinen Protagonisten eine glaubwürdige Gefühlswelt zu verleihen. Gelegentlich bewegt sich das hart an der Grenze zum Kitsch (wenn etwa Royce, der sonst gern den harten Burschen spielt, sich vom Leid eines Straßenjungen, das ihn an seine eigene Kindheit gemahnt, zu Tränen rühren lässt), aber gerade in einem Genre, in das in den letzten Jahren vielfach ein gewisser Zynismus Einzug gehalten hat, liest es sich eigentlich durchaus angenehm, wenn menschliche Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen ernst genommen werden, und sei es auch in etwas simpler Form.

Obwohl Sullivan also weiterhin ebenso ungekünstelt wie unbedarft an manche Belange herangeht, sind in Nyphron Rising einige Kinderkrankheiten des ersten Bandes überwunden. Manch ein schreibtechnisches Detail ist mittlerweile routinierter gelöst als zu Beginn der Serie. Nobelpreisverdächtige Prosa darf man freilich weiterhin nicht erwarten, aber immerhin einen soliden Roman, der viel Vergnügen bereitet, wenn man mit altbewährten Erzählmustern und dem liebevoll ausgearbeiteten Heldengespann etwas anfangen kann.

Percepliquis von Michael J. Sullivan

Die Invasion eines eroberungslustigen Elfenheers, dem nichts und niemand etwas entgegensetzen kann, trifft die Menschenwelt vollkommen unvorbereitet, und bald ist auch das mächtige Kaiserreich in seiner Existenz bedroht. Nur ein sagenumwobenes Horn, das in der versunkenen Stadt Percepliquis verborgen sein soll, kann die Elfen angeblich aufhalten, aber bisher hatte keine Expedition in die Ruinen Erfolg. Die Magierin Arista macht sich mit einer kleinen Schar von Gefährten auf die Suche nach dem rettenden Artefakt, doch bald drohen nicht nur äußere Feinde, sondern auch Spannungen innerhalb der Gruppe die Mission zum Scheitern zu bringen …

– “The elves have crossed the Nidwalden River,“ Julian announced to the crowd. His voice fought against the wind that viciously fluttered the flags and banners. He walked gingerly, placing his feet upon the frozen ground as if it might be pulled out from beneath him. The old man’s stately robes snapped about him like living things, his cap threatening to fly off. “They’ve invaded and taken all of Dunmore and Ghent.“ He paused, looked at King Alric, took a breath, and said, “And Melengar.“ –
(Chapter 2 – Nightmares)

Michael J. Sullivan beschließt seine Riyria Revelations mit einer klassischen Questengeschichte, die alle, aber auch wirklich alle, Elemente enthält, die man von solch einem Plot erwartet, von der scheinbar unausweichlichen militärischen Niederlage über die bunt zusammengewürfelte Heldentruppe und das legendäre magische Artefakt bis hin zum Auserwählten, der als einziger der dunklen Bedrohung wirksam entgegentreten kann.

Wie auch schon in den anderen Bänden ist nicht nur auf der Motivebene überdeutlich zu erkennen, wo Sullivan sich seine Inspiration gesucht hat. So kann etwa die unterirdische Ruinenstadt Percepliquis, die über weite Strecken den hauptsächlichen Handlungsort bildet, Anklänge an Tolkiens Moria nicht verleugnen, und dass in einem Grab mit hohem Wiedererkennungswert, das die Helden erkunden, dann doch nicht Tutanchamun liegt, dürfte jeden historisch halbwegs interessierten Leser aufrichtig überraschen.

Und dennoch: Die Mischung aus viel Altvertrautem und einigen netten eigenen Ideen funktioniert und kann in manchen Szenen mit durchaus atmosphärischen Schilderungen überzeugen,  so etwa, wenn die in einem behelfsmäßigen Unterschlupf auf die Rückkehr ihrer Herren wartenden Pferdeburschen der Helden von einem plötzlichen Wintereinbruch überrascht werden und man beim Lesen fast den Eindruck erhält, die Kälte selbst spüren zu können.

Vor allem aber kann Sullivan dank der zur Weltrettung ausziehenden Gefährten auf eine seiner größten Begabungen zurückgreifen und eine interessante Gruppendynamik entwerfen. Die Verschiebungen, die sich Stück für Stück im Beziehungsgeflecht zwischen den Protagonisten ergeben, lassen einen auch dann noch mit Neugier weiterlesen, wenn man bemerkt, dass einem der eigentliche Plot so oder so ähnlich schon dutzendfach begegnet ist. Zum Vergnügen an der Lektüre trägt auch bei, dass allerlei gelungene Nebenfiguren, deren große Auftritte bisher auf die verschiedenen Bände verteilt waren, hier zusammengeführt werden und noch einmal glänzen dürfen, etwa der seit dem ersten Teil der Serie sträflich vernachlässigte Mönch Myron, den seine Mischung aus Naivität und erstaunlicher Intelligenz oft zu amüsantem bis anrührendem Querdenken befähigt.

Das Talent, sich eigentlich sattsam bekannten Themen aus ungewohnten Perspektiven zu nähern, hat er dabei mit seinem Autor gemein. So spielt Sullivan beispielsweise genüsslich gleich an zwei verschiedenen Personen durch, welche teils komischen, teils tragischen Auswirkungen es wohl haben könnte, wenn der in der Fantasy weit verbreitete, unerkannt im einfachen Volk aufgewachsene Thronerbe gerade aufgrund seiner Biographie für die ihm zugedachte Aufgabe denkbar ungeeignet ist. Auch die ungewöhnliche Verwendung, die ein magisch erzeugter Wächterdrache erfährt, ist kreativ und zeugt von einigem Humor.

Gewiss, ein wenig Toleranz für Kitsch muss man vor allem gegen Ende durchaus mitbringen, ebenso wie die Bereitschaft, sich auf einige gar zu gewollte Wendungen einzulassen (insbesondere auch, was Sullivans Neigung betrifft, mit quasi unübersetzbaren vorausdeutenden Wortspielen zu arbeiten). Doch vielleicht sollte man Sullivan eher an dem Anspruch messen, den er selbst in seinem Nachwort formuliert: I wrote these books, because in our jaded, embittered world that is so eager to denounce happiness and happily-ever-after as a myth, such tales are rare, and yet are exactly the type of stories that I think are worth telling. Und eine Geschichte mit fast nostalgischem Wohlfühlfaktor und genau jenen Stärken zu erzählen, die vor der Welle des grim&gritty und der allgegenwärtigen Ironisierung viel zum Charme des Fantasygenres beigetragen haben, ist ihm voll und ganz gelungen.

The Queen of Attolia von Megan Whalen TurnerNachdem die Königin von Attolia ein in ihrem Palast spionierendes Mitglied des Königshauses von Eddis hat verstümmeln lassen, eskaliert der  schon lange schwelende Konflikt zwischen den beiden Ländern vollends. Der Krieg ruft nicht nur den immer noch eroberungslustigen König von Sounis sondern auch das mächtige Mederreich auf den Plan, und bald droht den drei kleinen Staaten ihre Zerstrittenheit wirtschaftlich wie politisch zum Verhängnis zu werden. Ein Verlust der Unabhängigkeit scheint kaum noch abzuwenden. Doch zweierlei hat der medische Gesandte Nahuseresh bei seinen Intrigen nicht bedacht: Die Macht der Götter – und die Unberechenbarkeit menschlicher Gefühle…

– When he fell asleep, he dreamed the queen of Attolia was dancing in her garden in a green dress with white flowers embroidered around the collar. It started to snow, dogs hunted him through the darkness, and the sword, red in the firelight, was above him, and falling. –
Chapter Five

Dass ein zweiter Band die im ersten Teil einer Reihe geweckten Erwartungen nicht einlöst, hat gewiss jeder Leser schon erlebt – aber selten wird ein solcher Bruch derart bewusst und erschütternd vollzogen wie hier von Megan Whalen Turner. The Queen of Attolia erlaubt einem weder wohliges Schwelgen in mediterranen Landschaften noch unbefangenes Vergnügen an Abenteuern, sondern wagt sich an ernste Themen. Neben dem Umgang mit politischer und persönlicher Verantwortung stehen vor allem das Erdulden und die mögliche Überwindung von Leid im Vordergrund.

Die Götter haben weiterhin allenthalben die Hand im Spiel, doch ihr Einfluss steht in ständiger Wechselwirkung mit den Entscheidungen der Menschen, deren Taten sich nicht einfach durch das Eingreifen höherer Mächte ungeschehen machen lassen und so letztlich stärker als alle übernatürlichen Faktoren den Gang der Ereignisse bestimmen. Den Konsequenzen des eigenen Handelns kann sich daher keiner der Protagonisten entziehen, und was politisch geboten erscheint, widerspricht oft genug ihren heimlichen Wünschen oder ihrem ethischen Empfinden. List und Tücke bieten zwar häufig eine taktische, aber nur selten eine wirkliche befriedigende Lösung der Probleme, mit denen sich jeder einzelne im Laufe des langen Kriegs konfrontiert sieht, und der Preis, der für das eigene Weiterkommen gezahlt werden muss, ist oft sehr hoch. Das merkliche Vergnügen, mit dem Turner in ihrer bewährten Technik, Entscheidendes oft nur verhüllt anzudeuten, Intrigen und Winkelzüge schildert, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie auch und vor allem Geschichten des Verlusts erzählt: Von körperlicher und psychischer Unversehrtheit, moralischen und religiösen Gewissheiten, äußerer und innerer Freiheit und nicht zuletzt auch von liebgewonnenen menschliche Beziehungen muss mehr als eine Gestalt unwiderruflich Abschied nehmen. Vor allem der Dieb Gen macht in dieser Hinsicht eine ebenso schlüssige wie herzzerreißende Entwicklung durch, an deren Endpunkt er nur noch wenig mit dem unbekümmerten Spötter gemein hat, als der er dem Leser in The Thief entgegengetreten ist.

Ein düsterer und deprimierender Roman also? Nicht ganz, denn er ist zugleich – so sehr dies überraschen mag – ein Loblied auf die Liebe und ihre hoffnungstiftende Kraft, die über Zwang und Widrigkeiten triumphieren kann. Während die Thematik in der ersten Hälfte des Buchs eher auf leisen Sohlen in einer scheinbar zufällig erzählten Göttersage eingeführt wird, gewinnt sie im weiteren Verlauf an Bedeutung. Romantasygeschädigte müssen dennoch nicht in Panik geraten: Der schwierige Annäherungsversuch zweier Menschen, die einander in der Vergangenheit wahrlich keine Wohltaten erwiesen haben, ist anrührend geschildert und von jedem Kitsch weit entfernt. Ohnehin wird man effekthascherische Szenen in diesem Buch vergebens suchen, obwohl es Situationen gibt, die manch ein Autor wohl als Steilvorlage betrachtet hätte, sich in drastischen Beschreibungen zu ergehen (so wird z.B. einer zentralen Gestalt auf offener Bühne die Hand abgehackt). Turner ist eher an langfristigen Folgen vor allem psychologischer Natur interessiert. Auf ihre zurückhaltende Erzählweise, die einen Kontrast zu der in der modernen Fantasy weit verbreiteten, quasi filmischen Unmittelbarkeit bildet, muss man sich also weiterhin einlassen. Wer dazu bereit ist, wird mit einem überdurchschnittlichen Lektüreerlebnis belohnt.

Trotz all dieser Qualitäten lässt sich aber eines nicht verschwiegen: The Queen of Attolia ist ein Buch mit Übergangscharakter, das dazu dient, den im ersten Band vorgegebenen Status quo aufzubrechen und die Charaktere für den Fortgang der Serie in Position zu bringen. Diese Brückenfunktion lässt die liebevolle Darstellung der Welt, die so viel zum Charme der Reihe beiträgt, etwas in den Hintergrund treten; eine Ausnahme bildet allenfalls das sehr gelungene Kontrastprogramm zwischen dem Königshof von Eddis (der vorwiegend aus dem ausgedehnten Familienclan der Herrscherin besteht) und seinem von Machtgier und Misstrauen geprägten attolischen Pendant.

Diese Kritikpunkte fallen aber eigentlich nur dann ins Gewicht, wenn man den Roman, den man auch als in sich abgeschlossene Geschichte lesen kann, in den Kontext von Vorgänger- und Nachfolgeband einordnet. Verzichtet man auf diesen Vergleich, so bleibt einem neben den feinfühlig gezeichneten Charakteren vor allem eines in Erinnerung: Die hoffnungsvoll stimmende Bereitschaft der Autorin, in einer ungeschönten Wirklichkeit neben Leid auch Tröstliches gelten zu lassen.

Das silberne Einhorn von Max KruseEin König verscherzt es sich mit einer mächtigen Fee, als er es versäumt, sie zum Geburtstagsfest seiner kleinen Tochter einzuladen, und steht fortan unter einem Fluch, der nur gebrochen werden kann, wenn der Fee eines der seltenen – vielleicht gar ausgestorbenen – Einhörner übergeben wird.  Geschieht dies nicht, bleibt der König zu ewiger Traurigkeit verdammt, was sich auch auf sein ganzes Reich äußerst nachteilig auswirkt. Herangewachsen begegnet die Prinzessin wider Erwarten tatsächlich einem silbernen Einhorn und macht sich mit ihm und ihrem Spielkameraden, einem Müllerjungen, zur fernen Insel der Fee auf, um den Bann zu brechen …

Diese Geschichte fängt an wie ein Märchen, das wir alle kennen. Und wie alle Märchen erzählt sie uns etwas über uns, was wir vielleicht noch nicht wissen.
(Die Fee)

Max Kruse dürfte den meisten Lesern wohl vor allem als Kinderbuchautor vertraut sein; seine für Jugendliche und Erwachsene bestimmten Werke (z.B. der historische Roman Hazard der Spielmann) haben nie einen vergleichbaren Bekanntheitsgrad wie die Klassiker Urmel aus dem Eis oder Der Löwe ist los erreicht. Mit Das silberne Einhorn. Eine Geschichte vom Wünschen richtet Kruse sich abermals an ein erwachsenes Publikum, aber wer mit einem regelrechten Fantasyroman rechnet, wird enttäuscht sein. Die kleine, feine Erzählung ist halb Märchen, halb Parabel und erörtert in scheinbar naiver Form manche Frage des menschlichen Daseins und des Umgangs miteinander.

Als vergleichbares Werk kommt einem noch am ehesten Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz in den Sinn, doch dessen melancholische Grundstimmung fehlt bei Kruse. Er zeichnet eher eine hoffnungsvolle Utopie, die in ihrer Tendenz, selbst lebensbestimmende Konflikte als überwindbar darzustellen, bisweilen fast ein wenig zu optimistisch anmutet. Doch in gewisser Weise ist dieser idealistische Glaube an Lernfähigkeit und Gutwilligkeit des Menschen durchaus subversiv, fühlt man sich doch gerade von dieser Überzeugung zutiefst in eingefahrenen und nicht selten etwas zynischen Denkmustern ertappt. Ist man dann erst einmal zu dem (gerade für den modernen Fantasyleser gewiss nicht immer einfachen) Eingeständnis gelangt, dass eine abgeklärt-pessimistische Weltsicht weder die einzig mögliche noch allein wünschenswerte ist, fällt es leichter, sich auf den Zauber von Kruses Geschichte einzulassen, die nicht zuletzt auch von ihrer poetischen und zugleich einfachen Sprache lebt. Ganz schlichte, aber treffende Wendungen wie “Sie wanderten durch den Sommer”, “Grau wurden die Bäume, grau wurden die Wiesen” oder “Sie waren umgeben von Bläue und Licht” beschwören eine märchenhafte Kulisse für die vordergründig simple Handlung herauf, die ihrerseits den Rahmen für zahllose kleine Einsichten und Erkenntnisse bildet.

Im Mittelpunkt steht dabei immer wieder die Frage nach Entscheidungsgewalt, Zwang und Freiheit, teilweise auch in Situationen, die unterschwellig schon in anderen Werken Kruses anklingen und womöglich nicht ohne autobiographische Bezüge sind (so spielt z.B., wie in Hazard, ein Sohn, der zunächst die Mitarbeit im Betrieb der Mutter über das Ausleben eigener Träume stellt und sich dann doch unerwartet mit der Welt und der Frage nach seinen eigenen Wünschen konfrontiert sieht, eine zentrale Rolle).

Bemerkenswert ist in diesem Kontext auch, wie Kruse bekannte literarische Motive adaptiert und seiner eigenen Philosophie gemäß umdeutet. Zu denken ist dabei nicht nur an die leicht dornröschenhafte Ausgangssituation, sondern beispielsweise auch an den Topos der zum Dank für eine Lebensrettung gewährten Wunscherfüllung oder die Fähigkeit des Gestaltwandelns. Auch das titelgebende Einhorn selbst stellt eine interessante Uminterpretation bestimmter Züge des klassischen Fabeltiers dar und ist gleichwohl für ein derart mit Symbolik aufgeladenes Geschöpf erstaunlich niedlich. Dieser Hauch von Individualität, der ein Erstarren der Figuren in der Allegorie verhindert, trägt viel zum Charme der Erzählung bei.

Ihren Reiz für den genreerfahrenen Leser gewinnt sie aber vor allem auch daraus, dass sie einem vor Augen führt, dass sich aus den klassischen Zutaten wie Magie, Fabelwesen und verfluchten Königen auch etwas völlig anderes zusammensetzen lässt als typische Fantasy. Wer auch nur ansatzweise auf diese hofft, sollte sich wohl andere Lektüre suchen, aber wer seinen Spaß an liebenswert verpackten Lebensweisheiten hat und dabei vielleicht auch nicht böse ist, sich einmal in das wohlige Kinderbuchlesegefühl zurückflüchten zu dürfen, dass schon nichts ganz Entsetzliches in der Geschichte geschehen wird, kann die Begegnung mit dem Silbernen Einhorn genießen.

The Thief von Megan Whalen TurnerNur vereint könnten sich die rivalisierenden Staaten Sounis, Eddis und Attolia der Eroberung durch das Mederreich widersetzen – wenn es nach dem Magus des Königs von Sounis geht, unter Führung seines Herrn, dem er mithilfe eines sagenumwobenen Steins die Herrschaft über Eddis sichern will. Um das Artefakt aus seinem Versteck im feindlichen Attolia zu holen, benötigt er einen geschickten Einbrecher. Der Meisterdieb Gen, den seine Prahlerei mit einer besonders dreisten Untat ins Gefängnis gebracht hat, kommt ihm da gerade recht. Mit einigen Begleitern brechen die beiden nach Attolia auf. Doch unter den Gefährten lauert ein Verräter, und auch Götter, an die niemand mehr so recht glauben will, nehmen Einfluss auf den Ausgang des Abenteuers…

-It’s a funny thing that the new gods have been worshiped in Sounis since the invaders came, but when people need a truly satisfying curse, they call on the old gods.-
Chapter Two

Ein All-Age-Titel, der noch dazu nach allzu klassischer Questenfantasy klingt? Nichts Besonderes, so möchte man meinen, und würde damit dem ersten Band von Megan Whalen Turners Attolia-Reihe bitter unrecht tun.

Allerdings lässt sich ein Teil dessen, was den Reiz des klug aufgebauten Romans ausmacht, kaum ohne größere Spoiler benennen. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass der Ich-Erzähler Gen – ein Trickster, wie er im Buche steht – zwar nicht eigentlich unzuverlässig berichtet, aber doch eine Reihe von Äußerungen tätigt, die den Leser in die Irre führen und erst in der Rückschau ihre eigentliche Bedeutung entfalten. Wer gern zwischen den Zeilen liest und aufmerksam Wortwahl und subtile Hinweise verfolgt, wird aber schon früh bemerken, dass nicht alles ist, wie es zu sein scheint.

Ohnehin ist die Bereitschaft, sich auf eine ruhig erzählte, eher durch Feinheiten als durch grelle Effekte wirkende Geschichte einzulassen, eine Grundvoraussetzung, um The Thief (Der Dieb) zu genießen, denn viel Spektakuläres geschieht zunächst einmal nicht. Anders als die meisten Fantasyhelden begegnen die Gefährten des Magus (der noch nicht einmal über Zauberkräfte verfügt) nämlich nicht hinter jeder Wegbiegung einem Ungeheuer, das nur auf sie gewartet zu haben scheint, sondern schlagen sich mit den ganz profanen Tücken des Reisealltags und Spannungen innerhalb der Gruppe herum. Die einzelnen Figuren sind dabei sehr differenziert und menschlich gezeichnet, so dass man ihre Interaktionen gespannt verfolgt, ohne aufregende Gefahren zu vermissen. Dabei lohnt es sich, auch auf Details zu achten: Vieles von dem, was zwischen geruhsamen Mahlzeiten, Reit- und Fechtstunden, Kletterpartien und Abenden am Lagerfeuer scheinbar nur am Rande Erwähnung findet, erweist sich im weiteren Verlauf der Serie (und durchaus nicht allein in diesem Buch) noch als wichtig.

Ganz nebenbei taucht man auch in die liebevoll ausgearbeitete mediterrane Welt ein, deren Städte, Bauerndörfer, Gebirge und Olivenhaine einem bald lebendig vor Augen stehen und mit der ein oder anderen Anspielung auf das reale Griechenland glänzen (so findet man etwa in der Hauptstadt von Sounis Elemente des antiken Athen mit dem Löwentor von Mykene kombiniert). Das Konzept einer an das Altertum angelehnten polytheistischen Welt, die sich gleichwohl bis in die frühe Neuzeit weiterentwickeln durfte (so gibt es z.B. Feuerwaffen), fasziniert auch in Abwesenheit klassischer Fantasyelemente, für deren Fehlen zudem die äußerst authentisch wirkenden Göttersagen entschädigen, die immer wieder eingeflochten werden. Die Gefahr, sich im Zuge dieser Reisebeschreibung nach einem Urlaub am Mittelmeer zu sehnen, ist für Leser mit entsprechenden Vorlieben durchaus gegeben.

Wie weit The Thief dennoch von bloßer Wohlfühllektüre entfernt ist, wird aber spätestens im letzten Drittel der Geschichte deutlich, wenn schlagartig Leid und Tod, vor denen auch liebgewonnene Charaktere nicht gefeit sind, in das bis dahin eher harmlose Abenteuer einbrechen und moralische Fragen aufgeworfen werden, auf die es keine eindeutigen Antworten geben kann. Wenn im Zuge dessen selbst Gen, der sich bisher erfolgreich durchs Leben gemogelt hat, erkennen muss, dass List und spöttische Distanz in manchen Situationen weder weiterhelfen noch überhaupt wünschenswert sind, wirkt diese plötzliche Wahrhaftigkeit wie ein Fanal für die folgenden Bände, in denen – so viel sei hier schon vorab verraten – mit einigen der Protagonisten auch die Themen erwachsener werden.

So sollte man The Thief vielleicht vor allem als charmante erste Begegnung mit einer Welt und einem Figurenensemble lesen, die weit mehr zu bieten haben, als sie in diesem gefälligen Jugendabenteuer zeigen können.

Wintertide von Michael J. SullivanDas nahende Winterfest soll der schurkischen Regentenclique des Kaiserreichs dazu dienen, ihren Triumph gebührend zu feiern: Der militärische Sieg über die letzten Widerständler ist in greifbare Nähe gerückt, die machtlose junge Kaiserin sieht einer Zwangsheirat mit einem politisch verlässlichen Mann entgegen, die unbequeme Prinzessin Arista und der Rebellenführer Degan Gaunt schmachten gebrochen im Kerker und Hadrian, der sie zu befreien versucht, wird prompt erkannt und zur Kollaboration erpresst. Um zumindest ihn retten zu können, lässt Royce sich widerstrebend auf einen riskanten Handel mit seinem Erzfeind Merrick Marius ein…

– Royce stood at the edge of the forest trying to decide between the road and the more direct route through the trees. Snow started to fall again, and the wind swept the flakes at an angle. The white curtain muted colors, turning the world a hazy gray. The thief flexed his hands. He had lost feeling in his fingers again. In his haste to find Gwen, he had once more neglected to purchase winter gloves.–
Chapter 5 – Footprints in the Snow

Mit Wintertide gelingt es Michael J. Sullivan nur teilweise, nach dem eher schwachen Vorgängerband The Emerald Storm zum ursprünglich hohen Unterhaltungswert seiner Serie zurückzufinden. Bedauerlich ist vor allem, dass er dem Plot eine der größten Stärken der Reihe opfert: Dadurch, dass Hadrian und Royce hier überwiegend getrennt agieren, fällt ihr freundschaftliches Geplänkel weg, das die Atmosphäre bisher entscheidend geprägt hat. Mit der über weite Strecken hilflos im Verlies dahinvegetierenden Arista ist auch die dritte zentrale Gestalt daran gehindert, für eine Kontinuität der gewohnten Elemente zu sorgen. Die neu eingeführten Charaktere – so etwa der Straßenjunge Mince und der edle Ritter Sir Breckton – bleiben typenhaft und werden oft in sehr generischen Situationen präsentiert, die auch den Weltenbau bestimmen.

Da das Setting in sich schlüssiger als im vierten Band wirkt, möchte man zunächst noch vermuten, dass die Rückkehr an vertraute Schauplätze wie die Kaiserstadt Aquesta dem Buch durchaus gut tut. Bald aber stellt sich ein gewisser Verdruss darüber ein, dass Sullivan den Kaiserhof samt Ritterturnier, Tafelfreuden, Falkenjagd und Schachbegeisterung etwas zu oberlehrerhaft schildert. Mit Hadrian und der aus einfachen Verhältnissen zur Sekretärin der Kaiserin aufgestiegenen Amilia sind zwei Figuren vorhanden, deren Unvertrautheit mit den Sitten und Gebräuchen ihrer neuen Umgebung als Vorwand für weitschweifige Erklärungen dient, die versierteren Gesprächspartnern in den Mund gelegt werden. So entsteht eher der Eindruck eines sehr theoretisch angelegten Konstrukts als der einer glaubwürdigen Lebenswirklichkeit. Dass anlässlich eines höfischen Fests auch noch ein paar Liedzeilen auftauchen, die wie eine ungeschickt umformulierte Entlehnung aus Penelope’s Song von Loreena McKennitt klingen, macht die Sache nicht besser. Auch sprachlich holpert der eine oder andere Satz mehr als üblich.

Ihren gewohnten Charme kann die Geschichte nur in einigen kleinen Szenen am Rande entfalten, so etwa, wenn Royce zu seiner Verblüffung erlebt, dass eine schon halb vergessene gute Tat sich für ihn auszahlt. Ähnlich anrührende Momente gibt es auch in der Schilderung der rauen Welt der Straßenkinder, deren harter Überlebenskampf die Suche nach Freundschaft und menschlicher Wärme nicht ausschließt. Die große Rolle, die für die Jungen die alljährliche Schlachtwoche spielt, in der auch für die Ärmsten der Armen etwas abfällt, wirkt dabei fast wie ein Fanal für die Endphase des Romans, in der es für Sullivans Verhältnisse ungewöhnlich blutig zugeht. Zwar sind auch in den anderen Bänden Kämpfe und Morde keine Seltenheit, aber dass hier einer der Helden im Racherausch eher unbedeutende Helfershelfer der Schurken bei lebendigem Leibe zerstückelt, befremdet im Vergleich doch ein wenig.

Ohnehin kommt es in den letzten  paar Kapiteln zu einer Häufung gewaltsamer Todesfälle unter überwiegend schon seit Beginn der Serie relativ wichtigen Figuren. Es wirkt, als wolle der Autor unter dem Personal ebenso aufräumen wie auf der Handlungsebene, denn der Dauerkonflikt der Protagonisten mit den geistlichen und weltlichen Machthabern des Kaiserreichs wird zu einem wenig originellen Ende geführt, so dass der letzte Band sich wohl auf das immer noch ungeklärte Rätsel um den verschollenen Erben Novrons und die damit verbundene, bisher eher diffus angedeutete dunkle Bedrohung konzentrieren wird. Es bleibt abzuwarten, ob daraus ein überzeugendes Finale oder doch nur eine allzu gewollt wirkende Auflösung wird.

Die wirkliche Mittelerde von Arnulf KrauseDer Germanist Arnulf Krause führt in die keltischen und germanischen Mythen und Sagen ein, auf denen J.R.R. Tolkiens fiktive Mythologie basiert, und arbeitet heraus, welche literarischen Stoffe und Motive vor allem in den Hobbit und den Herrn der Ringe eingeflossen sind. Dabei untersucht er nicht nur unter verschiedenen thematischen Gesichtspunkten die mittelalterlichen Dichtungen, die Tolkiens Schaffen beeinflusst haben, sondern verortet sie mithilfe zahlreicher Bezugnahmen auf Geschichte und Archäologie auch in der realen Lebenswelt vergangener Zeiten.

 

– In Bibliotheken des Vereinigten Königreichs und anderer Länder steht ein Buch, dessen angestaubter Zustand zweierlei verdeutlicht: Es hat bereits etliche Jahrzehnte auf dem Rücken und wird selten ausgeliehen. Dies sollte verwundern, denn auf besagtem Buchrücken findet sich der Name J.R.R. Tolkien. Und gemäß der Inhaltsangabe geht es um Könige, die in den Krieg ziehen, „Schlange“ heißende Gelehrte, um Götter, Menschen, Monster und Magie. Also ein vergessenes Frühwerk des millionenfach gelesenen Fantasy-Autors Tolkien? –
(Ein honorabler Professor und sein Spleen – Der Barde des Angelsächsischen)

Arnulf Krauses Die wirkliche Mittelerde. Tolkiens Mythologie und ihre Wurzeln im Mittelalter lässt sich in einer Rezension nur schwer ausgewogen beurteilen, liegt hier doch ein Buch vor, das sich einerseits vergnüglich liest und im Prinzip viel Gutes und Richtiges enthält, andererseits aber an einem ganz entscheidenden Mangel krankt.

Zunächst zum Erfreulichen: Krause verfügt über profundes Wissen und versteht es zu vermitteln, ob es nun um Mythen, Sagen und mittelalterliche Literatur oder um Vor- und Frühgeschichte allgemein geht. Seine langjährige Erfahrung als Sachbuchautor ist seinem Stil deutlich anzumerken, der immer amüsant und gut lesbar bleibt. Schon die Einführung in Tolkiens Leben und sein akademisches wie schriftstellerisches Wirken ist launig gestaltet, und auch die anschließende Entdeckungsreise wird zu keinem Zeitpunkt langweilig: Die Ursprünge der verschiedensten durch Tolkien popularisierten Fantasyvölker und Fabelwesen werden ebenso ausgelotet wie Tolkiens Magieverständis und die in der Völkerwanderungszeit entstandene spezifische Form des Kriegertums. Ausführlich werden auch die realen und literarischen Vorbilder bestimmter Eigenheiten von Tolkiens Setting vorgestellt, ob es sich nun um Fürstenhallen, wilde Wälder oder Hügelgräber handelt. Immer wieder spielt dabei auch der Begriff „Mittelerde“ selbst eine Rolle, dessen spätantike bis frühmittelalterliche Wurzeln Krause anschaulich erläutert.

Die Unterhaltsamkeit ist dabei nicht durch eine Senkung des Anspruchs erkauft: Krause bietet vielfach originalsprachliche (aber immer durch eine Übersetzung ergänzte) Zitate und Titel und schöpft aus einer beeindruckenden Quellenfülle. Wann immer Krause im Detail auf Tolkiens Schaffen eingeht, beweist er viel Gespür für Zwischentöne. Feinfühlig zeichnet er die Verquickung von heidnischer Mythologie und christlichem Gedankengut in Tolkiens Romanen nach oder stellt Überlegungen darüber an, inwieweit Tolkien sich bei seinen Schlachtenschilderungen eher literarischen Motiven als seinen eigenen Kriegserfahrungen verpflichtet wusste.

Doch leider sind nicht alle Teile des Buchs so ideal auf Tolkien abgestimmt, was mit dem eingangs schon erwähnten großen Schwachpunkt zusammenhängen mag: Krause übernimmt immer wieder Textpassagen wörtlich oder mit nur geringen Anpassungen aus seinen älteren Büchern. Besonders auffällig ist dies bei der ausführlichen Beschreibung des archäologischen Fundorts Feddersen Wierde, die gegenüber der entsprechenden Stelle des in 2. Auflage schon 2005 erschienenen Buchs Die Geschichte der Germanen nur marginal verändert wurde. Aus demselben Werk ist auch die hier im Kapitel Schmausen wie in Heorot – die Herrenhalle abgedruckte Beschreibung eines Empfangs am Hof des Hunnenherrschers Attila fast wortgetreu übernommen. Beim Stichwort Attila bietet sich der Hinweis an, dass auch der Abschnitt über die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern in beiden Büchern verdächtig ähnlich ist. Die Informationen über die Druiden dagegen sind zwar ein wenig stärker umformuliert und zusammengekürzt, aber die Grundstruktur des Texts und zahlreiche Formulierungen sind schon in Krauses Von Göttern und Helden: Die mythische Welt der Kelten, Germanen und Wikinger (2010) angelegt, wie auch die hier wiederverwendete Ragnarök-Schilderung. Die Liste ließe sich fortsetzen. Ob auch Krauses Bücher zu den Kelten und Wikingern in gleicher Weise als Steinbruch gedient haben, kann ich nicht beurteilen, da sie mir nicht vorliegen, aber angesichts des oben dargestellten Befunds wäre es zumindest kein großes Wunder.

Dieser Rückgriff auf schon Veröffentlichtes mag für den Fantasyleser, der vor allem mehr über die Hintergründe von Tolkiens Mythologie erfahren möchte, noch nicht allzu tragisch sein, doch Krause versäumt es vielleicht gerade aus seiner Vertrautheit mit der Materie heraus bisweilen, diejenigen Aspekte zu betonen oder auch nur explizit zu nennen, die unter dem hier gewählten Blickwinkel von besonderem Interesse wären.

So ist ihm z.B. bei der Nacherzählung der Hervarar saga die ältere Herwör nur als Weitergeberin des verfluchten Schwerts Tyrfingr an ihren Sohn wichtig, nicht aber hinsichtlich ihrer eigenen kriegerischen Aktivitäten, und die jüngere Herwör findet gar keine Erwähnung. Damit bleibt die Gelegenheit ungenutzt, herauszuarbeiten, was Tolkien zu einer Gestalt wie Éowyn inspiriert haben könnte. Ebenso wird zwar das Phänomen der Berserker angesprochen, ein Vergleich mit Tolkiens Beorn, bei dem die in der realen Welt nur imaginierte Tierverwandlung konsequent zuendegedacht ist, fehlt jedoch. Noch stärker vermisst man den Tolkienbezug, wenn Krause das Wissensduell zwischen Odin und dem Riesen Wafthrudnir schildert, das Odin nur durch die listige Frage nach etwas, das ausschließlich ihm selbst bekannt ist, gewinnen kann. Die Parallele zu dem von Bilbo und Gollum im Hobbit ausgetragenen Rätselwettstreit ist überdeutlich, aber Krause überlässt es stillschweigend dem Leser, sie zu ziehen. Von Tolkiens Büchern stehen übrigens eindeutig Der Herr der Ringe und Der Hobbit im Mittelpunkt von Krauses Interesse, während Das Silmarillion ein wenig stiefmütterlich behandelt wird: Das Drachenkapitel gibt Smaug breiten Raum, während Glaurung gar nicht vorkommt. Dazu passt auch, dass Krause Die Kinder Húrins zwar kurz erwähnt,  aber im Kapitel über Schwerter nicht darauf zurückkommt, als er noch einmal auf das verfluchte Schwert Tyrfingr eingeht (obwohl man hier die Inspiration für die ähnlich unheilbringende Waffe Anglachel/Gurthang hätte vermuten können).

Leider springen zudem noch einige Fehler ins Auge: So mutieren z.B. die Inklings zu Inklinks, und ob in der schon erwähnten Hervarar saga nun Agantyr oder Angantyr eine Rolle spielt, darf der Leser sich aussuchen (beide Varianten werden abwechselnd gebraucht). Apropos Namen: Auch die Nennung der deutschen Personennamen Ansila und Ansgeir lässt einen ein wenig verwundert zurück, aber man sollte wohl nicht über die sehr weitgefasste Auslegung des Begriffs „deutsch“ staunen, da im selben Atemzug Asperg den skandinavischen Ortsnamen zugeschlagen wird. Auch beim Thema Tolkien fallen Unsicherheiten auf, so etwa, dass Krause durchgängig die Namensform Middle-Earth statt des bei Tolkien üblichen Middle-earth verwendet und Gandalf fälschlich den Valar zurechnet.

Das alles ist bei einer Publikation aus dem Hause Theiss fast schon typisch, wurden doch in anderen (insgesamt übrigens durchaus nicht schlechten) Büchern desselben Verlags bereits ein Sonnenaufgang im Westen und die postume Geschlechtsumwandlung der Merowingerkönigin Arnegunde in einen „König Arnegund“ übersehen. Dennoch ist es natürlich enttäuschend, dass hier nicht gründlicher gearbeitet worden ist.

Diese Flüchtigkeit verstärkt den Negativeindruck, den man aus dem etwas lieblosen Baukastensystem der Textgestaltung gewonnen hat. Ganz lässt sich der Verdacht nicht abschütteln, dass man hier – vielleicht im Hinblick auf das in Verbindung mit der Hobbit-Verfilmung zu erwartende verstärkte Interesse an Tolkien – übereilt aus schon vorhandenem Material ein neues Buch zusammengeschustert hat. Da dennoch manch wertvolle Information enthalten ist, kann man nicht völlig von der Lektüre abraten, aber wer bei seiner Beschäftigung mit Mythologie und Geschichte auf Tolkiens Namen als Anreiz verzichten kann, hat wahrscheinlich mehr davon, zu anderen Werken über die entsprechenden Themen zu greifen.

The Wise Man's Fear von Patrick RothfussKvothe erzählt Chronicler und Bast ein weiteres Stück seiner wildbewegten Lebensgeschichte: Der Konflikt mit seinem in der Thronfolge ein wenig aufgerückten Dauerrivalen Ambrose führt an der Universität zu neuen Verwicklungen, die ein Urlaubssemester ratsam erscheinen lassen. Auf Empfehlung eines Bekannten will Kvothe die Zeit  und seine musikalische Begabung  nutzen, um  einen mächtigen Adligen als Förderer zu gewinnen. Doch auf seiner Reise gerät er von einem Abenteuer ins nächste und sieht sich in seinen Nachforschungen über die Chandrian und den geheimnisvollen Orden der Amyr mit immer mehr Rätseln konfrontiert …

– Dawn was coming. The Waystone Inn lay in silence, and it was a silence of three parts. –
Prologue – A Silence of Three Parts

Patrick Rothfuss ist wahrscheinlich ein zu fähiger Autor, als dass er ein völlig misslungenes Buch vorlegen könnte, aber im Vergleich mit seinem großartigen Debüt The Name of the Wind (Der Name des Windes) fällt The Wise Man’s Fear (Die Furcht des Weisen) enttäuschend aus. Bis zu einem gewissen Grade ist dieser Eindruck sicher der Tatsache geschuldet, dass die Qualität des ersten Romans und die vergleichsweise lange Zeit bis zur Veröffentlichung des zweiten überhöhte Erwartungen geweckt haben, aber auch unabhängig davon weist der Text strukturelle und inhaltliche Schwächen auf, die alles Erzähltalent des Autors nicht ausgleichen kann.

Auf erzählerischer Ebene ist nämlich durchaus manches gewohnt gut: Einige Szenen sind von poetischer Intensität, und das Wechselspiel von Rahmenhandlung und Binnenerzählung ist weiterhin geschickt genutzt. Rothfuss’ sehr bewusster Umgang mit literarischen Techniken schimmert auch an den Stellen durch, die das Erzählen selbst zum Thema machen und fein beobachtet die Umformung von Realität in Geschichten und wiederum deren Einfluss auf die Wirklichkeit schildern. Humor und bitterer Ernst liegen dabei oft nahe beieinander: Schmunzelt man im ersten Augenblick noch darüber, wie Kvothe und Bast sich gegenseitig darin überbieten, eine wilde Lügengeschichte über Chronicler in die Welt zu setzen, ist im nächsten Moment schon die nachdenkliche Überlegung präsent, welche Auswirkungen sich verselbständigende Märchen auf Individuen oder ganze Volksgruppen haben können.

Bestimmte inhaltliche Aspekte liegen Rothfuss dabei erkennbar besonders am Herzen (so übt er etwa wiederholt Kritik an Rassismus und Vorverurteilungen), doch immer wieder steht auch der Akt des Erzählens oder der Informationsvermittlung selbst im Vordergrund, wobei neben den omnipräsenten Mitteln der Sprache und der Musik auch andere Kommunikationsformen ausgelotet werden, die sich dinglicher Symbole oder bestimmter Gesten bedienen.

Rothfuss’ eigener Sprachgebrauch genügt nicht immer den Ansprüchen, die man aufgrund seiner theoretischen Reflexionen an ihn heranzutragen versucht ist. I am no poet. I do not love words for the sake of words. I love words for what they can accomplish, lässt er seinen Helden sagen – und vielleicht trifft das auch auf ihn selbst zu, denn manches, was er hier mit Wörtern zu erreichen versucht, wirkt zu bemüht und gekünstelt. Generell schreibt Rothfuss zwar weiter auf hohem Niveau, doch dort, wo er mit Sprache spielt, ist das Ergebnis bestenfalls durchwachsen. Während der Varianten- und Bedeutungsreigen, den er um den Familiennamen „Lackless“ entwickelt, durchaus funktioniert (und eine gehörige Herausforderung für jeden Übersetzer darstellen dürfte), hat er sich zu viel vorgenommen, wenn er mit ziemlich schlechten Stabreimen arbeitet oder einen Teil der Dialoge in Versform präsentiert. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Letzteres gilt auch für die Fülle von Versatzstücken, aus denen Rothfuss seine weiterhin bunte Welt, sein Panoptikum von archetypischen bis skurrilen Figuren und die über weite Strecken etwas ziellos dahinmäandrierende Handlung zusammenfügt. Die Tempelritter, das Rechtsprinzip des benefit of clergy, eine Fee vom Schlage einer Belle Dame Sans Merci, eine bekannte Anekdote über Schiller und eine schiere Überfülle geläufiger Motive aus dem Fundus der (Fantasy-)Literatur sind alle irgendwie eingeflossen, wirken aber bisweilen recht willkürlich kombiniert.

Zu diesem Anschein von Beliebigkeit trägt sicher bei, dass die übergreifende Geschichte nur sehr langsam vorankommt und letztlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Besonders in der zweiten Hälfte des Buchs kommt einem Kvothe fast wie ein Rollenspieler vor, der auf einer Nebenquest nach der anderen Erfahrungen und Artefakte sammelt, ohne in der Sache große Fortschritte zu machen.

Das wäre sicherlich zu verschmerzen, wenn seine etwas episodisch angelegten Abenteuer wenigstens gute Unterhaltung bieten würden, doch leider hat man spätestens im letzten Drittel des Romans den Eindruck, dass Rothfuss mithilfe seines Helden recht pubertäre Träume auslebt: Von einer lüsternen übernatürlichen Partnerin zum kundigen Liebhaber ausgebildet gelangt Kvothe zu einem Kriegervolk, das ihn nicht nur in Fremden gewöhnlich vorenthaltene Kampfkünste einweiht, sondern auch ein höchst entspanntes Verhältnis zur Sexualität pflegt. Die entsprechenden Schilderungen bleiben zwar dezent, sind aber darum inhaltlich nicht weniger albern. Auch kämpferisch darf Kvothe aktiver als zuvor werden, und anfängliche Gewissensbisse über das ein oder andere Gemetzel an Schurken sind rasch überwunden, mangelt es doch nicht an Gelegenheiten, sich edel und hilfsbereit zu geben und zu fühlen.

Es nützt nur wenig, dass Rothfuss seinen Erzähler hier einiges selbst unter dem Hinweis auf seine damalige Jugend ironisieren lässt oder den Initiationscharakter bestimmter Plotelemente betont. Wäre nicht die Rahmenhandlung, die einem immer wieder die Erzählsituation ins Gedächtnis ruft und vor allem einen auf Menschenmaß zurechtgestutzten Kvothe zeigt, hätte man wahrscheinlich bald genug von dem Wunderknaben und seinen Erlebnissen. So aber bleibt immerhin die Hoffnung, dass es Rothfuss irgendwie gelingt, im letzten Band seiner Trilogie eine überzeugende Hinführung zur tragischen Jetztzeit seines Helden zu finden und zu demonstrieren, dass seine Erzählkunst zu mehr taugt als nur dazu, die Klammer um eine Loseblattsammlung mehr oder minder offenkundiger Entlehnungen zu bilden.